Arbeiter:innenmacht

Waffenlieferung vom Leipziger Flughafen nach Israel – Aufgedeckt bei Spionageprozess in Dresden

Interview mit Yara von Handala Leipzig, das Interview führte Valentin Lambert, Infomail 1290, 20. August 2023

Dass am Leipziger Flughafen Waffen exportiert werden, ist nicht unbedingt ein Geheimnis. Doch wohin sie geschickt werden, blieb lange unklar. Bei unseren eigenen Recherchen als Gruppe Arbeiter:innemacht hatten wir bereits den Verdacht, dass auch Waffen und Militärausrüstung nach Israel gesendet werden könnten, die dann aktiv im Genozid gegen die Palästinenser:innen eingesetzt werden. Nun wurde diese Vermutung bestätigt, allerdings auf recht unkonventionelle Weise: Genoss:innen der Gruppe Handala besuchten einen Gerichtsprozess in Dresden, bei welchem einem ehemaligen Mitarbeiter des AFD-Politikers Maximilian Krah vorgeworfen wird, Informationen über die Fracht und den Export am Flughafen Leipzig/Halle an den chinesischen Geheimdienst weitergegeben zu haben. Diese hätte er von einer Beschäftigten des Flughafen erhalten. Yara erzählt uns im Interview weitere Hintergründe und stellt die Kampagne March to Airport in Leipzig vor, welche einen Protestmarch am 23.8. vom Leipziger Hauptbahnhof bis zum Flughafen Leipzig/Halle plant. Auch wir als Gruppe Arbeiter:innenmacht beteiligen uns an der Kampagne und dem Protestmarch.

GAM: Hallo, vielen Dank, dass du dir Zeit nimmst, um mit uns über den Leipziger Flughafen und dessen Rolle als militärisches Frachtdrehkreuz zu sprechen. Bitte stell dich persönlich und die Kampagne @marchtoairport.leipzig kurz vor.

Yara: Ich bin Yara, Deutsch-Palästinenserin und aktives Mitglied von Handala Leipzig. Wir sind die Palästinagruppe von Leipzig und organisieren seit 2021 Demonstrationen, politische Aktionen und unterschiedliche Veranstaltungen für die palästinensische Diaspora und die deutsche Öffentlichkeit.

Die Kampagne @marchtoairport.leipzig ist ein Palästina-Bündnis von unterschiedlichen politischen Gruppen Leipzigs, das sich gegen die Waffenlieferungen an Israel vom Flughafen Leipzig/Halle richtet.

Kern der Kampagne ist ein politischer Protestmarsch vom Leipziger Hauptbahnhof bis zum Flughafen. Mit dem Marsch wollen wir sichtbar machen, was sonst im Verborgenen geschieht – nämlich, dass mitten in Sachsen ein zentrales militärisches Frachtdrehkreuz für deutsche NATO- und israelische Kriegslogistik verankert wurde.

Der Protest richtet sich gegen die Normalisierung von Krieg und Aufrüstung vor unserer Haustür. Wir fordern den sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen über den LEJ und setzen uns für eine entmilitarisierte Infrastruktur ein. Der March to Airport bringt diese Forderungen buchstäblich auf die Straße – laut, kollektiv und unübersehbar.

GAM: Derzeit läuft ein Prozess wegen mutmaßlicher geheimdienstlicher Agententätigkeit am Leipziger Flughafen LEJ. Welche Erkenntnisse konnten aus den Verhandlungen gewonnen werden?

Yara: Tatsächlich hat der laufende Prozess vor dem Oberlandesgericht Dresden brisante Informationen ans Licht gebracht, die bislang unter strenger Geheimhaltung standen. Im Zentrum steht die Rolle des Flughafens Leipzig/Halle (LEJ) als zentrales Militärdrehkreuz – nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für deutsche Rüstungsunternehmen und NATO-Streitkräfte.

Erstmals wurde durch die Ermittlungen und die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft offiziell bestätigt, dass es vom LEJ aus Waffenlieferungen nach Israel gegeben hat. Darunter befinden sich nicht nur Rüstungsgüter der Bundeswehr, sondern auch Lieferungen von Unternehmen wie Rheinmetall. Konkret geht es um Drohnen, gepanzerte Fahrzeuge und Ausrüstung, die unter anderem an den israelischen Rüstungskonzern Israel Aerospace Industries geliefert wurden.

