Poststreik – die einzige Sprache, die sie kennen!

Helga Müller, Infomail 1215, 4. März 2023

Die Deutsche Post AG verweigert den Kolleg:innen einen Inflationsausgleich – trotz Milliardengewinnen. Daraufhin hat sich die ver.di-Tarifkommision für die Urabstimmung über einen Vollstreik entschieden. Die Abstimmung läuft bis zum 8. März. Mit einem klaren Ja ist zu rechnen – und damit steht die Tür offen, die Konzernleitung in die Knie zu zwingen: durch einen unbefristeten Durchsetzungsstreik gegen die Bedrohung der Post AG mit Auslagerung und der „Arbeitgeberverbände“ mit Verschärfung des Streikrechts!

Die Forderungen …

Wie bekannt hat sich die ver.di-Tarifkommission bei der Deutschen Post AG nach einer Mitgliederbefragung dazu entschieden, eine lineare Erhöhung der Gehälter von 15 %, eine Erhöhung der Ausbildungsvergütung für Azubis und Student:innen in der dualen Ausbildung von 200 Euro und eine Verlängerung der Postzulage für die noch 20.000 Kolleg:innen mit Beamtenstatus zu fordern.

Begründet wird das zum einen mit der schlechten Bezahlung der überwiegenden Mehrheit der Kolleg:innen. Von den 160.000 Tarifbeschäftigten bei der Deutschen Post AG sind 140.000 in den Entgeltgruppen 1 bis 3 eingruppiert, was einem Monatsbruttogrundgehalt zwischen 2.108 und 3.090 Euro entspricht (Angaben nach ver.di). Zum anderen mit den schlechter gewordenen Arbeitsbedingungen durch massiven Stellenabbau, ein drastisch ausgedünntes Filialnetz mit der Folge, dass die Kolleg:innen überbelastet sind durch die ständig wechselnden und größeren Zustellungsgebiete.

Die Inflation schlägt gerade bei diesen schlecht bezahlten Beschäftigten bei der Post – immerhin fast 90 % – besonders hart zu, denn diese müssen einen höheren Anteil ihres Gehalts für die höheren Preise bei Energie und Lebensmitteln ausgeben.

 … und Rekordgewinne

Auf der anderen Seite kann sich die Deutsche Post AG diese Erhöhung leicht leisten, da diese in zwei Jahren in Folge Rekordgewinne eingefahren hat: 2021 von 5,1 Milliarden und 2022 sogar 8,4 Milliarden Euro! Die Beschäftigten haben dies mit mieser Bezahlung – so betrug der Reallohnverlust laut ver.di allein im vergangenen Jahr 5,9 % (zit. nach nd-aktuell, 15.2.23: „Gewerkschaft Verdi im Superkampfjahr“) – und schlechter gewordenen Arbeitsbedingungen bezahlen dürfen!

Nach 3 Verhandlungsrunden und Warnstreiks, an denen sich über 100.000 Beschäftigte in den Brief- und Paketzustellzentren punktuell beteiligten, hatte der Postvorstand die Forderungen zunächst als realitätsfern und nicht umsetzbar bezeichnet und dann in der dritten Runde ein Angebot vorgelegt, das nach Angaben von ver.di sehr komplex ist, da steuer- und abgabenfreie Zahlungen mit tabellenwirksamen Festbeträgen kombiniert werden und daher individuell sehr unterschiedliche Auswirkungen zeitigen (Details s. hier: https://psl.verdi.de/tarifrunde2023/angebot). Diese liegen weit entfernt von den ver.di-Forderungen nach einem Inflationsausgleich. Nach ver.di-Berechnungen würde das Angebot lediglich eine durchschnittliche Tariferhöhung von 9,9 Prozent betragen und das auf eine Laufzeit von 2 Jahren gerechnet (Zit. nach nd-aktuell, 15.2.23: „Gewerkschaft Verdi im Superkampfjahr“)!

Urabstimmung

Vollkommen zu Recht hat die Tarifkommission dieses Tarifergebnis als völlig unzureichend bezeichnet und ihre Mitglieder zur Urabstimmung über einen unbefristeten Streik aufgerufen. 75 % müssen sich nun bis zum 8. März für den unbefristeten Streik entscheiden, damit es zu Durchsetzungsstreiks kommt.

