Der Krise entgegen. Von der Krise der Globalisierung zur sozialistischen Revolution

Manifest der Liga für die Fünfte Internationale

Verabschiedet vom XII. Kongress, Juni 2023

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die neue Weltunordnung

2.1 Die Ursachen der Krise

2.2 Europa

2.3 Die Halbkolonien

2.4 Von der Rivalität zum Krieg

2.5 Klimakatastrophe

2.6 Rezession

3. Kampf und Führung

3.1 Fronten des Widerstands

3.2 Krise der Führung

4. Ein Programm von Übergangsforderungen

4.1 Einleitung

4.2 Gegen die kapitalistische Offensive

4.2.1 Ein existenzsicherndes Einkommen, Arbeit für alle und Kontrolle durch die Arbeiter:innen

4.2.2 Für universelle öffentliche Dienstleistungen und soziale Sicherheit

4.2.3 Enteignung des Vermögens der Reichen

4.2.4 Für einen Plan der Arbeiter:innen zu internationaler Produktion und Entwicklung

4.3 Militarismus und Krieg

4.4 Kampf gegen die Klimakatastrophe

4.4.1 Die Stadt umgestalten

4.4.2 Befreiung des ländlichen Raums

4.5 Die digitale Revolution

4.6 Die Gewerkschaften

4.7 Von der Streikpostenverteidigung zur Arbeiter:innenmiliz

4.8 Für eine Arbeiter:inneneinheitsfront gegen den Faschismus

4.9 Verteidigung der demokratischen Rechte

5. Der Kampf gegen soziale Unterdrückung

5.1 Für Frauenbefreiung

5.2 Gegen die Unterdrückung von Lesben, Schwulen und nicht-binären Menschen

5.3 Für die Befreiung der jungen Menschen

5.4 Rassismusbekämpfung – Verteidigung von Flüchtlingen und Migrant:innen

5.5 Nationale Befreiung und die permanente Revolution

6. Der Kampf um die Macht

6.1 Für eine Regierung der Arbeiter:innen und Bäuer:innen

6.2 Der Aufstand

6.3 Unser Ziel: Weltrevolution und Kommunismus

7. Eine revolutionäre Partei und Internationale

7.1 Für eine neue, Fünfte Internationale!

1. Einleitung

Die Welt steht vor einer tieferen und weiter reichenden Krise als vor der großen Rezession von 2008 – 2010. Auf den schwachen Aufschwung, der durch historisch niedrige Zinssätze gestützt wurde, folgte ein Jahrzehnt der Beinahe-Stagnation. Dies hat zu einem weltweiten Inflationsanstieg geführt, dessen Folgen eine Krise der Lebenshaltungskosten sind, die den Lebensstandard der Arbeiter:innenklasse dramatisch zu senken droht, sowie Not, Unterernährung und buchstäbliches Verhungern für Dutzende von Millionen Armen in der Welt bedeutet.

Die durch die Pandemie verursachte wirtschaftliche Verwerfung der globalen Produktions- und Handelsketten, die beispiellosen Kosten der durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten Sanktionen und Aufrüstungsprogramme und die sich beschleunigenden und vervielfachenden Folgen des Klimawandels – diese miteinander verknüpften Krisen konfrontieren die Menschheit mit einem starken Sturm, der nur eine Ursache hat: die kapitalistische Produktion und die imperialistische Weltordnung, die sie aufrechterhält.

Die wiederholten Wirtschaftskrisen, die sich verschärfende Rivalität der Großmächte, Überschwemmungen, Brände, Dürren und Hungersnöte spiegeln sich auch in der politischen Arena wider. Dies äußert sich im Erstarken populistischer und rechtsextremer Straßenbewegungen, im Wuchern reaktionärer, irrationalistischer Ideologien und Verschwörungstheorien in den sozialen Medien. Militärputsche nutzen die Unfähigkeit der schwachen „demokratischen“ Regierungen in den Halbkolonien aus, die sich verschärfende soziale Krise zu bewältigen; die Wahl reaktionärer Demagog:innen, die sogenannte „Kulturkriege“ führen, dient dazu, den sozialen Fortschritt und die Rechte der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten zu untergraben.

Angesichts dieser sich vervielfachenden Krisen sind die traditionellen reformistischen Parteien der Arbeiter:innenklasse, ob „sozialistisch“ oder stalinistisch, angesichts ihrer Unfähigkeit, ihre Massenbasis zu verteidigen, verwelkt. Das „neue“ Modell der linkspopulistischen, neoreformistischen oder zentristischen Parteien, das an ihre Stelle treten sollte, hat entweder kapituliert oder sich aufgelöst. An ihre Stelle sind immer extremere rechtsradikale und sogar offen faschistische Parteien getreten, die religiöse, rassistische und nationale Vorurteile ausnutzen.

Spontaner Widerstand gegen diese Krisen flammt überall in der Welt auf und wirft die Notwendigkeit einer Führung der Arbeiter:innenklasse auf, die einen Weg zum Sieg bahnen kann. Die mal ausbrechende, mal schwelende Kette von Bevölkerungsaufständen vom Arabischen Frühling über die Antiausteritätsbewegungen der EU-Schuldenkrise bis hin zu den Frauen an vorderster Front der iranischen und sudanesischen Revolutionen zeigt: All diese Gelegenheiten, die das Potenzial für einen entscheidenden Bruch mit dem herrschenden System in sich trugen, verstrichen ungenutzt, wobei der Preis der Niederlage nicht überall der Abstieg in eine brutale Konterrevolution war.

In jedem Fall liegt gerade im Fehlen einer gefestigten und verankerten Organisation, die mit der Strategie und Taktik – dem Programm – bewaffnet ist, um die Arbeiter:innenklasse und ihre Verbündeten zur Machtergreifung zu führen, der elementare subjektive Faktor für die Ursache der Niederlage. Das Scheitern der revolutionären Ausbrüche in den Halbkolonien ist nur der lokale Ausdruck der Krise der Führung, einer Krise, die sich in den Gewerkschaften, den Parteien und den revolutionären Organisationen der Arbeiter:innenklasse insgesamt manifestiert.

Dieses Dilemma begründet sich nicht nur in der jeweiligen nationalen Situation. Es stellt sich weltweit in der Notwendigkeit einer neuen revolutionären Internationale dar, einer Nachfolgerin der vorherigen vier, die aus deren Fehlern und Erfolgen lernt. Die Menschen, die den Grundstein für eine neue Internationale legen können, finden sich bereits unter der Avantgarde der Massenkämpfe in aller Welt. Es ist von größter Dringlichkeit, sie sowohl international als auch in jedem Land zusammenzubringen. Vor allem müssen sie für ein revolutionäres Aktionsprogramm gewonnen werden, das weltweit gilt und die notwendige Antwort auf die Machtfrage gibt, die die strategische Lösung für die allgemeine Krise des kapitalistischen Systems darstellt.

Die Liga für die Fünfte Internationale veröffentlicht dieses Programm als Beitrag zu einer Diskussion und Annäherung der revolutionären Kräfte in den kommenden Jahren, verbunden mit Vorschlägen für gemeinsame Aktionen und Kampagnen, neben einer ernsthaften Debatte über das Programm, das eine neue, revolutionäre Internationale entwickeln muss. Was wir vorschlagen ist weder vollständig noch umfassend, aber es wird als unser Angebot für gemeinsame Aktionen und ernsthafte Diskussionen mit denjenigen präsentiert, die die zwingende Notwendigkeit einer neuen Internationale akzeptieren, deren Organisation und Führung die Voraussetzung dafür ist, den Kreislauf von spontanem Widerstand und Niederlage zu durchbrechen.

2. Die neue Weltunordnung

2.1 Die Ursachen der Krise

Die Ursachen für die Systemkrisen des Kapitalismus liegen nicht im Mangel oder in der Unfähigkeit, das zu produzieren, was die Menschheit braucht. Die Fabriken, ihre Arbeitskräfte, die Produktions-, Logistik- und Kommunikationsmittel, neue und alte, sind im Überfluss vorhanden, ebenso wie die wissenschaftlichen und technologischen Mittel, um Pandemien und den Klimawandel zu bekämpfen. Die sozialen Mittel für eine globale Planung sind bereits in den multinationalen Konzernen und den riesigen Banken vorhanden, aber durch Privateigentum und interne Konkurrenz nur separat verfügbar. Dieser Widerspruch hat sich bei der Reaktion auf die Pandemie gezeigt: einerseits die rasche Entwicklung von Impfstoffen, andererseits deren ungleiche Verteilung an die Bevölkerungen unseres Planeten. Bis Juni 2023 haben 29,9 % von ihnen noch keine einzige Impfung erhalten.

Die grundlegende Ursache für die Krise des Systems liegt in der massiven Überakkumulation von Kapital, das nicht in der Lage ist, in gleichem oder höherem Maße als in der Boomphase der Globalisierung ausreichende Gewinne aus der Produktion zu erzielen. Dies ist der Grund dafür, dass der „Aufschwung“ nach der letzten Rezession schnell an Dynamik verloren hat und in weiten Teilen der Weltwirtschaft in Stagnation übergegangen ist. Da es nach der Großen Rezession nicht gelungen ist, dieses Problem auf die einzige Art zu lösen, die Kapitalist:innen immer anwenden, nämlich durch Kapitalvernichtung auf breiter Front, droht nun der Massenbankrott sogenannter Zombieunternehmen, die schätzungsweise 16 % bis 20 % aller Firmen in den USA ausmachen.

Da dies die Zerstörung großer Industrie- oder Handelszweige bedeuten würde, ist eine solche Entwicklung ein letzter Ausweg und eine riskante Option für das Kapital. Im Jahr 2008 hätte es die Spitzen des Finanzkapitals getroffen, die Investment-, Hypothekenbanken und multinationale Automobilhersteller wie General Motors und Chrysler, die als „zu groß zum Scheitern“ eingestuft worden sind. Viele von ihnen wurden auf Kosten der Steuerzahler:innen aus der Arbeiter:innen- und Mittelschicht gerettet. Die Maßnahmen der Federal Reserve Bank der USA führten die Welt auch zu einer enormen Ausweitung der Geldmenge (Quantitative Easing), die es Unternehmen, Staaten und Einzelpersonen ermöglichte, noch mehr Schulden anzuhäufen und den Grundstein für einen zukünftigen Zusammenbruch zu legen.

Die von der neoliberalen und monetaristischen Theorie diktierte Lösung, die gigantische Kapitalvernichtung zur Wiederherstellung der Profitraten, kann nur zu enormen Kosten für die Arbeiter:innenschaft der ganzen Welt erfolgen. Natürlich besteht die Antwort darin, sich Betriebsschließungen und Massenarbeitslosigkeit entgegenzustellen, aber große Zugeständnisse seitens der Unternehmer:innen würden keine Rückkehr zum vorherigen Status quo bedeuten, sondern das Chaos eher noch vertiefen. Daraus ergibt sich wiederum die Notwendigkeit, die Kontrolle über die Produktion denjenigen anzuvertrauen, die die Arbeit verrichten, und die Staatsmacht in die Hände der arbeitenden Menschen zu legen, nicht in die der wenigen Ausbeuter:innen. Dies kann nur auf dem Weg der Revolution – der Zerstörung der Staatsmacht der Kapitalist:innenklasse – geschehen, nicht auf dem Weg der Reform.

Die Globalisierung erwies sich als eine vorübergehende Lösung für den Kapitalismus. Sicherlich hat sich der Grad der internationalen Integration zwischen den großen Zentren der Kapitalakkumulation unter der Hegemonie der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer internationalen Finanzinstitutionen, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Welthandelsorganisation, enorm erhöht. Sie beruhte in hohem Maße auf einer wohlwollenden Symbiose der USA und der EU mit China als Markt für Spitzentechnologie und als neue Produktionsstätte der Welt. Doch in der Epoche der vollen Reife des Kapitalismus, ja seiner Überreife, der Epoche des Imperialismus, musste eine schnell wachsende neue kapitalistische Macht wie China entweder der bestehenden hegemonialen Weltmacht untergeordnet werden und zu dem werden, was Marxist:innen eine Halbkolonie nennen, oder selbst zu einer imperialistischen „Großmacht“ emporsteigen.

Chinas Bereitschaft, in den exklusiven Klub der imperialistischen Mächte aufzusteigen, zeigte sich nach 2008, als es eine wichtige Rolle dabei spielte, die Weltwirtschaft aus der Großen Rezession herauszuziehen. Doch dann begann es, als Investor in Regionen zu expandieren, die bis dahin von den alten Imperialismen Nordamerikas, Westeuropas und Ostasiens beherrscht wurden. Dies führte unweigerlich zu einer Verschärfung der Rivalität und des Konflikts zwischen den alten und neuen Mächten. Die Fähigkeit der Kommunistischen Partei Chinas, mit Repressionen im Stil von Tian’anmen und Präsident Xi Jinpings Einführung eines Massenüberwachungsstaates zu drohen, beruht auf dem Aufstieg der chinesischen Bevölkerung aus der Armut und der Rolle des Landes als zweitstärkster Wirtschaft der Welt. Jeder ernsthafte oder anhaltende Rückzug von diesem Wohlstand, sei es durch wirtschaftlichen Abschwung oder militärische Abenteuer, wird diesen untergraben und das Gespenst der Revolution heraufbeschwören.

Im Gegensatz dazu fußte Russlands Fähigkeit, dem Schicksal der Unterordnung unter die Supermacht USA zu entgehen, eher auf der Rente aus seinen reichhaltigen natürlichen Ressourcen als auf dem industriellen Wachstum. Während der „Schocktherapie“, mit der Russland in den Kapitalismus eingeführt wurde, schrumpfte seine Wirtschaft um 40 Prozent, während die Inflation in die Höhe schoss. Engpässe bei den Grundnahrungsmitteln wurden zur Norm und ein Drittel der Bevölkerung fiel in Armut. Die sozialen Sicherungen der Sowjetära wurde dezimiert. Als unter Präsident Jelzin Russland 1992 in den IWF aufgenommen wurde, beschleunigte eine Reihe von Krediten mit harten Bedingungen (Kürzungen bei Sozialleistungen, Bildung usw.) den Abwärtstrend.

Präsident Putins Popularität war, zumindest anfangs, nicht das Ergebnis einer brutalen Unterdrückung der Opposition. Nach 2000 gelang es ihm, die schamlose Ausplünderung der Wirtschaft durch die Oligarch:innen und die Abzweigung des Reichtums in westliche Banken und Steuerparadiese zu unterbinden. Durch die Übernahme der Kontrolle über die Öl- und Gaskonzerne Lukoil, Rosneft usw. konnte er den wirtschaftlichen Niedergang aufhalten und den Lebensstandard in bescheidenem Maße wiederherstellen. Doch seine Versuche, den Westen dazu zu bewegen, Russland eine Einflusssphäre in den Staaten der ehemaligen UdSSR sowie in denen Afrikas und des Nahen Ostens, die früher enge Beziehungen zur UdSSR unterhielten, zuzugestehen, wurden wiederholt abgelehnt. Im Jahr 2005 bezeichnete er den Zusammenbruch der Sowjetunion (an dem er maßgeblich beteiligt war) als „die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts“ und eine „echte Tragödie“ für das russische Volk, da sich „Dutzende Millionen“ von ihnen außerhalb des russischen Staatsgebiets wiederfanden.

Heute ist Russland wirtschaftlich nicht mit China gleichzusetzen. Es gehört nicht einmal zu den zehn größten Volkswirtschaften; sein Bruttoinlandsprodukt von 1,4 Billionen US-Dollar wird von dem der Vereinigten Staaten (20 Billionen US-Dollar) und Chinas (14 Billionen US-Dollar) in den Schatten gestellt. Es entspricht in etwa dem von Brasilien, liegt aber unter dem von Indien und sogar Südkorea. Seine technologischen Stärken finden sich in der Weltraumforschung, der Kernenergie und der militärischen Ausrüstung. Doch obwohl es ein wirtschaftlicher Zwerg ist, bleibt Russland ein militärischer Riese, der in Bezug auf die weltweite Feuerkraft und – zumindest vor dem Ukrainekrieg – auch in Bezug auf die militärischen Kapazitäten an zweiter Stelle hinter den USA stand. Dies war die Grundlage für Putins Fähigkeit, im Nahen Osten, in Afrika sowie im nahen Ausland als Friedensstörer aufzutreten.

2.2 Europa

Die beiden dominierenden Volkswirtschaften der Europäischen Union, Deutschland und Frankreich, sind seit langem bestrebt, die Unabhängigkeit des Blocks gegenüber den USA zu stärken und Europa als weltweiten Konkurrenten des chinesischen und amerikanischen Kapitals zu etablieren. Eine Reihe von Veränderungen in der internationalen Dynamik, beginnend mit Barack Obamas Hinwendung zu Asien, dem Austritt Großbritanniens, des engsten Verbündeten der USA, aus dem Block, der Förderung engerer Verbindungen mit Eurasien durch den Öl- und Gashandel und Chinas Seegürtel- und Straßeninitiative (Neue Seidenstraße) schienen eine zunehmend unabhängige Rolle für einen europäischen Imperialismus zu begünstigen. Doch der Ukrainekrieg hat mit einem Schlag die Vorherrschaft der USA auf dem Kontinent wiederhergestellt und die Pläne von Paris und Berlin zunichtegemacht.

Trotz Großbritanniens Austritt bleibt die EU einer der drei großen Blöcke des Kapitals. Während die Produktivkräfte des europäischen Kapitalismus längst über die Staatsgrenzen seiner Nationen hinausgewachsen sind, zeigt die anhaltende Krise, die die Union seit 2008 heimgesucht hat, dass die kapitalistischen Klassen Europas nicht in der Lage sind, die historisch fortschrittliche Aufgabe der Einigung des Kontinents zu erfüllen.

Die Europäische Union mit ihren Verträgen, ihrer Kommission, ihrer Europäischen Zentralbank und ihrer Währung ist ein Zwangsapparat zur Ausbeutung der Peripherie durch den imperialistischen Kern. Sie hat die südeuropäischen Staaten zum Schutz der imperialistischen Finanziers zu brutaler Sparpolitik gezwungen, stellt ein Reservoir an materieller und diplomatischer Hilfe für die Abenteuer des US-Imperialismus bereit und führt ihre Geschäfte hinter den Mauern der NATO und der Festung Europa. Diese imperialistische Architektur kann nicht umgestaltet werden, um sozialen Zielen zu dienen: Sie muss durch eine sozialistische Revolution abgeschafft werden, die in einem sozialistischen vereinigten Europa gipfelt.

Revolutionäre Kommunist:innen haben jedoch immer die Illusion zurückgewiesen, dass der Weg zur Vereinigung auf einer höheren, demokratischen, sozialistischen Grundlage notwendigerweise über die Zerlegung großer politischer oder wirtschaftlicher Einheiten in ihre Bestandteile führt. Wir versuchen vielmehr, sie so zu vergesellschaften und zu planen, dass sie die Menschheit voranbringen. Der Sozialismus erfordert einen kontinentalen, ja globalen Maßstab der integrierten Produktion. Die Perspektive des Sozialismus in einem Land ist heute noch reaktionärer, als sie es war, als Stalin sie vor einem Jahrhundert proklamierte.

Die Zurückdrängung der Produktivkräfte in 28 Nationalstaaten, die Wiedereinführung von Grenzkontrollen und Zollschranken, die Unterbrechung des wirtschaftlichen und kulturellen Austauschs, die Behinderung der Entwicklung der Produktivkräfte, die Verschärfung der zwischenstaatlichen Rivalitäten, die weitere Spaltung der Arbeiter:innenklassen dieser Staaten im Namen einer vorgetäuschten wirtschaftlichen Souveränität können nur den nationalen Antagonismus, den wirtschaftlichen Niedergang und schließlich den Rückgriff auf einen imperialistischen Krieg fördern.

Die Aufgabe der Einigung Europas, die von den Kommunist:innen vor mehr als einem Jahrhundert vor dem Gemetzel zweier Weltkriege als notwendig erkannt wurde, fällt der Arbeiter:innenklasse zu, wenn sie einen Dritten Weltkrieg vermeiden will. Das Mittel, mit dem sie dies erreichen kann, ist die europaweite Revolution. Ausgehend von den heutigen Kämpfen gegen Sparhaushalte, Privatisierung, Krieg, Ungleichheit, Rassismus und Umweltzerstörung müssen die europäischen Arbeiter:innen ihre Kämpfe vereinen und ihnen ein gemeinsames Ziel geben – den Sozialismus im kontinentalen Maßstab.

2.3 Die Halbkolonien

Im globalen Süden hat die Illusion, dass die fortgeschrittenen halbkolonialen Länder den chinesischen Weg zur Entwicklung beschreiten, einen Todesstoß erhalten. In der Hochphase der Globalisierung wurden viele als „aufstrebende Volkswirtschaften“ bezeichnet, die für eine nachhaltige Entwicklung prädestiniert schienen – die asiatischen Tigerstaaten, die sogenannten BRICS-Länder, Mexiko, Indonesien, Nigeria und die Türkei. Aus diesem Optimismus heraus wurde im Jahr 2003 die G20-Gruppe gegründet. Doch in den folgenden zwei Jahrzehnten entkam mit Ausnahme von Russland und China keines dieser Länder der imperialistischen Vorherrschaft.

Die Situation der schwächeren Halbkolonien wurde nach der Krise von 2008 auf grausame Weise offengelegt. Die Dollarflucht machte die hohe Verschuldung deutlich; die von den Gläubiger:innen auferlegten Kürzungen der Lebensmittel- und Treibstoffsubventionen lösten eine Kette von Ereignissen aus, die im Arabischen Frühling gipfelte.

Die Folgen der imperialistischen Missgeschicke im Irak und in Afghanistan (und später in Syrien und der Ukraine) haben die Verarmung und den Mangel an Sicherheit der Völker noch verstärkt. Beim Widerstand gegen die Wiedereinführung noch härterer autoritärer Regime in Algerien, im Sudan und in Rojava hat die Arbeiter:innenklasse oft eine wichtige, aber keine entscheidende Rolle gespielt; nirgendwo hat sie die Regime gestürzt.

In ganz Subsahara-Afrika behalten Großbritannien und Frankreich ihren Einflussbereich auf ihre ehemaligen Kolonialgebiete mit mehr oder weniger großem Nachdruck bei. Frankreich übt zwar immer noch die Kontrolle über die Währungspolitik der CFA (Cooperation Financière en Afrique) -Länder Zentralafrikas aus, doch seine Fähigkeit, Regierungen zu stützen oder zu ersetzen, wird durch den Rückgriff auf den Schutz durch russische Stellvertretertruppen zunehmend in Frage gestellt. Die Flut schwer bewaffneter islamistischer „Terrorist:innen“ in der Sahelzone war in hohem Maße das Ergebnis der US-Intervention in Libyen, obwohl sie auch mit der fortschreitenden Wüstenbildung in der Region zusammenhängt, die ein Produkt des Klimawandels ist und die Viehzüchter:innen gegen die sesshaften landwirtschaftlichen Gemeinschaften aufbringt.

In Lateinamerika haben die von Inflation, Arbeitslosigkeit und Schuldknechtschaft geplagten Volkswirtschaften einige rechte Regierungen zu Reformen herausgefordert, aber überall haben sich die Oppositionellen als unwillig erwiesen, die Arbeiter:innen und die Armen auf dem Land und in der Stadt gegen die Elite zu führen. Putsche und konterrevolutionäre Bewegungen waren der Preis dafür.

Die Europäische Union hat in den 2000er Jahren 13 Länder aufgenommen, darunter den größten Teil des ehemaligen Ostblocks. In allen Fällen waren diese an die imperialistischen Bedürfnisse Deutschlands und in geringerem Maße Frankreichs und Italiens als Quelle billiger Arbeitskräfte und Standort für die durch Produktionsauslagerung erzielten Superprofite gebunden. Autoritäre Regierungen neigen dazu, sich mit einer Mischung aus rechtem Nationalismus und neoliberalem „Wachstum“ auf dieses Pulverfass zu setzen.

Die halbkoloniale Abneigung gegen die westlich dominierte imperialistische Ordnung wurde von China geschickt durch die sogenannte „Schuldendiplomatie“ ausgenutzt, indem es Kredite ohne menschenrechtliche Auflagen anbot. Aber wie Sri Lanka zeigt, hat der Austausch eines imperialistischen Kredithais gegen einen anderen diese Länder weder vor den Verwüstungen der internationalen Märkte geschützt noch ihren neuen Gläubiger daran gehindert, seine Eigentumsrechte an seinen Investitionen geltend zu machen.

2.4 Von der Rivalität zum Krieg

In den letzten zehn Jahren hat sich eine neue Phase der Rivalität zwischen den alten imperialistischen Mächten Europa, Nordamerika und Japan und den Neuankömmlingen China und Russland entwickelt, die ihren Platz an der Sonne einfordern. Früher oder später musste dies in einen offenen Konflikt münden. Die Ära der wohlwollenden Synergie zwischen den USA und China in den 1990er und frühen 2000er Jahren, die den Anspruch Washingtons untermauerte, eine neue Weltordnung geschaffen zu haben, ist längst vorbei. Russland, dessen kapitalistische Restauration sich endlich von den Nachwirkungen der „Schocktherapie“ erholt hatte, war der Ansicht, dass diese „Ordnung“ seinen Einflussbereich verkleinert hatte, und machte sich daran, ihn durch militärische und politische Interventionen wiederherzustellen – im Kaukasus, im Nahen Osten, in Afrika südlich der Sahara und in Osteuropa.

Jetzt erleben wir nicht nur einen Verdrängungswettbewerb, sondern auch Handelskriege, einen neuen Kalten Krieg und stellvertretende heiße Kriege. Libyen, Syrien, Jemen, Äthiopien, Sudan, Myanmar, Mali und andere sind Opfer einer neuen Periode der Großmachtrivalität, in der regionale und imperialistische Mächte Bürger:innenkriege schüren und die Bestrebungen nach Wirtschaftsentwicklung und Bekämpfung des Klimawandels zunichtemachen.

Darüber hinaus droht ein Krieg zwischen den Großmächten, deren Pulverfässer in Osteuropa, im Nahen und Fernen Osten liegen. Neue Allianzen werden ins Leben gerufen (AUKUS: Militärbündnis USA, Großbritannien mit Australien)) und alte aufgefrischt (NATO, Quad: Quatrilateraler Sicherheitsdialog; Block aus USA, Australien, Indien und Japan). Dazu gehören auch das Säbelrasseln im Südchinesischen Meer und der Versuch der westlichen imperialistischen Mächte, Putin durch massive Waffenlieferungen an die Ukraine und beispiellose Wirtschaftssanktionen zu demütigen und stürzen.

Das von den USA und dem Vereinigten Königreich geführte Sanktionsregime und die Aussetzung der russischen Öl- und Gaslieferungen nach Europa stellen einen großen Rückschlag für das deutsch-französische Projekt dar, die EU in einen unabhängigen imperialistischen Block zu verwandeln. Die Widersprüche innerhalb Europas werden immer größer, je länger der Krieg andauert. Europa ist das schwächste Glied in der imperialistischen Kette und trotz aller Niederlagen, die seine Arbeiter:innen im letzten Jahrzehnt erlitten haben, bleibt es der Kontinent mit den politisch erfahrensten Arbeiter:innenbewegungen, wenn auch mit den Führungen, die am routiniertesten darin sind, sie zu verraten.

Doch die Machthaber:innen in Washington, Berlin, Paris und London, auch in Peking und Moskau, spielen mit dem Feuer. Das Erbe von Donald Trumps Präsidentschaft und seine Umwandlung der Republikaner:innen in eine rechtspopulistische Partei, die demokratische Konventionen wie die Anerkennung von Wahlergebnissen verachtet, ist ein wichtiger Destabilisierungsfaktor, auch wenn sich Präsident Bidens Außenpolitik nur in den Schwerpunkten von der seines Vorgängers und potenziellen Nachfolgers unterscheidet. Schon jetzt setzt Trumps Oberster Gerichtshof eine reaktionäre Agenda gegen Frauen um (Aufhebung des Urteils Roe versus Wade, das Abtreibungen erlaubte) und ist bestrebt, Farbigen ihre hart erkämpften Bürger:innenrechte zu entziehen. Die giftigen Unterschiede zwischen liberalen und reaktionären US-Bundesstaaten und Wähler:innenblöcken bedrohen die Supermacht der Welt mit lähmenden internen Konflikten. Die Rolle der Vereinigten Staaten als Polizist einer „Weltordnung“ verkehrt sich in ihr Gegenteil, in die eines Brandstifters.

In Russlands vermeintlicher Einflusssphäre flammten im Kaukasus Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach und in Zentralasien zwischen Kirgistan und Tadschikistan um das Gebiet Batken auf. Das Vorhandensein mehrerer gemischter Ethnien ist eine Einladung an die despotischen Herrscher:innen dieser Gebiete, den internen Druck durch Kriege und ethnische Säuberungen zu lösen, wie sie in den 1990er Jahren Jugoslawien zerrissen haben.

Im Nahen Osten, in Syrien, wo die russischen Truppen noch immer präsent sind, und in Rojava, wo das US-Militär noch immer stationiert ist, sowie in der Türkei, die die kurdischen Streitkräfte auf beiden Seiten ihrer Grenze bedroht, schlummert ein Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann; trotz der chinesischen Vermittlung wird sich der Bürger:innenkrieg im Jemen wahrscheinlich als hartnäckiger Ausdruck der von den Großmächten angeheizten saudi-iranischen Regionalkonkurrenz erweisen. Unterdessen nutzt Israel den Krieg in Europa, um seine Besiedlung des Westjordanlands und Ostjerusalems zu verstärken. Seine westlichen Unterstützer:innen, ob sozialdemokratisch, liberal oder konservativ, arbeiten unermüdlich daran, die Palästinasolidaritätsbewegung mit dem Vorwurf des Antisemitismus zum Schweigen zu bringen.

Trump, Biden und Putin, die alle behaupteten, ihre Staaten seien „wieder da“, finden ihre Nachahmer:innen in Delhi, Ankara, Brasilia, Jerusalem und Riad. Jetzt tauchen solche „Störenfriede“ auch in Europa auf – in Ungarn, Polen und möglicherweise auch in Schweden, Italien oder Spanien.

Hinter diesen autoritären Führer:innen haben im letzten Jahrzehnt reaktionäre, oft rassistische Massenbewegungen zugenommen, die sich gegen Minderheiten richten und sich unter den Bedingungen einer tiefen und lang anhaltenden sozialen Krise zu vollwertigen faschistischen Bewegungen entwickeln können. All diese Prozesse stellen nach den Entwicklungen der vorangegangenen Jahre einen bedeutenden Rechtsruck dar; sie sind eine ernsthafte Herausforderung für die Arbeiter:innenklasse und die Unterdrückten in der Welt, ihre Kampfkräfte zur Verteidigung der vergangenen Errungenschaften neu zu formieren. Aber der Erfolg erfordert die Vorbereitung der Mittel, um in die Offensive zu gehen, um die Gesellschaft dauerhaft von diesen Kräften zu befreien, die die Welt in die Katastrophe zu führen drohen.

Internationalist:innen auf der ganzen Welt müssen sich dagegen wehren, in eines der sich bekriegenden imperialistischen Lager hineingezogen zu werden, auch nicht durch deren Behauptung, Demokratie oder Antiimperialismus zu vertreten. Die USA und ihre NATO-Verbündeten sind nicht mehr das einzige imperialistische Lager, und China und Russland sind keine Antiimperialist:innen. In den alten „demokratischen“ imperialistischen Ländern Nordamerikas und Europas nutzen die herrschenden Klassen die berechtigte Empörung der Massen über Russlands Gräueltaten in der Ukraine oder Chinas Unterdrückung der Uigur:innen, der Tibeter:innen oder die Zerschlagung der demokratischen Rechte in Hongkong aus, um ihre kalten Kriege, ihre Aufrüstung und den Einsatz von Kriegen wie dem der Ukraine als Stellvertreterin zu rechtfertigen, um Russland zu schwächen. Ihre Behauptung, die Demokratie gegen die Autokratie zu verteidigen, ist lediglich eine Waffe, um fortschrittliche Menschen zu täuschen und rekrutieren.

Andererseits umwerben Moskau und Peking die Regierungen der halbkolonialen Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, indem sie die Heuchelei des Westens anprangern, seine wirtschaftliche Ausbeutung und Nötigung durch den IWF, die Auferlegung rücksichtsloser Sparmaßnahmen, seine brutalen Invasionen, die denen Russlands völlig gleichkommen, und seine Besetzungen, seine Wirtschaftsblockaden (Kuba, Venezuela, Iran, Nordkorea) beim Namen nennen und beschämen. Beide Lager können sich gegenseitig schwere ideologische Schläge versetzen, weil beide Anschuldigungen weitgehend wahr sind. Aber die Wahrheiten über die Verbrechen der einen Seite dürfen uns nicht blind machen für die ebenso entsetzlichen Verbrechen der anderen. Nichtsdestotrotz müssen Revolutionär:innen die Berechtigung derjenigen, die legitimen Widerstand gegen die Plünderungen einer der imperialistischen Mächte leisten, objektiv bewerten und anerkennen, während sie gleichzeitig den eigentlichen Grund der Gegner:innen aufdecken, sich für ihre Opfer einzusetzen, und damit das Gebot der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse vom und den Widerstand gegen den Imperialismus in Ost und West zu verteidigen.

So können wir uns für den Kampf der Ukraine um Selbstverteidigung oder für die von Peking bedrohten oder unterdrückten Völker einsetzen, ohne die Kriegsvorbereitungen und das Wettrüsten der NATO-Mächte zu unterstützen, geschweige denn direkt militärisch zu intervenieren. Gegenüber allen imperialistischen Mächten vertreten wir den striktesten revolutionären Defätismus: Mit den Methoden des Klassenkampfes, um ihre Kriegspläne zu vereiteln und zu besiegen, bereiten wir die revolutionären Kräfte und die objektive Grundlage für die soziale Revolution und den Sturz unserer eigenen Herrscher:innen vor. In den Ländern, die politisch und wirtschaftlich dem Imperialismus untergeordnet sind (Halbkolonien), verteidigen wir diese gegen den Imperialismus, wobei wir eine unbedingte politische Opposition und Unabhängigkeit von ihren bürgerlichen Führungen aufrechterhalten. In diesen Ländern ist unsere Perspektive die der permanenten Revolution: durch den Kampf, die Arbeiter:innenklasse an die Spitze eines legitimen Krieges zu bringen, den Weg zu einer sozialen Revolution unter ihrer Führung zu öffnen.

2.5 Klimakatastrophe

Die ungebremste Zerstörung der Umwelt, die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und der Ausstoß von Treibhausgasen, die den Planeten erwärmen, haben einen entscheidenden Wendepunkt erreicht, der eine tödliche Bedrohung für die natürlichen Lebensgrundlagen und die menschliche Zivilisation darstellt.

Die Zunahme extremer Wetterereignisse, Überschwemmungen, Brände, Hungersnöte und Dürren von nie dagewesener Intensität und das beschleunigte Abschmelzen des Polar- und Gletschereises mit der damit einhergehenden existenziellen Bedrohung für niedrig gelegene Länder sind alles Anzeichen dafür, dass der Klimawandel in eine tödliche und unkalkulierbare neue Phase eintritt.

Die Erwärmung des Klimas stellt die unmittelbarste Bedrohung dar, aber sie ist keineswegs die einzige. Die Versauerung und Verschmutzung der Ozeane, die Überlastung und Unterbrechung der Nährstoffkreisläufe, die Erschöpfung des Grundwasserspiegels, die Dezimierung der biologischen Vielfalt und die Anhäufung giftiger Chemikalien in der Umwelt und den Nahrungsketten – all dies stellt eine Bedrohung für die Existenz der Menschheit dar.

Angesichts der realen Auswirkungen, der apokalyptischen Modellierung der wahrscheinlichen Entwicklungen sind die Vorschläge zur Verlangsamung und Umkehrung der drohenden Katastrophe klar, aber die Großmächte der Welt weigern sich, echte Maßnahmen zu ergreifen. Der Wiedereintritt der USA in das Pariser Abkommen zur Begrenzung der Emissionen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass jedes Klimaabkommen lediglich die Weigerung der größten Umweltverschmutzer:innen und ihrer aufstrebenden Konkurrent:innen unterstreicht, die Profite ihrer Konzerne durch die Auferlegung echter Emissionsreduzierungen zu gefährden.

Der Kapitalismus zerstört nicht nur die natürlichen Lebensgrundlagen, sondern hat sich zu einem globalen System des Umweltimperialismus entwickelt, das durch ungehemmte Weltmärkte gekennzeichnet ist, auf denen der Handel zugunsten der reichen imperialistischen Länder organisiert wird. Die Grundlage dafür ist die immer stärkere Konzentration des Kapitals und die Unterdrückung der halbkolonialen Länder durch die Kontrolle über kritische Technologien und Kapitalexporte.

Die Ausbeutung der halbkolonialen Länder durch den imperialistischen Kern wird ohne Rücksicht auf die ökologischen und sozialen Folgen intensiviert; die sozialökologischen Kosten der kapitalistischen Produktion werden systematisch auf die Halbkolonien übertragen. In den meisten Fällen können sich die monopolistischen Agrar-, Bergbau- und Energiekonzerne darauf verlassen, dass die lokalen Regierungen als willige Vollstreckerinnen gegen die Proteste der Bevölkerung auftreten. Währenddessen wird in den imperialistischen Zentren die räuberische und unhaltbare Ausbeutung des globalen Südens hinter der zynischen Vermarktung von „nachhaltiger“ Produktion und „fairem“ Handel verborgen – eine einfache, aber wirksame Propaganda im Dienste des „business as usual“ für Monsanto (Bayer), Glencore und Unilever.

Während die Nutzung und Veränderung der Umwelt zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse notwendig ist und im Sozialismus fortbestehen wird, sieht sich der Kapitalismus durch seinen grenzenlosen Drang zur Akkumulation in Richtung Zerstörung der Umwelt getrieben. Es ist das unersättliche Streben nach Profit, die Ausbeutung der Menschen und des Planeten, die die kapitalistische „Entwicklung“ unvereinbar mit den Bedürfnissen der Umwelt und dem Fortschritt der Menschheit machen. Die Tatsache, dass der Kapitalismus unaufhaltsam die natürlichen Grundlagen seiner eigenen Existenz untergräbt, beweist, dass er ein sterbendes System ist. Es stellt sich die Frage: Wird er mit der sozialistischen Umgestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung beendet oder wird die Menschheit auf dem Weg in die Barbarei weiterschlittern?

2.6 Rezession

Die Bemühungen der Zentralbanken der Großmächte, die Inflation zu bekämpfen, indem sie die Zinssätze nach einem Jahrzehnt mit historischen Tiefstständen von nahezu null anheben, führen zu einer neuen Rezession. Die unvermeidliche Folge ist ein Einbruch der Nachfrage, eine Zunahme der Insolvenzen und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die Staatshaushalte sind bereits durch die enormen Schulden aus den Bankenrettungen von 2008 – 2010, die Stützung von Zombieunternehmen und die Aufrechterhaltung der beispiellosen staatlichen Aufwendungen durch die Pandemie überlastet. Hinzu kommt ein enormes Ausufern der unproduktiven Ausgaben für Aufrüstungsprogramme.

Die Inflation senkt den realen Wert der Löhne und der Ausgaben für Gesundheits-, Sozial- und Bildungsprogramme – ganz zu schweigen von den bereits unzureichenden Zusagen der Weltgipfel zur Bewältigung der Herausforderung des Klimawandels. Angesichts dessen werden die Rufe nach Sozialabbau, Lohnzurückhaltung und Haushaltskürzungen immer lauter.

In den USA, dem reichsten Land der Welt, lag die offizielle Armutsquote im Jahr 2021 bei 11,6 Prozent, was 37,9 Millionen Menschen entspricht. Weltweit lebt fast die Hälfte der Weltbevölkerung von 5,50 US-Dollar pro Tag oder weniger. Etwa 2,6 Milliarden Menschen haben keine sanitäre Grundversorgung und 1,6 Milliarden leben ohne Strom. Mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung bewohnen Länder, in denen die Ungleichheit zunimmt.

Multinationale Konzerne nutzen Millionen und Abermillionen prekär Beschäftigter als Reservearmee, die ausgebeutet werden, wenn die Gewinne am höchsten sind, und die in Zeiten der Rezession oder Stagnation für sich selbst sorgen müssen. Angetrieben von der unerbittlichen Logik der kapitalistischen Konkurrenz verlagern sie ihre Fabriken, Banken und Büros dorthin, wo sie den größten Profit erzielen können. So wird die Arbeitslosigkeit, die seit der CoVid-Pandemie bereits fortschreitet und durch den Sanktionskrieg noch verschlimmert wurde, wie ein Tsunami über die Welt hereinbrechen. Die Lohnabhängigen werden auf die spärlichen Ressourcen der Familie zurückgeworfen – auf die Lebensmitteltafeln in den imperialistischen Ländern und in die Flüchtlingslager der abgehängten Halbkolonien.

Darüber hinaus droht eine weitere technologische Revolution, die künstliche Intelligenz (KI) und die Robotik, die lebendige Arbeit massiv zu ersetzen, um die Produktivität zu steigern, obwohl sie in Wirklichkeit langfristig die Profitrate senken und die Krise des Systems insgesamt verschärfen wird. Die Kapitalist:innen träumen nur davon, die Arbeitskosten zu senken und die Zahl ihrer Beschäftigten zu reduzieren, nicht aber die Zahl ihrer Arbeitsstunden. Nunmehr bedroht die KI die Arbeitsplätze von mittleren Angestellten, Bürokräften und Dienstleister:innen in enormem Ausmaß.

Die Arbeiter:innenklasse hat vor zwei Jahrhunderten gelernt, dass der Widerstand gegen die Einführung und Anwendung neuer Technologien, etwa durch Maschinenstürmerei, zwecklos ist. Die Antwort der Arbeiter:innen besteht darin, die neuen Technologien zu nutzen, um die Arbeitszeit zu verkürzen und die für Körper und Geist schädlichen Arbeitsformen abzuschaffen. Die Technologie selbst kann die Kontrolle der Menschheit über die Produktion und die Interaktion mit unserer natürlichen Umwelt enorm erleichtern. Damit dies zu einem gesellschaftlichen Ziel wird, müssen wir die Überwachung und Kontrolle durch die Arbeiter:innenschaft, die gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit und die Anhebung der Löhne, Renten und Sozialleistungen auf ein angemessenes Lebensniveau durchsetzen, das mit dem Preisanstieg Schritt hält. In einer geplanten und vergesellschafteten Wirtschaft könnten KI und der Einsatz von Robotern einen starken Impuls für die Emanzipation der Arbeit geben, indem sie es ihr ermöglichen, kreativer zu werden und generell die Bereiche zu vergrößern, die die menschliche Intelligenz abdecken kann.

3. Kampf und Führung

3.1 Fronten des Widerstands

Die Große Rezession von 2008 löste eine Welle demokratischer Revolutionen im Nahen Osten aus, bei denen Arbeiter:innenstreiks wie in Ägypten und Tunesien eine entscheidende Rolle beim Sturz der alten Diktatoren spielten, aber nicht zu einer „dauerhaften“ Revolution in dem Sinne wurden, dass die Arbeiter:innenklasse die politische Führung übernahm und es zur Bildung von Arbeiter:innenregierungen kam. Selbst als demokratische Revolutionen scheiterten sie also, und islamistische und militärische Kräfte gelangten an die Macht.

Im gleichen Zeitraum verliehen die Massenproteste, Platzbesetzungen und Streiks gegen die Sparmaßnahmen in Europa, insbesondere in Spanien und Frankreich, den ersten Jahren des Jahrzehnts einen explosiven Charakter. Im Jahr 2010 kündigte die französische Regierung drastische Rentenkürzungen und eine Anhebung des Renteneintrittsalters an, was einen dreiwöchigen Generalstreik auslöste, der an Mobilisierungen wie die von 1995 und 2006 erinnerte, die die Regierung zum Rückzug zwangen. Dieses Mal blieb der Kampf trotz der seltenen Einigkeit zwischen den Gewerkschaftsverbänden, der starken Unterstützung durch die Öffentlichkeit und der regen Beteiligung vieler Teile der Arbeiter:innenbewegung letztlich erfolglos. In anderen Ländern, in denen „soziale Bewegungen“ wie der britische Rentenstreik und die Student:innenrevolte von 2010/2011 stattfanden, gelang es den Regierungen, die Unruhen ohne Zugeständnisse zu überstehen.

Doch nirgendwo war der Kampf so langwierig und intensiv wie in Griechenland. Ab 2009 durchlief das Land eine Finanz- und Industriekrise, die ein Viertel der Wirtschaft des Landes vernichtete. Als Reaktion auf eine Reihe brutaler Kürzungsprogramme, die – auf Geheiß der deutschen Regierung – von der „Troika“ aus EZB, EU-Kommission und IWF diktiert wurden, starteten die griechischen Gewerkschaften zwischen 2010 und 2015 eine Reihe von 28 verschiedenen Generalstreiks (20 von 24 Stunden und vier von 48 Stunden). Die Syriza-Regierung, die mit einem Programm gewählt wurde, in dem sie sich den Forderungen der Troika widersetzte, und die durch das überwältigende Mandat des „Oxi“-Referendums unterstützt wurde, brach bald zusammen und verhängte die geforderten Sparmaßnahmen.

Nach den Niederlagen der sozialen Bewegungen, den Enttäuschungen, dem Scheitern und Verrat durch verschiedene sozialdemokratische oder linkspopulistische Parteien und der Niederschlagung des Arabischen Frühlings durch die Konterrevolution kam es zu einem allgemeinen Rückgang des Niveaus der Klassenkämpfe, der in den Schließungen von CoVid-19 und der Rezession gipfelte.

Jetzt gibt es überall auf der Welt Anzeichen für eine Erholung des industriellen Widerstands und die Entwicklung neuer revolutionärer Möglichkeiten.

Die brisanteste Situation in der Zeit nach der Pandemie begann mit dem Aufstand gegen die klerikale Diktatur im Iran, der durch die Ermordung von Jina Mahsa Amini durch die sogenannte Sittenpolizei ausgelöst wurde. Zwei Monate lang füllten Massenproteste unter den Slogans „Frauen, Leben, Freiheit“ und „Nieder mit den Mullahs“ die Straßen. Die Proteste, zu denen auch Streiks und das symbolische Ablegen des Kopftuchs durch Frauen gehörten, waren eine der größten Herausforderungen für das Regime seit Jahren. Da es der Bewegung jedoch nicht gelang, den Protest in einen Aufstand in Form eines Generalstreiks und der Bildung von Schoras (Räten) zu verallgemeinern, hatte der Staatsapparat Zeit, seine Position zu stabilisieren und konnte ihn schließlich mit seinen Waffen – Massenverhaftungen, Folter und Mord – niederschlagen. Während das Fehlen einer revolutionären politischen Führung es dem Regime ermöglichte, dieses Mal die Initiative zu ergreifen, ist ein großer Teil der iranischen Massen dem herrschenden System nun endgültig entfremdet: Die nächste Explosion wird noch größer ausfallen.

In den USA gab es eine Welle von Streiks in Fabriken, Schulen und in der Logistik sowie gewerkschaftliche Aktionen in den neuen Online-Dienstleistungsunternehmen wie Amazon und der sogenannten Gig-Economy mit ihren befristeten Arbeitsverträgen. Zu den wichtigen Siegen und Zugeständnissen für die Beschäftigten zählen die einmonatigen Aktionen von 10.000 Mitgliedern der Automobilarbeiter:innengewerkschaft UAW bei John Deere und die gefeierten Lehrer:innenstreiks.

In Großbritannien führte der Inflationsanstieg zu einer Reihe von eintägigen Streiks der Beschäftigten im Verkehrs-, Gesundheits- und Bildungswesen, wobei die Zahl der durch Streiks für die Kapitalist:innen verlorenen Tage so hoch war wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Während die Weigerung der Gewerkschaftsführer:innen, die Maßnahmen zu eskalieren und koordinieren, in einer Folge von Abschlüssen unterhalb der Inflationsrate endete, hat sich der Widerstand gegen diese Ausverkäufe zu den ersten Versuchen seit vielen Jahren verdichtet, eine Organisation der Basis aufzubauen.

Die entschlossene Offensive des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegen das Rentensystem löste eine Welle von eintägigen Streiks und Mobilisierungen aus. Zum ersten Mal handelten alle großen Gewerkschaftsverbände gemeinsam – doch statt einer Eskalation kam es zu einer Abwiegelung, da die Gewerkschaften abwarteten, ob das Parlament, das keine Macron-freundliche Mehrheit hatte, das Gesetz blockieren würde. Macron vermied dieses Szenario, indem er auf die Verordnungsbefugnisse zurückgriff, die den Präsident:innen unter der bonapartistischen Verfassung der Fünften Republik zustehen. Die französischen Arbeiter:innen, die kämpferischsten in Europa, haben wieder einmal gezeigt, welchen Preis jede noch so militante Bewegung zahlt, der es an einer revolutionären Führung mangelt, die in der Lage ist, einen Kampf zum Sieg zu führen.

Im August 2022, als die Inflation bei über 70 Prozent lag, zwangen die argentinischen Gewerkschaften die Regierung und die Unternehmer:innen zu einer Erhöhung der Löhne und der Arbeitslosenunterstützung. Im selben Monat gingen 600.000 südafrikanische Lohnabhängige in allen neun Provinzen auf die Straße, um ein Grundeinkommen, einen existenzsichernden Mindestlohn und eine Begrenzung der Kraftstoffpreise und Zinssätze zu fordern. In Indien folgte auf den eintägigen Streik von 150 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Sektors im Jahr 2016 im November 2020 ein weiterer 24-stündiger Streik, an dem sich 250 Millionen Beschäftigte beteiligten. In China ereignen sich in der riesigen Industriezone des Perlflussdeltas jedes Jahr bis zu 10.000 Arbeitskonflikte.

Kann diese neue Welle auf die große Zahl der derzeit nicht organisierten Proletarier:innen übergreifen? Können Aktivist:innn an der Basis dafür sorgen, dass diese neuen kämpferischen Arbeiter:innen sich Gehör verschaffen, ja, dass sie entscheidend sind? Wie alle Aufschwünge des Klassenkampfes zeigen, werden diese Gelegenheiten verpasst werden, wenn es keine alternative Führung zu reformistischen bzw. zentristischen Parteien und Gewerkschaftsbürokratien oder libertärem „spontanem“ Durcheinander gibt, und Gegenreform oder Konterrevolution werden den Sieg davontragen. Die Frage ist, wie kann eine revolutionäre Führung, eine Partei, aus der heutigen Verwirrung hervorgehen?

An diesem Punkt wird das politische Eingreifen in die Gewerkschaftskämpfe, um die Schaffung einer anderen politischen Führung voranzutreiben, die mit einer alternativen Strategie bewaffnet ist, die auf dem Klassenkampf basiert und auf den Sturz des Kapitalismus abzielt statt auf Verhandlungen und Kompromisse innerhalb seiner Grenzen, von größter Bedeutung. Die Entwicklungen innerhalb der Power Loom Workers‘ Union (Webereiarbeiter:innengewerkschaft) in Faisalabad, Pakistan, wo es Bestrebungen gibt, die Masse der Arbeiter:innen in Richtung einer solchen „klassenkämpferischen Gewerkschaftsbewegung“ zu bewegen, sind nur ein Beispiel. Das Ziel dieses Ansatzes ist die Schaffung von Arbeiter:innenmassenparteien, die von allen bürgerlichen Kräften unabhängig sind und deren Organisation und Führung die Kampfkraft der gesamten Arbeiter:innenfront und der damit verbundenen Kämpfe der national, rassistisch und sozial Unterdrückten qualitativ verändern können.

Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse, kämpferische Aktion und Basisdemokratie sind entscheidende Fragen in der kommenden Periode. Sie können der Entwicklung von revolutionären Parteien auf internationaler Ebene und einer Fünften Internationale enorm helfen. Es ist daher die Pflicht der Vorhut-Elemente in den Gewerkschaften und revolutionären Organisationen, den Kampf zu verstärken, um das Gewerkschaftsbündnis mit bürgerlichen Parteien zu brechen – wie zum Beispiel zwischen der Demokratischen Partei und der AFL-CIO in den USA oder die Unterordnung der Gewerkschaft unter die Peronist:innen in Argentinien – mit dem Ziel, wirklich unabhängige Arbeiter:innenparteien zu gründen.

3.2 Krise der Führung

Sozialdemokratische, Labour- und kommunistische Parteien haben den Kapitalist:innen lange Zeit als alternative Regierungsparteien in den europäischen imperialistischen Staaten gedient. In Indien hat die Linksfront (CPI, CPI(M) [indische KPen] und andere) dies auf regionaler Ebene ebenfalls getan; ebenso die südafrikanische kommunistische Partei innerhalb des ANC (Partei Afrikanischer Nationalkongress) seit dem Ende der Apartheid; ein Weg, der wiederum von der brasilianischen Arbeiter:innenpartei (PT) im 21. Jahrhundert beschritten wurde.

Was diese Parteien gemeinsam haben, ist eine privilegierte Schicht professioneller Bürokrat:innen und Parlamentarier:innen, die in der Praxis den Kapitalismus als dauerhaftes System betrachten und den Bossen dienen, ob an der Regierung oder in der Opposition. Sie vereiteln die Versuche ihrer Mitglieder aus der Arbeiter:innenklasse, diese Parteien als wirksame Waffen des Kampfes einzusetzen. In Europa und Asien haben diese Organisationen, obwohl sie einst ihre Dienste für begrenzte soziale Reformen angeboten haben, in den letzten zwanzig Jahren die von der Kapitalist:innenklasse geforderte neoliberale, marktfreundliche Politik übernommen, und in der Zeit nach 2008 gerieten ihre „Reformen“ zu Sparpolitik, Privatisierung und Angriffen auf die Löhne.

Mit der Restauration des Kapitalismus in der ehemaligen Sowjetunion, Osteuropa und China sind auch die stalinistischen kommunistischen Parteien der Welt weit nach rechts gerückt. In West- und Mitteleuropa haben sie einen Teil des politischen Raums eingenommen, den die neoliberale Sozialdemokratie verlassen hat. In Worten haben sie den Neoliberalismus kritisiert, aber in der Praxis war selbst der kleinste Anteil an der Regierung ein ausreichender Preis, um die Kapitulation und Durchführung von Kürzungen und Privatisierungen durch Parteien wie Rifondazione Comunista (Italien), die französische kommunistische Partei und DIE LINKE in Deutschland zu erkaufen.

Das Regieren für den Kapitalismus führte dazu, dass die CPI-CPI(M)-Regierung in Westbengalen als Vollstreckerin für ausländisches und einheimisches Kapital gegen die dörfliche und Stammesbevölkerung auftrat, deren Land sie enteignen wollte. Die Unterdrückung der Dorfbewohner:innen von Nandigram in Westbengalen wurde weltweit berüchtigt. Ihr „Lohn“ war ein erdrutschartiger Wahlsieg im Jahr 2011 durch die bürgerliche Allianz aus Trinamool Congress und Indischem Nationalkongress, und bei den Wahlen im Mai 2019 wechselte fast ihre gesamte soziale Basis zur BJP, einer hindunationalistischen Partei.

In den 2010er Jahren gab es neue reformistische Formationen, Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien, den Bloco de Esquerda in Portugal und die Corbyn-Bewegung in Großbritannien. In den USA führten die Vorwahlen der Demokratischen Partei mit der Kandidatur von Bernie Sanders 2016 und 2019 dazu, dass sich die Democratic Socialists of America, wenn von der zweiten Partei des US-Imperialismus halb abgesetzt hat.

Maoistische Parteien, insbesondere die in Nepal und Indien, haben ebenfalls eine radikalere Rolle gespielt. Die Kommunistische Partei Nepals (NCP) ist ein Zusammenschluss der CPN (Einheitliche Marxistisch-Leninistische Partei) und der CPN (Maoistisches Zentrum) aus dem Jahr 2018, dessen beide Parteien bei den Wahlen 2017 einen Erdrutschsieg errangen. Ihr Bekenntnis zur stalinistisch-maoistischen Strategie der „Revolution in Etappen“, die offen sozialistische Maßnahmen und Arbeiter:innenmacht ablehnt, stellt sicher, dass sie die Fehler und den Verrat ihrer Schwesterparteien anderswo wiederholen wird.

Die Kommunistische Partei Indiens (Maoist:innen) entstand als Guerillatruppe unter den landlosen und armen Bauern und Bäuerinnen und Adivasi (indigene Völker), die sich dagegen wehren, dass ihr Land von multinationalen Unternehmen oder indischen Milliardär:innen übernommen wird. Sie verfolgen die alte maoistische Strategie der „Umzingelung der Städte“, aber in einem Land mit einer riesigen und wachsenden Arbeiter:innenklasse, in dem die Grenzen der Etappentheorie und der Guerillastrategie immer deutlicher werden, können sie keine Strategie für eine sozialistische Revolution bieten.

Viele Linke, angeführt von der Vierten Internationale (Vereinigtes Sekretariat), sahen im raschen Aufstieg von Syriza eine Bestätigung ihrer Ablehnung des leninistischen Parteimodells zugunsten „breiter“ Bündnisse, die sowohl revolutionäre als auch reformistische Strömungen umfassen. Es ist zwar richtig, sich solchen Formationen wie Syriza anzuschließen, wo immer sie eine Abkehr einer ernstzunehmenden Zahl von Arbeiter:innen und Jugendlichen vom Liberalismus, der rechten Sozialdemokratie oder dem Populismus darstellen, aber die Kritik an den grundlegenden Schwächen des Syriza-Projekts zu unterdrücken, bedeutet, die revolutionäre Politik aufzugeben. Ebenso trugen die sogenannten Revolutionär:innen, die in Erwartung des Scheiterns beiseitestanden, nichts zur Vorbereitung der Arbeiter:innenklasse auf die bevorstehenden Schlachten bei.

In Lateinamerika haben die Regime und Bewegungen, die den von Hugo Chávez (Venezuela), Evo Morales (Bolivien), Rafael Correa (Ecuador) und Lula (Brasilien) proklamierten „Sozialismus des einundzwanzigsten Jahrhunderts“ vertraten, zahlreiche Niederlagen erlitten oder sind nach rechts gerückt. Nirgendwo war dies schockierender als im Fall von Chávez‘ Nachfolger Nicolás Maduro, auch wenn diese Degeneration zum repressiven Bonapartismus durch die US-Blockade, die wirtschaftliche Sabotage der venezolanischen Bourgeoisie und Putschversuche begünstigt wurde. Der Höhepunkt der braunen Flut reaktionärer Siege war die Wahl von Jair Bolsonaro 2018.

Dennoch hat sich mit der Wahl von Andrés Manuel López Obrador (Mexiko, 2018), Alberto Fernández (Argentinien, 2019), Luis Arce (Bolivien, 2020), Pedro Castillo (Peru, 2021), Gustavo Petro (Kolumbien, 2022) und Gabriel Boric (Chile, 2022) eine Gegenströmung des gemäßigten Linkspopulismus entwickelt. Alle diese Vertreter der neuen „rosa Flut“ sehen sich jedoch mit einem schwierigeren Umfeld konfrontiert als ihre Vorgänger:innen zu Beginn des Jahrtausends in der Zeit der starken Globalisierung. Die Weltwirtschaftskrise und das Erstarken der rechtsextremen Oppositionskräfte bedeuten, dass der Spielraum für die Erfüllung der dringenden Bedürfnisse ihrer Anhänger:innen extrem eingeschränkt ist. Das Gleiche gilt für die kürzlich gewählte Lula-Koalition in Brasilien, die als linker Deckmantel für die reaktionäre Politik eines Teils der brasilianischen Kapitalist:innenklasse dient. Diese Koalition wird von Bolsonaros Unterstützer:innen herausgefordert, die noch offener faschistisch und besser bewaffnet sind als die Gefolgschaft des abgewählten US-Präsidenten Trump. Der jüngste Putschversuch als Reaktion auf die Wahl der Lula-Koalition erinnerte stark an die Erstürmung des US-Kapitols durch Trumpist:innen im Jahr 2021.

Obwohl einige „sozialistische“ Führer:innen der 2000er Jahre bedeutende soziale und demokratische Reformen durchführten, fielen die meisten von ihnen der Krise von 2008 zum Opfer und in jedem Fall enteigneten sie nie die entscheidenden Sektoren der Bourgeoisie oder der multinationalen Konzerne. Wenn sie mit Streiks und Besetzungen konfrontiert wurden, griffen sie meist zu Repressionen und Verhaftungen. In Brasilien ergriffen weder Lula noch seine Nachfolgerin Dilma nennenswerte Maßnahmen gegen den brasilianischen Kapitalismus, noch brachen sie endgültig mit dem Imperialismus oder seinen Agenturen wie dem IWF. Diese Koexistenz kam kaum überraschend, da die PT stets in Koalition mit offenen bürgerlichen Parteien regierte, und es waren diese Kräfte, die sich beim „Putsch“ 2015 gegen die PT wandten, als Dilma abgesetzt und durch ihren Stellvertreter Michel Temer von der bürgerlichen Partei Brasilianische Demokratische Bewegung (PMDB) ersetzt wurde.

Ihr Kompromiss zwischen sozialen Reformen und der Verteidigung des Kapitalismus war damals nicht tragbar und wird es auch in Zukunft nicht sein. Auf jeden Fall werden Maßnahmen wie Verstaatlichungen nur dann „sozialistisch“, wenn ein Arbeiter:innenstaat sie koordiniert und mit der Waffe in der Hand verteidigt. Nur mit Arbeiter:innenkontrolle am Arbeitsplatz und Arbeiter:innenmacht im Staat ist es möglich, eine Wirtschaft zu planen, die die Verschwendung und das Chaos des Marktes beseitigt. Erst wenn die bewaffnete Macht in den Händen der Arbeiter:innen liegt und der militärisch-bürokratische Apparat des bürgerlichen Staates zerschlagen ist, kann der Weg zum Sozialismus national und international geebnet werden.

Ältere lateinamerikanische Regime, die von linksreformistischen oder stalinistischen Kräften geführt werden, wie Kuba, Nicaragua und Venezuela, haben auf die US-Blockaden mit immer repressiveren Maßnahmen reagiert, anstatt die Entfaltung der Demokratie der Arbeiter:innen und Bäuer:innen zuzulassen, geschweige denn die Idee eines echten Antiimperialismus, der die Ausbreitung einer kontinentalen (permanenten) Revolution bedeuten würde.

In Afrika haben Militärputsche, bonapartistische Präsidentschaften, islamistische Aufstände und Terrorismus das Elend der imperialistischen Ausbeutung und Umweltzerstörung noch verschlimmert. Der Traum vom „afrikanischen Sozialismus“, der in der Ära der Entkolonialisierung aufkam, ist längst ausgeträumt und unter der Ausbeutung durch multinationale Konzerne und westliche Banken zerbrochen, die eng mit der enormen Schuldenlast und den vom imperialistisch kontrollierten IWF und der Weltbank auferlegten „Reformen“ verbunden ist.

Die Befreiungsbewegungen in Simbabwe, Tansania, Angola und Mosambik versanken schnell in der Korruption der neuen Eliten und Unterdrückung der Opposition. Die Hoffnungen auf soziale und wirtschaftliche Befreiung, die mit dem Ende der Apartheid in Südafrika verbunden waren, wurden grausam enttäuscht, während die alten weißen Geschäfts- und Grundbesitzeliten geschützt wurden.

Die Unfähigkeit radikaler kleinbürgerlicher Guerillabewegungen und einer „schwarzen Bourgeoisie“, entschieden mit dem Kapitalismus und dem Imperialismus zu brechen, verdammte diese Länder dazu, sich weiterhin dem globalen Imperialismus unterzuordnen. Jetzt ist ein neues Gerangel um Afrika im Gange zwischen den alten Kolonialmächten, vor allem Frankreich und Großbritannien, die von den USA unterstützt werden, und China und Russland; Erstere bieten neue Investitionsquellen in Industrie und Infrastruktur, Letztere Waffenlieferungen und die zynische „Hilfe“ der Wagner-Söldner, die Militärregierungen stützen.

4. Ein Programm von Übergangsforderungen

4.1 Einleitung

Zu lange zerfielen die Programme der Arbeiter:innenparteien in ein Minimalprogramm mit stückweisen Reformen, von denen jede von den Kapitalist:innen wieder weggenommen werden kann, solange sie die Macht im Staate haben, und ein Maximalprogramm – wenn es überhaupt auftaucht –, das zwar das Ziel des Sozialismus formuliert, es aber als eine ferne Utopie darstellt, die von den Erfordernissen der gegenwärtigen Auseinandersetzungen abgekoppelt ist.

Das Programm einer neuen Internationale muss mit diesem gescheiterten Modell brechen. Es muss eine Reihe integrierter Übergangsforderungen aufstellen, die die Losungen und Kampfformen, die zur Abwehr der kapitalistischen Offensive notwendig sind, mit den Methoden verbinden, die wir brauchen, um die bürgerliche Herrschaft zu stürzen, die Arbeiter:innenmacht zu errichten und einen sozialistischen Produktionsplan einzuführen.

Das Übergangsprogramm befasst sich mit den entscheidenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fragen der Zeit, einschließlich der unmittelbaren und demokratischen Forderungen, die vor dem Sturz der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse erfüllt werden können, wie z. B. ein garantierter existenzsichernder Lohn, echte Lohngleichheit für Männer und Frauen, hohe Besteuerung der Reichen und der großen Unternehmen. Gleichzeitig muss darauf hingewiesen werden, dass der Kapitalismus in seiner historischen Krise solche Reformen nur dann zulassen wird, wenn er mit einer realen Bedrohung seiner Macht und seines Eigentums konfrontiert ist. Selbst dann werden die Kapitalist:innen versuchen, ihre Zugeständnisse rückgängig zu machen, sobald die unmittelbare Gefahr vorüber ist oder der Druck des Klassenkampfes nachlässt.

Die Vorstellung, dass wir den Sozialismus auf einem allmählichen und friedlichen Weg von Sozialreformen und Gewerkschaftsverhandlungen erreichen können, ist heute utopischer denn je. Ein Programm für den Sozialismus muss die grundlegenden „Rechte“ der Kapitalist:innen in Frage stellen: das Recht auf Ausbeutung, das Recht, den Profit über den Menschen zu stellen, das Recht, sich auf Kosten der Armen zu bereichern, das Recht, die Umwelt zu zerstören und unseren Kindern eine Zukunft zu verweigern.

Die Schlachten von heute zu gewinnen, heißt, mit Blick auf die Zukunft zu kämpfen. Eine Fünfte Internationale muss daher Forderungen aufstellen und Organisationsformen vorschlagen, die nicht nur den heutigen lebenswichtigen Bedürfnissen entsprechen, sondern auch die Arbeiter:innen so organisieren, dass sie die Macht ergreifen und ausüben können. Die Kombination dieser Elemente ist keine künstliche Übung; diese Elemente sind durch die realen Bedingungen des Klassenkampfes in dieser Periode des kapitalistischen Niedergangs miteinander verbunden.

Um das Tor zur zukünftigen Gesellschaft aufzustoßen, fordert unser Programm die Durchsetzung der Arbeiter:innenkontrolle über die Produktion und ihre Ausweitung auf immer weitere Bereiche, von den Fabriken, Büros, Transportsystemen und Einzelhandelsketten bis hin zu den Banken und Finanzhäusern. Dies bedeutet die Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses, ein Vetorecht der Beschäftigten gegen Entlassungen, die Inspektion und Kontrolle der Produktion durch die Arbeiter:innen, eine automatische Lohnerhöhung bei jedem Preisanstieg zur Bekämpfung der Inflation und die entschädigungslose Verstaatlichung (Enteignung) der entscheidenden Wirtschaftssektoren.

Darüber hinaus erfordert der Kampf um diese Forderungen, um sie den Bossen aufzuzwingen, neue Formen der Organisation, die über die Grenzen der Gewerkschaftsbewegung oder der Parlamentswahlen hinausgehen. Auf jeder Ebene des Kampfes muss die Entscheidungsfindung durch demokratische Versammlungen aller Beteiligten zur Norm werden. Von diesen Versammlungen gewählte und abrufbare Delegierte sollten mit der Umsetzung von Beschlüssen und der Kampfleitung beauftragt werden. Von Streikkomitees, die von der gesamten Belegschaft gewählt werden, bis hin zu Preisüberwachungskomitees, die alle Arbeiter:innen in den Gemeinden umfassen, von Arbeiter::inneninspektionskollektiven, die die Geschäftsunterlagen von Firmen prüfen, bis hin zu Streikpostenverteidigungsverbänden, die die Streikenden schützen, sind solche Organisationen nicht nur notwendig, um die heutigen Klassenauseinandersetzungen zu gewinnen, sondern auch, um die Grundlage für die Kampforganisationen von morgen im Sturm auf die Staatsmacht und dann die zukünftigen Organe des Arbeiter:innenstaates zu bilden.

Arbeiter:innen, die sich heute gegen Sozialabbau und Sparprogramme zur Wehr setzen, können diese Forderungen einzeln und gemeinsam gegen spezifische Angriffe erheben, aber das sozialistische Ziel des Programms wird nur erreicht werden, wenn sie als ein zusammenhängendes System von Losungen für die Umgestaltung der Gesellschaft aufgegriffen und erkämpft werden. Das vollständige Übergangsprogramm ist eine Strategie für die Macht der Arbeiter:innenklasse. Aus diesem Grund sind unsere Forderungen keine passiven Appelle an Regierungen oder Unternehmer:innenschaft, sondern Kampfparolen für die Arbeiter:innenklasse, um die Kapitalist:innen zu stürzen und zu enteignen.

4.2 Gegen die kapitalistische Offensive

Gegen jeden Attacke der Kapitalist:innen auf unseren Lebensstandard ist unsere Politik die der Einheitsfront der Arbeiter:innen: die gemeinsame Aktion aller Kräfte der Arbeiter:innenklasse in jedem Land und über Grenzen und Ozeane hinweg.

4.2.1 Ein existenzsicherndes Einkommen, Arbeit für alle und Kontrolle durch die Arbeiter:innen

  • Im Kampf gegen die Inflation, die die Einkommen der Arbeiterklasse entwertet, setzen wir uns für eine gleitende Lohnskala ein – eine Erhöhung von einem Prozent für jedes Prozent Anstieg der Lebenshaltungskosten. Ein Lebenshaltungskostenindex für Lohnabhängige sollte von Preisüberwachungsausschüssen etabliert werden, die sich aus Delegierten zusammensetzen, gewählt von den Betriebsversammlungen, den Arbeiter:innenorganisationen, den Armensiedlungen und den Organisationen von Frauen, Verbraucher:innen sowie Kleinerzeuger:innen und -händler:innen.