Die Bundesanwaltschaft bestätigt in ihrer Anklageschrift, dass der Flughafen Leipzig/Halle ein „wichtiges Drehkreuz zur Verbringung von Militärgütern in die ganze Welt“ sei. Wörtlich heißt es:

„Neben der Bundeswehr nutzen ihn auch deutsche Rüstungsfirmen und NATO-Streitkräfte. Insbesondere nutzt die Luftwaffe der USA den Flughafen auf dem Weg nach Ramstein.“ Diese Formulierung unterstreicht die strategische Bedeutung von LEJ für internationale Militäreinsätze.

GAM: Wusstet ihr, dass über den zivilen Flughafen Leipzig/Halle regelmäßig Waffen und Militärgüter nach Israel geliefert werden? Wie bewertet ihr diese neue Information vor dem Hintergrund des Kriegs gegen Palästina und der deutschen Außenpolitik?

Yara: Anders als andere europäische Regierungen haben beide deutsche Regierungen seit Beginn des Völkermords ihre militärische Unterstützung Israels nicht gerade verheimlicht. Ganz im Gegenteil erklärte beispielsweise Scholz im Oktober 2024 geradezu stolz: „Wir haben Waffen geliefert und wir werden weiter Waffen liefern.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte die israelische Besatzungsarme bereits unzählige Krankenhäuser, Schulen und Zeltlagern bombardiert, das Gutachten des Internationalen Gerichtshofes zur plausiblen Völkermordklage gegen Israel lag bereits über ein halbes Jahr zurück und die Welt stand unter dem Eindruck der Aufnahme aus dem Lager Sde Teiman, die eine Gruppenvergewaltigung einer palästinensischen Geisel durch israelische Besatzungssoldaten zeigt.

Kanzler Merz wiederum erklärte noch am Abend seiner Wahl, dass er vorhabe, trotz des internationalen Haftbefehls den Völkermörder Netanjahu nach Deutschland einzuladen. Der deutschen Regierung kann man kaum den Vorwurf machen, ihre Mitschuld vertuschen zu wollen. Jedoch werden Orte, Zeiten und Arten der konkreten Waffenlieferungen bewusst geheim gehalten.

Der Flughafen Leipzig / Halle ist der zweitwichtigste Frachtflughafen Deutschlands und so sind wir davon ausgegangen, dass auch von unserem Flughafen Waffen an den israelischen Apartheidstaat geliefert werden. Wir haben uns die schwedischen Hafenarbeiter:innen zum Vorbild genommen, die eine Woche Lieferungen von Waren an Israel blockierten, ohne überhaupt zu wissen, was diese genau darstellen. Allein die Möglichkeit, dass sie an einem Völkermord teilhaben könnten, hat sie dazu bewegt vor dem Arbeitsgericht einen Streik durchzusetzen.

Dann kam aber der Spionage-Prozess in Dresden. Wir saßen im Gerichtssaal und trauten unseren Ohren nicht: Wir hatten den Beweis! Aus dem Mund von Staatsanwälten. Sofort sind wir mit dieser Information auf unserer Bündnisseite March to Airport Leipzig öffentlich gegangen und nun erhalten wir viele Presseanfragen.

Allein deswegen hat sich unsere Aktion schon gelohnt.

GAM: Welche Rolle spielt der Flughafen Leipzig/Halle als Drehscheibe deutscher und NATO- Militärlogistik?

Yara: Der Flughafen direkt vor unserer Haustür ist wichtiger militärischer Standort, eine Drehscheibe für Waffenlieferungen, auch innerhalb von Deutschland, insbesondere nach Ramstein. Er wird von der Bundeswehr, dem US-Militär und anderen NATO-Armeen verwendet. Das überrascht vermutlich niemanden.