Die Bedingungen dafür sind gut: Zum einen ist die Wut über die arrogante Haltung des Postvorstandes angesichts der Rekordgewinne in den letzten beiden Jahren und der immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen groß. Zum anderen ist die Notwendigkeit, einen realen Inflationsausgleich durchzusetzen, aufgrund der schlechten Bezahlung, die durch die galoppierende Inflation schnell aufgefressen wird, bei den Postbeschäftigten besonders dringlich! Obendrauf kommt dann auch noch die Androhung des Postvorstandes inmitten des Urabstimmungsverfahrens, noch mehr Betriebe und Bereiche zu noch schlechteren Arbeitsbedingungen auszugliedern und damit die Tarifbindung zu unterlaufen. Gerade damit haben die Kolleg:innen in den letzten Jahren genügend Erfahrung gemacht. Das führt sicherlich zu noch mehr Wut und Ärger unter ihnen.

Gut organisiert

Zudem sind sie gut organisiert: Der Organisationsgrad liegt insgesamt im Durchschnitt bei 70 % bundesweit, wobei es hier auch starke regionale Unterschiede gibt. Es gibt Bereiche, die bis zu 90 % organisiert sind, aber es gibt auch solche, wo der Organisationsgrad unter 50 % liegt – vor allem bei Dienststellen mit vielen Teilzeit- oder befristeten Beschäftigten. Alles in allem sind das aber gute Voraussetzungen, um auch einen Durchsetzungsstreik durchzuhalten.

Die Kampfkraft der 160.000 Beschäftigten bei der Post könnte zusätzlich verstärkt werden, da auch die 2,3 Millionen im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen gerade in Tarifverhandlungen stehen. Die dritte und vorerst letzte Verhandlung findet dort vom 27. – 29. März statt. Auch wenn sich die Kolleg:innen im öffentlichen Dienst noch in der Warnstreikphase befinden, könnten gemeinsame Streiks und Protestkundgebungen erfolgen. Solche haben bereits vor der dritten Tarifrunde bei der Post in mehreren Städten stattgefunden, die auch von den Kolleg:innen aus den beiden Bereichen sehr positiv aufgenommen wurden, zudem sich auch die öffentlichen Arbeit„geber“:innen stur stellen!

Diese Zusammenführung ist dringend nötig, denn zum einen werden voraussichtlich auch die Verhandlungsführer:innen aus Kommunen und Bund sich bis zur dritten und vorerst letzten Tarifverhandlung weigern, ein Angebot, das einen Inflationsausgleich beinhaltet, zu unterbreiten mit dem Hinweis auf angeblich leere Kassen – auch wenn mit einem Handstreich 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung lockergemacht wurden und es genügend Spielraum gäbe, die Gewinne von Unternehmen, die auch während der Pandemie und Energiekrise Profite eingefahren haben, abzuschöpfen. Dies wird den ver.di-Vorstand mit großer Wahrscheinlichkeit auch dazu nötigen, eine Urabstimmung abzuhalten – mit der Einschränkung, dass es hier vorher noch zu einem Schlichtungsverfahren zu kommen droht.

Streikrecht

Zum anderen droht nicht nur der Postvorstand mit neuen Angriffen. Die CDU-Mittelstandsvereinigung – also Unternehmerzusammenschlüsse – fordern bereits aufgrund der zweitägigen Warnstreiks bei mehreren Flughäfen eine Einschränkung des Streikrechts. „Das Streikrecht dürfe nicht missbraucht werden, um im ‚frühen Stadium von Tarifverhandlungen unverhältnismäßig Druck auszuüben und durch die Einbeziehung kritischer Infrastrukturen schweren Schaden auszurichten’, heißt es in einem Papier der Mittelstandsunion.“ (Zit. nach nd-aktuell, 20.2.23: „Das Kapital zeigt bei der Post & Co. seine Zähne gegen Streiks“)

Gegen diesen Angriff braucht es auch eine offensive Antwort von Seiten der Gewerkschaften! Die nach wie vor betriebene Sozialpartnerschaft mit Appellen an die Vernunft der Verhandlungsführer:innen durch die Gewerkschaftsführungen, die auch immer wieder bei den Verlautbarungen von ver.di sowohl bei der Tarifrunde Post als auch öffentlicher Dienst anklingen, wird die „Arbeitgeber:innen“ nicht weiter beeindrucken! Im Gegenteil, wenn wir uns nicht mit allen Mitteln gemeinsam wehren, droht das zu einer großen Niederlage der Gewerkschaftsbewegung zu führen. Nicht nur, dass dann viele enttäuschte Kolleg:innen, die für ihre Ziele gestreikt haben, die Gewerkschaftsbücher hinwerfen könnten, es würde auch das gesellschaftliche Kräfteverhältnis noch weiter zugunsten des Kapitals verschieben!