  • In Ländern, die mit Hyperinflation konfrontiert sind, werden eine gleitende Einkommensskala und Preisüberwachungsausschüsse nicht ausreichen. Die Verteilung lebenswichtiger Güter und der Zugang zu Nahrungsmitteln erfordern ein unmittelbares Eingreifen: Arbeiter:innenausschüsse müssen in engster Abstimmung mit den landwirtschaftlichen Erzeuger:innen die Kontrolle über die Nahrungsmittelversorgung übernehmen.

  • Für einen landesweiten Mindestlohn, dessen Höhe von Arbeiter:innenausschüssen festgelegt wird, um ein angemessenes Leben für alle zu gewährleisten. Die Renten müssen an die Inflation angepasst, vom Staat garantiert und dürfen nicht der Gnade der Aktienmärkte überlassen werden.

  • Gegen alle Schließungen und Entlassungen kämpfen wir für Streiks und Besetzungen unter dem Motto: Abbau der Stunden, nicht der Arbeitsplätze! Wir setzen uns für eine gleitende Arbeitszeitskala ein, um den Arbeitstag zu verkürzen und die verfügbare Arbeit zu verteilen, ohne dass die Löhne oder Arbeitsbedingungen verschlechtert werden.

  • Überall auf der Welt berufen sich staatliche und private Unternehmen auf Konkurs, Effizienz und Produktivität, um den Abbau von Arbeitsplätzen zu rechtfertigen. Unsere Antwort: Offenlegung aller Geschäftsunterlagen! Alle Konten, Datenbanken, Finanz-, Steuer- und Managementdaten müssen für die Einsichtnahme durch gewählte Arbeiter:innendelegierte geöffnet und geprüft werden.

  • Jedes Unternehmen, das Entlassungen vornimmt, die Produktion ins Ausland verlagert, gegen Mindestlohn-, Arbeitsschutz- oder Umweltvorschriften verstößt oder Steuern hinterzieht, ist ohne Entschädigung zu verstaatlichen. Die Produktion muss unter Kontrolle und Leitung der Arbeiter:innen fortgesetzt werden!

  • Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten zur Verbesserung der sozialen Dienste, der Gesundheitsfürsorge, des Wohnungswesens, des Verkehrs und der Umwelt unter Kontrolle der Arbeiter:innen und ihrer Gemeinschaften.

  • Nein zu Produktionsausgliederung und -verlagerung in Billiglohnländer. Anstelle der Konkurrenz zwischen Arbeiter:innen verschiedener Nationen um dieselben Arbeitsplätze sollten internationale Zusammenschlüsse von Arbeiter:innen in denselben Unternehmen und Produktionszweigen gebildet werden, um eine Angleichung der Löhne und Arbeitsbedingungen auf Höchststandard zu erstreiten. Tarifverträge und gesetzliche Rechte müssen auch für die Beschäftigten von Zulieferbetrieben gelten.

  • Für sichere Arbeitsplätze: Ablehnung aller Formen von unsicheren, informellen, prekären und Null-Stunden-Arbeitsverhältnissen. Alle Arbeiter:innen sollen mit unbefristeten Verträgen und garantierten Arbeitszeiten beschäftigt werden. Löhne und Arbeitsbedingungen müssen durch Tarifverträge geregelt werden, die von Gewerkschaften und betrieblichen Vertreter:innen kontrolliert werden.

  • Bekämpfung der Intensivierung der Arbeit durch Beschleunigung und „Effizienzsteigerungen“, die lediglich Maßnahmen zur Intensivierung der Ausbeutung und Steigerung der Profite sind und unsere Gesundheit, Sicherheit und unser Leben gefährden.

  • Gegen „Mitbestimmung“, „Sozialpartner:innenschaft“ oder andere Formen der Klassenzusammenarbeit, bei denen die Gewerkschaften die Politik der Kapitalist:innen verwalten, kämpfen wir für die Kontrolle durch die Arbeiter:innen. Das bedeutet das Recht auf ein Veto gegen Managemententscheidungen über Beschäftigung, Produktion, Einführung und Anwendung von Technologie.

4.2.2 Für universelle öffentliche Dienstleistungen und soziale Sicherheit

Die erbarmungslose Reihe von zynisch als „Reformen“ bezeichneten Einschränkungen öffentlicher Dienstleistungen sind nichts anderes als Sparprogramme, mit denen die Kosten für den Niedergang der öffentlichen Dienstleistungen von den Reichen auf die Arbeiter:innenklasse abgewälzt werden sollen. Lebenswichtige Dienstleistungen und Ressourcen, von Wasser und Energie bis hin zu Gesundheit und Bildung, die über Generationen aus Steuerbeiträgen und Arbeit der Arbeiter:innenklasse und Mittelschichten bezahlt wurden, sind zu Schleuderpreisen an Kapitalist:innen weitergereicht worden, die sie für ihren privaten Profit ausbeuten, nicht für den öffentlichen Bedarf. Die Milliardär:innen, die einmal von unserer Arbeit profitieren, wollen zweifach auch noch aus unserer Kindheit, unserem Alter und unserer Gesundheit Profit scheffeln. Gleichzeitig besitzen sie die Frechheit zu fordern, dass Sozialhilfe und Renten gekürzt werden, um „Eigenverantwortung zu fördern“ und „die Kultur der Abhängigkeit zu verringern“!

Als Reaktion auf die schamlose Ausplünderung des öffentlichen Vermögens durch private Spekulant:innen fordern wir:

  • Keine einzige Kürzung, keine einzige Privatisierung mehr! Verstaatlichung der wesentlichen Infrastrukturen –Wasser, Energie, Verkehr und Kommunikation – ohne Entschädigung. Beendigung aller öffentlich-privaten Partner:innenschaften und Privatinvestor:innenförderungsprogramme.

  • Verstaatlichung und Ausweitung der besten Bildungs-, Gesundheits-, Wohlfahrts- und Sozialfürsorgesysteme auf die Milliarden von Menschen, die überhaupt nicht versorgt sind. Bildung, Gesundheit und Sozialfürsorge sollten der Kontrolle von Arbeiter:innen und Nutzer:innen unterstehen und für alle kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

  • Das Rentenalter sollte schrittweise gesenkt und nicht erhöht werden. Anhebung der Renten auf ein existenzsicherndes Minimum und Deckung auf allgemeingesellschaftlicher Grundlage, (also unter Einbezug der Reichen). Die privaten Rentensysteme sollten verstaatlicht und zu einer einzigen staatlich garantierten Rente zusammengefasst werden.

  • Öffentliche Dienstleistungen, die am Ort der Erbringung kostenlos sind und aus progressiven Steuern oder Versicherungen bezahlt werden, sind ein wichtiges Mittel, um einen Mindeststandard und einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und sozialer Sicherheit für Arbeiter:innen und Arme zu gewährleisten. Öffentliches Eigentum ist jedoch kein Sozialismus. Verstaatlichte Unternehmen und Dienstleistungen kaufen Vorleistungen von Kapitalist:innen, entschädigen frühere Eigentümer:innen, konkurrieren mit Privateigentümer:innen, wenden kapitalistische Managementtechniken an und arbeiten unter der ständigen Bedrohung durch Kürzungen und Privatisierung. Sie können der Zwangsjacke des Profitsystems nie entkommen. Die Arbeiter:innen müssen lernen, die kapitalistische Verstaatlichung von der Vergesellschaftung und Enteignung durch die Arbeiter:innenklasse zu unterscheiden, die dazu dient, die Bosse endgültig zu entmachten. Nur so können Dienstleistungen höchster Qualität von der Wiege bis zur Bahre geplant und erbracht werden, um die Not zu beseitigen und Gleichheit herzustellen.

  • In jedem Fall müssen die Arbeiter:innen- und Nutzer:innenorganisationen die Interessen der Arbeiter:innenklasse gegen die Besitzenden durchsetzen, indem sie sich gegen Rettungsaktionen wenden, die bankrotte Kapitalist:innen auf Kosten der Steuerzahler:innen schonen. Wir sagen: Vergesellschaftung der Vermögenswerte, nicht der Verluste! Die Verstaatlichung unter Arbeiter:innen- und Nutzer:innenkontrolle ist notwendig, um zu verhindern, dass die Regierungen die Verluste übernehmen und die profitablen Vermögenswerte reprivatisieren.

4.2.3 Enteignung des Vermögens der Reichen

Zwischen 2016 und 2022 ist die Zahl der Milliardär:innen von 1810 auf 2668 gestiegen. Damit eine winzige Minderheit in unvorstellbarem Luxus leben kann, müssen Milliarden in unbeschreiblicher Armut existieren. Die Investitionsentscheidungen dieser Finanziers und Industriellen können ganze Länder in die Knie zwingen. Neben den Milliardär:innen leben Hunderttausende von Multimillionär:innen in schamlosem Luxus auf unsere Kosten, während 852 Millionen Menschen hungern und täglich mehr als 1.000 Kinder an den Folgen des Hungers sterben.

Diese Schmarotzerschicht lehnt jeden Versuch, ihren Reichtum zu besteuern und umzuverteilen, vehement ab. Sie versteckt ihr Geld in Steuerparadiesen und manipuliert ihre Staatsbürger:innenschaft und ihren Aufenthaltsstatus, um die Zahlung von Steuern zu vermeiden. Sie führt eine unaufhörliche Kampagne, damit die Arbeiter:innenklasse den Großteil der Steuerlast trägt, indem die indirekten Steuern auf Grundgüter wie Kraftstoff und Lebensmittel erhöht und die Steuern auf Unternehmen und Vermögen gesenkt werden.

Der Reichtum der Kapitalist:innen, der Finanziers und Industriellen stammt letztlich aus der Arbeit der Arbeiter:innen, Bauern, Bäuerinnen und Armen. Wir sagen:

  • Finanzierung eines massiven Ausbaus der öffentlichen Dienste und von Programmen zur Beseitigung der Armut durch Enteignung des Privatvermögens der Reichen. Abschaffung aller indirekten Steuern und Zerschlagung der Steuerhinterziehungsindustrie durch Schließung von steuerfreien Oasen, Verstaatlichung der vier großen Wirtschaftsprüfungskonzerne.

4.2.4 Für einen Plan der Arbeiter:innen zu internationaler Produktion und Entwicklung

Anstelle eines Flickenteppichs aus staatlichem und privatem Eigentum, das nur durch die Anarchie des Marktes verbunden ist, erfordert die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschheit und der Natur einen demokratischen Produktionsplan, mittels dessen die Ressourcen der Welt, einschließlich der menschlichen Arbeitskraft, rational verteilt werden, entsprechend dem Willen der Menschen, die arbeiten, um alles zu produzieren, zu verteilen und zu bedienen. Nur wenn wir die Anarchie des Marktes durch die bewusste Planung einer Weltwirtschaft unter Gemeineigentum ersetzen, werden wir in der Lage sein, die Produktion zur Grundlage kollektiven Wohlstands anstelle der privaten Akkumulation zu machen. In jedem Fall verbinden revolutionäre Kommunist:innen den Kampf für die Enteignung dieses oder jenes Industriezweigs mit der Notwendigkeit, die Kapitalist:innenklasse als Ganzes zu expropriieren. Denn, wie Leo Trotzki es ausdrückte, wird das Staatseigentum nur dann zu günstigen Ergebnissen führen, „wenn die Staatsmacht selbst vollständig aus den Händen der Ausbeuter:innen in die Hände der Werktätigen übergeht“.

Genauso wie die großen Monopole der Welt ihre Produktions- und Vertriebssysteme international planen müssen, muss dies auch eine sozialisierte Wirtschaft tun. Sozialistische Planung bedeutet jedoch, die Wirtschaft nach einem Plan unter demokratischer Kontrolle der Produzent:innen und Verbraucher:innen zu führen und entfalten; sie ist nicht die Herrschaft einer privilegierten Bürokratie, wie sie sich mit der Degeneration des ersten Arbeiter:innenstaates der Welt entwickelte und nach 1945 in anderen Staaten nachgeahmt wurde. Die Existenz einer Weltwirtschaft setzt eine internationale Planung voraus; die „Theorie“ des Sozialismus in einem Land ist eine Illusion. Die sozialistische Planung muss sich weltweit ausbreiten und den kapitalistischen Handel durch den internationalen Austausch von Produkten, Ressourcen und Arbeit ersetzen, um alle Länder und Völker auf das optimale Niveau der sozialen Entwicklung zu bringen. Eine internationale Planwirtschaft ist das zentrale Instrument nicht nur zur Beseitigung von Armut und Ungleichheit, sondern auch zur Verhinderung und Umkehrung der Klimakatastrophe.

Das einzige internationale Planungssystem, das der Kapitalismus vorweisen kann, ist das der imperialistisch dominierten Finanzinstitutionen – IWF, WTO und Weltbank. Die betrügerische Behauptung, sie würden die Schulden der imperialisierten Länder lindern und echte Entwicklungsziele verfolgen, wurde durch die Massenmobilisierungen der antikapitalistischen Bewegung von Seattle 1999 bis Genua 2001 entlarvt. Die darauf folgenden Welt- und Kontinentalsozialforen von 2002 bis 2006 haben ein wichtiges Vermächtnis hinterlassen, nämlich ein globales Bewusstsein für die gemeinsamen Interessen und Kämpfe der Arbeiter:innen, Jugendlichen, Bauern, Bäuerinnen und indigenen Völker des globalen Nordens und Südens.

Die leeren Versprechen der Globalisierungsinstitutionen, ein „neues Paradigma“ für eine krisenfreie Welt zu schaffen, sind mit dem Crash 2008 endgültig geplatzt. Die Aufgabe von Entwicklungszielen und Kürzung der Entwicklungshilfehaushalte beschleunigten den Rückzug jener Nichtregierungsorganisationen (NGOs) von der politischen Bühne, die mit der Illusion hausieren gegangen waren, dass sich diese Ausbeutungsinstrumente irgendwie reformieren ließen oder verschwinden würden. Als der Vorwand der Krisenbekämpfung den Sparprogrammen wich, griffen der IWF und seine Helfershelfer:innen wieder an. Jetzt stehen wir vor der Aufgabe, neue Bewegungen aufzubauen, die in der Arbeiter:innenklasse und der Bauern- und Bäuerinnenschaft verwurzelt sind und sich weder in die Institutionen der „liberalen Weltordnung“ noch in NGOs, staatliche „Hilfsprogramme“ oder milliardenschwere Wohltätigkeitsorganisationen Illusionen machen. Stattdessen müssen sie ein Programm vorantreiben, das auf der Zerschlagung der imperialistischen Institutionen, der Enteignung der Banken und Konzerne unter Arbeiter:innenkontrolle und der Umverteilung des Bodens an diejenigen, die ihn bearbeiten, beruht.

  • Unmittelbar bedeutet dies den bedingungslosen und vollständigen Erlass der Schulden aller halbkolonialen Länder, verbunden mit Maßnahmen, die die imperialistischen Mächte zwingen, die halbkoloniale Welt für die Ausplünderung ihrer natürlichen und menschlichen Ressourcen zu entschädigen. Das Eigentum und die Kontrolle über die Geschäfte der multinationalen Konzerne müssen an die Arbeiter:innen übergehen, die ihren Reichtum produzieren.

  • Beendigung des Protektionismus gegen die Produkte des globalen Südens. Schafft NAFTA (nordamerikanisches Freihandelsabkommen), die Gemeinsame Agrarpolitik und andere protektionistische Waffen der imperialistischen Staaten ab. Wir unterstützen jedoch das Recht der halbkolonialen Länder, ihre Märkte gegen Billigimporte aus imperialistischen Ländern zu verteidigen.

  • Abschaffung des IWF, der WTO, der Weltbank und aller Sonderwirtschaftszonen.

  • Verstaatlichung der Aktienmärkte. Entschädigungslose Enteignung der Großindustrie unter Arbeiter:innenkontrolle. Verstaatlichung und Fusion der Banken zu einer einzigen nationalen Bank unter Arbeiter:innenkontrolle.

4.3 Gegen Militarismus und Krieg

Als wichtigste Veränderung der Bedingungen, mit denen die Arbeiter:innenklasse seit 2008 konfrontiert ist, erweist sich das Entstehen von zwei neuen imperialistischen Großmächten, die möglicherweise einen strategischen Militärblock miteinander bilden, um die Vorherrschaft der USA und ihrer untergeordneten Verbündeten in Europa und Asien herauszufordern. Dies stellt die alten Weltanschauungen der Arbeiter:innenparteien und linkspopulistischen Bewegungen des globalen Nordens und Südens ernsthaft auf die Probe, die aus den vierzig Jahren des ersten Kalten Krieges stammen.

Die Sozialdemokratie und die Arbeiter:innenbewegung unterstützten weitgehend die „demokratischen“ Imperialismen gegen die „autoritären“ Regime (Russland, China usw.) und betrachteten den „Westen“ als eine fortschrittliche Kraft, die sie entweder an der Regierung oder in der Opposition unterstützen sollten, unabhängig von ihrem sozialen Charakter. Der linke Flügel dieser Parteien lehnte jedoch die kolonialen und halbkolonialen Kriege und Unterdrückungen ab, bezog Stellung aufseiten der blockfreien Länder im Kalten Krieg und beteiligte sich auch an Friedens- und antiimperialistischen Bewegungen.

Die stalinistischen kommunistischen Parteien hingegen unterstützten nicht nur die degenerierten Arbeiter:innenstaaten gegen die imperialistischen Mächte, sondern entschuldigten deren Diktatur über die Arbeiter:innenklasse und in vielen Fällen ihre brutale Repression (Ungarn, Tschechoslowakei, Polen, Tian’anmen). Sie traten auch für antiimperialistische Bewegungen und Befreiungskriege wie in Vietnam und Kuba ein. Obwohl die sehr deutliche und fast unbestreitbare Restauration des Kapitalismus in Russland dazu geführt hat, dass nur wenige KP-Anhänger:innen Putin unterstützen, ist dies in Bezug auf China nicht der Fall. Die meisten, die immer noch den Stalinismus als Hauptströmung des Sozialismus und Kommunismus ansehen, betrachten daher die USA/NATO als „die“ imperialistische Kraft schlechthin und jede/n, der/die sich ihr entgegenstellt, als das kleinere Übel.

In einer Zeit, in der sich der Konflikt zwischen Russland und China auf der einen und dem Westen auf der anderen Seite entwickelt, neigt die stalinistische und linkssozialistische Linke dazu, sich auf die Seite der Erstgenannten zu stellen oder zumindest nicht gegen sie zu opponieren, während die der Mehrheit aus sozialdemokratischen und Labourtraditionen die Letzteren unterstützen. Eine wirklich revolutionäre Position, die von den beiden rivalisierenden imperialistischen Lagern unabhängig ist, verfolgt jedoch die von Lenin im Ersten Weltkrieg vertretene und von Trotzki im Zweiten Weltkrieg wiederholte Haltung gegenüber allen imperialistischen Ländern. Für sie war der Unterschied des politischen Regimes (Demokratie/Autokratie) nicht entscheidend. Was zählte, war ihr gemeinsamer Charakter als Ausplünderer und Unterdrücker kleinerer, schwächerer Nationen, die entweder ihre Kolonien oder Halbkolonien waren oder werden sollten.

Es waren und sind nur diese unterdrückten Nationen, die die Arbeiter:innenklasse verteidigen sollte, unabhängig vom Charakter ihrer politischen Regime. Das Ziel besteht nicht nur darin, die imperialistischen Herrscher:innen im In- und Ausland zu schwächen, sondern der Arbeiter:innenklasse der Länder, die von den imperialistischen Mächten blockiert, angegriffen oder unterdrückt werden, zu helfen, sich an die Spitze des nationalen Befreiungskampfes zu setzen und die Macht zu übernehmen (Strategie der permanenten Revolution).

In den Kriegen zwischen den imperialistischen Mächten hingegen war und ist die Position der Revolutionär:innen, dass „der/die Hauptfeind:in im eigenen Land steht“ und dass die Revolutionär:innen in allen reaktionären Kriegen die Niederlage der Kriegführenden wünschen müssen, eine Niederlage, die dadurch erreicht wird, dass ihr Krieg in einen Bürger:innenkrieg, d. h. eine Revolution, umgewandelt wird.

Unter den heutigen Bedingungen eines intensiven zwischenimperialistischen Konflikts ist es wahrscheinlich, dass jeder halbkoloniale Widerstand gegen eine/n imperialistische/n Unterdrücker:in von seinen/ihren imperialistischen Rival:innen ausgenutzt werden wird. Solange eine solche Intervention ein untergeordneter Faktor bleibt, wird sie den Charakter des Krieges nicht ändern, und die internationale Arbeiter:innenklasse muss die unterdrückte Nation unterstützen, ungeachtet des Charakters ihrer Führung oder angegriffenen Regimes.

Aber wie wir im Fall des Krieges um die Ukraine sehen können, kann ein solcher zum Mittelpunkt des aktuellen Kampfes um die Neuaufteilung der Welt werden. Obwohl die NATO nicht offiziell in den Krieg verwickelt ist, hat sich der zwischenimperialistische Konflikt zwischen Russland und den westlichen Mächten als entscheidender Faktor in diesem Krieg entpuppt, wobei die westlichen Imperialist:innen Wirtschaftssanktionen von historischem Ausmaß gegen Russland verhängen und die Ukraine als Stellvertreterin bewaffnen und ausbilden.

Der Krieg um die Ukraine hat daher einen kombinierten Charakter angenommen. Auf der einen Seite gibt es den neuen Kalten Krieg zwischen den westlichen imperialistischen Mächten und auf der Gegenseite Russland (und seinem Unterstützer China), der auf dem Terrain der Ukraine ausgetragen wird. Auf der anderen Seite bedeutet dies jedoch nicht, dass die Selbstverteidigung des ukrainischen Volkes, auch wenn sie von einer reaktionären bürgerlichen und prowestlichen Regierung geführt wird, bisher zu einem untergeordneten Faktor geworden ist. Deshalb muss die Arbeiter:innenklasse weltweit das Recht der Ukrainer:innen auf Widerstand gegen die russische Invasion anerkennen und sich die dafür notwendigen Mittel aneignen. Gleichzeitig darf die nationalistische, prowestliche Selenskyj-Regierung keine politische Unterstützung erhalten. Ihre Bestrebungen, der NATO beizutreten oder ihre Wirtschaft der EU unterzuordnen sowie ein Regime auf der Krim zu errichten, deren Bevölkerung eindeutig nicht Teil der Ukraine sein will, müssen verurteilt werden.

In Russland müssen die Revolutionär:innen eine Politik des revolutionären Defätismus verfolgen und dafür kämpfen, Putins reaktionären Krieg in einen Klassenkrieg zu verwandeln, um sein Regime zu stürzen. In den NATO-Ländern müssen sie sich jeder westlichen Intervention widersetzen. Sie müssen sich den Kriegszielen der NATO, ihren Sanktionsmethoden, ihrer großen Aufrüstung und ihrer Ausdehnung auf bisher neutrale Staaten entgegenstellen. Es ist notwendig, sich gegen all diese Maßnahmen im Rahmen der Konfrontationspolitik des westlichen imperialistischen Blocks gegenüber dem russischen (und chinesischen) Imperialismus aufzulehnen. Dieser Beginn eines neuen Kalten Krieges bringt die Menschheit näher an einen Dritten Weltkrieg, der leicht ihr letzter sein könnte. Die gleichen Prinzipien würden gelten, wenn China in Taiwan einmarschierte. Xi Jinping und die parteiübergreifenden Kräfte im US-Kongress bewegen sich in diese Richtung. Es ist von entscheidender Bedeutung, sich dafür zu engagieren, dass die Arbeiter:innenbewegungen und antiimperialistischen Kräfte auf der ganzen Welt nicht in ein imperialistisches Lager eintreten.

Der Rüstungswettlauf und die zunehmende Stationierung von Kampftruppen, Militärstützpunkten und Flottillen auf der ganzen Welt sowie die Anheizung der Gegensätze durch eine Reihe von Stellvertreter:innenkriegen können bekämpft werden, wenn es eine Millionenbewegung gibt, wie sie dem katastrophalen Irakkrieg entgegenzutreten versuchte, aber mit größerem Durchhaltevermögen und größerer Bereitschaft, alles zu tun, um die Kriegstreiber:innen von der Macht zu vertreiben. Vor allem aber bedarf es einer Bewegung mit einer qualitativ besseren, d. h. revolutionären Führung. Eine solche Bewegung muss international sein, ja sie muss eine Internationale werden.

Wenn die Arbeiter:innenklasse es unwidersprochen lässt, dass unsere Herrscher:innen Sanktionen verhängen, die zu Hunger und Inflation, zu neuen Rüstungswettläufen, die die für die Gesundheit, die Bildung, die Abwendung von Klimakatastrophen benötigten Ressourcen verbrauchen und zu zerstörerischen Kriegen führen, dann ist es unser Schicksal, deren Opfer zu sein und gegeneinander aufgehetzt zu werden. Deshalb hat die Arbeiter:innenklasse, wie Karl Marx 1864 in der Gründungserklärung der Ersten Internationale schrieb, „die Pflicht, sich die Geheimnisse der internationalen Politik anzueignen, die diplomatischen Handlungen ihrer jeweiligen Regierungen zu beobachten und ihnen, wenn nötig, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzuwirken“.

Die große Antikriegsmobilisierung von 2003, die 20 Millionen Menschen in jeder größeren Stadt der Welt auf die Straße brachte, zeigte die potenzielle Kraft einer internationalen Koordination. Das Scheitern der vom Europäischen und Weltsozialforum initiierten Bewegung war darauf zurückzuführen, dass die Organisator:innen dieser Demonstrationen nicht willens und in der Lage waren, weitere Massenaktionen, einschließlich Generalstreiks und Meutereien, zu organisieren, um die Bewegung zu stoppen oder die Mobilisierungen in Revolutionen zu verwandeln. Daraus ergab sich die Notwendigkeit einer disziplinierteren Organisation mit entschlosseneren Zielen, einer Fünften Internationale.

Im Kapitalismus haben die Arbeiter:innen kein Vaterland. In den imperialistischen Ländern kann die Arbeiter:innenbewegung niemals die „nationale Verteidigung“ unterstützen und muss immer die Niederlage ihrer Herrscher:innen anstreben, sei es in den kolonialen Besatzungskriegen im Irak und in Afghanistan oder in jedem Zusammenstoß mit rivalisierenden imperialistischen Staaten wie Russland oder China. Es ist die Pflicht der Revolutionär:innen, den Krieg zu nutzen, wie es die Zweite Internationale 1907 beschlossen hatte, um das System zu stürzen.

In halbkolonialen Ländern ist es notwendig, die Nation gegen jeden Angriff einer imperialistischen Macht oder einer/s ihrer lokalen Stellvertreter:innen oder „Gendarm:innen“ zu verteidigen. Gleichzeitig unterstützen die Revolutionär:innen nicht die Kriegsführung der Bourgeoisie. Indem sie für eine Einheitsfront aller nationalen Kräfte gegen den Imperialismus kämpfen, die Schwäche, das Zaudern und die Zaghaftigkeit der besitzenden Klassen im antiimperialistischen Konflikt entlarven, streben Revolutionär:innen danach, unabhängige Kräfte der Arbeiter:innenklasse an die Spitze des Kampfes zu bringen, um die Nation vom Imperialismus zu befreien und den Weg zum Sozialismus zu bahnen. In geschwistermörderischen Auseinandersetzungen zwischen Halbkolonien um Territorien oder Ressourcen stellt die Niederlage des „eigenen“ Landes ein geringeres Übel dar als die Aussetzung des Klassenkampfes im eigenen Land; der Krieg muss in einen Aufstand für die Macht der Arbeiter:innenklasse und den Frieden verwandelt werden.

Die imperialistischen Großmächte USA, Großbritannien, China und die EU-Staaten geben Hunderte von Milliarden für ihre Kriegsmaschinerie aus. Sie geben heute vor, im humanitären Interesse zu handeln, aber das ist eine Tarnung für ihr eigentliches Ziel, nämlich die Durchsetzung und Aufrechterhaltung ihrer militärischen Vorherrschaft in der Welt. Auch in ärmeren Ländern werden riesige Teile des Staatshaushalts für die Armee aufgewandt. In Ländern wie Pakistan und der Türkei versucht das Militär, selbst eine direkte politische Rolle zu spielen.

  • Nein zu imperialistischen Kriegen, Sanktionen und Blockaden. Nieder mit allen imperialistischen Besatzungen wie der russischen in der Ukraine und zuvor in Tschetschenien, der Besatzung Afghanistans und des Irak durch die NATO-Mächte, der Besatzung Palästinas durch den zionistischen Staat, der US-Blockade Kubas, des Iran, Nordkoreas und Venezuelas. Wir stärken den Widerstand gegen all diese Besatzungen und Blockaden.

  • Für die Schließung aller imperialistischen Militärbasen auf der ganzen Welt! Nein zu den Militärinterventionen der USA, der EU und anderer imperialistischer Staaten.

  • Für die Auflösung aller imperialistisch dominierten Militärbündnisse wie NATO, CSTO (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit; OVKS; Bündnis Russlands mit Zerfallsprodukten der ehemaligen Sowjetunion), AUKUS usw.

  • Keinen Pfennig und keinen Menschen für eine kapitalistische Armee, sei es eine Berufs- oder eine Wehrpflichtarmee. Die Arbeiter:innenvertretungen im Parlament müssen sich allen Militärausgaben der kapitalistischen Regierungen widersetzen.

  • Militärische Ausbildung für alle unter Kontrolle der Arbeiter:innenbewegung.

  • Für volle bürgerliche und politische Rechte für Soldat:innen einschließlich Marine- und Luftwaffenangehörigen, die Einrichtung von Ausschüssen und Gewerkschaften in den Lagern und Kasernen und die Wahl von Offizier:innen. Verteidigt alle, die sich dem Befehl widersetzen, Zivilist:innen anzugreifen, zu vergewaltigen, zu foltern usw.!

  • In allen imperialistischen Kriegen oder Kriegen der Ausplünderung und Unterdrückung von nationalen Minderheiten (z. B. der kurdischen in der Türkei, der tamilischen in Sri Lanka, der Rohingya in Myanmar) befindet sich der/die Hauptfeind:in der Arbeiter:innenklasse im eigenen Land. Für die Niederlage der herrschenden Klassen, für den Sieg des Widerstands.

4.4 Kampf gegen die Klimakatastrophe

Klimawandel und Umweltzerstörung können nur eingedämmt und rückgängig gemacht werden, wenn die Kontrolle über die Produktion aus den Händen der großen Kapitalformationen genommen wird, die die Menschheit an den Rand der Katastrophe gebracht haben. In den letzten Jahrzehnten hat sich ein starker Widerstand gegen die Umweltzerstörung und Bedrohung durch den Klimawandel entwickelt, der von lokalen Initiativen gegen bestimmte Großprojekte über große Bewegungen gegen umweltschädigende Politik und Widerstand in Halbkolonien bis hin zu Umweltbewegungen in den imperialistischen Zentren reicht.

In Europa war es die Jugend, die mit weltweiten Student:innen- und Schulstreiks und direkten Aktionen die Vorreiter:innenrolle übernommen hat. Die Arbeiter:innenbewegung, die zurückgeblieben ist, muss sich mit ihnen verbinden und ihre Aktionen und Kampagnen unterstützen und ausweiten, ohne zu versuchen, ihren kämpferischen Geist zu unterdrücken. Gleichzeitig muss sie die reformistische oder bürgerliche Ausrichtung der Führungen der Klimabewegung, wie die bürokratische von Fridays for Future, in Frage stellen und sich für eine Ausrichtung der Bewegung auf die Arbeiter:innenklasse starkmachen.

In bestimmten Bereichen konnte das bisher ungehemmte Handeln von Großkonzernen und ihren Helfer:innen in Umweltfragen gebremst werden. Es ist notwendig, diese Erfolge auf die soziale Kontrolle der sozialökologischen Auswirkungen wirtschaftlicher Entscheidungen auszuweiten. Es müssen demokratische Kontrollgremien aus Arbeiter:innen, Verbraucher:innen, Betroffenen von Großprojekten, jungen Menschen, die um ihre Zukunft ringen, etc. gebildet werden, die über Projekte, Risikostufen, Grenzwerte, ökologische Maßnahmen etc. entscheiden. Das Kapital muss systematisch mit einer sozialen Kontrolle hinsichtlich der sozialökologischen Auswirkungen seines Handelns konfrontiert werden.

Letztlich wird nur die sozialistische Revolution das System des Umweltimperialismus überwinden und die geplante optimale Nutzung der Ressourcen unter Kontrolle der Mehrheit weltweit ermöglichen. Jedes Programm im Kampf gegen den Imperialismus muss, ausgehend von den betroffenen Menschen und den globalen Interessen der Arbeiter:innenklasse, zentral auch Forderungen für den Kampf gegen den globalen ökologischen Raubbau, insbesondere auf Kosten der Halbkolonien, entwickeln.

Die folgenden Forderungen richten sich nicht nur an die staatliche und Umweltpolitik über bestimmte Landesgrenzen hinweg, sondern sind dergestalt, dass sie nur von einer internationalen Bewegung umgesetzt werden können, die die zuvor beschriebene Form der demokratisch legitimierten gesellschaftlichen Kontrolle über die hier geforderten Maßnahmen durchführt.

  • Für einen Notfallplan zur Umstrukturierung der Energie- und Verkehrssysteme – für eine Perspektive zur Beendigung des weltweiten Verbrauchs fossiler Brennstoffe!

  • Die großen Konzerne und imperialistischen Staaten wie die USA und EU müssen Reparationszahlungen für die Umweltzerstörung leisten, die sie im Rest der Welt verursacht haben, um den halbkolonialen Ländern zu helfen, den notwendigen ökologischen Wandel zu vollziehen.

  • Für einen Plan zum Ausstieg aus der fossilen und nuklearen Energieerzeugung. Für massive Investitionen in erneuerbare Energieformen wie Wind-, Wasser- und Sonnenenergie sowie in geeignete Speichertechnologien.

  • Für ein großes globales Programm zur Wiederaufforstung zerstörter Wälder bei gleichzeitigem Schutz der bestehenden naturnahen Ökosysteme der indigenen Völker!

  • Für die Unterstützung der Kämpfe der indigenen Völker und von der Umweltzerstörung bedrohten Bevölkerungsgruppen! Für ihren Schutz und ihr Recht auf Selbstbestimmung.

  • Für ein globales Programm zum Schutz der Wasserressourcen. Für massive Investitionen in die Trinkwasserversorgung und Abwasserreinigung!

  • Für ein globales Programm zur Ressourcenschonung, Abfallvermeidung und -bewirtschaftung.

  • Für die Umstellung der Landwirtschaft auf nachhaltige Anbaumethoden. Für die Enteignung von Großgrundbesitz und die Verteilung von Land an die Menschen, die es bewirtschaften (wollen).

  • Für tiergerechte Haltungsbedingungen in allen Betrieben! Für die Intensivierung der Forschung zu nachhaltigen Anbausystemen unter Kontrolle der Bauern, Bäuerinnen und Arbeiter:innen! Wo nötig, verpflichtende Anwendung ökologisch nachhaltiger Anbaumethoden wie des ökologischen Landbaus, unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Ernährungssicherung.

  • Der Konsum von tierischen Produkten (vor allem Fleisch) muss drastisch reduziert werden, einschließlich der Abschaffung von Subventionen, die den großen Viehzüchter:innen zugutekommen, aber gleichzeitig die Kleinbauern und -bäuerinnen nicht ruinieren. Auf Grundlage der Enteignung der großen Agrarkonzerne kann die Nahrungsmittelproduktion durch einen von der ländlichen und städtischen Arbeiter:innenklasse demokratisch erarbeiteten gesamtgesellschaftlichen Plan neu ausgerichtet werden, der den Ernährungsbedürfnissen der Menschen entspricht und dabei die Auswirkungen des Klimawandels bekämpft.

  • Kostenlose öffentliche Verkehrsmittel für alle und massive Investitionen in öffentliche Verkehrssysteme! Umstellung des Verkehrssystems auf den Schienenverkehr, sowohl für die Personen- als auch für die Güterbeförderung. Gleichzeitig massive Reduzierung des PKW-, LKW- und Flugverkehrs!

Abschaffung der Geschäftsgeheimnisse! Abschaffung des Patentschutzes! Zusammenführung dieses Wissens, um nachhaltige Alternativen zu bestehenden Technologien zu schaffen. Echte Hilfestellung für weniger entwickelte Länder durch Technologietransfer!

  • Verstaatlichung aller Umweltressourcen wie Böden, Wälder und Gewässer.

  • Verstaatlichung aller Energiekonzerne und Unternehmen mit Monopolen auf grundlegende Güter wie die Wasserwirtschaft, Agrarindustrie sowie alle Fluggesellschaften, Schifffahrts- und Eisenbahnunternehmen unter Arbeiter:innenkontrolle!

  • Für eine restriktive Politik gegenüber chemischen Produkten nach dem Vorsorgeprinzip! Für ein Verbot von Chemikalien, die nachweislich oder wahrscheinlich gesundheits- und/oder umweltgefährdend sind wie z. B. Glyphosat! Grenzwerte bzw. Gefahrenstufen für den Einsatz von Chemikalien müssen durch Organe der demokratisch legitimierten gesellschaftlichen Kontrolle festgelegt werden.

4.4.1 Die Stadt umgestalten

Mehr als die Hälfte der Menschheit lebt heute in Städten, aber die meisten von ihnen in Barackensiedlungen und Elendsvierteln ohne angemessene Straßen, Beleuchtung, sauberes Trinkwasser oder Abwasser- und Abfallentsorgung. Ihre nicht tragfähigen Strukturen werden von Erdbeben, Wirbelstürmen, Überschwemmungen und Tsunamis weggefegt, wie wir in Indonesien, Bangladesch, New Orleans und Haiti gesehen haben. Hunderttausende sterben nicht nur durch diese „natürlichen“ Ereignisse, sondern auch durch die verarmte menschliche Infrastruktur. Die Menschen strömen in die Städte, weil Kapitalismus, Großgrundbesitz und Agrarindustrie nicht in der Lage sind, den Lebensunterhalt auf dem Lande zu sichern.

Nur wenige Bewohner:innen dieser Quartiere haben einen festen oder sicheren Arbeitsplatz. Für ihre Kinder gibt es keine Kindergärten, Kliniken oder Schulen. Die Menschen werden von kriminellen Banden, Drogenhändler:innen und der Polizei gleichermaßen schikaniert und erpresst. Frauen und Jugendliche werden in die Prostitution, sexuelle Sklaverei oder in die Halbsklaverei in gefährlichen und gesundheitsschädlichen Klitschen getrieben. Tatsächliche Sklaverei und Menschenhandel sind wieder im Kommen. Dies ist ein weiteres Phänomen, das nach Abschaffung des Kapitalismus schreit. Diese zunehmende Anhäufung menschlichen Elends muss ein Ende haben!

Dies kann nicht mit der spärlichen Hilfe der reichen Länder, den Millenniumszielen, NGOs oder den von Kirchen, Moscheen und Tempeln betriebenen Wohltätigkeitsorganisationen erreicht werden. Auch Selbsthilfe- oder Kleinstkreditprogramme können so große Probleme nicht lösen. Die Bevölkerung in den Barrios, Favelas und Townships kann, wie sie bewiesen hat, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Durch Massenmobilisierung in Venezuela, Bolivien und Südafrika haben die Bewohner:innen der Barackensiedlungen bedeutende Reformen durchgesetzt. Aber nur durch eine soziale Revolution, im Bündnis mit der Arbeiter:innenklasse, können sie den repressiven Staat und die ausbeuterische Ökonomie der Kapitalist:innen zerschlagen und an ihrer Stelle eine Gesellschaft errichten, die auf Komitees und Räten der Arbeiter:innen und Armen beruht, als Instrument für die vollständige Umgestaltung der Städte.

  • Für Wohnungen, Licht und Strom, Abwasser- und Abfallentsorgung, Krankenhäuser und Schulen, Straßen und öffentliche Verkehrsmittel für die Bewohner:innen der riesigen und schnell wachsenden Armutsviertel, die alle großen Städte der „Entwicklungsländer“ von Manila und Karatschi bis Mumbai, Mexiko-Stadt und Sao Paulo umgeben.

  • Für ein Programm öffentlicher Arbeiten unter Kontrolle der Arbeiter:innen und Armen. Für einen kostenlosen öffentlichen Nah- und Pendler:innenverkehr für die Arbeiter:innen!

  • Für massive Investitionen in Sozial- und Gesundheitsdienste, Wohnraum, öffentliche Verkehrsmittel und eine saubere, nachhaltige Umwelt.

  • Unterstützung der Kämpfe der Kleinbauern und -bäuerinnen, der Landarbeiter:innen und Landlosen auf dem Land und in der Industrie, um den Widerspruch zwischen Stadt und Land schrittweise zu beseitigen.

4.4.2 Befreiung des ländlichen Raums

Etwa 43 Prozent der Menschheit leben noch auf dem Land, in Dörfern, auf Plantagen und in den ländlichen Gemeinschaften indigener Völker, doch die Vereinten Nationen sagen voraus, dass dieser Anteil bis 2050 auf ein Drittel sinken wird. Der Grund für die Landflucht ist nicht nur der Reiz des Stadtlebens. Für die meisten Migrant:innen überwiegen dessen Nachteile durch das Leben in den Slums, die Kriminalität und die Überausbeutung. Vielmehr ist es das Versagen des Kapitalismus, auf dem Lande ein einigermaßen menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Das Scheitern der Landreformen hat die Arbeits- und Landlosigkeit dort verschärft. Die Kluft zwischen ihrem Einkommen, Zugang zu Gesundheitsfürsorge, Bildung und Kommunikation und den Möglichkeiten in den Städten ist oft enorm. Darüber hinaus sind sie mit der Zerstörung der ländlichen Umwelt durch Industriezweige wie Holzeinschlag und Bergbau sowie durch Monokulturen und Aktivitäten konfrontiert, die zu Überschwemmungen und Auslaugung des Bodens führen. Der Klimawandel beschleunigt diesen Prozess gewaltig.

Gleichzeitig konzentriert der Kapitalismus den Landbesitz unerbittlich in den Händen einer wohlhabenden Elite oder des internationalen Agrobusiness. Von China und Bengalen bis Südamerika und Afrika werden Bauern, Bäuerinnen und indigene Gemeinschaften von den besten Böden vertrieben und gezwungen, in die Slums der Städte abzuwandern.

Das Leben auf den Plantagen, auf denen Zucker, Kaffee, Tee, Baumwolle, Sisal, Kautschuk, Tabak und Bananen angebaut werden, weist viele Merkmale unfreier Vertragsverhältnisse oder der Leibeigenschaft auf. Die Plantagenarbeiter:innen werden oft in Schuldknechtschaft gehalten. Eine Revolution auf dem Lande, die vom Proletariat, den Landlosen oder Kleinbauern und -bäuerinnen angeführt wird, wäre eine mächtige Verbündete der städtischen Arbeiter:innen und Letztere wären ein unverzichtbarer Beistand für ihre Schwestern und Brüder auf dem Lande.

– Enteignung des Landes der Oligarch:innen, der ehemaligen kolonialen Plantagen und der multinationalen Agrarunternehmen, um es unter die Kontrolle der Arbeiter:innen, armen Bauern, Bäuerinnen und Landarbeiter:innen zu stellen.

  • Land für diejenigen, die es bearbeiten.

  • Abschaffung der Pacht und Erlass aller Schulden der armen Bauern und Bäuerinnen.

  • Freie Kredite für den Kauf von Maschinen und Düngemitteln; Anreize für Subsistenzlandwirt:innen, sich freiwillig Produktions- und Vermarktungsgenossenschaften anzuschließen.

  • Freier Zugang zu Saatgut, Abschaffung aller Patente in der Landwirtschaft.

  • Modernisierung des ländlichen Lebens. Vollständige Elektrifizierung, Internetzugang und moderne städtische Einrichtungen. Stopp der Abwanderung der Jugend aus dem ländlichen Raum durch Förderung kreativer und kultureller Aktivitäten.

  • Gegen die Armut auf dem Lande; Angleichung der Einkommen, des Zugangs zu Gesundheit, Bildung und Kultur an die Städte.

Indem wir diese Kämpfe in den Städten und auf dem Land miteinander verbinden, können wir die krankhafte Verstädterung des Kapitalismus, die Ausbeutung des Bodens und die Abholzung der Wälder rückgängig machen und den Weg zu dem im Kommunistischen Manifest formulierten Ziel freimachen: „Die Vereinigung der Arbeit auf dem Lande und in der Industrie, wodurch der Widerspruch zwischen Stadt und Land allmählich beseitigt wird.“

4.5 Die digitale Revolution

Seit den 1960er Jahren sind die Fortschritte in der Computertechnologie und der Vernetzung sowie deren Anwendung in vielen Bereichen der Produktion und des täglichen Lebens entscheidende Faktoren für die Entwicklung der Produktivkräfte. Mit dem Internet, der mobilen Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz (KI) wurden in den letzten Jahren in immer schnellerem Tempo neue Etappen dieser Entwicklung erreicht. Gemeinsamer Datenzugriff und andere Elemente der Personen übergreifenden Nutzung von Ressourcen, die immer engere Verknüpfung von Produktanforderungen und Produktbereitstellung, die sichere Abwicklung von Transaktionen und komplexen Logistikketten über Blockchain etc. haben große Potenziale für Produktivitätssteigerungen geschaffen. In all diesen Bereichen dominieren riesige Monopole (Amazon, Microsoft, Alphabet Inc., Facebook …), die den Zugewinn an Produktivität für ihre Monopolprofite nutzen.

Ein wesentlicher Faktor dabei ist ihre enorme Kontrolle über die Daten und Informationen der Nutzer:innen, aus deren Verkauf diese Datenkraken enorme Profite erzielen. Viele Unternehmen versuchen nun, Daten über alle Aspekte ihrer Mitarbeiter:innen zu sammeln, um sie besser kontrollieren und in einen Leistungswettbewerb treten lassen zu können. In ähnlicher Weise nutzen Staaten (nicht nur China und die USA) künstliche Intelligenz und ihren Zugang zu den Netzen, um immer umfassendere Informationen über ihre Bürger:innen zu sammeln, sie zu bewerten, identifizieren, lokalisieren und überwachen.

Diese Technologien werden von den Geheimdiensten der Welt eingesetzt, um eine allumfassende Überwachung zu realisieren. Die Enthüllungen über den Skandal der National Security Agency (NSA) im Jahr 2013 sind ein Beleg dafür. Seitdem hat sich die Ausweitung der Überwachung beschleunigt. Revolutionär:innen müssen sich bewusst sein, dass Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, trojanische Programme und die massenhafte Speicherung von Daten Teil des Klassenkampfes der Kapitalist:innen sind und massiv gegen sie und die Arbeiter:nnenbewegung eingesetzt werden und nicht für die „Sicherheit“ der Bevölkerung.

Die Datenschutzbestimmungen, mit denen Hasspostings kontrolliert werden sollen, sind kaum mehr als Feigenblattaktionen. Kaum ein/e private/r Nutzer:in kann sie wirklich verwenden, um seine/ihre Daten zu kontrollieren. Die Masse der Missbrauchsmöglichkeiten durch Staat, Konzerne und rechte Organisationen wächst in einem Tempo, dem all diese Maßnahmen nur hoffnungslos hinterherhinken.

Die alten Probleme des „Datenschutzes“ erscheinen heute klein im Vergleich zu denen der neuen Generation von Entwicklungsumgebungen der KI-Anwendungen. Mit den gesteigerten Fähigkeiten und dem viel einfacheren gemeinsamen Zugang zu Modulen für tiefes maschinelles Lernen, große Sprachmodelle, Texterzeugung und -umwandlung, Verarbeitung natürlicher Sprache usw. ist nicht nur die unkontrollierbare Anzahl von Datenbanken, auf die bei Suchvorgängen und Problemlösungen zugegriffen wird, explodiert, sondern KI-Anwendungen scheinen erweiterte Antworten auf jede Art von Fragen zu beinhalten. Diese Fähigkeit, Antworten in erstaunlicher sprachlicher und inhaltlicher Qualität zu generieren, basiert auf sehr einfachen statistischen Modellen. Während sie in erstaunlich vielen Fällen gute Ergebnisse liefert, erzeugt diese einfache statistische Interpolation in komplizierteren Fällen auch Unsinn und neigt dazu, weitverbreitete Vorurteile zu reproduzieren. Falsche Informationen, auf denen die Ableitungen beruhen, werden nicht erkannt usw.. Ein relevanter Anteil der Antworten besteht aus dem, was Expert:innen als „KI-Halluzinationen“ bezeichnen.

Auch wenn diese neuen KI-Anwendungen dazu beitragen können, viele Arbeiten im Zusammenhang mit der routinemäßigen Erstellung von Texten (im Journalismus, in Büros, Kontaktzentren usw.) zu erleichtern, ist das Bestreben des Kapitals, diese Techniken als Ersatz für menschliche Arbeitskräfte einzusetzen, sehr gefährlich: Jedes Produkt dieser Anwendungen muss immer noch von Menschen kontrolliert und nachbearbeitet werden, um grobe Fehler mit potenziell schädlichen Folgen zu vermeiden.

Wir kämpfen für:

  • Enteignung großer IT-Monopole unter Kontrolle von Beschäftigten und demokratisch legitimierten Nutzer:innenkomitees!

  • Für einen Plan zur gesellschaftlich sinnvollen Nutzung des produktiven Fortschritts der IT-Technologie.

  • Weg mit der Überwachung und Kontrolle von Bürger:innen und Arbeitskräften durch Privatunternehmen und Kapital wie Google, Facebook. Eine erste Forderung sollte sein, dass sie die Algorithmen und Systeme, die sie zum Sammeln von Informationen verwenden, öffentlich machen.

  • Für die gesellschaftliche Kontrolle (durch demokratisch legitimierte Nutzer:innenkomitees) der von Staat und Unternehmen erhobenen Daten und Verfahren zu deren Nutzung und Vernetzung.

  • Nein zu Überwachungsinstrumentarien, die das Netzverhalten von Nutzer:innen und Mitarbeiter:innen ausspähen! Nein zu Anbieterfiltern für Dateien und anderen Methoden, die die freie Verfügung über die im Netz geteilten Inhalte verhindern und ihnen die Warenform aufzwingen wollen! Stattdessen wollen wir den Ausbau der Beteiligungsökonomie und die staatliche Finanzierung ihrer Basis (z. B. von offen zugänglichen Anwendungen unter Hersteller:innenkontrolle statt Abhängigkeit von den „Spenden“ der IT-Unternehmen)!

  • Die Anwendung oder der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in der Arbeitswelt sollte nur dann erlaubt sein, wenn ihre Auswirkungen und die Generierung von Ergebnissen für die Arbeitenden selbst und die davon betroffenen sozialen Gemeinschaften kontrollierbar sind. Die Anwendungen müssen ein Protokoll liefern, das die Teile der Arbeit, die Ergebnis der KI-Verarbeitung sind, klar identifiziert und die Kette der Überlegungen enthält, die die KI in Bezug auf Daten und statistische Schlussfolgerungen verwendet.

  • Kontrollkommissionen von Arbeiter:innen und Gemeinden sollten diese Protokolle regelmäßig überprüfen und im Falle von Fehlern oder schädlichen Auswirkungen in der Lage sein, die Probleme in den Anwendungen zu lokalisieren und korrigieren. Dies ist besonders wichtig im Hinblick auf Datenschutzverletzungen und schädliche Schlussfolgerungen in Bezug auf Einzelpersonen oder soziale Gruppen, die sich aus den „autonomen“ Aktionen der KI ergeben. Solange solche Kontrollmechanismen nicht implementiert sind, sprechen wir uns für ein Einfrieren der Nutzung der neuen Generation von KI-Anwendungen aus.

4.6 Die Gewerkschaften

Überall auf der Welt werden unsere Gewerkschaften von den Kapitalist:innen angegriffen. Das größte Hindernis im Kampf gegen die Offensive der Kapitalist:innen ist der lähmende Einfluss der Bürokrat:innenkaste, die unsere Organisationen an das Kapital, ihre Regierungen und ihre Gesetze bindet. Die Vorstöße der Bosse sind unerbittlich und bösartig. In den schwächeren und weniger entwickelten Ländern, den Halbkolonien, haben diktatorische Regierungen die Gewerkschaften zu Werkzeugen des Staates gemacht, indem sie Streiks verboten und die freie Wahl der Gewerkschaftsführer:innen untersagt haben. Unabhängige Gewerkschaften und betriebliche Organisationen müssen in der Illegalität kämpfen und mit Verhaftungen, Folter und Ermordung rechnen.

In den letzten Jahrzehnten sind die Gewerkschaften im globalen Süden unter Beschuss geraten. Sehr große Teile der Arbeiter:innenklasse, selbst in den großen Industrien und den staatlichen Sektoren, sind infolge neoliberaler Angriffe und repressiver Gesetze überhaupt nicht gewerkschaftlich organisiert. Die Zersplitterung der Gewerkschaften spiegelt dies wider und verstärkt es noch, ebenso wie die Verwirrung, der Sektoralismus und der Verrat der Gewerkschaftsführungen. Revolutionär:innen müssen nicht nur die Organisierung der Unorganisierten fordern und für die Überwindung dieser Politik in den bestehenden Gewerkschaften streiten, sondern auch die Initiative zum Wiederaufbau der Gewerkschaftsbewegung ergreifen.

In den fortgeschrittenen kapitalistischen Demokratien errangen jahrzehntelange Klassenkämpfe den Gewerkschaften gesetzliche Rechte, so dass der Staat anstelle der völligen Illegalität die Gewerkschaften einbezog, indem er ihren Führer:innen Privilegien gewährte und sie in die Strukturem der Klassenzusammenarbeit einband. Doch die Kapitalist:innen fuhren fort, die Rechte zu beschneiden und den Gewerkschaften immer stärkere gesetzliche Beschränkungen aufzuerlegen, was eine wirksame Gewerkschaftsarbeit und die Rekrutierung von Mitgliedermassen behinderte. Westliche Gerichte demonstrieren immer wieder den Klassencharakter des bürgerlichen Rechts, indem sie eingreifen, um Streikabstimmungen zu kippen, Gewerkschaftsgelder zu beschlagnahmen und gewerkschaftsfeindliche Unternehmen zu unterstützen.

Heute findet das Kapital unabhängige Gewerkschaften immer unerträglicher. Wir müssen unsere Gewerkschaften verteidigen, für ihre Unabhängigkeit von den Kapitalist:innen und dem Staat kämpfen, den Kampf aufnehmen, um Millionen neuer Mitglieder aus bisher nicht organisierten Sektoren, aus den in unsicheren Verhältnissen beschäftigten und hochgradig ausgebeuteten Teilen der Arbeiter:innenschaft, viele von ihnen junge Menschen, Migrant:innen oder „Illegale“, zu rekrutieren. Dieser Kampf wird auf unnachgiebigen Widerstand von innen stoßen, von der hochbezahlten und undemokratischen Gewerkschaftsbürokratie, die als ihre ewige Aufgabe das Aushandeln von Verträgen in einer ewigen kapitalistischen Wirtschaft ansieht. In Krisenzeiten werden diese Abmachungen zu „Rückzahlungen“ an die Bosse, Errungenschaften und erreichte Mindeststandards werden gegen Arbeitsplätze getauscht und umgekehrt.

Die Ideologie der bürokratischen Gewerkschaftsführer:innen ist Gift für das Klassenbewusstsein des Proletariats. Statt auf Internationalismus setzen sie in den imperialistischen Zentren vor allem auf eine unternehmenszentrierte Logik und verteidigen die Konkurrenzfähigkeit „ihres“ Unternehmens. Damit tragen die Gewerkschaftsbürokrat:innen zusammen mit dem sozialchauvinistischen Reformismus der Sozialdemokratie und den selbsternannten „Sozialist:innen“ die Verantwortung dafür, dass sich rassistische Ideologien und nationale Engstirnigkeit in Zeiten des Rechtsrucks auch in Teilen der Arbeiter:innenklasse einnisten können oder nicht wirksam bekämpft werden.

Die Bürokrat:innen agieren oft als Polizei für den Staat und die Unternehmen, schikanieren Aktivist:innen und helfen, sie aus dem Betrieb zu vertreiben. Revolutionär:innen organisieren sich innerhalb der Gewerkschaften, um ihren Einfluss zu vergrößern, bis hin zur Übernahme der Führung, wobei sie immer ehrlich gegenüber der Basis bleiben und so offen darüber sprechen, wie es staatliche Repression und Gewerkschaftsbürokratie erlauben. In den bürokratischen Gewerkschaften werden wir die Schaffung von Basisbewegungen anregen, die darauf abzielen, die Durchführung von Streiks und anderen Formen des Kampfes zu demokratisieren und die hauptamtliche und überbezahlte Kaste der Spitzenfunktionär:innen durch gewählte und jederzeit abrufbare Führer:innen zu ersetzen, die den gleichen Lohn erhalten wie ihre Mitglieder.

Aber selbst die demokratischste Gewerkschaftsbewegung reicht nicht aus. Die syndikalistische Idee, dass die Gewerkschaften nicht nur von den Bossen, sondern auch von den politischen Parteien der Arbeiter:innenklasse unabhängig sein sollten, kann den Widerstand der Arbeiter:innen und den Kampf um die Macht der Arbeiter:innenklasse nur schwächen. Stattdessen zielen Revolutionär:innen darauf ab, die Gewerkschaften so zu orientieren, dass sie nicht nur für die Interessen der einzelnen Branchen kämpfen, sondern für die Interessen der Gesamtklasse, über alle Industrie-, Berufs- und Betriebsgrenzen hinweg, für befristete Arbeitskräfte ebenso wie für Stammpersonal, für die gegenwärtigen und zukünftigen Beschäftigten, nicht nur in einem Land, sondern international. Wir fördern das Klassenbewusstsein, nicht nur das enge Gewerkschaftsbewusstsein. Auf diese Weise können die Gewerkschaften wieder zu echten Schulen für den Sozialismus und zu einem massiven Stützpfeiler für eine neue revolutionäre Arbeiter:innenpartei werden.

Eine neue Arbeiter:inneninternationale und revolutionäre Parteien in jedem Land haben die Pflicht, sich für die Erneuerung der bestehenden Gewerkschaften einzusetzen, wo immer dies möglich ist, dürfen aber nicht vor einem formellen Bruch und der Gründung neuer Gewerkschaften zurückschrecken, wo die reformistische Bürokratie eine Einheit unmöglich macht. Unorganisierte prekär Beschäftigte können ebenso organisiert werden wie neue Hochtechnologieindustrien, trotz tyrannischer Firmenchef:innen oder Systeme, die kollektives Handeln durch Klassenzusammenarbeit am Arbeitsplatz verhindern. Wir brauchen Organisationen in den Betrieben, die sich weder dem Diktat noch den Schmeicheleien der Bosse beugen, sondern die Arbeiter:innen mit militanten Kampfmethoden wie Massenstreiks, Besetzungen und, wenn nötig, einem Generalstreik verteidigen. Die Gewerkschaften dürfen nicht bürokratisch von oben herab kontrolliert werden, sondern müssen demokratisch sein, wo Differenzen frei diskutiert werden können, wo die Führer:innen kontrolliert und, wenn nötig, unverzüglich abgewählt werden können.

Wir können nicht warten, bis die Gewerkschaften umgestaltet werden; wir müssen jetzt kämpfen. Wir fordern, dass die derzeitigen Gewerkschaftsführer:innen sich für die dringenden Bedürfnisse der Massen verwenden, und wir warnen die Basis, ihnen nicht zu vertrauen. Wir kämpfen für die Bildung von Basisbewegungen in den bestehenden Gewerkschaften, damit der Würgegriff der Funktionär:innen gebrochen werden kann und trotz allem Aktionen durchgeführt werden können. Während wir für eine politisch-fraktionelle Organisierung innerhalb der Gewerkschaften eintreten, lehnen wir politisch getrennte Gewerkschaften ab, weil dies nur dazu dient, die Arbeiter:innen zu spalten und viele unter den Einfluss reformistischer oder sogar klassenfremder Führungen zu stellen. Wir kämpfen für die Bildung von Industriegewerkschaften, die das kollektive Gewicht der Lohnabhängigen bei Verhandlungen mit den Unternehmer:innen maximieren. Dort, wo derzeit mehrere Gewerkschaften entweder innerhalb einer Branche, von Konzernen oder Betrieben existieren, setzen wir uns für ihren Zusammenschluss auf Grundlage des Klassenkampfes und für gemeinsame Ausschüsse unter Kontrolle der Basis für Verhandlungen und Aktionen ein.

Wir kämpfen für die gewerkschaftliche Organisierung der großen Zahl unserer Schwestern und Brüder, die noch nicht organisiert sind, für die Öffnung der Gewerkschaften für Jungarbeiter:innen und die rassistisch Unterdrückten. Wenn die Gewerkschaftsbürokrat:innen dies verhindern, dann müssen neue Gewerkschaften gegründet werden. Unsere Losung muss lauten: Zusammenarbeit mit den offiziellen Führer:innen, wo es möglich ist, aber ohne sie, sogar gegen sie, wo es nötig ist.

Wir brauchen Gewerkschaften und Massenorganisationen, die wirklich die Masse der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten vereinen können und nicht von männlichen Mitgliedern und Angehörigen bessergestellter Schichten dominiert werden, die ausschließlich aus der dominierenden nationalen oder anderweitig privilegierten Gruppe innerhalb eines bestimmten Landes stammen. Das bedeutet, dass wir den unteren Schichten der Arbeiter:innenklasse und den Armen, den Frauen, der Jugend, den Minderheiten und den Migrant:innen volle Rechte und volle Vertretung in ihren Führungsstrukturen zugestehen.

Deshalb kämpfen wir für:

  • Die Organisation der nicht organisierten Arbeiter:innen, einschließlich Frauen, Migrant:innen und befristeten Arbeitskräften.

  • Die Gewerkschaften müssen unter der Kontrolle ihrer Mitglieder stehen.

  • Für das Recht auf unabhängige Treffen (Caucusrecht) für alle sozial unterdrückten Gruppen: Frauen, ethnische Minderheiten, LGBTIA+-Menschen.

  • Einheit aller Gewerkschaften auf einer demokratischen und kämpferischen Basis, völlig unabhängig von den Bossen, ihren Parteien und Staaten.

4.7 Von der Streikpostenverteidigung zur Arbeiter:innenmiliz

Jede/r entschlossene Streikende weiß, dass Streikpostenketten notwendig sind, um Streikbrecher:innen abzuschrecken. Kein Wunder, dass die Kapitalist:innen überall auf drakonische gewerkschaftsfeindliche Gesetze drängen, die unsere Streikposten so schwach und unwirksam wie möglich machen sollen. Gleichzeitig dürfen die Bosse Sicherheitsleute und private Schläger:innentrupps anheuern, um die Arbeiter:innen einzuschüchtern. Von Angriffen auf Arbeiter:innenmärsche durch hoch gerüstete Polizei wie in Griechenland bis hin zur Verhaftung und Einkerkerung von Gewerkschafter:innen im Iran reicht die andauernde Verfolgung kämpferischer Arbeiter:innen. Wenn die Polizei und Schläger:innenbanden der Bosse zu offener Repression greifen, können sich selbst die militantesten Massenstreikposten als unzureichend erweisen, wie es beim historischen britischen Bergarbeiterstreik von 1984/1985 der Fall war.

Der berüchtigtste Fall dieses Jahrhunderts war das Massaker von Marikana, bei dem die südafrikanische Polizei auf Anweisung des heutigen Präsidenten und ehemaligen Bergarbeiterführers Cyril Ramaphosa 42 Streikende tötete. Jeder ernsthafte Kampf zeigt die Notwendigkeit eines disziplinierten Schutzes mit Waffen, die denen entsprechen, die gegen uns eingesetzt werden.

Wir sollten mit der organisierten Verteidigung von Demonstrationen, Streikposten, Gemeinden, die rassistischen und faschistischen Überfällen ausgesetzt sind, sowie mit der Selbstverteidigung der sexuell Unterdrückten beginnen. Unter ständiger Bekräftigung des demokratischen Rechts auf Selbstverteidigung sollten Militante eine öffentliche Kampagne für eine Arbeiter:innen- und Bevölkerungsverteidigungsgarde starten, die auf einer Massenbewegung fußt.

In Ländern, in denen das Recht besteht, Waffen zu tragen, sollte die Arbeiter:innenverteidigungsgarde dieses voll ausschöpfen. Wo die Kapitalist:innen und ihr Staat das Gewaltmonopol besitzen, sind alle Mittel gerechtfertigt, um dieses zu brechen. Revolutionär:innen müssen innerhalb der Massenorganisationen der Arbeiter:innenklasse und der Bauern und Bäuerinnen auf die Schaffung von Verteidigungskräften drängen, die diszipliniert, kampferprobt und mit den geeigneten Erfolg verheißenden Waffen ausgestattet sind. In Schlüsselmomenten des Klassenkampfes sind Massenstreikwellen, ein Generalstreik, die Schaffung einer Arbeiter:innenmassenmiliz unerlässlich, sonst wird die Bewegung in Blut ertränkt wie in Chile 1973 oder auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989. Wenn man sich der Herausforderung stellt, können die Mittel der Bevölkerungsverteidigung zum Instrument der Revolution werden.

4.8 Für eine Arbeiter:inneneinheitsfront gegen den Faschismus

Die kapitalistische Krise ruiniert die Mittelschichten und lässt sie krampfhaft nach Sündenböcken suchen, während die Langzeitarbeitslosen immer tiefer in die Verzweiflung sinken, was sie anfällig für religiöse Demagogie, rassistische, rechtsnationalistische, und unverhüllt faschistische Propaganda und Bewegungen macht. In den imperialistischen Ländern nimmt dies oft die Form des klassischen Faschismus an, der ethnische, nationale und religiöse Minderheiten, Migrant:innen und Roma als Zielscheibe ins Visier nimmt. Insbesondere in Europa ist die Islamophobie, der Hass auf Muslim:innen, eine schnell wachsende Bedrohung, mit Aufmärschen gegen Moscheen und Hetze gegen Hidschab und Burka, die sich unter dem Deckmantel der offiziellen Ideologie des „Antiterrorismus“ und der angeblichen Gefahr der „Islamisierung Europas“ ausbreitet. Auch der Antisemitismus ist nicht tot, denn die schnell wachsende ungarische Nazibewegung Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn) vereint beides in einem giftigen Absud aus reaktionären Demagogien.

In der halbkolonialen Welt entstehen faschistische Kräfte oft aus Kommunalismus und religiösem Fanatismus, die die Emotionen der Massen gegen Minderheiten wie Muslim:innen in Indien, Tamil:innen in Sri Lanka, Hindus, Christ:innen, Ahmadiyyabewegung und Schiit:innen in Pakistan richten.

Der Faschismus ist ein Mittel des Bürger:innenkriegs gegen die Arbeiter:innenklasse. Indem er alten Hass aufrührt und irrationale Ängste schürt, mobilisiert er die kleinbürgerlichen und lumpenproletarischen Massen, um die Organisationen der Arbeiter:innenklasse und demokratische zunächst zu spalten und dann zu zerstören. Danach konzentriert der Faschismus den gesamten staatlichen Kontrollapparat in seinen Händen, um den Arbeiter:innen ein Regime der Superausbeutung unter direkter Aufsicht der Polizei und ihrer Hilfstruppen aufzuzwingen. Die Bewunderung der Faschist:innen für Massenmörder wie Anders Breivik (Norwegen) und Brenton Tarrant (Neuseeland) belegt ihre brutalen Ziele.

Sein Wachstum als Massenbewegung zeugt von der Intensität der Krise, die Millionen von Menschen wütend macht und in die Verzweiflung treibt, sowie von dem Verrat und dem Versagen der Führung der Arbeiter:innenklasse. Er kann nur besiegt werden, indem die revolutionäre Bewegung der Arbeiter:innenklasse und ihrer Verbündeten entfesselt wird, indem zu einer Einheitsfront aller Arbeiter:innenorganisationen gegen den Faschismus und zu einer antifaschistischen Arbeiter:innenmiliz aufgerufen wird, um seine Attacken auf die Arbeiter:innenbewegung und auf unterdrückten Minderheiten abzuwehren. Wie Leo Trotzki sagte, ist der Sozialismus Ausdruck der revolutionären Hoffnung, während der Faschismus Ausdruck der konterrevolutionären Verzweiflung ist. Um ihn zu besiegen, muss sie in eine revolutionäre Klassenoffensive gegen den krisengeschüttelten Kapitalismus umgewandelt werden, das System, das den Faschismus immer aufs Neue gebiert. Da der Faschismus seine Kraft aus der Mobilisierung von Massen bezieht, deren Wut sich aus die Auswirkungen der kapitalistischen Krise speist, wird der Kampf gegen ihn erst dann vollendet sein, wenn seine Wurzel, der Kapitalismus, ausgerottet ist.

  • Für eine Arbeiter:inneneinheitsfront gegen die Faschist:innen.

  • Kein Vertrauen in den kapitalistischen Staat und seinen Repressionsapparat.

  • Für die organisierte Selbstverteidigung von Arbeiter:innen, nationalen Minderheiten und Jugendlichen. Eine antifaschistische Miliz kann es schaffen, faschistische Kundgebungen, Demonstrationen und Versammlungen aufzulösen und den rassistischen und faschistischen Demagog:innen jegliche offene Propagandaplattform zu entziehen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten die faschistischen Kaderorganisationen die Taktik, Gruppierungen innerhalb der faschistischen Frontorganisationen, z. B. des Front National in Frankreich, aufzubauen. Solche Organisationen haben einen elektoralistischen Flügel, der mit reaktionärer rechter Politik an den politischen Aktivitäten des bürgerlichen Parlamentarismus teilnimmt und gleichzeitig mit faschistischen Gruppen innerhalb der Partei koexistiert. Im Zuge der Globalisierung haben solche Frontorganisationen stark zugenommen und konnten sich in vielen Ländern mit erheblichem Gewicht auf der politischen Bühne etablieren. Während offen faschistische Organisationen mit einer strikten „Keine Plattform“-Politik bekämpft und soweit wie möglich mit physischer Gegengewalt konfrontiert werden müssen, muss gegen faschistische Frontorganisationen eine flexiblere Form der Taktik angewendet werden. Soweit der faschistische Flügel in der Aktion dominiert, muss er wie jede faschistische Kraft behandelt werden. Andererseits werden wir dort, wo ihre nicht direkt faschistische Propaganda verzweifelte unterprivilegierte Schichten mit reaktionärer Wahlpropaganda erreicht, Taktiken anwenden, um diese Menschen durch Gegenpropaganda von den Demagog:innen zu lösen und ihnen echte Alternativen zur Bekämpfung ihrer sozialen Not aufzuzeigen.

