„Mindestens 500 Euro monatlich ist die wichtigste Forderung!“

Interview mit einer Beschäftigten der Stuttgarter Stadtverwaltung, Infomail 1215, 28. Februar 2023

Die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes ist im vollen Gange und die ersten beiden Verhandlungsrunden wurden ergebnislos beendet. Um nicht nur die üblichen „Tarifrituale“ zu kommentieren, haben wir ein Interview mit einer Beschäftigten in der Stuttgarter Stadtverwaltung geführt, um auch Beschäftigten aus der Basis eine Stimme im Tarifkampf zu geben. Das Interview führte Christian Gebhardt.

GAM: Hallo, beschreib uns doch zunächst die Stimmung in deinem Betrieb. Spielt die Tarifrunde in Gesprächen eine Rolle oder geht sie bisher eher an den Kolleg:innen vorbei?

Mein persönlicher Eindruck ist, dass am Anfang während der Forderungsfindung die Tarifrunde kaum präsent bei den Kolleg:innen war. Doch nach der ersten Verhandlungsrunde wurde schon viel über die Forderungen gesprochen und diskutiert. Hier hat auch die Unterschriftensammlung einen positiven Effekt gehabt, um die Diskussionen in meinem Betrieb zu entfachen.

Nachdem die Forderung zu den 10,5 % und mind. 500 Euro von ver.di öffentlich gemacht wurde, begann eine bundesweite Unterschriftenaktion, um möglichst viele Kolleg:innen hinter die Forderungen zu sammeln. Unser Bezirk war hier bundesweit ziemlich weit vorne. Im Klinikum haben über 50 % der Belegschaft unterschrieben. Die über 11.000 gesammelten Unterschriften wurden dann öffentlichkeitswirksam an einem Streiktag dem Oberbürgermeister übergeben. Ich fand das insgesamt einen guten Auftakt für die Tarifrunde.

GAM: Die 500 Euro stellen vor allem für die unteren Tarifgruppen eine wichtige Forderung dar. Kommt diese bei den Kolleg:innen an?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass am Anfang nicht richtig verstanden wurde, worum es bei den 500 Euro geht. Nämlich um 500 Euro mehr für die Tabelle. Das bedeutet bei vielen sogar mehr als 15 % Lohnerhöhung. Ich habe auch den Eindruck, dass eben die Forderung nach den tabellenwirksamen 500 Euro die wichtigste Forderung für die Kolleg:innen ist und für die sie auch kämpfen wollen. Eine Kollegin – die selbst kein ver.di Mitglied ist – fand von Anfang an die 10,5 % zu wenig, da es dadurch keinen Inflationsausgleich der vergangenen Jahre geben würde. Zusätzlich hat sie aus Erfahrung auch wenig Vertrauen in ver.di, diese 10.5 % zu erreichen. Die 500 Euro sind da greifbarer.

GAM: Die Frage der Streiktaktik ist immer eine wichtige. Was plant ihr denn in den Streikversammlungen in Stuttgart für Aktionen?

Aus Sicht der Streikversammlung in der Stadtverwaltung sollen die Streiks einen möglichst großen wirtschaftlichen Schaden bei der Stadt anrichten, um Druck auf diese aufzubauen. Auch wenn nicht von vornherein alle Beschäftigten mobilisiert werden sollen, sprechen wir darüber, welche Bereiche gezielt bestreikt werden sollen, um Schaden zu verursachen. Das wäre dann zum Beispiel die Hauswirtschaft beim Jugendamt. Diese bereitet täglich Essen für unsere Kitas zu. Wenn diese streikt, muss alternativ teureres Essen für die Kinder besorgt werden. Ein weiteres Beispiel wären Streiks der Parküberwachung, da diese einen wirtschaftlichen Schaden für die Stadt anrichten, wenn dadurch für jeden Streiktag Tausende Euros für Falschparken flöten gehen. Eine große Außenwirkung auch auf die Privatwirtschaft hätten Streiks bei der KfZ-Zulassungsstelle. Wenn die dichtmacht, kann das auch Auswirkungen für Daimler und Porsche zeitigen, die ja ihren Sitz hier in Stuttgart haben.

GAM: Empfindest du diese Taktik als zielführend? Oder hast du andere Vorstellungen bezüglich der Streiktaktik?

Ich finde es gut, dass man darauf schaut, welche Bereiche einen finanziellen Schaden anrichten können. Wichtiger finde ich aber, dass alle Beschäftigten aus den verschiedenen Bereichen mobilisiert werden und auch streiken. Der Streik sollte ja auch dazu führen, dass sich möglichst viele Kolleg:innen organisieren, sich ver.di anschließen und auf der Straße die Forderungen mit erkämpfen.

Ich denke auch, dass wir die anstehenden Streiks, wie die der Post, aber auch andere Kämpfe wie den internationalen Frauentag oder den Global Climate Strike miteinander verbinden sollten. Dies war auch mal im Gespräch bei einer Streikversammlung. Es hieß, wenn die Post in den Erzwingungsstreik geht, könne man die Streiks verbinden. Ich wüsste nicht, was dagegen spricht, es schon vorher getan zu haben. Es ist ja nicht so, dass man den Kolleg:innen von der Post die Show stiehlt, sondern vielmehr, dass wir dieselben Interessen haben und unseren Kampf gemeinsam auf der Straße führen. Meiner Meinung nach sollte man das direkt von Anfang an verbinden, dann hätte man auch viel mehr Leute auf der Straße mit gleichen Interessen.

Allerdings ist es gut, dass die Beschäftigten der Straßenbahnen ihren Streik mit dem Global Climate Strike am 3. März verbinden und zusammen für eine bessere Finanzierung und Ausbau des ÖPNV auf die Straße gehen.

GAM: Gab es noch andere Bereiche, in denen ver.di der Debatte zur Zusammenführung der Streiks ausgewichen ist?

Ja, am internationalen Frauentag soll vor allem im Pflege-, Sozial- und Erziehungsdienst gestreikt werden. Also dort, wo überwiegend Frauen beschäftigt sind und schlecht bezahlt werden. Der Streik wird mit der großen 8.-März-Demonstration verbunden. Die Kollegen in männerdominierenden Bereichen wie Abfallwirtschaft oder Garten- und Friedhofsamt sahen auf Diskussionen in der Streikversammlung hier leider keinen Grund, am 8. März zu streiken, weil das Thema nichts mit ihnen zu tun hätte und sie daran zweifelten, für die Demonstration Kollegen mobilisieren zu können. Leider wurde auch hier nicht ausgiebig genug diskutiert und der Diskussion ausgewichen. Ich persönlich finde, dass dies sehr wohl was miteinander zu tun hat und sich männerdominierende Bereiche hier solidarisieren sollten, stellt die schlechte Bezahlung der weiblichen Kolleginnen im öffentlichen Dienst nicht nur eine Ungerechtigkeit dar, sondern werden diese von der Gegenseite auch als Lohndrückerinnen eingesetzt. Schon aus „egoistischen“ Gründen sollten sich männliche Kollegen hier solidarisch zeigen. Zusätzlich ist die schlechtere Bezahlung auch ein Ausdruck der Unterfinanzierung des öffentlichen Dienstes, was sich über Umwegen dann auch bei ihnen bemerkbar macht.

GAM: Gibt es intern eigentlich Gespräche über einen möglichen Erzwingungsstreik?

Hier in Stuttgart wurde sich zumindest rhetorisch von Anfang an darauf vorbereitet, in den Erzwingungsstreik zu gehen. Jedoch schiebt hier die Bürokratie die Verantwortung an uns Beschäftigte ab: nämlich inwieweit wir die Kolleg:innen mobilisiert bekommen. Auch wenn die Organisierung eines Streiks durch die Basis wichtig ist, sollte die Bürokratie hier nicht alles auf uns abwälzen. Ein Erzwingungsstreik sollte durch alle beteiligten Gewerkschaften geplant und unterstützt werden. Dafür haben wir zentrale Organe in unseren Gewerkschaften, die eine solche Koordinierung und Organisierung übernehmen sollten. An der Basis haben wir z. B. durch die Unterschriftensammlung gezeigt, wie viele Kolleg:innen wir für die Forderungen gewinnen können. Nun liegt es eigentlich an der Führung, den Erzwingungsstreik auf die Gleise zu setzen. Ich frage mich hier jedoch, warum dies nicht aktiver angegangen wird, obwohl zu Beginn mehrmals darüber gesprochen wurde. Eine mögliche Erklärung wäre, dass die Bürokratie eigentlich keinen Erzwingungsstreik möchte und diesen versucht zu verschleppen.

GAM: Einem Erzwingungsstreik steht ja das Schlichtungsabkommen von ver.di im Weg. Hier verpflichtet sich die Gewerkschaft, einer Schlichtung zuzustimmen, sollte die Gegenseite diese einleiten. Was hältst du von diesem Abkommen?

Ich halte von dem Abkommen nichts und finde es schädlich für die Mobilisierung der Beschäftigten. Dieses Abkommen sollte von ver.di aus gekündigt werden. Wir sind seit Monaten schon dabei, Kolleg:innen für die 10,5 %, aber mindestens 500  Euro zu gewinnen. Diese Schlichtung, welche ab 1. April einberufen werden kann, dauert einen Monat an und währenddessen herrscht Friedenspflicht. Das würde sich sicherlich nicht positiv auf die Mobilisierung auswirken. Das bedeutet, dass während der Schlichtung gar kein Druck durch Streiks auf die Arbeit„geber“:innenseite ausgeübt werden kann. Also ich gehe nicht davon aus, dass die Arbeit„geber“:innen“ auf unsere Forderungen zugehen werden. Ver.di darf aber ebenso wenig von unserer Forderung abrücken. Wir wollen wirklich nicht einen solchen Abschluss wie die IG Metall oder die IG BCE mit 2 Jahren Laufzeit und einem klaren Reallohnverlust. Würde ein solcher Abschluss im öffentlichen Dienst zustande kommen, wird das sicherlich zu Austritten führen.

GAM: Möchtest du unseren Leser:innen noch etwas mit auf den Weg geben?

Ich denke, für uns Beschäftigte ist es wichtig, dass wir auch Druck auf ver.di ausüben, damit unsere Forderungen durchgesetzt werden und wir zeigen, dass wir dafür auch in den Erzwingungsstreik gehen wollen und keinen Abschluss hinnehmen, der unsere Forderungen unterschreitet.




Vollen Support an die junge GEW Berlin!

REVOLUTION, Infomail 1213, 8. Februar 2023

Der Berliner Ableger der Gewerkschaftsjugend der Bildungsgewerkschaft GEW hat sich mit einem offenen Brief an ihren Landesvorstand gewandt, um einen Erzwingungsstreik zu organisieren. Nach mittlerweile 8 Warnstreiks und 0 Gesprächsbereitschaft seitens des grünen Finanzsenators Daniel Wesener wollen sie den Druck auf den Senat dadurch erhöhen, dass die Verhandlungen für gescheitert erklärt werden, eine Urabstimmung eingeleitet und zu einem unbefristeten Streik aufgerufen wird, der erst aufhört, wenn das Ziel erreicht ist. Unsere Lehrer:innen kämpfen dabei für einen Tarifvertrag-Gesundheit, dessen Ziel es ist, überfüllten Klassen zu verkleinern. Für sie heißt das: weniger Stress und Arbeitsbelastung. Für uns heißt das: besser Lernen, mehr Zeit und weniger genervte Burn-Out-Mathelehrer. Lasst uns diese Kämpfe verbinden! Wie das genau funktionieren soll, erfahrt ihr in unserer neuen Schüler:innenzeitung oder auf unserer Homepage. Außerdem findet hier den offenen Brief der jungen GEW zum Nachlesen. Streik in der Schule, Uni und Betrieb: Das ist unsere Antwort auf ihre Politik!

