Dave Stockton, Infomail 1013, 12. August
Jeremy Corbyns Start der Labour-Kampagne „Aufbau in Britannien“ in Birmingham wurde von vielen Mitgliedern der Labour-Partei als Fahrplan für eine radikale Neuordnung der Wirtschaft „im Interesse der vielen, nicht der wenigen“ begrüßt.
Es war sicherlich an der Zeit, dass Labour seine Industriestrategie darlegte. Sie enthält mehrere Versprechungen, die aus dem Manifest von Labour 2017 wiederholt wurden und ein wichtiger Teil davon sein müssen. Dazu gehören die Rückführung von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen, die Schaffung eines Nationalen Bildungsdienstes, die Modernisierung der Infrastruktur, die Erneuerung der deindustrialisierten Gebiete und der Bau von Häusern.
So wichtig diese alle sind, so unklar ist über die ständig wiederholte Aussage hinaus, dass diese Investitionen nur an Unternehmen hier in Großbritannien gehen müssen, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Es steht wenig oder gar nichts über öffentliches oder gesellschaftliches Eigentum drin, geschweige denn über Wiederverstaatlichung. Vielleicht ist dies keine Überraschung in einer Rede vor dem Arbeit„geber“verband Maschinenbau.
Aber warum hat sich Corbyn entschieden, seine Strategie ausgerechnet dem Unternehmerverband bekannt zu geben? Ganz einfach, weil er erwartet, sich darauf zu verlassen, dass die britischen KapitalistInnen, nicht die ArbeiterInnen, sie durchführen. Deshalb gibt es wenig oder gar nichts Sozialistisches daran. Kein Wunder, dass er den Arbeit“geber“Innen damit zu beruhen versuchte, dass nur die reichsten von ihnen eine „etwas höhere“ Steuer zahlen müssten.
Statt die großen Konzerne zu besteuern, soll das Geld für große Investitionen in Industrie, Infrastruktur und Ausbildung qualifizierter Arbeitskräfte aus der Kreditaufnahme auf den internationalen Geldmärkten kommen. Letztlich wird Rückzahlung der Kredite durch die Besteuerung der lohnarbeitenden Klasse und des unteren Mittelstandes finanziert werden, die bereits heute die Hauptlast tragen. Und selbst wenn die Zinsen heute niedrig sind, wer kann das für die Zukunft garantieren?
Das durchgängige Thema in Corbyns Rede war wirtschaftlicher Nationalismus und die Zusammenarbeit mit britischen Arbeit„geber“Innen, „um der Industrie zu helfen, auf der Weltbühne zu konkurrieren“. Natürlich hat Corbyn das stark bestritten: „Es ist kein wirtschaftlicher Nationalismus, es ist sinnvoll, in die Fähigkeiten zu investieren, die wir hier bereits haben, und diese für die Zukunft zu verbessern“. Und fuhr er fort: „Niemand hat je zuvor gesagt, dass ich etwas mit Donald Trump gemeinsam habe. Es ist für uns beide neu, vermute ich.“
Wir in Red Flag denken, „der Genosse beteuert zu sehr“. Das Thema „Build British – Buy British“ (Baut britisch, kauft britisch) zieht sich wie ein rot-weiß-blauer Faden durch die ganze Rede. Corbyn sagt, eine Labour-Regierung würde dafür sorgen, dass der Staat „mehr eigenes Geld verwendet, um hier in Großbritannien zu kaufen“. Er sagt: „(…) um hier Wohlstand zu sichern, müssen wir unsere Industrien unterstützen und sicherstellen, dass die Regierung, wo immer möglich, unsere Industrien unterstützt und nicht nur ihren Niedergang überwacht“.
Er betont: „Wir haben genügend Kapazitäten, um Eisenbahnwaggons in Großbritannien zu bauen, und doch wurden diese Verträge in den letzten Jahren immer wieder ins Ausland ausgelagert, was unsere Wirtschaft entscheidende Investitionen, Arbeitsplätze für die Arbeit,nehmer’Innen und Steuereinnahmen gekostet hat.“
Wieder einmal beteuert er im Vorgriff auf den Vorwurf der Kritik: „Fördern wir den wirtschaftlichen Nationalismus? Nein, was wir fördern, ist eine Investition ins produzierende Gewerbe in diesem Land“.