4.9 Verteidigung der demokratischen Rechte

In vielen Staaten der Welt, auch in nominell bürgerlichen Demokratien, gibt es mächtige Präsidialsysteme mit außerordentlichen Machtbefugnissen für ein Staatsoberhaupt, undemokratisch gewählte Senate und ernannte, nicht gewählte Richter:innen, die oft sehr lange, mitunter sogar auf Lebenszeit amtieren. Selbst in den ältesten Republiken, den Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich, herrschen viele dieser Einschränkungen – einschließlich der systematischen Blockierung der Registrierung von schwarzen und farbigen Wähler:innen, dem politischen Zuschnitt von Wahlbezirken usw. Als Resultat zeigt sich, dass die Verabschiedung wichtiger politischer Maßnahmen für Frauen, die organisierte Arbeiter:innenklasse und die rassistisch Unterdrückten vereitelt wird, wie es der Oberste Gerichtshof der USA heute tut. Außerdem sind diese undemokratischen Strukturen oft in den Verfassungen verankert und lassen sich nur sehr schwer ändern. Sie aus der Welt zu schaffen, bildet eine wahrhaft revolutionäre Aufgabe.

In Ländern wie der Türkei sind die etablierten Parteien in der Lage, durch die Kontrolle der Medien und die Verhaftung von Aktivist:innen der Oppositionsparteien oder deren völlige Illegalisierung Wahlen in Plebiszite mit einem Slogan zu verwandeln – „entweder ich oder das Chaos“. In so unterschiedlichen Ländern wie Frankreich und der Türkei haben solche bonapartistischen oder halbbonapartistischen Regime die Parlamente umgangen. In Afrika ist eine Epidemie von Präsidentschaften zu beobachten, die ihre Amtszeit verlängern, und im Nahen Osten und in Ostafrika hat das Militär wiederholt die Macht an sich gerissen. In diesen Ländern, in denen Arbeiter:innen, Frauen und Jugendliche wiederholt demokratische Massenbewegungen ins Leben gerufen haben, ist eine dauerhafte Lösung nicht möglich und wird es auch nie sein, solange die revolutionären Kräfte nicht die Basis der Streitkräfte für sich gewinnen und die Macht der Generalstäbe und Oberkommandos für immer brechen. Andernfalls werden schreckliche Ereignisse wie im Sudan auch weiterhin selbst die stärksten sozialen Bewegungen ausbremsen.

Im In- und Ausland geben sich die westlichen Imperialist:innen als Verteidiger:innen und Verfechter:innen der Demokratie aus. Das ist gelogen. Nach dem 11. September 2001 und den Terroranschlägen des Dschihads in Europa im letzten Jahrzehnt verhängten die nordamerikanischen und europäischen Regierungen Antiterrorgesetze, die eine Überwachungsgesellschaft geschaffen und die in jahrhundertelangen Kämpfen von der Bevölkerung errungenen Rechte eingeschränkt oder abgeschafft haben.

Im globalen Süden werden die demokratischen Rechte, die es der Arbeiter:innenklasse, den Bauern und Bäuerinnen, den städtischen und ländlichen Armen ermöglichen, sich zu organisieren und wehren, von den Gerichten, der Polizei und den Killerkommandos der Bosse untergraben. Auf den Philippinen hat Rodrigo Dutertes „Krieg gegen die Drogen“ innerhalb von zwei Jahren zu einer Flut von außergerichtlichen Tötungen durch die Polizei geführt, die auf 12.000 bis 20.000 geschätzt wird. Auch in Mexiko und anderen mittel- und südamerikanischen Staaten forderte der Krieg gegen die Drogen Opfer von Morden durch Armee und Polizei, die vor allem Linke und Anführer:innen der Gewerkschaften und Bäuer:innenschaft aufs Korn nehmen.

In Palästina und insbesondere im blockierten und immer wieder bombardierten Gazastreifen sind die Palästinenser:innen ein ständiges Ziel des zionistischen Siedlers:innenstaates. In Israel und im Westjordanland herrscht ein Regime, das dem der Apartheid in Südafrika nicht unähnlich ist. Der unermüdliche und heldenhafte Kampf des palästinensischen Volkes verdient die vollste Unterstützung, einschließlich der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS). Unser Ziel muss das Recht auf Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge, die Zerschlagung des zionistischen Staates und die Schaffung eines einzigen Staates für zwei hebräisch und arabisch sprechende Nationen in Israel-Palästina sein. Ein solcher Staat kann den durch den Zionismus geschaffenen Antagonismus zwischen den beiden Völkern nur dadurch lösen, dass er ein sozialistischer Staat wird, in dem landwirtschaftliche Betriebe, Fabriken usw. sich in Gemeineigentum befinden und demokratisch geplant werden, um soziale Gleichheit zu gewährleisten.

Das Gift des Rassismus und der Pogrome gegen Minderheiten und Migrant:innengemeinschaften wird dazu benutzt, den Widerstand zu spalten und auszuhöhlen. Überall auf der Welt sind es die eigenen Organisationen der Massen, die den Kampf für den Schutz und die Ausweitung der demokratischen Rechte aufnehmen müssen. Unsere demokratischen Kampforganisationen sind das Fundament einer wirklichen „Herrschaft des Volkes“. Durch regelmäßige Wahlen, die Abwählbarkeit von Delegierten und Repräsentant:innen, durch Opposition gegen die Bürokratie und ihre Privilegien kann die Arbeiter:innenbewegung das Sprungbrett für eine neue Gesellschaft werden.

  • Verteidigung des Streikrechts, der Rede- und Versammlungsfreiheit, der Freiheit, sich politisch und gewerkschaftlich zu organisieren, der Presse- und Sendefreiheit.

  • Aufhebung aller gewerkschaftsfeindlichen Gesetze.

  • Abschaffung aller undemokratischen Elemente in kapitalistischen Verfassungen: Fort mit Monarchien, zweiten Parlamentskammern, Präsident:innen mit Befehlsgewalt, ungewählten Gerichtshöfen und Notstandsgesetzen.

  • Für das uneingeschränkte Recht auf ein Schwurgerichtsverfahren und die Wahl der Richter:innen durch das Volk.

  • Weg mit der zunehmenden Überwachung unserer Gesellschaft, einschließlich des Internets, und der wachsenden Macht der Polizei und Sicherheitsdienste.

  • Auflösung des Repressionsapparates, der Polizei, der Sicherheitsdienste. Für deren Ersetzung durch Milizen, die aus der Arbeiter:innenschaft und Masse der Bevölkerung stammen und von ihnen kontrolliert werden. Ermutigung von Soldat:innen zum Bruch mit ihren Vorgesetzten, um Teile von ihnen für die Revolution zu gewinnen.

Überall dort, wo grundlegende Fragen der politischen Ordnung aufgeworfen werden, fordern wir eine verfassunggebende Versammlung, um demokratische Rechte neu festzuschreiben und tatsächlich über die gesellschaftliche Grundlage des Staates zu entscheiden. Die Arbeiter:innen sollten sich dafür starkmachen, dass die Abgeordneten der Versammlung auf die demokratischste Weise gewählt werden, unter Kontrolle ihrer Wähler:innen stehen und von diesen abberufen werden können. Die Versammlung muss gezwungen werden, sich mit allen grundlegenden Fragen der demokratischen Rechte und sozialen Gerechtigkeit zu befassen: Agrarrevolution, Verstaatlichung der Großindustrie und Banken unter Arbeiter:innenkontrolle, Selbstbestimmungsrecht für nationale Minderheiten, Abschaffung der politischen und wirtschaftlichen Privilegien der Reichen.

5. Der Kampf gegen soziale Unterdrückung

5.1 Für Frauenbefreiung

Die kapitalistischen Demokratien versprachen den Frauen Gleichheit. Doch das galt nicht für alles, und vieles bleibt unerfüllt.. Im 20. Jahrhundert wurde den meisten Frauen das Wahlrecht zugestanden, auch dank der ersten Welle feministischer und sozialistischer Agitation vor dem Ersten Weltkrieg und der Notwendigkeit, Frauen in die Produktion und das öffentliche Leben einzubeziehen, weil die Kriegsanstrengungen der Großmächte es erforderte, Frauen in der Produktion zu beschäftigen. Das Frauenwahlrecht wurde zumeist parallel zum allgemeinen Stimmrecht eingeführt, das bis dahin auch den männlichen Arbeitern vorenthalten worden war. Das Wahlrecht bedeutete jedoch weder für die Frauen noch für die Arbeiter:innenklasse echte politische Macht. Der Zweite Weltkrieg zog noch mehr Frauen in die Produktion ebenso wie in die Planwirtschaft der UdSSR. Frauen traten in immer größerer Zahl den Gewerkschaften bei.

Die anhaltende Belastung durch Kinderbetreuung und Hausarbeit behinderte den Zugang von Frauen zu ebenso gut bezahlter Arbeit oder einer ununterbrochenen Berufslaufbahn. Die militante Arbeiter:innenbewegung und die zweite feministische Welle in den imperialistischen Ländern und die nationalen Befreiungsbewegungen in den Halbkolonien errangen eine Reihe wichtiger Siege für die Frauen: Selbstbestimmte Geburtenkontrolle und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in einigen Ländern ermöglichten es ihnen, über die Anzahl und den Zeitpunkt der Geburten zu entscheiden.

In dieser Zeit rückten auch die patriarchalische Ideologie und die geringe Zahl von Frauen in Führungspositionen in Bildung, Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft stärker ins Blickfeld. Auch gegen häusliche Gewalt in der Familie, Vergewaltigung und sexuelle Belästigung wurde vorgegangen. Den Gesetzen zur Lohngleichheit zum Trotz entsprechen die Löhne für weibliche Arbeitskräfte in Europa und Nordamerika jedoch im Durchschnitt nur zu 70 Prozent denen ihrer männlichen Arbeitskollegen und liegen oft noch viel niedriger. Frauen tragen immer noch die Doppelbelastung der Kinderbetreuung, Altenpflege und Haushaltsführung „neben“ ihrer Berufstätigkeit. Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und häusliche Gewalt sind nach wie vor weitverbreitet. Die reproduktiven Rechte der Frauen sind beschränkt und werden ständig angegriffen.

In den USA hat die Aufhebung des Urteils Roe versus Wade durch den Obersten Gerichtshof, das Frauen ein (wenn auch eingeschränktes) Recht auf Abtreibung zugestanden hat, die Kampagne zur Rücknahme des in den 1970er Jahren errungenen eingeschränkten Rechts auf Abtreibung auf Ebene der Bundesstaaten gefördert. Die Republikanische Partei verabschiedet Gesetze, um die Abtreibung zu verbieten und die für eine sichere Durchführung notwendigen Kliniken zu schließen. In vielen halbkolonialen Ländern droht der Aufstieg religiös-populistischer Parteien, die Frauen in das patriarchalische Heim zurückzudrängen, was in Afghanistan unter den Taliban bereits fast vollständig geschehen ist, wo sie aus dem Gesundheits-, Bildungswesen und dem öffentlichen kulturellen und politischen Leben verbannt werden.

Selbst die Teilerfolge der Frauenbefreiung ergeben im Weltmaßstab ein äußerst uneinheitliches Bild. Im globalen Süden verstärken die internationale Arbeitsteilung, alte patriarchalische Verhältnisse auf dem Land und religiöse Vorurteile, die von Fundamentalist:innen aller Glaubensrichtungen wiederbelebt werden, diese Ungleichheiten. Frauen wird das Recht verweigert, über ihren eigenen Körper zu bestimmen, zu entscheiden, ob oder wie viele Kinder sie haben wollen. Häusliche Gewalt, Vergewaltigung in der Familie und sogar Mord (so genannte „Ehrenmorde“) bleiben oft weitgehend ungestraft.

Dennoch wurden in den letzten Jahrzehnten Millionen von Frauen in die Massenproduktion gezogen, vor allem in der verarbeitenden Industrie in den Städten Süd- und Ostasiens und Lateinamerikas. In Krisenzeiten sind sie in der Textil-, Elektronik- und Dienstleistungsindustrie, wo Frauen etwa 80 Prozent der Beschäftigten ausmachen, oft die Ersten, die entlassen werden, wobei die Unternehmen die Löhne nicht zahlen, die gesetzlichen Kündigungsfristen nicht einhalten und die Regierungen und Gerichte ein Auge davor zudrücken. Am grausamsten ausgebeutet wird die große Zahl von Wanderarbeiterinnen, deren Familien in ihrer Heimat ohne ihre Überweisungen verhungern.

Heute mühen sich männlich dominierte Regierungen auf der ganzen Welt begierig, die Frauen bei der Wahl ihrer Kleidung zu kontrollieren. In Europa fordern Rassist:innen Einschränkungen für das Tragen des Hidschab (Kopftuch) oder Niqab (Gesichtsschleier) und verhängen Verbote für Frauen, die islamische Gesichtsbedeckungen tragen. In Staaten wie Saudi-Arabien und dem Iran hingegen setzt die Religionspolizei obligatorische islamische Kleidervorschriften durch. Radikale salafistische Gruppen und Dschihadisten haben versucht, Frauen alte und unterdrückerische Regeln wieder aufzuerlegen. Wir stehen für folgende Positionen:

  • Gegen alle Formen der gesetzlichen Diskriminierung von Frauen. Gleiches Recht für Frauen, zu wählen, zu arbeiten, sich zu bilden und an allen öffentlichen und sozialen Aktivitäten teilzunehmen.

  • Hilfe für Frauen, um der Beschränkung ihrer Beschäftigung auf den informellen Sektor und Familienunternehmen zu entkommen. Öffentliche Arbeitsprogramme zur Schaffung von Vollzeitstellen mit angemessenen Löhnen für Frauen.

  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

  • Alle Frauen sollten unabhängig von ihrem Alter Zugang zu kostenloser Verhütung und Abtreibung haben.

  • Vorgehen gegen sexuelle Gewalt in allen Formen. Ausbau von in öffentlichem Besitz befindlichen, selbstorganisierten Schutzräumen vor häuslicher Gewalt und Vergewaltigung. Selbstverteidigung gegen sexistische Gewalt, unter Kontrolle der Arbeiter:innen- und Frauenbewegung.

  • Nein zu Gesetzen, die Frauen dazu verpflichten, religiöse Kleidung zu tragen, oder es ihnen verbieten. Frauen sollten das verbriefte Recht haben, sich nach ihrem Belieben kleiden zu dürfen.

  • Für ein Verbot von Kinderehen und Zwangsverheiratung.

  • Beendigung der Doppelbelastung der Frauen durch die Vergesellschaftung der Hausarbeit. Für eine kostenlose 24-Stunden-Kinderbetreuung und einen massiven Ausbau von preisgünstigen, qualitativ hochwertigen öffentlichen Kantinen, Gemeinschaftsküchen, Restaurants und Wäschereien.

Wir können niemals eine Gesellschaft erreichen, in der alle Menschen gleich sind, wenn wir unsere Entschlossenheit zur Überwindung der sexuellen Ungleichheit nicht in unseren eigenen Widerstandsbewegungen zeigen. Wir müssen das Recht der Frauen innerhalb der Arbeiter:innenbewegung einfordern, sich unabhängig zu treffen, um Diskriminierung zu erkennen und bekämpfen. Wir sind für das Recht von Frauen auf eine angemessene Vertretung in den Führungsstrukturen und auf die Bildung formeller eigener Strukturen in Parteien und Gewerkschaften.

Für eine internationale proletarische Frauenbewegung, um Frauen im Kampf für ihre Rechte zu mobilisieren, um die Klassenkämpfe überall zu stärken. Für die Verbindung des Kampfs gegen das Kapital mit dem für die Emanzipation der Frauen und eine neue Gesellschaftsordnung, die auf wirklicher Freiheit und Gleichheit beruht. Die Aufgabe kommunistischer Frauen ist es, eine solche Bewegung aufzubauen und sich dafür starkzumachen, sie auf den Weg der sozialen Revolution zu führen.

5.2 Gegen die Unterdrückung von Lesben, Schwulen und nicht-binären Menschen

Die historische Ungleichheit der Geschlechter, die Jahrtausende zurückreicht bis zur Entstehung der Klassengesellschaft und des Staates als Instrument der Ausbeutenden gegenüber den Ausgebeuteten, führte zu repressiven Regeln und Gebräuchen in Bezug auf Sexualität und männliche und weibliche Geschlechterrollen. Mit dem Aufkommen der kapitalistischen Gesellschaft wurden heterosexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe, der Familie oder des Kastensystems sowie Homosexualität streng bestraft, bis hin zur Todesstrafe. Menschen, die gegen die binären Geschlechterrollen verstießen, wurden stigmatisiert, gemobbt, in den Selbstmord getrieben oder ermordet. Nur in einer Minderheit von Ländern sind sie rechtlich gleichgestellt. In Afrika wurden Lesben und Schwulen, als sie gleiche Bürger:innenrechte einforderten, mit einer Welle von Gewalt und Repression überzogen. Die meisten Religionen billigen diese hasserfüllte Unterdrückung.

In sogenannten „liberalen Demokratien“ wie den USA und Westeuropa stehen transsexuelle Menschen im Fadenkreuz der Reaktion. Die extreme Rechte wird bei diesen Attacken von einigen vermeintlich linken und feministischen oder gar „marxistischen“ Gruppen unterstützt, die behaupten, dass trans Rechte die der Frauen verletzten. Die Arbeiter:innenbewegung und die sozialistische Jugend müssen sich überall für LGBTQIA+-Menschen einsetzen.

  • Volle rechtliche Gleichheit für LGBTQIA+-Personen, einschließlich des Rechts auf Lebenspartner:innenschaften und Ehen.

  • Beendigung aller Verfolgungen durch den Staat, die Kirchen, Tempel und Moscheen: Respekt für jede Art von sexueller Orientierung. Jede einvernehmliche sexuelle Aktivität zwischen Erwachsenen sollte eine Frage der persönlichen Entscheidung sein.

  • Verbot jeglicher Diskriminierung und Hassverbrechen gegen LGBTQIA+-Personen.

  • Für das gesetzliche Recht von trans Personen, als das Geschlecht zu leben, sich so zu kleiden und sozialisieren, als das sie sich selbst identifizieren.

  • Für das Recht von trans Personen, sich selbst als das von ihnen gewählte Geschlecht zu identifizieren, einschließlich des Rechts, öffentliche Einrichtungen (einschließlich öffentlicher Toiletten usw.) entsprechend ihrer Geschlechtsidentität zu nutzen.

  • Keine Diskriminierung bei der Wohnungssuche, beim Zugang zu Lebensversicherungen, bei der medizinischen Behandlung, beim Zugang zur Arbeit oder zu Dienstleistungen.

  • Für das Recht von LGBTQIA+-Personen, Kinder zu erziehen.

  • Für das Recht von trans Personen auf uneingeschränkten Zugang zu geschlechtsangleichender Behandlung unter ärztlicher Aufsicht, einschließlich des Rechts von vorpubertären trans Personen auf uneingeschränkten Zugang zu ihre Pubertät hemmenden Medikamenten.

  • Keine Verbote der Aufklärung über die sexuelle Orientierung von Menschen! Keine Einmischung in das Sexualleben von Erwachsenen in beiderseitigem Einvernehmen. Für den freien Ausdruck aller Formen von Sexualität und Beziehungen!

  • Für das Recht von LGBTQIA+-Personen auf gesonderte Treffen und Gruppierung (Caucusrecht), um die Unterdrückung in den Gewerkschaften und Arbeiter:innenparteien zu bekämpfen.

5.3 Für die Befreiung der jungen Menschen

Kapitalistische Krisen treffen Jugendliche besonders hart, weil sie der am wenigsten abgesicherte Teil der Arbeiter:innenschaft sind und am leichtesten entlassen werden können. In den Jahren nach der großen Krise 2008 lag die Jugendarbeitslosigkeit doppelt so hoch wie die der Erwachsenen. Es gab weniger Arbeitsplätze für Schulabgänger:innen und Kürzungen von staatlichen Bildungsbudgets, die die Alternative eines Vollzeitstudiums an einer Hochschule stark einschränkten. In den halbkolonialen Slums hat die Verarmung der Familien die brutale Behandlung von Kindern verstärkt. Es ist sicher, dass die nächsten Krisen ähnliche Folgen haben werden.

Gleichzeitig tun die Gewerkschaftsbürokratie und reformistischen Apparate der Arbeiter:innenparteien in vielen Ländern so gut wie nichts, sich für die Jugend einzusetzen, beschneiden und unterdrücken vielmehr ihre Begeisterungsfähigkeit und Rechte. Kein Wunder: Die Jugend hat das Potenzial, in allen Ländern als mächtige revolutionäre Kraft zu wirken, erfüllt von Kampfgeist, frei von vielen Vorurteilen und konservativen Gewohnheiten, die von bürgerlichen und reformistischen Parteien sowie Gewerkschaften eingeimpft werden. Sie sind ein wesentliches Element der revolutionären Vorhut. Eine Fünfte Internationale muss es ihnen ermöglichen, aus ihren eigenen Erfahrungen zu lernen und ihre eigenen Kämpfe zu führen, indem sie die Gründung einer Revolutionären Jugendinternationale fördert. Wir kämpfen für:

  • Arbeitsplätze für alle jungen Menschen zu gleichen Löhnen und Bedingungen wie für ältere Beschäftigte.

  • Abschaffung schlecht bezahlter Praktika, stattdessen Berufsausbildung bei voller Bezahlung mit anschließender Beschäftigungsgarantie.

  • Schluss mit jeder Kinderarbeit.

  • Kostenlose Bildung für alle vom Säuglingsalter bis zum 16. Lebensjahr sowie folgende Weiterbildung für alle, die es wollen, mit einem garantierten Lebensunterhalt. Erlass aller Schulden aus Studienkrediten.

  • Für das Wahlrecht ab 16 Jahren oder mit Eintritt ins Erwerbsalter, falls dieses früher beginnt.

  • Keine Ächtung von Kleidung, Musikstilen oder der Kultur der Jugend. Volle Freiheit der Meinungsäußerung.

  • – Beendigung des verlogenen „Kriegs gegen Drogen“. Legalisierung aller Drogen unter einem staatlichen Monopol, um die Reinheit zu garantieren und die Drogenbanden auszuschalten, mit Bildungs- und Gesundheitsdiensten zur Eindämmung und Beseitigung von Suchtabhängigkeit und gesundheitsgefährdendem Missbrauch.

  • Für Jugendzentren und angemessene menschenwürdige Unterkünfte, die vom Staat finanziert werden, aber unter der demokratischen Kontrolle der Jugendlichen stehen, die sie nutzen.

  • Stoppt die Kürzungen im Bildungswesen. Für massive Investitionen in das öffentliche Bildungssystem. Mehr Lehrpersonal und höhere Löhne. Bau von mehr staatlichen Schulen. Verstaatlichung von Privatschulen.

  • Gegen alle Beschränkungen des freien Zugangs zu allen Bildungseinrichtungen. Keine Schul- und Universitätsgebühren.

  • Nein zu jeglicher religiösen oder privaten Kontrolle über das Schulwesen und für weltliche, staatlich finanzierte Bildung.

  • In der Entwicklung ihres Sexuallebens sind junge Menschen Intoleranz, Unterdrückung und Verfolgung ausgesetzt. Sexualerziehung muss in staatlichen Schulen ohne religiöse oder elterliche Einmischung möglich sein, damit die Jugendlichen ihre Sexualität so leben können, wie sie sich entwickelt, entsprechend ihrer sexuellen Orientierung und ihren eigenen Entscheidungen. Für den freien Zugang zu Diensten der sexuellen und reproduktiven Gesundheit.

  • Keine polizeiliche Überwachung der Beziehungen und Sexualität junger Menschen! Für die freie Entfaltung der Sexualität junger Menschen, frei von Eingriffen des bürgerlichen Staates, religiöser Moral oder familiärer Unterdrückung!

  • Für strenge Gesetze gegen Vergewaltigung und sexuelle Belästigung in der Familie, zu Hause, an Schulen, in Kinderheimen und Waisenhäusern sowie am Arbeitsplatz. Schutz der Kinder vor Missbrauch, egal von wem er ausgeübt wird, von Geistlichen, Lehrkräften, Eltern.

  • Keine Kontrolle des Bildungssystems durch den bürgerlichen Staat! Schüler:innen, Lehrer:innen und Vertreter:innen der Arbeiter:innenbewegung sollten die Lehrpläne selbst festlegen und die Schulen demokratisch verwalten.

5.4 Rassismus bekämpfen – Verteidigung von Flüchtlingen und Migrant:innen

Rassismus ist eine der weitestgehenden und bösartigsten der vielen Formen der Unterdrückung, die der Kapitalismus hervorbringt. Seine Wurzeln liegen tief in der Geschichte der kapitalistischen Entwicklung. Der Weltmarkt und der Handel wuchsen unter der Vorherrschaft mächtiger kapitalistischer Staaten, die schwächere Gemeinwesen ausplünderten. Die Sklaverei in Amerika, die Früchte des britischen, holländischen und französischen Imperiums, die Eroberungskriege Deutschlands und Japans – sie alle erforderten, dass die Unterdrücker:innen jenen, die sie versklavten, ihre Eigenschaft als vollwertige Menschen absprachen. Die Afrikaner:innen, die Inder:innen, die Chines:innen, die Südostasiat:innen und das jüdische Volk wurden von den neuen imperialen Mächten als Untermenschen dargestellt, die der Rechte, die sie ihren Bevölkerungen im eigenen Land, wenn auch nur widerwillig, zugestanden, nicht würdig wären.

Durch die systematische Verbreitung der neuen Ideologie des Rassismus rechtfertigten die imperialen Mächte ihre Verbrechen in Übersee, banden ihre eigene Bevölkerung an die Unterstützung nationaler militärischer Abenteuer, wie kriminell diese auch sein mochten, schirmten ihre eigenen Arbeiter:innen vom rebellischen Geist ihrer kolonialen Geschwister ab und förderten tiefe Spaltungen zwischen einheimischen und zugewanderten Teilen der Arbeiterk:innenklasse im Heimatland.

Heute, nach der großen Bürger:innenrechtsbewegung in den USA und den siegreichen nationalen Bewegungen, die die Kolonialist:innen aus Indien, Algerien und Vietnam vertrieben und die Apartheid in Südafrika besiegten, schwört die Bourgeoisie der imperialistischen Mächte auf den Antirassismus. Dennoch diskriminieren dieselben Regierungen systematisch schwarze, afrikanische, asiatische und Migrant:innengemeinschaften in ihren Heimatländern, führen rassistische Einwanderungskontrollen durch und setzen nicht-weiße Minderheiten den schlechtesten Wohnverhältnissen, niedrigsten Löhnen und ständigen Drangsalierungen durch die Polizei aus. Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat die Aufmerksamkeit auf die Tötung junger Afroamerikaner:innen durch bewaffnete Polizist:innen und ähnliche Verfolgungen gegenüber Asiat:innen und Latinos/as gelenkt. In Europa, im Osten wie im Westen, sind Roma und muslimische Gemeinschaften die Opfer von Polizeirazzien und Zwangsabschiebungen, angestachelt durch die unablässige abscheuliche rassistische Propaganda der millionenschweren Medien.

Die so genannte Flüchtlingskrise der EU hat dazu geführt, dass Syrer:innen, Afghan:innen, Iraker:innen und Jemenit:innen, die vor Krieg fliehen, sowie Afrikaner:innen aus Ländern südlich der Sahara auf der Flucht vor Armut und den Auswirkungen des Klimawandels an der Überquerung des Mittelmeers gehindert werden und ihnen Lagerhaft und Abschiebung drohen. Die Arbeiter:innenbewegung muss die Arbeitsmigrant:innen in einen gemeinsamen Kampf gegen Rassismus und Kapitalismus einbinden.

  • Öffnung der Grenzen. Gewährung des Asylrechts für alle, die vor Diktatur, brutalen Kriegen und Unterdrückung aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht oder Geschlechtsidentität fliehen.

  • Abschaffung der Kontrollen, die die Freizügigkeit von Arbeitssuchenden behindern, und Gewährung der vollen Staatsbürger:innenschaft, der Sozialhilfe, der Wohn- und Arbeitsrechte.

  • Schluss mit jeder Form der Diskriminierung von Migrant:innen.

  • Gleicher Lohn und gleiche demokratische Rechte, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Religion oder Staatsbürger:innenschaft. Volle Bürger:innenrechte für alle Migrant:innen, einschließlich des Wahlrechts!

  • Für das Recht muslimischer Frauen, in allen Bereichen des öffentlichen Lebens religiöse Kleidung (Schleier, Niqab, Burka) zu tragen, wenn sie dies wünschen, und für das Recht von Frauen in muslimischen Ländern und Gemeinschaften, keine religiöse Kleidung zu tragen, frei von gesetzlichem, klerikalem oder familiärem Zwang.

  • Volles Asylrecht für alle Menschen, die vor Krieg, Unterdrückung und Armut aus ihren Heimatländern fliehen.

  • Gegen Rassismus und alle Formen der Rassendiskriminierung. Dem Rassismus muss in allen Bereichen der Arbeiter:innenbewegung entgegengetreten werden. Nein zu Streiks gegen die Beschäftigung ausländischer oder migrantischer Arbeitskräfte.

  • Die Arbeiter:innenbewegung, insbesondere in den Medien tätige Gewerkschafter:innen, müssen eine Kampagne starten, begleitet von direkten Aktionen, um rassistische Hasspropaganda zu beantworten und zu stoppen.

5.5 Nationale Befreiung und die permanente Revolution

Die Worte, die die Dritte Internationale der Ersten hinzufügte: „Arbeiter und unterdrückte Völker aller Länder, vereinigt euch“, spiegeln die Tatsache wider, dass eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur internationalen Befreiung der Arbeiter:innenklasse die nationale Unterdrückung ist: das Weltsystem, das auf der systematischen Unterdrückung der meisten Nationen durch eine Handvoll anderer beruht. Eine dauerhafte Einheit zwischen den Mehrheitsklassen aller Völker kann nicht erreicht werden, wenn eine Nation eine andere unterdrückt.

Heute wird ganzen Nationen – der palästinensischen, kurdischen, Rohingyas, uigurischen, belutschischen, Kaschmiris, tschetschenischen, tamilischen in Sri Lanka, tibetischen und vielen anderen – das Recht auf Selbstbestimmung verweigert. Das Gleiche gilt für viele indigene oder in Stämmen lebende Völkerschaften in Nord- und Südamerika, Südostasien und Afrika. Sie sind ethnischen Säuberungen, Einpferchungen in Konzentrationslagern, der Unterdrückung von Sprache und Kultur und sogar Völkermord ausgesetzt.

Die Arbeiter:innenklassen, insbesondere in den imperialistischen Staaten, deren herrschende Klassen für diese Unterdrückung verantwortlich sind, müssen dem Befreiungskampf der unterdrückten Nationen in vollem Umfang Beistand und praktische Hilfe leisten.

  • Für das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Völker, einschließlich ihres Rechts, einen eigenen Staat zu gründen, wenn sie dies wünschen, und ihres Rechts, ihren Willen frei von jeglichem Zwang und jeder Einschüchterung zu äußern.

  • Für das Recht der indigenen Völker, ihr Land zurückzuerhalten, frei von Siedlungen, die sie zu einer Minderheit machen sollen. Materielle Entschädigung (Wohnraum, Dienstleistungen, Infrastruktur) für das, was sie erlitten haben, bezahlt von den herrschenden Klassen, die ihnen das angetan haben.

  • Für gleiche Rechte und volle Staatsbürger:innenschaft für Angehörige nationaler Minderheiten.

  • Gegen alleingültige Amtssprachen. Gleiches Recht für nationale Minderheiten, ihre Sprachen an den Schulen, bei Gerichten, in Medien und im Umgang mit der öffentlichen Verwaltung zu verwenden.

  • Für das Recht von Migrant:innengemeinschaften, ihre Muttersprache in der Schule zu gebrauchen.

In den halbkolonialen Ländern, die nur dem Namen nach unabhängig sind und der politischen Einmischung und wirtschaftlichen Kontrolle durch die imperialistischen Großmächte unterliegen, haben die Massen immer noch nicht viele der Grundrechte erlangt, die in den ersten kapitalistischen Ländern, in der Englischen Revolution der 1640er Jahre, der Amerikanischen Revolution von 1776 und der Französischen Revolution von 1789 eingeführt wurden. Auch in der halbkolonialen Welt von heute sind viele grundlegende Aufgaben der kapitalistischen Entwicklung wie nationale Unabhängigkeit, Agrarrevolution, demokratische Rechte und die rechtliche Gleichstellung der Frauen noch nicht erfüllt.

Infolgedessen glauben heute viele nationalrevolutionäre Kräfte, die vom bürgerlich-demokratischen Denken und von der „Etappentheorie“ Stalins beeinflusst sind, wie sie immer noch von den offiziellen kommunistischen Parteien vertreten wird, dass die Lösung für die halbkoloniale Unterentwicklung darin besteht, die demokratische Revolution zu vollenden und eine echte nationale Unabhängigkeit und eine moderne Republik zu errichten, und zwar durch ein Bündnis aller Klassen, die sich der Fremdherrschaft widersetzen und die demokratische Entwicklung unterstützen.

Dieses Schema ist die gemeinsame Strategie unterschiedlicher Kräfte in der halbkolonialen Welt, von der Fatah und der PFLP in Palästina bis hin zur demokratischen Bewegung im Iran, der Kommunistischen Partei auf den Philippinen und den Maoist:innen in Nepal. Die Geschichte hat jedoch immer wieder gezeigt, dass die nationale Bourgeoisie in solchen Ländern zu schwach und zu eng mit dem ausländischen Kapital und den imperialistischen Mächten und Konzernen verbunden ist, um eine klassische bürgerliche Revolution zum Sieg zu führen.

Diese Aufgabe fällt der Arbeiter:innenklasse zu. Um die nationale Revolution im Bündnis mit den Bauern und Bäuerinnen anzuführen, müssen die Arbeiter:innen ihre strikte Unabhängigkeit von den Kapitalist:innen bewahren und nicht nur die vollsten demokratischen Rechte durchsetzen, sondern auch die Beschränkungen des Kapitals überwinden; sie können die Macht nicht in den Händen einer bürgerlichen Klasse belassen, die von Natur aus unfähig ist, mit dem Imperialismus zu brechen und nur ihre eigenen Privilegien vor den Massen sichern will. Die Arbeiter:innen müssen unmittelbar die soziale Revolution ansteuern. Dies ist die Strategie der ununterbrochenen oder permanenten Revolution.

Die Arbeiter:innenklasse muss sich für die Durchsetzung voller demokratischer und nationaler Rechte in unterdrückten und halbkolonialen Nationen einsetzen. Sie muss sich an die Spitze des Kampfes gegen die imperialistische Herrschaft stellen, die sich entweder auf Verschuldung, Besetzung, Kontrolle durch multinationale Konzerne oder aufgezwungene und Marionettenregierungen gründet.

Die Organisationen der Arbeiter:innenklasse müssen zur Bildung einer antiimperialistischen Einheitsfront aller Bevölkerungsschichten unter Wahrung ihrer eigenen Unabhängigkeit aufrufen.

Keine Beteiligung der Arbeiter:innenorganisationen an einer bürgerlichen Regierung, wie radikal ihre antiimperialistische Rhetorik auch klingen mag.

  • Für Arbeiter:innen- und Bäuer:innen-Delegiertenräte.

  • Für eine Arbeiter:innen- und Bäuer:innenregierung, die von der demokratischen zur sozialen Revolution übergeht, das Eigentum vergesellschaftet und die Kontrolle über Industrie und Landwirtschaft übernimmt, imperialistische Schulden streicht und die Revolution auf andere Länder ausweitet, regionale Föderationen von Arbeiter:innenstaaten und die sozialistische Entwicklung in Angriff nimmt.

6. Der Kampf um die Macht

6.1 Für eine Regierung der Arbeiter:innen und Bäuer:innen

Aus Wirtschaftskrisen und Kriegen und großen Aufschwüngen im Klassenkampf können sich leicht vorrevolutionäre oder tatsächlich revolutionäre Situationen ergeben, in denen die herrschende Klasse gespalten ist und die reformistischen Führer:innen die Kontrolle verlieren, was die Kampforgane der Arbeiter:innenklasse vor die Notwendigkeit stellt, eine Regierungslösung in ihrem Interesse zu finden. Solche sozialen Krisen warten nicht darauf, dass die Arbeiter:innenklasse eine revolutionäre Massenpartei schafft, die bereit ist, die Macht zu übernehmen. In Ermangelung einer solchen blickt die Klasse weiterhin auf ihre bestehenden Gewerkschafts- und reformistischen Parteiführungen. Wenn rechte Parteien an der Macht sind, wollen reformistische Arbeiter:innen vielleicht nicht erst die nächsten regulären Wahlen abwarten, sondern versuchen, eine rechte Regierung durch direkte Aktionen, Generalstreiks oder Fabrikbesetzungen aus dem Amt zu jagen, und so „ihre eigenen“ Parteien an die Macht zu bringen.

Revolutionär:innen müssen davor warnen, dass die reformistischen Führungen, selbst wenn sie durch Massenaktionen an die Macht gebracht werden, immer noch alles tun werden, um der Kapitalist:innenklasse diese Macht zurückzugeben, indem sie die kampfbereite Klasse demobilisieren. Es dabei zu belassen, die Reformist:innen nur anzuprangern, hieße jedoch, die Methode unseres Übergangsprogramms aufzugeben. Es stellt kein Ultimatum, verlangt nicht, dass die Arbeiter:innen zunächst ihre bestehenden Organisationen oder Führungen aufgeben müssten, bevor sie für die entscheidenden Forderungen und Losungen der Stunde tätig werden könnten, ja, bevor sie für die Machtübernahme kämpfen.

Unter diesen Umständen rufen wir alle bestehenden Arbeiter:innenführungen, sowohl Gewerkschaften als auch Parteien, dazu auf, mit den Kapitalist:innen zu brechen und eine Regierung zu bilden, die die Krise im Interesse der Arbeiter:innenklasse löst und sich gegenüber deren Massenorganisationen verantwortlich zeigt. Die Arbeiter:innenorganisationen sollten fordern, dass eine solche Regierung wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen die kapitalistische Sabotage ergreift, ihre Industrien, Banken usw. enteignet und die Kontrolle der Arbeiter:innen über sie anerkennt und zulässt.

Wenn die Arbeiter:innenklasse eine Regierung erstrebt, die die ökonomischen, ökologischen und kriegerischen Bedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind, löst, kann sich diese nicht auf die bestehenden Organe des bürgerlichen Staates stützen, seien sie politisch, repressiv oder ökonomisch, da diese untrennbar mit der Klasse verbunden sind, die die Probleme verursacht hat und ihre Lösung behindert und die auf ihren höchsten Ebenen mit deren Gefolgsleuten besetzt sind. Sie muss sich stattdessen auf die Kampforgane der Arbeiter:innenklasse verlassen und bereit sein, dem Großkapital ihr Programm der Kontrolle und Enteignung aufzuzwingen. Diese Aufgabe erfordert eine andere Art von Staat als den demokratischsten kapitalistischen, oder, wie Lenin sagte, einen Halbstaat, der durch die Demokratie, Selbstverwaltung und Selbstverteidigung der Produzent:innen funktioniert.

Um die unvermeidliche Sabotage durch die Spitzen des öffentlichen Dienstes, polizeiliche Provokationen, militärische oder „verfassungskonforme“ Putsche zu verhindern, werden wir den Aufbau und die Bewaffnung einer Arbeiter:innenmiliz brauchen und die Kontrolle der Offizier:innenkaste über die einfachen Dienstgrade innerhalb der Armee brechen müssen.

In einer Phase, in der Revolutionär:innen eine wachsende Alternative zu den Reformist:innen darstellen, könnte eine solche Arbeiter:innenregierung als Brücke zur revolutionären Übernahme der Staatsmacht durch die Arbeiter:innenklasse dienen, wobei die gesamte Macht in die Hände direkt gewählter Räte aus jederzeit abrufbaren Arbeiter:innendelegierten (Sowjets) übergehen und sich so die Gründung eines revolutionären Staates vollziehen kann.

  • Bruch mit der Bourgeoisie: Alle Arbeiter:innenparteien müssen ihre strenge Unabhängigkeit bewahren und sich weigern, mit den Parteien der Kapitalist:innen auf lokaler oder nationaler Ebene Koalitionsregierungen einzugehen.

  • Für eine Arbeiter:innen- und Bäuer:innenregierung: Enteignung der Kapitalist:innenklasse. Verstaatlichung aller Banken, Konzerne, des Großhandels, des Verkehrs, des Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Kommunikationswesens und der Dienstleistungen ohne Entschädigung und unter Arbeiter:innenkontrolle.

  • Die verstaatlichten Banken sollten zu einer einzigen staatlichen Bank unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter:innenklasse verschmolzen werden, wobei die Entscheidungen über Investitionen und Ressourcen demokratisch getroffen werden sollten, als Schritt zur Bildung eines zentralen Plans unter Kontrolle der Arbeiter:innenklasse und zur Entfaltung einer sozialistischen Wirtschaft.

  • Einführung eines Außenhandelsmonopols und von Kontrolle der Kapitalbewegungen.

  • Die Machtbefugnis einer Arbeiter:innen- und Bäuer:innenregierung sollte auf den Räten (Sowjets) und bewaffneten Milizen der Arbeiter:innen, Bauern und Bäuerinnen und der städtischen Armen gegründet sein.

  • Die volle Staatsgewalt der Arbeiter:innenklasse kann nur durch die Zerschlagung der bewaffneten Macht des kapitalistischen Staates, seines militärischen und bürokratischen Apparates und seine Ersetzung durch die Herrschaft der Arbeiter:innenräte und der Arbeiter:innenmiliz erreicht werden.

6.2 Der Aufstand

Unser Ziel ist die politische Macht, die Macht, die Welt für immer zu verändern, damit Ungleichheit, Krisen und Kriege, Ausbeutung und Klassen eine ferne Erinnerung werden. Aber Revolutionär:innen allein machen die Revolution nicht. Es braucht objektive Voraussetzungen: eine tiefe wirtschaftliche, politische und soziale Krise, die die herrschende Klasse nicht lösen kann, so dass sie selbst gespalten wird. Auch subjektive Bedingungen sind erforderlich: Die Arbeiter:innenklasse und die untere Mittelschicht dürfen nicht länger bereit sein, die alte Ordnung aufgrund des Leids und des Chaos, das die herrschende Klasse verursacht hat, weiterhin zu unterstützen. Unter diesen Bedingungen entstehen eine vorrevolutionäre oder revolutionäre Situation, und unter diesen Voraussetzungen kann eine beträchtliche Anzahl von revolutionären Avantgardekämpfer:innen die Mehrheit der Arbeiter:innenklasse für die Perspektive der Revolution gewinnen.

Revolutionär:innen müssen vorrevolutionäre und revolutionäre Situationen erkennen und in ihnen die mutigsten Protagonist:innen des Umsturzes der Macht sein. Sie müssen durch entschlossene und richtige Propaganda und Agitation in Massenbewegungen, Aufständen oder Bürgerkriegen um die Führung kämpfen und zielstrebig den Weg weisen. Für revolutionäre Organisationen und Parteien bedeuten das Versäumen revolutionärer Situationen, passives Kommentieren, das Führen eigener Kämpfe getrennt von den Massen, Angst vor der revolutionären Bewegung oder gar Unterordnung unter nichtrevolutionäre Kräfte unverzeihliche zentristische Fehler, die in der Vergangenheit immer wieder zur Niederlage der Arbeiter:innen geführt haben.

Die Übertragung der Macht von einer Klasse auf die andere kann nur durch den Aufstand der ausgebeuteten Massen unter Führung einer revolutionären Partei mit ihrer kämpferischen Vorhut erreicht werden. Da der bürgerliche Staat ein bewaffnetes Unterdrückungsinstrument verkörpert, kann seine Macht nur gebrochen werden, indem man dem Oberkommando und dem Offizier:innenkorps die Kontrolle über diese Kräfte entzieht, die einfachen Soldat:innen für sich gewinnt und die der Konterrevolution treu gebliebenen Truppenteile gewaltsam auflöst.

Wir können den alten Staatsapparat nicht übernehmen; wir müssen ihn zerstören und durch einen völlig neuen Staat ersetzen, einen Staat, in dem die Arbeiter:innenklasse, die Bauern, Bäuerinnen und die städtischen Armen die Gesellschaft durch in den Betrieben, den Barrios, den Dörfern, den Schulen und Universitäten gewählte Delegiertenräte verwalten. Immer wieder sind solche Gremien in revolutionären Krisen entstanden, von der Pariser Kommune über die russischen Sowjets, die deutschen Räte, die chilenischen Cordones bis zu den iranischen Schoras. Sie entstehen als Kampforgane, Räte der Aktion, aber nur eine klare revolutionäre Führung kann sie befähigen, zu Organen des Aufstands und dann zu einer neuen Staatsmacht der Arbeiter:innenklasse zu werden.

Solange es noch eine alte herrschende Klasse gibt, die in der Lage ist, die Macht zurückzuerobern, muss die Arbeiter:innenklasse alles Notwendige tun, um dies zu verhindern. Ein Arbeiter:innenstaat wird zwar die umfassendste und freieste Demokratie für die ehemals ausgebeuteten Klassen sein, aber gleichzeitig eine Diktatur gegen diejenigen, die den Kapitalismus wiederherstellen wollen. Nicht mehr und nicht weniger bedeutet die Diktatur des Proletariats in Wirklichkeit. Auf sie kann erst verzichtet werden, wenn die mächtigsten herrschenden Klassen unseres Planeten entwaffnet und enteignet worden sind.

Ein Arbeiter:innenstaat darf jedoch nicht zulassen, dass eine Kaste von Bürokrat:innen die Diktatur über die Arbeiter:innen ausübt, und er kann auch kein Staat sein, in dem nur eine Partei existieren darf. Die arbeitenden Massen müssen die Möglichkeit haben, ihre unterschiedlichen Ansichten in verschiedenen Parteien zum Ausdruck zu bringen, die auf demokratische Weise in Wettbewerb miteinander treten, um eine Mehrheit in den Arbeiter:innenräten zu gewinnen und behalten. Unser Sozialismus darf auch keiner sein, in dem ein Präsident, ein Caudillo oder ein lider maximo alle Initiative in seinen Händen konzentriert und sich mit einem Personenkult umgibt wie ein Stalin, ein Mao, ein Castro oder ein Chávez.

Die volle Staatsgewalt der Arbeiter:innenklasse kann nur durch die Zerschlagung der bewaffneten Macht des kapitalistischen Staates, seines militärischen und bürokratischen Apparates und seine Ersetzung durch die Herrschaft der Arbeiter:innenräte und der Arbeiter:innenmiliz selbst erreicht werden.

6.3 Unser Ziel: Weltrevolution und Kommunismus

Der Sozialismus, für den wir kämpfen, braucht Produktionsmittel in großem Maßstab in den Händen der Arbeiter:innenklasse, die ihre Entwicklung demokratisch planen kann, um die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen und Ungleichheit und soziale Klassen schrittweise zu beseitigen.

In einem revolutionären Arbeiter:innenstaat wird es keinen monströsen, bürokratischen Plan geben wie unterm Stalinismus, wo eine Kaste privilegierter Bürokrat:innen versuchte, alles zentral zu entscheiden. Nach der Revolution wird die Arbeiter:innenklasse die Banken, die wichtigsten Finanzinstitutionen, die Verkehrs- und Versorgungsunternehmen und alle wichtigen Industriezweige vergesellschaften. Dies wird die Grundlage für eine Reihe von ineinandergreifenden Plänen bilden, die von der lokalen über die regionale bis zur nationalen und internationalen Ebene integriert und koordiniert sind und jeweils nach einer Debatte von einer Arbeiter:innen- und Verbraucher:innendemokratie beschlossen werden.

Dies ist kein Traum, wie die bürgerlichen Propagandist:innen behaupten. Moderne Technologien machen es möglich, Bedürfnisse und Notwendigkeiten rund um den Erdball in Sekundenschnelle zu entdecken und zu kommunizieren und dann die Produktion und den Transport zu koordinieren, um sie zu erfüllen. Jeder moderne multinationale Konzern arbeitet bereits auf diese Weise. Aber im Gegensatz zu den kapitalistischen Konzernen werden wir die Errungenschaften der modernen Technologien nicht für den Profit einiger weniger, sondern zum Nutzen der gesamten Menschheit einsetzen.

Handwerker:innen, Ladenbesitzer:innen und Kleinbauern und -bäuerinnen werden ihre Familienbetriebe als Privateigentum behalten können, wenn sie dies wünschen. Gleichzeitig werden sie ermutigt, sich von der Unsicherheit des Marktes und der Verdrängungskonkurrenz zu befreien, indem sie ihre Produktion auf den gesamtgesellschaftlichen Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung ausrichten. Die Vorstellung, dass der Sozialismus auf Privateigentum in kleinem Maßstab oder auf Genossenschaften beruhen kann, ist eine rückwärtsgewandte Utopie, die mit der Zeit nur die Bedingungen der Marktwirtschaft wiederherstellen und die Kapitalakkumulation erneut fördern kann.

Die Vergesellschaftung des bäuerlichen Kleinbesitzes, der kleinen Läden usw. muss jedoch schrittweise und freiwillig erfolgen und nicht zwangsweise wie unter Stalin.

Unabhängig davon, ob die Revolution zuerst in einem rückständigen, halbkolonialen oder in einem fortgeschrittenen, imperialistischen Land ausbricht und triumphiert, ist es von entscheidender Bedeutung, dass sie sich rasch über die Grenzen des betreffenden Staates hinaus ausbreitet. Dies ist notwendig, um das Erreichte zu verteidigen und das volle Potenzial der sozialistischen Gesellschaft auszuschöpfen. Wo immer die Arbeiter:innen die Macht ergreifen, werden sie von ausländischen kapitalistischen Mächten angegriffen, v. a. von den imperialistischen Großmächten. Die wirksamste Form der Verteidigung ist daher die Ausbreitung der Revolution in diesen Ländern durch den vollen Einsatz für die dortigen Arbeiter:innenklassen im Machtkampf. Außerdem ist es unmöglich, den Aufbau des Sozialismus auf nationaler Ebene zu vollenden, wie der Niedergang und der endgültige Zusammenbruch der Sowjetunion bewiesen haben. Der „Sozialismus in einem Land“ bleibt eine reaktionäre Utopie.

Die vom Kapitalismus über Jahrhunderte entwickelten Produktivkräfte erfordern eine internationale Ordnung. Seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ist der Nationalstaat selbst zu einem Hindernis für ihre Weiterentwicklung geworden. Die Notwendigkeit der Strategie der permanenten Revolution ergibt sich daher nicht nur aus der Notwendigkeit, den anhaltenden Widerstand der alten herrschenden Klassen zu bekämpfen, sondern aus dem Umstand, dass eine rationale und nachhaltige Entfaltung der Produktivkräfte der Menschheit letztlich nur auf Weltebene erfolgen kann.

Auf Grundlage einer weltumspannenden Planwirtschaft und einer Weltföderation sozialistischer Republiken können wir uns schließlich auf ein gemeinsames Wohlstandsniveau und die vollständige Gleichberechtigung der gesamten Menschheit zubewegen. Als Ergebnis dieses Prozesses werden soziale Klassen und die repressiven Merkmale des Staates allmählich absterben – es wird das erreicht, was Marx, Engels und Lenin Kommunismus nannten. Aber zuerst müssen wir diesen Prozess ins Werk setzen. In einem Land nach dem anderen, das von der historischen Krise des Systems erschüttert wird, müssen wir den Kapitalismus in den Abgrund stürzen. Die Weltrevolution, und nichts anderes, ist die Aufgabe der kommenden Fünften Internationale.

  • Arbeiter:innen und unterdrückte Völker der Welt – vereinigt euch!

  • Vorwärts zu einer neuen, einer Fünften Internationale!

7. Eine revolutionäre Partei und Internationale

Es war Karl Marx, der zuerst erklärt hatte, dass die Befreiung der Arbeiter:innenklasse von der kapitalistischen Herrschaft nur das Werk der Arbeiter:innenklasse selbst sein könne und niemals durch „Retter:innen von oben“ erreicht werden könne. Im Gegensatz zu den Anarchist:innen stellte er jedoch nicht die Mystik der „Selbsttätigkeit“ oder des „Sozialismus von unten“ der politischen Aktion, sei sie „direkt“ oder „durch Wahlen“, entgegen, sondern die Notwendigkeit, eine von allen kapitalistischen Parteien oder Persönlichkeiten unabhängige Partei der Arbeiter:innenklasse aufzubauen. Eine solche Partei, so betonte er, muss internationalistisch sein, wie es der Kampfruf aus dem Kommunistischen Manifest und der Eröffnungsrede der Ersten Internationale „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch“ zum Ausdruck bringt.

Sie muss die revolutionäre Theorie mit der Praxis vereinen. Ausgangspunkt ist das Verständnis der Bewegungsgesetze des Kapitalismus, des Charakters der Ausbeutung, der Wiederkehr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Krisen, die die Bedingungen für die Befreiung nicht nur der Arbeiter:innen, sondern aller Unterdrückten schaffen. Die revolutionäre Theorie steht bereit, um angewendet zu werden und die Welt zu verändern. Im Gegenzug bereichert die Praxis einer solchen Partei ihrerseits die Theorie und entwickelt sie weiter.

Es war der russische Revolutionär Lenin, der diese Lehren zu einem praktischen Leitfaden für den Aufbau einer revolutionären Partei destillierte, einer Partei, deren Aufgabe es sein sollte, die Arbeiter:innenklasse in all ihren großen Kämpfen zum Angriff auf den kapitalistischen Staat und seine ausgeklügelten Instrumente der Unterdrückung und Täuschung sowohl in der Gesellschaft insgesamt als auch innerhalb der Arbeiter:innenbewegungen selbst (reformistische Parteien, Gewerkschaftsbürokratie) zu führen. Das Modell der Partei, das Lenin entwickelt hat, der Bolschewismus, kann nicht als fertige Formel, auf jede Situation aufgepfropft werden. Das Aussehen einer revolutionären Partei kann und wird sich je nach den historischen und nationalen Bedingungen ändern und anpassen.

Es gibt jedoch ausschlaggebende Grundprinzipien, die das Fundament jeder wirksamen revolutionären Partei bilden müssen. Diese wurden zuerst in Lenins klassischem Werk „Was tun?“ beschrieben. Darin findet sich auch die bis heute sehr umstrittene Aussage: „Klassenpolitisches Bewusstsein kann der Arbeiter:innenklasse nur von außen, d. h. nur von außerhalb des ökonomischen Kampfes vermittelt werden“. Damit wird weder geleugnet, dass Klassenbewusstsein im Kapitalismus oft in den alltäglichen Auseinandersetzungen mit den Kapitalist:innen und ihrem Staat seine Keimzelle hat, noch bedeutet es, dass die Arbeiter:innenklasse sich nicht selbst emanzipieren kann, dass die Arbeiter:innen von „Außenseiter:innen“ geführt werden müssten, von einer Elite von Intellektuellen aus der Mittelschicht oder „Berufsrevolutionär:innen“, die als Parteibürokratie missverstanden werden könnten. Es bedeutet ganz einfach, dass Kämpfe um Löhne und Arbeitsbedingungen, also ausschließlich wirtschaftliche Kämpfe, die von den Gewerkschaften allein geführt werden,sich nicht spontan zu einem Kampf für den Sozialismus entwickeln werden; sie werden nicht automatisch ein revolutionäres sozialistisches Bewusstsein schaffen.

Die „spontane“ Perspektivee der Gewerkschaften geht von der des jeweiligen Berufs oder der jeweiligen Branche aus, und ab einem bestimmten Punkt behindern diese Unterteilungen eine klassenumgreifende Sichtweise. Zweitens sind die Arbeiter:innen immer starken Einflüssen „von außen“ ausgesetzt, d. h. von einer Gesellschaft, in der die herrschenden Ideen die der herrschenden Klasse sind. Dies wird durch die unaufhörliche Propaganda in den Schulen, Medien, Kirchen, Moscheen und Tempeln erreicht, die alle betonen, dass der Kapitalismus das einzig mögliche System sei.

Dieses propagandistische Trommelfeuer, das darauf abzielt, die Arbeiter:innenschaft zu spalten und von den Ideen der herrschenden Klasse beherrschen zu lassen, kann nur durch die Prinzipien des Sozialismus und der Revolution gekontert werden – und diese kommen „von außerhalb“ der Sphäre der reinen und einfachen Gewerkschaftsbewegung. Sie können systematisch nur von einer politischen Partei geschaffen und verbreitet werden, deren Ziel es ist, alle zersplitterten und sektoralen Kämpfe auf eine politische Dimension zu heben, auf der der Kapitalismus als Feind identifiziert werden kann. Natürlich kann diese Partei nicht „außerhalb“ der Kämpfe der Arbeiter:innenklasse stehen. In dieser Hinsicht muss sie sich radikal von den reformistischen parlamentarischen Parteien unterscheiden, die den Kampf in den Betrieben den Gewerkschaften oder vielmehr ihren Funktionär:innen überlassen, die Politik weitgehend auf Wahlen beschränken und deren Parteiprogramme die Ziele auf das verkürzen, was die Führer:innen für populär halten und ihnen „Macht“, d. h. ein Regierungsamt in der Zwangsjacke des kapitalistischen Staates, verschaffen wird.

Eine leninistische Partei braucht Mitglieder, die die unermüdlichsten und aufopferungsvollsten Aktivist:innen sind, die nicht nur richtungweisend in die gegenwärtigen Kämpfe eingreifen, sondern auch erklären können, dass der Kapitalismus die Ursache für Niedriglöhne, Arbeitslosigkeit und Sozialkahlschlag und darüber hinaus auch für Rassismus, Sexismus und Krieg ist. Sie müssen an den gefährlichsten Orten des Klassenkampfes zu finden sein. Sie müssen sich die Anerkennung ihrer Kolleg:innen als die zuverlässigsten Anführer:innen, die Vorhut des Klassenkampfes, erarbeiten.

Laut Lenin müssen die Parteimitglieder Kader sein, eine militärische Analogie, die sich auf das Netzwerk von Unter- und Feldoffizier:innen einer Armee bezieht. Sie müssen Berufsrevolutionär:innen sein, Personen, die nicht nur ein paar freie Abende der Politik widmen, sondern sie zum Mittelpunkt ihres Lebens machen. Die große Mehrheit dieser Menschen muss aus Arbeiter:innen bestehen, wenn sie im Klassenkampf führend sein will. Eine revolutionäre Partei kann das Wachstum einer Massenbewegung der Arbeiter:innenklasse, mit der sie untrennbar verschmolzen ist, sprunghaft ankurbeln. Das Beispiel der bolschewistischen Partei zeigt, warum sie in der Lage war, die „spontane“ Revolution vom Februar 1917 in die bewusste Machteroberung durch die Arbeiter:innenräte im Oktober zu verwandeln. Diese Schlüsselprinzipien revolutionärer Politik, des revolutionären Programms und des Internationalismus sind heute genauso ausschlaggebend wie zu der Zeit, als Lenin sie entwickelte, und es ist die brennende Aufgabe der revolutionären Sozialist:innen, sie in den gewaltigen Kämpfen, mit denen wir uns heute auseinandersetzen müssen, in die Tat umzusetzen.

Nachdem sie gesehen hatten, dass die Massenparteien der Arbeiter:innenbewegung, sozialdemokratische, Labour und solche, die sich „kommunistisch“ nennen, allgemein ein Hindernis für die Entfaltung der Kampfkräfte darstellten, zogen leider viele junge Aktivist:innen während der Massenkämpfe von 2009 – 2015 daraus den Schluss, dass politische Parteien als solche den Kampf nicht voranbringen könnten. Sie setzten ihnen spontane soziale Bewegungen entgegen wie bei der Besetzung des Tahrir-Platzes in Kairo, der Wall Street in New York, der Puerta del Sol in Madrid oder des Syntagma-Platzes in Athen. Die Alternative sei, so dachten sie, sich auf eine direkte Massendemokratie zu beschränken. Aber das Leben hat bewiesen, dass die Demokratie eines einzigen Ortes oder eines kurzen Augenblicks, auch wenn sie manchmal zum Sturz von Regierungen oder Diktator:innen führt, diese nicht durch die Macht der einfachen arbeitenden Menschen, der Ausgebeuteten und Unterdrückten ersetzen kann. Ein solcher tatsächlicher Machtwechsel innerhalb der Gesellschaft wird nur dann stattfinden, wenn sich eine politische Gegenformation zu den alten Parteien herausbildet, mit der Entschlossenheit und Fähigkeit, diesen auch zu verwirklichen.

Eine revolutionäre Partei muss mit dem Reformismus der alten Linken brechen. Ihre eigenen Mitglieder müssen sie demokratisch kontrollieren. Ihre Aufgabe besteht nicht in erster Linie darin, Wahlen zu gewinnen, und deshalb sollte sie nicht von ihren Abgeordneten und örtlichen Funktionär:innen kontrolliert werden, die über die Mitgliedschaft herrschen, ihre eigene Politik machen und dafür Spitzengehälter und Spesen kassieren.

Im Gegensatz zu den kapitalistischen Parteien darf die revolutionäre Partei keine Versprechungen machen und dann, wenn sie an der Macht ist, das tun, was die Bosse und Bänker:innen diktieren. Ihre Hauptaufgabe ist es, die Anhänger:innenschaft von Millionen von Menschen zu gewinnen, indem sie diese zum Handeln anleitet. Die Wahlen sollten dazu genutzt werden, ihr Programm für Massenaktionen bekanntzumachen, Propagandist:innen und Agitator:innen in die Räte und Versammlungen zu schicken, um die Vertreter:innen der Kapitalist:innen anzuprangern, aber vor allem, um in aller Öffentlichkeit zu den Massen zu sprechen. Ihre Aufgabe ist es nicht, vorgeblich populäre, in Wirklichkeit aber von den millionenschweren Medien diktierte Ideen zu propagieren. Wenn Parteiangehörige Mandate als Abgeordnete bzw. Ratsmitglieder gewinnen, dürfen nicht diese die Partei kontrollieren, sondern müssen umgekehrt der Kontrolle der Partei unterstehen.

Eine solche revolutionäre Partei könnte heute einen enormen Einfluss innerhalb der Widerstandsbewegungen ausüben, indem sie für Taktiken argumentiert, die die Bewegung voranbringen, allen Ausgebeuteten und Unterdrückten eine Stimme gibt, Rassismus, Sexismus und imperialistische Kriege ebenso bekämpft wie Ausbeutung und Armut. Es ist die Aufgabe einer revolutionären Partei, sich in jede Bewegung zu stürzen, sei es für höhere Löhne oder mehr Demokratie, für Gerechtigkeit zugunsten der national, rassistisch oder geschlechtlich Unterdrückten, und in jedem Fall die Praxis einer einheitlichen Kampffront zu verfechten, während sie geduldig ihre Politik und ihr Programm erklärt und die besten Kämpfer:innen in ihre Reihen holt. In den Gewerkschaften würde eine solche Partei die Basis organisieren, um die Führung zu übernehmen. Während die Gewerkschaftsspitzen zögern, wirksame Maßnahmen gegen die Kürzungen zu ergreifen, könnte eine revolutionäre Partei die Arbeiter:innen darauf orientieren, einen Generalstreik zu koordinieren, mit oder ohne die Gewerkschaftsführer.:innen. Nur mit den Erfahrungen solcher prinzipienfesten Kämpfe wird eine revolutionäre Partei, die diesen Namen verdient, auf eine revolutionäre Situation vorbereitet sein, in der der Kapitalismus gestürzt werden kann.

7.1 Für eine neue, Fünfte Internationale!

Die Arbeit zum Aufbau neuer revolutionärer Parteien in jedem Land muss von Anfang an mit dem Kampf für eine neue Internationale verbunden sein. Die objektive Notwendigkeit, die dies gebietet, sind die globalen Antworten, die zur Bekämpfung von Krieg, kapitalistischer Krise und Klimakatastrophe erforderlich sind. Das Programm zur Bekämpfung dieser und vieler anderer damit verbundener Gefahren muss auf einer internationalen Aktion und einer internationalen Organisation beruhen, die sich dafür starkmacht. Diese Organisation ist eine Fünfte Internationale, die an die Errungenschaften der Ersten, Zweiten, Dritten und Vierten Internationale vor ihrem Zusammenbruch und ihrer Degeneration anknüpft und auf deren Programmen und Praxis aufbaut.

Es ist eine völlig falsche Vorstellung, dass es vor der Gründung einer Internationale zunächst eine Reihe von starken nationalen Parteien geben muss, die jeweils in „ihrer“ Arbeiter:innenklasse fest verankert sind. Diese Konzeption verkennt, dass alle Organisationen, wenn sie isoliert voneinander aufgebaut werden, dazu neigen werden, eine Politik zu verfolgen, die die Grenzen ihres spezifischen Milieus widerspiegelt, und Gefahr laufen, dem Druck und den Verzerrungen eines nationalen Charakters zu erliegen. Die Marx’sche Losung – Arbeiter:innen aller Länder, vereinigt euch – ist keine rhetorische Floskel.

Dieses Ziel für die Parteien der Arbeiter:innenklasse muss damit verbunden sein, alle bestehenden Massenorganisationen der Ausgebeuteten und Unterdrückten zu ermutigen, den gleichen Weg zu gehen, angefangen beim Aufbau organisierter ständiger Verbindungen der Solidarität und gemeinsamer Aktionen mit Gleichgesinnten in aller Welt. Der Aufbau einer neuen Internationale ist keine Aufgabe, die auf kleine revolutionäre Propagandagruppen beschränkt ist, und sie muss auch nicht auf deren Vereinigung oder die Lösung ihrer strategischen und taktischen Differenzen warten, so wichtig dies auch sein mag.

Die Aufgabe, eine Nachfolge der vier historischen Internationalen aufzubauen, muss der Massenvorhut der Arbeiter:innen gestellt werden, denjenigen, die heute an der Spitze der Kämpfe stehen. Es ist möglich, dass die Schicht der Arbeiter:innenmilitanten und die Aktivist:innen der vielen Bewegungen der sozial, ethnisch oder geschlechtlich Unterdrückten, die nicht von bürgerlichen Führungen dominiert werden, eine internationale Versammlung oder ein internationales Forum schaffen können, in denen dieser Aufbau – ähnlich wie bei der Internationalen Arbeiter:innenassoziation (der Ersten Internationale) oder der sogenannten antikapitalistischen Bewegung um die Wende zum 21.Jahrhundert – beginnen kann.

Das schließt jedoch nicht aus, dass kleine Tendenzen wertvolle Arbeit leisten, indem sie Propaganda betreiben und sich in begrenztem Umfang im Klassenkampf engagieren, internationale Organisationen aufbauen und gemeinsame Programme entwickeln. Trotzki war der Auffassung, dass revolutionäre Kommunist:innen schon in den frühesten Vorphasen der Partei Gesinnungsgenoss:innen auf der ganzen Welt suchen und die Strategie, Taktik und organisatorischen Grundlagen für eine „Weltpartei der sozialistischen Revolution“ schaffen müssen. So gründeten er und seine Mitstreiter:innen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs die Vierte Internationale. Aufgrund der ungünstigen objektiven Bedingungen – der Zweite Weltkrieg und das Überleben und die Ausbreitung sowohl der bürgerlichen Demokratie als auch der degenerierten Arbeite:innenrstaaten – übten der Stalinismus und die Sozialdemokratie enormen Druck auf die winzigen Kaderkerne aus, und die Vierte Internationale machte eine zentristische Degeneration und Zersplitterung durch, lange bevor sie mit den revolutionären Massenvorhutkräften verschmelzen konnte.

Nichtsdestotrotz hat die trotzkistische Tradition in ihren verschiedenen Abspaltungen und innerhalb einer Vielzahl von internationalen Tendenzen oft einige wichtige Prinzipien ihres Gründers bewahrt. Ihr Fehler bestand und besteht darin zu glauben, dass sie mit ihren geringen Kräften immer noch die Vierte Internationale Trotzkis repräsentiere oder auch dass entweder durch einfaches Wachstum oder die Wiedervereinigung einiger oder aller ihrer entarteten Fragmente eine neue Internationale gegründet werden könnte. Es ist ein ähnlicher Irrtum zu glauben, dass kleine Propagandagesellschaften, die Dutzende oder gar Tausende zählen, in Wahrheit revolutionäre Parteien darstellen.

Die Revolution des 21. Jahrhunderts und eine erneuerte klassenbewusste Arbeiter:innenbewegung, die politisch unabhängig von allen bürgerlichen Kräften ist, muss von Anfang an auf dem Prinzip des Internationalismus aufbauen, d. h. im Hier und Jetzt die Aufgabe angehen, eine neue, proletarische internationale Kampforganisation aufzubauen.

Der Kampf gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen der Menschheit, die Internationalisierung der Produktion, die Angriffe auf die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen und Migrant:innen, die Bedrohung durch Handels- und heiße Kriege zwischen rivalisierenden imperialistischen Blöcken, um nur einige der Schlagzeilen unserer Agenda zu nennen, erfordern einen koordinierten gemeinsamen Kampf über Grenzen hinweg und revolutionäre Veränderungen im Weltmaßstab. Ein Rückzug auf nationale „Lösungen“ kann die Reaktion nur stärken, ja ist selbst ein Ausdruck des Erstarkens dieser Kräfte.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts entwickelte die Antiglobalisierungsbewegung Foren des Austauschs und setzte auf ihrem Höhepunkt Massenaktionen in Gang oder verband sie miteinander, darunter Demonstrationen von Millionen gegen den Irakkrieg. Einige ihrer führenden Köpfe sprachen die Möglichkeit einer Fünften Internationale an, um sie dann wieder fallen zu lassen, als sich eine neue Krise, die Große Rezession, am Horizont abzeichnete. Letztlich scheiterte sie jedoch daran, dass ihre reformistische und kleinbürgerliche Führung nicht bereit war, in national verankerten Massenorganisationen, seien es Gewerkschaften oder politische Parteien, für verbindliche internationale Entscheidungen aufzutreten.

Die Große Rezession und die verheerenden Auswirkungen der Krise, die Massenbewegungen des Arabischen Frühlings, die Kämpfe in Griechenland und die Besetzung von Plätzen haben die Notwendigkeit einer Internationale erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Doch auch hier versagte die Linke auf globaler und kontinentaler Ebene. So ist die europäische reformistische, aber auch die radikale und antikapitalistische Linke an der Aufgabe, den Widerstand gegen den kapitalistischen Sozialraubzug europaweit zu vereinen, völlig gescheitert. Sie hat sich als unfähig erwiesen, auch nur ansatzweise ein europäisches Aktionsprogramm gegen Krise und Kapitalismus zu entwickeln. Trotz ihres populistischen Charakters hatten der Chávismus und die bolivarische Bewegung vorübergehend den gemeinsamen Kampf in Lateinamerika und darüber hinaus proklamiert. Doch dies erwies sich als Märchen.