Aber durch den Spionage-Prozess haben wir Details erfahren, die sicherlich nur die Spitze eines Eisberges darstellen, aber doch für uns sehr erschreckend waren. Für uns war die Situation vor Gericht völlig absurd, wir saßen im Publikum und hörten wie der Angeklagten vorgeworfen wurde, wichtige Daten; E-Mails, interne Frachtpapiere und Fotos weitergeleitet zu haben.

Wir schrieben emsig mit, während der Bundesanwalt ganze Listen vorlas:

18. August 2023: Yaqi X. habe E-Mails verschickt mit Informationen über die Verladung einer Drohne des israelischen Rüstungskonzerns Israel Aerospace Industries (Heron-Drohne) am Flughafen Leipzig/Halle. Zusätzlich wurde ein Frachtpapier („Air Waybill“) übermittelt, das einen Rheinmetall- Transport von Leipzig nach Brisbane betraf.

8. September 2023: Weitergabe einer E-Mail mit dem Absender „PG-Fracht-bundeswehr“, Betreff „Charter Israel“, sowie eines Dokuments „Special Load Notification“, das gefährliches Transportgut auf einem Frachtflug mit Ziel Ben Gurion Airport (TLV), Tel Aviv dokumentiert

8. Dezember 2023: Übermittlung eines weiteren Air Waybill-Dokuments, das sich auf Transitflüge über den Flughafen Leipzig/Halle mit Ziel Tel Aviv bezieht. Die genaue Art der Fracht bleibt unklar, es handelt sich jedoch ebenfalls um militärisch klassifizierte Ware.

21. November 2023: Informationen über Flugplanungen der polnischen Airline Skytaxi, die unter anderem Frachtflüge auf der Route Frankfurt – Tel Aviv durchführt, wurden weitergeleitet. Die Airline ist zwar primär für DHL tätig, führt jedoch auch Transporte mit militärischer oder sicherheitsrelevanter Ladung durch.

Unbestimmter Zeitpunkt: Eine Preisanfrage zum Transport von Toyota Landcruisern nach Tel Aviv wurde in den Unterlagen gefunden.

Für uns war die Rede des Staatsanwaltes keine Anklage gegen die Person vor Gericht, sondern eine Anklage gegen die Bundesrepublik. Durch den Prozess wissen wir, dass Heron-Drohnen des israelischen Herstellers Israel Aerospace Industries am Leipziger Flughafen über unsere Köpfe transportiert werden. Wir kennen die Geräusche aus den Videos von Menschen in Gaza, die immer wieder beschreiben, dass das Kreisen der Drohnen bei Tag und Nacht zu hören ist. Wir haben erfahren, dass bei Frachtflügen mit Ziel Ben Gurion Airport (Lyyd) die Pilot:innen extra über gefährliche oder sogenannte „sensible“ Fracht informiert werden. Wir wissen nun auch, dass Fahrzeuge von Toyota, die die Besatzungsarmee in der Westbank zur Zerstörung von Häusern verwendet, von Leipzig in die Hände des Apartheidstaates geliefert werden.

GAM: Welche politischen Konsequenzen fordert Ihr aus diesen Enthüllungen, sowohl für den Flughafen Leipzig als auch für die deutsche Rüstungspolitik? Was muss passieren, damit die militärische Nutzung ziviler Infrastruktur gestoppt wird?

Yara: Mit unserer Kampagne wollen wir zunächst ein Bewusstsein in Leipzig und Umgebung dafür schaffen, dass hier bei uns der Völkermord beginnt. Die meisten Menschen in Deutschland sind gegen Waffenlieferungen an Israel. Über 80 Prozent. Das ist bemerkenswert. Die meisten Menschen schauen durch die falsche mediale Darstellung und die aggressiv-dümmlichen Aussagen von Regierungsvertretern hindurch zu den Tatsachen. Vielleicht können sie es nicht benennen, doch sie verstehen trotz aller Mühen der Eliten, Israel zu einem Opfer von bösen, barbarischen Terroristen zu stilisieren, dass Israel eine Siedlerkolonie ist und dass diese die Einheimischen des Landes tötet.