Im Folgenden spiegeln wir den offenen Brief:

Erzwingungsstreik jetzt

Wir fordern den Landesvorstand auf, die Verhandlungen um den Tarifvertrag-Gesundheit mit dem Berliner Senat für gescheitert zu erklären. Wir, die streikenden Lehrer:innen, wollen selbst Einfluss auf die Frage nehmen, wie unser Arbeitskampf geführt wird. Der LV möge deshalb alle nötigen Schritte für eine Abstimmung über einen Erzwingungsstreik einleiten. Wir streiken, bis wir unseren Tarifvertrag haben!

Begründung

Die Arbeitsbelastung in den überfüllten Klassen unserer Schulen ist unzumutbar. Während die Schüler:innenzahlen 2023 weiter ansteigen werden, fehlen noch immer rund 1.000 Kolleg:innen in Berlin. Noch immer hat der Senat keinerlei Schritte unternommen, um diesen Mangel zu beheben.

Die Untätigkeit des Berliner Senats hat uns zum Handeln gezwungen. Mit unserem Kampf für einen Tarifvertrag-Gesundheit möchten wir die Arbeitsbelastung für uns alle durch eine gesetzliche Verankerung von kleineren Klassengrößen verringern. So waren wir im vergangenen Jahr mit ganzen sieben Warnstreiks auf der Straße. Wir waren viele und wir waren laut. Auch der Landeselternausschuss hat sich unseren Forderungen angeschlossen. Und trotzdem lehnt der grüne Finanzsenator Daniel Wesener bis heute ab, überhaupt mit uns zu sprechen. Wir finden: Jetzt reicht’s! Wir finden, dass wir mehr Druck machen müssen, um den Senat endlich von seiner Blockadehaltung abzubringen. Wir finden, dass wir einen Erzwingungsstreik zur Durchsetzung unserer Forderungen brauchen.

Während der Senat unsere monatlichen Warnstreiks noch teilweise ignorieren konnte, kann die Bildungsverwaltung bei einem Erzwingungsstreik nicht mehr den Kopf in den Sand stecken und Augen und Ohren vor uns verschließen. Ein Erzwingungsstreik ist unser verfassungsmäßig geschütztes Recht nach gescheiterten Tarifverhandlungen den Druck auf den Arbeitgeber zu erhöhen. Wir fordern deshalb unsere Verhandlungsführer:innen Anne Albers (Leiterin des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik) und Udo Mertens (Leiter des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik) auf, der Wahrheit ins Auge zu sehen: Erkennt, dass es keine Verhandlungen geben wird, wenn wir den Druck nicht erhöhen! Erklärt die Verhandlungen für gescheitert! Auf mehreren Personalversammlungen hat uns Udo versprochen, im kommenden Jahr die „Daumenschrauben anzuziehen“. Udo, halt dich an dein Versprechen und leite eine Urabstimmung für einen Erzwingungsstreik ein!

Wir lassen uns nicht lähmen von der Verzögerungs- und Hinhaltetaktik des Senats. Wir wollen unseren Tarifvertrag, denn unter den gegebenen Umständen, weiß kaum jemand von uns, wie wir diesen Job, den wir doch alle eigentlich irgendwo auch lieben, die nächsten zehn Jahre weiter machen sollen. Lasst uns deshalb gemeinsam das Thema Bildung auf die Tagesordnung des Berliner Wahlkampfes setzen!

Dafür wollen wir nun endlich „die Daumenschrauben anziehen“. Wir fordern den GEW-Landesvorstand mit diesen Unterschriften dazu auf, alle notwendigen Schritte für einen Erzwingungsstreik in die Wege zu leiten und diesen aktiv zu organisieren. Natürlich freuen wir uns auch über Solidarität von Kolleg:innen aus anderen Bundesländern, denn die Frage von kleineren Klassen betrifft nicht nur Berlin.




Ver.di: Vor einem Streikjahr?

Helga Müller, Neue Internationale 271, Februar 2023

In diesem Jahr stehen mindestens 5 größere Tarifrunden in Deutschland an! In diesem Frühjahr allein 3 wichtige Tarifrunden: bei der Post, im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen und im Nahverkehr Bayern. Es folgen die bei der Bahn und im Herbst im öffentlichen Dienst der Länder.

Und die Gehaltsforderungen lauten: bei der Post: 15 %, im öffentlichen Dienst und beim Nahverkehr Bayern 10,5 % und mindestens 500 Euro Festgeld. Letzterer hat bewusst die Forderungen des öffentlichen Dienstes übernommen. Sie verkörpern allesamt einen realen Ausgleich gegen die galoppierenden Inflation. Voraussetzung dafür wäre natürlich ihre volle Durchsetzung.  Dies ist nur möglich, wenn sich die Verantwortlichen von ver.di schnell dazu entscheiden, eine Urabstimmung für Erzwingungsstreiks durchzuführen.

Kampfstärke und Erfolgsaussichten

1. Alle Forderungen sind von den Kolleg:innen selbst durchgesetzt worden. Bei der Post z. B. hatten sich die gewerkschaftlich organisierten Kolleg:innen bei einer Mitgliederbefragung für eine deutlich höhere Entgeltforderung als die von der Tarifkommission (TK) vorgeschlagenen 10 % ausgesprochen und 90 % derjenigen, die sich an der Befragung beteiligten, waren auch bereit, dafür Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen. Daraufhin hatte sich die TK zu der Tarifforderung von 15 % durchgerungen und eine Erhöhung für die Azubis von 200 Euro beschlossen. Auch bei ver.di gab es deutlich höhere Forderungen aus den Reihen der Kolleg:innen – bis zu 19 % –, die sie auch gegenüber der TK vehement vertreten hatten. Gerade die Festgeldforderung von 500 Euro würde für viele von ihnen, die sich in den unteren Entgeltgruppen befinden und besonders hart unter der Preissteigerung leiden müssen, eine Erhöhung von bis zu 21 % bedeuten.

2. In vielen Bereichen existiert auch eine hohe Bereitschaft, dafür in den Streik zu gehen. Bei der Post sind die Voraussetzungen besonders günstig, der Organisationsgrad hier ist traditionell sehr hoch. Dieser liegt bei 70 % bundesweit – wobei es hier auch starke regionale Unterschiede gibt. Vor allem bei Dienststellen mit vielen Teilzeit- oder befristeten Beschäftigten liegt der Organisationsgrad unter 50 %. Alles in allem jedoch gute Voraussetzungen, um einen Durchsetzungsstreik auszuhalten. Auch die bisherigen Warnstreiks werden von den Kolleg:innen sehr gut befolgt. Sie werden trotz anstrengender Arbeit schlecht bezahlt, verdienen im Bundesdurchschnitt 1.000 Euro weniger als andere Beschäftigte im Monat und mussten dazu noch einen Reallohnverlust von 7 % im Jahr 2022 erleiden. Die Arbeitsbedingungen werden von Jahr zu Jahr schlechter z. B. über ständig wechselnde und größere Zustellungsgebiete, sodass viele sich eine andere Arbeit suchen. Allein 2021 haben 10.000 Beschäftigte den Konzern verlassen. Gleichzeitig hat er 8,4 Milliarden Euro Gewinn eingefahren – das beste Ergebnis aller Zeiten! Dies alles wird die Kampfmoral zusätzlich steigern.

Auch wenn der öffentliche Dienst insgesamt nicht so gut organisiert ist, gibt es dort durchaus Bereiche wie Müllabfuhr, Erzieher:innen, Sozialarbeiter:innen und auch Belegschaften in einigen Krankenhäusern, die schon über viel Kampferfahrung verfügen. Zudem haben die dortigen Bewegungen in NRW und Berlin gezeigt, dass, wenn ein systematischer Mitgliederaufbau betrieben wird und die Kolleg:innen selbst über ihre Forderungen und die Vorgehensweise diskutieren und mitentscheiden können, auch wochenlange Durchsetzungsstreiks in diesen Bereichen möglich sind. Wie groß wäre erst wohl die Kampfstärke, wenn sie die komplette demokratische Kontrolle über den Kampf ausübten?

Im Nahverkehr sind die Kampferfahrungen hoch und selbst gut organisierte kurze Warnstreiks können sehr schnell den öffentlichen Nahverkehr lahmlegen, was den Druck auf die Kommunen erhöht. Hierbei muss gesagt werden, dass bundesweit betrachtet der Nahverkehr ein zerzauster Tarifflickenteppich ist. Während in Bayern dieses Jahr in der Runde des öffentlichen Dienstes mitverhandelt wird (aber auch hier nur bei den Betrieben, die in kommunaler Hand sind), sind andere erst nächstes Jahr dran. Zudem gibt es einige Betriebe mit Haustarifverträgen, z. B. die Berliner Verkehrsbetriebe oder die Hamburger Hochbahn. Das schwächt natürlich die Kampfkraft.

3. Zum anderen sind die Bedingungen auch deswegen günstig, da drei große Tarifrunden fast zeitgleich stattfinden: Die TK bei der Post verhandelt insgesamt für ca. 200.000 Beschäftigte (155.000 bei der Deutschen Post und 37.000 bei DHL), im öffentlichen Dienst für ca. 2,3 Mio. bei Bund und Kommunen und beim Nahverkehr Bayern für mehrere Tausend. Das sind über 2,5 Millionen Beschäftigte insgesamt!  Wenn diese in einer großen Tarifbewegung mit gemeinsamen Durchsetzungsstreiks und öffentlichkeitswirksamen Aktionen von den ver.di-Verantwortlichen zusammengeführt würden, wäre dies eine Kraft, die den Regierungen das Zittern beibrächte – ähnlich wie 1992 beim großen Streik im öffentlichen Dienst, bei dem auf dem Höhepunkt  sich zeitweilig mehr als 330.000 Arbeiter:innen und Angestellte im Ausstand befanden. Das wäre auch die Kraft, die eine Abwälzung der Krise auf die breiten Massen der Lohnabhängigen und Arbeitslosen, Rentner:innen, Jugendlichen und Migrant:innen verhindern könnte.

