Arbeiter:innenmacht

Thüringen: Regieren oder Opponieren?

Hannes Hohn, Neue Internationale 195, Dez. 14/Jan. 15

Thüringen ist das erste Bundesland mit einem Ministerpräsidenten der Linkspartei: Bodo Ramelow. DIE LINKE führt eine Koalition mit den Grünen und der SPD. Allerdings ist die Mehrheit der Regierung mit einer Stimme nur hauchdünn. Wie prekär Ramelows Position ist, zeigte auch seine Wahl zum Ministerpräsidenten, wo ihm im ersten Wahlgang noch ein/e Abgeordnete/r die Zustimmung verweigerte – quasi ein erster Denkzettel.

Natürlich sieht DIE LINKE Thüringen als großen Erfolg – obwohl ihre 28% als zweitstärkste Partei hinter der CDU nicht gerade für Euphorie sorgen sollten, zudem sie absolut sogar Stimmen verloren hat. V.a. das Keller-Ergebnis der SPD lässt die Koalition wie eine Truppe aussehen, wo der Blinde den Lahmen stützt. Doch auch die Erfahrungen anderer Bundesländer, wo die LINKE an der Regierung beteiligt war oder diese tolerierte, sind durchaus nicht positiv. Gerade in Berlin, wo sie 10 Jahre mitregiert hat, erwiesen sich ihre Wahlerfolge eher als Pyrrhus-Siege, weil sie das Oppositions-Image der Partei entzauberten, die Hälfte der Wählerstimmen gekostet und viele linke AktivistInnen enttäuscht haben.

Auch jetzt gab es durchaus Stimmen in der LINKEN, z.B. in der Jugendorganisation solid, welche die Regierungsbeteiligung der Linkspartei sehr kritisch sehen oder ablehnen.

Die „Handschrift“ der Linkspartei?

Um es gleich vorweg zu nehmen: Weder im Wahlkampf, noch in den Statements Ramelows oder gar im Regierungsprogramm ist auch nur andeutungsweise etwas enthalten, was wirklich „links“ ist.

Das erste Einknicken war schon die gemeinsame Stellungnahme zur DDR, die „Präambel“ zum Koalitionsvertrag. Weit entfernt von einer Aufarbeitung oder sachlichen Bewertung der DDR stellt die These vom „Unrechtsstaat“ nichts anderes dar als ein Nachgeben gegenüber dem allgemeinen Antikommunismus aller Parteien. Trotzdem wurde diese hohle Phrase zum Hauptaufreger, was genug darüber aussagt, dass es offenbar kein anderes Thema oder Vorhaben der neuen Regierung gab, das der Rede wert war.

Stattdessen beinhaltet der Koalitionsvertrag ein generelles Bekenntnis zur kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Noch nicht einmal zu allgemeinen und unverbindlichen, aber wenigstens gut klingenden Alternativ-Formeln hat es gereicht. Allerdings war das auch nicht zu erwarten, denn da sich die LINKE überhaupt nicht auf irgendeine soziale oder politische Bewegung in Thüringen stützen kann – und für deren Aufbau ja auch nichts getan hat – kann sie real auch nur auf die Arithmetik der Abgeordnetensitze bauen. Und natürlich ist Ramelow klar, dass jedes forschere, linkere Auftreten nur dazu führen würde, dass seine Koalitionspartner sich Richtung CDU verabschieden. So ist Ramelow von vornherein der Getriebene und Abhängige. Wenn das die Basis für linke Regierungspolitik ist – dann gute Nacht, Thüringen.

Vorhaben

Konkrete Vorhaben der neuen Koalition sind ein gebührenfreies Kita-Jahr und 500 neue Lehrerstellen. Die Zahl der V-Leute beim Verfassungsschutz soll reduziert werden. Das ist auch schon die ganze „linke“ Agenda. Daneben sind noch einige andere Projekte „angedacht“: etwa ein landesweiter Mindestlohn für Staatsaufträge, das Tariftreuegesetz, eine Arbeitszeitverkürzung im Öffentlichen Dienst und die Einführung eines fahrscheinlosen öffentlichen Nahverkehrs.

Doch all diese Vorhaben stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Zudem gibt es ein klares Bekenntnis zur Schuldenbremse, womit die meisten Vorhaben wohl nie über die Idee hinauskommen. Sogar im Vergleich zu anderen Landesregierungen gibt es nichts, was die „linkere“ in Thüringen positiv unterscheidet. Selbst die bescheidensten Erwartungen an Ramelow werden also noch enttäuscht.

Auch in der Frage des Verfassungsschutzes, die nach dem NSU-Skandal besonders brisant ist, passiert fast nichts. Die Parteien, die nicht müde werden, über das Unrecht in der DDR zu zetern, interessiert das Unrecht in punkto Verfassungsschutz und NSU kaum. Ramelow meinte dazu nur lapidar, die „Auflösung der geheimen Dienste stände in den nächsten fünf Jahren nicht an“.

Auf dem Koalitions-Altar opferte die LINKE auch alle anderen, sonst so wichtigen Ziele z.B. in der Bildungspolitik (Eine Schule für alle) – obwohl es gerade da auch Schnittmengen mit Grünen und SPD gibt.