Nur in diesem Kontext ist die Erklärung Merz‘ zu verstehen, keine weiteren Beschlüsse zu Waffenlieferungen für Israels Vorgehen in Gaza zu verabschieden. Dies ist erst einmal ein Erfolg für die Palästina-Bewegung in Deutschland, denn das gab es noch nicht. Viele glauben nun, es werden keine Waffen an Israel mehr geliefert. Dies ist leider falsch. Es werden bereits beschlossene Waffenlieferungen weitergeführt, es werden auch weiter Waffen an Israel für die Kontrolle der anderen Teile Palästina, aber auch zur Besetzung von syrischem Land, für die Bombardierung von Nachbarstaaten geliefert.

Der Druck auf die Bundesregierung muss daher erhöht werden. Wir fordern ein sofortiges Ende jeglicher militärischen Unterstützung Israels.

Mit Blick auf den Flughafen Leipzig/Halle fordern wir von der Lokal- und Landespolitik volle Transparenz über die militärischen Aktivitäten am Standort – insbesondere über die konkreten Waffenexporte. Wir fordern, dass diese umgehend gestoppt werden.

Mit dem Marsch zum Flughafen wollen wir insbesondere die Kolleg:innen am Flughafen an ihre Macht und Verantwortung erinnern. Wir wollen ihnen die Beispiele ihrer Kolleg:innen vor Augen führen, die an Häfen in Frankreich, Italien, Griechenland oder Marokko sich geweigert haben, an der Abwicklung von Waffenlieferungen mitzuwirken. Der kollektive Widerstand von Arbeiter:innen gegen die Beteiligung an militärischer Gewalt kann konkrete Auswirkungen haben. So haben die italienischen Hafenarbeiter:innen ihre griechischen Kolleg:innen über bevorstehende Waffenlieferungen für Israel informiert- und diese haben ebenfalls die Schiffladungen bestreikt. Auch am Flughafen in Brüssel weigerten sich Flughafenmitarbeiter:innen Flüge nach Tel-Aviv zu beladen. Die Initiative kam von den Kolleg:innen und dann erhielten sie die Zusage ihrer Gewerkschaft ACV Puls, sie darin zu unterstützen.

Wir fordern ver.di auf, endlich gegen den Völkermord an Palästina aufzustehen.

Denn wir sind der Überzeugung, dass die militärische Nutzung ziviler Infrastruktur für einen Völkermord nur gestoppt werden kann, wenn politischer Druck, gewerkschaftlicher Widerstand und öffentlicher Protest zusammenwirken. Es braucht eine klare Absage an die Militarisierung im Innern – und den Mut, sich ihr auch ganz praktisch entgegenzustellen.

GAM: Vielen Dank für das ausführliche Interview. Möchtet ihr uns noch etwas mitteilen?

Yara: Wir freuen uns, dass ihr als Gruppe Arbeiter:innenmacht Teil der Kampagne und unseres Bündnisses in Leipzig seid.

Related Posts

2 thoughts on “Waffenlieferung vom Leipziger Flughafen nach Israel – Aufgedeckt bei Spionageprozess in Dresden”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Aktuelle Veranstaltungen

Nov.
14
Fr.
18:00 KSB-Diskussionsveranstaltung: Un... @ JGU Mainz, TBA
KSB-Diskussionsveranstaltung: Un... @ JGU Mainz, TBA
Nov. 14 um 18:00
KSB-Diskussionsveranstaltung: Universität im Kapitalismus @ JGU Mainz, TBA
KSB-Diskussionsveranstaltung: Universität im Kapitalismus   Was es bedeutet an der Uni zu sein und was ist ihre Rolle im Kapitalismus? Warum werden Unis im Moment die Mittel immer weiter gekürzt? Wie hängt die Uni mit[...]

Für eine Uni des gesellschaftlichen Fortschritts

Revolutionäres Aktionsprogramm

Buch, A 5, 100 Seiten, 6,- Euro

Vom Widerstand zur Befreiung

Für ein freies, demokratisches, sozialistisches Palästina!

Broschüre, A4, 48 Seiten, 3,- Euro

Lage der Klasse – Podcast der Gruppe Arbeiter:innenmacht

Internationalismus. Revolutionäres Sommercamp 2025