Die Kolleg:innen im Nahverkehr Bayern haben sehr bewusst die Forderungen des öffentlichen Dienstes übernommen und sich für gemeinsame Aktionen und Arbeitskampfmaßnahmen ausgesprochen. Zu Anfang war das wohl auch der Wille der TK bei der Post. Mittlerweile haben aber die Mitglieder dort bereits die zweite Verhandlung hinter sich, in denen sich die Vertreter:innen der Post stur stellen und die Forderung nach wie vor ablehnen und für überzogen halten. Die 3. und vorerst letzte Tarifverhandlung findet dort am 8./9. Februar statt, im öffentlichen Dienst die erste Verhandlung erst am 24. Januar. Ob es nach einem letzten schlechten Angebot von Arbeit„geber“:innenseite dann tatsächlich zu einer anschließenden Mitgliederbefragung und Urabstimmung über einen unbefristeten Streik kommt, wissen bisher nur die Götter! Insofern stehen die Postkolleg:innen im Moment alleine da und entsprechend provokativ verhalten sich auch die Konzernverhandlungsführer:innen

4. Zum Vierten haben sich verschiedene Initiativen, darunter die Kampagne „Genug ist Genug“ (GiG) und die Berliner Krankenhausbewegung dazu entschieden, Solidaritätsaktionen bis hin zu einer Großdemo in Berlin am 25. März zu organisieren. Auch auf der Videokonferenz  von GiG zur Information über darüber mit den Postkolleg:innen am 12. Januar gab es verschiedene Ideen zur Unterstützung ihrer Tarifrunde. Alle dort Postler:innen betonten die Notwendigkeit der öffentlichen Unterstützung. Sei es einfach, dass man zu Kundgebungen und Streiks kommt und seine Solidarität bekundet oder einfach ein paar unterstützende Worte vorträgt bis dahin, ihre berechtigten Anliegen in der Öffentlichkeit klarzumachen. Denn bei den Verhandlungen versuchen die Vertreter:innen des Unternehmens, die Forderungen für vollkommen überzogen und realitätsfern hinzustellen. Um sich diesen Verunglimpfungen in den Weg zu stellen und damit auch die aktive Solidarität der Leute in den Stadtvierteln zu gewinnen, ist die Unterstützung von außen sehr wichtig, z. B. mit Flyern, in denen die Forderungen begründet werden und darauf hingewiesen wird, unter welch miserablen Bedingungen sie arbeiten müssen. Am 3./4. März will GiG eine bundesweite Aktionskonferenz in Halle (Saale) organisieren, auf der mögliche Unterstützungsaktionen für die Kolleg:innen in den anderen Tarifrunden besprochen werden.

Schulterschluss mit fortschrittlichen Bewegungen

Im Bereich Nahverkehr – der großteils erst 2024 in Verhandlungen einsteigt – gibt es aus früheren Tarifrunden noch zahlreiche Verbindungen zur Klimabewegung und auch in dieser wird es zu gemeinsamen Aktionen mit ihr kommen! Hier gibt es auch ein ganz klares gemeinsames Interesse: Ausbau des öffentlichen Nah- statt Individualverkehrs und Aufbau des entsprechenden Personals – eine der Forderungen der dort tätigen Beschäftigten. Dies durchzusetzen, geht nur gemeinsam mit Aktivist:innen aus der Klimabewegung und Kolleg:innen anderer Bereiche.

Tarifrunde und Internationaler Frauenkampftag

Last but not least fällt der Tarifkampf – zumindest im öffentlichen Dienst, im Nahverkehr und evtl. auch bei  der Post, falls es nicht vorher zum Abschluss kommen sollte – auf den Internationalen Frauenkampftag am 8. März. Wie im letzten Jahr sollen Aktionen und Demonstrationen an diesem Tag zusammen mit den Kolleg:innen aus dem öffentlichen Dienst und Nahverkehr gemeinsam durchgeführt werden. Doch bisher lehnt der ver.di-Bundesvorstand es ab, an diesem Tag zu Warnstreiks aufzurufen. Nichtsdestotrotz gibt es im Landesbezirk Baden-Württemberg eine Initiative, an diesem Tag ausgewählte Mitglieder zu Arbeitsstreiks aufzurufen, einer Art Vorstufe zu Warnstreiks. Bei der Krankenhausbewegung spielte das in Berlin und NRW eine Rolle zur Sammlung einiger Hundert führender Aktien in Vorbereitung auf einen größeren Arbeitskampf. Gegen diesen Beschluss sollten nichtsdestotrotz alle ver.di-Gliederungen Protestresolutionen verabschieden.

Kampfesführung

Das A und O dafür, dass die Kämpfe erfolgreich geführt, also alle Forderungen erfüllt werden können, bleibt, dass die Kolleg:innen sich dafür einsetzen, auf breiten Streikversammlungen über den Verhandlungsstand informiert zu werden, diskutieren und entscheiden zu können, wie ihr Kampf weitergeführt wird. Diese Entscheidungen müssen sowohl für die TK als auch den Bundesvorstand, der letztlich über die Streiks entscheidet, bindend sein! Um diese Diskussionen organisiert führen zu können, sind gewählte Streikkomitees notwendig, die gegenüber den streikenden Kolleg:innen rechenschaftspflichtig und von ihren Vollversammlungen jederzeit abwählbar sind. D. h., diese müssen sich dafür einsetzen, dass sie selbst die Kontrolle darüber erringen. Erste Elemente dieser elementaren Arbeiter:innendemokratie haben sich in den beiden Krankenhausbewegungen von Berlin und NRW herauskristallisiert. Letzten Endes ist das nur möglich, wenn sich eine politische Kraft in ver.di und allen DGB-Gewerkschaften herausbildet, die bewusst den Kurs der Anpassung aller Gewerkschaftsführungen an Kapitalinteressen und angebliche Sachzwängen in einer antibürokratischen Basisbewegung bekämpft. Einen Ansatz dafür stellen heute die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften und ihre lokalen Strukturen dar.

Vorsicht Falle! Schlichtungsabkommen kündigen!

Eine gefährliche Bremse für die konsequente Führung des Arbeitskampfs bildet das Schlichtungsabkommen zwischen ver.di-Spitze und öffentlichen Dienstherr:innen. Die VKG schreibt:

„Aufgrund der unnötig von ver.di unterschriebenen Schlichtungsvereinbarung im öffentlichen Dienst hat sich die Gewerkschaft selbst dazu verpflichtet, sich bei einem Scheitern von Verhandlungen auf eine Schlichtung einzulassen, in der Friedenspflicht herrscht. Hier würde auch starker politischer Druck aufgebaut. Ver.di sollte diese Vereinbarung – sie ist bis einen Monat zum Quartalsende kündbar – sofort kündigen! Wenn die Schlichtung kommt, dann sollten Aktive darauf vorbereitet sein und massiven Druck von unten aufbauen, damit ein Schlichtungsergebnis – von dem schon jetzt klar ist, dass es nicht die notwendigen Erhöhungen beinhaltet – abgelehnt wird und unverzüglich Urabstimmung und Erzwingungsstreik erfolgen.“

Dem ist vollkommen beizupflichten und es ist rechtzeitig darauf zu drängen, dass der Gewerkschaftsvorstand es sofort kündigt, damit es ab April außer Kraft tritt. Diesbezügliche Petitionen sind zu verfassen, Mitglieder aus der VKG Berlin sind hier bereits mit gutem Beispiel in ihren jeweiligen Gewerkschaftsgliederungen vorangegangen. Unabhängig davon sollten alle Mitglieder sich nach Scheitern der Verhandlungen für die sofortige Einleitung der Urabstimmung einsetzen.




Krankenhauspflege: Streiks und Reformen

Jürgen Roth, Infomail 1205, 30. November 2022

Nach bundesweiten Warnstreiks und 5 Verhandlungsrunden einigten sich Gewerkschaft und Klinikleitung lt. ver.di-Pressemitteilung vom 11.11.2022 auf einen Tarifvertrag bei der Sana AG.

Sana AG

Rund 10.000 Beschäftigte fallen unter den Konzern(haus)tarifvertrag. Deren Entgelte erhöhen sich – allerdings erst ab 1.6.2023 – um 7 %, mindestens aber 200 Euro. Zudem wurden Einmalzahlungen (2.000 Euro 2022, 500 Euro 2024) sowie höhere Zulagen vereinbart. Darüber hinaus gibt es ein Angebot des Konzerns, Teil der eigenen privaten betrieblichen Krankenversicherung zu werden.

Dem Abschluss waren Warnstreiks in Berlin und Nürnberg vorgegangen, nach die Beschäftigten schon im Oktober die Arbeit niedergelegt hatten. Zur 5. Verhandlungsrunde hatte ver.di zu einer Demo am Stammsitz in München mobilisiert. In Hof (Oberfranken) hatte am 14.10. etwa die Hälfte aller Pflegekräfte die Arbeit niedergelegt. In Nürnberg und Pegnitz erreichten die Warnstreiks am 20.10. ihren ersten Höhepunkt. Am gleichen Tag umzingelten die Lichtenberger:innen die ver.di-Zentrale in Berlin, wo die Verhandlungen stattfanden. Auf dieser Kundgebung erzählten Pflegende von Fortbildungen, die sie selbst bezahlen müssen und oft nicht mit Lohnsteigerungen verbunden sind, von überbelegten Kinderintensivbetten und der Arroganz ihrer Chef:innen, man könne ja das Unternehmen wechseln, wenn einem die Zustände nicht passten.

Ergebnisdetails

Im Einzelnen sieht das Tarifergebnis folgende Regelungen vor: Die Tabellenentgelte steigen zum 1. Juni 2023 um 7 Prozent, mindestens jedoch um 200 Euro monatlich; die Vergütungen für Auszubildende erhöhen sich zum selben Zeitpunkt um 100 Euro pro Monat. Ende dieses Jahres erhalten die Beschäftigten (Teilzeit anteilig) eine steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung in Höhe von 2.000 Euro; Auszubildende erhalten dann eine Einmalzahlung in Höhe von 750 Euro. Zum 30. April 2024 erhalten die Beschäftigten (Teilzeit anteilig) eine weitere Einmalzahlung von 500 Euro, die für langjährig Beschäftigte um 100 Euro aufgestockt wird. Auszubildende bekommen zum selben Zeitpunkt noch einmal 200 Euro. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit bis 30. April 2024. Zudem werden die Zulagen, unter anderem für Wechselschicht und die Pflegezulage deutlich erhöht, ebenso die Zuschläge für Nachtarbeit und der Zuschuss zur betrieblichen Altersvorsorge. Neu eingeführt wird eine monatliche Zulage für langjährig Beschäftigte: Ab 20 Jahren bei Sana sind es 50 Euro, ab 30 Jahren 75 Euro und ab 40 Jahren 100 Euro.

Die Tarifkommission kündigte eine Mitgliederbefragung an, die bis zum 25.11.2022 abgeschlossen sein sollte. Natürlich ist deren Ergebnis nicht bindend, weil es nicht zum Vollstreik nach Urabstimmung kam.

Was ist mit Entlastung?

Für viele Beschäftigte ist ein Entlastungstarifvertrag eine weitere Option. So ist z. B. die Klinik in Berlin-Lichtenberg gut organisiert. Scheinbar großzügig erklärte ver.di, man werde die Kolleg:innen dabei unterstützen, sollten sie sich dafür entscheiden. Abgesehen davon, dass eine solche Entscheidung ohne funktionierende gewerkschaftliche Betriebsgruppe bzw. Vertrauensleutekörper schon kaum zu treffen sein wird, dürfte im unwahrscheinlichen Fall ihres Zustandekommens der Apparat bestenfalls auf einen Häuserkampf einschwenken. So schiebt er die Verantwortung und Initiative an die Basis weiter. Kein Wunder, wo er doch mal wieder wie bisher stets üblich Lohn- und Entlastungstarif künstlich trennt.

Nebenbei bemerkt: In punkto Tarifvertrag Entlastung stellt sich die GEW Berlin gerade als Speerspitze mit dem 6. Warnstreik im Lauf der letzten Woche (3.000 plus Teilnehmer:innen) auf. So erfuhren wir dort, dass die Aufnahme von Entlastungsforderungen durch Druck auf den bundesweiten Apparat in der nächsten Ländertarifrunde erfolgen soll. Diesem Beispiel folgt die Gewerkschaft ver.di für die nichtärztlichen Krankenhausbeschäftigten leider nicht, sondern beschränkt sich auf flächendeckende Tarifrunden nur in der Frage der Entlohnung, nicht Entlastung. Hier blieb es beim „Häuserkampf“ großer Kliniken wie an den Universitäten oder bei Vivantes Berlin.