Ein erster guter Ansatz, der mittlerweile in verschiedenen Bezirken – aber noch lange nicht in allen – existiert, sind gemeinsame Bezirkskampfleitungen, in denen die aktiven Kolleg:innen aus den verschiedenen Bereichen, die sich gerade in Tarifverhandlungen befinden, zusammenkommen und über gemeinsame Aktionen diskutieren. Diese müssen auch das Recht bekommen zu bestimmen, gemeinsame Streiks durchzuführen.

Konsequenzen aus den letzten Tarifrunden

Darüber hinaus müssen aber auch die Konsequenzen aus den letzten Tarifrunden gezogen werden, bei denen die Gewerkschaftsführungen auf unterschiedliche Art und Weise immer wieder faule Kompromisse mit den „Arbeitgebern:innen“ gefunden haben, weil sie nicht mit der Politik der Klassenzusammenarbeit brechen wollen und damit letztendlich den Wirtschaftsstandort Deutschland gegen die internationale Konkurrenz zu verteidigen versuchen.

Die streikenden Kolleg:innen, die ein wirkliches Interesse an der vollen Durchsetzung der Forderungen hegen, müssen die Entscheidung über den Fortgang der Kampfmaßnahmen erhalten. Dafür brauchen sie auch Einblick in den Stand der Verhandlungen und das Entscheidungsrecht darüber, wie der Streik fortgeführt wird. Einzelne Elemente der Streikdemokratie gab es in den beiden Krankenhausbewegungen in Berlin und NRW: Z. B. wurden die Tarifdelegierten oder -botschafter:innen über die Ergebnisse der Verhandlungen zeitnah informiert und konnten über den Fortgang mitentscheiden. Auch die streikenden Kolleg:innen wurden z. B. in der NRW-Krankenhausbewegung in Streikversammlungen über das letzte Tarifergebnis informiert, konnten es diskutieren und darüber entscheiden. Es hatte sich zwar eine Mehrheit dafür ausgesprochen, aber z. B. die Kolleg:innen in Düsseldorf stimmten nach einer längeren Diskussion gegen das Ergebnis!

Aber all dies beruhte auf einer „freiwilligen“ Entscheidung der Tarifkommission, über das Verhandlungsergebnis nicht ohne Befragung und Abstimmung unter den streikenden Kolleg:innen zu entscheiden. Letztendlich hatten aber immer noch die Gewerkschaftsfunktionär:innen das letzte Wort, was sich z. B. im „verfrühten“ Abschluss bei der Charité und Vivantes niederschlug und dazu führte, dass die Kolleg:innen der ausgelagerten Tochtergesellschaften am Schluss allein für die Anerkennung des TVöD in den Töchtern kämpfen mussten. (S. a.: https://arbeiterinnenmacht.de/2021/10/04/vorlaeufige-bilanz-des-berliner-klinikstreiks-vor-der-entscheidung/ und https://arbeiterinnenmacht.de/2022/06/18/nrw-unikliniken-in-der-8-streikwoche-licht-und-schatten/; https://arbeiterinnenmacht.de/2022/07/21/streik-der-unikliniken-nrw-beendet/)

D. h. freiwillige Zusagen der Tarifkommissionen über eine engere Zusammenarbeit und Abstimmung unter den streikenden Kolleg:innen sind zwar positiv zu bewerten, reichen aber nicht aus. Was es braucht, sind Streikkomitees – wie sie an der Uniklinik Essen aufgebaut und praktiziert wurden –, bestehend aus Delegierten verschiedener Bereiche, die jederzeit abwählbar sein müssen und die Aufgabe haben, die Diskussion und Abstimmung über die Fortführung der Tarifrunde auf Streikversammlungen mit den streikenden Kolleg:innen zu organisieren. Solche Streikkomitees, mit Hilfe derer die streikenden Kolleg:innen selbst demokratisch entscheiden können, sind überall in allen Betrieben, Dienststellen oder Büros, aber auch auf lokaler, regionaler und letztendlich auch auf Bundesebene nötig, damit sie selbst ihren Kampf unter ihre eigene Kontrolle bekommen und damit der Sozialpartnerschaftspolitik der Führung funktionierende Strukturen entgegensetzen können.