Corbyn glaubt, dass „die für alle offene Weltwirtschaft“ verantwortlich ist für „die Ausbreitung von unsicheren Arbeitsverhältnissen, niedrigen Löhnen und Nullstunden oder befristeten Verträgen, die Stress, Schulden und Hoffnungslosigkeit verursachen“. Es stimmt, dass viele Linke in den neunziger Jahren und im neuen Jahrtausend dachten, es gebe keinen Grund, über die Übel des „Kapitalismus“ als System zu sprechen. Die „Globalisierung“ lässt sich viel leichter ins Visier nehmen. Nun, jetzt wissen wir, dass Donald Trump auch bei diesem Spiel mitspielen kann.
Nach einem Jahrzehnt, das nicht nur Stagnation und zunehmende Rivalität zwischen den Großmächten, sondern auch den Aufstieg eines virulenten Nationalismus in den USA, Europa und auch in China und Russland erlebt hat, ist die Anti-Globalisierungsrhetorik nicht radikal oder überhaupt links. In der Tat spielt sie direkt in die Hände der Rechten, vor allem, wenn man anfängt, den Gefahren aus dem Gerede von der „billigen“ Arbeit von MigrantInnen, die „unsere Jobs“ wegnehmen, nachzugeben.
Man beachte, dass es in Corbyns Rede nicht einmal die geringste Kritik an britischen Industriellen gab; an den einheimischen Bossen, die ihre Fabriken schlossen, die auf die Entstaatlichungs- und Schließungsprogramme der Tories der 1980er und 1990er Jahre drängten, ganz zu schweigen von den gewerkschaftsfeindlichen Gesetzen, die den wirksamen Schutz von Arbeitsplätzen und Lohnniveau behindert haben. Es waren schließlich britische Unternehmen, die Thatcher und Major reichlich finanziert haben, um uns all dies durchzusetzen. Für Corbyn besteht das Problem stattdessen darin, dass „der Aufstieg der Finanzen mit dem Niedergang der Industrie verbunden ist“.
Dies ist die alte These der Labour-Linken und der „Kommunistischen Partei“, die auf Tony Benns Alternative Wirtschaftsstrategie von 1974-76 und davor auf den britischen Weg zum Sozialismus der 1950er Jahre zurückgeht. Die Labour Party, auch deren linker Flügel, sah den Aufbau des Sozialismus immer als eine national isolierte, nicht als eine internationale Aufgabe. Das ideologische Fundament der KP war die Theorie, dass der Sozialismus in einem einzigen Land aufgebaut werden könnte (und in der Tat, so betonten sie, in Russland aufgebaut wurde). Eine solche Politik mag Mitte der 1970er Jahre eine gewisse kurzfristige Glaubwürdigkeit gehabt haben, aber sie brach schnell zusammen, als der Kapitalismus in eine neue Zeit der Krisen geriet und der neoliberale Ansturm begann.
Die alternative Wirtschaftsstrategie betrachtete das Bank- und Finanzwesen als das eigentliche Problem. Industrielles Kapital hingegen war potentiell patriotisch, vor allem in der „Partnerschaft“ mit dem Staat, d. h. wenn es massive Subventionen erhielt. Unter dem „Planungsregime“ einer Labour-Regierung wäre es bereit, mit ein wenig Ermutigung „in Großbritannien zu bauen“.
Heute basiert Corbyns „Industriestrategie“ auf einer ähnlichen Illusion: dass Versprechen staatlicher Beihilfe für britisches Industriekapital soll es ermutigen, die schlimmsten Folgen des Brexit auszugleichen, auf seinen „Chancen“ aufzubauen und dem Land zu helfen, auf dem Weltmarkt zu konkurrieren. All dies soll dann gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen und den guten Willen und die Zusammenarbeit der ChefInnen mit einer Labour-Regierung sichern. In diesem Zusammenhang stellt Corbyn lukrative Aufträge für die britische Industrie in Aussicht und beklagt, dass unter den Tories Aufträge für Eisenbahnwaggons und neue Kriegsschiffe an ausländische Unternehmen vergeben wurden. Vermutlich hätte er nichts dagegen, dass britische Unternehmen solche Aufträge im Ausland erhalten. Obwohl er bestreitet, dass dies Protektionismus ist, ist das dessen unausweichliche Logik.