Chancen

Die Sana AG ist Deutschlands drittgrößter privater Krankenhauskonzern, betreibt 44 Akutkrankenhäuser, 3 Herzzentren, 4 orthopädische Fach- und 3 Rehakliniken, 4 Pflegeheime und 28 Medizinische Versorungszentren. Insgesamt arbeiten 36.000 Menschen bei Sana.

Unter den Konzerntarifvertrag fallen aber nur 20 Kliniken. Das ist nur etwas mehr als ein Viertel aller Beschäftigten. Zunächst hatte ver.di einen Sockelbetrag von 150 Euro und 8 % linear für eine Laufzeit von 12 Monaten gefordert.

Kurz zuvor kämpften die Beschäftigten der 4 Unikliniken Baden-Württembergs für bessere Bedingungen und höhere Löhne und legten die Arbeit nieder. Ebenfalls wird es wohl demnächst im Bereich der ärztlichen Klinikbeschäftigten zu Arbeitskampfmaßnahmen kommen. Der Marburger Bund, bei dem die überwältigende Mehrheit organisiert ist, tritt in Verhandlungen ein.

Diese Beispiele zeigen: Es tut sich was! Gerade das Beispiel Sana zeigt, dass auch in privaten Konzernkliniken Streikbereitschaft existiert, auch wenn sie von der ver.di-Spitze nur unzulänglich ausgeschöpft wird. Umso wichtiger wird es für alle Krankenhausbeschäftigten, dagegen und für flächendeckende Entlastungspläne über alle Berufsgruppen hinweg eine innergewerkschaftliche Opposition zu bilden und sich der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) anzuschließen. Das gilt auch für den Marburger Bund.

Vorsicht Krankenhaus„reform“!

Der Bundesvorstand der Linkspartei hat Alternativen zu Lauterbachs Plänen für eine Krankenhausreform verabschiedet. Insbesondere moniert er, dass die Abschaffung der DRGs (Fallpauschalen) nicht auf der Tagesordnung der Ampelkoalition steht. Deren Aussetzung (!) zumindest für die Kinderstationen hatte der Bundesgesundheitsminister noch im Oktober angekündigt.

DIE LINKE fordert ein Halte- und Rückholprogramm des Bundes für Pflegekräfte, die ihren Job verlassen haben. Eine Zulage von 500 Euro monatlich soll aus einem Bundesfonds finanziert werden. Was ist mit denen, die ihre Arbeitszeit reduziert haben, um sie wieder aufzustocken? Zudem gibt es noch 2 Pferdefüße: a) Statt Lohnsubvention für einige zu betreiben, müssten alle eine gleich höhere Bezahlung erhalten; b) der Bund soll nicht nur zahlen, sondern alle Kliniken enteignen und unter seiner oder Regie anderer Gebietskörperschaften verstaatlichen sowie einen integrierten nationalen Gesundheitsdienst organisieren gemäß dem organisatorischen Vorbild des NHS in Britannien.

Ferner fordert der Bundesvorstand: Pflegepersonalschlüssel für bundesweit 100.000 zusätzliche Pflegestellen; Gewinnverbot für Krankenhäuser; Bundesfonds zur Rekommunalisierung privatisierter Kliniken.

Doch wie will man Ersteres ohne Abschaffung der Fallpauschalen und des Klinikwettbewerbs umsetzen? Und sollen bei der Rekommunalisierung die Klinikaktionär:innen entschädigt werden, vielleicht sogar zum Börsenwert?

Sicher eine wünschenswerte Initiative trotz mancher Lücken, doch nicht mehr als fromme Reformwünsche vom Weihnachtsmann. Perspektiven der Umsetzung mittels Kampfmaßnahmen werden gar nicht erwähnt. Dabei ist zu befürchten, dass die kleinen, aber in der stationären Grundversorgung elementaren Krankenhäuser zugunsten ambulanter Zentren geschlossen werden sollen. Wir werden über die konkreten Pläne informieren.

Zweitens zeigen die Erfahrungen mit den bisherigen Entlastungstarifverträgen, dass es nicht zur Personalaufstockung gekommen ist. Wie auch, wenn nicht mehr Geld ins System fließt? Das scheitert aber an der finanziellen Lage der Krankenkassen. Gewerkschaften und DIE LINKE wären gut beraten, ihre Mitglieder auf den drohenden Kahlschlag bei der stationären Grundversorgung abseits von Großstädten ebenso aufmerksam zu machen wie auf die notwendige Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen.

  • Kein Krankenhauskahlschlag! Gesetzliche Sozialversicherungspflicht für alle und ohne Beitragsbemessungsobergrenzen! Entschädigungslose Verstaatlichung aller Krankenhäuser unter Kontrolle der Beschäftigten!



„Die Blockadehaltung des Senats ist eine absolute Unverschämtheit!“

Interview mit Clara, Berliner Lehrerin, geführt von Christian Gebhardt, Neue Internationale 269, November 2022

Beim letzten Warnstreik gingen 3.500 Kolleg:innen auf die Straße, um ein Zeichen zu setzen, dass es ihnen mit der Forderung nach einem Tarifvertrag Gesundheitsschutz ernst ist. Wir haben eine der Streikenden zu dieser Tarifauseinandersetzung interviewt.

NI: Hallo Clara, erzähl unseren Leser:innen doch kurz etwas von dir.

Clara: Moin, ich bin Clara und Lehrerin an einer Sekundarstufe in Berlin-Mitte. Neben meinem Beruf als Lehrerin bin ich noch gewerkschaftlich in der Jungen GEW Berlin aktiv und interessiert an einer aktiven Gewerkschaftsarbeit.

NI: Ich arbeite selbst als Lehrkraft an einer Berufsschule in Baden-Württemberg und wir lesen gerade immer wieder etwas von euren Streikaktionen für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz (TV-G). Berichte uns doch kurz von dieser Initiative.

Clara: Der Arbeitskampf rund um den TV-G hat bisher zu mehreren Warnstreiks mit bis zu 3.500 streikenden Kolleg:innen geführt. Der Hauptfokus liegt hier auf der tariflichen Festschreibung der Klassengrößen. Eine Studie der GEW zur Arbeitsbelastung hat diesen Faktor als einen der Hauptpunkte für die Arbeitsbelastung von Lehrkräften herausgearbeitet. Bisher setzt der Senat mittels Verwaltungsvorschriften ohne verbindliche Absprachen mit uns Lehrkräften die Klassengrößen fest. Eine tarifliche Festlegung würde diese Vorgehensweise aushebeln.

NI: Lässt sich der Senat überhaupt auf Verhandlungen oder Diskussionen ein?

Clara: Kurz gesagt: nein! Der Senat schiebt die Verantwortung auf die Tarifgemeinschaft der Länder ab. Berlin ist Teil dieser Gemeinschaft, die die Tarifverhandlungen führt. Da diese jedoch die Diskussion um einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz abgelehnt haben, sieht sich der Senat in Berlin nicht in der Pflicht, Diskussionen mit uns zu führen oder gar ein Angebot auf den Tisch zu legen. In Wechselunterrichtsphasen während der Coronapandemie haben wir Kolleg:innen jedoch praktisch erfahren, wie effektiv Unterricht in kleineren Lerngruppen ist. Die Blockadehaltung des Senats ist eine absolute Unverschämtheit, wir sind stinksauer!

NI: Auffallend bei der Tarifauseinandersetzung ist, dass die GEW sich ausschließlich auf Schulen konzentriert. Gibt es Gründe, wieso nicht auch andere prekäre Bildungseinrichtungen wie Kitas mit einbezogen werden?

Clara: Diese Entscheidung empfinde ich auch als total unverständlich. Gerade in unserer Jungen-GEW-Gruppe haben wir ebenfalls Erzieher:innen und Sozialarbeiter:innen, die regelmäßig von den gleichen Belastungen und vom Druck berichten, größere Gruppen zu betreuen. Gerade während der Coronapandemie war und ist es normal, dass eine Person auch mal zwei Gruppen parallel betreuen muss, da eine Kolleg:in kurzerhand ausgefallen ist. Die GEW argumentiert, dass der Kampf nun erst einmal exemplarisch für die Lehrkräfte geführt werden soll und dann auf andere Berufsgruppen übertragen werden kann. Dies kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, da wir für unsere Forderungen eigentlich viel effektiver streiken und streiten könnten, wenn wir alle Betroffenen mit ins Boot holen würden. Alle im Bildungsbereich tätigen Kolleg:innen haben die gleichen Probleme und benötigen somit die gleichen tariflichen Absicherungen.

NI: Wenn die GEW nur für Teilbereiche streiten möchte, wie macht sich das dann in ihrer Mobilisierung bemerkbar?

Clara: Die Mobilisierung wird eigentlich ganz klassisch von oben organisiert. Die Gewerkschaftsführung ruft zum Streik auf und die Vertrauenspersonen versuchen, dafür an ihren Einrichtungen zu mobilisieren. Darüber hinaus wird die GEW selbst aber nicht aktiv. Sie organisiert wenig bis keine Diskussionsveranstaltungen, um mit Kolleg:innen direkt in Kontakt zu kommen oder Basisstrukturen aufzubauen, die den Streik selbst organisieren und in die Hand nehmen. Gerade dieses Element aus dem Streik der Pflegekräfte hier in Berlin hatte sich sehr positiv auf die Mobilisierung an den Krankenhäusern ausgewirkt. Warum die GEW-Vorstände sich daran kein Beispiel nehmen, kann ich mir nur so erklären, dass sie an einer aktiven Einbindung der Basis kein Interesse haben bzw. nicht wissen, wie diese funktionieren soll.

NI: Wenn ich in meinen eigenen Pausen an der Schule die GEW-Pinnwand anschaue, lacht mich schon seit gut zwei Schuljahren ein Plakat an, auf dem kleinere Klassen gefordert werden. Diese Forderungen wurde ja jetzt nicht gerade neu erfunden. Wie bewertest du das Vorgehen der GEW, um die Ziele der Initiative nun auch wirklich mal zu erreichen?

Clara: Die Blockadehaltung des Senats hat gezeigt, dass die Strategie der Warnstreiks nicht genügend Druck aufbaut, um den Senat zu Verhandlungen zu bewegen. Aus meiner Sicht sollte hier die GEW ihre Schlagzahl erhöhen und mehr Streiks mit weniger Abständen organisieren. Es sollte das Ziel sein, diese in einen Erzwingungsstreik zu verwandeln. Die Vorbereitungen und notwendigen Abstimmungen für einen solchen Erzwingungsstreik könnten jetzt schon parallel zu den häufigeren Warnstreiks durchgeführt werden. Gleichzeitig sollte der alleinige Fokus auf die Schulen aufgehoben werden. Auch wenn dies die Tarifverhandlungen eventuell verkompliziert, sollten wir unsere eigene Kampfkraft nicht schon im Vorhinein selbst einschränken. Alle Kolleg:innen auf die Straße!

Zu guter Letzt sollte sich die GEW ein Beispiel an den Organisationsstrukturen der Krankenhausbewegung in Berlin nehmen. Sie sollte aktiv den Aufbau von Basisstrukturen vorantreiben, die nicht nur für das Verteilen von Flyern und Aufhängen von Plakaten dienen sollten, sondern selbst über die Inhalte und die Koordinierung des Streiks diskutieren und abstimmen sollten. Nur so können wir erreichen, dass wir Kolleg:innen entscheiden, wann Verhandlungen abgebrochen, wann zum Streik aufgerufen und unter welchen Bedingungen wir im positiven Falle den Streik auch wieder abbrechen wollen.