Nach dem Beginn einer neuen globalen Krisenperiode, nach der größten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg, hat sich die reformistische Arbeiter:innenbewegung auf das nationale Terrain zurückgezogen. Ihr „Internationalismus“ beschränkt sich im Wesentlichen auf Sonntagsreden und Grußadressen. Dies entspricht der Position der Arbeiter:innenbürokratie, deren „Verhandlungsmacht“ an ihre nationale Kapitalist:innenklasse gebunden ist und dabei hinter der Internationalisierung des Kapitals selbst zurückbleibt.

Auch die „radikale“ linksreformistische, zentristische, anarchistische oder libertäre Linke sucht heute ihr Heil in der Orientierung auf das nationale Rückzugsgebiet. Selbst den meisten „internationalen Organisationen“ gelingt es heute nicht mehr, ihre Politik auf ein internationales Programm, eine gemeinsame Strategie und Taktik zu gründen. Entweder sind sie national ausgerichtete Sekten, um die andere Sektionen wie Satelliten kreisen, oder sie sind zunehmend nur noch lose Netzwerke, die sich weigern, verbindliche Beschlüsse zu fassen. Damit werfen sie nicht nur alle Lehren aus dem Scheitern der Antiglobalisierungsbewegung, sondern auch der Degeneration der Zweiten und Dritten Internationale über Bord.

Das bedeutet, dass der größte Teil der globalen Linken eine politisch passive, wenn nicht gar bremsende Haltung gegenüber den spontanen Tendenzen zur Bildung internationaler Bewegungen einnimmt. Dabei haben sich in den letzten Jahren internationale Kampagnen und Bewegungen über nationale Grenzen hinweg ausgebreitet wie die #MeToo-Frauenbewegung gegen sexistische Übergriffe, der Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels und die Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, die Flüchtlingsbewegungen, die die Abgrenzungspolitik der EU und USA in Frage stellten.

Dann gab es Ansätze zur grenzüberschreitenden Koordinierung von Arbeiter:innenkämpfen, Solidaritätsbewegungen gegen imperialistische Interventionen und reaktionäre Putschversuche. All diese Mobilisierungen stellen Möglichkeiten für grenzüberschreitende, ja, Erdteile übergreifende Kämpfe und koordinierte Aktionen dar. Sie gehen jedoch noch nicht über die „Vernetzung“ eigenständiger nationaler Kampagnen hinaus, erst recht entwickeln sie kein internationales Programm für koordinierte Aktionen. Dies ist jedoch nicht die Schuld der Aktivist:innen, die sie in Gang gesetzt haben. Es ist vor allem das Versäumnis der organisierten Linken.

Viele von ihnen haben aus den Niederlagen die grundfalsche Schlussfolgerung gezogen, dass internationale Kämpfe und der Aufbau einer Internationale heute nicht auf der Tagesordnung stehen könnten, größere Organisationen und Bewegungen zunächst auf nationaler Ebene aufgebaut und entwickelt werden müssten. Nur auf dieser Grundlage sei eine grenzüberschreitende Koordination von Kämpfen und Organisationen möglich und sinnvoll. Dieses platonische Verhältnis zum internationalen Klassenkampf stellt ein grundsätzliches politisches Problem unserer Zeit dar, es ist selbst Ausdruck eines globalen Rechtsrucks, eines Erstarkens des Nationalismus, und so verschärft die nationalbornierte Politik das Problem.

Revolutionäre Marxist:innen, Internationalist:innen und Antikapitalist:innen müssen diese reaktionäre Tendenz unversöhnlich bekämpfen. Sie müssen sich den spontanen internationalistischen Tendenzen unter den Arbeiter:innen, in der Frauenbewegung, der Jugend, den Kämpfen gegen Imperialismus und Umweltzerstörung zuwenden. Nur so wird es möglich sein, diese Aktivist:innen und Kämpfer:innen für ein revolutionäres Programm zu gewinnen. So wie Revolutionär:innen für die Umgestaltung der Gewerkschaften auf internationaler Ebene kämpfen müssen, so müssen sie sich für länderübergreifende Aktionskonferenzen und eine demokratisch verantwortete Kampfkoordination einsetzen. Die Sozialforen, die sich Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts formierten, können als Modell dienen, ohne ihre Schwächen, das Fehlen verbindlicher Beschlüsse und gemeinsamer Aktionen, zu wiederholen.

In den entstehenden globalen Bewegungen der Unterdrückten wie auch in Erhebungen auf nationaler Ebene sollten Revolutionär:innen stets die Notwendigkeit einer neuen Internationale betonen. Die Gefahr eines imperialistischen Krieges, die uns jetzt droht, macht dies umso dringlicher. Wir treten zwar von Anfang an für ein revolutionäres Programm ein, aber wir können die Zustimmung zu diesem Programm nicht zur Vorbedingung für gemeinsame internationale Kampfstrukturen und echte Schritte zum Aufbau einer neuen Masseninternationale machen. Um wirksam und zielstrebig für eine solche Perspektive eintreten zu können, müssen Revolutionär:innen selbst auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms von Übergangsforderungen, eines Programms der sozialistischen Weltrevolution, kämpfen.

Wir rufen alle Genoss:innen, alle sozialistischen, kommunistischen und trotzkistischen Strömungen, die mit einer solchen Perspektive übereinstimmen, dazu auf, ein internationales Programm, das wir hier zur Diskussion stellen, als eine gemeinsame revolutionäre Antwort auf die bevorstehenden Angriffe zu erarbeiten.

LFI-Kongress, 25. Juni 2023




Zur “Revolutionären Realpolitik” der Linkspartei: Revolution oder Transformation?

Martin Suchanek, Neue Internationale 279, Dezember 2023 / Januar 2024 ursprünglich veröffentlich im Dezember 2016

Die Berliner LINKE koaliert mit dem Segen der Parteispitze, Bodo Ramelow führt eine Rot-Rot-Grüne Koalition in Thüringen an.

In der Luxemburgstiftung, dem hauseigenen Think Tank, wollen sich deren Vordenker:innen mit der platten Rechtfertigung dieser Politik oder gar den unvermeidlichen Verrätereien durch Teilnahme an den Regierungen allein nicht zufriedengeben. An etlichen Stellen kritisieren sie sogar die allzu euphorischen Anhänger:innen rot-roter oder rot-rot-grüner Koalitionen offen, zu viele Zugeständnisse an die „Partner:innen“ zu machen.

Das ist nicht nur selbstgefälliger, entschuldigender Gestus linker Theoretiker:innen angesichts der unvermeidlichen Niederungen reformistischer Regierungspolitik. Es geht ihnen auch darum, der Partei eine höhere strategische Ausrichtung zu verleihen. Dazu prägen sie seit Jahren Begriffe wie „Transformationsstrategie“, „revolutionäre“ oder „radikale Realpolitik“, um die Programmatik der Linkspartei als eine moderne Version einer „sozialistischen Partei“ zu präsentieren.

Es ist immerhin ein Verdienst dieser politisch-ideologischen Richtung, dass sie in den Veröffentlichungen der Stiftung ihre Anschauungen darlegt; so z. B. in der Broschüre „Klasse verbinden“, herausgegeben im April 2016 vom US-amerikanischen Magazin Jacobin und der Luxemburg-Stiftung, oder im Aufsatz „Rückkehr der Hoffnung. Für eine offensive Betrachtungsweise“ von Michael Brie und Mario Candeias.

Revolutionäre „Realpolitik“

Seit Jahren wird neben Antonio Gramsci ausgerechnet Rosa Luxemburg als Patin für die „Transformationsstrategie“ der Linkspartei ins Feld geführt.

Sie selbst verwendet den Begriff „revolutionäre Realpolitik“ unter anderem in der Schrift „Karl Marx“, die anlässlich seines 20. Todestags verfasst wurde:

„Es gab vor Marx eine von Arbeitern geführte bürgerliche Politik, und es gab revolutionären Sozialismus. Es gibt erst mit Marx und durch Marx sozialistische Arbeiterpolitik, die zugleich und im vollsten Sinne beider Worte revolutionäre Realpolitik ist.

Wenn wir nämlich als Realpolitik eine Politik erkennen, die sich nur erreichbare Ziele steckt und sie mit wirksamsten Mitteln auf dem kürzesten Wege zu verfolgen weiß, so unterscheidet sich die proletarische Klassenpolitik im Marxschen Geiste darin von der bürgerlichen Politik, dass bürgerliche Politik vom Standpunkt der materiellen Tageserfolge real ist, während die sozialistische Politik es vom Standpunkt der geschichtlichen Entwicklungstendenz ist.“ (Luxemburg, Werke, Band 1/2, S. 375)

Und weiter: „Die proletarische Realpolitik ist aber auch revolutionär, indem sie durch alle ihre Teilbestrebungen in ihrer Gesamtheit über den Rahmen der bestehenden Ordnung, in der sie arbeitet, hinausgeht, indem sie sich bewusst nur als das Vorstadium des Aktes betrachtet, der sie zur Politik des herrschenden und umwälzenden Proletariats machen wird.“ (Ebenda, S. 376)

Luxemburg betont zwar, dass Reform und Revolution nicht als ausschließende Momente einander entgegengestellt werden dürfen, hält aber zugleich fest, dass die Revolution das entscheidende Moment dieses Verhältnisses darstellt. Nur in Bezug auf diesen Zweck kann eine revolutionäre (Real-)Politik bestimmt werden.

Sie grenzt sich daher gegen zwei politische Fehler innerhalb der Arbeiter:innenbewegung ab: einerseits den utopischen Sozialismus, andererseits die bürgerliche Realpolitik. Der Revisionismus oder Reformismus des 20. und 21. Jahrhunderts stellen letztlich Spielarten dieser bürgerlichen Realpolitik dar.

Das Revolutionäre an Luxemburgs „Realpolitik“ besteht genau darin, dass sie den Kampf für Reformen als Moment des Kampfes um die revolutionäre Machtergreifung des Proletariats bestimmt.

„Real“politik ist revolutionäre Politik in dem Sinne und Maß, wie eine Partei ihre Taktik auf einem wissenschaftlichen Verständnis der inneren Widersprüche des Kapitalismus und deren Entwicklungslogik aufbaut. Daraus ergibt sich, dass die Revolution nicht „jederzeit“ als reiner Willensakt „gemacht“ werden kann, sondern eine tiefe Krise des Gesamtsystems voraussetzt, eine Zuspitzung der inneren Widersprüche, die zu ihrer Auflösung drängen.

Innere Widersprüche

Für Luxemburg (und generell für den Marxismus) zeigt die Analyse der inneren Widersprüche des Kapitalismus zweitens, dass die Arbeiter:innenklasse in der bürgerlichen Gesellschaft noch keine neue, eigene Produktionsweise vorfindet, die sie mehr und mehr ausbauen könnte, sondern dass vielmehr die gegenteilige Entwicklung prägend ist. Der innere Widerspruch zwischen zunehmend gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung spitzt sich zu in der Konzentration des Reichtums in den Händen einer immer kleineren Schicht von Kapitalbesitzer:innen.

Genau deshalb greift Luxemburg auch Bernsteins Idee an, dass Genossenschaften, selbstverwaltete Betriebe und der zunehmende Kampf der Gewerkschaften für soziale Verbesserungen Schritt für Schritt zum Sozialismus führen könnten. Allenfalls stellen sie begrenzte Hilfsmittel zur Verbesserung der Lage der Klasse dar und können, im Fall der Gewerkschaften, Mittel zur Selbstorganisation und für die Entstehung von Klassenbewusstsein werden. Für sich genommen sprengt der gewerkschaftliche Kampf jedoch nicht den Rahmen des bestehenden Systems der Lohnarbeit (und erst recht nicht tun dies selbstverwaltete Betriebe).

Schließlich greift sie die darauf aufbauende, korrespondierende Vorstellung des Revisionismus an, dass der Parlamentarismus, die Sammlung einer numerischen Mehrheit bei Wahlen, Mittel zur erfolgreichen „Transformation“ der Gesellschaft sein könnten. Im Gegenteil: Luxemburg erblickt in der Integrationskraft des bürgerlichen Parlamentarismus auch eine Basis für das Vordringen der bürgerlichen „Realpolitik“ in der Arbeiter:innenbewegung, über „sozialistische“ Regierungen auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft mehr und mehr den „Sozialismus“ einführen zu können.

Für sie hingegen zielt „revolutionäre Realpolitik“ wesentlich auf den Übergang der politischen Macht von einer Klasse auf die andere, durch das Zerbrechen der bürgerlichen Staatsmaschinerie, den Übergang der Macht an die Arbeiter:innenräte, auf die Diktatur des Proletariats.

Was die Luxemburg-Stiftung aus Luxemburg macht

Die Theoretiker:innen der Linkspartei rekurrieren zwar gern auf Luxemburgs Begrifflichkeit und präsentieren ihre Strategie so, als würde sie ihr Verständnis von Reform und Revolution aufgreifen.

Dieser Schein wird nicht nur durch Entstellungen ermöglicht, sondern auch durch einen anderen Ausgangspunkt der Theorie Bernsteins und der aktuellen Theoretiker:innen der Luxemburg-Stiftung untermauert. Bernstein behauptete, dass sich Marx und Engels in ihrer Analyse der inneren Widersprüche des Kapitalismus geirrt hätten, dass diese nicht nur ihr Tempo überschätzt, sondern auch ihre grundlegende Entwicklungsrichtung verkannt hätten. Demgegenüber hält Luxemburg mit Marx und Engels an der grundlegenden Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Systems und der ihm innewohnenden Tendenz zum Zusammenbruch fest.

Zu Recht weist sie darauf hin, dass die Leugnung dieser Schlussfolgerungen aus der Marxschen Analyse des Kapitals einer Preisgabe des wissenschaftlichen Sozialismus gleichkommt. Die Überwindung des Kapitalismus stellt dann keine gesellschaftliche Notwendigkeit mehr dar, sondern kann nur moralisch begründet werden.

Anders als Bernstein geht die Luxemburg-Stiftung von einer Systemkrise des Kapitalismus aus.

„Die strukturelle Krise ist nicht gelöst und sie lässt sich im alten Rahmen auch nicht lösen. Die Versuche, den Finanzmarkt-Kapitalismus zu stabilisieren, verlängern nur die Agonie und zerreißen die Europäische Union und unsere Gesellschaften. Die Situation ist jedoch nicht durch Aufbruch gekennzeichnet, vielmehr gilt ein altes Zitat von Gramsci: ‚Das Alte stirbt, das neue kann nicht zur Welt kommen. Es ist die Zeit der Monster.’“ (Brie/Candeias)

Das obige Zitat zeigt aber auch eine Differenz zur marxistischen Analyse. Aus den Fugen geraten ist nicht der Kapitalismus als System, sondern nur der „Finanzmarktkapitalismus“. Bei aller verbalen Radikalität wird so ein theoretisches „Hintertürchen“ für eine reformistisch gewendete „revolutionäre Realpolitik“ geöffnet.

Hinzu kommt, dass der Kapitalismus zwar in einer historischen Krise stecken mag, eine sozialistische Revolution jedoch der Partei auch ausgeschlossen erscheint. Was bleibt also? Eine „Transformationsstrategie“. Was steckt aber hinter diesem unschuldigen Wort? Sind  nicht auch revolutionäre Marxist:innen dafür, erkennen sie nicht auch an, dass der revolutionäre Bruch mit dem Kapitalismus eine ganze Periode des Übergangs einschließt, dass nicht alle überkommenen gesellschaftlichen Verhältnisse und vor allem nicht die tradierte grundlegende Arbeitsteilung der alten Gesellschaft mit einem Schlag „abgeschafft“ werden können? Standen nicht die frühe Kommunistische Internationale und der Trotzkismus auf dem Boden eines Programms von Übergangsforderungen, das den Kampf für Reformen in eine Strategie zur Machtergreifung einbettet?

Genau diese Ausrichtung ist bei der Luxemburg-Stiftung nicht gemeint.

Da die sozialistische Revolution, die revolutionäre Machtergreifung der Arbeiter:innenklasse als unmöglich, fragwürdig erscheint, bezieht sich das Ziel der Transformation nicht auf das der „revolutionären Realpolitik“ einer Rosa-Luxemburg,  sondern darauf, dass die „Linke“ sich auf einen „Macht“wechsel auf dem Boden des Parlamentarismus vorbereiten müsse.

In einer offenen Krisensituation entsteht eine radikal neue Situation, in der sich die Eliten spalten, ein Richtungswechsel möglich wird – hin zu einem autoritären Festungskapitalismus wie aber auch hin zu einer solidarischen Umgestaltung. Die Linke muss sich jetzt vorbereiten, daran arbeiten, dass sie fähig wird, in eine solche Situation überzeugend einzugreifen. Darauf ist sie nicht eingestellt.“ (Brie/Candeias)

Wir möchten nicht widersprechen, dass die Linke auf diese Situation nicht vorbereitet ist. Entscheidend ist jedoch, dass die TheoretikerInnen der Linkspartei die eigentliche Alternative, die in einer solchen Phase aufgeworfen wird, verkennen – es geht um Revolution oder Konterrevolution, um Sozialismus oder Barbarei.

Für die Ideolog:nnen der Linkspartei stellt sie sich jedoch anders dar – „autoritärer Festungskapitalismus“ (womit Regierungen wie jene von Trump gemeint sind) oder „solidarische Umgestaltung“.

Hier wird die sozialistische Revolution aus der „revolutionären Realpolitik“ verabschiedet.

Regierung als Ziel

Daher ist es kein Wunder, dass die Strategie in eine Regierungsbeteiligung münden muss. Natürlich ist auch das Zeil einer jeden kommunistischen Strategie, eine revolutionäre Arbeiter:innenregierung zu schaffen. Diese ist aber letztlich nur als Mittel zum Übergang zur Herrschaft der Arbeiter:innenklasse oder, in ihrer eigentlichen Form, als „Diktatur des Proletariats“, möglich. Die „Realpolitik“ der Arbeiter:innenklasse kann nämlich nur vom Standpunkt ihrer zukünftigen Herrschaft und deren Vorbereitung richtig verstanden werden.

Diese grundlegende Schlussfolgerung Rosa Luxemburgs verschwindet bei der Luxemburg-Stiftung gänzlich, wird sogar in ihr Gegenteil verkehrt. Zur strategischen Zielsetzung wird die „realistische“, „grundlegende“ Reform, die „solidarische Umgestaltung“.

Den Vordenker:innen der Linkspartei ist jedoch klar, dass eine solche „Umgestaltung“ keine Chance hat, wenn sie sich nur auf parlamentarische Mehrheiten stützt. Daher beurteilen sie das Regierungshandeln in Thüringen durchaus skeptisch, weil dieses keinem nennenswerten Druck von außen oder aus der Partei ausgesetzt ist. Sie halten eine Regierung auf Bundesebene erst recht für „verfrüht“ und erkennen, dass eine „Reformregierung“, die den Kurs der Großen Koalition fortsetzt, letztlich einer weiteren Stärkung der Rechten, v. a. der AfD, den Weg bereitet. Wie soll dieses Problem gelöst werden?

„Und schließlich muss die Linke an einer politischen Machtperspektive arbeiten. Dies darf nicht auf Wahlen verengt werden… Die punktuelle, aber konzentrierte Mobilisierung kann durchaus Erfolge zeitigen, sie ist aber immer prekär, wenn die Mobilisierung nicht mit einer nachhaltigen Verankerung und Organisierung verbunden wird. Eine politische Linke in den Vertretungsorganen ohne eine starke, eigenständige, kritische gesellschaftliche Linke, die in den Nachbarschaften, in Betrieben, in Initiativen und Bewegungen verankert ist, muss scheitern.“ (Brie/Candeias)

Die Linkspartei müsse einen „Spagat“ vollziehen zwischen „Bewegungspartei“ („Netzwerkpartei“) und „strategischer Partei“, die die verschiedenen Bewegungen, zusammenführt, Klassenfragen und Fragen der sozialen Unterdrückung vereint und ihnen eine Ausrichtung gibt.

Solcherart könne eine Umgestaltung vollzogen werden, die parlamentarische und institutionelle Mittel des Staates nutzt, den Kampf gewissermaßen „um den Staat und im Staat“ führt und gleichzeitig auch Gesamtstratege der heterogenen Widerstandsmilieus wäre.

Im Gegensatz zu naiven Bewegungslinken sehen sie ein, dass sich aus der Addition der spontanen Initiativen „von unten“, von Bewegungen, sozialen Kämpfen, Platzbesetzungen, Streiks, Betriebsbesetzungen, Selbstverwaltung oder „Produktion unter Arbeiter:innenkontrolle“, wie manche Projekte übertrieben genannt werden, keine gemeinsame Strategie ergibt. Eine „verbindende“ Partei reicht dazu nicht aus, es braucht eine strategische.

Es erhebt sich aber die Frage, warum Parteien wie Syriza diesen Spagat nicht durchzuhalten vermochten. In der Broschüre „Klasse verbinden“ wird lediglich festgehalten, dass sie die „Bewegungswurzeln“ nicht beibehalten konnte, dass eine  solche Entwicklung auch dem Linksblock in Portugal drohe oder auch die Bilanz der „linken“ Stadtverwaltung in Barcelona diskussionswürdig sei.

Strategische Partei und Staat

Die Lösung liege in einer „strategischen Partei“, die Elemente der „verbindenden Partei“ (Partei der Bewegungen) aufnimmt. Das sei notwendig, damit sie im Zuge der gesellschaftlichen Transformation eine doppelte Aufgabe erfüllen könne. Als Partei müsse sie den Staatsapparat transformieren, in dessen Institutionen eindringen. Dies könne aber nur gelingen, wenn sich ihr Handeln nicht auf den Staatsapparat, Parlament und Regierung konzentriert, wenn sie sich zugleich auf Massenbewegungen außerhalb stützt bzw. von diesen unter Druck gesetzt werden kann.

„Als Linke in die Institutionen zu gehen, ob in Athen, Barcelona oder Madrid, führt in einen politischen Limbo, sofern es nicht gelingt, diese Institutionen zu öffnen für die Initiative der Bewegungen, Nachbarschaftsgruppen und Solidaritätsstrukturen aus der Zivilgesellschaft und damit eine weiterreichende Partizipation aller populären Klassen zu verankern.“ (Candeias, Gedanken zu Porcaros „strategischer Partei“, in: Klasse verbinden, S. 20)

Dazu bedürfe es „eigener ‚stabiler Institutionen‘ jenseits des Staates, die heute zur strategischen Partei und morgen zum sozialistischen Staat einen dialektischen Gegenpol bilden können.“ (Ebenda, S. 20)

Reformismus reloaded

Diese „Institutionen“ sind einerseits politische und gesellschaftliche Bewegungen, andererseits wären es aber auch „Institutionen“, die „schon heute eine ‚materielle Macht‘ ausbilden, die eine Art unabhängige soziale Infrastruktur und produktive Ressourcen einer solidarischen Ökonomie entwickelt, um den Attacken des transnationalen Machtblocks standzuhalten – der oft zitierte Plan C.“ (Ebenda, S. 20). Dieser Plan ist nur eine Reformulierung des alten Revisionismus und der Sozialstaatspläne der Nachkriegssozialdemokratie auf niedrigem Niveau.

Die aktuelle Periode engt den „Spielraum“ für solche Pläne ein, verurteilt sie rasch dazu, zum reinen Reparaturbetrieb zu werden. Daran ändert auch die Verklärung von  selbstverwalteten Betrieben, besetzten Häusern, Nachbarschaftshilfe oder Beteiligungshaushalten zu Institutionen gesellschaftlicher „Gegenmacht“ nichts.

Die Strateg:innen der Linkspartei kommen hier bei Bernstein an – allerdings in einer widersprüchlicheren Form. Der „alte“ Revisionismus oder auch die Politik der Sozialdemokratie der 60er und frühen 70er Jahre versuchten ihre Politik durch angebliche Wandlungen des Kapitalismus zu begründen, die den Boden für eine schrittweise Verbesserung der Lage der Arbeiter:innenklasse und eine immer größere Demokratisierung des Systems abgeben würden.

Die mit Entstellungen der Arbeiten von Luxemburg oder Gramsci getränkte strategische Ausrichtung der Luxemburg-Stiftung akzeptiert hingegen, dass wir in einer Krisenperiode leben. Sie will aber nichts davon wissen, dass diese eine Strategie der revolutionären Machtergreifung der Arbeiter:innenklasse erfordert.

Syriza ist in Griechenland nicht daran gescheitert, dass der Spagat zwischen „Regierung“ und „Bewegung“ nicht funktionierte. Sie ist vielmehr an den inneren Widersprüchen einer reformistischen Realpolitik gescheitert – einerseits die Lage der Massen verbessern zu wollen und andererseits die gesellschaftlichen Grundlagen ihrer Verelendung, also den Kapitalismus selbst, nicht anzugreifen, sondern „mitzuverwalten“.

Klassencharakter des Staates

Die „Transformation“ des griechischen Staates ist nicht an einzelnen Fehlern von Syriza-Politiker:innen und am mangelnden Druck der Bewegung gescheitert. Sie wurde vielmehr unvermeidliches Opfer dieser Institutionen, weil der bürgerliche Staat selbst nicht zu einem Mittel der sozialistischen Umwandlung der Gesellschaft „transformiert“ werden kann. Genau das vertreten aber der „alte“ wie moderne Revisionismus, indem sie den Klassencharakter des bürgerlichen Staates negieren. Mit Luxemburg werden so auch gleich Marx‘ Lehren aus der Pariser Commune oder Lenins „Staat und Revolution“ entsorgt.

Die „revolutionäre Realpolitik“ entpuppt sich letztlich als bürgerliche, die bei allem Beschwören von „Bewegungen“ und „Gegenmacht“ letztlich auf einen friedlichen, graduellen, parlamentarischen Übergang zum Sozialismus, also auf den Sankt-Nimmerleinstag orientiert.

Für die Strateg:innen der Linkspartei ist der bestehende, wenn auch zu transformierende Staat, das entscheidende politische Instrument. Abgestützt werden müsse dieses durch Eroberung ideologischer Positionen und Vorherrschaft („Hegemonie“) in der Zivilgesellschaft und den Aufbau von „Gegenmacht“. Solcherart wäre eine schrittweise Transformation möglich. Dabei wird die Revolution zu einer Reihe von Reformen. Auch hier befindet sich die Linkspartei in Gesellschaft von Bernstein, nicht von Luxemburg:

„Es ist grundfalsch und ganz ungeschichtlich, sich die gesetzliche Reformarbeit bloß als die ins Breite gezogene Revolution und die Revolution als die kondensierte Reform vorzustellen. Eine soziale Umwälzung und eine gesetzliche Reform sind nicht durch die Zeitdauer, sondern durch das Wesen verschiedene Momente. Das ganze Geheimnis der geschichtlichen Umwälzungen durch den Gebrauch der politischen Macht liegt ja gerade in dem Umschlagen der bloßen quantitativen Veränderungen in eine neue Qualität, konkret gesprochen: in dem Übergange einer Geschichtsperiode, einer Gesellschaftsordnung in eine andere.“ (Rosa Luxemburg, Sozialreform oder Revolution?, Werke, Band 1, S. 428)




Ein Programm von Übergangsforderungen

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 3, Sommer 1989

Die gegenwärtige Periode ist durch defensive ökonomische Massenkämpfe in den imperialistischen Ländern, durch aktuelle oder latente politisch- revolutionäre Krisen in den degenerierten Arbeiterstaaten und durch vorrevolutionäre und revolutionäre Krisen in den halbkolonialen Ländern gekennzeichnet. Diese fortdauernde Ungleichheit macht es unmöglich, wie Trotzki 1938 von einer weltweit vorrevolutionären Situation zu sprechen. Aber dies ändert nichts an der Dringlichkeit, die Arbeiterbewegung mit einem Übergangsprogramm zu bewaffnen.

Nur ein solches Programm kann absichern, daß die Fortschritte, die die Massen in diesem oder jenem Teilkampf erreicht haben, aufeinander aufgebaut und konsolidiert werden und daß ihnen diese nicht bei der ersten Gelegenheit von den Kräften der Reaktion wieder gestohlen werden. Nur ein solches Programm kann den fundamentalen Widerspruch, an dem die internationale Arbeiterbewegung krankt, lösen: einerseits sind die Massen bereit, ihre Errungenschaften zu verteidigen und auch die revolutionäre Offensive zu wählen; andererseits aber sind die etablierten Führungen immer noch in der Lage, eben diese Kämpfe zu demobilisieren und zu verraten.

Ein Übergangsprogramm bemüht sich, diese subjektive Schwäche anzusprechen, indem es für die Massen eine Brücke zwischen ihren unmittelbaren Verteidigungskämpfen und dem Kampf für die sozialistische Revolution baut. Diese Brücke hat die Form einer Reihe miteinander verbundener Forderungen, die in ihrer Gesamtheit eine offene und direkte Herausforderung an die kapitalistische Herrschaft darstellen. Aber Revolutionäre sind keine Sektierer. Sie kämpfen für Mindestforderungen und sind in jedem Teilkampf die gründlichsten und gewissenhaftesten Taktiker und Organisatoren. Wir stehen bei allen Kämpfen der Arbeiterklasse an vorderster Front, egal wie partiell sie sind. Aus diesem Grund wäre es falsch, das Übergangsprogramm den existierenden Massenkämpfen als Ultimatum entgegenzustellen.

Aber es ist eine zentristische Verzerrung des Übergangsprogramms, einzelne Forderungen vollständig aus dem in sich verketteten System herauszutrennen und sie als dürftig maskierte und isolierte Gewerkschaftsforderungen zu präsentieren. Ebenso sind alle Versuche, Übergangsforderungen als strukturelle Reformen des Kapitalismus darzustellen, äußerst opportunistisch. Der eigentliche Zweck von Übergangsforderungen ist, die Massen gegen den Kapitalismus zu mobilisieren. Die Aufgabe der revolutionären Avantgarde ist es deshalb, in den unmittelbaren Massenkämpfen einzelne Forderungen im Kontext eines Kampfes für das Programm als ganzes zu verwenden.

In der Praxis wird dies bedeuten, innerhalb eines Einzelkampfes für zugespitzte, relevante Übergangsforderungen zu agitieren, während Propaganda für das Programm als ganzes gemacht wird, indem erklärt wird, was die Realisierung dieser oder jener Forderung für die nächste Phase des Kampfes bedeuten wird. Wie muß dieser Fortschritt gefestigt werden, wie können wir einen Gegenangriff der Herrschenden verhindern? Das Verhältnis zwischen solcher Agitation und Propaganda, der Punkt, von dem an die Massenagitation die Propaganda ersetzt, wird vom Umfang, Tempo und der Intensität des Kampfes bestimmt.

Der Übergangscharakter des Systems von Forderungen wird durch verschiedene Merkmale ausgedrückt. An erster Stelle sprechen solche Forderungen die fundamentalen ökonomischen und politischen Bedürfnisse der Massen, wie sie durch die objektive Situation bestimmt werden, an. Die Forderungen hängen in ihrer Richtigkeit nicht davon ab, ob sie für das reformistische Massenbewußtsein annehmbar sind; auch werden sie nicht entwertet, wenn die kapitalistischen oder stalinistischen Bürokraten dazu gezwungen sind, solchen Forderungen zu entsprechen. Zweitens versuchen Übergangsforderungen, die Massen unabhängig von den offenen politischen Repräsentanten der Bourgeoisie und deren reformistischen Agenten innerhalb der Arbeiterbürokratie zu organisieren. Dies wollen wir durch Gewerkschaften, Fabrikkomitees, Arbeiterräte und die revolutionäre Partei erreichen.

Rund um diese Forderungen mobilisiert, stellt die Arbeiterklasse in solchen Organisationen die Herrschaft der Kapitalisten in Frage. Sie beeinträchtigt die bürgerliche Herrschaft in Fabrik, Büro und Schule, durch Streikpostenketten und Straßenaktionen, ja sogar auf Regierungsebene. Zu diesem Zweck verkörpert jede Übergangsforderung einen Kampf für irgendein Element direkter Arbeiterkontrolle über die Kapitalisten. Indem im Kampf für die Erhaltung von Arbeitsplätzen elementare Formen von Arbeiterkontrolle über die Produktion errichtet werden, wird die Auseinandersetzung auf eine höhere Ebene gebracht. Die Frage ist aufgeworfen: Wer hat die Macht in der Fabrik, die Arbeiter oder die Bosse? Ein erfolgreicher Kampf auf Fabrikebene stellt die Arbeiter in der Folge vor neue Herausforderungen, sowohl in Beziehung zu anderen Industriezweigen als auch zur Gesellschaft als ganzer.

Zusätzlich üben sich die Massen durch das System der Arbeiterkontrolle im Führen der Fabrik und bereiten sich so auf die kommenden Aufgaben unter der Diktatur des Proletariats vor. Daher sind Übergangsforderungen einerseits das Mittel zum Übergang von den heutigen, unmittelbaren Kämpfen zu einem revolutionären Angriff auf das gesamte kapitalistische Regime und andererseits eine Schule, ein Mittel, die Arbeiter für die Aufgaben des Übergangs zum Sozialismus selbst zu erziehen.

Gegen die kapitalistische Offensive

Die vereinte Offensive der Kapitalisten zur Lösung ihrer Krisen und zur Herbeiführung eines Konjunkturaufschwunges hat einen schweren Tribut auf die Lebensbedingungen der Weltarbeiterklasse und der unterdrückten Bauernschaft gefordert. Steigende Preise, die in einigen Halbkolonien sogar das Niveau der Hyperinflation erreichten, und Massenarbeitslosigkeit sind der Preis zeitweiser Stabilisierung. Um ihre Kampfkraft zu erhalten, muß die Arbeiterklasse ihr Recht auf Arbeit verteidigen und einen ausreichenden Lohn verdienen. Sie ist dazu gezwungen, das von der Bourgeoisie zugestandene Wohlfahrtssystem – den sogenannten Soziallohn – zu verteidigen und auszudehnen. Es ist notwendig, Forderungen voranzutreiben, die den Überlebenskampf zu beenden versuchen.

In jedem Land kämpfen wir für einen gesetzlich garantierten Mindestlohn in einer Höhe, die von der Arbeiterbewegung und nicht von den Herrschenden bestimmt wird. Das soll natürlich keinesfalls heißen, daß sich Kollektivverträge auf ein solches Minimum beschränken. Die Arbeiterklasse muß sich ständig bemühen, über den Mindestlohn, der einfach nur ein Sicherheitsnetz gegen niedere Löhne und die Armut des unterdrücktesten Teils der Arbeiter ist, hinausgehen.

Kampf der Inflation

Unter Bedingungen, unter denen die Herrschenden steigende Preise dazu benutzen, die Arbeiter zu verarmen, kämpfen wir für den Schutz kollektiver Abkommen gegen jede Preissteigerung durch die Unternehmer. Zu diesem Zweck kämpfen wir für eine gleitende Lohnskala, die Lohnsteigerungen zum Ausgleich für steigende Lebenshaltungskosten garantiert. Natürlich werden die Herrschenden mit gefälschten Indizes zu beweisen versuchen, daß die Lebenshaltungskosten nicht steigen, und dadurch die Massen zu hintergehen. Um dieser Gaunerei zu begegnen, kämpfen wir für einen Lebensmittelindex der Arbeiterklasse, erstellt und bestimmt durch Preiskontrollkomitees, bestehend aus gewählten Delegierten von den Arbeitsplätzen und den Arbeiterbezirken: den Wohnsilos, den Arbeitervierteln, den Barrios und Slums, den Organisationen der Frauen der Arbeiterklasse und den proletarischen Konsumenten. Unter der Bedingung der Hyperinflation werden darüber hinausgehende Maßnahmen erforderlich, um die Ausgebeuteten und Unterdrückten vor dem Hunger, der Zerstörung ihrer Sicherheit und ihrer dürftigen Ersparnisse zu schützen. Sie müssen um die Kontrolle über die lebensnotwendigen Güter kämpfen. Dies bedeutet Arbeiterkontrolle über die Lebensmittelindustrie, die großen landwirtschaftlichen Betriebe, die verarbeitende Industrie, das Transportwesen und die Supermarktketten. Weiters bedeutet dies, direkte Handelsbeziehungen zwischen den Arbeitern und den Bauern durch den Austausch von Gütern einzuführen. Dies führt zum Aufbau von Arbeiter- und Bauernkomitees, um die Lebensmittelpreise und deren Verteilung zu kontrollieren.

Aber um die Hyperinflation zu stoppen, müssen die Arbeiter die Kontrolle über die Banken erlangen und ihre vollständige Nationalisierung erzwingen, einschließlich der Konfiszierung der Einlagen der Bourgeoisie und der ausländischen Multis. Wir fordern Aktionen zur Verhinderung der Kapitalflucht ins Ausland, zur sofortigen Nichtanerkennung der Auslandsschuld und zur Einstellung aller Zinsenzahlungen. Die Ersparnisse der Arbeiter, Bauern und Kleinbürger sollten zu ihrem vorhyperinflationären Wert gesichert werden.

Alle diese Maßnahmen verweisen auf die Notwendigkeit eines Staatsmonopols über den Außenhandel und auf die Einführung demokratischer Planung durch die Produzenten. Um ein Arbeiter- und Bauernprogramm gegen die Inflation durchzusetzen, ist eine Regierung eben dieser Klassen ein unerläßliches Instrument. Ohne dieses wird die Bourgeoisie die Hyperinflation dazu benutzen, die Arbeiter zu demoralisieren und die Bauernschaft und das Kleinbürgertum gegen sie aufzuhetzen (Bolivien 1985 – 1986). Sie wird versuchen, die inflationäre Krise zu lösen, indem sie die Arbeiter niederknüppelt und ihnen brutale deflationäre Maßnahmen aufzwingt: Kürzung des Staatsbudgets für Gesundheits- und Erziehungswesen, Lohnkürzungen und Schließungen von Fabriken und Bergwerken. Inflation und Deflation sind beides Waffen der Bourgeoisie, um das revolutionäre Moment der Arbeiterklasse zu brechen. Gegen beides vereinigen wir die Massen um ein Programm, das darauf besteht: „Laßt die Reichen zahlen!“

Die Geissel der Arbeitslosigkeit

Massenarbeitslosigkeit ist heute ein beständiges Merkmal eines jeden kapitalistischen Landes. In den Halbkolonien führt der Zusammenbruch der Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt zur Zerstörung ganzer Industrien, während die Landwirtschaft Millionen von landlosen Bauern in die Städte getrieben hat, wo sie keine Arbeit finden und in die Reihen des Lumpenproletariats hinabgedrückt werden. In den imperialistischen Kernländern ließ die kapitalistische Umstrukturierung Millionen Menschen am Schrotthaufen der Arbeitslosigkeit landen. Gegen diese Geißel bringt unser Programm die Forderung für das Recht auf Arbeit für alle, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Alter, Glaubensbekenntnis oder sexueller Orientierung, vor. Diese Forderung ist nur verwirklichbar auf der Basis von militanten, direkten Aktionen – Streiks gegen Entlassungen, Besetzungen gegen Betriebsschließungen, militante Proteste durch die Organisationen der Arbeitslosen. Solche Kämpfe müssen sich die Erreichung einer gleitenden Arbeitszeitskala zum Ziel setzen. Unter der Herrschaft der Arbeiterkontrolle soll die Arbeit unter allen Arbeitenden eines Unternehmens aufgeteilt und die Arbeitswoche verkürzt werden, um diese Arbeitsaufteilung zu erleichtern. Unter keinen Umständen sollen bei weniger Arbeitsstunden die Löhne gekürzt werden. Dies ist eine bewußte Verallgemeinerung und revolutionäre Ausdehnung von Forderungen, die spontan von den Arbeitern für die „35-Stunden-Woche ohne Lohnverlust“ (Britannien, BRD) oder von „30 für 40“ (USA) aufgestellt wurden.

Für jene, die die Kapitalisten in der Arbeitslosenschlange stehen lassen, kämpfen wir für Arbeit oder vollen Lohn. Wenn die Kapitalisten keine Arbeit zur Verfügung stellen, fordern wir staatliche Arbeitslosenunterstützung in einer Höhe, die von der Arbeiterbewegung festgelegt werden soll. Wenn der Kapitalismus unfähig ist, soziale Betreuungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen, und Frauen daran gehindert werden, ganztägig zu arbeiten, dann fordern wir volle Unterstützungsleistungen. Aber diese Forderung muß mit dem Kampf für soziale Einrichtungen für Kinder, Kranke und Behinderte verbunden werden, sodaß es Frauen möglich ist zu arbeiten.

Volle Unterstützungszahlungen sollten für all jene gefordert werden, die der Kapitalismus aufgrund ihres Alters, ihrer Behinderung oder Krankheit aus der gesellschaftlichen Produktion ausschließt. Für die Älteren verlangen wir das Recht, in einem Alter in Pension zu gehen, das von der Arbeiterbewegung eines jeden Landes festgelegt wird. Inflationsgesicherte Pensionen müssen vom Staat in einer von der Arbeiterklasse festgesetzten Höhe, die den Lebensstandard der Älteren erhält, bezahlt werden. Für jene über dem Pensionsalter, die weiterarbeiten wollen, muß dies zu vollen von den Gewerkschaften ausgehandelten Löhnen möglich sein.

Die Arbeitslosen selber dürfen nicht als Zuschauer im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit stehengelassen werden. Kommunisten und Kommunistinnen streben nach dem gemeinsamen Kampf von Arbeitslosen und Arbeitenden. Wir sind für das Recht der Arbeitslosen, sich in den Gewerkschaften mit vollen Rechten, aber reduzierten Beiträgen zu organisieren. Wir sind auch für den Aufbau von demokratischen Massenarbeitslosenbewegungen, die durch die Arbeiterbewegung beträchtliche finanzielle Unterstützung erhalten, ohne daß Bedingungen an diese Zahlungen geknüpft werden. Sie sollen volle Vertretungsrechte innerhalb der Arbeiterbewegung haben. Solche Organisationen werden eine entscheidende Rolle spielen, um zu verhindern, daß die Arbeitslosen der Ideologie des Faschismus (oder anderen reaktionären Ideologien und Bewegungen), der Kriminalisierung und der Verlumpung zum Opfer fallen. Sie sind ein wichtiges Druckmittel gegenüber den beschäftigten Arbeitern, um einen aktiven Kampf zur Verteidigung ihrer arbeitslosen Kollegen und Kolleginnen aufzunehmen.

Um alle Arbeitslosen in den Produktionsprozeß zu integrieren und es ihnen zu ermöglichen, sozial nützliche Arbeit zu verrichten, kämpfen wir unermüdlich für ein Programm von öffentlichen Arbeiten unter Arbeiterkontrolle, bezahlt durch den kapitalistischen Staat. Die Notwendigkeit für ein solches Programm ist unübersehbar. In den imperialistischen Kernländern sind alle Arten von öffentlichen Einrichtungen verbesserungs- oder renovierungsbedürftig. In den Halbkolonien leben die Massen im Elend und müssen die grundsätzlichsten Annehmlichkeiten des Lebens (Wohnen, Wasser, sanitäre Anlagen und Heizung, Erziehung und Gesundheitsversorgung) entbehren. Das Programm für öffentliche Arbeiten versucht sowohl diese brennenden Bedürfnisse, wie den Bau von Wohnungen, Spitälern, Schulen und sonstigen Einrichtungen, zu befriedigen, als auch Arbeitsplätze für Millionen Menschen bereitzustellen. Weiters schult es die Arbeiterklasse, die Wirtschaft in einer Art und Weise zu führen, die ihre Bedürfnisse befriedigt. Es ist eine Schule für die Planwirtschaft selbst.

Verbunden mit einem solchen Programm für öffentliche Arbeit ist der Kampf für soziale Einrichtungen oder für deren Verteidigung und Ausbau. Diese dienen in gewisser Weise dazu, die Arbeiterklasse vor den schlimmsten Auswirkungen der kapitalistischen Ausbeutung zu schützen. Der Kapitalismus ist nicht nur bereit, unseren Lebensstandard seinem Lechzen nach Profit zu opfern, er ist dies auch in Bezug auf unser Recht auf Bildung, auf das Recht, die uns verbleibende Freizeit zu genießen und in Bezug auf das Recht auf Krankenversorgung. Was für ein besseres Zeugnis für den Bankrott des Kapitalismus kann erwartet werden als das Faktum, daß die USA als reichstes und mächtigstes Land der Welt eine der höchsten Kindersterblichkeitsraten aller industrialisierten Länder aufweisen. Um solche Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, kämpfen wir für kostenlose Bildung, freie öffentliche Einrichtungen und Freizeitmöglichkeiten und ein kostenloses Gesundheitswesen für alle. Diese Rechte müssen durch staatliche Subventionen in einer von den Massen selbst bestimmten Höhe garantiert werden. Diese Einrichtungen dürfen nicht von kapitalistischen Managern geleitet werden, sondern durch eine Arbeiterkontrolle über die öffentlichen Dienste.

Die habgierige Suche nach Profit degradiert und zerstört die Individuen weit über die Fabrik und das Büro hinaus. Im Kapitalismus treibt der Gebrauch von Drogen Hunderttausende über die Grenzen von Genuß und Stimulation hinaus in die Unproduktivität von Abhängigkeit und Knechtschaft: Alkoholismus und Drogenabhängigkeit zerstören das Leben von vielen potentiellen Klassenkämpfern gegen das System, das solche Abhängigkeiten verursacht. Wir fordern die Entkriminalisierung des Drogengebrauchs und die Beschlagnahme der enormen Profite, die die Rauschgiftmagnaten aus dem illegalen Import und Export von Drogen ziehen. Wir sind für ein staatliches Monopol, das von einem Arbeiter- und Bauern-Preiskomitee überwacht wird, für den Verkauf von Drogen für den pharmazeutischen und nicht-pharmazeutischen Gebrauch. Wir fordern wissenschaftlich fundierte Erziehung und Information über die Gefahren des Gebrauchs von manchen Drogen für nicht-medizinische Zwecke.

Es wird keinen Mangel an Kapitalisten, bürgerlichen Politikern, wirtschaftlichen „Experten“ und reformistischen Apologeten des Kapitalismus geben, welche „beweisen“ werden, daß unsere Forderungen für Löhne, Arbeitsplätze und Dienstleistungen nicht realisierbar seien und sicher nicht geleistet werden können. Darauf antworten wir, daß wir es uns nicht leisten können, ohne die Erreichung unserer Forderungen zu leben. Wir gehen nicht davon aus, was das kapitalistische System behauptet, sich leisten zu können. Die ganze Geschichte hindurch traf jede unserer Forderungen auf den Aufschrei, daß unsere Herrscher sie nicht verkraften könnten. Dennoch haben wir sie gewonnen, denn was leistbar ist, wird durch den Kampf entschieden; in Summe sind Reformen das Nebenprodukt des revolutionären Kampfes gegen den Kapitalismus. Wenn der bürgerliche Staat die Forderungen der Massen nach Löhnen, Arbeit oder Sozialleistungen mit dem Argument ablehnt, daß das zu einem Budgetdefizit führen würde, dann schlagen wir ein revolutionäres Programm der Besteuerung vor.

Die Arbeiter in den Fabriken und Banken sollen das veranlagte und flüssige Vermögen der Arbeitgeber berechnen. Auf der Grundlage dieses Kapitals und anderen Besitzes soll eine stark progressive Vermögenssteuer von ihnen eingehoben werden. Mit diesen Einnahmen wird es möglich sein, mit der Finanzierung der Bedürfnisse der Massen anzufangen. Andererseits soll die indirekte Besteuerung von Gütern des Massenkonsums und die Einkommensteuer der besitzlosen Massen über Bord geworfen werden. Die progressive Einkommens- und Vermögenssteuer für die Kapitalisten muß durch Arbeiter kontrolliert werden, um die Umgehung und Korruption durch Finanzexperten aufzudecken. Auch muß jeder Versuch, die Sonderbesteuerung der Kapitalisten auf die Preise der Massenkonsumgüter abzuladen, durch die Arbeiterkontrolle verhindert werden. Wenn die Kapitalisten sich weigern, ihre Steuern zu zahlen, diese zu hinterziehen versuchen oder Zahlungsunfähigkeit vorgeben, dann muß ihr Vermögen konfisziert werden.

Die Gewerkschaften

In vielen Teilen der Welt sind die Gewerkschaften dauerhafte Massenorganisationen des Proletariats geworden. Revolutionäre und Revolutionärinnen müssen daher eine zentrale Ausrichtung auf die Gewerkschaften haben, trotz deren reaktionärer Führungen. Eine richtige revolutionäre Intervention in die Gewerkschaften erfordert ein klares Verständnis ihres Charakters, ihrer Grenzen im Kapitalismus sowie eine systematische Strategie für deren Umwandlung in Instrumente des revolutionären Kampfes.

Reines Gewerkschaftertum verkörpert Klassenkampf in den Grenzen des Kapitalismus. Im allgemeinen haben sich die Gewerkschaften als elementare Organisationen zur Verteidigung der Arbeiterklasse gegen die Auswüchse der kapitalistischen Ausbeutung, zur Erlangung der Mittel für den Lebensunterhalt und zur Verbesserung des Lebensstandards der Arbeiter und ihrer Familien herausgebildet. Auf diese Weise anerkennt das reine Gewerkschaftertum das Lohnsystem, das System der Lohnsklaverei. Als eine Form des Bewußtseins verbleibt es auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft. Rein gewerkschaftliches Bewußtsein ist daher eine Form des reformistischen, bürgerlichen Bewußtseins innerhalb der Arbeiterklasse.

Das System der kapitalistischen Ausbeutung erzeugt jedoch den Klassenkampf selbst, wenn auch zumindest anfangs rein ökonomisch und zersplittert. Dies geschieht deswegen, weil die Bourgeoisie durch die Konkurrenz gezwungen ist, die Arbeitskosten zu senken und damit entweder die Intensität zu steigern oder den Arbeitstag zu verlängern. Dieser Klassenkampf schafft die objektiven Bedingungen für die Überwindung der reformistischen Beschränkungen des reinen Gewerkschaftertums. Die Arbeiterklasse wird zur Anwendung von Klassenkampfmethoden getrieben, die drohen, über die Grenzen reformistischer gewerkschaftlicher Lösungen hinauszugehen. Diese objektive Tatsache gibt Gewerkschaftsorganisationen einen widersprüchlichen Charakter. Auf der einen Seite widerspiegeln sie den selbstbeschränkenden Reformismus eines reinen gewerkschaftlichen Bewußtseins. Andererseits verkörpern sie episodenweise das revolutionäre Potential einer Arbeiterklasse, die zur Anwendung von Streiks, Besetzungen und Streikposten gezwungen ist. Sie können daher als „Kriegsschulen“ der Arbeiterklasse dienen.

Dieser widersprüchliche Charakter der Gewerkschaftsorganisationen offenbart sich auf mannigfaltige Weise. Selbst mit der Ausdehnung des Proletariats in die halbkoloniale Welt organisieren die Gewerkschaften weiterhin nur eine Minderheit der internationalen Arbeiterklasse. Die etablierten Bürokratien sind bei der Integration neuer Arbeiterschichten durch konservative Trägheit gekennzeichnet. Sie sind ängstlich besorgt, daß der Zustrom solcher Arbeiter ihre Privilegien und ihr ruhiges Leben gefährden könnte. Tendenziell organisieren die Gewerkschaften die Arbeiteraristokratie, die besser ausgebildeten und privilegierten Teile der Klasse. Sie widerspiegeln den Gruppenegoismus und das enge handwerklerische Bewußtsein dieser Schichten. Sie neigen im Namen der Neutralität zu einer selbstschädigenden Enthaltsamkeit in der Politik, obwohl die Gewerkschaftsführung oft gleichzeitig bei Wahlen die Stärke der Gewerkschaften reformistischen oder liberalen bürgerlichen Parteien ausliefert.

Im wesentlichen werden Gewerkschaften von einer reformistischen Bürokratie dominiert, die sich in den imperialistischen Ländern während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aus der Arbeiteraristokratie entwickelte und sich vor allem auf die organisierten Facharbeiter stützte. In vielen Halbkolonien entstand ebenfalls eine Bürokratie, auch hier aus der Arbeiteraristokratie. Doch ist sie kleiner und genießt weniger materielle Privilegien als die der imperialistischen Länder. Sie wurde von bürgerlich- nationalistischen oder reformistischen Kräften gefördert, die sich so eine soziale Basis zu sichern hofften (wie in Mexiko und Argentinien). In anderen Ländern, wo sich entweder noch keine Arbeiteraristokratie entwickelt hat oder diese noch zu schwach ist, um die Gewerkschaften oder reformistische bzw. nationalistische Parteien zu beeinflussen, entstand eine reformistische Bürokratie oft durch Verbindungen mit der internationalen Gewerkschaftsbewegung und durch die materielle Hilfe der Bürokratien in den imperialistischen Ländern.

Die Gewerkschaftsbürokratie ist eine besondere Kaste, die ihre Position und ihre materiellen Privilegien (wie gering sie auch immer sein mögen) ihrer Rolle als Unterhändler im Klassenkampf zwischen den Arbeitern und ihren Bossen verdankt. Ihre privilegierte Position geht oft einher mit ihrer Einbindung in untere Ebenen des kapitalistischen Staates. Um diese Positionen aufrechtzuerhalten, hat sie ein objektives Interesse an der Erhaltung des Systems der Klassenausbeutung und beschränkt und verrät daher die Klassenkämpfe. Sie handelt also als Feldwebel der Kapitalisten in der Arbeiterklasse und ist ein verschworener Feind des militanten Klassenkampfes und einer echten Arbeiterdemokratie.

Im Gegensatz dazu hat die Gewerkschaftsbasis kein objektives Interesse an der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ausbeutung. In den Momenten verschärften oder verallgemeinerten Klassenkampfes erweisen sich die Bestrebungen der Arbeiter an der Basis als das genaue Gegenteil der Methoden der Bürokratie. Im Angesicht der Attacken von seiten ihrer Bosse greifen die Arbeiter zu direkten Aktionen zur Verteidigung ihrer Interessen. Sie versuchen, die sektoralen Verschiedenheiten in ihren Reihen zu überwinden, die Unorganisierten zu organisieren und sich mit Arbeitern anderer Industrien und Gewerkschaften zu vereinigen. Im Gegensatz zur notorischen „Neutralität“ ihrer Bürokratie gibt es unzählige Beispiele, wo Arbeiter an der Basis ihre Organisationen für eindeutig politische Ziele zu nutzen versuchten. Die grundlegenden Interessen der Gewerkschaftsbasis sind daher nicht einfach verschieden von denen der Bürokratie, sondern ihr genaues Gegenteil.

Um dieses elementare Klassenbewußtsein der Gewerkschaftsbasis zu revolutionärem Bewußtsein zu entwickeln, ist es notwendig, für eine revolutionäre Umwandlung der Gewerkschaften zu kämpfen. Entweder werden Gewerkschaften zu Instrumenten der Unterordnung der Arbeiterklasse unter die Interessen des Kapitals, oder sie werden zu Instrumenten des revolutionären Kampfes gegen den Kapitalismus. So etwas wie Neutralität der Gewerkschaften im Klassenkampf kann es nicht geben. Das Ergebnis des Kampfes für die Umwandlung der Gewerkschaften hängt in erster Linie von der organisierten Stärke des revolutionären Kommunismus in ihnen ab. Wir sind bestrebt, kommunistische Fraktionen in den Gewerkschaften aufzubauen, die von Mitgliedern und Sympathisanten der revolutionären Partei gebildet werden und auf der Grundlage eines revolutionären Programms offen um die Gewerkschaftsführung kämpfen.

Um unser Ziel der Entmachtung der Bürokratie zu erreichen, befürworten wir oppositionelle Basisbewegungen, die der Basisdemokratie, der jederzeitigen (Ab-)Wählbarkeit und Verantwortlichkeit aller Funktionäre und einem Klassenkampfprogramm verpflichtet sind. Wir bekämpfen alle Beschränkungen der Basisdemokratie, jede von der Bürokratie erzwungene Spaltung, alle Versuche, die Gewerkschaften politisch „neutral“ zu halten oder genauer, sie von revolutionärem Einfluß freizuhalten. Wir leisten Widerstand gegen alle Versuche, Revolutionäre und Militante mit bürokratischen Mitteln aus Gewerkschaftsorganen zu jagen. Wir bekämpfen alle Bemühungen, die Kämpfe der Arbeiterklasse zu verraten beziehungsweise sie um ihren Erfolg zu bringen. Wir verteidigen die Rechte der gesellschaftlich Unterdrückten (Frauen, Jugendliche, sexuelle und rassische Minderheiten) auf eigene getrennte Treffen. Wir treten für die Einheit der Gewerkschaften auf einer demokratischen und klassenkämpferischen Basis und für Industriegewerkschaften ein.

Die Taktik der oppositionellen Basisbewegung (nach dem Modell des „Minority Movement“ 1920 in Britannien) widerspricht nicht dem Ziel, eine kommunistische Gewerkschaftsfraktion zu bilden. Sie ist eine Bewegung, in der die Kommunisten eine Fraktion bilden, aber durch die sie gleichzeitig versuchen, eine Massenkraft zu werden und auf der Grundlage eines Aktionsprogramms von Übergangsforderungen die Führung der Gewerkschaften zu übernehmen. Sie ist eine Form der Einheitsfront, die dort notwendig ist, wo Kommunisten eine Minderheit darstellen, aber gleichzeitig die Möglichkeit der Mobilisierung nicht-kommunistischer Arbeiter besitzen.

Die Geschichte des reformistischen Verrats und die Einbindung einiger Gewerkschaften in den bürgerlichen Staat hat viele Sektierer dazu geführt, die Massenorganisationen preiszugeben und „saubere“Gewerkschaften oder „rote Gewerkschaften“ aufzubauen, die weder die Massen noch irgendwelche bedeutenden Teile der Arbeiterklasse miteinschließen. Diese Politik der ‚Doppelgewerkschaften‘ ist in Wirklichkeit eine Form der feigen Enthaltung. Sie überläßt die Massen der verräterischen Bürokratie. Sie beläßt sie unter deren Einfluß und damit zur Niederlage verdammt. Unsere Politik ist es daher nicht, uns von den reformistischen Massengewerkschaften abzuspalten anstatt darin für eine revolutionäre Führung zu kämpfen. Wir kämpfen in ihnen für die volle politische und organisatorische Unabhängigkeit vom Staat und den Unternehmern. Arbeitermilitante sollten sogar in vom Management oder vom Staat kontrollierten Gewerkschaften arbeiten, wenn diese die Masse der Arbeiter organisieren; und zwar mit dem Ziel, die Massen zum Bruch mit diesen Gewerkschaften zu führen und tatsächliche Arbeitergewerkschaften zu bilden. Wir sind andererseits keine Fetischisten der Gewerkschaftseinheit. Wir sind sehr wohl bereit, Gewerkschaften zu spalten, die tatsächlich Streikbrecherorganisationen geworden sind. Insbesondere lehnen wir jede Verbindung mit Gangster-Syndikaten oder Politikern offen bürgerlicher Parteien ab, die sich als „Freunde der Arbeiter“ darstellen wollen.

Auch sind wir keine Gewerkschaftsfetischisten. Gewerkschaftsorganisationen vereinigen notwendigerweise breite Schichten. Sie sind uneinheitlich und umfassen sowohl fortgeschrittene als auch noch wenig entwickelte Teile der Arbeiterklasse. Sie können daher nicht die politisch geschulte Avantgarde ersetzen – die revolutionäre Partei. Im Gegensatz zu den Syndikalisten und Trade- Unionisten sehen wir in Gewerkschaften keinen Selbstzweck und keinen Ersatz für die Partei und die Arbeiterräte. Denn nur die Partei kann die strategischen Interessen des Proletariats in seiner Gesamtheit vertreten. Und nur die Partei kann die vielen Bewegungen des Klassenkampfes zur Niederlage des kapitalistischen Systems selbst hinführen. Gewerkschaften, selbst wenn sie von Revolutionären geführt werden, stellen für uns nur ein Instrument unter vielen dar, um unser Ziel zu erreichen – die sozialistische Revolution. Nur der Sieg der Partei und ihres Programms in den Gewerkschaften, genauso wie in allen anderen Organisationen des Massenkampfes, garantiert einen bleibenden Sieg des Proletariats über das Profitsystem.

Arbeiterkontrolle und Fabrikkomitees

Das kapitalistische Ausbeutungssystem erfordert, daß die Bosse jeden Aspekt des Produktionsprozesses kontrollieren. Die Suche nach höherer Produktivität und höheren Profiten gefährdet die Sicherheit, ruiniert die Gesundheit und intensiviert die Ausbeutung. Die Arbeiterklasse ist daher zunehmend gezwungen, auf die kapitalistische Kontrolle mit Arbeiterkontrolle zu antworten, um selbst grundlegende und begrenzte Forderungen durchzusetzen. Aus diesem Grund stellt die revolutionäre Avantgarde den Kampf für Arbeiterkontrolle in den Mittelpunkt ihrer Propaganda und Agitation. Gegen die kapitalistische Ausbeutung kämpfen wir für die Arbeiterkontrolle über die Produktion. Kurz gesagt heißt das, daß wir uns ein Vetorecht über die Pläne und Aktionen der Bosse in jedem Teil der Produktion vorbehalten, von den grundlegendsten Dingen (Arbeitstempo, Recht auf Pausen) bis auf die Ebene der Verwaltung der Fabrik (Zahl der Beschäftigten, Bezahlung der Löhne, Art der Produktion). Wir lehnen aber die tausendundein Schemata von Arbeitermitbestimmung kategorisch ab. Diese sind nur dazu entwickelt worden, um die Arbeiterklasse zu täuschen und in die Mechanismen des Kapitalismus zu integrieren, und sie versuchen, die Arbeiter dazu zu verführen, Verantwortung für das Versagen der kapitalistischen Produktion zu übernehmen. Sie sind darauf ausgerichtet, Absprachen für Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen abzusichern.

Die Arbeiterkontrolle auf der Ebene der Fabrik ist unvollständig, wenn sie nicht auf die gesamte kapitalistische Produktion ausgeweitet wird. Die Kapitalisten halten ihre Geschäftsbücher und Konten streng geheim vor den Arbeitern (wenngleich nicht untereinander). Dadurch täuschen und manipulieren sie die Arbeiterklasse. Wir kämpfen daher gegen den Schwindel des Geschäftsgeheimnisses, für die Öffnung aller Geschäftsbücher der Kapitalistenklasse – ihrer Firmen, ihrer Gesellschaften, ihrer Banken und ihres Staates – und für die Untersuchung durch die Arbeiter und Arbeiterinnen selbst. Das Ziel dieser Kontrolle ist nicht, eine Niederlage zuzugestehen, falls sich dieses oder jenes Unternehmen tatsächlich als bankrott erweist. Der Ruin individueller Kapitalisten ist nicht unsere Schuld. Und auch nicht unsere Sorge. Nein: Die Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses ist darauf ausgerichtet, den Bankrott des gesamten kapitalistischen Systems darzulegen, seinen Betrug und sein Mißmanagement der Wirtschaft, seinen Parasitismus, seine Tendenz, den Reichtum zu vergeuden, den die Arbeiter schaffen, und seine extrem ungerechten Methoden der Verteilung dieses Reichtums.

Aber die seit 1945 stark ausgeweitete Anwendung von Wissenschaft und Technik in der Produktion verlangt immer weiter reichende Formen der Arbeiterkontrolle. Da Wissenschaft und Technik vom Kapital organisiert werden, werden Ziel und Auswirkung der Einführung neuer Technologien immer mehr vor den Arbeitskräften verborgen. Sie erlangen davon nur bei Rationalisierungen, durch Sicherheitsrisiken, bei der Intensivierung der Arbeit und durch die verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt Kenntnis. Die Frage der Arbeiterkontrolle über die technische und wissenschaftliche Planung des Staats und der Unternehmer kann sogar eine Frage des Überlebens werden – nicht nur für die Arbeitskräfte, sondern auch für die umliegenden Gemeinden. Das zeigte sich immer wieder, sei es nun in Bhopal oder Tschernobyl. Die Arbeiterkontrolle über den technischen und wissenschaftlichen Apparat bedeutet auch, daß die Arbeiter die Trennung von Hand- und Kopfarbeit überwinden. Ein diesbezüglicher Erfolg wird es ermöglichen, daß technische und wissenschaftliche Arbeiter und Arbeiterinnen dafür gewonnen werden, mit den Fabrikarbeitern in Arbeiterkontrollkomitees zusammenzuarbeiten.

In der imperialistischen Epoche haben die Tendenzen zur verstärkten staatlichen Regulation der Industrie verschiedene Reformisten und Zentristen dazu geführt, alternative Produktionsschemata innerhalb des Kapitalismus zu entwickeln. Die Arbeiter und Arbeiterinnen wurden sogar aufgerufen, unter der Aufsicht reformistischer oder nationalistischer Regierungen bestimmte Unternehmen zu „managen“. Die alternative Planung im Kapitalismus ist aber eine Utopie. Natürlich entwickeln wir in Zeiten tiefer ökonomischer und sozialer Krisen einen Aktionsplan für eine revolutionäre Arbeiterregierung zur Lösung dieser Krisen. Aber selbst der elementarste Plan muß auf der Arbeiterkontrolle über die Produktion im nationalen Maßstab basieren, wenn er einen Fortschritt gegenüber kapitalistischem Chaos und Sabotage bringen soll. Es bedeutet, die Rolle frommer Berater des bankrotten kapitalistischen Systems zu spielen, solch einen Plan vom revolutionären Kampf für Arbeiterkontrolle zu trennen und ein Arbeitermanagement auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft zu befürworten. Die Arbeiterkontrolle ist kein Mittel, eine sozialistische Planwirtschaft durch die Hintertür einzuführen. Sie muß vielmehr den revolutionären Kampf um die Macht in der ganzen Gesellschaft beflügeln und dient so als Voraussetzung des Arbeitermanagements für die Zeit nach dem Sieg der Revolution.

Die reformistisch geführten Gewerkschaften sind bestenfalls nur teilweise dazu geeignet, die Arbeiterkontrolle über die Produktion auszuüben. Die Berufsgruppentrennung in den Fabriken, die oft durch auf dieser Trennung basierende Gewerkschaftsorganisationen wiedergespiegelt und befestigt wird, begrenzt die Fähigkeit dieser Gewerkschaften, die Kontrolle über die Produktion auszuüben. Abgesehen von speziellen Kontrollkommissionen, die ad hoc für bestimmte Ziele eingerichtet werden, ist das Fabrikkomitee die beste Organisationsform, um den Kampf für die Arbeiterkontrolle zu führen. Das Fabrikkomitee ist in der Lage, alle Arbeitskräfte zu vereinigen, diese auf den täglichen Kampf um Kontrolle zu orientieren und die Macht des Managements herauszufordern, indem darin alle Arbeiter und Arbeiterinnen einer Fabrik – unabhängig von Beruf, Abteilung und Gewerkschaftsmitgliedschaft – organisiert werden. Weiters kann das Fabrikkomitee im Kampf für die Umformung der Gewerkschaften in klassenkämpferische Industriegewerkschaften eine Rolle spielen. Das Fabrikkomitee muß direkt-demokratisch aufgebaut sein, das heißt, daß die Delegierten, die auf Abteilungs- und Massenversammlungen gewählt werden, jederzeit abwählbar sind und in täglichem Kontakt mit den Arbeitern und Arbeiterinnen stehen.

Als „inoffizielle“ Organe werden die Fabrikkomitees gleichermaßen von den Bossen und Bürokraten angegriffen und sabotiert werden. Der Grund dieser Feindschaft ist ihre Möglichkeit, Kampforgane des Proletariats zu sein. Die Fabrikkomitees sind (so wie die Fabriksbesetzung) eine Herausforderung für das Recht des Managements auf Leitung, die unantastbare Natur des Privateigentums und für die Macht der Gewerkschaftsbürokratie über die Arbeitenden. Sie etablieren eine Doppelmachtsituation in der Fabrik, und ihre Existenz stellt die Frage: Wer herrscht in der Fabrik – die Arbeitenden oder die Bosse? Daher sind sie für Perioden intensiven Klassenkampfes charakteristisch. Und genauso wie die Doppelmacht in der Gesellschaft nicht für längere Zeit aufrechterhalten werden kann, kann sie dies auch in der Fabrik nicht. Das Fabrikkomitee ist gezwungen, den Kampf für Arbeiterkontrolle immer kühner voranzutreiben. Wenn das nicht der Fall ist, riskiert es seinen Zerfall oder seine Vereinnahmung.

In Österreich und Deutschland entstanden nach dem ersten Weltkrieg Fabrikkomitees als Kampforgane. Aber die Niederlage der Revolution führte zur Umwandlung dieser Komitees in Organe der Kollaboration mit den Bossen. Diese Komitees werden von der Gewerkschaftsbürokratie und der Bourgeoisie als Stützen des sozialen Friedens verwendet. Diese Erfahrung zeigt gerade die Gefahr der Vereinnahmung auf, wenn sich das Fabrikkomitee nicht in revolutionäre Richtung entwickelt. Wo keine Fabrikkomitees existieren, müssen sie von Anfang an als Kontrollorgane der Arbeiterinnen und Arbeiter aufgebaut werden. Wo sie als Organ bürokratischer Kontrolle existieren, müssen sie zur Gänze transformiert werden, um die Rolle von Arbeiterkontrollorganen zu spielen.

Verteidigt die Umwelt durch Arbeiterkontrolle

Alle Produktionsweisen haben zur Störung der Umwelt geführt. Der Kapitalismus aber hat in der imperialistischen Epoche eine Zerstörung auf einer qualitativ neuen Stufe möglich gemacht. Die kapitalistische Produktionsweise hat ein Umweltproblem hervorgebracht, das sowohl physische Beschädigungen (an lebenden Organismen, Ökosystemen und der Ozonschicht) als auch die daraus folgenden sozialen und psychischen Auswirkungen für die Menschen einschießt (Krankheit, Hunger, psychischer Streß). Die Verbindung von wissenschaftlichem und technischem Fortschritt hat die Möglichkeit von Überfluß für die gesamte Menschheit hervorgebracht. Aber das nach wie vor bestehende Privateigentum an den Produktionsmitteln führte im Kontext einer von den imperialistischen Mächten beherrschten Welt zu einer vierfachen Bedrohung der Menschheit: Sie wird durch einen möglichen Nuklearkrieg von ihrer vollständigen Ausrottung bedroht; das Regenerationsvermögen der natürlichen Umwelt wird durch die rücksichtslose Zerstörung lebenswichtiger Teile des Ökosystems aufs Spiel gesetzt; die Bevölkerung wird durch die unzureichende Kontrolle der Anwendung gefährlicher Substanzen und Prozesse gefährdet; die sozialen Folgen der weltweiten Arbeitsteilung des Imperialismus trieben Millionen in den Hungertod und machten die Verstädterung zur ökologischen Gefahr.