Die Vorstellung der industriellen Strategie von Labour vor einer Versammlung von Ingenieurbossen ist nichts weniger als ein Appell für einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Kapital und Arbeit. Jeremy Corbyn und sein Stellvertreter John McDonnell werden nicht einmal erwägen, den Reichen und den großen Unternehmen das Steuerniveau aufzuerlegen, das zur Finanzierung eines ernsthaften staatlichen Investitionsprogramms erforderlich wäre. Sie wagen es nicht, davon zu sprechen, die Billionen Pfund, die den Banken 2008-10 gegeben wurden, wieder hereinzuholen. Das bedeutet, dass die Steuerlast weiterhin die individuellen Einkommen, also die Lohnabhängigen, belasten wird. Mit anderen Worten, die vielen werden weit über Gebühr hinaus zahlen, um die Investitionen zu finanzieren, von denen die wenigen in Form von höherer Produktivität, niedrigeren Kosten und satteren Gewinnen profitieren werden.
Nicht zuletzt hat das Thema des nationalen Aufbaus in Großbritannien die Implikation, ArbeiterInnen hier gegen ArbeiterInnen im Ausland in Position zu bringen, die, so wird angedeutet, „unsere“ Arbeitsplätze und Löhne untergraben würden. Dies ist doppelt so, wenn Labour das Ziel der Freizügigkeit der Arbeitskräfte als Teil des Freihandelsabkommens, das es mit der EU anstrebt, aufgegeben hat.
In diesem Zusammenhang zu beklagen: „Uns wurde gesagt, dass es gut, ja sogar fortschrittlich ist, wenn unser Land immer weniger produziert und stattdessen auf billige Arbeitskräfte im Ausland angewiesen ist, um Importe zu produzieren, während wir uns auf die City of London und den Finanzsektor konzentrieren“, enthält eine versteckte Botschaft, die an Gordon Browns (letzter Labour-Premier) „britische Jobs für britische ArbeiterInnen“ erinnert.
Eine sozialistische Politik beginnt mit der Erkenntnis, dass alle ArbeiterInnen gleich sind, alle ArbeiterInnen, MigrantInnen oder einheimische, das Recht haben, zu einem lebenswerten Lohn zu arbeiten, und dass wir uns zusammenschließen müssen, um die Bosse zu bekämpfen und eine Gesellschaft zu schaffen, deren Reichtum jenen zugute kommt, die ihn schaffen – nicht nur in Großbritannien, sondern in Europa und in der ganzen Welt. Eine Industriestrategie hierzulande muss auch die ArbeiterInnen in anderen Ländern erreichen. Die Aufgabe der Freizügigkeit innerhalb Europas und die Klage über billige Arbeitskräfte, ob in Europa oder in China, sind katastrophal. Sie spielen direkt in die Hände von Trump und den britischen Möchtegern-Trumps.
Corbyns Rede ist kein Grund zum Feiern, sie übergibt den Wiederaufbau Großbritanniens an britische KapitalistInnen, denen sie staatliche Unterstützung anbietet, und sie beinhaltet ein prinzipienloses Zugeständnis an den britischen Nationalismus, eine versteckte Version von „British Jobs for British Workers“ (britische Arbeitsplätze für britische ArbeiterInnen). Ob sie nun einige Stimmen abfischt oder nicht, sie wird die bereits wachsenden Kräfte der Rechten stärken, nicht nur der Labour-Partei, sondern der britischen Gesellschaft im Allgemeinen.
Es ist nicht verwunderlich, dass viele Menschen diese Ideen unterstützen. Sie stehen seit langem im Arsenal der linken Sozialdemokratie und des Stalinismus, obwohl sie vor 40 Jahren in die Mottenkiste gesteckt wurden. Was wir jedoch brauchen, ist ein Aktionsprogramm für eine Labour-Regierung, das es wagt, die Frage zu stellen, wer die „britischen“ Industrien besitzt. Wenn wir Häuser und Krankenhäuser bauen wollen, nicht Kriegsschiffe, dann muss es die ChefInnen angehen und ihre Industrie verstaatlichen.
Wir dürfen uns nicht nur über die Banken beschweren, sondern wir müssen sie verstaatlichen und nutzen, um ein planwirtschaftliches System zu schaffen, das den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird. Kurz gesagt, wir brauchen Übergangsmaßnahmen zum Sozialismus, die den ArbeiterInnen die Kontrolle über die Wirtschaft geben.
Sofort müssen wir dafür kämpfen, dass die Politik der Labour Party nicht weiter von etwaigen MinisterInnen eines Schattenkabinetten und IdeologieberaterInnen bestimmt und vom Wohlwollen der Maschinenbau-UnternehmerInnen abhängig gemacht wird. Statt dessen muss sei demokratisch von den Mitgliedern diskutiert und beschlossen werden – in den Ortsgruppen, den angeschlossenen Gewerkschaften und auf der Konferenz der Partei. Nur so kann sich Widerstand gegen ein nationalistisches, reformistisches Programm formieren.
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