Ingesamt fragt man sich also, was Rot/Rot/Grün überhaupt von der Vorgängerregierung aus CDU und SPD unterscheidet?! Völlig richtig kommentiert dazu ein Papier von Thies Gleiss von der Antikapitalistischen Linken in der Linkspartei (AKL): „Von einer links dominierten Regierung wäre eigentlich zu erwarten, dass beim Thema ‚Arbeit und soziale Gerechtigkeit‘ wirkliche Leuchttürme des Politikwechsels gesetzt werden. Aber der Koalitionsvertrag in Thüringen ist in dieser Hinsicht ‚harmloser‘ als die harmlosen Arbeitsgrundlagen der SPD-Grüne-Regierungen in Schleswig Holstein und Niedersachsen.“

Doch noch fataler als das zahnlose „linke“ Regierungsprogramm ist, dass die LINKE überhaupt keine Anstrengungen unternimmt, wenigstens für ihre bescheidenen Ziele zu mobilisieren. Hier zeigt sich ihr parlamentarischer Kretinismus erneut sehr deutlich. Im Grunde wird auf Klassenkampf verzichtet, um die bürgerlichen Koalitionspartner nicht zu verprellen. Und wofür? Für nichts als ein paar winzige Brosamen! Über die Bäckerei insgesamt wird dann allenfalls am Sonntag – wenn überhaupt – geredet.

Wenn die LINKE nun noch ihre außenpolitischen Positionen (NATO, Auslandseinsätze) weiter nach rechts verschiebt – und sie ist ja eifrig dabei -, könnte Thüringen auch ein Modell für den Bund werden; ein Modell für einen blass-rosa Kapitalismus.

Bedeutung

Diese bundesweite Bedeutung der neuen Regierung führt aber auch zu Attacken von rechts. In Erfurt marschierten gut 2.000 frustrierte SozialdemokratInnen, ehemalige DDR-BürgerrechtlerInnen, anti-kommunistisches Fußvolk aus CDU und AfD einschließlich einiger Neo-Nazis auf, die in Ramelows Regierungsprogramm „Sozialismus“ wittern.

Ernster als diese ObskurantInnen, für die der Kalte Krieg offenkundig zu früh beendet wurde, ist das Gezeter von konservativen und liberalen Kommentatoren sowie der CDU/CSU-Führung zu nehmen, welche SPD und Grüne wegen eines angeblichen „Tabubruchs“ angreifen. Natürlich wissen sie genau, dass die neue Thüringer Landesregierung politisch kein Deut „radikaler“ oder „sozialistischer“ ist als jene in Brandenburg o.a. Regierungen mit Beteiligung der Linkspartei. Die Regierungsbildung in Thüringen zeigt nämlich auch, wie gering mittlerweile die politischen Hindernisse für eine Rot-Rot-Grüne Koalition von Seiten der Linkspartei auf Bundesebene geworden sind.

Überhaupt verdeutlicht die Ramelow-Regierung, wie wenig sich die Linkspartei in der Substanz von ihrer alten sozialdemokratischen Schwester SPD, unterscheidet.

Beide aber sind bürgerliche Arbeiterparteien. Anders als offen bürgerliche Parteien wie die CDU/CSU oder die GRÜNEN stützen sie sich auf die Arbeiterklasse. Ihre soziale Basis sind die Lohnabhängigen, die über Massenmitgliedschaft, die Gewerkschaften oder andere „gesellschaftliche“ Organisationen historisch und organisch mit diesen Parteien verbunden sind. Sind das heute bei der SPD v.a. die Gewerkschaften – und hier v.a. die „besser gestellten“, arbeiteraristokratischen Schichten – so spielen bei der Linkspartei diverse Ost-Verbände wie die Volkssolidarität diese Rolle.

Bürgerliche Arbeiterparteien

Wenn sich diese Parteien auch auf die Arbeiterklasse sozial stützen, wird ihr Klassencharakter letztlich aber dadurch bestimmt, welches gesellschaftliche System sie verteidigen. Und hier sind sie seit Jahr und Tag eindeutig bürgerliche Parteien (wie der Reformismus selbst letztlich nur eine Spielart bürgerlicher Politik ist). Der Begriff „Bürgerliche Arbeiterpartei“ drückt diesen Widerspruch aus.

Der Unterschied einer Koalition von bürgerlichen Arbeiterparteien wie DIE LINKE und die SPD (womöglich mit anderen bürgerlichen Parteien) zu einer nur aus offen bürgerlichen Parteien besteht nun nicht darin, dass erstere per se „linker“ wäre, sondern, dass sich der Widerspruch zwischen den sozialen Interessen ihrer Basis und ihrem politischen Programm an der Regierung viel deutlicher ausdrückt. Dieser Umstand und die sich daraus ergebende Möglichkeit eines praktischen Tests der Illusionen von Millionen proletarischer WählerInnen in „ihre“ Parteien können den Bruch der Arbeiterklasse mit dem Reformismus von SPD und Linkspartei beschleunigen.

Daher gibt es für uns auch nicht zu bedauern, dass die Linkspartei jetzt gemeinsam mit der SPD an der Regierung Farbe bekennt. Im Gegenteil, dieser Prozess muss durch eine Kombination von Forderungen an die Regierung Ramelow, wenigstens ihre blassen Versprechen und die „angedachten“ Vorhaben in die Tat umzusetzen, mit schonungsloser Kritik an allen arbeiterfeindlichen und halbherzigen Maßnahmen und mit Mobilisierungen gegen alle Angriffe der Regierung vorangetrieben werden.

In diesem Sinne fordern wir die Mitglieder von Linkspartei, von SPD und Gewerkschaften auf, „ihre“ Parteien zum Kampf zu drängen und Forderungen an sie zu stellen. Werden damit Erfolge im Kampf, z.B. bestimmte soziale Verbesserungen, erreicht – um so besser. Wenn nicht, weil die Reformisten es ablehnen zu kämpfen, werden wir sagen können: „Uns überrascht das nicht, wir haben auf die Gefahr des Versagens der Reformisten schon immer hingewiesen. Nun konntet ihr euch selbst praktisch davon überzeugen. Daher: Baut mit uns eine andere, bessere Partei auf!“

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