Markus Lehner
Was auch immer als Ziel der Herausbildung der EU genannt wird, eines ist klar: Für die großen Konzerne in Deutschland und Frankreich, sowie die mit ihnen verbundenen politischen „Eliten“ ist die EU ein wesentliches Instrument für die Umsetzung ihrer strategischen Interessen. Trotz aller radikal-liberaler Rhetorik von „Deregulierung“ und „Wettbewerb“ ist die EU für ihre treibenden Kräfte vor allem ein Projekt zur Stärkung und Entwicklung des europäischen Monopolkapitals.
In der „Lissabon-Agenda“ haben die Staatschefs der EU sich das Ziel gesetzt, den EU-Raum bis 2010 zum „dynamischsten und wettbewerbsfähigsten“ Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Zentrales Element dabei soll die Herausbildung von „europäischen Champions“ sein. Dabei handelt es sich um Gemeinschaftsunternehmen aus großen europäischen Konzernen, die über das Kapital, die Technologie, das Fachpersonal und den abgesicherten Heimatmarkt verfügen, um den großen US- und japanischen Konzernen in strategisch zentralen Bereichen die Stirn bieten zu können.
Ein erfolgreiches Modell dafür stellt der Airbus-Konzern dar, an dem EADS zu 80% und die britische BAE zu 20% beteiligt sind. Dabei ist EADS (European Aeronautic Defence and Space Company) selbst ein strategisches Konsortium aus Daimler-Chrysler, der halbstaatlichen französischen SOGEADE (französischer Staat, sowie der private Konzern Lagadere) und der staatlichen spanischen SEPI. Seit der Gründung im Jahr 2000 hat sich die EADS in den letzten beiden Jahren zu einem der größten Rüstungskonzerne der Welt und über Airbus sogar zum größten Luftfahrtunternehmen entwickelt.
Der erfolgreiche Start des A380 ist ein erster Triumph der neuen „europäischen Industriepolitik“ gegenüber solchen US-Giganten wie Boeing. Konsequenterweise ist der EBIT (Earnings before interest and Taxes = Gewinne vor Zinsen und Steuern) von EADS seit 2000 um 75% gestiegen. Auch die Entscheidung für das „Galileo“-Projekt ist ein Ausdruck der Verquickung von Politik und Konzernen in diesem Bereich. Die Monopolprofitrate beginnt hier also mehr und mehr abzuheben.
EADS ist sicher nur das auffälligste Beispiel für das Netz zwischen Großkonzernen, dem Finanzkapital und den verschiedenen Ebenen europäischer Politik und Rüstung. Diese Kombination entspricht genau dem Muster, das Lenin in seiner Imperialismustheorie vor 90 Jahren als charakteristisch für die Herrschaft des Finanzkapitals in der gegenwärtigen Epoche analysiert hat.
Konzentration und Zentralisation des Kapitals in seiner industriellen und finanzorientierten Form haben in unserer Epoche eine Qualität erreicht, die es den großen Konglomeraten aus Industrie und Finanz erlaubt, die immanenten Probleme der Kapitalakkumulation zumindest zeitweise zu neutralisieren – durch Marktbeherrschung, Ausplünderung unterlegener Kapitale und politische Absicherung der Monopole. Dies wird erkauft durch schärfere globale Konkurrenz, Aufrüstung und neue Kriegsgefahren, letztlich also mit umso schärferen Krisen.
Nach dem Muster von EADS soll demnächst auch ein „europäischer Werftverbund“ entstehen, oft als „maritimes EADS“ bezeichnet. Nachdem sich letztes Jahr in Deutschland aus den Resten der deutschen Werftindustrie der Super-Konzern Thyssen-Krupp-Marine-Systeme herausgebildet hat, die nunmehr auch HDW, Blohm+Voss sowie die Nordseewerke umfasst, wird an die Einbringung dieses deutschen Monopolisten in einen „europäischen Champion“ zusammen mit der französischen staatlichen DCS und der Marinesparte des französischen Rüstungskonzern Thales gesprochen. Damit würden deutsch-französische Konzerne vom U-Boot bis zum Flugzeugträger zur Weltspitze beim Bau von Marine-Schiffen zählen, nachdem sie dies bei Zivilflugzeugen schon sind.
Dabei erklären französische Regierungsvertreter (allen voran Nicolas Sarkozi, der neue Star der Regierungspartei UMP und ehemalige Industrie-Minister), dass der Zusammenschluss der Werften nur die Basis für eine weitergehende europäische Allianz ist. Sowohl was die Partner (speziell spanische und italienische Konzerne) als auch was den zivilen Schiffbau betrifft, ist die Herausbildung eines maritimen europäischen Monopolisten das Ziel.