Meine Erfahrungen in vorherigen Kampagnen haben aber gezeigt, dass der GEW-Vorstand seine Kontrolle hier nicht gerne aus der Hand gibt. Mobilisierungen vor Ort werden gerne „basisdemokratisch“ delegiert. Die Inhalte und Entscheidungen werden aber nicht aus der Hand gegeben. Wir benötigen daher basisoppositionelle Strukturen innerhalb der Gewerkschaft, die sich für solche Methoden und Perspektiven der Tarifauseinandersetzung einsetzen und, wenn nötig, sich mit unseren Vorsitzenden darüber streiten.

NI: Vielen Dank für das Gespräch und deine Einblicke in die derzeitige Auseinandersetzung rund um den TV-G. Sollten Leser:innen am Aufbau einer Basisopposition innerhalb der GEW zusammen mit Clara Interesse haben, könnt ihr euch gerne bei uns melden. Wir vermitteln gerne einen Kontakt.




VKG-Konferenz – ein Schritt vorwärts

Stefan Katzer, Infomail 1201, 13. Oktober 2022

Ob Personalmangel, unzählige Überstunden, gescheiterte Transformationsprozesse oder Streichung von Arbeitsplätzen – all das wurde bei der Konferenz der VKG, der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, am letzten Wochenende, am 8./9. Oktober, diskutiert.

Rund 100 Menschen hatten sich in Frankfurt/Main versammelt, um eine Bilanz der letzten Jahre zu ziehen und diskutieren, wie der Kampf gegen Reallohnabbau und Inflation, gegen Arbeitsplatzvernichtung und Arbeitskräftemangel, gegen Krieg und imperialistische Kriegstreiberei erfolgreich gestaltet werden kann.

Neue Lage

Seit Januar 2020, als die VKG gegründet wurde, hat sich die Welt dramatisch verändert. Die Coronakrise und eine globale Rezession prägten die Zeit nach Gründung der Vernetzung. Auf einer kurzen Zwischenerholung folgten in diesem Jahr der Ukrainekrieg, Preissteigerungen und wird bald die nächste Rezession eintreten.

Die Angriffe auf die Lohnabhängigen werden heftiger. Während die Unternehmen alles daran setzen, die steigenden Preise weiterzugeben, klettert die Inflationsrate in Deutschland auf mittlerweile 10 %. Gleichzeitig möchte die Bundesregierung beim Kampf um die Neuaufteilung der Welt nicht zu kurz kommen und steckt mal eben 100 Milliarden Euro zusätzlich ins Militär, während für die Bereiche Gesundheit, Bildung und Klima angeblich kein Geld da ist. Was die „Zeitenwende“ konkret bedeutet, von der Olaf Scholz kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine gesprochen hat, wird somit immer deutlicher. Wir befinden uns am Anfang einer neuen Periode, die u. a.. durch weitere Blockbildung zwischen den konkurrierenden imperialistischen Mächten und Militarisierung einerseits, schwere Angriffe auf die Lebensbedingungen der Arbeiter:innen und Unterdrückten andererseits geprägt ist.

Angesichts dieser Entwicklungen sind eine Neuausrichtung der Gewerkschaftspolitik und eine Wiederbelebung des Klassenkampfes von unten dringend notwendig. Dem steht die Bürokratie innerhalb der Gewerkschaften weiterhin im Weg. Statt konsequent die volle Kampfkraft der Millionen Mitglieder für einen gemeinsamen Kampf gegen Krise und Inflation zu mobilisieren, beteiligt sich der DGB nur halbherzig an Mobilisierungen gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf den Rücken der Lohnabhängigen und sitzt stattdessen weiterhin in der „konzertierten Aktion“ mit der Bundesregierung.

Wer daher an einer klassenkämpferischen Neuausrichtung der Gewerkschaften interessiert ist, muss einen konsequenten politischen Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie und ihr Programm der Sozialpartnerschaft innerhalb der Gewerkschaften führen.

Kein Wunder also, dass die Beiträge, Themen und Debatten bei der Konferenz am 8. und 9. Oktober darum kreisten, wie eine solche Alternative aufzubauen sei. Wie begreift die VKG eigentlich die Bürokratie und den Apparat? Geht es darum, den Apparat zu erobern oder das System der Bürokratie selbst in Frage zu stellen? Geht es vor allem darum, zu betrieblichen und gewerkschaftlichen Fragen zu mobilisieren, oder um einen politischen Kampf gegen die Krise und die damit verbundenen Fragen des Krieges und der drohenden ökologischen Katastrophe? Geht es darum, eine Vernetzung oder eine organisierte Opposition aufzubauen?

Bilanz

Selbstkritisch wurde dabei festgestellt, dass es der VKG in den letzten beiden Jahren nicht gelungen ist zu wachsen und größere Bekanntheit unter Gewerkschaftsmitgliedern zu erlangen. Um dies zu ändern, ist es notwendig, in den kommenden Tarifauseinandersetzungen deutlicher aufzutreten, um für die Kolleg:innen auf der Straße und im Betrieb sichtbar zu sein.

Es geht darum, eine wahrnehmbare Alternative zur Gewerkschaftsführung aufzubauen und einen klassenkämpferischen Pol innerhalb der Gewerkschaften zu formieren. So gesehen, muss die VKG über sich selbst hinauswachsen und zu mehr werden als eine bloße „Vernetzung“. Sie muss den Kampf gegen die Bürokratie innerhalb der Gewerkschaften anführen und diesen unter einem gemeinsamen Banner und Aktionsprogramm vereinheitlichen.

Kommende Tarifauseinandersetzungen

Um die kommenden Tarifauseinandersetzungen in der Metall- und Elektroindustrie sowie im öffentlichen Dienst im Interesse der Kolleg:innen zu gestalten und zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen, ist es zwingend erforderlich, den eingeschlagen antibürokratischen Kurs beizubehalten, ja zu verschärfen und unter den Kolleg:innen demokratische Kampfformen zu propagieren.

Zwar sieht sich die Gewerkschaftsführung mittlerweile offenbar gezwungen, Lohnforderungen im zweistelligen Bereich aufzustellen (10,5 % beträgt die Forderung für den öffentlichen Dienst). Die Frage ist nur: Wer von den Kolleg:innen glaubt wirklich, dass die Spitze die ganze Kampfkraft der Mitglieder zur vollen Umsetzung dieser Forderung (bei einer maximalen Laufzeit von einem Jahr) mobilisieren wird? Richtig: niemand! Es ist somit bereits jetzt absehbar, dass die Kolleg:innen im öffentlichen Dienst mit herben Reallohnverlusten rechnen müssen, sofern sie es der Gewerkschaftsführung erlauben, ihr übliches Tarifrundenritual durchzuziehen und sich am Ende entweder mit einer längeren Laufzeit oder deutlich niedrigeren Lohnerhöhung zufriedenzugeben. Am Ende sind es die Kolleg:innen, die mit dem Ergebnis leben müssen, während die Funktionär:innen in den Gewerkschaften mit ihren überdurchschnittlichen Gehältern sich weniger Gedanken über die Preisexplosionen machen müssen.

Für die VKG ist deshalb klar: Um einen möglichen Ausverkauf oder faule Kompromisse zu verhindern, müssen wir für die volle Kontrolle der Basis über die Kämpfe eintreten. Die Beschäftigen müssen selbst entscheiden können, wie, wofür und wie lange sie kämpfen möchten, um ihre Interessen durchzusetzen. Denn diese decken sich keineswegs mit jenen der Gewerkschaftsbürokratie. Das bürokratische System muss daher selbst in Frage gestellt werden und durch ein System direkter Verantwortlichkeit, d. h. durch jederzeit wähl- und abwählbare Vertreter:innen der Basis ersetzt werden, die nicht mehr als einen durchschnittlichen Lohn erhalten und gegenüber der Basis rechenschaftspflichtig sind.

Ansätze, wie sich eine solche demokratische Kontrolle der Kämpfe durch die Beschäftigten verwirklichen lässt, wurden auch auf der VKG-Konferenz diskutiert. Die Auseinandersetzungen im Gesundheitsbereich und insbesondere die Kämpfe um einen Tarifvertrag Entlastung in Berlin und NRW wurden hierbei ausführlicher behandelt. Insbesondere das System der Teamdelegierten, das sich während der Streiks in den Berliner Krankenhäusern herausgebildet hat, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wichtig ist hierbei allerdings, dass es den Kolleg:innen gelingt, tatsächlich die Kontrolle über die Auseinandersetzungen auszuüben. Hierfür ist es notwendig, Streikausschüsse zu bilden, die dies leisten können. Die Erfahrungen in den Auseinandersetzungen im Gesundheitsbereich in Berlin und NRW haben zugleich deutlich gemacht, dass insbesondere die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit der Delegierten zentral ist, um die Kontrolle der Kämpfe durch die Beschäftigten zu sichern. Dort wurde es zum Teil zu einem Problem, dass vor dem Streik gewählte Kolleg:innen während des Streiks passiv wurden und sich nicht weiter daran beteiligten. Um dies zu verhindern, muss es möglich sein, Delegierte jederzeit wieder abzuwählen.

Für die Gewerkschaftsmitglieder ist es extrem wichtig, aus den Fehlern, die begangen wurden, zu lernen, um diese in kommenden Auseinandersetzungen nicht zu wiederholen. So wurde etwa in Berlin die Spaltung der Belegschaft in jene, die direkt beim Mutterkonzern Vivantes angestellt sind, und in jene, die bereits zuvor in Tochterunternehmen ausgegliedert wurden, zu einem Problem, das man schon vorher hätte diskutieren können und müssen. Als die Verhandlungsführer:innen von ver.di für die Angestellten des Mutterkonzerns voreilig einen Abschluss erzielten, standen die ausgegliederten Kolleg:innen im Regen.

Um es Kolleg:innen aus anderen Krankenhäusern, aber auch Branchen zu ermöglichen, aus diesen Erfahrungen zu lernen, sollte die VKG Veranstaltungen organisieren bzw. unterstützen, auf denen von diesen berichtet und in einen direkten Austausch getreten werden kann. Darüber hinaus ist es sinnvoll, eine Konferenz speziell für die Kolleg:innen aus dem Gesundheitsbereich zu organisieren und dort eine bundesweite Kampagne für den Kampf um Entlastung anzustoßen. Denn die besprochenen Kämpfe verdeutlichen erneut die Notwendigkeit eines organisierten, bundesweiten Kampfes gegen die Profitlogik im Gesundheitsbereich und deren konkrete Ausgestaltungen (DRGs/ Fallpauschalen). Ein Kampf für eine bedarfsgerechte Finanzierung kann nicht von einzelnen Krankenhäusern geführt werden, sondern muss durch eine übergreifende Kampagne ergänzt werden und die Vereinheitlichung der Kämpfe (auch der Tarifauseinandersetzungen) zum Ziel haben.

Für einen heißen Herbst!

Um dies in Angriff zu nehmen, ist es notwendig, die klassenkämpferische Oppositionsarbeit nicht allein auf die Arbeit im Betrieb zu beschränken. Zwar ist der dort rund um ökonomische und Forderungen nach Verbesserung der Arbeitsbedingungen unerlässlich. Er ist jedoch keinesfalls ausreichend.

