Martin Suchanek, Neue Internationale 177, März 2013
Eine Eins vor dem Komma” – mehr ist laut Jens Bullerjahn, SPD-Finanzminister in Sachsen-Anhalt, für die Beschäftigten in der diesjährigen Tarifrunde nicht drin. Alles andere wäre „unvernünftig“. Schließlich müsse die Haushaltskonsolidierung weiter voranschreiten. „Ich habe jetzt den Ruf, ich würde das Land kaputt sparen,“ erklärte er gegenüber dem Deutschlandradio im Januar nicht ohne Stolz.
Diesem Ruf will er offensichtlich auch als Verhandlungsführer der „Tarifgemeinschaft der Länder“ in der diesjährigen Tarifrunde gerecht werden. Reale Einkommensverbesserungen sind für ihn Tabu. Die Aufregung der GewerkschafterInnen bei ver.di und GEW könne er nicht verstehen, findet er doch die Arbeitsbedingungen und Entgelte im Öffentlichen Dienst ganz prima. Die LehrerInnen in Deutschland wären die bestbezahlten in ganz Europa. Die JuristInnen in Sachsen-Anhalt verdienten mehr als Berufseinsteiger in privaten Kanzleien. Als Sozialist taugt der Spezialdemokrat zwar nichts. Offenkundig war der Mann Märchenonkel, bevor er zum Pfennigfuchser wurde.
Fast noch unerträglicher findet er das Ansinnen, dass ein Tarifvertrag nur ein Jahr Laufzeit haben soll, denn so müsste der geplagte Mann dann übers Jahr „gleich wieder verhandeln“.
So dummdreist Bullerjahn daherkommt, so ernst ist freilich die Lage der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst.
Für 800.000 Angestellte verhandeln die Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes in allen Ländern mit Ausnahme Hessens. Sie fordern:
• Entgelterhöhung von 6,5 Prozent bei einer Laufzeit von einem Jahr;
• Erhöhung der Ausbildungsvergütung um 100 Euro/Monat und Übernahmegarantie im erlernten Beruf.
Außerdem geht es darum, die drohende Verschlechterung der Urlaubsregelungen abzuwehren.
Einzelne Berufsgruppen und ihre Gewerkschaften gehen mit zusätzlichen Forderungen in die Runde. Die wichtigsten betreffen dabei wohl die LehrerInnen, für die die GEW zusätzlich fordert:
• einheitliche Bezahlung aller Lehrkräfte in allen Schulformen und Schulstufen;
• keine Schlechterstellung von Lehrkräften gegenüber anderen akademisch ausgebildeten Berufsgruppen des Öffentlichen Dienstes;
• Beendigung der Benachteiligung der Lehrkräfte in den östlichen Bundesländern.
Ohne groß angelegten und entschlossenen Kampf wird von diesen Forderungen, wenn überhaupt, nur wenig durchgesetzt werden können. Die Warnstreiks im Öffentlichen Dienst zeigten sehr wohl, dass etliche Beschäftigtengruppen mobilisierbar und auch sehr dynamisch sind. So demonstrierten bei den Warnstreiks der LehrerInnen und ErzieherInnen am 18. Februar rund 5.000 KollegInnen lautstark durch Berlin. Das zeigt Kampfpotential und mögliche Kraft. Aber es wäre kurzsichtig, nicht auch die Schwierigkeiten zu benennen.
Anders als bei den Kommunen sind die Beschäftigten im Landesdienst oft solche, die nur wenig ökonomischen Druck ausüben können. Versorgungsbetriebe oder Öffentlicher Nahverkehr sind, sofern nicht ohnedies schon privatisiert, in der Regel kommunale Unternehmen.