In den degenerierten Arbeiterstaaten hat die Herrschaft der Bürokratie zu ähnlichen Konsequenzen geführt. Diese Kaste greift auf Produktionsmethoden zurück, die auf eine kurzfristige Maximierung des Outputs ausgerichtet sind. Die langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt bleiben unberücksichtigt. Ähnlich der Bourgeoisie hat auch die Bürokratie die Wissenschaften weiterentwickelt. Aber sie steht ihren Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Massen und den Folgen ihrer Anwendung auf die Produktion gleichgültig gegenüber. Auch in den degenerierten Arbeiterstaaten erfordert ein grundlegender Fortschritt auf diesem Gebiet den Sturz der herrschenden Macht.

Obwohl das Proletariat und die kleinen Bauern am meisten unter den zerstörerischen Folgen des Kapitalismus litten und leiden, waren es Teile des städtischen Kleinbürgertums und der Intelligenz in den imperialistischen Ländern, die die gegenwärtige Gefahr als erste in größerem Maßstab erkannten. Seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre vervielfachte sich die Anzahl von Ein- Punkt-Kampagnen beispielsweise in der BRD und in Österreich, aber später auch in Frankreich und Italien. Diese mündeten schließlich in eine breite Ökologiebewegung. Diese Bewegungen waren vorwiegend vom Kleinbürgertum getragen. Erstmals wurden ihre Wohngegenden, ihre Kinder und ihre Gesundheit bedroht. Aufgrund ihrer sozial und kulturell privilegierten Position waren sie in der Lage, die Umwelt zum politischen Thema zu machen. Einige von ihnen beleuchteten sogar die Folgen für die halbkolonialen Ländern. Die Politik dieser kleinbürgerlichen Schicht war zwar begrenzt, aber fortschrittlich, da sie das Problem der Umweltzerstörung in einer systematischen Form stellte. Sie führte Massenmobilisierungen durch und die Ökologie-Frage gewann als deren Folge erstmals Einfluß auf das öffentliche Bewußtsein. Außerdem gelang es ihnen, eine bedeutende Anzahl von qualifizierten und gut bezahlten Arbeitern und Arbeiterinnen einzubeziehen. Die großteils utopischen, sogar offen reaktionären Antworten dieser Bewegungen ändern nichts an der fortschrittlichen Rolle, die sie angesichts reformistisch dominierter Arbeiterorganisationen spielten, die in dieser Frage selbstzufrieden an der Seite ihrer Bourgeoisie standen.

Die von den Umweltschützern vorgeschlagenen Lösungen griffen weder die Herrschaft des Privateigentums an Produktionsmitteln noch die des bürgerlichen Staates an. Das spiegelt die soziale Lage des Kleinbürgertums und der Intelligenz wider. Die von ihnen vorgeschlagenen Strategien und Taktiken waren – abgesehen von ihrer häufigen Ineffektivität – auch Ablenkungen von der notwendigen Aufgabe, die soziale und ökonomische Macht der Arbeiterklasse zu mobilisieren. Aber wo diese Bewegungen Mobilisierungen initiierten, die die Interessen der Arbeiterklasse verteidigen oder vorantreiben, dort sind gemeinsame Aktionen der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen mit diesen kleinbürgerlichen Bewegungen notwendig. Unser Ziel ist, deren fortgeschrittenste Elemente für eine proletarische Orientierung zu gewinnen und folglich die kleinbürgerliche Bewegung zu spalten.

Die Arbeiterklasse hat ein lebendiges Interesse daran, die Gefährdung der Umwelt durch den Imperialismus zu bekämpfen. Während seiner ganzen Geschichte hat das Proletariat für den Stopp gefährlicher Produktionsmethoden und den Kapitalisten die Einführung von Sicherheitsstandards aufgezwungen. Die Arbeiterklasse hat dadurch in diesen Bereichen Ziele verwirklicht, die zur Schaffung einer bewohnbaren Umwelt für die Lohnabhängigen führte. Wiewohl dieser Kampf fortgesetzt und intensiviert werden muß, kann er niemals dauerhaft gewonnen werden, ohne den Kapitalismus selbst zu stürzen. Die erfolgreichsten Kampfmethoden – selbst für unmittelbare Verbesserungen – sind die Methoden des Klassenkampfes, sei es auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene. Trotz der häufigen Gleichgültigkeit der momentanen Gewerkschaftsführung ist es entscheidend, daß der Kampf für eine proletarische Antwort auf die Umweltfrage in die Massenorganisationen der Arbeiterklasse getragen wird. Das ist ein integraler Bestandteil des Kampfes, den Reformisten die Gewerkschaftsführung zu entreißen. Um sicherzustellen, das die Arbeiter und Arbeiterinnen Zugang zur Beratung mit unabhängigen Experten und Expertinnen haben, fordern wir die Bildung von Beratungskommissionen für Umweltschutz- und Sicherheitsbelange in den Gewerkschaften.

Gegen gefährliche Prozesse und Praktiken in den Werken kämpfen wir dafür, daß Fabrikkomitees und Gewerkschaften ein Veto einlegen und die Einführung von sichereren Technologien oder Arbeitsbedingungen auf Kosten des Profits überwachen. Wo die Gefahr über das Unternehmen hinausgeht, treten wir für die direkte Aktion der Arbeiter und Arbeiterinnen des Werks und der örtlichen Gemeinde mit dem Ziel ein, die Regierung zu zwingen, die Verwendung sichererer Methoden und Materialien vorzuschreiben. Wo die Bosse oder ihr Staat die Gefahr leugnen oder wirtschaftliche Rentabilität zur Verteidigung gefährlicher Fabriken ins Treffen führen, rufen wir zur Offenlegung aller relevanten Geschäftsbücher und Protokolle für eine Arbeiteruntersuchung auf. Wir weisen die Forderung nach unmittelbarer Schließung aller Atomkraftwerke zurück. Das heißt aber nicht, daß wir die Gefahren ignorieren, die Atomkraftwerke verursachen. Der Forderung nach unmittelbarer Schließung stellen wir die nach einer Untersuchung durch die Arbeiter oder durch von ihnen ausgewählte Repräsentanten gegenüber. Die revolutionäre Partei präjudiziert die Entscheidung einer solchen wissenschaftlichen Untersuchung nicht. Wir unterstützen die Mobilisierung der Arbeiterklasse zur Forderung und Durchsetzung der Schließung, wo eine Arbeiteruntersuchung oder eine Kommission der Arbeiterbewegung die Schließung empfiehlt oder wo akute und unmittelbare Gefahr gegeben ist. In diesen Fällen fordern wir die Erhaltung des Lebensstandards der dortigen Arbeitskräfte durch den Staat.

Wir kämpfen für Arbeiterkontrolle über Forschung und Planung der wissenschaftlich-technischen Institutionen der Unternehmen und des Staates. Das beinhaltet die Offenlegung der Art der Forschungs- und Entwicklungsprojekte und die Formulierung von darauf bezüglichen Gesundheits- und Sicherheitsforderungen. Weiters kann es auch bedeuten, im Zusammenhang mit einem Programm gesellschaftlich nützlicher, öffentlicher Arbeiten andere Forschungsziele durchzusetzen.

Für das Proletariat erschöpft sich die Ökologiefrage nicht in einem Kampf um vorbeugende Maßnahmen. Vieles wurde bereits zerstört und muß wiederhergestellt werden. Wir fordern daher, daß die Wiederherstellung einer lebenswerten Umwelt einen zentralen Platz im Rahmen eines Programms gesellschaftlich nützlicher gesellschaftlicher Arbeiten einnimmt. So ist die Gewährleistung angemessene sanitärer Anlagen und sauberen Trinkwassers eine brennende Notwendigkeit für Millionen Slumbewohner. Integrierte regionale Wiederherstellungsprogramme sind in großen Teilen Afrikas, die in den letzten Jahren in Wüsten verwandelt wurden, dringend notwendig. Große Mittel müssen für die Konstruktion von Hochwasserdämmen in den Monsungebieten der Erde verwendet werden. Die Bourgeoisie muß gezwungen werden, die in diesen Programmen vorgesehenen notwendigen Reparaturen durchzuführen.

Zahlreiche Gefahren können nicht auf der Ebene der Veränderung oder Schließung einzelner Produktionsstätten gelöst werden. Luft- und Wasserverschmutzung, Zerstörung ganzer Ökosysteme durch Abholzung oder Monokulturen oder die vollständige Auslaugung natürlicher Ressourcen sind oft internationale Erscheinungen, auch wenn ihre Auswirkungen anfangs meist in einzelnen Ländern bemerkbar sind. Auf nationaler und internationaler Ebene treten wir für die Einführung gesetzlicher Sicherheitsstandards für die Umwelt ein – aber wir kämpfen für diese mit den Methoden des proletarischen Klassenkampfes und wir vertrauen den internationalen Agenturen des Imperialismus in keiner Weise, wenn es darum geht, diese Standards, selbst wenn sie eingeführt würden, durchzusetzen. Keine dieser Forderungen kann dauerhaft verwirklicht werden, ohne daß das Proletariat die politische und ökonomische Macht von den Kapitalisten errungen und eine demokratische internationale Planung etabliert hat. Nur auf diesem Weg kann der Gegensatz von Stadt und Land aufgehoben und die menschliche Produktion mit der Natur ausgesöhnt werden.

Enteignung und Nationalisierung

Das sozialistische Programm tritt für die vollständige Enteignung der Kapitalistenklasse, die Zerschlagung ihres Staates und die Etablierung der Arbeitermacht ein. In der imperialistischen Epoche wurde eine ganze Reihe staatskapitalistischer Verstaatlichungen entweder durch „konsensuale“ konservative und reformistische Regierungen in den imperialistischen Nationen oder durch nationalistische Regierungen in den Halbkolonien durchgeführt.

Im ersten Fall sind die staatskapitalistischen Nationalisierungen generell im Interesse der gesamten Kapitalistenklasse. Sie gewährleisten die Fortführung notwendiger wirtschaftlicher Bereiche, die für die individuellen Kapitalisten zu wenig profitabel sind. Diese stellen anderen Teilen der Wirtschaft üblicherweise Produkte und Leistungen zu geringen Kosten zur Verfügung. Sie sind auch eine Möglichkeit, bankrotte und schlechte Manager, die für ihre Inkompetenz mit ungeheuren Entschädigungen bezahlt werden, abzusichern.

In den Halbkolonien war die Verstaatlichung eine Methode, durch die eine schwache oder embryonale Bourgeoisie die Mittel zur Kapitalakkumulation, die zuvor in den Händen des Imperialismus waren, konzentrierte. Das war für das Wachstum der nationalen Bourgeoisie notwendig.

Obwohl diese oder jene Verstaatlichung einen Schlag gegen den Imperialismus bedeuten mag (Nasser in Ägypten, die Verstaatlichungen der Kupferminen in Chile unter Allende) oder Zugeständnisse an die Massen darstellen können, so führen sie keineswegs zur Enteignung des Kapitalismus. Vielmehr wird die Herrschaft der Kapitalistenklasse in einem bestimmten Sektor oder mehreren Sektoren der Wirtschaft durch den kapitalistischen Staat ausgeübt. Die Verstaatlichungen verführen die Massen zu dem Glauben, daß ihnen dieser oder jener Teil der Ökonomie „gehört“, obwohl diese Nationalisierungen nur eine betrügerische Methode der Verwaltung des Kapitalismus, nicht aber seines Sturzes ist. Gleichzeitig werden die Arbeiter und Arbeiterinnen staatlicher Unternehmen daran gehindert, irgendeine Kontrolle über die Produktion auszuüben.

Wo die Arbeiter und Arbeiterinnen aufgerufen werden mitzuverwalten, dient dies generell dazu, den Fortbestand der Unternehmen zu sichern oder das bürgerliche Regime zu retten, das die Verstaatlichungen durchgeführt hat, und sich in einem, wenngleich nur zeitweiligen Konflikt mit dem Imperialismus befindet (Mexiko in den 30er Jahren, Bolivien in den 50er Jahren). Dasselbe gilt für Managementbeteiligungen der Arbeiter und Arbeiterinnen in den kränkelnden Industrien und Werken. Dabei beuten sie sich oft unter der Maske von „Kooperativen“ selbst aus; sie werden gezwungen, beständig Lohnforderungen zurückzunehmen und Lohneinbußen hinzunehmen, um die Arbeitsplätze zu erhalten. Sobald diese verstaatlichten Sektoren wieder profitabel sind, kennt der kapitalistische Staat keine Gewissensbisse, wenn er die einst nationalisierten Unternehmen zu Schleuderpreisen an Privatkapitalisten zurückgibt (Ägypten unter Sadat, Britannien unter Thatcher). Die Reformisten und Nationalisten werden keinerlei ernsthafte Aktion setzen, um diese Übergaben zu verhindern.

Trotz unserer Kritik an bürgerlichen Verstaatlichungen, stellt die Privatisierung, wie sie immer wieder von den Bossen versucht wird, einen Rückschritt dar, der auf Kosten der Arbeiterklasse durchgeführt wird. Das Proletariat wird dabei gezwungen, die Kosten der Privatisierung durch Arbeitslosigkeit und Lohneinbussen direkt zu bezahlen. Im allgemeinen gehen sie auf Kosten von Sozialleistungen, gewerkschaftlicher Organisations- und Mitspracherechte. Die Arbeiterklasse zahlt die Privatisierungen auch indirekt durch die Steuern, die ursprünglich für die Verstaatlichungen aufgewandt wurden. Wenn diese Unternehmen wieder verkauft werden, erhält die Arbeiterklasse im Gegensatz zu den ehemaligen Eigentümern, die für die Nationalisierung Entschädigungen erhielten, keine solchen von den neuen Bossen. Schließlich wird, allgemein gesprochen, die Aufgabe des Übergangs zum Sozialismus durch die Existenz privater Unternehmen erschwert.

Obwohl wir diese verstaatlichten Industrien nicht als sozialistische betrachten, bedeutet die Zentralisation in den Händen des Staates einen klaren Vorteil für einen Arbeiterstaat in der Übergangsepoche. Wir fordern daher von den Reformisten und Nationalisten in der Regierung, die behaupten, daß sie gegen Kapitalismus und Imperialismus seien, daß sie alle privaten Industrien ohne Entschädigung und unter Arbeiterkontrolle wieder verstaatlichen.

Im Gegensatz zu den Reformisten und Nationalisten und ihren Sonntagsreden treten wir für die Enteignung ein. Die Arbeiterklasse benötigt die politische Macht, um die ökonomische Herrschaft der Kapitalistenklasse zu zerstören. Trotzdem argumentieren wir schon heute für die unmittelbare Enteignung unter Arbeiterkontrolle und ohne Entschädigung für die Bosse, wo sie ein Werk oder eine ganze Industrie schließen wollen. Eine Verstaatlichung, die auf dieser Basis durchgeführt wird, zwingt alle Unternehmer, vermittelst des Staates, für die Krise ihres Systems zu zahlen. Wir schrecken auch nicht davor zurück, zur Enteignung ganzer Sektoren der Industrie oder der Infrastruktur (Transport, Energie und Trinkwasseraufbereitung) aufzurufen, um die Anarchie der kapitalistischen Produktion zu bekämpfen. Jeder Erfolg, den die Arbeiter durch das Erzwingen solcher Enteignungen machen, stellt sie vor die Notwendigkeit der Enteignung weiterer Teile der Wirtschaft, um die kapitalistische Sabotage der von den Arbeitern kontrollierten Industrien zu verhindern. Um das Monopol des Großkapitals über Information und Propaganda durch die sogenannte ‚freie Presse‘ zu brechen, stellen wir die Losung der Verstaatlichung der Zeitungs- und Fernsehgesellschaften und der anderen Medien unter Arbeiterkontrolle und ohne Entschädigung für die Medienbarone auf. Diese Maßnahme ist weit davon entfernt, eine freie Presse zu verhindern. Im Gegenteil: Sie ermöglicht den Arbeitern, die Kapitalisten am Verbreiten von Lügen, von Attacken auf Kämpfe der Arbeiter und von ekelhafter sexistischer, rassistischer und homosexuellenfeindlicher Propaganda zu hindern. Gleichzeitig verteidigen wir das Recht der Arbeiterorganisationen und ihrer politischen Parteien, ihre eigene Presse unabhängig von staatlicher Kontrolle zu organisieren.

Obwohl die Enteignung des gesamten Kapitals das strategische Ziel der Arbeiterklasse ist, muß das Proletariat der taktischen Wichtigkeit der Neutralisierung bestimmter Kleinkapitalisten und kleinbürgerlicher Eigentümer Rechnung tragen. Daher soll diese Schicht, die in den Halbkolonien oft zahlenmäßig sehr bedeutend ist, von ihren drückenden Schulden ans Finanzkapital befreit werden. Das Maß der Enteignung großer und kleiner Kapitale wird in einem jungen Arbeiterstaat einerseits durch den Rhythmus des Klassenkampfs im Land und international bestimmt und andererseits durch den Grad der Enteignungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Brechen des kapitalistischen Widerstands und zur Sicherung der ökonomischen Entwicklung notwendig sind. Analog dazu und vorausgesetzt, daß es möglich ist, können Entschädigungen an Kleinkapitalisten und kleinbürgerliche Investoren bezahlt werden, wenn das dazu beiträgt, diese Schichten zu neutralisieren.

Die Enteignung eines Teils der Industrie bringt die Arbeiter und Arbeiterinnen in Konflikt mit den Banken und Finanzhäusern, die den Geld- und Kreditfluß kontrollieren. Das wirtschaftliche Regime dieser Parasiten ruiniert nicht nur die Arbeiter, sondern auch Teile des städtischen Kleinbürgertums und der Bauern. Gegen ihre Sabotage treten wir für die Enteignung der Banken und Finanzhäuser ein. Nur dadurch können die Kredite für die Bauern und Bäuerinnen billiger gemacht werden. Nur dadurch können die bedeutendsten Rechnungsbücher der Gesellschaft für die aufmerksamen Augen der Arbeiter und Arbeiterinnen geöffnet werden. Nur so können die in zahlreichen unterdrückten Ländern angehäuften Schulden gestrichen werden, ohne eine plötzliche wirtschaftliche Erschütterung zu riskieren. Nur so können die Massen Schritte ergreifen, um die Plage der Hyperinflation zu beenden. Die Arbeiterkontrolle über die Banken und Finanzhäuser wird auch gewährleisten, daß die kleinen Sparer, die proletarischen Eigenheimbesitzer und die kleinen Bauern von den gierigen Finanziers nicht ausgepreßt werden.

Die Enteignung von Industriesektoren, der Banken und Finanzhäuser stellt einen Übergang zur vollständigen wirtschaftlichen Vernichtung der Kapitalistenklasse dar. Nur dann wird wirkliche Planung möglich sein, d.h. Produktion für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und nicht für den Profit. Die Ungleichgewichte zwischen einzelnen Teilen der Industrie, die für das System des Privateigentums charakteristisch sind, werden auf fortschrittliche Weise überwunden. Dasselbe gilt für die Gesellschaft, in der ständige Überproduktion mit unbefriedigten Bedürfnissen einhergeht, da nützliche Güter unverkauft bleiben, wenn sie keinen Profit erzielen. Doch die Enteignung der Kapitalistenklasse wird nur dann die Grundlage für eine sozialistische Planung sein können, wenn die Staatsmacht vollständig von den Händen der Kapitalisten und der stalinistischen Bürokratie in die der Arbeiter und Arbeiterinnen übergeht.

Von der Verteidigung der Streikposten zur Arbeitermiliz

Alle entscheidenden Konflikte in der Geschichte wurden letztendlich mit Waffengewalt entschieden. Die Reformisten, die über einen friedlichen Weg zum Sozialismus blöken, sind entweder naive Narren, die sich nicht bewußt sind, wie Geschichte „gemacht“ wird, oder zynische Diener der Bourgeoisie. Keine herrschende Klasse ist jemals kampflos von der Bühne der Geschichte abgetreten. Das Proletariat ist die einzige Klasse in der Geschichte, die ein Interesse an der Abschaffung aller Klassen hat. Um dies zu erreichen, muß es durch einen bewaffneten Aufstand seine Diktatur über die Ausbeuter errichten. Die Vorbereitung der Arbeiterklasse für den Aufstand durchläuft eine Reihe von Forderungen und Aktionen, die sich alle auf die Verteidigung der Arbeiterkämpfe und die Destabilisierung und Zerstörung der bürgerlichen Staatsgewalt konzentrieren.

Seit Beginn der kapitalistischen Gesellschaft wurde der Arbeiterklasse mit Gewalt entgegengetreten, wenn sie versuchte, für ihre Rechte am Arbeitsplatz zu kämpfen. Angesichts solcher Angriffe entwickelte sie ihr eigenes Mittel zur Verteidigung: die Streikpostenkette. Aus diesem Grund versucht der bürgerliche Staat diese auf einen ineffektiven Protest zu beschränken. Andererseits haben Arbeiter, die ernsthaft siegen wollen, versucht, aus den Streikposten eine Massenkraft zu machen, welche in der Lage ist, Streikbrecher, Firmengangster und ebenso die Staatspolizei zu verjagen. Aber egal wie groß sie ist, die Streikpostenkette ist unzureichend, sowohl um ihre unmittelbaren Ziele gänzlich durchzusetzen, als auch für die ausreichende Verteidigung der kämpfenden Arbeiter. Die Arbeiter müssen in jedem Kampf ihre eigene Verteidigung organisieren und so die Basis für die Arbeitermiliz zu schaffen.

Der erste Schritt dazu ist die Verteidigung der Streikpostenkette und der Fabriks- oder Landbesetzung. Jedesmal, wenn Arbeiter oder arme Bauern versuchen, ihren Willen durchzusetzen, wird ihnen mit Repression entgegengetreten. Die Agenten solch einer Repression variieren je nach Ort und Umständen. Aber gleichgültig, ob die Streikbrecher und ihre Drahtzieher die Polizei (wie in Westeuropa), die Armee (wie in vielen Halbkolonien) oder bezahlte Gangster und „Nationalgardisten“ (wie in den USA) sind, ihre Funktion ist die physische Zerschlagung der Streikpostenkette der Arbeiter und Arbeiterinnen. Unter Bedingungen extremer Krisen wird die Bourgeoisie Zuflucht zu faschistischen Banden nach dem Modell der „Schwarzhemden“ Mussolinis oder der „Braunhemden“ Hitlers nehmen oder zu geheimen „Todesschwadronen“, die mit den Streitkräften verbündet sind, um nach und nach die Kampfkraft der Arbeiterklasse zu brechen.

Die Streikbrecher lassen sich selbstbewußt auf diese Auseinandersetzung ein, weil sie wissen, daß sie das ganze Gewicht des bürgerlichen Staates hinter sich haben. Jedoch stehen ihre Erfolge in direktem Verhältnis zum Mangel an Organisation innerhalb der Arbeiterklasse und armen Bauernschaft. Besondere Einheiten von Streikenden, unterstützt von den Massen, aber speziell zum Zweck des bewaffneten Kampfes ausgebildet, können das Selbstvertrauen der Streikbrecher zerstören und diesen Mob in die Flucht schlagen. So kann die Streikpostenkette von einer bloßen Scheingeste oder einer schlecht organisierten Demonstration in eine disziplinierte und effektive Abteilung der proletarischen Armee umgewandelt werden. Damit können auch die ersten Elemente einer Arbeitermiliz versammelt werden. In allen Phasen dieses Kampfes sind wir für die Mobilisierung und Ausbildung von proletarischen Frauen, so daß jene eine vollwertige Rolle in den militärischen Organisationen der Arbeiterklasse spielen können.

Natürlich muß der Aufbau einer solchen Organisation mit der gebührenden Rücksichtnahme auf das vorhandene Bewußtsein der Massen und ihr erreichtes Niveau der Organisierung durchgeführt werden. Im Falle eines Streikes oder einer Besetzung sind Verteidigungstrupps notwendig. Sogar in „friedlichen“ Perioden des Klassenkampfes erkennen wir die Notwendigkeit, junge Kämpfer der Arbeiterklasse für die zukünftigen Auseinandersetzungen zu trainieren, und benutzen dazu alle möglichen Mittel und Organisationen. Aber unter keinen Umständen darf diese Aufgabe aufgeschoben werden. Verzögerung führt zur Niederlage – und die Niederlage zum Weiterbestand der Klassengesellschaft.

Für die Zerschlagung der bewaffneten Staatsmacht

Allein wird die Arbeitermiliz nicht in der Lage sein, die Macht des bürgerlichen Staates zu zerschlagen. Die bewaffneten Streitkräfte der herrschenden Klasse müssen sowohl von innen als auch von außen gebrochen werden. Jede revolutionäre Situation hat gezeigt, daß in einer entscheidenden Auseinandersetzung mit der Arbeiterklasse Teile der bewaffneten Streitkräfte (Polizei, Armee, Marine, Luftwaffe) schwankten und mit ihren kapitalistischen Auftraggebern brachen.

Das Wesen der Streitkräfte und Polizeiorganisationen ist in vielen Teilen der Welt unterschiedlich. Normalerweise bilden die Polizeikräfte den alltäglichen Repressionsapparat des kapitalistischen Staates. In Notfällen, in Situationen von Kriegsrecht und unter Militärregierungen wird auch die Armee die direkt repressive Rolle spielen. Deshalb stellen wir uns überall jener utopischen Idee entgegen, daß diese Organe bewaffneter Männer und Frauen demokratisiert, in eine neutrale Kraft oder in einen Verbündeten der Arbeiterklasse umgewandelt werden können. Sie müssen zerschlagen und durch eine Volksmassenmiliz auf der Grundlage der Arbeiter und armen Bauern ersetzt werden.

Jedoch erfordert die Verschiedenheit in Zusammensetzung und Organisation der Streitkräfte (Berufsheer oder allgemeine Wehrpflicht, arme bäuerliche oder proletarische Rekruten) verschiedene Taktiken, um sie zu zerbrechen. Aber alle diese Taktiken zielen darauf ab, die Kette zwischen Kommando und Gehorsam zu destabilisieren und zu sprengen. Zu diesem Zweck treiben wir den Klassenkampf innerhalb des Militärs voran. Das Offizierscorps bildet eine absolut unreformierbare und hingebungsvolle Vorhut der herrschenden Klasse gegen das Proletariat. Die Arbeiter müssen dafür kämpfen, die niederrangigen Soldaten und Unteroffiziere gegen die Autorität, die Privilegien und die Korruption dieser Kaste zu organisieren. Um diese Arbeit anzuleiten, bemühen wir uns, (geheime) kommunistische Zellen in den Streitkräften aufzubauen, welche an die einfachen Soldaten gerichtete Bulletins herausgeben.

Genauso wichtig wie die Untergrabung der Disziplin ist, daß Kommunisten und Kommunistinnen den berechtigten Groll der einfachen Soldaten unterstützen. Nur auf einer solchen Basis können wir hoffen, die repressive Rolle der Streitkräfte zu unterminieren und die einfachen Soldaten dazu zu gewinnen, sich mit der Arbeiterklasse zu solidarisieren, indem sie zum Beispiel ablehnen, Demonstrationen und Streikposten anzugreifen, oder sich weigern, Gefangene zu foltern. Deshalb fordern wir das Recht für die einfachen Soldaten und Polizisten, Gewerkschaften und politische Organisationen zu gründen, politische Literatur in Umlauf zu bringen und zu streiken.

Obwohl es nicht unsere Aufgabe ist, höhere Löhne oder bessere Bedingungen für die Armee oder Polizei des kapitalistischen Staates zu verfechten, unterstützen wir die Kämpfe der unteren Ränge, wo diese sie in einen fortschrittlichen Konflikt mit dem kapitalistischen Staat bringen. Zu diesem Zweck kämpfen wir für das Ende des Kasernierungssystems und für die Wahl aller Offiziere durch die niederen Ränge. Wir kämpfen für Tribunale dieser unteren Ränge, um Offiziere vor Gericht zu stellen, die der Brutalität, der Korruption, der Verschwörung und reaktionärer Anschläge bezichtigt werden. In vorrevolutionären Situationen agitieren wir dafür, daß die Soldaten Räte bilden und Delegierte zu den lokalen, regionalen und nationalen Räten der Arbeiter und Bauern schicken.

Solange jedoch die Polizei, die Gefängniswärter und die Armee unter dem ungebrochenen Kommando des bürgerlichen Staates bleiben, kommt es überhaupt nicht in Frage, ihren Gewerkschaften oder Organisationen Zutritt in die Reihen der Arbeiterbewegung einschließlich ihrer nationalen oder lokalen Gewerkschaftsverbände zu gewähren.

Im Kampf um die Zerstörung der bürgerlichen Streitkräfte gehen wir vom Grundsatz aus: Keinen Groschen, keine Person für dieses System! Wir verurteilen alle Arbeitervertreter, die für Militärbudgets oder Kriegskredite unter dem Vorwand der Verteidigung der Nation stimmen. Daraus folgt, daß wir gegen die Einberufung junger Arbeiter in das Heer der Bourgeoisie sind. Wir sind gegen die Einführung der Wehrpflicht und ihre Existenz. Aber wir sind dies nicht vom Standpunkt des Pazifismus aus. Wir sind für das Recht und die Möglichkeit aller, militärische Fertigkeiten zu lernen und Waffen zu tragen. Dies schließt das Recht der Frauen auf militärische Ausbildung in bürgerlichen Armeen ein. Nieder mit dem Monopol der Kapitalisten auf Gewaltmittel! Militärische Ausbildung sollte am Arbeitsplatz und in Gemeinschaften der Arbeiterklasse organisiert werden, unter Gewerkschaftskontrolle und in Verbindung mit Soldatenkomitees.

Wir unterstützen das Recht von einzelnen, sich zu weigern, zu den Streitkräften einberufen zu werden, aber solch einen Schritt zu propagieren, ist ein Akt von kleinbürgerlichem Pazifismus. Revolutionäre Kommunisten und Kommunistinnen gehen in die Armeen, wo auch die Arbeiter zu finden sind, und arbeiten für die Revolution von innen her. Wo es Massenbewegungen gegen einen reaktionären imperialistischen Krieg gibt, die unter pazifistischer oder reformistischer Führung stehen, geben wir diesen kritische Unterstützung, insofern sie die Kriegsbemühungen behindern oder sabotieren. Aber wir betonen, daß Militärdienstverweigerungen die Bourgeoisie niemals ihrer bewaffneten Macht berauben werden.

Gegen bürgerlichen Militarismus, gegen imperialistischen Krieg!

Das Proletariat ist eine internationale Klasse, die keinerlei Interesse an der Verteidigung des bürgerlichen Nationalstaates hat. Deshalb müssen die Arbeiter und Arbeiterinnen in den imperialistischen Ländern in ihrem Defätismus unerschütterlich sein. Die leninistische Position, die zwischen 1914 und 1918 entwickelt wurde, behält vollständig ihre Gültigkeit. Revolutionärer Defätismus basiert auf dem Prinzip, daß der Hauptfeind der Arbeiterklasse die Bourgeoisie des eigenen Landes ist. Die Niederlage der „eigenen“ imperialistischen Bourgeoisie infolge des revolutionären Kampfs der Arbeiterklasse um die Macht ist ein geringeres Übel als ihr Sieg infolge von Klassenkollaboration und des Verzichts auf die proletarische Unabhängigkeit während des Krieges. Die Sozialchauvinisten, die Partei für den sozialen Frieden ergreifen, werden argumentieren, daß sich die Arbeiter und Arbeiterinnen während eines Krieges den Notwendigkeiten der „Nation“ beugen sollten, indem sie die Produktion beschleunigen und gesetzliche Beschränkungen des Streikrechts akzeptieren.

Wir müssen jedoch gegen eine Beteiligung der Arbeiterklasse an den Kriegsbemühungen kämpfen. Die Arbeiterorganisationen müssen den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg verwandeln. Angesichts eines Krieges gegen eine Halbkolonie oder einen Arbeiterstaat müssen die Arbeiter dem Feind des Imperialismus Solidarität und Hilfe geben. In einem Konflikt mit einem Arbeiterstaat, egal wie degeneriert dieser ist und welche militärischen Waffen in diesem Konflikt angewendet werden (nukleare, biologische, chemische oder konventionelle Waffen), müssen ihn die Arbeiter gegen den imperialistischen Angriff verteidigen.

Außerhalb der imperialistischen Länder ist verallgemeinerter Defätismus nicht in jedem Konfliktfall die richtige Methode. Die konkreten Bedingungen werden verschieden sein, und die revolutionäre Avantgarde wird entweder für Defätismus oder für Verteidigung kämpfen müssen, was primär vom Charakter der kriegführenden Staaten abhängig ist. Innerhalb von Halbkolonien oder degenerierten Arbeiterstaaten, welche sich in Konflikt mit dem Imperialismus befinden, muß das Proletariat eine Verteidigungsposition beziehen. In Anbetracht von Kriegen zwischen Halbkolonien (Indien-Pakistan) oder zwischen degenerierten Arbeiterstaaten (China-Vietnam) sollten die Arbeiter auf beiden Seiten generell eine defätistische Position einnehmen, außer es ist der Fall, daß eine Seite ein Handlanger des Imperialismus ist und daß das internationale Proletariat durch den Sieg einer Seite gestärkt würde.

Das Proletariat verteidigt die Halbkolonien und Arbeiterstaaten nicht mit den gleichen Methoden wie die Bourgeoisie oder die Bürokratie. Die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse ist notwendig, um internationale Solidarität und die Niederlage der Imperialisten zu sichern. Selbst wo sich eine imperialistische Macht in einem militärischen Bündnis mit einem Arbeiterstaat befindet, behält das Proletariat in jenem imperialistischen Land seine defätistische Position bei und sollte unter keinen Umständen den Klassenkampf aussetzen. Nur wo die Fortführung einer bestimmten Aktion im Klassenkampf die Kriegsbemühungen des Arbeiterstaates direkt behindert, würde das Proletariat seine Aktion unterbrechen. Aber keinesfalls würde solch ein Ausnahmefall einen Aufschub der Politik des Defätismus in Bezug auf den imperialistischen Krieg und die kapitalistische Klasse signalisieren.

Die Existenz riesiger Arsenale atomarer Sprengköpfe, biologischer und chemischer Waffen, die in der Lage sind, die Menschheit mehrfach zu vernichten, erzeugen berechtigte Angst im Herzen von Millionen. Angesichts dieser Bedrohung predigen die sozialdemokratischen und stalinistischen Reformisten der Arbeiterklasse von weltweiter Abrüstung und der Verbannung des Krieges von der Erde. Es geht aber nicht abstrakt um die Frage der Abrüstung, sondern darum, wer entwaffnet werden soll und mit welchen Mitteln. Die Bourgeoisie wird nie kampflos ihre Waffen aufgeben. Sie muß vom revolutionären Proletariat gewaltsam entwaffnet werden. Indem versucht wird, die Arbeiter und Teile eben jener Bourgeoisie in einer Abrüstungskampagne zu vereinigen, wird die Illusion geschürt, daß die Herrschenden überzeugt werden könnten, jene Waffen aufzugeben, die sie zur Verteidigung ihres Monopols auf die Produktionsmittel besitzen. Tatsächlich gehen die ausgehandelten Abkommen zwischen den Imperialisten und den degenerierten Arbeiterstaaten, bestimmte Waffentypen zu reduzieren, Hand in Hand mit neuen Aufrüstungsrunden. Wie vor den beiden Weltkriegen können internationale Friedenskonferenzen ein Vorspiel des Krieges sein, indem sich jede Seite damit beschäftigt, propagandistische Schliche auszuarbeiten, welche die gegnerische Seite als den Feind des Friedens darstellen.

Wo immer jedoch die Pazifisten Teile der Arbeiterschaft und des Kleinbürgertums in direkte Auseinandersetzungen führen, die das Militärprogramm der herrschenden Klasse untergraben, nehmen Revolutionäre und Revolutionärinnen an solchen Aktionen teil, während sie aber ihre vollständige Opposition gegen die utopische Politik der Pazifisten klarlegen und unser Übergangsprogramm mit Forderungen zu Krieg und Militarismus vorbringen.

Die Kriegsindustrie ist für die herrschende Klasse sehr profitabel. Wir kämpfen für die Veröffentlichung ihrer Geschäftsgeheimnisse, für die Beschlagnahme ihrer Militärprofite und für ihre Enteignung und Stellung der Produktionsmittel unter Arbeiterkontrolle. Indem die Bourgeoisie Kriegsvorbereitungen trifft, werden Geld und Leute in die Streitkräfte gepumpt. In Opposition zu ihren Rüstungsprogrammen fordern wir ein Programm nützlicher öffentlicher Arbeiten.

Sogar in Zeiten, in denen es keinen globalen Konflikt gibt, konstruieren die Imperialisten Pakte und Verträge zur Verteidigung ihrer Interessen und unterstützen sie durch die Androhung militärischer Intervention. Wir fordern die Auflösung aller imperialistischen Pakte und Verträge und ein Ende der Geheimdiplomatie. Alle Verträge und Abkommen sollten offengelegt und veröffentlicht werden.

Wir stellen die Forderung an die reformistischen bürgerlichen Arbeiterparteien, daß sie, wenn sie in der Regierung sind, Forderungen durchsetzen, die im Interesse jener Klasse sind, die sie zu vertreten beanspruchen. Wir verlangen den Rückzug aus NATO, ANZUS, SEATO, die Ablehnung der Militärbudgets und die Weigerung, Waffengewalt gegen die Arbeiter und unterdrückten Völker anzuwenden. Sie müssen die Forderung nach vollen demokratischen Rechten für Soldaten unterstützen, das Recht auf Gründung von Soldatenkomitees und -gewerkschaften anerkennen und Arbeiterinspektionen und -kontrollen der Kasernen unterstützen, die allgemeine Wehrpflicht abschaffen und das Recht der Arbeiter auf Bildung von Selbstverteidigungsorganisationen befürworten. Wir müssen den progressiven Wunsch der Arbeiter nach Frieden verwenden, um für solche Forderungen innerhalb der Arbeiterbewegung zu kämpfen, zugleich aber beharrlich vor der bankrotten Strategie des Pazifismus warnen. Der einzige Weg, die schreckliche Barbarei eines Atomkriegs zu verhindern, ist die internationale sozialistische Revolution.

Bürgerliche Demokratie und demokratischen Forderungen

Solange die soziale und politische Stabilität aufrechterhalten werden kann, ist die bürgerliche Demokratie die bevorzugte Herrschaftsform in den imperialistischen Ländern. Sie ist die spezifische Herrschaftsform, welche die Bourgeoisie in ihrer revolutionären Epoche als Mittel zur Gewinnung der Massen im Kampf gegen den Feudalismus, und um sich selbst politisch gegen die feudalen Stände zu konsolidieren, entwickelte. Mit dem Parlament wird eine demokratische Fassade errichtet, um die tatsächliche Diktatur der Bourgeoisie zu verbergen. Mittels der parlamentarischen Demokratie wirft die Bourgeoisie der Arbeiterklasse kleine Brocken hin, gewährt ihr das Recht, von Zeit zu Zeit zu wählen, und gliedert ihre Führung in die Verwaltung des bürgerlichen Staates ein. Durch die Medien und die Presse haben die Kapitalisten eine mächtige Propagandamaschinerie zur Verfügung, die imstande ist, für ganze Perioden die Massen zu täuschen und sie an die Illusion zu binden, daß unter diesem System das Volk herrsche.

Aber hinter der Fassade liegt die Realität der kapitalistischen Staatsmacht – die Exekutive: die ungewählte (oder, wenn sie gewählt ist, die nicht rechenschaftspflichtige) Richterschaft und Bürokratie, die Polizei und die Streitkräfte. Sobald die Kapitalisten meinen, daß ihr Eigentum oder ihre Herrschaft durch die Arbeiterklasse streitig gemacht wird, wird die volle Wucht des Repressionsapparats ins Spiel gebracht. Die Reformisten in der parlamentarischen Quatschbude sehen ohnmächtig zu, wenn Polizei und Armee Streikpostenketten durchbrechen und die Richter Gewerkschafter inhaftieren. Selbst wenn eine reformistische Mehrheit im Parlament versucht, die schwächlichsten Reformen im Interesse der Arbeiter und Arbeiterinnen durchzusetzen, wird sie von der Staatsbürokratie sabotiert, verwenden die Wirtschaftsmagnaten ihre finanzielle Kontrolle, um die Reformisten zu bescheidenem Gehorsam zu zwingen, und warten die Sicherheitsdienste und Streitkräfte jederzeit hinter den Kulissen, bereit einzugreifen, sollten die Dinge außer Kontrolle der Herrschenden geraten. Und in jeder bürgerlichen Demokratie werden in der Gestalt von Monarchen oder Präsidenten die potentiellen Instrumente einer bonapartistischen Herrschaft bewahrt.

Im imperialistischen Südafrika existiert die parlamentarische Herrschaftsform nur für die weiße Minderheit. Der Masse der Bevölkerung, den Schwarzen, werden die meisten elementaren demokratischen Rechte verweigert, und sie werden von einer unbarmherzigen Diktatur beherrscht. Unter Umständen wie diesen kann der Kampf der Arbeiterklasse für demokratische Rechte, selbst wenn diese an die bürgerliche Demokratie angeschlossen sind, als Sprengsatz für den revolutionären Kampf dienen. Aber während eine solche Revolution als demokratische beginnen kann, erfordert ihr Sieg ihre Umwandlung in eine sozialistische Revolution.

Die strategische Aufgabe der revolutionären Avantgarde besteht in der Zerstörung aller Formen bürgerlicher Herrschaft, einschließlich ihrer demokratischen Form. Zu diesem Zweck bemühen wir uns, die parlamentarische Attrappe vor der Arbeiterklasse zu entlarven und Organisationen proletarischer Demokratie zu schaffen. Allerdings wurden die gesetzlichen Rechte, welche die Arbeiterklasse in der bürgerlichen Demokratie erreichen konnte, den Herrschenden in Kämpfen abgerungen und stellen Errungenschaften dar, die gegenüber Angriffen von seiten der Kapitalistenklasse verteidigt werden müssen. Die wiederkehrenden Krisen der gegenwärtigen Periode zwingen die Kapitalisten, die von den Arbeitern erreichten demokratischen Rechte in Frage zu stellen. In der imperialistischen Epoche besteht immer eine Tendenz zur Negation der bürgerlichen Demokratie und ihrer Ersetzung durch bonapartistische, offen diktatorische Herrschaftsformen.

Diese Tendenz wird in allen imperialistischen Kernländern heftiger. Gewerkschaftsfeindliche Gesetze, die Beschneidung der Redefreiheit, die Fähigkeit, Gesetze mittels einer völligen Umgehung des Parlaments einzuführen, die Stärkung des Repressionsapparates; all dies stellt eine embryonale Form des Bonapartismus dar. In allen solchen Fällen kämpfen Revolutionäre für die Verteidigung der von der Arbeiterbewegung erreichten grundlegenden Rechte in der bürgerlichen Demokratie: das Streikrecht, die Redefreiheit, Zugang zu den Medien, das Recht auf Versammlung und Bildung von Vereinigungen. Mehr noch, wir verteidigen die parlamentarische Demokratie, wenn sie vom Bonapartismus bedroht wird und wo wir sie noch nicht durch proletarische Demokratie ersetzen können. Wir machen das nicht als Selbstzweck, sondern als ein Mittel, die gesetzlichen Rechte der Arbeiterklasse auf Organisierung zu bewahren und ihren Kampf gegen die Ausbeuter fortzusetzen.

Wir bekämpfen die „Mini-Apartheid“-artigen Beschränkungen der demokratischen Rechte, die überall in der Welt den immigrierten Arbeiter und Arbeiterinnen auferlegt werden. Diese Beschränkungen sind Mittel, um die Überausbeutung dieser Immigranten und die Spaltung der Arbeiterklasse eines Landes entlang rassischer oder nationaler Linien zu erleichtern. Indem wir uns auf die Prinzipien des revolutionären Internationalismus stellen, kämpfen wir für das Recht auf völlige Bewegungsfreiheit der Arbeiterschaft – gegen alle von den imperialistischen Ländern auferlegten Einwanderungs- und Auswanderungskontrollen, für das Recht aller Arbeiter und Arbeiterinnen auf volle demokratische Rechte, einschließlich des Wahlrechtes in dem Land, in dem sie leben und arbeiten. In den Halbkolonien sind wir gegen alle Einwanderungskontrollen und kämpfen für diese demokratischen Rechte, außer im Falle kolonialer Ansiedelungen. Wir sind gegen jegliche Nationalitätengesetzgebung, welche als Mittel zur Verfolgung und Unterdrückung der immigrierten Arbeiter und Arbeiterinnen dient.

Im Kampf um die Erreichung oder Verteidigung demokratischer Rechte wendet das Proletariat die Methoden des Klassenkampfes an. Das Streikrecht zum Beispiel wird in jenem Ausmaß erreicht und verteidigt, als die Arbeiterklasse bereit ist, die Waffe des Streiks im Kampf zu verwenden. Der Widerstand gegen die Einschränkung unserer Rechte, die Weigerung, sich vor dem kapitalistischen Klassengesetz zu beugen, die Bereitschaft zur Verwendung aller proletarischen Kampforganisationen und Kampfmethoden auf politischem Gebiet, das den Kampf für Wahlrecht einschließt; dies sind die nötigen Methoden, welche sicherstellen, daß die Arbeiterklasse aus dem Kampf für demokratische Rechte profitiert. Wie in allen Kämpfen wird die Opferung der unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse im Interesse einer Einheit mit „progressiven“ oder „demokratischen“ bürgerlichen Kräften fatal für das Proletariat und seinen Kampf für die sozialistische Revolution sein.

Unter Bedingungen einer tiefen sozialen Krise kann sich die Bourgeoisie, um ihre Herrschaft über die Arbeiterklasse zu erhalten, einer faschistischen Bewegung zuwenden. Faschismus, eine reaktionäre Massenbewegung, welche sich hauptsächlich aus den Reihen des durch die Krisen des Kapitalismus zur Verzweiflung gebrachten Kleinbürgertums und Lumpenproletariats rekrutiert, hat die Zerstörung der unabhängigen Arbeiterbewegung und die Errichtung der durch keinerlei Elemente bürgerlicher Demokratie gehemmten Herrschaft des Finanzkapitals zum Ziel. Er ist der letzte Ausweg für die Bourgeoisie, nachdem sie in die Abschaffung ihrer eigenen parlamentarischen Vertretungen verwickelt wurde. Trotzdem, wie Nazi-Deutschland und Mussolini-Italien zeigen, ist er eine Maßnahme, die ergriffen wird, wenn die Situation es erfordert.

In den halbkolonialen Ländern kann sich der Faschismus als eine Bewegung entwickeln, die aus kommunalen Konflikten oder reaktionären klerikalen Bewegungen entsteht. Die Phraseologie solcher Bewegungen kann zeitweise antiimperialistisch sein. Aber dies sollte uns gegenüber dem antikommunistischen und arbeiterfeindlichen Charakter solcher Bewegungen nicht täuschen. Diese Rhetorik ist von derselben Beschaffenheit wie der demagogische Antikapitalismus der Nazis. Durch den Triumph eines Kommunalismus oder klerikalen Faschismus in den Halbkolonien wird die Herrschaft des Imperialismus aufrechterhalten oder sogar gestärkt werden.

Vom Augenblick des Entstehens dieses Faschismus an muß die Arbeiterklasse einen unbarmherzigen Kampf führen, um ihn zu zerschlagen. Auch wenn er seine allgemeineren Ziele verbirgt und sich darauf konzentriert, die giftigen Dämpfe des Rassenhasses zu verbreiten, muß zu seiner Bekämpfung die Arbeitereinheitsfront organisiert werden. Den Faschisten können keine demokratischen Rechte (wie z.B. Rede-, Presse- und Organisationsfreiheit) zugestanden werden. Indessen stellen wir nicht die Forderung auf, sie durch den bürgerlichen Staat verbieten zu lassen. Da die Bourgeoisie die eigentliche Stütze der Faschisten ist, kann ihr diese Aufgabe nicht anvertraut werden. Der Staat würde in Wirklichkeit die Verbote zur Entwaffnung und Behinderung des antifaschistischen Widerstandes verwenden. Die revolutionäre Avantgarde mobilisiert die Arbeiterklasse um die Slogans: Keine Plattform für Faschisten, werft die Faschisten aus den Arbeiterorganisationen hinaus. Wir setzen uns für eine physische Bekämpfung aller ihrer Mobilisierungen ein und organisieren Arbeiterverteidigungseinheiten, um faschistische Angriffe auf rassisch Unterdrückte und die Arbeiterbewegung zurückzuschlagen.

Der Kampf zur Verteidigung der demokratischen Rechte der Arbeiter und gegen den Faschismus bildet in keiner Weise eine vom gesamten Übergangsprogramm abgesonderte und getrennte Reihe von Aufgaben. Der Kampf gegen Bonapartismus und Faschismus kann schließlich nur gewonnen werden durch die Verwirklichung des Programms von Übergangsforderungen in ihrer Gesamtheit.

Wahltaktik

Die Arbeiterklasse kann die Macht nicht durch Parlamente und Wahlen erreichen. Es ist die Pflicht der Revolutionäre, den parlamentarischen Kretinismus erbarmungslos zu entlarven ohne dem wahlfeindlichen Kretinismus der Anarchisten nachzugeben. Revolutionäre benützen Parlamente als Tribünen, um die Massen anzusprechen. Diese bieten die Gelegenheit, wesentliche Punkte des kommunistischen Aktionsprogramms in Form allgemeiner Propaganda zu präsentieren.

Die beste Methode, diese Propagandamöglichkeit zu nutzen, ist es, Kandidaten der revolutionären Partei auf Basis ihres Programms aufzustellen. Wenn eine revolutionäre Kandidatur unmöglich ist, ist es zulässig, einer reformistischen oder zentristischen Partei, die organisch mit einem großen Teil der proletarischen Avantgarde oder der Volksmassen im allgemeinen verbunden ist, kritische Wahlunterstützung zu gewähren. Das Ziel der Wahl ist es, diesen Schichten zu sagen: Wir werden für eure Partei stimmen, trotz unseres völligen Fehlens an Vertrauen in ihre Führer und in ihr Programm, um euch zu helfen, ihre Handlungen, in und außerhalb der Regierung, zu testen. Wir fordern euch auf dafür zu kämpfen, daß eure Führer Maßnahmen setzen, die eindeutig im Interesse der Arbeiter sind, und daß sie mit der Bourgeoisie brechen. Diese Taktik erfordert es von Revolutionären und Revolutionärinnen, vollständige Kritik an Reformismus und Zentrismus, am Parlamentarismus, aber auch an der verräterischen Vergangenheit der jeweiligen Partei zu üben.

Wo nur klassenfremde Parteien oder hoffnungslos unbedeutende, reformistische oder zentristische Sekten bei den Wahlen antreten, sind wir verpflichtet, klassenbewußte Arbeiter dazu aufzurufen, „weiß“ zu wählen. Dies darf nicht mit einem Wahlboykott verwechselt werden, der als Taktik nur zulässig ist, wenn der revolutionäre Kampf der Arbeitermassen die Frage des Umsturzes des Parlaments als unmittelbare Perspektive stellt.

Die Arbeiter- und Bauernregierung und die Diktatur des Proletariats

Das strategische Ziel des Kampfes des Proletariats ist der Übergang zum Kommunismus. Um diesen Übergang zu verwirklichen, muß das Proletariat seine eigene Diktatur errichten. Wenn das Proletariat einmal die Staatsmacht errungen hat, kann es, wie es Anarchisten anstreben, nicht sofort auf diese verzichten. Auf nationaler und internationaler Ebene wird sich die Bourgeoisie verschwören und versuchen, die Konterrevolution zu organisieren. Die Arbeiterklasse ist verpflichtet, ihren Willen der ganzen Gesellschaft aufzuzwingen, um die Revolution zu verteidigen und den Widerstand der Bourgeoisie zu brechen. Sie übt ihre Klassendiktatur auf Basis ihrer eigenen – eindeutig proletarischen – Demokratie (Arbeiterräte, Fabrikkomitees, Arbeitermilizen) offen aus. Sie zentralisiert diese Demokratie in einer nationalen Regierung, einer revolutionären Arbeiter- oder Arbeiter- und Bauernregierung. Die einzige konsequent revolutionäre Arbeiter- oder Arbeiter- und Bauernregierung ist die, welche die Diktatur des Proletariats ausübt.

Dennoch treten in der Übergangsperiode Krisen auf, welche die Machtfrage für das Proletariat stellen, bevor seine Mehrheit für die revolutionäre Partei gewonnen wurde. In diesen Situationen erwartet die Arbeiterklasse selbstverständlich von ihrer aktuellen Führung, falls diese an der Regierung ist, die Erlassung eines Programms in ihrem Interesse.

Unter solchen Umständen benutzten die Bolschewiki – und entwickelte die Komintern – die Losung der Arbeiter- sowie Arbeiter- und Bauernregierung. Das wesentliche an der Taktik der Bolschewiki in Bezug auf die provisorische Regierung war es, von den kleinbürgerlichen Führern der Arbeiter (Menschewiki) und der Bauern (Sozialrevolutionäre) zu verlangen, mit der Bourgeoisie zu brechen und in den Kampf für eine wirkliche Arbeiter- und Bauernregierung einzutreten.

Revolutionäre und Revolutionärinnen verlangen nicht nur einen formalen Bruch mit den bürgerlichen Parteien, die an der Regierung sind, sondern auch, daß die Führer der Arbeiter und Arbeiterinnen sofortige Maßnahmen zur Lösung der Krise auf Kosten der Bourgeoisie durchführen. Dies muß die sofortige Enteignung von imperialistischem Besitz und der großen Kapitalisten unter Arbeiterkontrolle einschließen, ebenso wie die Beschlagnahmung des Großgrundbesitzes, die sofortige Bewaffnung der Arbeiterorganisationen und die Entwaffnung der bürgerlichen Konterrevolution. Es muß der gesamte staatliche Repressionsapparat, der gegen Arbeiter- und Bauernorganisationen eingesetzt wird, aufgelöst und die Autorität aller Organisationen der Arbeiter- und Bauerndemokratie anerkannt werden. Auf dem Weg zu solch einer Regierung bietet die Arbeiterklasse allen ihre revolutionäre Hilfe gegen Angriffe der Imperialisten und der Bourgeoisie unter Beibehaltung ihrer Unabhängigkeit an, ohne jedoch politische Verantwortung für solch eine Regierung zu übernehmen, deren Mehrheit nicht aus Revolutionären besteht.

Die Erfahrung von 1917 hat gezeigt, daß die Weigerung der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre, einem solchen Weg zu folgen, keine Ausnahme war. Alle späteren Erfahrungen bestätigen dies. Die heutigen Führer der Arbeiter und der Bauern tun ihr möglichstes, um – entweder durch Volksfronten oder durch bürgerliche Arbeiterregierungen – den Kapitalismus vor dem Untergang zu retten. Die Ereignisse in Frankreich und Spanien in den dreißiger, in Bolivien in den fünfziger und achtziger Jahren und heute in Nicaragua bezeugen diese Tatsache.

Die heutigen Zentristen haben sich den Stalinisten in deren opportunistischer Entstellung der Losung der Arbeiter- und Bauernregierung angeschlossen. Während die Stalinisten Lenins aufgegebene Formel von der „demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ in den zwanziger Jahren wiederbelebten, indem sie diese zu einer notwendigen bürgerlichen Stufe der Revolution erklärten, tat das heutige Vereinigte Sekretariat der Vierten Internationale (VS) dasselbe mit Trotzkis Formel der „Arbeiter- und Bauernregierung“. In Algerien und Nicargua wurden kleinbürgerlich-nationalistische Regierungen, die nicht einen Schritt zum Bruch mit der Bourgeoisie getan hatten, zu „revolutionären Arbeiter- und Bauernregierungen“ erklärt, die der politischen Unterstützung wert seien.

Verschiedenartige Strömungen des zentristischen „Trotzkismus“ (z.B. die Lambertisten in Frankreich und Portugal in den siebziger und achtziger Jahren) bezeichnen Regierungen, die von Arbeiterparteien (Sozialdemokraten und Stalinisten) gebildet werden, als „Arbeiterregierungen“. Das ist ein betrügerischer und opportunistischer Gebrauch dieser Losung. Nur wenn eine Regierung von Arbeiterparteien durch die Massen in einen wirklichen Kampf gegen die bürgerliche Ordnung getrieben wird und gezwungen ist, sich auf die Massenorganisationen auf eine Art und Weise zu stützen, sodaß dies deren Bewaffnung beinhaltet, kann sie als revolutionäre Arbeiterregierung gesehen werden.

Trotz der opportunistischen Verzerrung der Arbeiter- und Bauern- Regierungslosung bleibt sie eine entscheidende Waffe bei der Erziehung und die Vorbereitung der Massen für bzw. auf die Macht. Wir benutzen sie, um Forderungen an die Führung der Arbeiterklasse zu stellen und um den Anhängern dieser Führung zu zeigen, daß diese es ablehnt, mit der Kapitalistenklasse zu brechen. Diese Losung beinhaltet die Möglichkeit, die reformistischen und kleinbürgerlich-nationalistischen Parteien zu spalten, die Basis und die besten Führer für einen wirklichen Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus zu gewinnen.

Diese Losung ist notwendigerweise abstrakt, da jede Krisensituation von der anderen verschieden ist und unterschiedliche Führungen an die Macht bringt. Das heißt, daß die tatsächliche Zusammensetzung solch einer Regierung nicht vor dem konkreten Kampf fixiert werden kann. Wenn eine Arbeiterregierung entsteht, die nicht die direkte Diktatur des Proletariats darstellt, wäre sie lediglich eine Regierung des Bürgerkrieges gegen die Kapitalistenklasse. In Konfrontation mit der Bourgeoisie muß sie entweder zurücktreten oder sich als zeitlich begrenzte Brücke zu dieser Diktatur erweisen. Auf keinen Fall ist die Arbeiterregierung, in Einheitsfrontform, eine historisch notwendige Stufe, die vor der Errichtung der Diktatur des Proletariats durchlaufen werden muß.

Trotzki postulierte im Übergangsprogramm die theoretische Möglichkeit, daß in einer außergewöhnlichen revolutionären Krise die traditionellen Führungen dazu gezwungen werden, weiter zu gehen, als sie eigentlich wollten, das heißt, mit der Bourgeoisie zu brechen und eine Arbeiterregierung zu etablieren. In der Geschichte hat sich diese Möglichkeit mehrere Male praktisch bewiesen, allerdings immer mit konterrevolutionärem Ergebnis.

Die Stalinisten stürzten unter außergewöhnlichen Umständen in Osteuropa, China, Indochina und Cuba den Kapitalismus. Die Werkzeuge dieser sozialen Umstürze waren bürokratische Arbeiterregierungen. Diese hatten nichts gemeinsam mit einer revolutionären Arbeiterregierung, welche den Weg zum Kampf für den Sozialismus öffnet. Obwohl die bürokratischen Arbeiterregierungen den Kapitalismus beseitigten, geschah dies in konterrevolutionärer Form. Bevor die Bourgeoisie enteignet wurde, erstickten die Stalinisten alle unabhängigen Organe der Arbeiterdemokratie, um die Etablierung ihrer eigenen bürokratischen Kastenherrschaft zu sichern.

Die Pflicht des Proletariats unter solchen Umständen ist es, nicht die Enteignung der Kapitalisten aufzuhalten, sondern die bürokratische Form der Durchführung zu bekämpfen. Indem der Kampf für proletarische Demokratie in den Vordergrund gestellt und die Forderung an die Stalinisten gerichtet wird, das Regime der Arbeiterkontrolle in den Fabriken anzuerkennen, und indem weiters die Bewaffnung der Massen und die Auflösung der stalinistisch kontrollierten Sicherheitskräfte gefordert wird, können die Massen dazu organisiert werden, den Prozeß der Enteignung fortzusetzen und gleichzeitig das geplante konterrevolutionäre Resultat zunichtezumachen: nämlich die Entstehung eines degenerierten Arbeiterstaates, der den Weg zum Sozialismus versperrt.

Arbeiterräte und der Kampf für die Macht der Arbeiterklasse

Die krönende Losung des Übergangsprogramms ist die Forderung nach Sowjets – oder auf Deutsch nach Arbeiterräten. Ist das Fabrikkomitee das Organ der Doppelmacht in der Fabrik, so ist der Arbeiterrat, koordiniert auf nationaler Ebene, das Organ der Doppelmacht in der ganzen Gesellschaft. Solche wirklichen Arbeiterräte entstehen auf lokaler und nationaler Ebene, wenn die Gesellschaft in eine revolutionäre Krise eintritt, wenn die Massen über die Grenzen ihrer traditionellen Organisationen hinauswachsen und revolutionäre Organisations- und Kampfformen anwenden. Eine revolutionäre Krise entsteht, wenn die Gesellschaft eine Sackgasse erreicht: Die Bourgeoisie ist gespalten und von Regierungskrisen heimgesucht, die Massen sind nicht mehr bereit das alte Regime zu tolerieren, und demonstrieren wiederholt ihren Willen und die Bereitschaft, alles zu opfern, um den Kapitalismus zu besiegen.

In der Geschichte des Kapitalismus hat es eine Reihe von revolutionären Perioden gegeben, bestehend aus einer ausgedehnten Kette von ökonomischen und politischen Krisen, die nur durch die grundlegende Niederlage einer der konkurrierenden Klassen gelöst hatten werden können. Danach erlaubten radikal neue ökonomische und politische Kräfteverhältnisse eine Stabilisierung und die weitere Entwicklung des Kapitalismus. Perioden revolutionärer Krisen erfassen ein Land, einen Kontinent oder die ganze Welt. Sie sind verschieden in Länge und Tiefe, wobei die tiefgreifendsten mit Kriegen, erfolgreichen Revolutionen oder Konterrevolutionen verbunden sind.

Eine revolutionäre Situation kann aus mehreren kürzeren Phasen oder Situationen bestehen. Eine vorrevolutionäre Situation besteht, wenn eine tiefgehende ökonomische Krise massive Inflation (oder Deflation), Arbeitslosigkeit und Bankrotte nach sich zieht. Durch diese Katastrophen zeigt sich der todkranke Charakter des kapitalistischen Systems für Millionen. Eine vorrevolutionäre Situation kann auch durch eine militärische Niederlage, wie in Rußland 1905, entstehen. Solche Krisensituationen tendieren dazu, politische Krisen zu produzieren, die die Bourgeoisie dazu zwingen, entweder zu autoritäreren Regierungsmethoden Zuflucht zu nehmen oder die Führer der Arbeiter darin einzubinden, die Krise auf Kosten der Arbeiterklasse zu lösen. Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse darüber, welcher Kurs einzuschlagen sei, geben dem Proletariat einen zusätzlichen Impuls, im allgemeinen und in den politischen Formen des Kampfes immer militanter zu werden. Eine revolutionäre Situation ist die Folge.

In einer vorrevolutionären Situation ist es die zentrale Aufgabe der revolutionären Partei, die allgemeinsten Losungen des politischen Klassenkampfes (Generalstreik, Arbeiterselbstverteidigung, der Aufbau von embryonalen Arbeiterräten, wie z.B. Aktions-, Streik- oder Einheitsfrontkomitees) aufzustellen. In einer revolutionären Situation ist es zentral, all diese Organe in voll ausgeformte Arbeiterräte umzuwandeln: Der direkte Kampf um die Macht kann nicht mehr länger verschoben werden. Wenn die Arbeiterklasse darin versagt, eine erfolgreiche Revolution durchzuführen, wird die Konterrevolution entweder in Form einer Diktatur (faschistisch oder bonapartistisch) über die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten oder in der mehr beschränkten Form der „demokratischen Konterrevolution“ triumphieren. Letztere beläßt eine bürgerlich-demokratische Verfassung mehr oder weniger in Kraft und überläßt die revolutionäre Avantgarde dem Terror von Militär, Polizei und Justiz.

Diese Konterrevolutionen beenden eindeutig die revolutionäre Periode. Was folgt, kann sich als langandauernde Periode der Konterrevolution herausstellen, wie sie etwa den Niederlagen der Arbeiter in Deutschland 1933 oder der chilenischen Arbeiter 1973 folgte. Auf der anderen Seite kann eine nichtrevolutionäre Periode auftreten, eine Periode sozialer Stabilisierung, wenn eine tiefgreifende Erholung von der ökonomischen und politischen Krise auftritt. Trotzdem: Wo fundamentale Widersprüche, die die Revolution haben aufbrechen lassen, fortdauern und wo die Arbeiterklasse nicht eine Niederlage von historischem Ausmaß erlitten hat, kann eine zwischenrevolutionäre Periode auftreten, bevor der Kampf zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie erneut losbricht. Das Erkennen dieser Änderungen von Perioden kann entscheidend sein für das Wachstum oder gar das Überleben einer revolutionären Partei. Es ist lebenswichtig, die geeigneten legalen oder illegalen Taktiken und Methoden der Organisation zu ergreifen und zum richtigen Zeitpunkt in die Defensive oder in die Offensive zu gehen.

Rußland im Februar 1917, Deutschland 1918, Spanien in den dreißiger Jahren und viele andere Beispiele zeigen deutlich auf, daß, falls das Proletariat es schafft, seine eigenen bewaffneten Kräfte aufzubauen, ohne gleichzeitig die bewaffneten Kräfte der Bourgeoisie total zu zerstören, es zu einer Situation der Doppelmacht kommt, in welcher sich zwei Regime verschiedener Klassen gegenüberstehen. Diese Situation der Doppelmacht ist in ihrem Wesen instabil. Sie kann nur – egal für welchen Zeitraum – existieren, wenn die bewaffneten Kräfte der Arbeiter stark sind und die Bourgeoise die Kontrolle über wesentliche Sektoren ihrer bewaffneten Kräfte verloren und Angst vor der endgültigen Konfrontation hat.

Ansonsten kann Doppelmacht nur für längere Zeit andauern, wenn die reformistische oder zentristische Führung des Proletariats zaudert und schwankt, wenn sie mit der Aufgabe der Führung des Kampfes, der auf die endgültige Entscheidung hinsteuert, konfrontiert ist. Solche Kräfte innerhalb der Arbeiterbewegung versuchen, entweder die Doppelmacht im Sinne eines „legitimen“ (bürgerlichen) Staates zu lösen oder einen Staat mit dauerhaftem Doppelmachtcharakter zu begründen. Dieses Konzept, welches dahin strebt, einen „Zwitterstaat“ mit Parlament parallel zu Arbeiterräten zu etablieren, ist immer zum Scheitern verurteilt (Deutschland 1918-23), da es das Unvereinbare zu vereinigen versucht. Die Versuche von linken Reformisten oder Zentristen, Arbeiterräte mit parlamentarischer Demokratie zu „kombinieren“, laufen einfach darauf hinaus, den revolutionären Kampf der Massen zu demobilisieren.

Wenn eine Situation der Doppelmacht auch ein enormer Schritt vorwärts ist, verglichen mit der unbestrittenen Ordnung der Bourgeoisie, so ist sie dennoch weder eine unvermeidliche Phase noch ein strategisches Ziel für sich selbst. Unser Ziel ist die vollständige Vernichtung des bürgerlichen Staates, und wir streben danach, die Doppelmacht durch die Diktatur des Proletariats als Ergebnis einer bewaffneten Erhebung zu ersetzen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die revolutionäre Partei die Führung in den Arbeiterräten erringt. Nur dann kann die Losung „Alle Macht den Arbeiterräten!“ tatsächlich verwirklicht und die Konterrevolution besiegt werden.

Embryonale Arbeiterräte können sich aus verschiedenen Organisationsformen entwickeln – aus revolutionierten Gewerkschaften, aus Fabrikkomitees oder aus Aktionskomitees, die um Teilkämpfe herum aufgebaut wurden. Obwohl wir der Frage der Form keine übergroße Bedeutung zumessen, bestehen wir darauf, daß es keinen Ersatz für jene Kampforgane gibt, die das Wesen der Arbeiterräte zum Ausdruck bringen. Wir trachten danach, die verschiedenen embryonalen Formen von Arbeiterräten so weiterzuentwickeln und anzuleiten, daß sie zu tatsächlichen Arbeiterräten werden. Fabrikkomitees und -gewerkschaften, egal wie radikal sie sind, können aus sich selbst heraus nicht als Arbeiterräte dienen. Die Gründe dafür sind im Charakter der Arbeiterräte selbst angelegt.

Arbeiterräte sind nicht fabrik- oder industriespezifisch. Tatsächlich sind sie zentrale Mittel, um Teile der Gesellschaft, wie etwa die arme Landbevölkerung und die einfachen Soldaten, für die Sache des Proletariats zu organisieren und zu gewinnen. Alle, die sich im Kampf befinden, sind in diesen Räten vertreten. Sie setzen sich aus Delegierten der Fabriken, der Gewerkschaften, von allen Arbeitsplätzen, Arbeiterbezirken, von Bauernkomitees und den Arbeiterparteien zusammen. Sie durchbrechen sektorale Barrieren und ersetzen diese durch eine klassenweite kämpferische Einheit. Sie haben territorialen Charakter, durch welchen alle Ausgebeuteten und Unterdrückten in einer Stadt oder einer Region einbezogen werden. Durch regelmäßige Wahlen und die jederzeitige Abberufbarkeit wird die demokratischste Form repräsentativer Organisation der Arbeiter, die die Geschichte je gesehen hat, erzeugt. Frei von vorher bestehenden bürokratischen Apparaten, sind sie unmittelbar empfänglich für die Änderungen in der Stimmung, die politischen Ansichten und die Militanz der Massen. Arbeiterräte sind das sicherste Entscheidungsmittel über den tatsächlichen, momentanen Willen des kämpfenden Proletariats.

Aufgrund dieser Eigenschaften eignen sich Arbeiterräte außergewöhnlich gut für den revolutionären Kampf. In Perioden sozialen Friedens aber kann ein Arbeiterrat keine dauerhafte Organisation sein. Er lebt und atmet durch den täglichen Kampf mit der Bourgeoisie, beobachtet jede ihrer Bewegungen, organisiert Widerstand gegen jede ihrer Attacken, kämpft für die Interessen der Massen, die er vertritt, und hebt das kämpferische Selbstvertrauen der Massen mit jedem Sieg. Keine andere Organisationsform ist im Durchführen der notwendigen taktischen Manöver im revolutionären Kampf mit der Bourgeoisie so flexibel wie der Arbeiterrat.