Darüber hinaus müssen die gewerkschaftlichen Kämpfe auch als politische geführt werden, d. h. die Gewerkschaften müssen sich aktiv an solchen beteiligen. Insbesondere in den aufkommenden Bewegungen und Bündnissen gegen die Inflation und Abwälzung der Kriegs- und Krisenkosten auf die Lohnabhängigen muss die VKG dies akut leisten. Diese stehen derzeit im Zentrum der Auseinandersetzungen. Gleichzeitig muss der Druck auf die Gewerkschaftsführung erhöht werden, ihrerseits aktiv zu werden und die Mitglieder zu mobilisieren. Es kann nicht sein, dass sich nur einzelne Mitgliedsgewerkschaften des DGB (GEW und ver.di) in die Kämpfe gegen die Inflation einbringen. Vielmehr muss der gesamte DGB zum Handeln aufgefordert werden.

Die VKG sollte Kolleg:innen dabei unterstützen, Druck auf die Gewerkschaftsführung aufzubauen, indem sie diesen etwa Musteranträge zur Verfügung stellt, in welchen eine Beteiligung der Gewerkschaften an Bündnissen und Mobilisierungen eingefordert wird. Wo immer möglich, sollte sich die VKG zudem selbst am Aufbau von Bündnissen gegen Krise und Inflation beteiligen. Nur, wenn wir selbst gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung auf die Straße gehen und dabei auch ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine, der Sanktionen fordern, die v. a. die lohnabhängige Bevölkerung treffen und den Krieg nicht beenden, können wir verhindern, dass die Rechten den Unmut für ihre nationalistische und rassistische Politik kanalisieren. Dass dies eine reale Gefahr darstellt, wurde am gleichen Wochenende, als die VKG in Frankfurt tagte, in Berlin deutlich. Dort gelang es der AfD, 10.000 Menschen für ihre reaktionäre und nationalistische Politik zu mobilisieren.

Unserer Meinung nach muss die VKG zu mehr, als ihr Name vermuten lässt, werden. Reine Vernetzung reicht nicht, denn der Kampf gegen die Sozialpartner:innenschaft und jene, die sie umsetzen, ist ein politischer. Um diesen erfolgreich zu führen, braucht es eine organisierte Opposition, die für eine klassenkämpferische Politik und den Bruch mit der Bürokratie kämpft!

Der Kampf gegen Inflation erfordert eine solche Ausrichtung geradezu – und sollte als Basis genutzt werden, eine breite Kampagne anzustoßen, Beschäftigte in die Aktivität zu bringen – nicht nur in ihrem Betrieb, sondern auch als aktive Opposition. Für eine Politik, die die Kämpfe aus unterschiedlichen Bereichen zusammenbringt, beispielsweise durch die Forderung der automatischen Anpassungen aller Löhne und Sozialleistungen an die Inflation! Für eine Politik, die klarmacht, dass keiner der kommenden Tarifverträge mit einem Reallohnverlust abgeschlossen werden darf!

Die VKG kann ein sichtbarer, aktiver Pol in den kommenden Auseinandersetzungen werden. Deswegen wollen wir bei den Mobilisierungen wie am 22. Oktober, wo ver.di und andere DGB-Gewerkschaften in 6 Städten mobilisieren, gemeinsam mit anderen klassenkämpferischen Kräften präsent sein und unsere Forderungen aktiv hereintragen. Das kann aber nicht alles sein: Wir müssen aktiv in Gewerkschaftsstrukturen intervenieren, unsere Forderungen verbreiten und das Gespräch mit Kolleg:innen suchen. Denn die  Preissteigerungen und Arbeitsplatzverluste werden wir nicht wegdemonstrieren können. Dazu brauchen wir politische Streiks und Besetzungen – und eine VKG, die gemeinsam mit anderen in den Gewerkschaften eine solche Politik durchzusetzen versucht.

Link: Abschlusserklärung der Konferenz: Nein zu Preisexplosion und Lohnverlusten: Die Gewerkschaften müssen die Gegenwehr organisieren!




Warnstreik bei Lufthansa: Völlig berechtigt und längst überfällig!

Mattis Molde, Infomail 1194, 26. Juli 2022

Die Medien heulen auf: „Gerade jetzt! Trifft die falschen! Ver.di verantwortungslos!“ Und dann kommen sie nicht umhin zuzugeben, dass alleine die Lufthansa (LH) bereits 6.000 Flüge in diesem Sommer gestrichen hat. An den Flughäfen herrscht sowie schon Chaos, weil massenhaft Personal fehlt, besser gesagt entlassen worden war von der Lufthansa und den anderen tollen Unternehmen, die sich die Profite und Subventionen teilen.

Bei den rund 20.000 Beschäftigten des Bodenpersonals werden Löhne überwiegend im Niedriglohnbereich gezahlt. So gibt es Tarife, die noch unter 12 Euro liegen, also demnächst unter dem Mindestlohn. Sehr erfolgreich haben die Airportmanager:innen seit Jahren durch Ausgliederungen, Subunternehmertum und starken Druck auf die Beschäftigten in den letzten Jahren die Löhne unten gehalten und teilweise gekürzt. Im Grunde sind die 9,5 %, und mindestens 350 Euro/ Monat mehr noch zu wenig. Die Forderungen sind also völlig berechtigt, sie müssen voll durchgesetzt werden!

Es ist auch völlig richtig, den Streik dann zu führen, wenn er am wirkungsvollsten ist. Nein, es sind nicht die Gewerkschafter:innen, die „schamlos“ die Situation ausnutzen, es waren die Bosse, die hemmungslos die Pandemie ausgenutzt haben, um Tausenden die Arbeit zu streichen und Löhne zu drücken.

Ja tatsächlich, die „Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände“ (BDA) redet von schamlos. Im Handelsblatt (https://www.handelsblatt.com/dpa/wirtschaft-arbeitgeberverband-aeussert-scharfe-kritik-an-warnstreik-bei-lufthansa/28547404.html) springt Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter dem Konzern bei und wirft sich ebenso geschickt wie demagogisch für die Kund:innen in die Bresche: „Die Lufthansa und vor allem deren Passagiere mit Lohnforderungen mitten im Sommer zu belasten, ist absolut unverhältnismäßig. Hier wird der nachvollziehbare Urlaubswunsch der Menschen schamlos ausgenutzt, um einen Vorteil zu erlangen.“

Diesem Wortführer des Großkapitals geht es weder um „Scham“ noch um „Menschen“: Ein erfolgreicher Arbeitskampf bei der Lufthansa mit einem ordentlichen Ergebnis kann noch viele andere Tarifrunden beflügeln und generell die ganze lohnabhängige Klasse, die schwer unter den Lasten von Krise und Krieg leidet.

Deshalb springt er dem LH-Management zur Seite, will, dass es hart bleibt, auch wenn so das Chaos an den Flughäfen verstärkt wird. Bemerkenswert an dieser Stelle ist auch, wie wenig die einzelnen Unternehmen wie die LH sowie das Kapital insgesamt einen Plan haben, Verkehr und Mobilität flüssig und effizient zu gestalten – umweltgerecht und zukunftsträchtig schon gar nicht.

Für die „Menschen“ oder wie es der T-online-Kommentar präziser benennt diejenigen, „die unter denselben Bürden leiden wie die Streikenden selbst – Inflation und hoher Arbeitsbelastung“, ist dieser Streik eben keine „Belastung“, selbst wenn sie am Flughafen warten müssen, sondern ein Aufruf zur Solidarität und dazu, selbst aktiv zu werden gegen Inflation und Krisenlasten. Wir alle brauchen eine Massenbewegung gegen Inflation, Krieg und Krise.

Vor dieser haben Kampeter und der BDA, die Politiker:innen und besorgten Kommentator:innen Angst!




Streik der Unikliniken NRW beendet

Jürgen Roth, Infomail 1193, 21. Juli 2022

In der Nacht von Montag auf Dienstag einigten sich die Leitungen der 6 Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen (Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln, Münster) auf einen Tarifvertrag Entlastung (TVE).

Hartes Brot

Der nach Gewerkschaftsangaben längste Streik im Gesundheitswesen ist vorbei. Nach 79 Tagen Arbeitskampf einigten sich beide Seiten auf einen TVE. Es war beileibe kein leichter!

Anfang des Jahres hatten die Beschäftigten ein 100-Tage-Ultimatum für einen TVE verabschiedet. Das Kalkül dahinter: die damals amtierende schwarz-gelbe Landesregierung werde wohl kaum riskieren, dass dieses 2 Wochen vor der Wahl auslaufe und ein großer Streik ausbreche. Sie irrten gründlich! Alter und neuer Gesundheitsminister Laumann (CDU) und Landesregierung schoben bürokratische Probleme vor: Die Unikliniken könnten nicht aus dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) ausscheiden, dies sei auch nicht im Interesse ver.dis.

Was sie „vergaßen“ zu erwähnen: Sie hatten sich gar nicht erst bei den Verbänden der „Landesarbeitgeber:innen“ für die Aufhebung von deren Blockadehaltung gegen einen bundesweit geltenden TVE eingesetzt, sondern drohten mit der Keule eines Rauswurfes aus der Tarifgemeinschaft, um auch den landeseigenen AdL (Arbeitgeberverband des Landes NRW), in dem sie ja schließlich die Unternehmensseite verkörpern, nicht mit solchem „Schnickschnack“ zu belasten.

Die Streikenden waren überdies mit einer Klage der Uniklinik Bonn vor 2 Arbeitsgerichtsinstanzen zwecks einstweiliger Verfügung zur Aussetzung des Streiks sowie einer nahezu vollständigen Mediensperre über ihre Arbeitsniederlegung konfrontiert. Das hielt sie nicht ab, ihre Stärken eindrucksvoll zu demonstrieren. Notdienstvereinbarungen sahen Bettensperrungen (1.800) und Abteilungsschließungen (50) vor, auch wenn das Landesarbeitsgericht Köln auf Klage der UKB hin die Öffnung zusätzlicher 25 OP-Säle in 2. Instanz landesweit anordnete. Machtvolle Kundgebungen und Demonstrationen, zuletzt am 21.6. in Münster und am 29.6. in Düsseldorf, Solidaritätsbekundungen bis in weite Teile der sog. Zivilgesellschaft hinein und die Vorstellung des Schwarzbuchs Krankenhaus in einer gerammelt vollen Kölner Kirche trugen das Ihrige dazu bei, der Verweigerungshaltung der „Arbeitgeber:innenseite“ die Stirn zu bieten.

Ergebnis

2018 hatte ein fast gleich langer Streik an den Unikliniken Düsseldorf und Essen dort bereits zu einer Entlastung des Personals geführt. Doch wurde dieser von ver.di im Vorfeld der diesjährigen Auseinandersetzungen gekündigt. Die Unterschreitung der vereinbarten Mindestpersonalbesetzung blieb weitgehend konsequenzlos. Nach Abstimmung an den 6 Klinikstandorten segnete am Dienstagnachmittag auch die 75-köpfige Tarifkommission die Einigung mit überwältigender Mehrheit ab. Ob der Rat der 200 tatsächlich dabei wie versprochen das letzte Wort behielt, erschließt sich aus den Medienberichten nicht. Seit Mittwochmorgen ist der Streik ausgesetzt.

