Arbeiter:innenmacht

Care-Arbeit – Reproduktion und Arbeit

Elise Hufnagel, Neue Internationale 194, November 2014

Das Thema „Care-Arbeit“, auch Sorge-Arbeit oder Reproduktion genannt, entwickelt sich in der Diskussion momentan weiter zu der Frage „Wie wollen wir in Zukunft leben, wie können die immer größeren Defizite in den öffentlichen und privaten Sorgebranchen und außerhalb der ‚bezahlten’ Arbeit im privaten Haushalt ausgeglichen werden?“

Nicht verwunderlich angesichts der Tatsache, dass die „unsichtbaren“ Arbeitsstunden die Arbeitszeit, die in der Industrie (ohne Baugewerbe berechnet) erbracht wird, schon bei weitem übersteigen. Gestellt wird die Frage wieder vor allem von Frauen, die immer noch den größten Anteil an der Reproduktion leisten.

Produktion und Reproduktion im Kapitalismus

Mit dieser Thematik beschäftigte sich auch die Care-Revolution-Konferenz im März diesen Jahres, die einen Beitrag zur Sichtbarmachung der Reproduktionsarbeit leistete, von „Revolution“ jedoch weit entfernt „demokratisches Aushandeln“ besserer Lebens- und Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich anstrebt, ohne jedoch den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Lohnarbeit in der Produktion und unbezahlter (oder schlecht bezahlter) Sorgearbeit im Kapitalismus zu entschlüsseln.

Den Kapitalisten interessiert die Reproduktion der lebendigen Arbeitskraft nicht mehr als die der anderen Quelle seines Reichtums, der Natur. Der Sozialismus dagegen stellt die Reproduktion der Quellen des Reichtums in den Mittelpunkt. Ihr allein dient die Produktion statt Selbstzweck, bloßes Mittel zur Schaffung von Mehrwert zu sein. Für den Kapitalismus bleibt die unbezahlte Subsistenzarbeit im Privathaushalt deshalb ebenso überlebensnotwendig wie er Raub an der Natur betreiben muss. SozialistInnen streben die Ablösung der privaten Hausarbeit durch ihre Vergesellschaftung an.

Die Konferenz hingegen konnte sich noch nicht einmal zur Forderung nach Umwandlung dieses Sektors in eine Kapitalbranche, die auf Lohnarbeit fußt, durchringen. Ihre Forderung lautet: „Sorgearbeit aufwerten – eine Kultur der Fürsorglichkeit absichern“. Damit wird der Sektor der unbezahlten Subsistenzarbeit nur anerkannt, nicht transformiert. Für Anerkennung können sich Hausfrauen aber nichts kaufen!

Charakter der Care-Arbeit

Unter dem Begriff der unbezahlten „Care-Arbeit“ wird die häusliche Sorge für die Reproduktion der Arbeitskraft, also die Ernährung, Kleidung, Pflege und Erholung der ArbeiterInnen und die Versorgung und Erziehung der Nachkommen ebenso erfasst wie die Ermöglichung von Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Versorgung all derer, die dem Markt keine Arbeitskraft anbieten können, also pflegebedürftige Angehörige, die entweder nicht mehr, nur eingeschränkt oder nie am Arbeitsleben teilnehmen können.

Das sogenannte „Care-Regime“ teilt sich hier in Deutschland in vier Sektoren auf: den öffentlichen Sektor, den freien Markt, Non-Profit-Organisationen und den privaten Haushalt, auf dem momentan die finanzielle und zeitliche Hauptlast liegt.

Was ist das Besondere an der Reproduktionsarbeit?

Teilt man sie auf in Haus- und Sorgearbeit, so zeigen sich deutlich die Unterschiede zur Lohnarbeit.

Die Hausarbeit besteht aus vielen stets ähnlich ablaufenden Tätigkeiten, die „nur“ einen Gebrauchswert schaffen. Essen wird schneller verspeist als gekocht, Wäsche schneller schmutzig als es dauerte, sie zu waschen, zu trocknen und zu bügeln. Die Arbeit findet im privaten Raum statt, also größtenteils unsichtbar, schafft keinen „Wert“, der sich veräußern ließe und wird daher auch nicht entlohnt.