Zuletzt, aber keinesfalls am unwichtigsten, sind Arbeiterräte die Basis für die Verwaltung des zukünftigen Arbeiterstaates. Sie sind Organe der Macht der Arbeiterklasse. Ebenso wird die Arbeitermiliz vom Werkzeug des Aufstandes in die Bastion zur Verteidigung des Arbeiterstaates gegen die Konterrevolution verwandelt. Jede revolutionäre Situation hat bewiesen, daß die Arbeiterklasse nicht einfach die existierende Staatsmaschinerie beibehalten und dazu benützen kann, um den Sozialismus aufzubauen. Neue proletarische Organisationen müssen den Platz des kapitalistischen Staates einnehmen. Die Arbeiterräte, welche in Situationen der Doppelmacht dazu gezwungen sind, die Kontrolle über Produktion, öffentliches Leben und Verteilung auszuüben, sind ideal dafür geeignet, die Leitung des Arbeiterstaates zu übernehmen. Sie sind beides: revolutionäre Werkzeuge im Kampf um die Macht und revolutionäre Organe der Machtausübung. Bis jetzt hat niemand eine Form der Organisation gefunden, die sich besser für diese Zwecke eignen würde. Versuche, Ersatz für Arbeiterräte zu finden, führten ausnahmslos zu opportunistischen Fehlern.

Der Aufstand

Die Aufgabe der revolutionären Partei in den Arbeiterräten ist es, alle Kämpfe auf das Ziel der Zerschlagung des kapitalistischen Staates hin zu vereinigen. Der Generalstreik und der bewaffnete Aufstand sind Schlüsselwaffen, um dieses Ziel zu erreichen. Aufstände haben sich auch ohne Generalstreik als erfolgreich erwiesen (wie in Petrograd, Oktober 1917), aber der Generalstreik ist unter vielen Umständen eine revolutionäre Schlüsselmethode des Kampfes, da er die gesamte Maschinerie des kapitalistischen Feindes und seines Staates lähmt. Er stellt die Frage: Wer regiert die Gesellschaft, die Kapitalisten, die die Produktionsmittel besitzen, oder die Arbeiter, die sie am Laufen erhalten? Er setzt den Kampf um die Macht auf die Tagesordnung. Aber aus sich selbst heraus kann eine massenhafte Arbeitsniederlegung die Frage, wer regiert, nicht beantworten. Daher muß ein Generalstreik den Weg zum bewaffneten Aufstand vorbereiten.

Die Geschichte hat gezeigt, daß das Proletariat der Bourgeoisie die Staatsmacht nur durch gewaltsame Mittel entreißen kann. Natürlich wird das notwendige Ausmaß an Gewalt, abhängig von der Verteilung der Kräfte am Vorabend des Aufstandes, verschieden sein. Es wird teilweise davon abhängen, in welchem Ausmaß die bewaffneten Kräfte für die Sache des Proletariats gewonnen werden konnten. Wie auch immer: Die Arbeiterklasse muß damit rechnen, dem maximalen Widerstand der Kapitalisten zu begegnen, und sie muß deshalb auch ihre eigenen Kräfte zu maximieren versuchen, um dem Widerstand entgegenwirken und ihn zerstören zu können. Ohne revolutionäre Situation, in welcher die Massen vollständig hinter der revolutionären Partei stehen, wird ein Aufstand, der von einer revolutionären Minderheit geführt wird, ein abenteuerlicher Putsch sein und zu Rückschlägen für den revolutionären Kampf führen. Wenn das neue Regime, das durch den Aufstand geschaffen wird, stabil und dauerhaft sein soll, muß die Partei bereits die Mehrheit der organisierten Arbeiter und Arbeiterinnen der großen Städte und der Ortschaften gewonnen haben.

Aufstände hat es, historisch gesehen, in zwei Formen gegeben. Die eine ist die „Februarrevolution“ (Frankreich 1848, Rußland 1917), in der spontane Massenerhebungen gegen ein diktatorisches Regime stattfinden und wo keine dominante bewußt-revolutionäre Partei die Massen führt. Hier kann das Resultat ein demokratisch-bürgerliches Regime sein, eine Situation der Doppelmacht oder, in seltenen und nur ausnahmsweisen Umständen, ein Triumph der Arbeiter und Arbeiterinnen, wie etwa die Pariser Kommune, unter einer Führung, die entweder nicht die Führung behalten will oder nicht weiß, wie sie diese festigen beziehungsweise ausweiten kann. Der Standpunkt der revolutionären Minderheit zu solch einer spontanen Erhebung ist es, voll daran teilzunehmen, danach zu streben, ihr eine bewußte Führung zu geben, im speziellen durch den Kampf für Arbeiterräte und eine revolutionäre Arbeiter- und Bauernregierung, die auf letzteren aufbaut.

Die andere Form des Aufstandes ist die bewußte, geplante, gewaltsame Übertragung der Staatsmacht an das Proletariat nach dem Modell der Oktoberrevolution in Rußland. Das Durchführen des Aufstandes ist eine technische Aufgabe, welche heimliche Planung erfordert. Die Arbeiterräte müssen für das Ziel des Aufstandes gewonnen werden, und die Arbeitermiliz und diejenigen Regimenter, die auf der Seite der Arbeiterklasse stehen, sind die Mittel zur Durchführung der Erhebung. Nur die revolutionäre Partei alleine kann den allgemeinen Führungsstab zur Leitung der Erhebung zur Verfügung stellen. Obwohl sich die Partei die Hilfe von Offizieren, die aus den einfacheren Mannschaftsgraden kommen, zunutze machen kann, muß deren Kommando immer auf die militärische Handlungen beschränkt bleiben, kontrolliert durch gewählte Kompanie- und Regimentskomitees. Die Inbesitznahme der Schlüsseleinrichtungen, die Organisation der Verteidigung des neuen Regimes, die Verteilung von Waffen und die Zuteilung von proletarischen Aufständischen kann nicht der Spontaneität der Massen oder „aufgeklärten Offizieren“ überlassen werden. Die Partei ist entscheidend für die Koordination dieser Tätigkeiten. Aber am Tag nach einem erfolgreichen Aufstand wird die Belohnung für diese Vorbereitung klar sein: die Zerschlagung des kapitalistischen Staates und die Etablierung der Diktatur des Proletariats auf Basis der Macht der Arbeiterräte.




Strategie und Taktik in den halbkolonialen Ländern

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 4, Sommer 1989

Seit 1945 hat der Kapitalismus seine Aufgabe, die Reste früherer Produktionsweisen zu zerstören oder völlig zu unterwerfen, erfüllt. Aber obwohl er jeden Winkel der früheren Kolonialsphäre durchdrungen hat, haben sich in der Regel keine stabilen nationalen Bourgeoisien entwickelt. Obschon der Imperialismus eine halbkoloniale Bourgeoisie innerhalb formal unabhängiger Staaten gewährt, ja sogar geschaffen hat, ließ er sich seine ökonomische sowie politische Vormachtstellung in diesen Staaten nicht entreißen.

Zu Anfang der imperialistischen Epoche erfuhren die noch jungen und unterentwickelten nationalen Bourgeoisien in den Kolonialländern nationale Unterdrückung. Koloniale und später imperialistische Mächte zwangen ihr Großkapital den unterdrückten Nationen auf und zerstörten dabei viele kleine lokale, unabhängige Unternehmen. Dadurch wurde die nationale Bourgeoisie nach und nach jedes ernstzunehmenden politischen Einflusses auf die Kolonialverwaltung beraubt. Unter diesen Umständen war die koloniale Bourgeoisie gezwungen, eine wichtige Rolle im Kampf gegen die imperialistische Herrschaft zu spielen. Indem sie irreführende Phrasen und falsche Versprechungen benutzten, konnten Bewegungen wie der Indian National Congress und die Kuomintang in China eine Massengefolgschaft aller plebejischen Klassen in ihrem Interesse mobilisieren.

Doch diese „national-revolutionären Bewegungen“, wie die Komintern sie beschrieb, blieben unter der Führung einer Klasse (der Bourgeoisie), die sich immer wieder unwillig zeigen sollte, einen beharrlichen Kampf gegen den Imperialismus zu verfolgen. Die Furcht vor dem revolutionären Potential der Arbeiterklasse und einer landhungrigen Bauernschaft machte die Bourgeoisie zu einer wankelmütigen und verräterischen Führung der antiimperialistischen Kämpfe. Sie zeigte sich bei erstbester Gelegenheit willens zum Kompromiß und zum Ausverkauf an die Imperialisten und ertränkte ihre „eigene“ revolutionäre Bewegung oft in Blut (Shanghai 1927).

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden unter der Aufsicht des US- Imperialismus die alten Kolonialreiche demontiert und schrittweise durch das heute gängige halbkoloniale System ersetzt. Überall in ihrem Herrschaftsgebiet waren die alten, geschwächten imperialistischen Mächte – Britannien, Frankreich, Holland und Portugal – gezwungen, ihren Kolonien politische Unabhängigkeit zu gewähren. Außer episodisch, war die nationale Bourgeoisie nie imstande, über die Strategie des friedlichen Drucks zum Rückzug der Imperialisten hinauszugehen. In einer Kolonie nach der anderen wurde der Unabhängigkeitskampf von den kleinbürgerlichen Nationalisten, oft im Bund mit den Stalinisten, angeführt. Wo immer die Imperialisten bis zum letzten Moment ausharrten (Algerien, Malaysia, Vietnam, Südjemen, Mozambique, Angola, Zimbabwe), griffen die kleinbürgerlichen Nationalisten zu revolutionär- nationalistischen Kampfmethoden.

Obwohl sie den Massen versprochen hatten, die drückende Last der imperialistischen Herrschaft zu erleichtern, haben dieselben „Revolutionäre“, kaum daß sie an die Macht gekommen waren, diese Macht dazu benutzt, das Proletariat und die armen Bauern zu unterdrücken, den Kapitalismus zu unterstützen und zu entwickeln und die Interessen der Imperialisten zu verteidigen. Bürgerliche und kleinbürgerliche Nationalisten zeigten sich beide unfähig zur Erfüllung selbst der elementarsten bürgerlich-demokratischen Aufgaben der Revolution gegen den Imperialismus. Nationale Unabhängigkeit blieb eine Illusion, solange die Wirtschaft dieser Länder vom Imperialismus dominiert war. Einige der neuen herrschenden Klassen – z.B. in Taiwan, Südkorea, auf den Philippinen, im Iran und in Kenia – verließen sich auf die offene Kollaboration mit den imperialistischen Mächten, um ihre Industrie und Landwirtschaft zu entwickeln. Diese Staaten bildeten Ökonomien heraus, die völlig an die imperialistische Weltarbeitsteilung gebunden waren. Sie boten vom Polizeistaat kontrollierte Arbeiterbewegungen und stellten ein Arbeitskräftereservoir zur Verfügung, das überausgebeutet werden konnte und damit zu imperialistischen Investitionen ermutigte.

Das andere Extrem stellen einige Halbkolonien mit national isolierten Entwicklungsversuchen dar, die mehr oder minder konsequent ihre Bindungen an den Imperialismus lockerten, oft durch den Aufbau ökonomischer Verbindungen zum Sowjetblock. Diese Regimes nahmen oft einen linksbonapartistischen Charakter an und vollführten eine Gratwanderung zwischen Imperialismus einerseits und genau kontrollierten Massenmobilisierungen andererseits. Indem sie ihre Wirtschaftsentwicklung bewußt nach der Erfahrung der stalinistischen Industrialisierungspolitik ausrichteten, verfolgten sie größere „staatskapitalistische“ Projekte und etablierten ausgedehnte Staatsbürokratien als wichtige soziale Stütze. Durch diese Methoden suchten solche Regimes einen Weg zu „unabhängiger kapitalistischer Entwicklung“, tatsächlich aber einen Weg zur Aufnahme in den erlesenen Klub der imperialistischen Nationen. Diese Strategie erwies sich Land für Land als eine wirtschaftliche Katastrophe. Stagnation und imperialistischer Druck erzwangen den Zusammenbruch und den Weg zurück in die Arme des Imperialismus.

Perons Argentinien, Nassers Ägypten, Bandaranaikes Sri Lanka und Nyereres Tansania sind nur einige Beispiele für das Fehlschlagen dieser Strategie. Die Krisen in Burma, Algerien und Angola in den späten 80er Jahren zeigen, daß andere staatskapitalistische Regimes sich auf demselben Weg befinden. Autarkie ist eine Utopie und es sind immer die Massen, welche die Zeche für ihr Scheitern zahlen. Welche Strategien die halbkolonialen Bourgeoisien auch immer verfolgt haben – und einige, wie z.B. Indien, haben eine Kombination aus beidem versucht, d.h. offene Kollaboration mit dem Imperialismus und national isolierte Entwicklung – das Resultat war das gleiche: chronisch abhängige Ökonomien, ungeheure Massenarmut, Stagnation und wachsende Verschuldung gegenüber dem Imperialismus. Nur unter den außergewöhnlichen Umständen Südafrikas war es für eine halbkoloniale Macht möglich, aus diesem Kreislauf auszubrechen und sich dem Imperialismus als Juniorpartner anzuschließen.

Der bürgerliche Nationalismus war unfähig, wirkliche Unabhängigkeit zu erreichen und politische Demokratie aufrechtzuerhalten. Während die Imperialisten heuchlerisch die Tugenden der „parlamentarischen Demokratie“ priesen und den neuen Nationalstaaten sogar ihre Verfassungen nach dem Modell von Westminster oder Washington vermachten, drückten sie bei deren Sturz hocherfreut beide Augen zu, wenn diese demokratisch gewählten Regierungen ihre ökonomischen Interessen bedrohten. Nur eine Minderheit der am höchsten entwickelten Halbkolonien war in der Lage, parlamentarische Regimes für einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Und sogar hier, wie im Falle Chiles 1973, hat der Imperialismus direkt interveniert, um jene demokratischen Regimes zu stürzen, von denen er seine Interessen gefährdet sah.

Konfrontiert mit den Forderungen der Bauernschaft nach einer umfassenden Lösung der Landfrage, waren die bürgerlichen Nationalisten zu keinerlei radikalen Maßnahmen bereit, die ihr Bündnis mit den halbfeudalen Grundbesitzern oder den kapitalistischen Großbauern gefährden konnten. Wo sie gezwungen waren, größere Landreformen durchzuführen – in Bolivien, Peru oder im indischen Pandschab -, geschah dies nur, um eine revolutionäre Lösung zu vermeiden. Eine von oben aufgezwungene reformistische Lösung stillte zwar vorübergehend den Landhunger der Bauern, führte aber bloß zur Entstehung einer neuen Klasse von Kleinbauern, knapp an Krediten und Maschinen, und lieferte sie den Wucherern, Banken und reichen Farmern aus.

Um die Ausbeutung durchzuführen und beizubehalten, gehörte es immer auch zur Strategie des Imperialismus, zu teilen und zu herrschen. In vielen Fällen wurde eine solche Spaltung durch imperialistische Mächte durchgesetzt, welche mit Absicht eine bestimmte Minderheit der Bevölkerung in ihrem kolonialen Apparat bevorzugten, wie in Sri Lanka oder Zypern. In anderen Fällen, wo Überreste vorkapitalistischer und religiöser Spaltungen noch existierten, bemächtigte man sich ihrer und kultivierte und bewahrte sie im Interesse des Imperialismus. Zum Beispiel wurde die vererbte Arbeitsteilung, auf der das indische Kastensystem beruht, vom britischen Kolonialismus institutionalisiert und trug dazu bei, jenes große Maß an Fügsamkeit auf dem Lande aufrechtzuerhalten. Einheimischer Grundbesitz und Kapitalismus waren in der Lage, dieses System zu ihrem Vorteil auszubeuten. Trotz der Entwicklung des modernen Kapitalismus in Indien ist bis heute die systematische Diskriminierung und institutionalisierte Ungleichheit des Kastensystems noch stark. Auch hier war die „unabhängige“ Bourgeoisie nicht dazu fähig, ihre Nation auf der Basis der Gleichheit der Rechte zu vereinheitlichen.

Trotz der Behauptungen von „Dritte-Welt-“ und Abhängigkeitstheoretikern, daß eine umfassende kapitalistische Entwicklung in der imperialisierten Welt nicht möglich sei, hat der Imperialismus gerade dies erreicht und im Verlauf seiner Geschichte Millionen von neuen Lohnarbeitern und -arbeiterinnen hervorgebracht. In den letzten beiden Jahrzehnten hat diese halbkoloniale Arbeiterklasse den Weg unabhängiger Klassenaktionen betreten, ist dort allerdings an die Grenzen ihrer syndikalistischen, stalinistischen und kleinbürgerlichen Führungen gestoßen. Es gibt eine Führungskrise in der halbkolonialen Arbeiterklasse. In den meisten Ländern fehlt sogar der Keim einer revolutionären kommunistischen Partei. Das erlaubte es kleinbürgerlichen politischen Formationen aller Schattierungen, an die Spitze antiimperialistischer Massenaktionen zu gelangen und sie unvermeidlich zu verraten.

Im Kampf gegen die Ausbeutung in den Fabriken, Bergwerken und Plantagen des heimischen wie imperialistischen Kapitals muß die Weltarbeiterklasse die volle Spanne an Übergangsforderungen und Taktiken anwenden. Außerdem muß die Arbeiterklasse einen Kampf für die Vollendung der verbliebenen bürgerlich-demokratischen Aufgaben führen. Nationale Einheit und Unabhängigkeit, Agrarrevolution und politische Demokratie sind die brennenden Forderungen von Millionen Arbeitern, Bauern und Halbproletariern. Die Arbeiterklasse muß an den Kampf um ihre vollständige Verwirklichung vom Standpunkt der permanenten Revolution herangehen.

Die nationalen, agrarischen und demokratischen Forderungen sind an und für sich historisch bürgerliche Fragen. Aber in der imperialistischen Epoche ist es nicht mehr möglich, diese Probleme im Kapitalismus vollständig zu Lösen. Die militärische, politische und ökonomische Abhängigkeit der Halbkolonien, ihre Rückständigkeit und wirtschaftliche Unausgewogenheit sind grundlegend für die imperialistische Weltordnung. Es kann kein abgesondertes Stadium der Revolution geben, in dem die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse weiterbestehen, während die bürgerlich-demokratischen Aufgaben voll erfüllt werden. Die gesamte Geschichte des antiimperialistischen Kampfes nach 1945 bestätigt diese grundlegende These von Trotzkis Theorie der permanenten Revolution. Die „Siege“ der antiimperialistischen Massenbewegungen illustrieren dies sogar deutlicher als die zahlreichen Niederlagen.

Mit ihrer Weigerung, die Firmen und Banken sowohl der nationalen als auch der imperialistischen Bourgeoisie zu enteignen und die Forderungen der armen und landlosen Bauern zu befriedigen, besiegelten die Revolutionsführer in Nicaragua, Zimbabwe und im Iran den fortdauernden Nutzen für den Imperialismus. Selbst wo militärisch-bonapartistische Regimes wie in Burma, Ägypten und Libyen dazu gezwungen waren, die Wirtschaft zu verstaatlichen und eine staatseigene Infrastruktur zu schaffen, ist es ihnen nicht gelungen, die ökonomischen Ketten zu brechen, welche diese Länder an den Imperialismus binden. Stagnation, das Ergebnis der Autarkiebestrebungen, Verschuldung, das Wiederaufleben einer nationalen Bourgeoisie außerhalb des staatlichen Sektors: dies ist das Muster für jene Länder, wo der Bonapartismus sich festgesetzt hat.

Nur wo der Kapitalismus völlig ausgerottet worden ist (China, Kuba, Vietnam, Kambodscha), hatten halbkoloniale Revolutionen die Möglichkeit, sich dem Griff der imperialistischen Weltwirtschaft nach ihren Ländern zu entwinden. Aber sogar hier haben die Stalinisten die permanente Revolution verkümmern lassen und das Erbe der imperialistischen Dominanz nicht erfolgreich überwunden. In vielen dieser Staaten hat sich die Unterdrückung nationaler Minderheiten verstärkt, zum Beispiel die der Chinesen in Vietnam oder die Tibetaner in China.

Die Kombination aus bürokratischer Planung und „nationalem Weg zum Sozialismus“ hat das Potential nachkapitalistischer Eigentumsverhältnisse erwürgt und somit die früheren Halbkolonien zu den schwächsten Gliedern in der Kette der degenerierten Arbeiterstaaten gemacht. Sie bleiben von der Bereitschaft der Sowjetbürokratie, ihre Ökonomien zu unterstützen, stark abhängig. Der wachsende Widerwille der Moskauer Bürokratie dazu vergrößert den internen restaurativen Druck und stärkt jene Teile der Stalinisten, welche die Ökonomien für imperialistische Durchdringung unter dem Mantel des „Marktsozialismus“ öffnen wollen. In diesen Ländern kann nur eine politische Revolution, welche die stalinistische Bürokratie zerstört und wirkliche Sowjetdemokratie errichtet, für die Arbeiter und armen Bauern einen Weg vorwärts weisen und sie befähigen, endgültig mit dem Imperialismus abzurechnen.

Die Enteignung der Schlüsselindustrien, der Banken und Finanzhäuser, die Errichtung eines Staatsmonopols auf den Außenhandel und die Internationalisierung der Revolution müßten die ersten Schritte einer jeden siegreichen halbkolonialen Revolution sein. Aber nur das Proletariat, mobilisiert in Arbeiterräten und Arbeitermilizen kann diese Aufgaben in wirklich progressiver Weise durchführen. Im Verlauf einer solchen Revolution muß die Arbeiterklasse die bäuerlichen und halbproletarischen Massen über die komplette Verwirklichung der nationalen, agrarischen und demokratischen Anliegen an sich ziehen.

Die Agrarrevolution in den Halbkolonien

Insgesamt stellt heute die Bauernschaft, trotz des Wachstums des Industrieproletariats, in den Halbkolonien die absolute Mehrheit der Bevölkerung. Das Proletariat muß sich die Unzufriedenheit und die Bedürfnisse der armen und landlosen Bauern und Bäuerinnen zu eigen machen, wenn die Revolution eine wirklich umfassende sein soll. In der gesamten imperialistischen Epoche hat sich die Agrarfrage als eine der wesentlichsten und explosivsten der unerfüllten Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution erwiesen. Der Kampf der Bauernschaft um Land war und ist die Triebfeder im Kampf um nationale Unabhängigkeit gegen den Imperialismus. Dies zeigte sich z.B. in China in den 30-er und 40-er Jahren, sowie in Indochina in den 50-er und 60-er Jahren dieses Jahrhunderts. Weiters erwies sich die agrarische Revolution in Rußland 1917 als eine gewaltige gesellschaftliche Kraft für politische Demokratie gegen die zaristische Selbstherrschaft. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist sie ein zentraler Sprengsatz in Aufständen gegen die verhaßten herrschenden Oligarchien in den Halbkolonien (z.B. Nicaragua 1979, Philippinen 1985). Wo auch immer der Kampf der Bauern und Bäuerinnen um Land bewußt vom Kampf für nationale Unabhängigkeit (wie z.B. in Irland 1880-1921) oder für politische Demokratie (z.B. in Spanien 1931-1939) getrennt wurde, konnte keine der bürgerlich- demokratischen Aufgaben vollendet werden.

In der imperialistischen Epoche gab sowohl die imperialistische als auch die halbkoloniale Bourgeoisie jeden Anspruch auf einen revolutionären Kampf gegen den vorkapitalistischen Großgrundbesitz auf. Der Imperialismus versuchte das Proletariat und die Bauernschaft durch Allianzen mit den feudalen Grundbesitzern im Zaum zu halten. Auf diese Weise hielt der Imperialismus die Halbkolonien in ihrer Rückständigkeit und unterwarf die Landwirtschaft durch Handel oder Kolonialherrschaft unter seine Herrschaft.

Mit der Auflösung der alten Kolonialreiche und der Etablierung der US- Welthegemonie fiel der Kampf gegen die Überreste des Semi-Feudalismus in den (Halb-)Kolonien mit dem Kampf gegen die Auswirkungen des tiefen Eindringens des Finanzkapitals in die Landwirtschaft zusammen. Um einen profitablen Weltmarkt für landwirtschaftliche Produkte zu schaffen, drängte das Finanzkapital zu Beginn auf eine Konzentration und Zentralisation des Landes. Große Landstriche wurden für den Export von „Cash-crops“ kultiviert. Auf der einen Seite half das Finanzkapital, die halbfeudalen Grundbesitzer abzufinden, oder verwandelte sie in Agrarkapitalisten, während es auf der anderen Seite Millionen von Bauern und Bäuerinnen verjagte, betrog und ausbeutete. Als Ergebnis müssen Länder, die ehemals genügend Nahrung für den Binnenmarkt produzierten, heute die Grundnahrungsmittel einführen, was der Landoligarchie und der multinationalen Konzerne riesige Profite einbringt. Die Hauptdynamik der agrarischen Revolution liegt heute im Widerspruch zwischen den Massen der Bauern und Bäuerinnen, die auf immer kleinere Parzellen unfruchtbaren Landes zusammengedrängt werden, und den mächtigen kapitalistischen Plantagenbesitzern, welche für den Export produzieren.

In den Nachkriegsjahrzehnten wurde mittels Agrarreformen von oben versucht, eine revolutionäre Lösung der Landfrage von unten abzuwenden, indem eine stabile Schicht von konservativen Mittelbauern geschaffen wurde. Während diese Reformen in einzelnen Ländern für eine gewisse Zeit – wenn auch nur zum Teil – erfolgreich waren, Lösten sie nicht das grundlegende Problem (und konnten dies auch nicht), dem sich die halbkoloniale Bourgeoisie gegenübersieht. Denn deren Abhängigkeit vom Imperialismus sorgt dafür, daß sie unfähig ist, entweder die überschüssigen landhungrigen Bauern und Bäuerinnen in Werktätige im Industrie- oder Dienstleistungssektor in den Ballungszentren zu verwandeln, oder ausreichende Hilfe den kleinen Landbesitzer zukommen zu lassen, um deren Abstieg in die Armut zu verhindern. Die überlebenden halbfeudalen Großgrundbesitzer verbünden sich daher mit dem Finanzkapital, um die bäuerliche Ökonomie den Bedürfnissen der Massenproduktion des ländlichen Kapitalismus unterzuordnen. Dies hat zur Folge, daß die Lösung des Landhungers der Bauern und Bäuerinnen, das Ende der hohen Pachtzinsen, der bäuerlichen Verschuldung und der primitiven Technik nur erreicht werden kann durch ein Bündnis mit der Arbeiterklasse und den revolutionären Sturz des Kapitalismus und Imperialismus – durch die permanente Revolution.

Natürlich werden nicht alle ländlichen Klassen enge Verbündete auf diesem Weg sein. Die Bauernschaft ist keine moderne Klasse mit einer einheitlichen Stellung zu den Produktionsmitteln. Je weiter sie sich von Gemeineigentum an Land und einer dementsprechenden Arbeitsweise Löst, umso mehr differenziert sie sich in reiche Agrarkapitalisten auf der einen und ländliche Proletarier auf der anderen Seite. Wo die Bauernschaft sich eine stabile Grundlage an kleinem Privatbesitz schaffen konnte, war und ist es immer möglich, diese als Massenbasis zur Unterstützung reaktionärer bonapartistischer Regimes zu mobilisieren. Diese Regimes stellten im Angesicht einer Konfrontation die Arbeiterklasse demagogisch als Feinde der Kleinbauern dar.

Auf dem Weg der Revolution wird sich die städtische Arbeiterklasse zuerst dem wachsenden ländlichen Proletariat zuwenden, welches auf den Plantagen, Farmen, Höfen und in den verarbeitenden Betrieben ganztägig arbeitet. Diese Arbeiter und Arbeiterinnen, die zwar von geringer Anzahl, aber großer gesellschaftlicher Macht sind, haben immer wieder gezeigt, daß sie als erste stabile Organisationen (wie Gewerkschaften und Komitees) für den Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen aufbauen. Von den Zuckerarbeitern in Kuba bis zu den Kaffeearbeitern in Nicaragua ist es diese Klasse, die oftmals durch ihre Aktivitäten das Kräfteverhältnis zuungunsten verhaßter Diktatoren veränderten. Sie müssen für unmittelbare ökonomische Forderungen ebenso wie für Übergangsforderungen kämpfen und ein Regime der Arbeiterkontrolle und der gewerkschaftlichen Organisation in den Fabriken und auf den Plantagen errichten. Die Geschichte dieser Epoche hat auch gezeigt, daß es für diese Schicht lebensnotwendig ist, die Verteidigung ihrer Interessen gegen die Todesschwadronen der Großgrundbesitzer durch die Bildung von Arbeitermilizen in die eigenen Hände zu nehmen.

In seiner Bedeutung steht das Halb-Proletariat dieser Schicht am nächsten: die saisonalen Farmarbeiter und -arbeiterinnen, welche sich in der verbleibenden Zeit ihren Lebensunterhalt durch harte Arbeit zusammenscharren; oder die Kleinbauern, deren Familien auf dem kargen Stück Land nicht überleben können und Arbeit in der Stadt annehmen müssen. Diese Klasse ist in Lateinamerika, Afrika und in Teilen von Asien groß, oftmals so groß, daß sie die Anzahl des ländlichen Proletariats um das Zehnfache übertrifft. Der Kontakt mit den Plantagen hat ihnen die Möglichkeit gegeben, den üblichen Horizont der armen Bauern zu erweitern und so den Kampfgeist und die Organisation des Proletariats zu übernehmen. Die Saisonarbeit und ihr Leben als Wanderarbeiter führt dazu, daß sie u.a. die zentrale Basis für die Guerillaarmeen in Zentralamerika sind. Wesentlich für sie ist der Kampf für gleiche Bezahlung und Arbeitsbedingungen auf den Plantagen und für unbefristete Verträge für jene, die dies wollen, bzw. für Landvergabe an diejenigen, die aufgrund des Landhungers zum Wandern gezwungen sind.

Die verzweifeltste Klasse auf dem Land ist die der landlosen Bauern und Bäuerinnen, welche ihres Erbes durch die Oligarchie, die kolonialen Plantagenbesitzer oder durch die „Grüne Revolution“ beraubt wurden. Heute gibt es über 600 Millionen landlose Bauern in den Halbkolonien. In Pakistan, Indien und Bangladesh sind zwischen einem Viertel und der Hälfte aller Bauern und Bäuerinnen ohne Land, in Zentralamerika ist es mehr als die Hälfte der bäuerlichen Bevölkerung. Die meisten nagen am Hungertuch – ein Leben, das nur gelegentlich durch Tages- oder Saisonarbeit erleichtert wird. In der hoffnungslosen Suche nach Arbeit wandern viele in die Städte ab. Diese Klasse, die die größte ist, stellt einen notwendigen Bündnispartner des Proletariats dar. Die dauernde Unterstützung durch diese Klasse muß gewonnen werden, selbst wenn dies die Aufteilung der größeren Güter bedeutet. Ihr gegenüber muß sich die revolutionäre Arbeiterklasse verpflichten, für die Verwirklichung folgender Forderungen zu kämpfen: Land für diejenigen, die es bearbeiten; Besetzung des brachliegenden und ungenügend genutzten Bodens; Verteidigung der Besetzung von Plantagen im Kampf für den Lebensunterhalt; für Komitees und Milizen der landlosen Bauern und Bäuerinnen.

Trotzkisten und Trotzkistinnen müssen an der Spitze des Kampfes der Landhungrigen für Landbesetzungen stehen – unabhängig davon, ob diese gegen halb-feudale oder gegen kapitalistische Großgrundbesitzer gerichtet sind. Aber es ist zentral, für die ehest mögliche Bildung von Kooperativen als Übergangsmaßnahme einzutreten. Für jene, die bereits in die Slums der großen Städte abgedrängt wurden, müssen wir für ein Programm öffentlicher Arbeiten kämpfen, um ihnen nützliche Arbeit und lebensermöglichenden Lohn zu geben. Dies muß Hand in Hand mit der Organisierung der Arbeitslosen geschehen.

Die armen Bauern und Bäuerinnen wehren sich verzweifelt gegen ihren Abstieg in die Legion der Landlosen. Ihr kleiner Landbesitz wird von den gewaltigen Zinsen erdrückt oder ist von hohen Schulden belastet, welche das Resultat der harten Zahlungsbedingungen sind. Zu diesen Schulden kommen noch Kredite für den Kauf von Ausrüstung und Düngemitteln. Dieser Schritt wird ihnen aufgezwungen, weil die Kleinheit der Parzellen nicht das Überleben für die armen bäuerlichen Familien garantieren kann. Die armen Bauern und Bäuerinnen können dadurch von den großen Ländereien und den Großbauern unterdrückt werden. Hier müssen die zentralen unmittelbaren Forderungen ansetzen: Abschaffung der Pacht und Streichung aller Schulden bei ländlichen Wucherern und städtischen Händlern; für staatliche Kredite zum Erwerb von Maschinen und Düngemittel; für die Schaffung von Anreizen, um die Subsistenzbauern und -bäuerinnen zum freiwilligen Eintritt in Produktions- und zu Absatzgenossenschaften zu ermutigen.

Viele Bauern und Bäuerinnen glauben, daß der einzige Weg zum Überleben der Anbau von Pflanzen für die Drogenindustrie ist. Sie werden unbarmherzig von den Drogenbaronen ausgebeutet und von den imperialistischen „Anti-Drogen“-Einheiten verfolgt. Wir fordern daher das Recht der Bauern und Bäuerinnen auf freien und legalen Anbau von Pflanzen, die zur Drogenherstellung verwendet werden können. Weiters verlangen wir den staatlichen Ankauf solcher Pflanzen zu Preisen, die von Preiskomitees der Arbeiter und Bauern festgelegt werden.

Die mittlere Bauernschaft, normalerweise eine kleine Schicht, ist dem Proletariat gegenüber mißtrauisch, da sie eine geplante Abschaffung ihres Privateigentums befürchtet. Gewöhnlich verfügen diese Bauern über genügend Überschüsse, um diese in den Städten mit Gewinn verkaufen zu können. Dennoch werden auch sie oft durch Zwischenhändler ausgebeutet. In allen Auseinandersetzungen über Löhne und Arbeitsbedingungen, die zwischen diesen Bauern und den von ihnen ausgebeuteten Arbeitern und Arbeiterinnen stattfinden, muß das Proletariat auf der Seite letzterer stehen. Der Forderung der kleinen und mittleren Bauern nach höheren Preisen für ihre Produkte (eine Forderung, die vor allem dann aufkommt, wenn die Arbeiter und Arbeiterinnen die Regierung zu Preiskontrollen bei den Grundnahrungsmitteln zwingen) stellen wir eine andere Losung gegenüber: Laßt die Bosse und Großgrundbesitzer zahlen – und nicht die Arbeiter! Wir verlangen die Streichung der Schulden, die Ausweitung von Krediten, die Förderung von Kooperativen und den Aufbau gemeinsamer Preiskomitees der Arbeiter und Bauern, um die Erzeugung ihrer jeweiligen Produkte zu planen und deren Austausch zu regeln.

Dort, wo der Halb-Feudalismus zerstört wurde und der Imperialismus in Allianz mit den halbkolonialen Staaten die reichen Bauern in den Weltmarkt integriert hat, stellen sich die reichen und ausbeuterischen Bauern im allgemeinen auf die Seite der Bourgeoisie. Revolutionäre und Revolutionärinnen stellen sich daher auf die Seite der armen Bauern und Bäuerinnen, um das Land der reichen Bauern zu enteignen. Doch wo auch immer die halbfeudalen Fesseln bestehen blieben, die sowohl die reichen als auch die armen Bauern und Bäuerinnen unterdrücken, ist auch ein gemeinsamer Kampf zur Beendigung dieser Unterdrückung möglich.

Das imperialistische Agrobusiness, die kapitalistischen Großbauern und die in den Städten oder im Ausland lebenden Großgrundbesitzer werden jedoch in der Arbeiterklasse einen unerbittlichen Feind finden. Ihr Eigentum stellt in den Augen der Arbeiter und armen Bauern den Mechanismus der Verarmung dar. Wir müssen der nationalen Bourgeoisie bzw. dem Kleinbürgertum, die gegen die Landoligarchie kämpfen, zur Durchsetzung folgender Forderungen zwingen: entschädigungslose Verstaatlichung ihres Großgrundbesitzes; Verstaatlichung der imperialistischen Plantagen und ihre Stellung unter Arbeiter- und Bauernkontrolle; für ein breit angelegtes Programm öffentlicher Arbeiten zur Verbesserung der Lebensbedingungen der ländlichen Massen – zur Elektrifizierung, Bewässerung des Bodens, für Maßnahmen zur Schaffung reinen Wassers und ausreichender sanitärer Möglichkeiten oder von kulturelle Einrichtung.

Nur so ein Programm kann die massenhafte Landflucht der Bauern und Bäuerinnen, die vom Hunger getrieben werden, verhindern. Die Umgestaltung und Planung der landwirtschaftlichen Produktion wird die Abhängigkeit von den nur für den Export bestimmten Ernten verringern, die Produktivität des Bodens erhöhen und die vorhandene Menge an Lebensmitteln für den heimischen Verbrauch steigern.

Solche Maßnahmen werden dazu beitragen, die Belastung der ländlichen Umwelt zu verringern. Mit der tiefgreifenden Umwandlung der ländlichen Gebiete hat der Kapitalismus die ökologische Krise auf immer neue Regionen der Erde ausgeweitet. Die Abholzung, die Zerstörung der traditionellen Bewässerungssysteme, die Verschmutzung der Flüsse durch industrielle Abwässer und chemische Düngemittel bewirken eine wirkliche ökologische Katastrophe in vielen Teilen der „Dritten Welt“. Der Kampf des Proletariats und der armen Bauernschaft muß ein Programm für sofortige Maßnahmen zur Verhinderung einer ökologischen Katastrophe beinhalten – die Beendigung massiver Abholzungen ebenso wie Projekte zur Wiederaufforstung und Bewässerung.

Die Jahre seit 1945 haben gezeigt, daß die einzige wirkliche Lösung des Landhungers und der Knechtschaft der armen Bauern der Sturz des Kapitalismus selbst ist. Die revolutionäre Partei muß den Klassenkampf auf dem Land zu seinem Höhepunkt führen. Wir stellen ein Programm für die revolutionäre und entschädigungslose Enteignung aller kapitalistischen Plantagen und die Landwirtschaften reicher Bauern durch Räte der Arbeiter und armen Bauern auf. Wir kämpfen für eine Politik der staatlichen Landwirtschaftsbetriebe sowie für freiwillige Genossenschaften der Klein- und Mittelbauern als Programm des sozialistischen Übergangs in der Landwirtschaft.

Die Nationale Frage in den Halbkolonien

Wenngleich nationale Einheit und Unabhängigkeit politische Ziele der Bourgeoisie waren, hatten sie einen gesellschaftlichen und ökonomischen Zweck: die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes, auf dem das heimische Kapital vor ausländischer Konkurrenz geschützt war und sich entfalten konnte. Ungeachtet der formellen nationalen Unabhängigkeit sind heute die ehemaligen imperialistischen Kolonien und Mandatsgebiete von einer echten wirtschaftlichen Unabhängigkeit genauso weit entfernt wie am Beginn der imperialistischen Epoche. Sie blieben unterdrückte Nationen. Rückständigkeit und im besten Fall eine einseitige, abhängige Industrialisierung blieben in den Halbkolonien die Norm. Kein noch so hoher Grad formeller politischer Unabhängigkeit kann das ausgleichen.

Die Ketten der ökonomischen Abhängigkeit werden durch die gesellschaftlichen Verhältnisse des Kapitalismus geschmiedet und können nur durch die Enteignung des Kapitals selbst zerrissen werden. Gerade aus diesem Grunde hat nur die Arbeiterklasse das Interesse und die Fähigkeit, die nationale Unterdrückung der Halbkolonien vollständig aufzuheben. Das Proletariat muß daher für folgende Ziele kämpfen:

• Die Vertreibung aller bewaffneten Kräfte des Imperialismus, seiner Gendarmen, einschließlich der UNO, seiner Berater und Sicherheitseinrichtungen.

• Die Abschaffung der stehenden Armeen, die durch den Imperialismus ausgebildet werden und ihm gegenüber loyal sind, und deren Ersetzung durch bewaffnete Arbeiter- und Bauernmilizen.

• Die Streichung aller Schulden und Zinsen gegenüber den imperialistischen Banken. Die Imperialisten wünschen keine Tilgung der Schulden, da dies das Ende ihrer daraus erzielten Extra- Profite und den Verlust einer ihrer Waffen zur Ausübung politischer, militärischer und ökonomischer Kontrolle über die Halbkolonien bedeuten würde. Diese Schulden wurden unter Bedingungen vereinbart, die vom Imperialismus festgesetzt wurden. Die engen Grenzen, die der halbkolonialen Bourgeoisie gesetzt sind, wenn sie den Imperialismus herausfordert, zeigen sich durch die Hinnahme dieser Bedingungen. Die praktischen Auswirkungen dieser Feigheit sind Sparmaßnahmen auf Kosten der Massen, Arbeitslosigkeit, Beschränkungen politischer und gewerkschaftlicher Tätigkeit, exportorientierte Produktion und – als Folge davon – Hunger.

• Gegen die Strategie, die Schuldenrückzahlung auf einen bestimmten Anteil der Exporte oder des Bruttonationalproduktes zu begrenzen. Gegen ein Moratorium der Auslandsschulden, das tatsächlich nur einen Zahlungsaufschub bedeuten würde. Diese Schuld wurde schon zig-mal durch erpresserische Zinslasten und den Raubbau an den natürlichen Ressourcen der Halbkolonien getilgt.

• Die Rückführung aller geleisteten Zahlungen und die Wiederherstellung der natürlichen Ressourcen. Für die Rückgabe des unbezahlbaren archäologischen Erbes, das Jahre hindurch von den imperialistischen Plünderern gestohlen wurde.

• Die entschädigungslose Nationalisierung der Banken, Finanzhäuser und der bedeutendsten Industrien und die Streichung aller Sonderabkommen und Joint-Ventures zwischen Staatsbetrieben und Finanzkapital.

Das Proletariat muß sowohl dafür kämpfen, den imperialistischen Würgegriff über die Wirtschaft der Halbkolonien zu durchbrechen, als auch den Kampf für nationale Einheit und das Recht auf Selbstbestimmung der unterdrückten Nationalitäten führen. In den Jahren 1880, 1919 und 1945 zog der Imperialismus bei seinen Aufteilungen und Wiederaufteilungen der Welt willkürliche Grenzen, die viele Nationalitäten und Völker auseinanderrissen und nationale Minderheiten in den kolonialen und halbkolonialen Ländern schufen. Sofern sich der Nationalismus der sich entwickelnden kolonialen Bourgeoisien in seinen Kämpfen gegen feudale Überreste oder gegen den Imperialismus richtete, hatte er einen relativ fortschrittlichen Inhalt. Dieser Nationalismus verwandelte sich jedoch in eine Waffe gegen unterdrückte nationale Minderheiten, sobald er die politische Macht erlangte (z.B. in der Türkei oder in Burma).

Die halbkoloniale Bourgeoisie ist aber weit davon entfernt, die vielen nationalen Probleme zu Lösen, die durch die imperialistische Teilung der Welt verursacht oder verschärft wurden. Ihre Unfähigkeit, die Nation zu vereinen oder ökonomisch zu entwickeln, führt vielmehr zur Verschärfung der regionalen ökonomischen Unterschiede, zur Reaktivierung alter nationaler Widersprüche und zur Schaffung neuer (beispielsweise in Indien).

Wo immer eine wirkliche nationale Bewegung vorhanden ist, die in Bewußtsein, Sprache, Kultur und einem bestimmten Gebiet verankert ist, muß das Proletariat das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Nation unterstützen. Diese Unterstützung ist bedingungslos: Das heißt, daß wir von den Nationalisten nicht verlangen, kommunistische Kampfmethoden anzuwenden, bevor wir sie unterstützen. Genauso wie wir den Zielen der Nationalisten kritisch gegenüberstehen, kritisieren wir ihre Methoden, die den nationalen Kampf häufig auf bewaffnete Aktionen einiger weniger reduzieren. Doch besteht kein Recht auf Eigenstaatlichkeit, wo die Selbstbestimmung auf der nationalen Unterdrückung eines anderen Volkes beruht (Israel, Nordirland).

Das Proletariat ist eine internationalistische Klasse, die auf sozialistischer Grundlage versucht, die Völker und Nationen durch freiwillige Vereinigung und Föderation zu einen. Unser allgemeines Programm sieht weder die Schaffung einer immer größeren Anzahl getrennter Nationalstaaten noch die Zerschlagung großer „multinationaler“ Staaten in ihre Bestandteile als Mittel, solche Länder vom imperialistischen bzw. kapitalistischen Joch zu befreien. Obwohl Kommunisten und Kommunistinnen gegen diese falschen Lösungen auftreten, anerkennen sie, daß sich Revolutionäre und Revolutionärinnen an die Spitze eines Kampfes für die Errichtung eines eigenen Staates stellen müssen, sobald die Forderung von den Massen der Arbeiter und Bauern aufgegriffen wurde und sich dies zum Beispiel in Referenden, bewaffneten Kämpfen der Massen oder einem Bürgerkrieg (wie in Bangladesh) äußert. Kommunisten und Kommunistinnen stellen diese Forderung sowohl in der Unterdrückernation als auch in den nach Abtrennung strebenden Gebieten. Doch sie warnen weiterhin, daß nur die sozialistische Revolution, nicht die Lostrennung, den Massen eine dauerhafte Lösung bieten wird.

Obwohl die Arbeiterklasse die legitimen nationalen Rechte der unterdrückten Nationen verteidigen muß, bedeutet aber deren internationalistische Strategie, daß sie alle nationalistischen Ideologien bekämpft, auch die der unterdrückten Nationen. Solcher Nationalismus gerät unvermeidlich in Widerspruch mit der Entwicklung der Arbeiterklasse zu einer selbstbewußten Kraft, die fähig ist, ihre Klasseninteressen zu verteidigen, und wird daher reaktionär werden. Während wir die Kämpfe für Selbstbestimmung bis hin zur Abtrennung z.B. in Kurdistan, Euskadi, Kashmir oder Tamil Eelam unterstützen, weisen wir gleichzeitig auf den Utopismus des nationalistischen Projekts hin, in diesen Gebieten wirklich unabhängige bürgerliche Staaten aufbauen zu wollen.

Das Proletariat muß gleichzeitig für die Enteignung der Kapitalisten und für die größtmögliche Ausweitung der demokratischen Planung kämpfen. Ein Rückzug hinter noch engere ökonomische Grenzen bietet für die unterdrückten Nationen keine Lösung ihrer ökonomischen Grundbedürfnisse.

Gegenüber der bewußten imperialistischen Politik der „Balkanisierung“, die die Spaltung und Beherrschung der schwachen und instabilen Nationalstaaten zum Ziel hat, propagieren Kommunistinnen und Kommunisten für diese Länder, die durch Sprache, Kultur, Handel usw. geschichtlich verbunden sind, die Alternative einer echten Föderation von sozialistischen Staaten. Solche Übergangslosungen können eine mächtige Mobilisierungskraft auf die Massen haben, so etwa in Lateinamerika, im Nahen Osten oder auf dem indischen Subkontinent, wo sie vom Imperialismus geschaffene Spaltungen und die bürgerlich- und kleinbürgerlich-nationalistischen Vorurteile überwinden können.

Der Kampf gegen Militärdiktatur und Bonapartismus in den Halbkolonien

Vom Imperialismus in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung aufgehalten, sind die Halbkolonien nicht in der Lage gewesen, eine stabile bürgerliche Demokratie aufrechtzuerhalten. Wahlen und Parlamente sind vorübergehend oder generell durch verschiedene Restriktionen im Wahlrecht, durch die Einführung von Lese- und Sprachqualifikationen und durch eine Unzahl von Hindernissen bei der Wählerregistrierung eingeschränkt worden.

Folglich waren verschiedene Arten des Bonapartismus die Norm. Obwohl solche Regimes entschlossene Verteidiger des Kapitalismus gewesen sind, haben sie durch ihre Kontrolle der Armee und des Staatsapparates einen gewissen Grad von Unabhängigkeit von der herrschenden Klasse erreicht. Sie haben die Kapitalistenklasse von ihrer eigenen politischen Herrschaft ausgeschlossen, ebenso wie sie die ausgebeuteten Klassen im Zaum gehalten oder unterdrückt haben.

Die bonapartistische Herrschaft in den Halbkolonien variierte zwischen „antiimperialistischen“ und proimperialistischen Formen. Die „linke“ Form des Bonapartismus hat oft die Form nationalistischer Offiziersbewegungen angenommen, die aus der kleinbürgerlichen Mittelschicht kamen und den Standpunkt dieser Klasse widerspiegelten. Diese Schicht, die ihre Zukunft durch wirtschaftliche Stagnation, Korruption und die Abhängigkeit ihrer eigenen Bourgeoisie vom Imperialismus zunichte gemacht sieht, hat seit dem zweiten Weltkrieg in zahlreichen Ländern die Macht erlangt – wie z.B. in Argentinien, Peru, Libyen, Ägypten und Burma. Ihre Ideologien haben Elemente vom Stalinismus und gelegentlich vom Faschismus entlehnt und haben typischerweise einen „dritten“ Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus proklamiert. Diese Regimes haben versucht, mit dem Scheitern der wirtschaftlichen Entwicklung fertig zu werden, indem sie die imperialistische Durchdringung einschränkten. Sie haben alles daran gesetzt, eine „unabhängige kapitalistische Entwicklung“ zu fördern, indem sie von Handelsbarrieren, staatskapitalistischer Industrialisierung und Landreformen Gebrauch machten. Sie haben oft einen bösartigen Antikommunismus mit Versuchen verbunden, die Gewerkschaftsbewegung und Bauernorganisationen als eine Stütze für ihre Regimes gegen den imperialistischen Druck von außen und innen heranzuziehen.

Aber nirgendwo haben solche Regimes den Weg zum Sozialismus eröffnet, noch wären sie aufgrund ihres eigentlichen Wesens dazu überhaupt in der Lage. Tatsächlich haben sie den kapitalistischen Staat und die kapitalistische Wirtschaft durch Angriffe auf die Arbeiter und Arbeiterinnen wieder bestärkt und haben weder vor vollständiger Unterdrückung noch vor Massakern haltgemacht.

Im Falle eines ernsthaften Zusammenstoßes zwischen diesen Regimes und dem Imperialismus bzw. seinen reaktionärsten Agenten wäre das Proletariat dazu verpflichtet, an der Seite der nationalistischen und demokratischen militärischen Einheiten zu kämpfen. Aber zu jeder Zeit müßten die Arbeiter und Arbeiterinnen die entschlossenste Klassenunabhängigkeit und die Opposition zu diesen vorübergehenden Verbündungen bewahren. Das Proletariat braucht keine militärischen Retter oder Führer. Es kann nur durch seinen eigenen Aufstand die Macht erlangen, nicht durch Militärcoups.

Es ist der schwerste Fehler, strategische Blöcke mit Teilen der Offiziere zu bilden oder Illusionen in deren Fähigkeit, das Proletariat zu bewaffnen und zu führen, zu säen. Dies führt zu Klassenkollaboration und programmatischen Zugeständnissen und kann nichts anderes, als den Drang des Proletariats schwächen, unabhängige Abeitermilizen einzurichten und die einfachen Soldaten zu organisieren.

Das zwangsläufige Scheitern dieser ökonomischen und politischen Strategie, die wiederholten Zugeständnisse an die Imperialisten und die daraus resultierende Desillusionierung der Massen, ebnen den Weg für den Sturz dieser Regimes und deren Ersetzung durch fügsamere, proimperialistische. Millionen von Arbeitern und Bauern auf der ganzen Welt leiden unter der Herrschaft solcher bösartiger rechts-bonapartistischer Regimes. Diese sind oft entweder aus dem Scheitern des linken Bonapartismus (Indonesien 1965, Argentinien 1955 und Peru 1975) oder, wie in Chile 1973 und Bolivien nach 1971, aus dem Niederschmettern revolutionärer Situationen entstanden. Diese Regimes sind durch ihre Abhängigkeit vom Imperialismus, ihre Versuche, Arbeiter- und Bauernorganisationen zu zerschlagen und ihre Anwendung von Todesschwadronen, Folter und weitreichenden Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet.

Die wiederholte Ausnützung solcher Diktaturen durch die Imperialisten und ihre Agenten bedeutet, daß die Forderung nach politischer Demokratie ein brennendes Anliegen für Millionen von Proletariern und Nicht- Proletariern auf der ganzen Welt von Indonesien bis Paraguay bleibt. Wo immer das Proletariat an der Seite kleinbürgerlicher und bürgerlicher Kräfte für demokratische Rechte kämpft, muß es dies vom Standpunkt seines eigenen strategischen Zieles tun: die Macht der Arbeiterräte. Was es im wesentlichen innerhalb bürgerlicher Demokratie verteidigt, sind seine Kampforganisationen, die der Bourgeoisie abgerungenen gesetzlichen und verfassungsmäßigen Zugeständnisse und jene Formen der bürgerlichen Demokratie (Parlamente, etc.), welche die Arbeiterklasse als eine Tribüne dafür benützt, die Massen zu mobilisieren und in ihnen zu agitieren. Aber die Macht der Arbeiterräte ist die demokratischste Form der Klassenherrschaft in der Geschichte und ersetzt die demokratische Republik als ein strategisches Ziel in der imperialistischen Epoche.

Trotzdem wir es zurückweisen, die Revolution auf eine besondere demokratische Stufe zu beschränken, können wir nicht – wie die Sektierer – daraus schließen, daß demokratische Losungen unnötig seien. Brutale Diktaturen geben ständig Anlaß zu demokratischen Bestrebungen und zu Illusionen in bürgerlich-demokratische Institutionen. Nur verhärtete Sektierer, welche die Notwendigkeit unterschätzen, sich auf die fortschrittlichen Elemente in den demokratischen Illusionen der Massen zu beziehen, können glauben, daß es möglich sei, das Bewußtsein der Massen zu „überspringen“. Wenn diese Illusionen überwunden werden sollen, ist in der Praxis mehr als nur die Forderung nach Sozialismus nötig.

Dort, wo die herrschenden Klassen versuchen, den Massen die vollen demokratischen Rechte zu verweigern, mobilisieren wir rund um demokratische Losungen, einschließlich jener der souveränen, verfassungsgebenden Versammlung. Wir müssen für einen Wahlablauf kämpfen, in dem es keine vorausgehenden Beschränkungen oder Geheimabkommen gibt, d.h. für einen für die Massen wirklich demokratischen: allgemeines, direktes, geheimes und gleiches Wahlrecht ohne Voraussetzung von Eigentum oder der Fähigkeit zu lesen und zu schreiben. Es sollte Publikations- und Versammlungsfreiheit für alle Parteien der Arbeiter und Bauern existieren und von einer bewaffneten Miliz verteidigt werden. Wir müssen auch die proportionale Vertretung aller Parteien in der Versammlung, entsprechend den Stimmen, die sie erhalten haben, fordern, ohne irgendeine Mindestgrenze.

Daß man jedoch die Wichtigkeit solcher Forderungen erkennt, bedeutet nicht, die opportunistischen Methoden der Zentristen anzunehmen, die den Kampf für eine verfassungsgebende Versammlung in eine demokratische Stufe verwandelt haben, durch welche die Massen gehen müssen. Der Zentrismus trotzkistischen Ursprungs (Lambertismus, Morenoismus, das Vereinigte Sektretariat der IV. Internationale) ist immer den Stalinisten oder den kleinbürgerlichen Nationalisten nachgeschwänzelt, indem er die Losung der verfassungsgebenden Versammlung in einer Art verwendet hat, die den Kampf für Arbeiterräte und Arbeitermacht in eine Zeit, nach der eine solche Versammlung gewonnen wurde, verbannte. Gleichzeitig haben die Zentristen Illusionen in das „sozialistische“ Potential gesät, das solche Versammlungen hätten. Die „antiimperialistischen“ linken Bonapartisten haben sich gleichfalls sehr geschickt darin gezeigt. Sei es der Derg in Äthiopien, Mugabes „Einparteienstaat“, Ortegas machtlose „Volkskomitees“ oder Ghadhafis Volkskomitees, diese Organisationen werden in Wahrheit dazu benutzt, den Arbeitern und Bauern ihre Organisationsfreiheit abzuerkennen.

Die verfassungsgebende Versammlung enthält deshalb keinen ihr innewohnenden progressiven Kern. Sie kann nur – und in neunundneunzig von hundert Fällen war sie dies – ein bürgerliches Parlament sein, das damit beauftragt ist, eine Verfassung zu installieren. Schlimmer noch, in halbkolonialen Ländern (Brasilien 1982) und sogar in einigen imperialistischen Ländern (Portugal 1975) wird sie nur unter militärbonapartistischen Beschränkungen ihrer Macht einberufen. Gleichzeitig wird bereits zuvor zwischen den reformistischen Parteien und dem Militär ein Pakt darüber abgeschlossen, wie die Verfassung aussehen soll. Oft haben sich verfassungsgebende Versammlungen als reaktionäre Körperschaften erwiesen, die den revolutionären Organen des Kampfes und der Macht der Arbeiter und Bauern entgegengestellt sind. Dies kann in den Halbkolonien geschehen, wo das enorme Gewicht der Bauernschaft von der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse benützt werden kann. Die Kapitalisten und Kapitalistinnen benützen das gleiche Wahlrecht aller „Bürger“ als Bremse für die Revolution. Deshalb ist es unabdingbar für die verfassungsgebende Versammlung mittels der Schaffung von Räten der Arbeiter, Soldaten und armen Bauern zu kämpfen. Nur dann kann die Versammlung eine Waffe revolutionärer Demokratie und nicht ein Werkzeug des Bonapartismus sein, nur dann kann die Versammlung von den Räten der Arbeiter und armen Bauern beseitigt werden, wenn ihre Rolle erschöpft ist.

Selbst unter verfassungsmäßigen Regimes in den Halbkolonien existieren massive Elemente des Bonapartismus, die regelmäßig gegen die Arbeiterklasse eingesetzt werden: das Präsidentenamt mit seiner Macht, den Ausnahmezustand zu erklären; der Senat, mit seiner Fähigkeit, die Gesetzgebung zu beschränken; die nichtgewählte Richterschaft und vor allem die paramilitärische Polizei und die stehende Armee. Alle diese Ämter und Kräfte reduzieren wiederholt die „Demokratie“ auf eine völlig leere Hülle. Gegen diese Angriffe auf die demokratischen Rechte sollte die Arbeiterklasse die Abschaffung des Präsidentenamt und des Senates und die Schaffung eines Einkammersystems, in dem mindestens alle zwei Jahre gewählt wird und die Wähler und Wählerinnen ihre Abgeordneten abwählen können, in ihr Aktionsprogramm aufnehmen. Dem sollten wir die Forderung nach Auflösung der paramilitärischen Truppen, der Polizei und der stehenden Armee und die Schaffung einer bewaffneten Volksmiliz hinzufügen.

Stalinismus, kleinbürgerlicher Nationalismus und bürgerlich-demokratische Aufgaben

Der Stalinismus ist in all seinen Erscheinungsformen ein unversöhnlicher Gegner der Theorie und Strategie der permanenten Revolution geblieben. Der Triumph des Stalinismus wurde durch die offizielle Annahme der Doktrin vom Sozialismus in einem Land durch die kommunistische Partei der Sowjetunion markiert. Der Gedanke eines nationalen Weges zum Sozialismus entspringt dieser Theorie. In den halbkolonialen und kolonialen Ländern bedeutete dies das Durchlaufen besonderer und getrennter politischer Stadien: zuerst die Etappe des Kampfes für politische Demokratie und unabhängige kapitalistische Entwicklung – im Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie -; danach, wenn der Stand der Produktivkräfte reif für diese Etappe befunden wird, die Entwicklung Richtung Sozialismus. In der imperialistischen Epoche kann diese Strategie nur bedeuten, daß die Stalinisten die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse überall dort leugnen, wo diese in der demokratischen Etappe mit den bürgerlich-nationalen Interessen in Konflikt geraten. Angesichts der Unmöglichkeit einer unabhängigen Industrialisierung hat der Stalinismus nach dem Zweiten Weltkrieg oft jeden Anspruch aufgegeben, daß die zweite Etappe für die Halbkolonien möglich wäre.

Wir schließen nicht aus, daß „Stadien“ im lebendigen Kampf um die Arbeitermacht auftreten können. Aber es können niemals abgeschlossene, auf einer jeweils getrennten Strategie für eine getrennte Periode basierende Stadien sein. Die verschiedenen Aufgaben, bürgerlich- demokratische und proletarische, sind miteinander verknüpft, und zu jedem Zeitpunkt muß offen dafür gekämpft werden, und zwar mit dem einzigen strategischen Ziel der Arbeitermacht. Aber die Arbeiterklasse muß das städtische und ländliche Kleinbürgertum im Kampf um die demokratischen Aufgaben führen. Die ganze Nachkriegsentwicklung beweist, daß die vollständige Erfüllung der noch offenen demokratischen Aufgaben nur unter der Diktatur des Proletariats, das heißt auf Grundlage der Zerstörung des kapitalistischen Privateigentums und seines Systems der Nationalstaaten, erfüllt werden kann.

Der Stalinismus ist so voll auf die „demokratische Etappe“ orientiert, daß er sich sogar mit kleinbürgerlich-nationalistischen Formationen fusioniert, um so besser – wie Trotzki sagte – „die Schlinge um den Hals des Proletariats zuziehen zu können“. Wo auch immer die Arbeiterklasse spontan aus den vom Stalinismus vorgezeichneten Grenzen des revolutionären Prozesses ausgebrochen ist, sind die Stalinisten die eifrigsten Befürworter der Niederschlagung der Arbeiter und Arbeiterinnen und deren Zurückpressung in diese Grenzen gewesen. Die bittere Konsequenz dessen war oft nicht eine Realisierung der demokratischen Etappe, sondern eine blutige Konterrevolution und Diktatur (Indonesien, Chile, Iran).

Der kleinbürgerliche Nationalismus hat im Laufe der imperialistischen Epoche zunehmend unter dem Mantel des „nationalrevolutionären Kampfes“ in der halbkolonialen Ära agiert. Er übernahm im Streben nach nationaler Unabhängigkeit oft revolutionäre Kampfmethoden (Aufstände, Guerillakriegsführung). Bei manchen Gelegenheiten haben kleinbürgerliche Kräfte Methoden des Klassenkampfes (Streiks, Besetzungen, Landnahme), auch wenn sie diese nicht organisiert haben, zugelassen. Nichtsdestotrotz bleibt das angestrebte Ziel des kleinbürgerlichen Nationalismus eine reaktionäre Utopie.

Der Kampf für einen „unabhängigen Kapitalismus“, der sich „soziale Gerechtigkeit“ im Inneren und „Paktungebundenheit“ nach außen zu eigen macht, ist im Zeitalter des Imperialismus eine Illusion. Diese kleinbürgerlichen Parteien – normalerweise von Angehörigen gehobener städtischer Berufe, Mitgliedern der Intelligenz und desillusionierten Söhnen und Töchtern der herrschenden Oligarchien geführt – sind unfähig, mit dem Kapitalismus zu brechen. Nur in Ausnahmesituationen kann es die Hilfe der existierenden stalinistischen Staaten solchen Parteien ermöglichen, den Kapitalismus auf bürokratische Art und Weise zu überwinden. Ein solcher Verlauf hat allerdings nur dann stattgefunden, wenn er ihnen im Konflikt mit dem Imperialismus als einziges Mittel ihres Überlebens aufgezwungen wurde. In diesem Prozeß verschmelzen sie mit stalinistischen Parteien oder verwandeln sich in solche. Dort, wo solche Parteien eine zeitlang regieren, ohne den Kapitalismus zu stürzen (Nicaragua), rauben sie den Arbeitern und Bauern – durch den Versuch, sich mit einer „patriotischen“ Kapitalistenklasse zu versöhnen – die Früchte ihres Kampfes. Das endet unausweichlich mit einer konservativen Konterrevolution innerhalb des Regimes (Ägypten, Algerien, Iran) und mit dem Aufstieg der Bourgeoisie oder dem Sturz der kleinbürgerlichen Regierung durch proimperialistische Kräfte (Guatemala, Grenada).

Die offiziellen kommunistischen pro-Moskau-Parteien haben sich seit ihrer stalinistischen Degeneration nicht nur immer wieder selbst diskreditiert, sondern durch die Unterstützung reaktionärer Diktaturen – im Interesse der diplomatischen Manöver des Kremls – auch den Gedanken einer proletarischen Führung in Mißkredit gebracht. Der bürgerliche und kleinbürgerliche Nationalismus hat seine Stärke aus diesem Verrat bezogen. Aber als diese Kräfte an der Reihe waren, haben auch sie die Arbeiter und Bauern in die Niederlage geführt. Eine der Folgen ist, daß sich die Massen der Religion zuwenden, um Trost und Anregung für den Kampf zu erhalten. Ideologien, die sich am Beginn des Kapitalismus – angesichts einer emporkommenden Bourgeoisie voller Selbstvertrauen und begleitet von Rationalismus und Säkularismus – auf dem Rückzug befanden, erfahren nun in der reaktionären Epoche des Kapitalismus eine Stärkung.

Religiöse Institutionen spielen im Kampf der Unterdrückten generell eine konterrevolutionäre Rolle. Die meiste Zeit verbreiten sie eine Ideologie der Unterwürfigkeit oder der friedlichen Reform. Aber wenn sie an der Spitze einer Massenrevolte stehen, dann mit dem Ziel, die Massen davon abzuhalten, die kapitalistische Ordnung selbst zu attackieren. Meistens haben sie als führende Kirchenhierarchie agiert, um den Widerstand zu zügeln und die Gehirne der Arbeiter und Bauern zu vernebeln. In gewissen Ländern (z.B. in Zentralamerika) haben Geistliche niedrigen Kirchenranges oder Laienpriester den Bauern und Landarbeitern gelegentlich geholfen, sich in unabhängigen Gewerkschaften zu organisieren, bzw. sie zur Alphabestisierung, politischen Bewußtseinsbildung und Überwindung der Passivität ermuntern. Die reformistischen und klassenversöhnlerischen Anliegen, die dieser Tätigkeit zugrunde lagen, wurden von den Arbeitern und Bauern ihrerseits oft beiseite geschoben; woraufhin sich dieselben Priester und Nonnen gegen die Arbeiter und Arbeiterinnen stellten. Das schließt natürlich nicht aus, daß individuelle Mitglieder des Klerus – umso mehr die Masse der Gläubigen – in den militanten oder sogar revolutionären Kampf involviert werden. Aber die Aufgabe von Marxistinnen und Marxisten ist es trotzdem, sich entschlossen gegen den Einfluß aller religiösen Ideologien zu stellen.

Im Iran hegemonisierte eine solch reaktionäre Ideologie die Mehrheit der Ausgebeuteten und Unterdrückten, sogar zu dem Zeitpunkt, als die Massenbewegung den proimperialistischen Schah stürzte. An die Macht gekommen, wurde der volle reaktionäre Inhalt der religiösen Ideologie deutlich: die Verweigerung demokratischer Rechte, die Verfolgung unabhängiger proletarischer Organisationen und die Unterdrückung der Frauen sind Kernbestandteil halbkolonialer kapitalistischer Staaten, die vom religiösen Dogma durchtränkt sind. Hier müssen Revolutionäre und Revolutionärinnen für den Schutz der proletarischen Demokratie gegen religiöse Kasten und für die Trennung von Kirche und Staat kämpfen.

Die antiimperialistische Einheitsfront

Trotz ihrer Abhängigkeit vom Imperialismus bleibt die halbkoloniale Bourgeoisie eine nationale Klasse, die zu begrenzten Kämpfen gegen den Imperialismus fähig ist. Je mehr der Imperialismus seine Krise offen auf Kosten der herrschenden Klasse der Halbkolonie Löst, desto mehr neigt letztere zu rhetorischem und sogar tatsächlichem Widerstand.

Dies macht die nationale Bourgeoisie oder Teile von ihr keineswegs revolutionär. Aber solange bürgerliche oder kleinbürgerliche Kräfte über einen realen Masseneinfluß im antiimperialistischen Kampf verfügen, ist es notwendig, daß die Arbeiterklasse die Taktik der antiimperialistischen Einheitsfront anwendet. Das betrifft auch taktische Vereinbarungen mit nicht-proletarischen Kräften sowohl auf Führungsebene als auch an der Basis. Solche Absprachen können formale Bündnisse oder Komitees einschließen. Wo dies der Fall ist, sind die grundlegenden Voraussetzungen für die Teilnahme an einem solchen Block, daß die bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Kräfte tatsächlich einen Kampf gegen den Imperialismus oder seine Agenten führen, daß der politischen Unabhängigkeit der revolutionären Organisation innerhalb dieses Blocks keinerlei Beschränkungen auferlegt werden und daß keine bedeutenden Kräfte, die gegen den Imperialismus kämpfen, bürokratisch ausgeschlossen werden. Es ist sogar möglich, diese Einheitsfront im Rahmen von Basisstrukturen einer Massenorganisation mit Volksfrontcharakter, in der sich getrennte Klassenparteien noch nicht herausgebildet haben, zu bilden. Zentral ist dabei, daß diese Einheit auf die Mobilisierung breitester antiimperialistischer Kräfte für genau definierte gemeinsame Kampfziele, wie die Einführung demokratischer Rechte und die Vertreibung der Imperialisten, gerichtet ist.

Während die Kämpfe der halbkolonialen Bourgeoisie darauf abzielen, ihren eigenen Ausbeutungsradius zu erweitern, droht mit dem Eintritt der Arbeiterklasse in den Kampf, die Ausbeutung überhaupt abgeschafft zu werden. Deshalb gibt es nichts konsequent Antiimperialistisches oder Revolutionäres an der halbkolonialen Bourgeoisie, und es sollte für sie kein Dauerplatz in der antiimperialistischen Einheitsfront reserviert werden. Der Zweck der Aktionen der antiimperialistischen Einheitsfront muß die Unterstützung des Proletariats bei der Mobilisierung der Massen sein, so daß diese die – ihnen von ihren traditionellen Führungen und Organisationen auferlegten – Schranken durchbrechen. Deshalb muß das Proletariat die kühnsten Formen der direkten Massenaktion und Massenorganisation, Streikkomitees, Volksversammlungen, Massenveranstaltungen (cabildos) etc., die die Entwicklung von Arbeiter- und Bauernräten, Arbeitermilizen und Soldatenkomitees fördern, vorantreiben.

Das Proletariat darf „linke“ Regimes nie politisch unterstützen oder an deren Unterdrückung demokratischer Rechte mitwirken. Die Avantgarde der Arbeiterklasse soll, solange demokratische Freiheiten existieren und die Mehrheit der Arbeiter und Arbeiterinnen ein solches Regime noch unterstützt, einen bewaffneten Aufstand gegen diese Regierungen unterlassen. Die einzig mögliche Unterstützung für diese Regimes besteht im gemeinsamen militärischen Vorgehen gegen einen reaktionären Putsch oder gegen eine imperialistische Intervention. Trotzkisten und Trotzkistinnen können demzufolge militärische Aktionen bürgerlicher Regierungen gegen den Imperialismus unterstützen. Aber wir werden zu keinem Zeitpunkt von unserem Kampf zum Sturz und zur Ersetzung dieser Regierung durch eine Arbeiter- und Bauernregierung ablassen.