Die Mehrheit der Beschäftigten – rund 1,2 Millionen – ist verbeamtet. Sie haben daher kein Streikrecht. Das heißt auch, dass z.B. LehrerInnen, die in vielen anderen Ländern eine sehr kämpferische Tradition haben, in Deutschland eine relative geringe Rolle spielen. Ironischerweise haben hier die Sparprogramm im Öffentlichen Dienst in manchen Ländern zu einer Erhöhung des Angestelltenanteils geführt, weil man sich die Verbeamtung sparen und kündbare Beschäftigte haben wollte. In Berlin z.B. sind schon mehr als ein Viertel aller LehrerInnen angestellt und verdienen weit schlechter, als ihre KollegInnen in anderen Ländern – aber sie sind jetzt auch streikfähig. Das zeigt auch, wohin die Reise gehen muss.
Ein grundlegendes Problem besteht darin, dass die Gewerkschaftsbürokratie, egal ob nun in ver.di oder in der GEW, die vorgefundenen strukturellen Bedingungen und Nachteile einfach als gegeben hinnimmt. Sicher gibt es Murren, Unmut – aber die „Tarifpartner“ im Öffentlichen Dienst können sich darauf verlassen, dass z.B. die Trennung der Tarifrunden für Bund und Kommunen einerseits, für Länder andererseits praktisch nicht in Frage gestellt wird. Im Gegenteil, dass die Tarifverhandlungen asynchron verlaufen, haben die VerhandlungsführerInnen der DGB-Gewerkschaften selbst zu verantworten. Von einer Koordinierung der Tarifbewegung kann also keine Rede sein. Selbst der Austritt von einzelnen Ländern aus der Tarifgemeinschaft wie Hessen (und bis vor kurzem Berlin) wird letztlich akzeptiert und nicht mit gewerkschaftlichen und politischen Kampfmaßnahmen angegriffen.
Das trifft natürlich erst recht auf das Ausdünnen des Öffentlichen Dienstes und die Privatisierungen zu. Diesem politischen Angriff ist tatsächlich nicht im Rahmen bloßer Tarifpolitik zu begegnen, er müsste bewusst als politische Attacke bekämpft werden unter Einbeziehung der NutzerInnen öffentlicher Dienste.
Wo die Gewerkschaften diese Entwicklungen thematisieren, bleibt es beim Lobbyismus für eine „anderer Politik“, bleibt es bei der Hoffnung auf „andere Mehrheiten in Gesellschaft und Bundestag“ und bei Unterschriftensammlungen stehen. Was die Gewerkschaftsführungen und Funktionäre und auch viele Betriebs- und Personalräte im öffentlichen Sektor fast genauso fürchten wir ihre „Arbeitgeber“, ist der politische Streik, dessen praktisches Verbot wie ein Naturereignis behandelt wird.
Nicht zuletzt zeigt sich die ganze Willfährigkeit gegenüber den vorgegebenen Bedingungen in der Haltung zum Berufsbeamtentum. Das Streikverbot für Beamte wird nur in Hinterzimmern und Tagungen – wenn überhaupt – thematisiert; von einer für alle klassenbewussten GewerkschafterInnen dringend notwendigen Kampagne zur Abschaffung des Berufsbeamtentums ganz zu schweigen.
Dabei zeigen die aktuellen Auseinandersetzungen ganz klar den reaktionären Charakter des Beamtenstatus´, der die Beschäftigten an ihren „Dienstherrn“ bindet, ihre gewerkschaftliche und politische Organisationsfreiheit mit Füßen tritt. Zugleich werden die Vorteile und Versprechen, die mit diesem Status einhergehen, immer mehr in Frage gestellt. Die Unkündbarkeit wird für jene KollegInnen zum permanenten Druck, doch „freiwillig“ das Feld zu räumen, um dann wie im Berliner Stellenpool jahrelang von einer Dienststelle zur anderen verschoben zu werden. Die Übernahme der Tariferhöhungen für Beamte ist „natürlich“ auch längst keine Selbstverständlichkeit mehr.