Ähnlich sieht es bei der (unbezahlten) Sorgearbeit aus. Weder ein Kind noch ein älterer Angehöriger können die Leistung der Pflegenden entlohnen oder haben die Möglichkeit, sich die Form der Sorge oder die  beteiligten Personen auszusuchen. Die Versorgung von Menschen kann nicht ohne den Aufbau einer Beziehung geleistet werden. Das Verhalten des Einen bedingt das des Anderen. Also sind beide voneinander „abhängig“, die Versorgten von den Sorgenden sowieso; aber auch die Sorgenden können die „Arbeit“ nur befriedigend ausführen, wenn sie sich nach der Stimmung und den Bedürfnissen der zu Versorgenden richten und nicht nach einem festen Arbeitsschema. Der Zeitbedarf ist enorm, die Tätigkeiten sind teilweise monoton, aber auch jederzeit abrufbar.

Dabei kann, besonders unter Stress, ein Machtgefälle zum Nachteil der versorgten Person entstehen, die keine Handlungs- oder Wahlfreiheit hat, also diesem „Verhältnis“ nicht entfliehen kann. Aber auch der umgekehrte Fall kann eintreten – die Pflegeperson wird durch die Bedürftigkeit unter Druck gesetzt („Du wirst mich doch nicht ins Pflegeheim geben wollen…“).

Klassenspaltung und Care-Arbeit

Die Care-Arbeit spiegelt im kapitalistischen System unwillkürlich die Klassenspaltung der Gesellschaft wieder. „Die“ Frauen sind eben nicht „gleich“, sondern je nach Klassenzugehörigkeit höchst unterschiedlich davon betroffen.

Der Koalitionsvertrag setzt Geburtensteigerung und zunehmende Frauenerwerbstätigkeit als politische Ziele. Finanziell sollen diese Forderungen durch das „Elterngeld“ abgesichert werden, das bei gut Verdienenden bis zu 1.800 Euro betragen kann. Die Hartz IV-Empfängerin bekommt für die gleiche Leistung, nämlich ein Kind zu versorgen, gerade mal 300 Euro, die auch noch mit dem Arbeitslosengeld II verrechnet werden.

Der Anspruch auf Kinderbetreuung in einer Einrichtung gilt zuerst für Eltern, die einen Job haben. Die, die sich erst einen suchen, müssen hintenan stehen. Und ohne gesicherte Kinderversorgung hat eine Frau auf dem Arbeitsmarkt auch keine Chance.

Eine bezahlte Freistellung von der Arbeit für pflegende Angehörige, ähnlich dem Elterngeld, hat sich gar nicht erst durchsetzen können. Vielleicht haben sie Glück und behalten etwas vom ohnehin dürftigen Pflegegeld zurück. Wohlhabende können Teile der Haus- und Pflegearbeit an HaushaltsarbeiterInnen übertragen, die dann auch wieder im privaten Raum tätig sind, wo Arbeitsbedingungen schlecht kontrolliert werden können.

Das zweite Modell ist das „paarzentrierte“: Beide gehen arbeiten, die Hausarbeit wird aufgeteilt, jedoch meist zu Lasten der Frau, die passend dazu eine Teilzeitstelle ausfüllt. Bei Krankheit, Arbeitsunfähigkeit oder Scheidung landet sie auch ganz schnell im prekären Bereich – erst recht mit der neuen Unterhaltsregelung, die ihr keinen finanziellen Ausgleich für jahrelanges Zurückstecken bietet.

„Darunter“ liegen dann alle Haushaltsmodelle, bei denen nur eine Person erwerbstätig ist oder niemand bzw. diverse Minijobs ohne Sozialleistungen angenommen werden müssen. Der Mangel wird mehr oder weniger gerecht auf alle Haushaltsmitglieder verteilt.

Was die Frauenbewegung seit Jahrzehnten schon fordert, nämlich das Recht auf Teilhabe am Arbeitsleben, ist heute unbedingt erforderlich, denn der Lohn eines Einzelnen reicht in den meisten Fällen nicht mehr für eine ganze Familie aus.