Die Nationalisten und Reformisten wollen die Aktionsfront gegen den Imperialismus immer in einen strategischen Block zur Erreichung der politischen Macht (also in eine Volksfront) verwandeln. Sie versuchen die antiimperialistischen Kräfte in einer Regierungskoalition, die das Überleben des „nationalen Kapitals“ gegen die sozialistische Revolution garantiert, zusammenzufassen. Revolutionäre Kommunistinnen und Kommunisten kämpfen für die Errichtung von Regierungen, die sich auf Räte und Milizen der Arbeiter und Bauern stützen. Nur eine Regierung des Proletariats, im Bündnis mit der armen Bauernschaft, kann die unvollendeten Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution Lösen. Der Klasseninhalt einer solchen Regierung ist im vorhinein festgelegt. Die Losung lautet: Für eine revolutionäre Arbeiter- und Bauernregierung! Eine solche Regierung wird nicht, ja kann nicht die Revolution auf eine eigenständige demokratische Etappe beschränken, denn andernfalls wird sie unter dem Druck der Konterrevolution zusammenbrechen. Diese Perspektive befähigte die Bolschewiki, die radikalisierten Bewegungen des Kleinbürgertums, wie die linken Sozialrevolutionäre und die Volksparteien Zentralasiens, auf ihre Seite zu ziehen. Die Gründung eines strategischen Blocks mit diversen linken Kräften ohne dieses Kampfziel wird nur den Weg zur Diktatur des Proletariats versperren. Der Eintritt in eine Regierung oder Regierungskoalition, die die Aufrechterhaltung des Privateigentums und dessen Armee und Staat zur Grundlage hat, ist die höchste Form des Verrats am Proletariat.

Die Arbeiterklasse und die Guerillastrategie

Trotzkistinnen und Trotzkisten stehen in Opposition zur Strategie des Guerillakrieges, gleichgültig, ob in einer „Focus“- oder „Volkskriegsvariante“. Der kleinbürgerliche Guerillaismus widersetzt sich dem Aufbau einer Arbeiterpartei, von Arbeiterräten und der Organisierung des bolschewistischen Aufstandes. Durch ein klassenübergreifendes Programm will er die proletarischen Interessen dem Kleinbürgertum unterordnen. Der Guerillaismus möchte bürokratische Organisationen durchsetzen und die Entwicklung von Arbeiterräten und unabhängigen, demokratischen Arbeitermilizen umgehen. Sogar dort, wo es ihm gelingt, verfaulte Diktaturen wie in Kuba und Nicaragua zu Fall zu bringen, eröffnet er den Weg für eine bonapartistische Lösung. Egal ob die Siege der Guerilla – ausnahmsweise – bürokratische soziale Umstürze oder – wie meist – militärisch-bonapartistische Regime mit sich brachten: Sie waren immer von der Zerschlagung der unabhängigen Organisationen des Proletariats begleitet.

Hinter ihrer ultralinken Phraseologie und Methode versteckt sich in der Tat ein starkes Mißtrauen in die Arbeiterklasse und eine Neigung zu Abkommen mit Teilen der Bourgeoisie. Diese Politik beinhaltet, daß die politische Führung der städtischen Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum überlassen wird. Insoweit der Guerillaismus eine Massenbasis für seine Aktionen (wie im „Volkskrieg“) sucht, ordnet er die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse dem Kleinbürgertum unter. In diesem Sinne hat der Guerillaismus als Strategie immer die Tendenz, eine bewaffnete Volksfront zu verkörpern.

Der Guerillaismus entwertet den politischen und ökonomischen Kampf zu Gunsten gelegentlicher und oft willkürlicher militärischer Aktionen. Der individuelle Terror, die Zerstörung von Fabriken (Zentren der proletarischen Konzentration) und spektakuläre Militäraktionen sind Methoden, die der Strategie der Arbeiterklasse entgegengesetzt sind. Entgegen dem Marx’schen Postulat, daß die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter selbst sein könne, glaubt der Guerillaismus, daß die Befreiung das Werk außenstehender Retter sein wird. Durch ihre undemokratische und elitäre Haltung gegenüber den Massen, die sie zu vertreten vorgeben, können Guerillaführer diese angesichts überlegener staatlicher Militärkräfte und Wachmannschaften häufig schutzlos zurücklassen. Das Abziehen der furchtlosesten und kämpferischsten Arbeiterinnen und Arbeiter von den Fabriken, den Stadtzentren, den dicht besiedelten ländlichen Gebiet bedeutet, daß den Arbeiter- und Bauernorganisationen ihre Kader und Führer entzogen werden. Wie im Fall von ‚Sendero Luminoso‘ in Peru können Guerilleros auch die Arbeiterorganisationen selbst angreifen .

Für Trotzkistinnen und Trotzkisten ist der Guerilla-Kampf aber eine Taktik, die im antiimperialistischen Kampf angewendet werden kann. Wir lehnen die militärische Einheitsfront mit Guerilla-Armeen nicht ab, weder in der Form von eigenen Bataillonen noch in der Form von kommunistischer Zellenarbeit innerhalb von bürgerlich oder stalinistisch geführten Armeen. Das Ziel dieser militärischen Einheitsfront ist jedoch die Vorbereitung einer weitverzweigten und unabhängigen Bewaffnung der Arbeiterklasse und der armen Bauern. Über diesen Weg kämpfen Kommunistinnen und Kommunisten darum, die Guerilla-Armeen und deren politische Apparate zu zwingen, die Plantagenbesitzungen zu enteignen, die Landbesetzungen zu unterstützen und die Unabhängigkeit der Arbeiter- und Bauernräte und deren Milizen anzuerkennen.

Das bleibt jedoch eine untergeordnete Taktik gegenüber einer Strategie, deren zentrale Vorkämpferin die Arbeiterklasse selbst ist. Das Programm der permanenten Revolution ordnet jede militärische Aktion den politischen Notwendigkeiten unter, die vom vorhandenen Niveau des Klassenkampfes und dem revolutionären Bewußtsein der Arbeiter und der armen Bauern bestimmt werden. Eine breite militärische Aktion der bewaffneten Miliz in Stadt und Land sollte im allgemeinen nur dann unternommen werden, wenn eine Doppelmacht besteht und eine weitreichende Arbeiterkontrolle die Organisierung des Aufstandes zur unmittelbaren Notwendigkeit macht. Wir lehnen alle breiten Militäraktionen mit ausdrücklich nicht-defensivem Charakter kategorisch ab, die die Massen politisch passiv lassen. Unter allen Umständen hat die Arbeiterklasse ihre Unabhängigkeit und ihre Opposition gegenüber dem Guerillaismus zu behaupten. Sie muß alle Aktionen, die ihren Perspektiven entgegengesetzt sind, kritisieren und in extremen Fällen verurteilen.

In den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den kleinbürgerlichen Guerillaarmeen und dem bürgerlichen Staat verteidigen wir sie immer gegen die staatliche Repression. Wir sprechen dem Staat das Recht ab, diejenigen zu verurteilen, die gegen ihn kämpfen. Wir kämpfen für die Anerkennung des Kriegsgefangenenstatus der gefangengenommenen Guerilleros und für deren Befreiung. Wenn Guerilleros Arbeiterorganisationen angreifen, rufen wir zu deren Verteidigung nicht um die Hilfe des kapitalistischen Staates. Wir verlangen, daß die Arbeiterbewegung selbst, in Versammlungen und in den Gewerkschaften, ein Urteil ausspricht, indem die Arbeiter und Bauern eigene Verteidigungskommandos gegen diese Guerilla-Angriffe organisieren. Wir weichen vor der unvermeidlichen militärischen Konfrontation mit den bürgerlichen und stalinistischen Kommandeuren nicht zurück, die das Ergebnis voneinander abweichender Programme des Proletariats und des Kleinbürgertums ist.




Der Kampf gegen soziale Unterdrückung

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 6, Sommer 1989

Alle ausgebeuteten Klassen sehen sich Unterdrückung gegenüber. Die systematische Verweigerung von wirklicher politischer und wirtschaftlicher Gleichheit und persönlicher Freiheit ist sowohl ein Ausdruck als auch eine Verstärkung der Ausbeutungsverhältnisse zwischen der herrschenden Klasse und den direkten Produzenten. Zusätzlich zu dieser Klassenunterdrückung aber gibt es andere systematische wirtschaftliche, soziale, gesetzliche und politische Ungleichheiten, die speziell Frauen, Jugendliche, verschiedene rassistisch unterdrückte und nationale Gruppen sowie Lesben und Schwule betreffen.

Diese spezifischen Formen der sozialen Unterdrückung sind ein grundlegendes Merkmal der Klassengesellschaften und in den sozialen Strukturen der Familie und des Nationalstaates verwurzelt. Die Unterdrückung der Frauen war die erste Form systematischer Unterdrückung und entstand im Zusammenhang mit der Herausbildung von Klassen. Sie bleibt die grundlegendste Form der sozialen Unterdrückung. Aber die jeweiligen Formen der sozialen Unterdrückung wurden mit jeder Produktionsweise verändert. Sie erreichten ihre entwickeltste und in mancher Weise unverhüllteste Form in der imperialistischen Epoche.

Die gesellschaftlichen Strukturen, auf denen die soziale Unterdrückung aufbaut, sind für den Kapitalismus wesentlich. Ihre Funktionen sind innig und untrennbar mit dem Prozeß der Ausbeutung verbunden, aber sie schaffen eine Unterdrückung, die nicht auf die Arbeiterklasse beschränkt ist. Frauen aller Klassen sehen sich Diskriminierung und Benachteiligung gegenüber, und zwar als Resultat der Rolle, die sie innerhalb der Familie ihrer Klasse einnehmen. Aber es sind die Frauen der Arbeiterklasse, und ebenso Jugendliche, Schwarze und Lesben und Schwule aus dem Proletariat, die sich der stärksten sozialen Unterdrückung gegenübersehen.

Die Arbeiterklasse ist die einzige Klasse mit dem entscheidenden Interesse und der Kraft zur Überwindung jenes Systems, das alle diese Formen der Unterdrückung aufrechterhält. Nur unter der Führung der Arbeiterklasse können besonders unterdrückte Sektionen der ausgebeuteten Klassen in den Kampf für die Diktatur des Proletariats gezogen werden, der die Voraussetzung für eine Beendigung aller Unterdrückung ist. Die Arbeiterklasse muß daher jederzeit an der vordersten Front des Kampfes gegen alle Ungleichheiten, gegen Unterdrückung und Ausbeutung stehen.

Dennoch versagen die existierenden Arbeiterorganisationen, den Kampf gegen die soziale Unterdrückung aufzunehmen. Tatsächlich ist es häufig der Fall, daß die reformistischen Bürokraten, die die Arbeiterbewegung beherrschen, aktiv zu feindlicher Haltung unter den Massen gegenüber den Bedürfnissen und der Notlage der Unterdrückten ermutigen. Die Unterdrückten sind in einem solchen Ausmaß Opfer von Sexismus, Rassismus und Heterosexismus, daß ihre Teilnahme in Gewerkschaften und am politischen Leben blockiert wird. Die Aufgabe der revolutionären Avantgarde liegt in der Bekämpfung dieser Vorurteile und darin, die Massenorganisationen der Arbeiterklasse in die Vorderfront des Kampfes gegen Unterdrückung zu bringen.

Die Unterdrückten selbst sind nicht notwendigerweise schon allein deswegen, weil sie die unterdrücktesten Sektionen der Gesellschaft bilden, in der Avantgarde der Kämpfe. Die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung erzeugt nicht nur revolutionäre Kämpfer und Kämpferinnen, sondern auch rückständige und gehorsame Schichten. Vieles ist der Ausdruck reaktionärer Ideen oder des Rückzugs ins Privatleben. Nur die klassenbewußtesten Elemente der Unterdrückten werden in der Avantgarde der Kämpfe für ihre eigene Befreiung zu finden sein. Diese Teilnahme der Avantgarde innerhalb des gesamten Klassenkampfes gibt die Möglichkeit, daß ihre Interessen aktiv von der Arbeiterklasse aufgegriffen werden.

Spezielle Methoden der Agitation und der Propaganda sowie besondere Arbeitsformen müssen verwendet werden, um die sozial Unterdrückten für das kommunistische Programm zu gewinnen. Es können aber auch spezielle Organisationsformen notwendig sein, um die Unterdrückten sowohl dazu zu mobilisieren, ihre eigene Unterdrückung zu bekämpfen, als ihnen auch zu ermöglichen, auf einer gleichberechtigten Basis mit allen anderen Arbeitern und Arbeiterinnen in die Reihen der organisierten Arbeiterbewegung einzutreten. Innerhalb der Bewegung des Proletariats müssen Revolutionäre das Recht der Unterdrückten verteidigen, sich zu organisieren und sich gesondert zusammenzuschließen, um Druck dafür zu erzeugen, daß ihre Forderungen von der ganzen Klasse aufgegriffen werden. Unter bestimmten Bedingungen waren auch eigene Arbeiterorganisationen der Unterdrückten notwendig, um dieses Ziel zu erreichen. Solche speziellen Methoden und Organisationsformen haben nichts mit Separatismus gemeinsam. Sie sind ein Mittel, um die Kampfeinheit in der Arbeiterklasse zu erleichtern und abzusichern, daß die Arbeiterbewegung als ganzes den Kampf der Unterdrückten anführt.

An erster Stelle hat die revolutionäre Partei die Pflicht sicherzustellen, daß sie in ihrer Tagesarbeit und in ihrer internen Organisation gegenüber den Bedürfnissen der Unterdrückten aufgeschlossen ist. Wenn revolutionäre Massenparteien existieren, können für diese daher Parteisektionen oder parteigeführte Bewegungen gebildet werden. Diese Sektionen werden die Unterdrückten für den kommunistischen Kampf als Parteimitglieder organisieren und den Kampf gegen die Unterdrückung in das Herz der Arbeiterbewegung tragen.

Wenn revolutionäre Kommunistinnen und Kommunisten noch eine kleine Minderheit in der Arbeiterbewegung sind, müssen an die Stelle der Bildung von Massensektionen der Partei, die die Ausübung von speziellen Arbeitsformen organisiert, andere Formen der Einheitsfront treten. In vielen Ländern führte die gemeinsame Erfahrung der Unterdrückten zur Entwicklung von Bewegungen und Kampagnen unter Frauen, Lesben und Schwulen, Jugendlichen und rassistisch Unterdrückten. Die Partei kann nicht die Führung dieser Bewegungen den kleinbürgerlichen Utopisten, den Sozialdemokraten oder den Stalinisten überlassen.

Wir unterstützen die Bildung von kämpfenden Einheitsfronten gegen die Unterdrückung und argumentieren, daß sie sich auf das Proletariat stützen, von diesem geführt und auf der Verwendung der Methoden des Klassenkampfes aufbauen müssen. In bestimmten Fällen können diese Einheitsfronten die Form von vollständig entwickelten Bewegungen (mit regionalen Gruppen, Kongressen und Exekutivkomitees etc.) annehmen. Aber in jedem Fall muß die Organisationsform mit den konkreten Umständen in Verbindung gesetzt werden. Wie lange solche Organisationen benötigt werden, hängt vom Grad ab, in dem wir erfolgreich sind, die Arbeiterbewegung als ganzes für unser Programm zu gewinnen. Außerdem werden wir, wenn unsere zeitlich begrenzten Verbündeten den Kampf zu spalten oder auszuverkaufen versuchen, nicht davor zurückschrecken, auch selbst zum Mittel der Spaltung dieser Einheitsfronten zu greifen.

Wir stellen diese Taktik allen Formen der autonomen und klassenkollaborationistischen Bewegungen der Unterdrückten gegenüber. Wo bürgerliche Kräfte in Bewegungen der Unterdrückten involviert sind, versucht die revolutionäre Avantgarde die Arbeiterklasse und andere Unterdrückte von jedem Bündnis mit ihnen wegzubrechen. In der Tat bekämpfen wir durch den Aufbau von proletarischen Bewegungen und durch den schonungslosen Kampf für die kommunistische Führung innerhalb dieser die Tendenzen des Separatismus und der Volksfront, die unter den Unterdrückten auftreten. Unser Ziel ist der Aufbau kommunistischer Bewegungen, obwohl nicht alle an einer solchen Bewegung Teilnehmenden Mitglieder, und damit unter der Disziplin der revolutionär-kommunistischen Partei, sein werden.

Der Kampf gegen Diskriminierung

Andere Sektionen der Gesellschaft sind, auch wenn sie nicht sozial unterdrückt sind, trotzdem im Kapitalismus das Opfer von Diskriminierung. Die Alten, die Behinderten und die Kranken, die nicht die Voraussetzungen des Kapitalismus für die Lohnarbeit erfüllen, werden ausgestoßen und als Belastung für die Gesellschaft behandelt. Bedeutende Teile der Armen werden für Handlungen stigmatisiert und kriminalisiert, die sie nur unternehmen, um zu überleben. Andere werden als geistig krank bezeichnet und von der Gesellschaft ausgeschlossen. Die bürgerliche Gesellschaft nutzt die Marginalisierung dieser Gruppen, um ihr Konzept von „Normalität“ und ihren moralischen Kodex der ganzen Arbeiterklasse aufzuerlegen und ihre Strategie des teile und herrsche fortzusetzen.

Zum Beispiel macht die erzwungene Isolation der Alten sie zu einer Beute des Konservativismus, die Menschen mit Behinderungen aufgezwungenen Beschränkungen erlauben es, sie als nicht gewerkschaftlich organisierte billige Arbeitskräfte zu verwenden. Revolutionärinnen und Revolutionäre müssen den Kampf der Alten, Kranken und Behinderten gegen die Diskriminierung, von der sie betroffen sind, unterstützen. Dies wird ihre Integration in die Arbeiterklasse erleichtern und damit den Kampf gegen den gemeinsamen Feind stärken. Revolutionäre sollen für die Sicherstellung kämpfen, daß die Arbeiterbewegung allen Mitgliedern der Arbeiterklasse den größtmöglichen Zugang zu ihren Organisationen, Treffen und zu ihrem sozialen Leben gewährleistet. Die revolutionäre Partei sollte dabei ein Beispiel für den Rest der Arbeiterbewegung geben.

Revolutionärinnen und Revolutionäre versuchen, die militanten Kämpfer und Kämpferinnen aus den Reihen jener, die von der Diskriminierung betroffen sind, zu gewinnen. Während sie alle Kämpfe für Reformen und Verbesserungen unter dem Kapitalismus unterstützen, versuchen Kommunistinnen und Kommunisten zu erklären, daß das Profitmotiv es dem Kapitalismus unmöglich macht, die Bedürfnisse jener zu erfüllen, die er auf den Müllhaufen wirft. Außerdem schafft sein gieriger Charakter Krankheit und Behinderung. Nur eine sozialisierte und geplante Produktion kann die notwendigen Ressourcen freisetzen, um diese Gruppen vollständig in die Gesellschaft zu integrieren und die Grundlage für ihre Befreiung zu legen.

Frauen

In der imperialistischen Epoche sind Millionen Frauen in der ganzen Welt dazu verurteilt, die Misere des Kinderaufziehens und der Haushaltsführung unter Bedingungen enormer Entbehrungen zu erleiden. Frauen tragen weltweit die Hauptlast unzulänglicher Wohnverhältnisse, ungenügender Lebensmittelversorgung und des Kampfes zur Abwehr bzw. der Bewältigung der Auswirkungen von Krankheiten. Für die Mehrheit von ihnen ist Überausbeutung in der Fabrik und auf den kapitalistischen oder kleinbäuerlichen Landwirtschaftsbetrieben ebenfalls die Norm.

Den Frauen aller Klassen wird die ökonomische, soziale, rechtliche und politische Gleichheit mit den Männern verwehrt. Der globale Charakter der Unterordnung der Frauen läßt diese als natürliche Folge ihrer Rolle in der Fortpflanzung erscheinen. Doch die systematische gesellschaftliche Unterdrückung der Frauen begann erst mit der Geburt der Klassengesellschaft und der Schaffung der patriarchalen Familie als grundlegende Einheit, in der die Reproduktion, das Aufziehen der Kinder und der Kampf um das tagtägliche Überleben stattfinden. In den verschiedenen Formen der Klassengesellschaft veränderten sich zwar auch die speziellen Merkmale der Frauenunterdrückung, doch in ihrem Innersten beinhalteten sie alle die privatisierte Hausarbeit, also einen Lebensbereich, der die wesentlichste oder ausschließliche Verantwortung der Frauen ist.

In der imperialistischen Epoche verrichten Frauen einen großen Anteil der Arbeit am Land und in den Fabriken, doch bleibt ihre erste Verantwortung die gegenüber ihrem Haushalt und ihrer Familie. Das bedeutet, daß die Geschlechter ein ungleiches Verhältnis zur bezahlten Arbeit haben, was die Wurzel der fortgesetzten Frauenunterdrückung darstellt. In vielen Halbkolonien behält die Familie die Funktion einer produktiven Einheit, wobei Frauen und Kinder integraler Bestandteil der kollektiven Produktion sind. Doch noch immer sind Frauen hauptsächlich für Hausarbeit und Kinderaufziehen verantwortlich und nehmen daher eine den männlichen Haushaltsvorständen untergeordnete Position ein.

Der Kapitalismus hat sich als unfähig und unwillig erwiesen, die im Haushalt verrichtete Arbeit systematisch zu vergesellschaften. Er ist daher unfähig, die Unterdrückung der Frauen zu beenden. Die Bereitstellung vergesellschafteter Wäschereien, von Kinderbetreuungseinrichtungen und Kantinen hat sich als zu großer Abfluß vom Mehrwert der Bosse erwiesen, als daß sie es sich außer in der Ausnahmesituation eines Krieges leisten würden.

Für die Frauen, die nicht der Arbeiterklasse angehören, nimmt die Unterdrückung eine stark verschiedene Form an. Sogar in manchen herrschenden Klassen werden den Frauen die vollen Rechte über Eigentum und Erbe verweigert und sie werden von ihren Ehemännern als dekorative Besitztümer und Produzentinnen der Nachkommen gehalten. Auch wenn ihre fortgesetzte Unterdrückung weit von der Plackerei und dem Elend der Arbeiterinnen dieser Welt entfernt ist, ist sie doch ebenso eine Folge ihrer Rolle in der Familie. Die Produktion von Nachkommen bedarf der striktesten Beibehaltung der Monogamie der Ehefrauen. Die Frauen aus der herrschenden Klasse können jedoch viele der schlimmsten Aspekte ihrer Unterdrückung durch die Beschäftigung von Frauen aus der Arbeiterklasse ausgleichen, die deren Hausarbeit und das Aufziehen von deren Kindern verrichten. Außerdem können sie niemals wirkliche Verbündete der Frauen aus der Arbeiterklasse sein, da ihr Platz in der bürgerlichen Gesellschaft ihre vollständige Bindung an eben jene Gesellschaft bedeutet, die die materielle Grundlage der Frauenunterdrückung ist.

In den imperialistischen Ländern erhöhte sich seit dem Zweiten Weltkrieg die Zahl der Frauen, die in einem Lohnarbeitsverhältnis stehen, beträchtlich. In vielen Ländern geht nun die Mehrheit der verheirateten Frauen einer bezahlten Beschäftigung nach. Während diese Entwicklung Tendenzen in Richtung der Unterminierung der wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeit der Frauen in sich trägt, erwiesen sich die Umstände, unter denen dies geschah, als zweischneidig. Nun müssen sie in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit sowohl die Arbeit in Büro oder Fabrik als auch die Hausarbeit verrichten. Da es nur einen kleinen Anstieg im Ausmaß der Hausarbeit, die von den Männer verrichtet wird, gab, müssen Frauen nun sogar mehr Stunden für die Errungenschaft, nun selbst lohnabhängig zu sein, arbeiten. Und da Frauen noch immer wesentlich geringere Löhne als Männer erhalten, bleibt auch ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit weitgehend eine Fiktion. In den meisten imperialistischen Ländern verstärken gesetzliche Beschränkungen die anhaltende Abhängigkeit der Frauen von ihren Ehemännern oder Vätern.

Zusätzlich zu ihrer Rolle im Bereich der Reproduktion der Arbeitskraft hat die Familie auch eine wesentliche Funktion bei der Erhaltung der sozialen Ordnung der kapitalistischen Gesellschaft. Die Familie handelt als Verstärkerin der vorherrschenden Ideen der herrschenden Klasse, indem sie die jeweiligen Rollen der Männer, Frauen und Kinder erhält sowie Gehorsam und Unterwürfigkeit einprägt. Sogar dann, wenn die Kernfamilie wie in vielen imperialistischen Ländern aufgehört hat, die häufigste Form des Haushalts zu sein, liegt ihre Stärke immer noch darin, als „Ideal“ jeden Aspekt des Lebens der Frauen zu beeinflussen. Angefangen von der Art der Ausbildung der Mädchen über die von Frauen ausgeübten Berufe bis zu den von ihnen angestrebten Beziehungen – all dem drückt die „Norm“ der bürgerlichen Familie ihren Stempel auf. Diese Familie baut auf Monogamie und Heterosexualität auf und übt einen starken Anpassungsdruck auf Frauen und Mädchen aus. Die Rollen von Frauen und Männern in der Familie beschränken die Entwicklung beider Geschlechter, doch haben sie besonders repressive Auswirkungen auf Frauen.

Die Familie führt zu einer Spaltung in der Arbeiterklasse, die durch die Ideologie des Sexismus erhalten wird. In der Arbeiterbewegung ist das nicht nur eine Frage von rückständigen Ideen über die Rolle von Frauen, sondern schließt ein, daß beim Ausschluß von Frauen aus vielen Gewerkschaften mitgewirkt oder dieser entschuldigt wird. Dieser Sexismus führt zu einem Versagen im Kampf für gleichen Lohn und zu einer Weigerung, Frauen im Kampf zu unterstützen. Obwohl die Frauenunterdrückung nicht durch die Einstellung männlicher Arbeiter verursacht wird, wird sie beständig durch ihren Sexismus befestigt. Dies zeigt sich oft in brutalster Form durch häusliche Gewalt und Mißbrauch.

Die männlichen Arbeiter genießen in Folge der Frauenunterdrückung wirkliche Vorteile. Sie haben einen höheren Status im Haushalt und im gesellschaftlichen Leben. Sie sichern sich bessere Jobs und Löhne und tragen eine geringere Last bei der Hausarbeit. Diese Privilegien helfen mit, sexistische Vorstellungen und Verhaltensweisen in der Arbeiterklasse zu bestärken. Jedoch werden die Männer der Arbeiterklasse bei weitem wichtigere Errungenschaften von der endgültigen Befreiung der Frauen erhalten – die kollektive Verantwortung für Wohlfahrt, Freiheit in den Beziehungen, sexuelle Befreiung und die wirtschaftlichen Errungenschaften des Sozialismus. All dies bedeutet, daß – historisch betrachtet – die Männer der Arbeiterklasse keinen entscheidenden Nutzen aus der Frauenunterdrückung ziehen, sondern bei der Verwirklichung ihrer grundlegenden Klasseninteressen behindert werden. Denn es ist die herrschende Klasse, unterstützt von ihren Agenten in der Arbeiterbürokratie, die aus der zwischen Männern und Frauen geschaffenen Spaltung ihren Nutzen zieht.

Der Kampf gegen Frauenunterdrückung in den Halbkolonien

Von frühester Kindheit an sind proletarische Frauen gezwungen, für erbärmliche Löhne zu arbeiten, und müssen nach einem extrem langen Arbeitstag die Hausarbeit erledigen oder noch zusätzliche Arbeit auf sich nehmen, um ein Auskommen für die Familie zu gewährleisten. Nicht besser ergeht es armen Bäuerinnen, die oft zusätzlich zur Hausarbeit das Land bearbeiten müssen, da ihre Männer gezwungen sind, in den Städten zu arbeiten. Armut, miserable Arbeitsbedingungen und Arbeitslosigkeit zwingen viele Frauen in die Prostitution.

Der Imperialismus untergrub zwar die ökonomische Grundlage für traditionelle, patriarchale Systeme in diesen Ländern, doch blieben alte Formen der Frauenunterdrückung, wie Mitgift, Brautpreis, Klitorisbeschneidung und Polygamie, erhalten. Die Witwenverbrennung in Indien ist ein brutales Bespiel dafür. Unter den Frauen in den Halbkolonien ist der Analphabetismus noch größer als unter den Männern. Trotz medizinischer Fortschritte hat die Masse der Frauen in den Halbkolonien keine Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit. In Afrika und Asien sterben jedes Jahr eine halbe Million Kinder bei der Geburt. Nur eine sehr dünne gesellschaftliche Oberschicht kann Nutzen aus den Vorteilen des Kapitalismus, wie z.B. Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, ziehen.

Unter diesen Bedingungen ist es kein Wunder, daß tausende Frauen an den antiimperialistischen Kämpfen in Vietnam, Nikaragua, Palästina und auf den Philippinen teilgenommen haben und einen hohen Preis, oft sogar mit ihrem Leben, bezahlen mußten. Doch ihre Interessen wurden immer verraten. Die kleinbürgerlichen und stalinistischen Bewegungen haben sich bei der Durchführung der Frauenbefreiung als völlig unfähig erwiesen. Die „Volksdemokratische Partei Afghanistans“ war zum Beispiel bereit, die Kampagne gegen den Analphabetismus unter den Frauen zu stoppen, um mit den islamischen Stammesfürsten zu einem Kompromiß zu kommen.

Gegen solchen Verrat setzen wir den Kampf für die Frauenbefreiung als untrennbaren Bestandteil der proletarisch-revolutionären Strategie. Proletarische und bäuerliche Frauen müssen um ökonomische Forderungen ebenso organisiert werden wie für Schutzmaßnahmen gegen Vergewaltigung, erzwungene Sterilisierung, Frauenhandel und für eine zwangsweise Beschränkung des Sextourismus.

Auch wenn Frauen aus den Halbkolonien dieser Misere entkommen, werden Millionen Immigrantinnen und Wanderarbeiterinnen in das Arbeitskräftepotential der imperialistischen Kernländer hineingezogen. Dort erfüllen sie die niedrigsten Aufgaben für sehr geringen Lohn und unter miserablen Arbeitsbedingungen.

Einwanderungskontrollen und Beschränkungen für Visa und Arbeitsbewilligungen stellen eine andauernde Bedrohung für Wanderarbeiterinnen dar. Insbesondere wird ihnen der Zugang zu vielen Arbeiten verwehrt, und sie werden so in Arbeitsbedingungen hineingezwungen, die sie von den anderen Arbeiterinnen und Arbeitern, den Gewerkschaften, ja der Arbeiterbewegung überhaupt isolieren. Sie werden oft für häusliche Dienste bei reichen Familien eingestellt, wo sie unorganisiert bleiben und stark ausgebeutet werden. Oft haben sie keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung oder auf Schutz vor willkürlichen Entlassungen. Außerdem werden ihnen politische Rechte und Sozialleistungen verwehrt. In allen Ländern fordern wir das Recht der häuslichen Angestellten und Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter auf gewerkschaftliche Organisierung, einen Achtstundentag, einen Leben ermöglichenden Mindestlohn und das Recht auf Sozialleistungen. Von der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung fordern wir, daß sie spezielle Maßnahmen zur Organisierung dieses Teils der Arbeiterklasse setzt.

Für eine proletarische Frauenbewegung!

Um die Frauenunterdrückung zu beenden, muß die grundlegende Trennung der Hausarbeit von der Gesamtheit der gesellschaftlichen Produktion abgeschafft werden. Nur wenn Frauen voll und gleich in die Produktion einbezogen sind und die Hausarbeit in einer sozialistischen Planwirtschaft kollektiv organisiert ist, können Frauen von Unterdrückung frei sein. Allein das sozialistische Programm garantiert die Vergesellschaftung der Hausarbeit und der Kindererziehung. Doch können wir sogar unter dem Kapitalismus diesem Ziel näher kommen, indem wir für das Recht der Frauen auf Lohnarbeit kämpfen. Wo die Bosse behaupten, daß es keine Arbeit für Frauen gibt, argumentieren wir für eine gleitende Skala der Arbeitsstunden, also eine Aufteilung der vorhandenen Arbeit ohne Lohnverlust. Die Teilzeitarbeit für Frauen wird von den Bossen verwendet, die Ausbeutung von Arbeiterinnen durch niedrigen Lohn und mangelnde Arbeitsplatzsicherheit zu erhöhen, während diese Frauen ein flexibles Arbeitskräftepotential darstellen. Wir fordern volle Arbeitsplatzsicherheit für Teilzeitarbeit, verbunden mit einem Kampf für die Verringerung der Arbeitszeit für alle Arbeiterinnen und Arbeiter ohne Lohnverlust. Wir fordern die Bereitstellung vergesellschafteter Betreuung von Kindern und anderen Abhängigen, um Frauen die gleiche Teilnahme mit den Männern an der gesellschaftlichen Produktion zu ermöglichen.

Sogar dort, wo Frauen in großem Ausmaß in die Lohnarbeit hineingezogen worden sind, wurden sie nicht ökonomisch unabhängig. Es muß ihnen gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit garantiert werden, um sie vor der gegenwärtig erlittenen Überausbeutung zu schützen. Dies ist im Interesse der gesamten Arbeiterklasse. Denn weit entfernt davon, einen Schutz für die Löhne der Männer darzustellen, wie es viele reformistische Gewerkschaftsführer behauptet haben, haben die niedrigen Löhne der Frauen eine Tendenz zur Untergrabung der Lohnraten der Männer und damit auch des Lebensstandards der gesamten Klasse. Für einen gleichen Mindestlohn für Männer und Frauen, dessen Höhe durch die Arbeiterklasse bestimmt wird. Das Einkommen der Frauen muß daher durch eine gleitende Lohnskala, durch die steigende Preise an steigende Löhne gekoppelt sind, geschützt werden. Die Frauen der Arbeiterklasse werden in den Komitees zur Festsetzung der Preissteigerungen und der Lohnforderungen wesentliche Teilnehmerinnen sein. Für die Frauen in den Halbkolonien gibt es ein zusätzliches dringendes Bedürfnis nach gleichen Rechten auf Landbesitz und -eigentum.

Die Ungleichheit, die Frauen und Mädchen in Erziehung und Ausbildung erfahren, verunmöglicht es ihnen, dieselben Arbeiten wie Männer zu bekommen. Frauen müssen aber durch Aus- und Weiterbildung gleiche Möglichkeiten erhalten – von den Bossen bezahlt und unter der Kontrolle der Gewerkschaften, der Arbeiterinnen und Lehrlinge. Mädchen müssen gleichen Zugang zur Bildung haben, und in Ländern mit weitverbreitetem weiblichen Analphabetismus müssen Alphabetisierungsprogramme für Frauen eingerichtet werden.

Da Frauen noch immer die Hauptverantwortung in der Kindererziehung tragen, ist eine kostenlose Kinderbetreuung für alle unter der Kontrolle der Arbeiterinnen und Gewerkschaften und voller Lohn für die Karenzzeit notwendig, damit Frauen die gleiche Möglichkeit haben, Lohnarbeit anzunehmen. Weiters sollte eine Karenzierung auch für Väter möglich sein. Wir fordern, daß der Staat volles Arbeitslosengeld in einer Höhe, die von der jeweiligen nationalen Arbeiterbewegung bestimmt wird, all den Frauen bezahlt, denen es aufgrund der Unfähigkeit des Kapitalismus, soziale Unterstützung für abhängige Kinder und andere Verwandte zu leisten, nicht möglich ist, eine entlohnte Arbeit anzunehmen. Diese Forderung muß mit dem Kampf der Arbeiterklasse für soziale Einrichtungen, die es Frauen mit Kindern, kranken oder behinderten Verwandten ermöglichen zu arbeiten, verbunden werden. Wir treten für die kollektive Bereitstellung von Wäschereien und Restaurants ein, subventioniert vom Staat und unter Arbeiterkontrolle.

Die reproduktive Rolle der Frauen bedeutet auch, daß es verschiedene Arten von Arbeit gibt, die ihre Gesundheit oder die ihrer Kinder gefährden. Um dadurch entstehenden Schaden zu verhindern, müssen Schutzbestimmungen eingeführt werden. Wo diese vom bürgerlichen Staat gewährt wurden, geschah das einerseits aufgrund des Drucks der Arbeiterklasse, andererseits aufgrund der Einsicht von Teilen der herrschenden Klasse, daß die ungezügelte Ausbeutung zwar kurzfristigen Profitinteressen dient, aber langfristig die Reproduktion der Arbeiterklasse – und somit die Basis der Profitwirtschaft selbst – gefährdet. Zusätzlich erkannten die großen Kapitalisten, daß diese Gesetze mithelfen, kleinere Konkurrenten aus dem Geschäft zu werfen. Die Arbeiterklasse muß jedoch die Einhaltung der Schutzgesetze überwachen, da sonst die Bosse das Proletariat betrügen und immer wieder Wege finden werden, die Gesetze zu umgehen, um die Ausbeutung der Frauen zu maximieren. Die Arbeiteraristokratie und die Gewerkschaftsführer haben die Idee einer Schutzgesetzgebung dazu verwendet, Frauen aus bestimmten qualifizierten Berufen auszuschließen, um die Standesinteressen in ihrem Bereich zu schützen. Frauen dürfen aus keinem Beruf oder Gewerbe ausgeschlossen werden. Arbeiterinnenkomitees, nicht die Gewerkschaftsbürokraten, müssen entscheiden, welche Aufgaben eines jeweiligen Berufs den Frauen schaden könnten.

Den Frauen wird die Kontrolle über ihre eigenen Körper systematisch verwehrt. Sie werden gezwungen, ungewollte Kinder zu gebären, oder gehindert, Kinder auf die Welt zu bringen, die sie wollen. Weiters werden Frauen zu arrangierten Eheschließungen gezwungen und an Scheidungen gehindert. Kurz gesagt: Den Frauen wird die Kontrolle über ihre eigene Fruchtbarkeit verweigert. Die Frauen müssen wählen können, ob sie ein Kind gebären oder nicht, um gleichberechtigt mit den Männern in der Produktion, am sozialen und politischen Leben teilnehmen zu können. Die Bereitstellung von kostenloser Verhütung und Abtreibung für alle Frauen auf Wunsch ist unbedingt notwendig. In weiten Teilen der halbkolonialen Welt erleiden Frauen Unterdrückung, die das Ergebnis vorkapitalistischer Produktionsweisen und der Präsenz religiöser Ideologien ist. Wir sind gegen die Zwangsbeschneidung von Frauen, die ein Teil dieser Unterdrückung ist. Die Halbkolonien leiden auch unter dem Druck des Imperialismus, ihr sogenanntes „Bevölkerungsproblem“ auf Kosten der Rechte der Frauen zu lösen. Keine Frau darf zwangssterilisiert werden. Frauen werden von der Teilnahme am sozialen Leben durch rechtliche, soziale und religiöse Normen ausgeschlossen und werden oft psychisch und physisch mißbraucht. Zwangsheirat, Verkauf und Handel mit Frauen müssen gesetzlich verboten und diese Gesetze von der Arbeiterklasse durchgesetzt werden. Die vollen gesetzlichen Rechte und Sozialleistungen müssen für alle Frauen unabhängig von Alter und Familienstand zugänglich sein. Nieder mit dem Schleierzwang für Frauen und ihrem Ausschluß von jedem Teil des öffentlichen Lebens.

Die Frauen können nur befreit werden, wenn diese Forderungen für ihre unmittelbaren Interessen einen Teil des Programms für die proletarische Machtergreifung bilden. In den vereinten Kampf der Arbeiter für dieses Ziel können die proletarischen und bäuerlichen Frauen durch den Kampf für unmittelbare Ziele und Übergangsforderungen gezogen werden. Wenn die Frauen für diesen vereinten proletarischen Kampf nicht gewonnen werden, können sie ein passiver oder gar rückständiger Teil der Klasse bleiben, der für den Einfluß bürgerlicher Propaganda, im besonderen der Religion, offen ist. Werden Frauen jedoch für diese Aktionen gewonnen, können sie die männlichen Arbeiter von der sexistischen Ideologie, die die Arbeiterbewegung spaltet und schwächt, wegbrechen und gleichzeitig wirkliche Errungenschaften für sich auf dem Weg zu den Zielen der sozialistischen Revolution und der Frauenbefreiung sichern.

Die Frauen müssen für die Gewerkschaften gewonnen und dort organisiert werden, um ihren Forderungen gegenüber den Gewerkschaftsführern Nachdruck zu verleihen. In Industrien, wo Frauen mit Männern zusammenarbeiten, lehnen wir die Forderung nach einer eigenen Frauengewerkschaft ab, selbst wenn der Sexismus der Gewerkschaftsbürokraten die Teilnahme von Frauen sehr schwer macht. Der Kampf für die Vereinigung von Arbeiterinnen und Arbeitern muß geführt werden, während wir das Recht der Frauen auf gesonderte Treffen, auf Organisierung in den Gewerkschaften und auf allen Ebenen der Arbeiterbewegung verteidigen. Wir müssen fordern, daß die Gewerkschaftsführer Kampagnen für die Rekrutierung von Frauen (unter Einschluß der Teilzeitarbeiterinnen, die die vollen Mitgliedsrechte erhalten und reduzierte Mitgliedsbeiträge zahlen sollten) finanzieren und unterstützen.

Wir anerkennen, daß das Erbe der kapitalistischen Rolle der Frauen als die hauptsächlichen Pflegerinnen und Kindererzieherinnen bedeutet, daß viele Frauen durch die Organisierung der Versorgung in Zeiten scharfer Klassenkämpfe und revolutionärer Krisen in die Auseinandersetzung gezogen werden. Aber die revolutionäre Partei muß für spezielle Maßnahmen agitieren, die sicherstellen, daß Frauen eine vollwertige Rolle in allen Bereichen des Kampfes spielen und von keiner Art der politischen Betätigung wegen ihrer Versorgungsrolle zurückgehalten werden.

Eine proletarische Frauenbewegung ist von zentraler Bedeutung, wenn die Frauen eine positive und wesentliche Rolle im revolutionären Kampf spielen sollen. Sie muß außerdem von Revolutionärinnen geführt werden, die mit einem Programm für die proletarische Diktatur bewaffnet sind. Eine Bewegung, die breite Arbeiterinnenschichten umfaßt, ist ein unentbehrliches Mittel zur Organisierung jener Frauen, die von der Produktion ausgeschlossen sind, das heißt der Hausfrauen, der arbeitslosen und behinderten Frauen. Eine solche Bewegung, die auf den Frauen aufgebaut ist, die in Fabriken, in Büros, in der Landwirtschaft, in den Gemeinden und in den Gewerkschaften organisiert sind, kann gleichzeitig für die Interessen der Frauen, gegen die Vorurteile männlicher Arbeiter und für den revolutionären Sturz des Kapitalismus kämpfen. In entscheidenden Schlachten des Klassenkampfes organisieren sich Frauen oft in eigenen Komitees und Gruppen. Welche Form diese Frauenorganisationen anfänglich auch annehmen: Revolutionäre müssen für ihre Umwandlung in eine proletarische Bewegung eintreten, die die Frauen aller Schichten der Arbeiterinnen, der armen Bauernschaft und der unterdrückten Teile des Kleinbürgertums in die Bewegung hineinzieht.

In der gegenwärtigen Periode, wo Revolutionäre nicht die Führung der großen Masse der Arbeiterinnen stellen, stellt sich dennoch die Aufgabe eine solche Bewegung zu organisieren. Wir fordern von den sozialdemokratischen und stalinistischen Führerinnen und Führern des Proletariats, daß sie die Mittel und die Unterstützung für den Aufbau solch einer Bewegung zu Verfügung stellen. Auf diese Art können wir in eine Einheitsfront mit den militantesten Teilen der proletarischen Frauen eintreten und versuchen, diese durch gemeinsame Aktionen und kommunistische Propaganda von ihren falschen Führern loszureißen und schließlich zu gewinnen.

Die Frauen aus anderen Klassen, vor allem die Bäuerinnen, aber auch die städtischen Kleinbürgerinnen besonders der imperialisierten Länder, werden unter der Führung der proletarischen Frauen in diesen Kampf gezogen werden. Der feministischen Linie einer klassenübergreifenden Bewegung zu folgen, würde die Preisgabe der Interessen der Arbeiterinnen bedeuten. Ein zeitweiliges Bündnis mit Teilen der bürgerlichen Frauenbewegung ist nur in einigen halbkolonialen Ländern möglich. Aber dazu müssen diese Bewegungen für zumindest bürgerlich-demokratische Rechte kämpfen und mobilisieren (z.B. der Kampf der Kongreß-Partei in Indien gegen die Witwenverbrennung). Weiters muß für eine Einheitsfront die Propaganda- und Organisationsfreiheit aller zum Kampf bereiten Tendenzen gegeben sein. Es darf keine Beschränkungen für Trotzkisten und Trotzkistinnen in ihrer revolutionären Arbeit geben.

Wir lehnen die Vorstellung einer „autonomen“ Frauenbewegung ab, da diese die Möglichkeit einer Gewinnung der Frauenbewegung für das revolutionäre Programm ausschließt und die Intervention kommunistischer Frauen als disziplinierte Mitglieder ihrer Organisation zu verhindern sucht. Kommunistinnen versuchen die Mehrheit der proletarischen Frauenbewegung dafür zu gewinnen, das revolutionäre Programm zu unterstützen und Kommunistinnen in ihre Führung zu wählen.

Die Losung der „Autonomie“ beinhaltet auch den Ausschluß der Männer von den Organisationen (und oft auch den Veranstaltungen) der Frauen. Die proletarischen Frauen können weder den Kapitalismus zerstören, noch ihre eigene Unterdrückung beenden, ohne sich im Kampf mit dem Rest ihrer Klasse, den Männern, zu vereinen. Der Ausschluß der Männer von den Aktivitäten einer Frauenbewegung erzeugt eine unnötige Barriere auf dem Weg des Kampfes gegen den Sexismus, der auch die Erziehung der Arbeiter im Prozeß des gemeinsamen Kampfes mit den Frauen beinhalten muß.

Kinder und Jugendliche

Die Söhne und Töchter der Arbeiter und Bauern erfahren die schärfsten Formen der kapitalistischen Ausbeutung und des Mißbrauchs. Den Jugendlichen werden die elementarsten Rechte auf Unabhängigkeit verwehrt. Die Jugendlichen haben keine gesetzlich garantierten Rechte, über ihre Löhne zu verfügen, keinen unabhängigen Zugang zu staatlichen Unterstützungen und de facto kein Recht zu wählen, wo und wie sie ihr Leben leben wollen. Trotzdem werden Jugendlich für reif genug gehalten, in die bewaffneten Streitkräfte zwangseingezogen zu werden, um dort zu Millionen für die militärische Verteidigung der bürgerlichen Ordnung geopfert zu werden.

Die soziale Struktur, die die Unterdrückung der Jugend erzeugt und aufrechterhält, ist die Familie. Diese Unterordnung ist wie bei der Unterdrückung der Frauen kein Kennzeichen des menschlichen Lebens schlechthin, sondern ein Produkt der Klassengesellschaft. In den einzelnen Familien werden die Kinder und Jugendlichen aufgezogen und grundlegende Kenntnisse erlernt. Zusätzlich dient sie dazu, den Jugendlichen jene Regeln einzuimpfen, mit denen sie sich im Erwachsenenalter halten sollen. Die proletarischen Kinder werden aufgezogen, um gehorsame Arbeiter zu sein. Die männlichen Kinder der Bourgeoisie werden gelehrt, erfolgreiche Industriekapitäne und Generäle der Streitkräfte zu sein, und die Mädchen dazu herangezogen, gehorsame Hausfrauen oder Produzentinnen zukünftiger Erben zu sein.

Die Jugendlichen der Arbeiterklasse und der armen Bauernschaft sind der schärfsten Unterdrückung ausgesetzt: Die Unterdrückung in der Familie geht mit der Überausbeutung in der Produktion und einem geringen Bildungsniveau einher. Diese Jugendlichen sind das Rückgrat der Billiglohnindustrien. Das spiegelt die Lage der Jugend in der Familie wider: Bei ihren Löhnen ist generell die Zugehörigkeit zu einer größeren ökonomischen Einheit vorausgesetzt. Das verstärkt umgekehrt die Abhängigkeit der Jugendlichen von den Eltern. Die proletarischen Jugendlichen an den Schulen und anderen Bildungseinrichtungen erhalten wenig oder kein Einkommen, eine qualitativ schlechte Ausbildung und eine Erziehung, die bestimmt ist, den Interessen der Bourgeoisie zu dienen.

In ihrer extremsten Form ist die Stellung der Jugend- und Kinderarbeit eine Form der Sklaverei, bei der alle Löhne an das Familienoberhaupt, normalerweise den Vater, bezahlt werden. Wo die Kinderarbeit üblich ist, wie in vielen Halbkolonien, kümmern sich die Bosse überhaupt nicht um das Wohl der heranwachsenden Kinder, sondern treiben sie in Krankheit und frühen Tod. Die Armut der Eltern ist so drückend, daß sie keine Alternative dazu sehen, ihre Kinder in die Hölle der Überausbeutung zu schicken. Die Gesetze zum Schutz der Kinder werden sowohl von den Unternehmern als auch von den Eltern ignoriert. Das bestätigt die Marx’sche Erkenntnis, daß das Recht in einer Gesellschaft niemals höher als ihre ökonomische Basis sein kann.

Eine andere Konsequenz dieser wirtschaftlichen und rechtlichen Abhängigkeit ist die Unterdrückung des Sexuallebens der jungen Menschen. In der Klassengesellschaft ist das ein notwendiger Ausgangspunkt, um den Jugendlichen Konformität und Unterordnung einzuimpfen. Den Kindern wird die Bildung eines rationalen Verständnisses ihrer sexuellen Gefühle bzw. deren Verbindung mit sozialer Verantwortung nicht gestattet. Der kindlichen Sexualität wird jeder freie Ausdruck verwehrt; selbst jene Gefühle werden unterdrückt, die mit der heterosexuellen Norm, die die bürgerliche Gesellschaft vorschreibt, nicht widersprechen. Statt dessen werden die jungen Leute moralischen und religiösen Tabus unterworfen, die zur Vernebelung ihres Bewußtseins mit irrationalen Ängsten dienen. Das ganze Seelenleben des Kindes wird dazu gezwungen, sich um seine Eltern zu konzentrieren und an diese zu binden. Dadurch werden die bürgerlichen Vorstellungen des Individuums und der Privatheit gegen jedes kooperative und kollektive Ideal anerzogen.

Um die Jugendlichen von ihrer ökonomischen, sozialen, rechtlichen und sexuellen Unterordnung zu befreien, bedarf es der Umwälzung der Gesellschaft, um sicherzustellen, daß der individuelle Familienhaushalt nicht länger der ausschließliche Ort zur Durchführung der Hausarbeit und der Kindererziehung bleibt. Dies würde es zugleich mit der Herausbildung der Bedingungen für die Frauenbefreiung auch den Jugendlichen ermöglichen, unabhängig von ihren Eltern zu sein, mit soviel oder sowenig Kontakt zu ihnen, wie sie wollen, aber mit von der Gesellschaft bereitgestellter Wohnung, Reinigungsdienst, Nahrung, Kleidung, Freizeiteinrichtung und Kinderbetreuung für alle.

Wirtschaftliche Unabhängigkeit, angemessene Ausbildung und Freiheit von Überausbeutung sind Schlüsselforderungen für die Jugend. Für all jene in Lohnarbeitsverhältnissen muß gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit unter Arbeiterkontrolle erreicht werden, um die gewaltigen Lohndifferenzen zwischen jugendlichen und erwachsenen Arbeitern zu überwinden. Jugendliche, die erstmals ins Erwerbsleben eintreten, sollten nur eine verringerte Stundenzahl arbeiten und das Recht auf längeren Urlaub als erwachsene Arbeiter haben. Bis zum Ende der Schulpflicht müssen für Jugendliche und Kinder die Arbeitsstunden streng begrenzt und die Arbeitsbedingungen durch die Arbeiterklasse und Komitees von jugendlichen Arbeitern überwacht werden. Schutzgesetze sind notwendig, die Nachtarbeit, lange Arbeitszeit und andere Tätigkeiten, die für die Entwicklung und Gesundheit der Jugendlichen schädlich sein könnten, verbieten. Diese müssen von den Arbeitern und Jugendlichen kontrolliert werden.

Erziehung und Ausbildung der Jugend ist eine Sache der ganzen Arbeiterklasse. Die Bosse müssen gezwungen werden, Ganztagsschulen und finanzielle Unterstützung, zuerst für die Familien und dann für die Schüler selbst, bereitzustellen. Bildung muß kostenlos sein, alle Ausgaben sollen vom Staat bezahlt werden. Es sollte eine allen zugängliche Gesamtschule sein, die bis zu einem von der Arbeiterbewegung festgesetzten Alter verpflichtend zu besuchen ist. Wir kämpfen für die Abschaffung von Tests und Prüfungen, die zur Aufnahmebeschränkung in den Bildungsinstitutionen geschaffen wurden. Allen, die nach dem schulpflichtigen Alter in Ausbildung stehen, muß ein ausreichendes Stipendium in einer Höhe, die von Komitees der Studenten, Arbeiter und Lehrer festgesetzt und gegen die Inflation geschützt ist, gezahlt werden.

Bildung muß für Mädchen und Buben gleichermaßen zugänglich sein, und die Arbeiterbewegung muß für die Integration der schulischen Ausbildung (Koedukation) der Buben und Mädchen kämpfen. Diese muß weltlich sein – keine religiöse Propaganda in Schulen, keine staatlichen Mittel für religiöse Schulen! Wir kämpfen gegen bürgerliche Vorurteile in den Lehrplänen, für Unterricht über die Geschichte der Arbeiterbewegung und das Wesen der kapitalistischen Ausbeutung. In den Schulen und anderen Bildungsstätten kämpfen wir für die Integration von Schulbildung und Erfahrung in der Produktion, und zwar mit dem Ziel, die Trennung von Hand- und Kopfarbeit – ein Kennzeichen bürgerlicher Erziehung – zu überwinden. Gleichzeitig muß die Arbeiterbewegung dagegen kämpfen, daß die Kapitalisten Studenten und Lehrlinge als billige Arbeitskräfte verwenden. Wir kämpfen für angemessene kulturelle und sportliche Ausstattung und für eine freie Diskussion über sexuelle, soziale und politische Fragen an den Schulen. Wir fordern die Ausbildung der Jugendlichen im Gebrauch von Waffen, wobei wir jedoch jede Anwesenheit der Polizei oder der Armee an den Schulen, Fachschulen und Universitäten ablehnen.

Wir kämpfen dafür, alle Erziehungsmittel unter die Kontrolle der Arbeiterklasse, der Studenten und Schüler zu stellen. Während wir gegen private Ausbildungsinstitutionen und für die Nationalisierung der Universitäten kämpfen, kämpfen wir für die Unabhängigkeit der Erziehungsinstitutionen vom kapitalistischen Staat. Die Führung der Ausbildungsinstitutionen muß unter die direkte Kontrolle der dortigen Arbeiter, Studenten und Lehrer und der Vertreter der Arbeiterbewegung gestellt werden. Diese müssen auf Massenversammlungen aller Beteiligten nach dem Prinzip „eine Person, eine Stimme“ gewählt werden. Wir treten für das Recht der Schüler und Studenten ein, Gewerkschaften und politische Organisationen zu bilden, und für das Zutrittsrecht von Arbeitervertretern zu Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Vertreibt die Faschisten von den Schulen, Fachschulen und Universitäten! Die Kontrollorgane der Arbeiter, Studenten und Schüler müssen für das Recht kämpfen, ein Veto gegen die Ernennung reaktionärer Lehrer aussprechen zu können.

Die Studenten und Studentinnen als ganzes sind nicht automatisch natürliche Verbündete der Arbeiterklasse. Viele Studenten kommen aus den höheren und mittleren Klassen. Studenten, die nicht arbeiten müssen, sind in einer privilegierten Position, da sie nicht dem Tagesablauf der Arbeiterklasse unterworfen sind. Weiters haben viele Studenten und Studentinnen aufgrund ihrer Ausbildung Privilegien. Trotzdem können und müssen viele Studenten – zukünftige Wissenschafter, Techniker, Rechtsanwälte und Künstler – auf die Seite der revolutionären Arbeiterbewegung gewonnen werden und sie dadurch stärken. Seit der Zeit von Marx und Engels wurden die besten Elemente der Intelligenz jeder Generation für die Sache des Proletariats gewonnen. Die Massenkämpfe der Studenten und Studentinnen zeigen – in den degenerierten Arbeiterstaaten ebenso wie in den kapitalistischen Ländern -, daß die Studenten und Studentinnen im Kampf für den Sozialismus, Schulter an Schulter mit der proletarischen Avantgarde, eine wichtige Rolle spielen.

Wir kämpfen daher für die Einheit der Arbeiter und Studenten, ausgedrückt in permanenten Verbindungen zwischen der Arbeiterbewegung und den Studentenorganisationen. Dadurch können Studenten und Studentinnen auf die Seite der Arbeiterklasse gewonnen werden. Der Enthusiasmus und Idealismus der Studenten und Studentinnen wiederum können den Arbeitermilitanten helfen, ihre bürokratischen und konservativen Führer zu vertreiben. Die Studenten sollten sich der Taktiken des Klassenkampfes bedienen – Streik und Besetzung -, um ihre Forderungen durchzusetzen. Sie sollten für die Kontrolle der Studentengewerkschaften durch die Basis und gegen staatliche Einmischung und Kontrolle kämpfen. In einigen Ländern existiert eine Studentenbürokratie, die, obwohl sie kein Teil der Gewerkschaftsbürokratie ist, aktiv dieselbe Ideologie und politische Methode wie diese propagiert. Diese Führungen müssen gestürzt und die Studentenorganisationen für die Unterstützung der wirklichen Kämpfe der Arbeiter gewonnen werden.

Arbeitslose Jugendliche müssen für eine gründliche Bildung und Ausbildung, volle wirtschaftliche Unterstützung und für eine gleitende Arbeitszeitskala zur Aufteilung der Arbeit auf alle Hände unter Arbeiterkontrolle kämpfen. All jene, die aus den Bildungsinstitutionen entlassen werden und keine Arbeit finden, müssen volle Arbeitslosenunterstützung erhalten, um sicherzustellen, daß die Arbeitslosigkeit nicht zur vollständigen wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Familie führt.

In der Familie sind es die Eltern, die für die Unterdrückung ihrer Kinder unmittelbar verantwortlich sind. Das trifft selbst dort zu, wo die Eltern fortschrittliche Ideen vertreten. Öfter allerdings unterdrücken die Eltern ihre Kinder auf brutale Art, bestrafen Ungehorsam mit Gewalt und Mißbrauch. Die Jugend benötigt daher volle gesetzliche und politische Rechte in der Familie und anderswo als Hilfe zur Brechung der Herrschaft und Macht, die die Eltern über sie ausüben. Die sozialen Einschränkungen, die die Familie auf die Jugendlichen oft in Verbindung mit der Religion ausüben, unterdrücken viele junge Männer und Frauen aufs Schärfste. Da ihnen die Familie das Recht auf die Ausübung der von ihnen gewählten sozialen und sexuellen Aktivitäten verwehrt, müssen soziale Zentren zur Verfügung gestellt werden, wo alle Einrichtungen für diese Aktivitäten frei zugänglich sind. In diesen sozialen Zentren sollten Information und Aufklärung über Sexualität zusammen mit kostenlosen Verhütungsmitteln und Hinweisen auf Abtreibungsmöglichkeiten erhältlich und zugänglich sein. Das gesetzliche (sexuelle) Mündigkeitsalter leistet nichts, um Jugendliche vor sexuellem Mißbrauch zu schützen. Es straft nur beidseitig gewollte sexuelle Beziehungen von Individuen unter einem bestimmten Alter. Schafft daher das (sexuelle) „Mündigkeitsalter“ ab!

Die Jugendlichen müssen volle politische und gesetzliche Rechte auch in der öffentlichen Sphäre erlangen. Wenn die Jugend reif genug ist, in die Armee der Bosse zwangseingezogen zu werden, um deren Ausbeutungssystem zu verteidigen, dann sind sie auch reif genug, um verantwortliche Entscheidungen in Friedenszeiten zu treffen. Das Wahlrecht sollte bei einem gesetzlichen Minimum von maximal 16 fixiert werden und darunter von der jeweiligen nationalen Arbeiterbewegung bestimmt werden. Das Recht, gesetzlich bindende Entscheidungen in finanziellen und öffentlichen Angelegenheiten zu treffen, muß ab demselben Alter garantiert werden.

Die Jugend, vor allem die männliche, ist das Kanonenfutter der bürgerlichen Armeen. Hunderttausende Jugendliche beiderlei Geschlechts wurden im Dienste der Reaktion zynisch geopfert, sei es für den US-Imperialismus in Vietnam oder durch das Fortführen eines Ablenkungskrieges im Iran. Es ist notwendig, die Jugend im Geist des proletarischen Anti-Imperialismus und Anti-Militarismus zu erziehen. Der Pazifismus stumpft nur den Geist ab und bereitet zukünftigen Schlächtereien den Weg. Die Jugend muß unter Anleitung der Arbeiterbewegung in militärischen Techniken trainiert werden. Sie wird das Rückgrat der Verteidigungseinheiten der Streikposten und den Kern der zukünftigen Arbeitermilizen darstellen.

In Zeiten akuter Krisen und Klassenkämpfe können arbeitslose Jugendliche, die keinerlei Erfahrung in der Produktion und mit Solidarität haben, zur Unterstützung faschistischer Banden oder als Streikbrecher mobilisiert werden. Um dieser Gefahr zu begegnen, muß die organisierte Arbeiterklasse die Jugend in die Gewerkschaften ziehen. Für junge Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich den Gewerkschaften anschließen, muß es reduzierte Mitgliedsbeiträge, aber vollständige Mitgliedsrechte geben. Die Jugendlichen müssen eigene Gewerkschaftssektionen organisieren, um ihre Forderungen voranzutreiben, sich zu schulen und andere junge Arbeiter und Arbeiterinnen zu rekrutieren.

Es gibt sehr große Möglichkeiten zur Gewinnung der Jugend für die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse. Da sie natürlich mehr als jede andere Generation um die Zukunft besorgt ist, kann sie schnell für einen revolutionären bzw. sozialistischen Standpunkt gewonnen werden. Die Jugend ist in der Regel frei von dem Konservatismus, der den Geist von so manchem älteren Arbeiter gebrochen hat. Sie wurde nicht durch die jahrelange Erfahrung der reformistischen (Irre-) Führung und des Verrats zermürbt.

Eine revolutionäre Jugendbewegung muß aufgebaut werden. Sie ist ein Schlüssel zur Organisation des Kampfes für die Macht der Arbeiterklasse und die Befreiung der Jugend. Bewaffnet mit dem revolutionären Übergangsprogramm, wird diese Bewegung die Jugendlichen anderer Klassen, besonders der armen Bauern und der städtischen Kleinbourgeoisie, in sich hineinziehen. Die revolutionäre Jugendbewegung sollte auf jeder Ebene der Arbeiterbewegung repräsentiert sein. Dieses Prinzip gilt mit doppelter Kraft auch für die revolutionäre Partei, die damit der gesamten Arbeiterbewegung ein Beispiel geben soll.

Lesben und Schwule

Sexuelle Unterdrückung ist ein Merkmal aller Klassengesellschaften. Die Durchsetzung der Monogamie für die Frauen begleitete die Entstehung von Privateigentum und Klassen bzw. war wesentlich mit ihr verbunden. Im Kapitalismus existiert noch immer eine allgemeine sexuelle Unterdrückung, insbesondere der Frauen und Jugendlichen. Der Kapitalismus hat aber auch die systematische Unterdrückung von Lesben und Schwulen hervorgerufen. Welcher liberalen Gesten sich die kapitalistische Gesellschaft auch immer in Zeiten des Aufschwungs fähig gezeigt hat, sie bleibt doch an sich anti-homosexuell.

Da die Familie für den Kapitalismus ideologisch und wirtschaftlich sehr zentral ist, wird jede Gruppe, die die monogame, heterosexuelle „Norm“ der bürgerlichen Familie unterwandert, als äußerste Gefahr für die Gesellschaft gesehen und dementsprechend gebrandmarkt. Lesben und Schwule stellen eine Gefahr für den ideologischen Unterbau der Familie und für ihre ideale Kernstruktur dar, indem sie aufzeigen, daß Sexualität weder eine bloß auf die Schaffung von Nachwuchs gerichtete Aktivität, noch ein Mittel zur Zementierung der monogamen heterosexuellen Ehe ist. Sie bezeugen die Tatsache, daß Sexualität selbst ein Vergnügen darstellt. Das Faktum, daß lesbische und schwule Sexualität eindeutig nicht-reproduktiv ist, stellt eine Bedrohung für die Legitimität der bürgerlichen Familie dar.

Im Kapitalismus werden Lesben und Schwule systematisch denunziert, mißbraucht und kriminalisiert. Dies führt zu sexuellem Elend für Millionen Individuen und schürt schädliche Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse. Durch die Manipulation von Erziehung, Medien, Religion und Rechtssystem und durch die stillschweigende Duldung der Gewerkschaftsbürokratie, fördert die Bourgeoisie die Idee, daß Homosexualität „unnatürlich“ sei.

In den 80er Jahren verwendete die Bourgeoisie in den imperialistischen Ländern die Entwicklung der AIDS-Epidemie zur Verfolgung der Homosexuellen, insbesondere der Schwulen, die beschuldigt wurden, die Überträger der Krankheit zu sein. Innerhalb der Arbeiterklasse sind diese Argumente allgemein akzeptiert worden, und eine tief verwurzelte Angst vor Homosexualität (Homophobie) ist die Norm. Diese Homophobie schafft oft die Grundlage für einen aktiven, häufig gewaltsamen, Fanatismus gegen Lesben und Schwule in der Arbeiterklasse. Dennoch hat das Proletariat kein materielles oder fundamentales Interesse an der Aufrechterhaltung der lesbischen oder schwulen Unterdrückung oder in der Verewigung des anti-lesbischen und anti- schwulen Fanatismus.

Lesben und Schwule erleiden Unterdrückung in allen Bereichen, bis hin zu gesetzlichen Sanktionen. Während Lesben und Schwule aller gesellschaftlichen Klassen von ihr betroffen sind, ist sie doch für die Angehörigen der Arbeiterklasse am stärksten. Die Unterdrückung hat ihre Auswirkung auf die beruflichen Möglichkeiten. Männer und Frauen, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen, bekommen schwerer Arbeit, werden am Arbeitsplatz isoliert und mißbraucht und verlieren leichter ihre Arbeit, ihre Unterkunft und ihre Kinder. Im Gegensatz zu unterdrückten Mitgliedern der herrschenden Klasse haben aber Lesben und Schwule der Arbeiterklasse keine andere Alternative, als Arbeit zu suchen. Folglich sind sie oft gezwungen, ihre Sexualität zu verleugnen und erleiden durch diese Verleugnung und Unterdrückung psychischen Schaden.

Die Arbeiterklasse muß für die Beendigung jeglicher Diskriminierung von Lesben und Schwulen kämpfen. Die Homosexualität ist ein grundlegendes demokratisches Recht. Der Staat soll keine Rechte haben, dort in die Sexualität von Menschen einzugreifen, wo eine freiwillige Zustimmung der Beteiligten besteht. Die Abschaffung des Mündigkeitsalters ist notwendig, um der Polizei und den Gerichten eine weitere Waffe, junge Lesben und Schwule zu schikanieren, aus der Hand zu schlagen. Die Diskriminierung muß in jedem Bereich, einschließlich des Arbeitsplatzes, der Unterkünfte und des Sorgerechtes für Kinder, bekämpft werden. Gesetzlich verankerte Rechte sollen von der Arbeiterklasse erkämpft und verteidigt werden. Der Staat muß gezwungen werden, in den Schulen Aufklärung über Sexualität anzubieten, ohne die Homosexualität zu verurteilen, wie es heute gang und gäbe ist. Die religiöse, anti- homosexuelle Engstirnigkeit muß aus den Klassenräumen verbannt werden.

Millionen von Lesben und Schwulen sind Teil der Arbeiterklasse. Die große Mehrheit bekennt sich nicht zu ihrer Sexualität – aus Angst vor Schikanen und Verfolgung. Jene, die es getan haben, erlitten infolge ihrer Offenheit Nachteile. Die Organisationen der Arbeiterklasse müssen für die Unterstützung der Rechte aller Homosexuellen – offen zu ihrer Sexualität stehen zu können, Widerstand gegen polizeiliche Schikanen oder faschistischen Terror zu leisten, das Recht auf Arbeit zu verteidigen und einen Mindestlohn zu erhalten – gewonnen werden. Eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts für Leute mit verschiedenen sexuellen Orientierungen muß die sexistische und heterosexistische Engstirnigkeit, die momentan in der Arbeiterklasse der ganzen Welt vorherrscht, ersetzen.

Die Lesben und Schwulen der Arbeiterklasse müssen das Recht auf eigene Treffen innerhalb der Organisationen der Arbeiterklasse haben, um gegen die Homophobie und für volle politische und soziale Gleichheit zu kämpfen. Um den Kampf über bestimmte Anliegen des eigenen Bereichs oder der unmittelbaren Umgebung hinauszutragen, müssen solche Zirkel mit denjenigen Einheitsfronten und Kampagnen verbunden werden, die ein Teil der proletarischen Bewegung für eine lesbische und schwule Befreiung sein könnten. Revolutionäre und Revolutionärinnen werden um die politische Führung in solchen Einheitsfrontorganisationen kämpfen, um Lesben und Schwule für ein Programm ihrer Befreiung und für den revolutionären Sozialismus zu gewinnen.

Die systematische Unterdrückung von Lesben und Schwulen wird nicht aufhören, solange die bürgerliche Familie als Modell für das gesellschaftliche Leben gefördert und verteidigt wird. Das ist ein Grund, warum der Kampf für die Beendigung dieser Form der Unterdrückung mit dem Programm für die Macht der Arbeiterklasse verbunden werden muß. Eine solche Revolution wird fähig sein, die lesbischen und schwulen Proletarier von den materiellen Entbehrungen, die ihnen als direktes Ergebnis ihrer Unterdrückung und Ausbeutung durch den Kapitalismus auferlegt sind, zu befreien. Und sie kann auch dem sexuellen Elend, das das Leben von Millionen zunichte macht, ein Ende bereiten.