Zum anderen wird der Kampf gemeinsam mit der reaktionären Gewerkschaft der Polizei (GdP) geführt, einer Interessenvertretung der staatlichen Repressionskräfte geführt. Diese hat als Organisation des Klassenfeinds im DGB nichts zu suchen und sollte aus diesem rausgeworfen werden!
Solange solche „Vorgaben“ nicht in Frage gestellt werden, haben Bullerjahn und Co. immer ein zusätzliches As im Ärmel.
In der aktuellen Tarifrunde treten wir daher erstens dafür ein, dass der Kampf für die aufgestellten Forderungen hart und entschlossen geführt wird. Wir wissen leider nur zu gut, dass es auch in den letzten Jahren immer wieder zu schmählichen Abschlüssen kam, auch wenn Bsirske u.a. Gewerkschaftsführer „Unnachgiebigkeit“ forderten. Natürlich ist das nicht nur ein ver.di-Problem. So erklärt auch die GEW im Tarifinfo Nr. 3 vom Februar 2013 zu ihren Eingruppierungsforderungen: „Diese Ziele können nicht auf einen Schlag erreicht werden.“
Mag sein, dass sich im Kampf herausstellt, dass die Mobilisierungskraft nicht reicht. Doch es ist das falsche Signal, immer schon im Voraus die eigenen, keineswegs allzu radikalen Ziele als unrealistisch darzustellen. Es ist das falsche Signal an die eigenen KollegInnen, die sich dann fragen, wozu im Ernstfall gestreikt wird, wenn an eine Durchsetzung der Forderungen ohnedies nicht gedacht ist. Es ist auch ein falsches Signal an die Gegenseite, der damit versichert wird, dass der Kampf ohnehin nicht konsequent geführt werden wird.
Es ist das falsche Signal, weil die Forderungen nach substantiell mehr Lohn usw. nur mit einem Arbeitskampf erreicht werden können. Das heißt, dass von den Gewerkschaftsführungen ein unbefristeter Streik im Öffentlichen Dienst eingefordert werden muss, anstatt in eine Schlichtung zu gehen. Es heißt aber auch, dass dieser Kampf von unten kontrolliert werden muss. In den Dienststellen, an den Schulen oder Unis muss es regelmäßige Mitgliederversammlungen der Gewerkschaften und Belegschaften geben. Verhandlungs- und Streikführungen müssen von den kämpfenden KollegInnen direkt gewählt werden, diesen rechenschaftspflichtig und abwählbar sein!
Zugleich muss die Tarifrunde als politische Auseinandersetzung geführt werden. Z.B. müssten die SchülerInnen und die Eltern in den Kampf der GEW einbezogen werden, wie das ansatzweise schon in vergangenen Jahren der Fall war, als SchülerInnen zu Tausenden einen Warnstreik und die Demonstration der GEW-Berlin unterstützten.
Zum anderen müsste die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst mit den anderen laufenden Tarifrunden verbunden werden. Das liegt eigentlich auf der Hand. Die Erfahrung zeigt aber, dass die Gewerkschaftsführungen einen solchen Kampf nicht wollen – nicht einmal ver.di koordiniert bewusst den Kampf mit der Tarifrunde im Groß- und Einzelhandel.
Dahinter steht letztlich ein weit über die aktuelle Auseinandersetzung hinausgehendes Grundproblem. Die bestehenden sozialdemokratischen Gewerkschaftsführungen und ihre bürokratischen Apparate sind weder willens noch fähig, eine Perspektive zu weisen, die in der Lage wäre, die Arbeitsbedingungen, Arbeitsplätze und Entgelte der Beschäftigten in der gegenwärtigen Lage zu verteidigen. Dazu braucht es eine oppositionelle Basisbewegung, die für die Erneuerung der Gewerkschaften, für die Zerstörung ihres bürokratischen Systems und dessen Ersetzung durch demokratische und klassenkämpferische Gewerkschaften und Führungen kämpft.
Bild: http://www.flickr.com/photos/der-markus/ (CC BY-NC-ND 2.0)