Eine weitere von Sarkozi eröffnete Baustelle ist die Bildung eines „europäischen Champions“ auf dem Gebiet des Anlagenbaus für Energie-Erzeugung. Im Zusammenhang mit der Krise des Alstom-Konzerns 2004 und der Übernahme seiner Schulden durch den französischen Staat (in Verhinderung der Übernahme des Konzerns durch Siemens) wurde ein Konzept einer europäischen Neuordnung entwickelt. Einerseits soll die Partnerschaft zwischen Siemens und der französischen Atomindustrie (Areva-Konzern) im weltgrößten Atomkonzern Framatome-ANP weiter ausgebaut werden. Andererseits soll das konventionelle Kraftwerksgeschäft von Siemens und Alstom zusammengelegt werden, genauso wie die Hochgeschwindigkeits-Zugsparte beider Konzerne.
In diesem Zusammenhang steht auch die Übernahme der Kraftwerkssparte der ehemaligen österreichischen staatlichen Industrie, der VA Tech, durch Siemens an. Damit würde endgültig der größte Konzern der USA, General Electric, in seiner Kernsparte, dem Kraftwerksbau, herausgefordert. Der Kampf um den momentan besonders profitträchtigen chinesischen Markt ist tatsächlich schon längst zwischen diesen beiden Blöcken in aller Heftigkeit ausgebrochen.
Zu diesen Beispielen europäischer Konzern-Bildung könnten noch weitere hinzugefügt werden, besonders im Bereich der Pharma-Industrie (Sanofi/Aventis), der Gesundheitsversorgung, dem Energie- oder dem Finanzsektor.
Es sollen hier noch einige Charakteristika dieser neuen Erscheinung hervorgehoben werden:
Das Beispiel Alstom zeigt aber auch, dass diese Attacke der europäischen Bourgeoisie im Rahmen der Bildung von „europäischen Champions“ auch eine Chance für die europäische Arbeiterklasse darstellt: Der Widerstand der Alstom-Beschäftigten ist international vernetzt und wird sich der politischen Dimension des Konfliktes immer mehr bewusst.
Seit einem halben Jahr wehren sich die Beschäftigen bei Alstom-Power in Mannheim gegen Massenentlassungen.
So glaubt dort wohl niemand, dass bei dem momentan boomenden Kraftwerksgeschäft die Frage der Nähe zum chinesischen Markt der Grund für Verlagerungen ist (wie das Management behauptet). Der Kampf gegen die Verlagerung jeder Maschine, allgemeiner gegen die angekündigten Entlassungen wird so zum Kampf dagegen, dass hier tausende von ArbeiterInnen als Schachfiguren auf dem Feld der „Neuordnung“ des europäischen Energie-Anlagenbaus durch Siemens, Alstom, Areva und die französischen und deutschen Politiker geopfert werden.
Dadurch, dass sich hier eine Belegschaft mit allen Mitteln gegen eine Massenentlassung zur Wehr setzt (z.B. durch tagelange „Betriebsversammlungen“) und in Verbindung steht mit den anderen von dem Manöver betroffenen Belegschaften in ganz Europa, wird hier ein Zeichen gesetzt, dass Widerstand möglich ist – wenn er denn gewollt und international koordiniert ist.
Es wird aber auch klar, dass die Politik der großen europäischen Konzerne, ihrer Allianzen und koordinierten Angriffe nur durch eine ebenso koordinierte internationale Gegenwehr der Arbeiterklasse als ganzes möglich ist, die nicht bei der betrieblichen Auseinandersetzung stehen bleibt. Die Angriffe auf Sozialsysteme, Arbeitslose, prekär Beschäftigte sind nur die andere Seite des Umbaus der EU zu einem monopolistischen Konkurrenzblock gegenüber den USA. Die Opfer dieses Umbaus, ob sie in den neuen Monopolen noch Arbeit haben, vom Rauswurf bedroht sind oder schon ausgegrenzt sind, müssen nun vereinigt werden.
Letztlich geht es darum, dass die gewaltigen Produktionsmittel dieser großen europäischen Konglomerate allen Menschen, ob inner- oder außerhalb Europas, gleichermaßen zum Nutzen und nicht zum Fluch werden. Nur Vergesellschaftung und internationale Arbeiterkontrolle kann gewährleisten, dass sie nicht zu Destruktivkräften in den Händen einer immer aggressiver werdenden europäischen Monopolbourgeoisie werden.