Der TVE gilt erst ab 1.1.2023. Für große Teile des Pflegepersonals wurde ein schichtgenaues Verhältnis von Beschäftigten zu Patient:innen festgelegt. Wird dieses unterschritten bzw. kommt es zu anderweitigen zusätzlichen Belastungen, erhalten die Beschäftigten entweder finanziellen Ausgleich oder einen Belastungspunkt. Für 7 gibt es 1 Tag Freizeitausgleich. Im 1. Jahr der Umsetzung können so bis zu 11, im 2. 14 und im 3. 18 Tage herauskommen. Erstmals wurden für viele Gruppen außerhalb der Pflege Mindestbesetzungen und Entlastungsausgleiche vereinbart (Radiologie, Betriebskitas, Therapeut:innen). Auszubildende erhalten mehr persönliche Anleitung und Tage für die Selbstlernzeit, Mindeststandards für Praxisanleitung und Zahl der Lehrkräfte sowie Belastungsausgleich bei Unterschreitungen.

Das kurze Streichholz zog das Personal in Servicebereichen, IT und Technik. Hier wurden pro Krankenhaus lediglich 30 zusätzliche Vollzeitstellen ausgehandelt, was zu vielen Diskussionen in den Belegschaften geführt haben soll.

Bewertung

Das Berliner Ergebnis wurde übertroffen, weil erstmals auch außerpflegerische Bereiche erfasst wurden. Katharina Wesenick, Landesfachbereichsleiterin Gesundheit im ver.di-Landesbezirk NRW, spricht von einem „wichtigen Etappensieg“, man habe die eigene Gesundheit und das Patient:innenwohl gegen die „Profitlogik“ im Krankenhaus durchsetzen müssen. An der Streikbewegung seien der demokratische Prozess, die große Beteiligung der Beschäftigten und deren Selbstermächtigung gewesen. Tausende hätten sich nicht nur am Streik, sondern auch als Expert:innen ihrer Arbeitssituation an Aushandlungsprozessen beteiligt.

Diesem Euphemismus können wir uns nur bedingt anschließen. Zum Ersten: Die Kliniken haben anderthalb Jahre Zeit, ihre Computersysteme auf das neue System umzustellen, was sich nicht in nennenswerter Aufstockung der IT niederschlägt! Für diese Übergangsphase gelten die vereinbarten Belastungsausgleiche nicht, sondern pauschal 5 Entlastungstage (nur) fürs Pflegepersonal.

Zum Zweiten: Interventionsmöglichkeiten des Personals bei Unterschreitung der Mindestbemessungsgrenzen wie Aufnahme- und Behandlungsstopps inkl. Bettensperrungen und Abteilungsschließungen finden ebenso wenig Niederschlag wie in Berlin. Kommt es also bei gleicher oder zunehmender Zahl von Fällen bzw. Fallschwere nicht zur Neueinstellung von Personal – bundesweit fehlen 200.000 Stellen allein in der Pflege –, droht eine Art von Langzeitarbeitskonto, dessen freie Tage sich zwar hübsch summieren, die die Beschäftigten aber mit ins Grab nehmen können.

Zum Dritten: Der Häuserkampf geht weiter, auch wenn Wesenick von einem flächendeckenden Ergebnis faselt. Schlimmer noch: Der TVE gilt nicht für den AdL! Der neue Landtag änderte das Hochschulgesetz und signalisierte so grünes Licht für das Ausscheiden der Unikliniken aus der Tarifgemeinschaft zwecks Abschlussmöglichkeit für einen TVE. In einem Anerkennungstarifvertrag ist festgelegt, dass sie in den kommenden 7 Jahren sämtliche Tarifregelungen des öffentlichen Dienstes der Länder (TV-L) automatisch übernehmen (Arbeitszeit, Entgelt, betriebliche Altersversorgung … ). Und danach? Bedeutet dies etwa, dass das gewerkschaftlich organisierte Uniklinikpersonal während der nächsten 3 – 4 TV-L-Runden außen vor bleibt, wo es doch neben angestellten Lehrer:innen und Erzieher:innen in den letzten Jahren deren Speerspitze darstellte? Die Befürwortung der Änderung des Hochschulgesetzes durch ver.di-NRW stellt also ggü. Berlin eine Verschlechterung dar.

Zum Vierten: Immer wieder suggerierte die ver.di-Führung ihren Mitgliedern, ein TVE finanziere sich wie von selbst. Doch zahlen die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) nur die von Spahns Pflegepersonalstärkungsgesetz eingeräumten mageren zusätzlichen Stellen direkt am Krankenbett. Des Weiteren wurde sie nicht müde, den Beschäftigten zu versichern, der Staat werde die übrig gebliebene Lücke zur notwendigen Personalaufstockung schließen und man hoffe auf einen starken Anreiz für Personalaufbau durch den abgeschlossenen Tarifvertrag. Doch der Landtagsbeschluss deckt nur die Bezahlung des Anerkennungstarifvertrags für 7 Jahre ab, denn die Unikliniken hatten sich bis zuletzt gegen die durch den TVE entstehenden Zusatzkosten mit Händen und Füßen gesträubt und angedroht, dies durch Abstriche am TV-L wettzumachen.

Die Erfahrung der siegreichen Beschäftigten an der Charité und bei Vivantes Berlin beweist: All das sind Phantastereien! Der Senat betonte dort ausdrücklich, er dürfe lt. Krankenhausfinanzierungsgesetz den laufenden Betrieb gar nicht subventionieren, und erhöhte lediglich das Budget für Investitionen in die Substanz, zu denen er demnach verpflichtet ist. Trotz dieser Erhöhung bleibt es lt. Berliner Krankenhausgesellschaft immer noch weit unter dem an Instandhaltung und Erneuerung von Gebäuden und Technik Nötigem. Das Krankenhausfinanzierungsgesetz gilt auch für NRW ebenso wie die langjährige Vernachlässigung der Pflichten durch die Landesregierung und das Subventionsverbot für den laufenden Betrieb.

Für ein Nein in der Urabstimmung!

Aus all diesen Gründen sollten die Gewerkschaftsmitglieder das Ergebnis ablehnen und den Streik wiederaufnehmen. Wichtig ist, die von Wesenick beschriebenen demokratischen Prozesse an der Basis – ja, diese ist umfänglicher als früher in die Auseinandersetzungen einbezogen und darf ihre Meinung äußern – auf die Kampfesführung auszuweiten: der Rat der 200 muss auf Mitgliederversammlungen als Streikkomitee und verhandlungsführende Tarifkommission gewählt werden, jederzeit neu wählbar und rechenschaftspflichtig sein. Ferner muss er als Kern von nach den gleichen direkt- oder rätedemokratischen Prinzipien fungierenden Veto-, Inspektions- und Kontrollorganen operieren, die die Umsetzung des TVE überwachen und energische Schritte einleiten, wirklich massenhaft zusätzliches Personal einzustellen. Dabei kommt man um die Frage der Finanzierung nicht herum. Eine einheitliche staatliche Zwangskrankenversicherung für alle mit progressiven Betragssätzen muss ebenso her wie eine Finanzierung der Investitionsmittel durch progressive Besteuerung von Gewinnen, Einkommen und Vermögen.

Nach der Urabstimmung gilt als unmittelbare Aufgabe der Opposition gegen die bisherigen TVEs: Einberufung einer Konferenz aller Beschäftigten in Gesundheitswesen, Alten- und Behindertenbetreuung einzuberufen, um die ver.di-Führung zur Aufnahme eines Kampfes um einen bundesweit geltenden TVE aufzunehmen bis hin zum politischen Streik aller Gewerkschaften des DGB und darüber hinaus (GDL, Marburger Bund, UFO, Gorillas … ) für eine gesetzlich verbindliche Personalregelung, entschädigungslose Verstaatlichung der Privatkliniken, Wegfall der Fallpauschalen und Ersatz durchs Selbstkostenprinzip. Diese Personengruppe gilt es ferner, für die Idee einer klassenkämpferischen, antibürokratisch-oppositionellen Gewerkschaftsbasisbewegung zu gewinnen. Schließt Euch der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) an! Damit könnte ein wichtiger Grundstein auf dem Weg zu einem integrierten, sozialistischen Gesundheitswesen gelegt werden.

Weitere Artikel zum Streik

https://arbeiterinnenmacht.de/2022/04/28/unikliniken-in-nordrhein-westfalen-vor-einem-streik/

https://arbeiterinnenmacht.de/2022/05/06/unikliniken-nrw-im-streik/

https://arbeiterinnenmacht.de/2022/05/27/uniklinken-in-nordrhein-westfalen-4-wochen-streik/

https://arbeiterinnenmacht.de/2022/06/18/nrw-unikliniken-in-der-8-streikwoche-licht-und-schatten/




Hafenstreik: Gegen jede Einschränkung des Streikrechts!

Unterschriftenliste, hier unterzeichnen: https://tinyurl.com/Hafenstreik, Anzahl der Unterschriften: 3.128 (Stand: 19.07.2022, 21:00 Uhr), Infomail 1193, 20. Juli 2022

Die Hafenarbeiter:innen aus Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Brake und Wilhelmshaven haben sich am Donnerstag, 14. Juli, für 48 Stunden in den Streik begeben. Es ist der längste Streik seit 40 Jahren und seit sechs Verhandlungsrunden ignoriert der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) die Forderungen der Gewerkschaft ver.di, die einen Inflationsausgleich von aktuell circa 7,8 Prozent, eine Gehaltssteigerung von 1,20 Euro pro Stunde und weitere Zuschläge je nach Arbeitsbereich für ein Jahr fordert.

Schon nach den ersten Warnstreiks forderte der Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger, die ihn missfallenden Arbeitsniederlegungen in den Häfen mittels Ausrufung des „nationalen Notstandes“ zu verbieten. Die Logistikunternehmen HHLA und Eurogate klagten gegen den Streikaufruf. Das Arbeitsgericht in Hamburg genehmigte zwar den 48-stündigen-Streik, doch äußerte es Zweifel über die formale Rechtmäßigkeit des Streikaufrufs. Nach einem Vergleich zwischen Klägern und ver.di wird es bis zum 26. August eine Friedenspflicht geben.

Als ver.di und Gewerkschaften dürfen wir dem Druck der Unternehmen nicht nachgeben und in die Beschneidung der eigenen Aktionsmöglichkeiten einwilligen. Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann fordert ein Schlichtungsverfahren, das den Streik abrupt von oben beendet. Dem Hafenstreik werden zahlreiche Hürden in den Weg gestellt, um den Willen der Arbeiter:innen zu brechen.

Dass Arbeitgeber:innen versuchen, Streiks mit gerichtlichen Klagen zu brechen, ist jedoch kein Einzelfall. So versuchten auch in Nordrhein-Westfalen (NRW) unlängst kommunale Arbeitgeberverbände den Krankenhausstreik gerichtlich verbieten zu lassen, genauso wie zuvor auch in Berlin mittels Klagen gegen die Krankenhausbewegung.

Trotz der Einschränkung des Streikrechts haben sich tausende Hafenarbeiter:innen in Hamburg versammelt, um für ihre Forderungen zu streiken. Ein Kollege bei der Firma Eurogate Hamburg sagte diesbezüglich: „Wir gehen auf die Straße, weil das Streikrecht gebrochen worden ist.” Bei der Demonstration kam zur Polizeigewalt und Festnahmen. Die Polizei schlug nach den Hafenarbeiter:innen und ging mit Pfefferspray gegen sie vor.

Gerade in Zeiten hoher Inflation ist es notwendig, dass Gewerkschaften für den Erhalt der Lebensstandards der Beschäftigten streiken können. Wir stellen uns daher gegen jede Einschränkungen des Streikrechts, sei es durch juristische oder polizeiliche Maßnahmen. Wir fordern:

1. Die Aufhebung der Friedenspflicht!

2. Keine erzwungene Schlichtung! Lasst die Arbeiter:innen über ihren Streik selbst entscheiden!

3. Für das uneingeschränkte Streikrecht für alle Arbeitskämpfe!

4. Keine Polizeimaßnahmen gegen den Streik.

Solidarität mit den Hafenstreiks!