Wissenschaftliche Ergebnisse

Es gibt im Bereich der Care-Ökonomie viele wissenschaftliche Untersuchungen zur Sorgearbeit, die darauf hinarbeiten, ihre Bedeutung für den gesellschaftlichen Wohlstand herauszustellen. Es werden Zeitbudgets für Hausarbeit erstellt, die Aufteilung der Reproduktion nach Geschlecht, Klasse und Nationalität erfasst und der Anteil bezahlter und unbezahlter Arbeit in diesem Bereich am volkswirtschaftlichen Gesamtaufkommen errechnet. Es geht um die „Produktivität“ der Care-Arbeit, die Arbeitsbedingungen der entlohnt Sorgenden und nicht zuletzt um das Recht auf angemessene Versorgung für Pflegebedürftige und das Recht, sich für Pflegearbeit Zeit nehmen zu können.

Das „Öffentlichmachen“ der meist im privaten Raum stattfindenden Care-Arbeit ist wichtig.

Eine ökonomische Gleichstellung von Reproduktion und Lohnarbeit widerspricht jedoch zutiefst dem kapitalistischen System, das vom Profit aus Lohnarbeit lebt. Der Care-Sektor wird zu einem Teil aus unbezahlter Arbeit, von Wohltätigkeitsorganisationen und staatlicher Unterstützung finanziert (die wiederum aus „wertschöpfenden“ Branchen umgeleitet wird). Wo Care-Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen gewinnbringend ausgeführt wird (beispielsweise in privatisierten Kliniken), muss sie rationalisiert werden. Da sich diese spezielle Arbeit aber nur begrenzt „schneller“ erledigen lässt (aufgrund der oben erwähnten Beziehungsmäßigkeit), leiden sehr schnell Qualität und „KundInnen“ und in diesem Zusammenhang auch die ArbeiterInnen. Notstände werden dabei an die anschließenden Versorgungssysteme weitergeleitet und landen damit oft wieder im familiären Bereich.

Ohne die bürgerliche Familie als Ort der Reproduktion kann sich der Kapitalismus, erst recht in der Krise, nicht erhalten. Wenn gespart werden muss, dann immer zuerst im Sorgebereich, wie uns die Länder Südeuropas noch krasser vor Augen halten. In Griechenland werden zum Beispiel Medikamente, die für uns als lebensnotwendig gelten, gar nicht mehr ausgegeben.

Wie also diese beiden Bereiche der Reproduktionstätigkeit – Lohn- und Sorgearbeit – zusammenbringen? Solange die Arbeitskraft als Ware verkauft werden muss, steht ihr die unbezahlte Hausarbeit gegenüber. Eine gleichberechtigte Entlohnung beider Bereiche ist im kapitalistischen System nicht möglich. Ziel kann also nur die Vergesellschaftung der Reproduktion (und damit ihre öffentliche Ausführung) bei gleichzeitiger Verkürzung der Arbeitszeit (bei vollem Lohnausgleich) sein.

Nur dadurch kann die Last der Alleinverantwortung der Individuen für den gesellschaftlichen Wohlstand gerecht verteilt werden, auch zwischen Frauen und Männern. Die Kämpfe bezahlter und unbezahlter Care-ArbeiterInnen müssen verknüpft werden. Falsche Forderungen wie „Lohn für Hausarbeit“ in den 70er Jahren führten in die Leere. Die Reproduktionsarbeit muss vielmehr vergesellschaftet, nicht als isolierte Privatarbeit im patriarchalen Haushalt durch eine Art Almosen anerkannt werden. Sie würde nur dann zur Lohnarbeit, wenn sie Waren für den Markt herstellte, nicht Güter bzw. Dienstleistungen für den Eigenbedarf.

Unsere Forderungen

  • Arbeitskämpfe in der Pflege müssen immer die „PflegekundInnen“ einbeziehen!
  • Wir müssen weiter für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt eintreten, sowohl zeitlich als auch finanziell, sowie die Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit zu bezahlbaren Preisen fordern: wie öffentliche Kantinen, Schulküchen, Wäschereien und Restaurants, Kinder- und Seniorenbetreuung .
  • Schluss mit besonders prekären Arbeitsbedingungen für MigrantInnen! Gleicher Lohn für alle bei Abschaffung des Illegalenstatus!
  • Wir fordern gute Ausbildung aller Berufsgruppen, die die soziale Basis unserer Gesellschaft sichern. ErzieherInnen, LehrerInnen und PflegerInnen müssen ihre Arbeitskämpfe verbinden und sich gewerkschaftlich organisieren.
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