Initiator:innen:

Jana Kamischke, ver.di, Hamburger Hafenarbeiterin, Tarifkommissionsmitglied, Vertrauenssprecherin HHLA

Deniz Askar Dreyer, ver.di, Hamburger Hafenarbeiter, Vertrauensleutesprecher Eurogate Hamburg

Liste mit bisherigen Unterzeichner:innen: https://tinyurl.com/Hafenstreik




NRW-Unikliniken in der 8. Streikwoche: Licht und Schatten

Jürgen Roth, Infomail 1191, 18. Juni 2022

Seit 45 Tagen streiken Beschäftigte der 6 Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen für einen Tarifvertrag Entlastung (TVE), der personelle Mindestbesetzungen, bessere Ausbildungsbedingungen und einen Freizeitausgleich für Arbeit in belastenden Situationen festschreibt unter Verweis auf ähnliche Regelungen in Berlin, Mainz und Jena. (Wir berichteten: https://arbeiterinnenmacht.de/2022/04/28/unikliniken-in-nordrhein-westfalen-vor-einem-streik/; https://arbeiterinnenmacht.de/2022/05/06/unikliniken-nrw-im-streik/; https://arbeiterinnenmacht.de/2022/05/27/uniklinken-in-nordrhein-westfalen-4-wochen-streik/)

Erneuter Angriff und Protest

Gegen den Streik an der Universitätsklinik Bonn (UKB) legte der Klinikvorstand beim Arbeitsgericht Klage ein. Doch diese wurde in 1. Instanz abgewiesen. Das Patient:innenwohl sei nicht gefährdet, es gebe eine Notdienstvereinbarung, so die Richterin. Das UKB wollte mittels einstweiliger Verfügung wegen Verstoßes gegen die Friedenspflicht und fehlender Erstreikbarkeit der Forderungen wegen Rechtswidrigkeit den Arbeitskampf gerichtlich unterbinden lassen und erwägt Berufung.

Ver.di-Landesbezirksleiterin Gabriele Schmidt hatte in einer lahmen Replik vom 13. Juni 2022 kundgetan, die einstweilige Verfügung sein unter allen 6 Kliniken abgestimmt und ziele auf Beeinträchtigung des Streikrechts. Damit berufe sie sich auf die Tarifzugehörigkeit in der Tarifgemeinschaft der Länder. Die „Arbeitgeberseite“ falle somit der neuen Landesregierung und den demokratischen Parteien im Landesparlament in den Rücken.

Lahm ist dieses Erklärung deshalb, weil Landesregierung und demokratischen Parteien hiermit ein Freibrief für deren gute Absichten ausgestellt wird, als seien die Klinikvorstände nicht Büttel der Landesregierung. Für Kollegin Schmidt scheint in NRW der Schwanz mit dem Hund zu wedeln.

Zudem sei angemerkt, dass sie mit dem Zaunpfahl bzgl. des „Landesarbeitgeberverbandes“ ADL winkt, hatte doch ver.di das Ansinnen der alten Landesregierung begrüßt, durch eine Änderung des Landeshochschulgesetzes den Weg für Verhandlungen freizuräumen.

Wir hatten kritisiert, dass in der Folge dieses Ansinnens der zukünftige TVE, sollte er denn zustande kommen, der ja einem Manteltarifvertrag gleichkommt, praktisch als 6 Hausabkommen Gestalt annähme. Der ADL wäre so nur noch für Lohn- und Gehaltsverhandlungen zuständig. Der Beschäftigtenseite diente eine solche Zersplitterung ganz und gar nicht – im Gegenteil! Doch was tun Bürokrat:innen nicht alles, um endlich ihr ureigenes Spielfeld betreten zu dürfen: den Verhandlungstisch?

Solidarität

Es waren die klassenbewussten Kolleg:innen der Essener Uniklinik, die als Erste dagegen protestierten. Am 13. Juni besetzten sie dortige Räumlichkeiten und forderten „ihren“ Vorstand auf, zur einstweiligen Verfügung Stellung zu beziehen. Dieser ließ sie daraufhin von der Polizei aus dem Gebäude entfernen und sagte eine Verhandlungsrunde um 16 Uhr am gleichen Nachmittag ab. Die Essener hatten gemeinsam mit ihren Düsseldorfer ver.di-Kolleg:innen 2018 einen für beide Häuser gültigen Tarifvertrag Entlastung (TVE) erkämpft, der im März diesen Jahres von der Gewerkschaft gekündigt wurde zugunsten eines neuen Anlaufs für alle landeseigenen Unikliniken.

Eine für den darauffolgenden Tag ursprünglich in Münster, dem einzigen westfälischen Standort, geplante zentrale Demonstration aller Streikenden wurde kurzerhand nach Bonn verlegt, wo die Kolleg:innen ihrem Unmut über das dreiste Vorgehen der UKB lautstark Luft machten. U. a. wiesen sie darauf hin, dass der Vorstand sich lange gegen eine Notdienstvereinbarung gesträubt hatte. Zwei Tage später fand dann auch in Münster eine große Kundgebung statt.

Solidarität zeigten auch 640 ärztliche Mitarbeiter:innen, die mittels einer Petition den Streik unterstützen. Auch die Studierendenvertretungen in NRW erklärten sich solidarisch mit diesem Arbeitskampf.

Angebot oder vergifteter Köder?

Nach 36 Streiktagen legten die Klinikleitungen ein Angebot vor, was die landesweite Demonstration und Kundgebung am 10. Juni und die an diesem Tag 1.500 Streikenden einhellig als Mogelpackung verurteilten. Ver.di wies es zurück, weil es nur für Pflegekräfte am Bett gelte (5 Entlastungstage pro Monat), nicht für Ambulanzen, OPs und Aufnahmen, schon gar nicht für Personal außerhalb der Pflege. Stattdessen schlägt die Gewerkschaft richtigerweise ein Verfahren vor, das schichtgenaue Mindestbesetzungen für alle Krankenhausbereiche vereinbart. Werden diese unterlaufen, entsteht in jedem Einzelfall auf freie Tage. Die angebotenen Entlastungstage werden überdies schrittweise reduziert, sobald das Pflegepersonal aufgestockt wird.

Betriebswirtschaftlich macht dieser Spaltpilz durch Verengung der für Entlastung infrage kommenden Zielgruppe durchaus Sinn, folgt sie doch der Refinanzierungslogik im bestehenden System. Gemäß Pflegestärkungsgesetz, noch unter Federführung von Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn verabschiedet, ist mehr Personal am Bett in engen Grenzen für die Kliniken kostenneutral umsetzbar.

Das letzte Wort über einen TVE

Die Tarifkommission ist 75-köpfig besetzt, neben den Apparatschiks mit Kolleg:innen aus allen Bereichen (Teamdelegierte). Man folgt hier also dem Berliner Modell, was sicher gegenüber früherer Art von Verhandlungsführung einen gehörigen Schuss Basisdemokratie verkörpert. Doch die eigentliche Verhandlungskommission ist kleiner. Hier werden die „Profis“ der Bürokratie den Ton angeben. Das letzte Wort über den TVE soll aber der „Rat der 200“ sein, sämtlich aus gewählten Delegierten aller 6 Unikliniken bestehend. Unserer Meinung nach sollten allerdings alle Mitglieder das wirklich letzte Wort haben (Urabstimmung).

Doch die 200 Delegierten sollen sich mit dem (vor)letzten Wort, das ihnen zusteht, nicht zufriedengeben! Um der eigentlichen basisdemokratischen Bedeutung des Begriffs Rat gerecht werden zu können, müssen seine Delegierten auch von Abteilungsversammlungen jederzeit neu und abwählbar sein. Zweitens muss er die Funktion des obersten Streikkomitees ausfüllen. Bürokrat:innen dürfen sich auch als Kandidat:innen bewerben, bitte schön! Ihre Bewährung während des Streiks wäre aber dann Voraussetzung für ihren Wahlerfolg, nicht ihr „Amt“. Dies ist umso dringender, als die ver.di-Spitze in NRW immer wieder zum Einknicken neigte, sei es in Angeboten, den Streik bei Verhandlungsbereitschaft der Arbeit„geber“:innenseite auszusetzen, oder ihren Köder mit dem Ausscheren des Manteltarifs aus dem ADL zu schlucken.

Drittens sollte der „Rat der 200“ den Belegschaften verdeutlichen, wie notwendig direkte Kontrollorgane auf jeder Station, in jeder Abteilung sein werden, die sich bei Unterschreitung der Mindestpersonalbemessung das Recht auf Gegenmaßnahmen wie Schließungen von Betten und Stationen, Nichtaufnahme geplanter Behandlungsfälle und dergleichen aneignen und nach gleichen basisdemokratischen Räteprinzipien funktionieren und zentralisiert werden müssen. Der Streik hat die Bedeutung dessen in den Augen vieler Beschäftigter bereits gezeigt: Die Arbeitsbelastung auf den betroffenen Stationen fiel oft viel geringer als im „Normalbetrieb“ aus! So sehr eine Entlastung in Form freier Tage auch begrüßenswert ist, so sehr steht und fällt diese letztlich mit einer großen Zahl von Neueinstellungen. Erfolgen die nicht, mutiert die gut gemeinte Tarifklausel zu einer besseren Variante von Lebensarbeitszeitkonto.

Die 200 Delegierten sind darum, obwohl selber Rat, doch gut beraten, auch in anderer Hinsicht nach Abschluss eines TVE Akzente zu setzen: als Keimzelle und Funktionsmodell für die bundesweite Ausdehnung der Krankenhausbewegung auf alle Allgemein- und Sonderkrankenhäuser inklusive der Altenpflegeeinrichtungen! Ferner müssen sie alle Illusionen, die die ver.di-Führung eifrigst schürt, der Staat werde sein Versprechen halten und die Personalregelungen finanzieren, im Gegenteil zerstreuen. Der bezahlt nämlich in Wirklichkeit zusehends weniger die Erhaltungs- und Erneuerungsinvestitionen der stationären Einrichtungen, zu denen er in Gestalt der Bundesländer eigentlich gesetzlich verpflichtet ist. Ein Protest vor kurzem in Berlin angesichts der Erfahrungen geringer Neueinstellungen vor dem Roten Rathaus erinnerte den Senat an dieses Versprechen. Ver.di-Spitze und selbst viele Streikende hatten es unermüdlich propagiert und für bare Münze gehalten, dass dies machbar sei und die Kosten des TVE sich wie von selbst rechne. Doch in die Finanzierung des laufenden Betriebs einzugreifen, dafür seien ihm die Hände durch das duale Krankenhausfinanzierungsgesetz gebunden. Diesen Politiker:innen – immer dabei: die Linkspartei! – und ihren Steigbügelhalter:innen in der Gewerkschaftsbürokratie gilt es, nicht länger auf den Leim zu gehen.

Wir brauchen diesbezüglich eine unabhängige und eigenständige Arbeiter:innenpolitik bis hin zum politischen Erzwingungsstreik für eine gesetzliche Personalbemessung, die Abschaffung des Marktprinzips in Form der Fallpauschalen (DRGs) und für Selbstkostenfinanzierung als Schritte hin  zu einem rationalen, geplanten, von Beschäftigten und Patient:innen und den Arbeiter:innenorganisationen kontrollierten Gesundheitswesens!