Rassistische Unterdrückung

Moderne Nationen können nicht mit sogenannten Rassen gleichgesetzt werden. Rassistische Unterdrückung ist das Produkt des Entstehens der bürgerlichen Nation. In der merkantilistischen Periode des frühen Kapitalismus war in gewissen Ländern die Sklaverei eine Grundlage für die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals. Die Ausdehnung der kapitalistischen Kolonialreiche brachte für die Eingeborenenbevölkerung die systematische Verweigerung einfacher Menschenrechte und sogar Völkermord mit sich. Aber der Rassismus nahm in der imperialistischen Epoche seine gehässigste Form an: Wirtschaftliche Katastrophen, Revolutionen und Kriege haben einen modernen, pseudo-wissenschaftlichen Rassismus ins Leben gerufen. Er existiert sowohl als fieberhaftes Hirngespinst des Kleinbürgertums als auch als bewußtes Werkzeug der imperialistischen Bourgeoisie.

In unserem Jahrhundert ist das „Rassen“-Problem nicht ein Problem angeblicher rassischer Unterschiede, sondern es ist eine Funktion des Rassismus: die Unterdrückung von Menschen ihrer (angeblichen) „Rasse“ wegen. Die Opfer dieses systematischen Rassismus sind zahlreich. An vorderster Front stehen die Juden, die im Zweiten Weltkrieg einen Völkermord erleiden mußten, und die Schwarzen aus Afrika, aus der Karibik, aus den USA und die, die nach Europa emigriert sind. In Südafrika schuftet die schwarze Mehrheit schon lange unter der barbarischen Unterdrückung durch die Apartheid. Zusätzlich sog der Nachkriegsboom Millionen von Arbeitern aus den Halbkolonien in die imperialistischen Kernländer, aus einer Halbkolonie in die andere und aus weniger entwickelten in höher entwickelte imperialistische Länder. Diese Wanderarbeiter und eingewanderten Arbeiter sind auch rassisch unterdrückt.

Den Opfern rassistischer Unterdrückung werden systematisch demokratische Rechte verweigert. Der Rassismus von Polizei und Staat stürzen auf sie ein. Dies dient im weiteren dazu, gewalttätige Angriffe von einzelnen Rassisten, von Banden und organisierten Faschisten zu ermutigen. Die rassistisch Unterdrückten erleiden Diskriminierung in der Ausbildung und in allen Bereichen der sozialen Vorsorge. Sie sind bei der Arbeit einer Überausbeutung ausgesetzt. Wann immer der Kapitalismus in die Rezession gerät, leiden rassistische unterdrückte Minderheiten am meisten unter Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhnen.

Für die arbeitenden Massen der rassistisch Unterdrückten gibt es keine kapitalistische Lösung für ihre Unterdrückung. Die Tendenz des Kapitalismus, Immigrantengemeinden zu integrieren und in verschiedene Schichten zu spalten, begünstigt immer die kleinbürgerlichen und bürgerlichen Schichten auf Kosten der ärmsten Massen. Und selbst diese Tendenz wurde wiederholt in ihr Gegenteil verkehrt, wenn der Kapitalismus in seinen Krisenperioden auf ungeschminkten Rassismus und Nationalchauvinismus zurückgreift. Die Schlachtung von sechs Millionen Juden unter Hitler zeigt das barbarische Potential der Epoche. Egal welches Niveau von „Chancengleichheit“ oder „bejahendem Handeln“ erreicht ist, die scharfen Wendungen des Imperialismus in Politik und Wirtschaft machen die Unterdrückten potentiell zu Opfern der völkermordenden „Endlösung“ des verzweifelten Finanzkapitals.

Revolutionäre Kommunisten und Kommunistinnen betreiben innerhalb der unterdrückten Gemeinden Agitation und Propaganda für die strikteste Trennung der Klasseninteressen der Arbeiter von denen der Bourgeoisie, des Kleinbürgertums und den Interessen des Klerus. Zu diesem Zweck kann die revolutionäre Partei spezielle Organisationen schaffen, aber sie wendet sich entschieden gegen den Ruf nach einer separaten politischen Partei irgendeiner rassistischen Gruppe, egal welchen ultra-radikalen politischen Inhalt sie hat. Separatismus und Nationalismus führen vom Gesichtspunkt des Kampfes zur Beendigung der Unterdrückung in eine Sackgasse.

Die Erfahrungen der Kämpfe der Schwarzen in den USA zeigen sowohl die Fallgruben als auch das revolutionäre Potential der Kämpfe gegen rassistische Unterdrückung auf. Während des langen Nachkriegsbooms lebten die Schwarzen unter einer „demokratischen“ Verfassung, und die formale Abschaffung der Sklaverei lag ein Jahrhundert hinter ihnen. Doch sogar in diesen Jahrzehnten des „Wohlstandes“ wurden die Schwarzen massiv entrechtet, überausgebeutet und in den Südstaaten einer Form von Apartheid ausgesetzt. Ausgehend vom passiven Protest, der von schwarzen Geistlichen und der Intelligenz geführt wurde, entwickelte sich der Widerstand der Schwarzen zu einer Massenrevolte und zu bewaffneten Zusammenstößen mit der Polizei und der National Guard.

Aber der Massenaufstand war mit einer massiven Führungskrise gekoppelt. Auf der einen Seite war das integrationistische Kleinbürgertum dazu bereit, zugunsten von Reformen und größerem Zugang zu lokalen und bundesstaatlichen Regierungen die Massenrevolte zu demobilisieren. Andererseits war die radikale Opposition zu diesem Ausverkauf – die Black Panthers, Malcolm X – nicht in der Lage, einen kompletten Bruch mit Separatismus und Guerillaismus zu vollziehen. Von der Masse der weißen Arbeiter und den Massen der schwarzen Gemeinden abgeschnitten, wurde die Avantgarde vom US-Staat zermalmt. Nachdem der US-Imperialismus diesen Sieg errungen hatte, verleibte er sich eine schwarze Bourgeoisie und eine Kaste professioneller Politiker ein und ließ die erdrückende Mehrheit in Amerikas zerrütteten Innenstädten verkommen.

Nur die Überwindung des Imperialismus, die Befreiung der Produktivkräfte von den Ketten des nationalen Kapitalismus, kann die materiellen Wurzeln der rassischen Unterdrückung beseitigen. Der Kampf gegen Rassismus muß daher einen integralen Bestandteil des Programms und der Aktivität der revolutionären Partei in jeder Periode bilden. Diese muß ihr Übergangsaktionsprogramm um die alltäglichen Kämpfe der rassistisch Unterdrückten konzentrieren, die sich gegen die Diskriminierung in Ausbildung, Löhnen, Beschäftigung und Arbeitsbedingungen wenden. Die Partei kann und muß unter den Männern, Frauen und Jugendlichen der rassistisch Unterdrückten Massen heldenhafter Kämpfer und Kämpferinnen finden und um dieses Programm versammeln.

Weil sie von Klassenkollaborateuren und Sozialchauvinisten geführt werden, spiegeln die offiziellen Arbeiterbewegungen der imperialistischen Kernländer den Rassismus und Chauvinismus der herrschenden Klasse wider und sind häufig ein Instrument der Herrschenden. Aber es gibt für die Unterdrückten keinen anderen Weg zur Befreiung, als durch einen Kampf die Mehrheit der Arbeiterklasse für gemeinsame Aktionen gegen den Rassismus zu gewinnen.

Revolutionäre Kommunisten und Kommunistinnen kämpfen innerhalb der Arbeiterbewegung für gemeinsame Aktionen gegen alle rassistischen Angriffe und Gesetze, sowie für Arbeiterverteidigungstrupps gegen rassistische und faschistische Attacken. Wir kämpfen für volle Staatsbürgerschaft und demokratische Rechte für alle rassistisch unterdrückten und nationalen Minderheiten, für alle Immigranten- und Wanderarbeiter. Wir kämpfen für die Abschaffung aller Einwanderungskontrollen in den imperialistischen Ländern. In den Halbkolonien gilt unser Kampf den kolonialen Niederlassungen, und wir unterstützen die Einführung von zeitlichen und anderen Einschränkungen der Staatsbürgerschaft für weiße Siedler. Wir sind gegen alle neuen kolonialen Niederlassungen von Kapitalisten und reichen Farmern. Dies ist die einzige Ausnahme, die wir, und zwar in halbkolonialen Ländern, von unserer allgemeinen Opposition gegenüber Einwanderungskontrollen machen.

Es ist skandalös vorzuschlagen, daß die rassistisch Unterdrückten passiv ausharren und den Rassismus geduldig ertragen sollten, bis die Masse der weißen Arbeiter und ihre Organisationen für eine anti-rassistische Perspektive gewonnen worden sind. Wir fordern Unterstützung der Arbeiterbewegung für die Selbstverteidigung gegen rassische Angriffe. Um den rassistisch Unterdrückten zu helfen, sich innerhalb der Arbeiterbewegung gegen den Rassismus zu organisieren und vollständig an den Kämpfen der ganzen Arbeiterklasse teilzunehmen, sind wir für das Recht der Unterdrückten auf eigene Treffen und auf ihre Vertretung auf allen Ebenen der Arbeiterbewegung; das gilt auch für die revolutionären Partei selbst.

Der Klassenkampf und das vollständige System von Übergangsforderungen werden innerhalb der unterdrückten Gemeinschaften nicht außer Kraft gesetzt, egal unter welcher akuten gemeinsamen Unterdrückung sie auch leiden. Während die Möglichkeit besteht, mit nicht-proletarischen Organisationen innerhalb der Gemeinschaften begrenzte taktische Übereinkommen zu schließen, müssen diese auf gemeinsamer Aktion und striktester Trennung der Programme basieren. Zu jeder Zeit muß die Arbeiterklasse der unterdrückten Gemeinschaften gegen ihre eigenen Unterdrücker, welcher Nationalität oder ethnischer Herkunft auch immer, und für die Befreiung der Frauen, der Jugendlichen, der Lesben und der Schwulen mobilisiert werden.




Bitte wenden! Ein antikapitalistisches Mobilitätsprogramm

Leo Drais, Neue Internationale 276, September 2023

So breit der Konsens über die Notwendigkeit einer Verkehrswende auch ist, so unterschiedlich ist die Vorstellung, was darunter verstanden wird. Selbst in der Politik der CDU finden sich floskelhafte Versprechen etwa über die Verlagerung auf die Schiene – wobei es dann auch bleibt. Von einer echten Verkehrswende kann in Deutschland nicht die Rede sein. In anderen Ländern sieht es nur geringfügig besser aus, international existiert die Verkehrswende sowieso nicht.

Jetzt ist das Wort schon einige Male gefallen. Was verstehen wir also unter einer wirklichen Verkehrswende?  Sie besteht vereinfacht gesagt im fortschrittlichen Auflösen der akuten Mobilitätskrise:

  • Klimakrise: 15 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen werden in diesem Sektor emittiert (in der BRD 21 %). Mehr als die Hälfte des Erdöls wird in Flugzeugen (6 %), Schiffen (4 %) und auf den Straßen (40 %) verbrannt. Die Werte sind kritisch zu betrachten, da die Art der Stromerzeugung für den Schienenverkehr in den verwendeten Quellen vermutlich unberücksichtigt blieb.

  • Verkehr als Teil weiterer Umweltprobleme: Luftverschmutzung, Oberflächenversiegelung, Lärmemissionen, Abfälle von Fahrzeugen und Fahrwegen (z. B. Reifenabrieb als Mikroplastik in den Meeren).

  • Verkehr als Teil der Energie- und Ressourcenfrage – die Geschwindigkeit einer Verkehrswende wird zentral von der Energiewende abhängen.

  • Todeszahlen: 2018 starben weltweit 1.350.000 Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr. Davon ist der überwiegende Teil in armen Ländern und unter Armen zu beklagen. Für Menschen von 5 – 29 Jahren ist dies die wahrscheinlichste Todesursache. Abgesehen davon existiert die Gefahr von Erkrankungen durch Lärm, Stress, Abgase.

  • Stadt-Land-Frage: Platznot durch städtischen (Individual-)Verkehr auf engstem Raum steht ländlichem Infrastrukturmangel gegenüber. Beides bedeutet auf unterschiedliche Weise einen Verlust von Lebensqualität und sowieso knapper Zeit.

  • Mobilität und Logistik als gesellschaftlich irrationale Konzeption: Warenketten um die ganze Welt, Wettbewerb als Verursacher von überflüssigem Verkehr (Leerfahrten usw.), abgestellte und Raum beanspruchende Massen an Privat-Pkws, transportintensive Just-in-time-Produktion.

  • Krise und Kampf um die Neuaufteilung der Welt: (militärischer) Kampf um Absatzmärkte sowie Ressourcen (Lithium, Öl, Erdgas), Verkehrswegebau den Erfordernissen der imperialistischen Welt entsprechend. Die einsetzende Deglobalisierung wird mittelfristig die Konkurrenz im Güterverkehrssektor zuspitzen.

  • Zurückdrängung des öffentlichen, Bevorzugung des ineffizienten motorisierten Individualverkehrs.

  • Klassen- und Unterdrückungsfrage: Die Möglichkeit, von A nach B zu kommen, im Generellen sowie grenzüberschreitender Verkehr im Speziellen hängen ab von der gesellschaftlichen Stellung und dem Pass. Freien Reisen für die Reichsten in alle Länder der Welt stehen fehlende sichere und legale Fluchtwege für Millionen Menschen gegenüber. Oder noch anschaulicher: Weitgehend ungehinderten Warenverkehren auf einem Weltmarkt stehen unfreie Menschen gegenüber.

  • Abschließend: Klassenkampf unmittelbar im Sektor selbst – Ausbeutung der Verkehrsarbeiter:innen, Kampf um Löhne, Arbeitszeiten, Arbeitsplatzerhalt usw.

Ausgehend davon und im Unterschied zu weiten Teilen der bürgerlichen Politik ist die Verkehrswende für uns daher keine vorrangig technologische, sondern zuerst eine gesellschaftliche Frage. Zwar erkennt die bürgerliche Gesellschaft die Notwendigkeit tiefgreifender Änderungen, aber sie ist unfähig, sie zu verwirklichen. Ihre Vorstellung von Nachhaltigkeit ist eine, die sich stets ihren eigenen ökonomischen Erfordernissen unterwerfen muss. Was „nachhaltig“ ist und was nicht, was eine Mobilitätswende ist und was nicht, richtet sich für das Kapital an den eigenen Klasseninteressen aus – für die deutsche Autoindustrie bedeutet die Verkehrswende einfach eine Antriebswende.

Demgegenüber ist sie für uns ein integraler Teil antikapitalistischer, sozialistischer Politik, die die Frage der Nachhaltigkeit zuerst aus dem Blickwinkel des langfristigen Erhalts der Lebensgrundlagen der Menschheit betrachtet und nicht aus dem einer kapitalistischen Verwertungslogik.

Eckpunkte eines Programms

  • Herstellen einer Produktions- und damit Verkehrsweise mit ausgeglichenem Mensch-Natur-Verhältnis. Während den Produzent:innen im Kapitalismus ab dem Verkauf der Ware naturgemäß egal ist, was mit ihr passiert – ergo auch bei oder nach ihrem Verbrauch – bedeutet eine ökologische Kreislaufwirtschaft eine möglichst große Langlebigkeit von z. B. Fahrzeugen, ohne die Natur in einem nicht nachhaltigen Maß auszubeuten oder sie als Senke zu vernutzen.

  • Bezogen auf das Verkehrsaufkommen muss der Leitsatz dabei lauten: „So wenig wie möglich, so viel wie nötig.“ Schon hierbei springt ins Auge, dass der Kapitalismus dazu nicht in der Lage ist, weil sein Kreislauf Geld – Produktion – Produkt – Ware – Geld + Gewinn – mehr Produktion, mehr Produkte, mehr Waren … zur Ausdehnung (des Verkehrsaufkommens) drängt und dessen Logistik insgesamt ineffizient organisiert ist. Anders ausgedrückt: Was bringt es, den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern, wenn trotzdem immer mehr Verkehr produziert wird?

  • Eine wirklich nachhaltige Wirtschaftsweise kann weltweit daher nur als Planwirtschaft verwirklicht werden, die schon bei der Produktion von Fahrzeugen und Transportwegen einbezieht, was am Ende ihrer Lebenszeit passiert. Während für die Kapitalist:innen dieser Gedanke in der Konkurrenz tödlich ist, ist es bei einer Planwirtschaft umgekehrt: Nicht auf den Ressourcenkreislauf zu achten, wäre ihr Untergang (auf lange Sicht ist das allerdings auch für den Kapitalismus der Fall). Andere populäre Konzepte – Postwachstum (Degrowth), Gemeinwohlökonomie etc. – sind schließlich zum Scheitern verurteilt. Sie kennen weder den Weg zu ihrer Verwirklichung noch brechen sie offen mit dem Kapitalismus, von dem auch keine korrekte Analyse geleistet wird.

  • Eine Planwirtschaft im Interesse der gesamten Menschheit hat wiederum die Aufhebung der kapitalistischen Klassengesellschaft (in der die Profitinteressen des Kapitals über den Bedürfnissen der Gesamtheit der Menschen stehen) zur Voraussetzung. Notwendig hierfür ist der Sturz des bürgerlichen Staates und die Errichtung einer demokratischen Rätemacht der Arbeiter:innenklasse über die Gesellschaft, die die Mobilität durch eine Enteignung der Transportindustrie und Entwicklung und Kontrolle der Produktion einem demokratischen Plan unterstellen kann.

  • Das aber erfordert, die Arbeiter:innenklasse nicht nur als zentrale Kraft der Mobilitätswende zu begreifen, sondern sie auch zum bewussten Subjekt dieser zu „erziehen“, was in der Notwenigkeit mündet, revolutionäre Arbeiter:nnenparteien und eine neue Internationale aufzubauen, die die Verkehrsfrage als Teil ihres Programms begreifen.

Verkehrsträger

Diese Eckpunkte sollen ein integrales Mobilitätsübergangsprogramm abstecken, einen Wegweiser, der von tagesaktuellen Forderungen aus auf die revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft und damit des Verkehrs zeigt. Dabei müssen wir von dem ausgehen, was heute vorhanden ist. Schauen wir also auf das Potential der heutigen Verkehrsträger in einer Mobilitätswende.

Personenverkehr

  • Eigene Körperkraft (Gehen und Radfahren): die ökologischste Art der Fortbewegung und die mit Abstand meist genutzte, oft sogar schnellste auf der Kurzstrecke.

  • Motorisierter Individualverkehr (v. a. Auto, Moped, Roller, Motorrad): die ineffektivste Art der Fortbewegung, gemessen an der Auslastung der Fahrzeuge (nicht zu verwechseln mit Auslastung der Parkplätze und Straßen!) und möglichen Personenkilometern (ein voll besetztes Standardauto legt in einem Kilometer fünf Personenkilometer zurück, ein voll besetzter ICE 4 bis zu 918 Personenkilometer). Zudem meistens fossil angetrieben. Das E-Auto ist demgegenüber aus gleich mehreren Gründen keine generell grüne Alternative. Seine Herstellung erfordert bisher einen Wasser verschlingenden Lithiumabbau (1 t Lithium erfordert 1.900.000 l). Seine Herstellung emittiert die doppelte Menge an Treibhausgasen gegenüber Autos mit Verbrennungsmotoren und macht diesen Rückstand gegenüber ihren bauartgleichen Geschwistern erst nach 8 Jahren wett. Der flächendeckende E-Auto-Rollout verzögert die Energiewende. Weiterhin weisen E-Auto wie Verbrenner den gleichen ineffizienten Nachteil auf, ihr/en Treibstoff/Depot als zusätzliches Gewicht mit sich führen zu müssen. Weitere aktuelle Probleme des E-Autos: Entsorgung und Selbstentzündlichkeit der Akkus, brennende E-Autos sind kaum zu löschen.

Für die Anbindung kleiner Orte an den nächsten öffentlichen Anschluss oder für Kleintransporter bleibt ein Rest an motorisiertem Individualverkehr als Sharingkonzept bzw. durch öffentliche Ruftaxis in einer Verkehrswende wahrscheinlich sinnvoll.

  • Landgebundener öffentlicher Verkehr (v. a. Bus, Tram, U-Bahn, Bahn): Verkehrsmittel mit dem Potential, den Kern eines nachhaltigen Verkehrs darzustellen, sowohl im Nah- als auch Fernverkehr. Busse (ggf. mit Oberleitung) machen dort Sinn, wo aus Schienenwegen zu wenig Nutzen entspringt oder diese aufgrund der Topographie unmöglich sind. Tramkonzepte können schon ab einigen tausend Menschen im Einzugsgebiet sinnvoll sein. U-Bahn-Konzepte, die ihrerseits vor allem aufgrund der „autofreundlichen Stadt“ einen Hype erfuhren, machen über ihren Erhalt hinaus keinen Sinn wegen Bauaufwands, Evakuierungsschwierigkeiten und der zusätzlichen Wege nach unten und oben. Zudem ist der betonintensive Tunnelbau ebenfalls ein Klimakiller.

Im Regional- und vor allem Fernbahnverkehr ist das Potential des Rad-Schiene-Systems noch lange nicht ausgeschöpft: Elektrifizierung, integrale Taktfahrpläne, internationaler komfortabler Nachtzugverkehr, Knoten- und Streckenentflechtung usw. können potentiell zu Land auch innerhalb von Kontinenten Flugzeug- und Fernautoverkehr ersetzen. Der Hochgeschwindigkeitsbetrieb ist zumindest zu prüfen, da über einer Geschwindigkeit um die 250 km/h Luftwiderstand und daher Energieverbrauch extrem steigen; außerdem hoher baulicher und betonintensiver Aufwand dieser Rennbahnen. Zumindest theoretisch kann jedoch auch ein Zug mit 350 km/h vollkommen ökologisch fahren, immer aber bleibt das eine Frage der Energieerzeugung. Das Konzept eines elektrisch getriebenen Fahrzeugs kann freilich nur wirklich umweltschonend sein, wenn die elektrische Energie auf entsprechende erneuerbare Art gewonnen wird.

  • Luft- und Schifffahrt: im Personenverkehr zur Überquerung der Meere mehr oder weniger alternativlos, beide sehr energieaufwändig und bisher fast komplett fossil betrieben. Fähren machen vielerorts ökologisch möglicherweise mehr Sinn als lange Tunnel und Brücken zur Meeresunter/-überquerung.

Güterverkehr

  • Straße: Im Fernverkehr extrem ineffektiv, nur auf die „letzte Meile“ und in der Kurzstrecke ohne großes Aufkommen mit alternativen Antrieben sinnvoll oder für die minimal notwendige Erschließung von abgelegenen Zielen.

  • Schienengüterverkehr: Landgebundenes Transportmittel mit dem größten Potential, den Kern künftiger Transportketten zu bilden, sowohl lokal wie auch global. Im Vergleich zum Lkw bei gleicher Last deutlich weniger Rollwiderstand zwischen Fahrzeug und Fahrweg bei leicht möglicher externer Energieversorgung (Oberleitung).

  • Luftfahrt: Nur für absolut dringende und notwendige Güter vernünftig, extrem energieaufwändig.

  • Schifffahrt: Sehr energieintensiv. Möglich sind statt Schweröl auch Gasantriebe (auch aus erneuerbaren Quellen, z. B. power-to-gas). Im interkontinentalen Verkehr nach wie vor notwendig, aber mit Änderung der Produktionsweise enorm reduzierbar im Aufkommen.

Soweit zu den technischen Voraussetzungen. In den vergangenen Jahrzehnten haben immer wieder auch neue technische Entwicklungen Furore gemacht, sei es das autonome Fahren oder beispielsweise die Magnetschwebebahn in den Varianten deutscher Transrapid oder als Elon-Musk-Vakuumröhre Hyperloop. Diese sind bisher nie wirklich über das Erprobungsstadium hinausgekommen und bei allen stellt sich auch ganz grundsätzlich die Frage der Sinnhaftigkeit. Vielmehr scheinen sie die Entfremdung zwischen Mensch und Natur auf ein technisch neues Niveau zu heben.

Und natürlich wäre es falsch, sich gegen die Erforschung neuer Verkehrskonzepte zu stellen. Entscheidend muss aber immer die Frage des Gesamtnutzens und -aufwands für die Menschheit als Ganze sein, was schon in sich trägt, dass es eine demokratische Kontrolle und keine der Konzerne und Milliardär:innen braucht.

Die wichtigste Voraussetzung, die der Kapitalismus für eine Verkehrswende geschaffen hat, sind schließlich die Abermillionen Arbeiter:innen einschließlich der Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen, die weltweit in dem Bereich arbeiten. Sie vereinen auf sich eine riesige Expertise darüber, wie ein schnellstmöglicher Umbau von Logistik und Transport überhaupt geschehen kann. Sie können das treibende Subjekt des Umbruchs darstellen.

Übergangsprogramm

Betten wir schließlich die Verkehrswende in die aktuelle Lage einerseits und in eine sozialistische Perspektive andererseits ein. Gleich vorweg: Eine fortschrittliche Verkehrspolitik wird dabei, um der akuten ökologischen Notlage gerecht zu werden, nicht ohne repressive Einschränkungen gegenüber besonders umweltschädlichen Verkehrsweisen auskommen, die manche als eine Gängelung der (bürgerlichen, auf den Besitz und den rechten Fuß beschränkten) Freiheit empfinden werden. Auf der anderen Seite werden sich aber ganz andere, für die Mehrheit der Menschheit ungleich größere Freiheiten ergeben.

  • Für ein ökologisches Notsofortprogramm! Massive Einschränkung des Flugbetriebs, Verbot von Inlandflügen und Flügen unter 2.000 km! Aufbau kontinentaler Fernzug- und Nachtzugnetze! Für den schnellstmöglichen, umfänglichen Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel und baulich getrennter Radwege in der Stadt und auf dem Land! Gleitende Anpassung der Fahrpreise hin zu einem kostenlosen Nah- und Berufsverkehr!Für eine Preisgestaltung, die Bahnreisen gegenüber dem Autoverkehr entscheidend günstiger macht! Einschränkungen und Verbote für bestimmte Fahrzeugklassen (Verbrauchsobergrenzen)! Schnellstmögliche Abkehr vom innerstädtischen Autoverkehr! Weitreichender Stopp der Automobilproduktion und sofortiger Umbau der Fabriken für andere Produkte, einem gesamtgesellschaftlichen Wirtschaftsplan entsprechend! Verbot des Motorsports als Aushängeschild fossiler und rücksichtsloser Raserei!

  • Für eine Umweltbewegung, die sich zu einer konkret-revolutionären weiterentwickelt und die Arbeiter:innenklasse in den Mittelpunkt einer Mobilitätswende stellt!#wirfahrenzusammen kann dafür nur der Anfang sein.

  • Für die demokratische Gestaltung und Kontrolle eines solchen Notfallplanes und des Verkehrswegebaus im Kleinen und Großen durch Komitees der Beschäftigten im Transportbereich sowie Anwohner:innen, Pendler:innen und Reisende! Für die Finanzierung eines solchen Notprogramms durch eine massive Besteuerung von VW, Shell, Lufthansa und alle die, die jahrzehntelang mit fossiler Mobilität riesige Gewinne getätigt haben!

  • Für die innige Verknüpfung der Energie- mit der Verkehrswende unter Arbeiter:innenkontrolle! Erforschung und Entwicklung von power-to-gas als möglicher Energiequelle alternativer Antriebe wie Speichermedium für Überschussstrom!

  • So oder so steht die Arbeiter:innenklasse nicht zuletzt in den Autokathedralen vor großen Umbrüchen. Aber statt sie als passiven Spielball von Politik und Konzernen zu betrachten, schlagen wir vor: Keine einzige Jobstreichung! Weiterbeschäftigung bei vollem Lohn! Entschädigungslose Enteignung und Verstaatlichung der Autoindustrie unter demokratischer Arbeiter:innenkontrolle! Ein Startpunkt kann schon in den kommenden Kämpfen liegen: Für Streiks und Besetzungen unter Kontrolle der Arbeiter:innen selbst, nicht der Gewerkschaftsbürokratie von IG Metall und Co!

  • Gegen das Ausspielen der Verkehrsbeschäftigten gegeneinander, von Pilot:innen und Bodenpersonal, polnischen und deutschen Lkw-Fahrer:innen, EVGler:innen und GDL-Mitgliedern. Wir halten dem die Perspektive einer Neuordnung der Gewerkschaften entlang der Wertschöpfungsketten entgegen im Rahmen eines demokratisch erneuerten und fusionierten DGB! Für eine internationale Transportarbeiter:innengewerkschaft unter direkter Kontrolle aller Logistik- und Transportbeschäftigten statt einer zahnlosen ITF!

  • Für die generelle Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit auf alle! Sämtliche Steigerungen und Entwicklungen der Produktivkraft ermöglichen eine weitere Ausweitung der Freizeit – und schaffen somit die Möglichkeit zur Verkehrsvermeidung!

  • Für die weltweite Restrukturierung von Stadt und Land, von Wohn- und Produktionsstätten und damit der Verkehrsinfrastruktur nach einem globalen Wirtschaftsplan! Aufbau von Infrastruktur, wo es der Imperialismus immer verhindert und sabotiert hat! Umbau, wo er eine unökologische Verkehrsweise erschaffen hat: Für die weitgehende Renaturierung von Autobahnen und anderen Asphaltwüsten, sofern sie nicht anders sinnvoll genutzt werden können! Für so wenig wie möglich, so viel wie nötig Transport in der Produktion! Weitgehende Trennung von Transportwegen und Wohnorten! Gleichmäßige Verteilung der Bevölkerung, Land- und Forstwirtschaft, Dienstleistungs- und Freizeitangeboten, Industrie nach einem Clustermodell (Wohnen und Arbeiten im Mittelpunkt)! Vernetzung durch ein Verkehrskonzept, das öffentliche Schienenverkehre zum Kern hat! Für die Vergesellschaftung der Hausarbeit – nicht nur als Teil der Frauenbefreiung, sondern auch als Möglichkeit zur Transportvermeidung: Gemeinschaftskantine statt eines privat zu füllenden Kühlschranks!

  • Für offene Grenzen und einen freien internationalen Verkehr! Für das Recht, überall leben und arbeiten zu dürfen, statt unachtsam-bewusstlosen Massentourismus’!

Das Programm ist bewusst skizzenhaft gehalten. Die jeweilige lokale Ausgestaltung der Verkehrswende ist Aufgabe derer, die dort leben und arbeiten. Jedoch ist sie stets vom globalen Standpunkt, als Teil einer internationalen Perspektive zu betrachten.

Zum Schluss wollen wir darauf verweisen, dass Entschleunigung einen konkret erreichbaren Fortschritt darstellen kann. Ein Mensch, der die alltägliche Konkurrenz, Bewusstlosigkeit und Erniedrigung des Kapitalismus nicht mehr kennt und im Gegenzug als Teil eines wirklichen, bewussten Kollektivs arbeitet und lebt und dabei auch noch über ein vielfach größeres Maß an Freizeit als heute verfügt, wird den Drang nach Flucht, Schnelligkeit, Zerstreuung und Besitz eines eigenen Fahrzeugs als Scheinfreiheit auf vier Rädern vermutlich kaum noch spüren. Seine Bewegung durch den Raum würde viel eher bewusstes Erleben statt Mühsal oder Ablenkung bedeuten. Voraussetzung dafür bleibt, die Verkehrsfrage heute mit einem konkreten Antikapitalismus zu verbinden.

Dieses Programm ist ein Auszug aus unserem Theoriejournal „Revolutionärer Marxismus“, Ausgabe 54. Erhältlich bei uns vor Ort oder über die Kontaktadresse info@arbeiterinnenmacht.de




Teuerungskrise 2022

Mo Sedlak, ursprünglich veröffentlicht auf http://arbeiterinnenstandpunkt.net/, Teil 2, Infomail 1204, 15. November 2022

Der erste Teil des Artikels beschäftigte sich vor allem mit den Ursachen der Inflation, im zweiten Teil geht er auf die Antworten der verschiedenen Klassen und ein Programm im Interesse der Arbeiter:innenklasse ein.

Globalisierung und Outsourcing der Inflation

Politiker:innen, Wirtschaftsforscher:innen und Kapitalist:innen reagieren auf die scheinbar unaufhaltsam steigenden Preise wie die aufgeschreckten Hühner. Wir, die Betroffenen und die Linke, eh auch. Und zwar zu Recht: Die Preisexplosion droht, zu einer sozialen Krise, zu einer nachhaltigen Schlechterstellung der Arbeiter:innenklasse zu führen (wenn wir uns nicht wehren). Aber: Außerhalb der imperialistischen Zentren schreckt diese Einsicht wenige. Denn in vielen neokolonialen Ländern wurden in den letzten Jahren ausführliche Erfahrungen mit hoher Inflation und deren sozialen Folgen gemacht.

Das liegt vor allem an zwei Umständen: den Kosten der Geldmengenkontrolle und der Auslagerung von Inflation aus den imperialistischen in die neokolonialen Länder.

Erstens ist die Regulierung der Geldwarenproduktion teuer und umso teurer, wenn dabei die Währungen anderer Länder kontrolliert werden sollen. In vielen unterentwickelten Ländern sind Dollar und Euro anerkannte Parallelwährungen, über deren Produktion und Einfuhr die Regierungen kaum Kontrolle haben. Wir verwenden hier die Formulierung des antikolonialen Marxisten Walter Rodney, der mit dem Begriff Unterentwicklung zeigen will, dass dieser Folge einer bewussten, imperialistischen Politik ist.

Zweitens können Firmen aus imperialistischen Ländern auf den Kapitalexport zurückgreifen, wenn Investitionen im „eigenen Land“ nicht profitabel erscheinen. Tausende „Freihandelsabkommen“ und ökonomische Abhängigkeiten stellen sicher, dass Nestlé, OMV und Wienerberger überall investieren können, wo sie wollen und die Profitraten noch höher sind. Zum Beispiel wegen niedrigerer Löhne oder technisch weniger entwickelter Konkurrenz. Das nimmt den Inflationsdruck aus den imperialistischen Zentren heraus. Die Kapitalist:innen in den Neokolonien und Schwellenländern verfügen über diese Möglichkeit so nicht.

Natürlich spielen Krieg und Pandemie eine zentrale Rolle

Das macht die Inflation bei gleichzeitigem Krieg in der Ukraine auch bedenklich. Durch die neue Blockbildung kommt es zu einer De-Globalisierung. Ein Geflecht aus Sanktionen, Sanktionsumgehungen, Wirtschaftskrieg und unterbrochenen Lieferketten erschwert den Kapitalexport und Produktionsketten. Dieses Gegenmittel gibt es also nicht und die Auslagerung der Profitproduktion nach China ist auch schwerer möglich. Und auch die Klimakrise hat ihren Anteil: Zum Beispiel haben durch Dürre ausgelöste Unfälle in der Halbleiterproduktion Taiwans und Texas‘ 2020 die Lieferketten so beeinträchtigt, dass es bei Auto- und Elektronikpreisen noch heute spürbar ist.

Der Teufel steckt auch hier in vielen Details. Wenn ein Hafen in China eine Woche zusperrt, heißt das, dass Vorprodukte nicht bei Fabriken ankommen. Aber es heißt auch, dass in der nächsten Woche leere Container nicht da sind, weil sie noch voll auf hoher See herumschippern. Was wiederum bedeutet, dass Bananen verfaulen und irgendwelche Müsliriegel nie produziert werden. Was jetzt blöd ist für den/die Zerealienlieferant:in, der /die seine/ihre pünktlich gelieferten Getreidekörner nicht bezahlt bekommt und den anderen Kund:innen deshalb die Preise raufsetztum überhaupt liquide zu bleiben.

Die Inflation sitzt im Kapitalismus wie das Picknbleiben im Beislabend. Aber jetzt werden erprobte Gegenmittel (die auch nicht für alle Länder funktioniert haben) durch den Krieg, die Pandemie und Extremwetter in der Folge des Klimawandels wirkungslos. Das heißt wirklich nicht, dass der Kapitalismus ohne diese Extremerscheinungen nicht inflationär wäre. Aber es kann sein, dass dieses Zusammenspiel zu einer Trendwende führt, von der Niedriginflation auf Kosten der Arbeiter:innenklasse hin zur Hochinflation, die uns auch umgehängt werden soll.

Wir müssen uns auf eine Wirtschaftskrise vorbereiten

Zentralbanken, Wirtschaftsforscher:innen und Unternehmensverbände sagen deutlich, dass eine Stagflationsphase kommt. Das bedeutet, hohe Inflation mischt sich mit einer Stagnation, also niedrigem Wirtschaftswachstum, Firmenpleiten, Arbeitslosigkeit. So eine Phase gab es bereits nach den Ölpreisschocks in den 1970er Jahren und die Lösung der Herrschenden sollte uns zu denken geben. Es folgte nämlich die neoliberale Wende: Privatisierungen, Zerstörung von vielen sozialstaatlichen Errungenschaften, aber auch Angriffe aufs Arbeitsrecht und brutale Repression gegen die Gewerkschaften.

Auch nach der 2008er Krise war das die Lösung der EU. Griechenland wurde brutal ausgehungert. Das Lohnniveau hat sich bis heute nicht erholt ebenso wenig wie Gesundheitssystem oder Sozialleistungen. Italien, Spanien und Portugal erlebten Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 %, eine Generation an Niedrigstlohnarbeitenden wird diesen Rückstand in ihrem Leben nicht mehr aufholen. Der einzige Grund, warum das deutsche Diktat nicht für sich selbst gegolten hat, war, dass die Hartz-Reformen so einen Niedriglohnsektor schon in den Jahren zuvor geschaffen hatten.

In anderen Worten: Die Herrschenden spielen jetzt noch ein paar Monate mit Einmalzahlungen und Subventionen. Aber wenn klar wird, dass eine Rezession droht, werden sie probieren, die Kosten auf uns abzuwälzen und zumindest die Auswirkungen von Massenarbeitslosigkeit und Preisexplosion nicht mehr abfedern. Es kann der Arbeiter:innenbewegung gelingen, das durch harten Widerstand abzuwehren, die Herrschenden in dieser Situation der Instabilität zurückzudrängen. Das wäre auch gut, weil die Alternative nicht gut für uns ausschaut.

Dass eine neue imperialistische Zuspitzung droht, ist angesichts der Ukrainekriegs sonnenklar. Auch die Konfrontationen in den zehn Jahren davor, Ukraine, Syrien und Taiwan, haben gezeigt, dass sich EU, USA, China und Russland in eine neue Blockbildung und auch eine neue Eskalation begeben. Der imperialistische Krieg ist schon jetzt eine Bedrohung in den Gebieten, wo er geführt wird. Seine Ausweitung bedroht die Mehrheit der Weltbevölkerung.

Seit 2008 waren es auch keine rosigen Jahre für die ärmeren Teile der Arbeiter:innenklasse, Niedrigverdiener:innen, prekär Beschäftigte, Erwerbslose und Alleinerziehende. Die kommende Krise droht aber, breite Teile der Bevölkerung, auch die lohnabhängigen Mittelschichten und das Kleinbürger:innentum, vor echte Existenzangst zu stellen. Das Kleinbürger:innentum im 21. Jahrhundert meint Akademiker:innen und kleine Manager:innen, aber auch Selbstständige und Besitzer:innen kleinerer Firmen.

Das vom Abstieg bedrohte Kleinbürger:innentum stellte seit eh und je die soziale Basis des Faschismus und Rechtspopulismus. Wenn es den Herrschenden und den Hetzer:innen gelingt, die Wirtschaftskrise auf gierige Gewerkschaften oder Minderheiten zu schieben, lässt es sich ganz gut mobilisieren. Das hat sich leider auch bei den verschwörungstheoretischen Coronademonstrationen gezeigt, die einen Grundstock für eine rechte Bewegung in der Wirtschaftskrise darstellen können. Die Geschichte von FPÖ und Identitären über elitäre Verschwörungen und Interessengemeinschaften von weiß-österreichischen Kapitalist:innen mit den Arbeiter:innen sind leider tief verankert in diesen Kreisen. Aber nur eine linke Bewegung, die um Solidarität und radikale Umverteilung kämpft, kann verhindern, dass solche Bewegungen einen Massenanhang bekommen.

Preise steigen nicht, wenn wir es verhindern können

Das Problem der Kapitalist:innen beseht darin, dass sie bei steigenden Kosten und unsicherer Profiterwartung nicht wissen, ob sie ihre Warenmenge verkaufen können. Das Problem der Arbeiter:innen ist, dass die Preise so hoch sind. Hohe Preise können aber verhindert werden: kurzfristig durch Preisdeckel, mittelfristig durch die demokratische Kontrolle über Produktion und Preisfestsetzung.

Mal wieder zeigt die kapitalistische Krise, dass der Markt eben nicht „regelt“, sondern der Markt- und Wettbewerbswirtschaft Tendenzen zur Krise innewohnen. Alleine, dass weiterhin günstig produzierter Wasserkraftstrom wegen steigender Gaspreise ebenfalls durch die Decke geht, macht das ein für alle Mal klar.

Aber Preise können auch einfach beschränkt werden. Besonders gerne machen das kapitalistische Regierungen im Krieg, wo die staatliche Nachfrage (nach Waffen und Kriegsproduktion) so in die Höhe geht, dass Mitschneiderei den Kapitalist:innen das Logischste wäre. Aber auch in der Nachkriegszeit, und in Österreich für bestimmte Produkte bis in die 1970er Jahre, wurden Preise immer wieder gedeckelt. Bis heute gibt es Preiskommissionen für Medikamente, einen Richtwertmietzins für Altbauwohnungen. Für Energie, Grundnahrungsmittel und Wohnungen, egal ob alt oder neu, sind solche Preisdeckel jetzt dringend notwendig.

Die Preiskommissionen aus Gewerkschaft und Wirtschaftskammer haben allerdings nicht vor allem die Lage der Arbeiter:innen im Blick gehabt, sondern maximal die schlimmste Verelendung eindämmen wollen. Diesen bürokratischen, sozialpartner:innenschaftlichen Preiskontrollen von oben haftet immer etwas Konservatives, Zurückhaltendes und in der Krise Unzureichendes an. Marxist:innen sind deshalb für tatsächlich demokratische Entscheidungen der Arbeitenden und der Konsument:innen über Preise, Diskussionen und darüber, was wir brauchen und wie teuer es sein darf. Gerade jetzt wird offensichtlich, dass demokratische Kontrolle über die Produktion eine deutlich bessere Alternative ist, als „der Markt regelt“.

Inflation bedeutet aber immer auch eine Kürzung der Reallöhne und realen Sozialleistungen. Also dessen, was Arbeiter:innen und Erwerbslose ausgeben können. Wenn die Preise schneller steigen als die Löhne, ist das eine Umverteilung von unten nach oben. Deshalb fordert der radikale Teil der Arbeiter:innenbewegung schon lange die automatische Inflationsanpassung von Löhnen, Arbeitslosengeld und Sozialleistungen. Dazu würde dann über Lohnerhöhungen verhandelt und gestreikt werden – die Grundanpassung wäre schon vorweggenommen.

Es ist bemerkenswert, dass die türkis-grüne Regierung sich bei einigen Sozialleistungen schon auf diese Maßnahme eingelassen hat, die sonst selbst linke Teile der SPÖ nur zurückhaltend fordern. Es ist auch ein Anzeiger dafür, wie bedrohlich die kommende soziale Krise wahrgenommen wird. Denn generell gilt: bürgerliche Regierungsmaßnahmen mal Zehn ergibt, was notwendig wäre, damit die Lage für uns nicht schlimmer wird.

Leitzinserhöhung heißt noch mehr Lebenskostenkrise

Stattdessen setzen die Bürgerlichen, also Finanzminister:innen und Zentralbanken darauf, die Geldmenge zu beschränken. Statt auf die konkreten Preisentscheidungen wollen sie auf das Makrosystem einwirken. Durch Zinserhöhungen sollen Banken bewogen werden, selber weniger zu borgen, daher weniger Kredite vergeben zu dürfen (Geld zu produzieren, wie wir oben erklärt haben). Die Nachfrage nach Investitionsgütern und kreditfinanziertem Konsum wird so eingedämmt, die Preise sollten fallen.

Aber: Das hat massive Auswirkungen: Gebeutelte Unternehmen können Zahlungsunfähigkeit nicht durch Kredite überbrücken, gehen insolvent und Arbeiter:innen landen auf der Straße. Verschuldete Arbeiter:innen mit „variablen“ Hypothekenzinssätzen können ihr Haus oder Auto nicht mehr abbezahlen, und generell geht die Konsumnachfrage zurück.

Gleichzeitig ist nicht gesagt, dass das überhaupt wirkt. Die gegenwärtige Inflationsperiode geht nicht auf eine „heißgelaufene“ Wirtschaft, schnell wachsende Löhne und massive Investitionen zurück, sondern auf fallende Profitraten und stockende Lieferketten. Daran ändert der erhöhte Leitzins gar nichts, er droht aber den Rezessionsanteil an einer Stagflation noch zu verschlimmern.

Auch einzelne Sozialdemokrat:innen und Gewerkschafter:innen würden sich zu Zinserhöhungen überreden lassen, wenn sie von einer „nachfrageseitigen“ (also von Investitionen und Lohnerhöhungen) getriebenen Inflation ausgehen. Das verstehen sie teilweise unter verantwortungsvoller, keynesianischer Wirtschaftspolitik. Gleichzeitig fordern sie den Beschäftigungserhalt durch staatliche Subventionen und Absicherung der sozial am schlimmsten Betroffenen. Das bedeutet aber nur, dass die Kapitalakkumulation stockt, Firmen nicht mehr produzieren, während die Auswirkungen aus Steuern beglichen werden. Und die zahlen zu 80 % Arbeiter:innen aus Einkommens- und Konsumsteuern.

WIFO-Preisdeckel: Umverteilung von unten nach oben

Ein anderer bürgerlicher Ansatz wird im Moment mit der lieben Bezeichnung Felbermayr-Deckel diskutiert (der Autor dieser Zeilen muss dabei eher an die Kaffeehausschulden des WIFO-Chefs denken). Der neue Kopf an der Spitze des wichtigsten Wirtschaftsforschungsinstituts empfiehlt, die Energiekosten abzufedern, indem der Staat einen Höchstpreis festsetzt (klingt schon mal gut) und den Unternehmen die Differenz zum Marktpreis bezahlt (klingt schon mal teuer). Das wäre aber nur ein riesiges Geschenk an die Übergewinne (auch zu diesem Begriff schrieben wir einen eigenen Artikel in dieser Ausgabe der flammenden) der Energiekonzerne. Ein Teil würde aus unseren Steuern kommen, ein anderer Teil durch spätere soziale Kürzungen nachfinanziert werden. Der Vorschlag ist also eher nicht so lieb und auch nicht nur teuer, sondern zu Ende gedacht wirklich reaktionär.

Grundbedürfnisse sichern durch Vergesellschaftung

Aber die garantierte Deckung der Grundbedürfnisse ist das Problem, das sich jetzt allen stellt. Für eine Lösung dessen müssen Linke jetzt den Protest sammeln, Kämpfe gewinnen können. Und gerade jetzt ist offensichtlich, dass die kapitalistische Produktionsweise diese Grundbedürfnisse nicht decken kann.

Wir fordern deshalb die Vergesellschaftung von Heizung, Wohnen und Grundnahrungsmitteln. Wir sprechen den Energie-, Immobilien- und Lebensmittelriesen das Recht ab, mit unserer Lebensgrundlage zu spielen. Wir wollen die entschädigungslose Verstaatlichung von OMV, Verbund, BUWOG, Agrana und den weniger bekannten Namen.

Aber das sind teilweise schon verstaatlichte und teilstaatliche Unternehmen, die aber als Aktiengesellschaften nach Marktlogik funktionieren. Das zeigt leider, dass eine Verstaatlichung unter bürgerlichen Regierungen nur die halbe Miete ist. Vergesellschaftung heißt mehr als das, bedeutet auf der einen Seite eben keine Aktienunternehmer:innen unter ÖBAG-Verwaltung, sondern demokratische Entscheidungen durch Kommissionen der Beschäftigten und Konsument:innen – wie ein Wiener Linienfahrgastbeirat, aber ernsthaft, gewählt und mit einer tatsächlichen Entscheidungsmacht.

Zusammen kämpfen, den Scherbenhaufen den Herrschenden überlassen!

Wir müssen um diese Forderungen kämpfen. Nicht nur, um der kommenden rechten Mobilisierung den Massenanhang zu verunmöglichen, sondern auch, weil es in den nächsten Monaten um unsere Lebensgrundlagen geht. Aber dazu kommt: Die Krise untergräbt jede Legitimation der bürgerlichen Regierungen, egal ob türkis-grün im Bund, rot-pink in Wien oder die Ampel in Deutschland.

Wir Marxist:innen sind in einer Position der Schwäche. Aber wir sind auch in einer klaren, unmissverständlichen Oppositionsrolle. Akademische, bürgerliche und reformistische Teile der Linken tendieren dazu, den Kapitalismus zu verteidigen. Vor allem wenn die rechten Argumente gegen die Regierung zu sehr an den Haaren herbeigezogen sind, wollen sie beweisen, dass es so arg nun auch nicht ist. Sie begeben sich in die Position der Herrschenden, ohne an der Macht zu sein. Sie machen sich selber zur Zielscheibe des berechtigten Protests, ohne jede Not.

Die Opposition ist die Rolle, in der sich Marxist:innen im Kapitalismus immer befinden. Aber sie ist eine besonders dankbare, wenn die Regierung ihre Legitimation mit jedem Tag mehr verliert. Die Herrschenden sind jetzt schwach und instabil. Sie werden darauf mit Zugeständnissen, aber auch Repression reagieren. Aber sie befinden sich in einer Position, wo sie Kämpfe verlieren werden. Und das kann die Opposition nachhaltig stärken, die Schwäche und den gesellschaftlichen Vertrauensverlust wettmachen, wenn wir im gemeinsamen Kampf siegreich sind.

Das bedeutet die Einheitsfront, das prinzipienfeste Bündnis mit allen Linken und Teilen der Arbeiter:innenbewegung, die jetzt um die richtigen Forderungen kämpfen wollen. Es heißt auch, die „Volksfront“, also das Bündnis mit den Bürgerlichen gegen besonders reaktionäre oder besonders blöde Teile der Rechten zu meiden wie der Teufel das Weihwasser.

International: Sturz der Regierung oder Zahlungsstreik – oder beides?

Es ist in dem Artikel schon ein- oder zweimal angeklungen: Die Teuerungswelle ist ein internationales Phänomen. Das bedeutet, auch der Widerstand muss international (und international solidarisch) sein. Aktivist:innen außerhalb von Österreich haben sich schon gute Ideen einfallen lassen.

In Sri Lanka ist als Reaktion auf die galoppierende Inflation die Regierung gestürzt worden. Nach einer Besetzung des Präsidentenpalasts traten die Minister:innen zurück. Als die Protestierenden trotzdem dort blieben (und Streiks im ganzen Land vorbereiteten), verschwand auch der rechte Präsident. Die Bewegung hat jetzt große Aufgaben vor sich. Zwischen chinesischem und US-amerikanischem Imperialismus ist wenig Spielraum, die soziale Krise in Sri Lanka sitzt tief und auch die rassistische Unterdrückung der Tamil:innen bietet Potential für reaktionäre Gegenmobilisierungen. Aber der Sturz einer Regierung durch Massenproteste ist mal ein Ansatz der zumindest nicht zu zaghaft ist.

Auch aus Britannien erreichen aufmerksame Social-Media-Nutzer:innen schöne Bilder. Eine Million Flugblätter hat die Initiative „Don’t Pay UK“ gedruckt, und 31.000 Unterstützer:innen und 4.000 Aktivist:innen in Gruppen organisiert. Sie fordern die Kürzung der Energiepreise und wollen ab 1. Oktober ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, wenn sich 1 Million dahinter stellen – Mitte August waren es mehr als Hunderttausend.

Und auch in Deutschland orientieren sich Teile der radikalen Klimabewegung auf die Vergesellschaftung der fossilen Energieunternehmen um. „RWE und Co enteignen“ orientiert sich am an der Stimmenzahl gemessen erfolgreichen Kampf gegen privatisierte Immobilien in Berlin und verbindet die Kritik an Öl und Gas mit einer Forderung nach Energieproduktion im Interesse der Bevölkerung.

Löhne rauf, Preise runter!

Und auch in Österreich nehmen Linke und Gewerkschaften die Teuerung sehr ernst. Der ÖGB hat zu einer Betriebsrätekonferenz mobilisiert und organisiert Teuerungskundgebungen in allen Bundesländern Mitte September. Zwischen radikaler Linker und Zivilgesellschaft formieren sich Bündnisse.

Gleichzeitig stehen im Herbst Lohnverhandlungen an, die mit riesigen Reallohnverlusten umgehen müssen. Die Verhandler:innen stehen unter großem Druck der Belegschaften. Und das ist gut so. Der Kampf um höhere Löhne und niedrigere Preise geht Hand in Hand. Eine starke Bewegung um beide Forderungen verhindert auch ein Einknicken, das beim ÖGB öfter vorkommt. Dazu muss sich eine Teuerungsbewegung aber das Vertrauen der Belegschaften erarbeiten, durch Solidaritätsaktionen in den Verhandlungen, gemeinsame Diskussionen und Aktionskonferenzen und echte tatkräftige Unterstützung ihrer Forderungen.

Dem ÖGB ist immer zuzutrauen, eine große Dampfablass-Aktion zu organisieren, den gesellschaftlichen Druck aber klein zu halten. Die Riesendemo gegen 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche, auf die genau gar nichts gefolgt ist, bleibt uns in bitterer Erinnerung. Aber das muss man der Gewerkschaftsspitze nicht erlauben. Solche breiten Mobilisierungen liefern eine Chance für Aktivist:innen, alle möglicherweise Interessierten zu erreichen und den Druck für konsequente Kämpfe aufzubauen. Eigene, tragfähige Aktionen der Linken erhöhen die Aufmerksamkeit der Gewerkschaftsführung und der Sozialdemokrat*innen und erschweren diesen den Ausschluss der kampfbereitesten Elemente.

Und jetzt: Bilden wir uns, organisieren wir uns, bewegen wir uns!

Der Herbst 2022 ist ein Krisenherbst. Er muss auch ein Kampfherbst werden. Die Inflation stellt die Arbeiter:innenklasse vor eine reale Existenzbedrohung und die herrschende Klasse vor eine ernsthafte Legitimitätskrise. Die kommende Rezession wird durch massive Angriffe auf uns und weitgehende Planlosigkeit der Regierung geprägt sein.

Denn Preiserhöhungen sind eine Entscheidung der einzelnen Kapitalist:innen, wo die Gegenentscheidung den Einzelnen auch nichts bringt. Weder durch gute Worte noch durch Pressekonferenzen kann der „ideelle Gesamtkapitalist“ türkis-grün daran etwas ändern, bevor es zu spät ist. Und andere Lösungen, die er hätte, gehen nur auf unsere Kosten.

Es ist jetzt an uns Revolutionär:innen und Marxist:innen, das Bündnis mit allen kampfbereiten Teilen der Arbeiter:innenklasse zu suchen. Das notwendige Problembewusstsein über die Teuerung ist da, die Zeit für eine gemeinsame Analyse der tatsächlichen kapitalistischen Ursachen bleibt auch. Durch Massenmobilisierungen, greifbare aber radikale Forderungen und nicht zuletzt die für alle offensichtliche Schwäche bürgerlicher Antworten, kann die Teuerung zurückgeschlagen werden.




Eckpunkte eines Programm gegen Preissteigerung und Energiekrise

Leo Drais/Martin Suchanek, Neue Internationale 267, September 2022

Die massiv steigenden Lebenshaltungskosten, die kommende Rezession, der Krieg und das Rollback bei der Energiepolitik stehen in einem inneren Zusammenhang. Doch an der gesellschaftlichen Oberfläche scheinen sie in Widerspruch zueinander zu stehen. So fragen sich Klimaaktivist:innen, ob die Forderungen nach Deckelung der Strom- und Gaspreise für die Lohnabhängigen nicht den Ausbau der Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen befördern. Andererseits denken viele Lohnabhängige an steigende Preise und unsichere Versorgung, wenn sie das Wort „Energiewende“ hören.

Dieser Gegensatz tritt nicht zufällig zu Tage. In der bürgerlichen Wirtschafts- und Umweltpolitik stellt er sich tatsächlich als solcher dar. In der kapitalistischen Marktwirtschaft geht es schließlich nicht darum, möglichst gute Produkte zu erzeugen, sondern Profit zu erwirtschaften. Und dabei sind Energie, Umwelt, Klima, aber auch die menschliche Arbeitskraft vor allem Kostenfaktoren. Die viel gepriesene Entlastung der Massen taucht daher immer als untergeordnetes Ziel auf, weil sie natürlich einen Abzug vom Gesamtprofit bedeutet – erst recht in Zeiten sinkender Profitraten, verschärfter Konkurrenz und angesichts der nächsten Rezession.

Analog wird auch der Kostenfaktor Klima- und Umweltschutz betrachtet. Der vollmundig versprochene Green Deal der EU-Kommission und der Bundesregierung versucht, wie alle bürgerlichen, also auf dem Boden des Kapitalismus verbleibenden Konzepte, die Quadratur des Kreises.

Der Gegensatz zwischen Sicherung der Lebensbedingungen der Massen und Energiewende ist jedoch durchaus aufhebbar – allerdings nur im Rahmen eines Kampfes für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen. An dieser Stelle können wir kein umfassendes, detailliertes Programm zu allen Fragen von Inflation und Klima präsentieren, wohl aber einige Eckpunkte skizzieren.

1. Sicherung der Lebensbedingungen der Ausgebeuteten

Angesichts eines sozialen Tsunamis, der Millionen in Deutschland und Milliarden auf der Welt zu überrollen droht, muss der Kampf um die Sicherung der Einkommen der lohnabhängigen und bäuerlichen Massen an erster Stelle stehen. Das inkludiert sowohl Forderungen zur Sicherung der Einkommen wie die gleitende Skala der Löhne, die nach existenzsichernden Mindestlöhnen, Renten und Arbeitslosengeld, als auch die nach Deckelung von Preisen. Letztere Maßnahmen würden z. B. ein Einfrieren der Preise für Energie, für Mieten und Lebensmittel beinhalten.

Maßnahmen zur Sicherung der Kaufkraft reichen jedoch nicht, wenn die Versorgung mit essentiellen Produkten nicht sichergestellt werden kann. Sogar in Ländern wie Deutschland findet ein makaber Disput darüber statt, ob der Staat bei Knappheit zuerst die Versorgung der privaten Haushalte sichern muss oder die Unternehmen vorgehen sollen. Noch viel extremer fällt das Problem in vielen halbkolonialen Ländern aus, die über weit weniger Ressourcen verfügen, bei steigenden Weltmarktpreisen die Versorgung zu sichern.

2. Kontrolle durch die Arbeiter:innenklasse und die Unterdrückten

Die Versorgungsproblematik verweist darauf, dass die Verteilung eines knappen Gutes eine globale Frage des Klassenkampfes aufwirft. Die Lohnabhängigen müssen im Bündnis mit anderen, von der Krise an den Rand gedrückten Schichten (Bauern, Bäuerinnen, Teile der Mittelschichten und des städtischen Kleinbürger:innentums) Kontrollorgane schaffen, die die Umsetzung von Maßnahmen (Preiskontrollen, automatische Lohnanpassung) wie auch die Versorgung der Massen sichern. Im Falle von Energieknappheit, die es in zahlreichen Ländern der sog. Dritten Welt nicht erst seit dem Ukrainekrieg gibt, müssen Kontrollorgane der Arbeiter:innenklasse und andere Unterdrückter die Prioritäten der Verteilung festlegen.

3. Die Reichen müssen zahlen! Enteignet die Profiteur:innen!

Dass wir als Konsument:innen die Preissteigerungen zahlen sollen, weiß mittlerweile fast jedes Kind. Gleichzeitig verkauft die Regierung die Verlängerung der Braunkohleverstromung, die eigentlich ohne die Sanktionspolitik gegen Russland gar nicht nötig wäre, als „demokratische“ Übergangslösung, die natürlich auch wir zahlen sollen. Und die Unternehmerverbände trommeln für den Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomkraft.

Solche Scheinlösungen des Kapitals müssen wir entschieden zurückweisen. Die Reichen, die Profiteur:innen der Krise müssen für die steigenden Lebenshaltungskosten aufkommen. Sie müssen durch eine drastische Besteuerung von Unternehmensgewinnen und privaten Vermögen zur Kasse gebeten werden. Eine Übergewinnsteuer kann dazu ein erster Schritt sein.

Um die Energiekrise, die Preisexplosion zu bekämpfen und zugleich eine wirkliche Wende in der Energiepolitik einzuleiten, müssen die großen Konzerne enteignet werden. Das darf nicht nur Pleitegeier wie Uniper betreffen, wobei auch dort eine entschädigungslose Enteignung allemal günstiger wäre, als Milliarden für den Kauf von Aktien zu verballern. Um einen geplanten, von den Arbeiter:innen als Beschäftigten und Konsument:innen kontrollierten und forcierten Aus- und Umstieg der Energieerzeugung zu schaffen, müssen sämtliche Großbetriebe der Branche entschädigungslos enteignet werden.

4. Einheitsfront aller Organisationen der Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten zur Durchsetzung der Forderungen

Schon um die Forderungen zur Existenzsicherung der Bevölkerung durchzusetzen, braucht es eine gewerkschaftliche, betriebliche sowie in den Wohnvierteln verankerte politische Massenbewegung. Sie muss von der Arbeiter:innenklasse getragen und geführt werden und das gesamte Arsenal des Klassenkampfes nutzen: Massendemonstrationen, Blockaden, Besetzungen, vor allem aber die Waffe des politischen Streiks bis hin zum Generalstreik.

Nur so werden sich unsere Ziel umsetzen lassen. Angesichts der drohenden Katastrophe sind alle Organisationen der Arbeiter:innenklasse, der Linken, der gesellschaftlich Unterdrückten in der Pflicht, mit ihrer Politik des Zaudern, des Stillhaltens, der sozialpartnerschaftlichen Kuschelrunden zu brechen. Diese „Strategie“ führt in den Abgrund – und zwar für Millionen.

Um erfolgreich zu sein, wird es aber auch nicht reichen, wenn die gemeinsame Aktion auf Abkommen zwischen den Führungen beschränkt bleibt. Dann besteht immer die Gefahr, dass kleinbürgerliche oder reformistische Kräfte und vor allem die Gewerkschaftsbürokratie die Mobilisierung nicht nur kontrollieren, sondern auch nach Gutdünken jederzeit abblasen können.

Um dies zu verhindern, die Mobilisierung zu verbreitern und bisher Unorganisierte einzubeziehen,

brauchen wir Aktionskomitees in den Betrieben und Wohnvierteln, also demokratische Kampforgane der Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten.

5. Enteignung, Arbeiter:innenkontrolle und demokratische Planwirtschaft

Die aufgeworfenen Fragen verweisen auch in eine bestimmte, gesellschaftliche Richtung. Die Enteignung der Energiekonzerne und deren Zusammenlegung unter Arbeiter:innenkontrolle schafft eine wichtige Voraussetzung für die Neuorganisation des gesamten Sektors. Sie verweist zugleich auf die gesamte Gesellschaft. Schließlich wird der Bedarf an Energie durch die Organisation der Produktion und Reproduktion in ihrer Gesamtheit bestimmt. Die Enteignung kann daher nicht bei einem Wirtschaftszweig haltmachen, sondern muss die Kommandohöhen von Finanz, Industrie, im Handel und Transport umfassen – und zwar nicht nur in einem Land, sondern weltweit.

Dies erfordert den revolutionären Sturz des Kapitalismus und die Errichtung der Herrschaft der Arbeiter:innenklasse. Die Kampforgane, die gegen Inflation, Krise und für die Sicherung der Lebenshaltungskosten notwendig sind, können bei einer Zuspitzung der Auseinandersetzung – z. B. bei einem Generalstreik oder bei Massenrevolten wie in Sri Lanka – zu Organen der zukünftigen Rätemacht und einer revolutionären Arbeiter:innenregierung werden.

Eine vollständige, in sich stimmige ökologische Wende kann schließlich nur durch die sozialistische Revolution herbeigeführt werden und im Rahmen einer rätedemokratisch organisierten Planwirtschaft vorangetrieben werden. Sie könnte die Produktion und Reproduktion im Interesse der Gesellschaft und der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit im Rahmen einer ökologischen Kreislaufwirtschaft reorganisieren. Den Kampf dafür können, ja müssen wir heute schon aufnehmen. Die Krise des Kapitalismus und die offenkundige Unfähigkeit der herrschenden Klasse, auch nur eines der großen Probleme der Menschheit zu lösen, erlauben dabei, die Verteidigung unserer unmittelbaren Interessen mit dem Kampf für eine Zukunft frei von Ausbeutung und Unterdrückung zu verbinden.




Die Inflation und wie wir sie bekämpfen können

Martin Suchanek, Infomail 1185, 15. April 2022

Die Preissteigerungen fressen ein tiefes Loch in unsere Geldbeutel oder Konten. Längst können die geringen Lohnzuwächse und Rentenerhöhungen die Einkommensverluste nicht mehr auffangen. Betraf hohe Inflation bis vor der Pandemie und der globalen Rezession vor allem die Menschen in den Ländern des „globalen Südens“, also den von den führenden kapitalistischen Mächten und deren Kapitalen beherrschten Staaten, so ist sie längst zum Alltag für die gesamte Arbeiter:innenklasse auch in den imperialistischen Ländern geworden.

Der Krieg um die Ukraine wirkt dabei als Brandbeschleuniger.

Zahlen

Die Pressemitteilung 160 des statischen Bundesamts vom 12. April (https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/04/PD22_160_611.html) gibt einen Überblick über die Dimension der Inflation in Deutschland.

So stieg der Verbraucherpreisindex im März im Vergleich zum Vorjahresmonat (März 2021) um + 7,3 %. Der harmonisierte Index, also jener, der einen direkten Vergleich aller EU-Staaten erlaubt, liegt sogar bei 7,6 %. Tendenz steigend. So hatte die Steigerung gegenüber dem Vorjahresmonat im Februar noch 5,1 % betragen.

Damit wurde der Höchststand vom Herbst 1981, ein Jahr nach dem Beginn des ersten Golfkriegs zwischen Iran und Irak, erreicht.

Die entscheidenden Preistreiber bilden in der aktuellen Lage die gestiegenen Energiekosten:

„Die Preise für Waren insgesamt erhöhten sich von März 2021 bis März 2022 um 12,3 %. (Anmerkung: höher als der Verbraucherpreisindex!) Besonders stark stiegen die Preise für Energieprodukte, die im März 2022 um 39,5 % über dem Niveau des Vorjahresmonats lagen (Februar 2022: +22,5 %). Mit +144,0 % haben sich die Preise für leichtes Heizöl mehr als verdoppelt. Auch Kraftstoffe (+47,4 %) und Erdgas (+41,8 %) verteuerten sich merklich. Die Preiserhöhungen für die anderen Energieprodukte lagen ebenfalls deutlich über der Gesamtteuerung, zum Beispiel für feste Brennstoffe (+19,3 %) und für Strom (+17,7 %). Der Preisauftrieb bei den Energieprodukten wurde von mehreren Faktoren beeinflusst: Neben den krisenbedingten Effekten wirkte sich auch die zu Jahresbeginn gestiegene CO2-Abgabe von 25 Euro auf 30 Euro pro Tonne CO2 aus.“

Den zweiten Faktor, der zur aktuellen Inflation beiträgt, sind die Preise für Nahrungsmittel. Sie erhöhten sich im März 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat um 6,2 %. Besonders betroffen sind folgende Produkte:

„Mehr bezahlen mussten die Verbraucherinnen und Verbraucher vor allem für Speisefette und Speiseöle (+17,2 %, darunter Sonnenblumenöl, Rapsöl oder Ähnliches: +30,0 %) sowie frisches Gemüse (+14,8 %). Erheblich teurer wurden neben Energie und Nahrungsmitteln auch andere Waren, zum Beispiel Kaffeeprodukte (+8,9 %) und Fahrzeuge (+8,2 %, darunter gebrauchte Pkw: +23,9 %). Insgesamt verteuerten sich Verbrauchsgüter um 16,7 % und Gebrauchsgüter um 4,3 %.“

Diese beiden Sparten tragen in Deutschland und auch weltweit entscheidend zur Inflation bei. Die Preissteigerung würde lt. statischem Bundesamt ohne Energie „nur“ 3,6 % betragen, ohne Energie und Nahrungsmittel 3,4 %.

Noch vergleichsweise gering fallen die erhöhten Kosten für Dienstleistungen aus. Insgesamt lagen sie im März 2022 um 2,8 % über dem Niveau des Vorjahresmonats.

Woher kommt Inflation?

In dem Artikel „Rückkehr der Inflation“ haben wir uns ausführlicher mit ihren Ursachen beschäftigt. Wir haben dabei auch gezeigt, dass während der sog. Globalisierungsphase, vor allem im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, trotz massiver Überakkumulation von Kapital die Inflation in den imperialistischen Zentren niedrig gehalten werden konnte – und zwar selbst nach der Krise 2009/10 und trotz der Politik des „billigen Geldes“, also einer massiven Ausweitung der Geldmenge.

Dies hängt damit zusammen, dass mehrere Faktoren Preissteigerungen entgegenwirkten:

  • Senkung des Werts der Waren infolge von Produktivitätssteigerung, Ausdehnung des Welthandels und des Kapitalexportes.

  • Zur Senkung der Warenwerte und infolge dessen auch des Preises trug maßgeblich eine Verlagerung der industriellen Produktion in neue imperialistische (China) und halbkoloniale Länder bei.

  • Stagnation der Löhne und Einkommen während der „Antikrisenpolitik“ auch in den kapitalistischen Zentren.

  • Sicherung der Anlagen überschüssigen Finanzkapitals in den imperialistischen Zentren und damit schon vor der Krise Abfluss aus den sog. Schwellenländern.

Inflationäre Entwicklungen zeigten sich auch schon damals – jedoch konzentriert auf spekulative Finanzmärkte (was zeitweilig die Wirtschaft befeuerte) und auf die halbkolonialen Länder. Dass Inflation nicht mehr als ökonomisches Problem erschien, traf aber auch damals im Grunde nur auf die imperialistische Welt zu. Für die Halbkolonien waren Preissteigerungen und Währungskrisen schon lange vor der „Rückkehr“ der Inflation ein riesiges Problem.

Inflation is here to stay

Doch die der Inflation entgegenwirkenden Faktoren sind aus mehreren Gründen praktisch erschöpft. Erstens hat sich der Weltmarktzusammenhang weiter verändert. Die infolge von Corona synchronisierte globale Rezession hat nicht nur massive Finanzmittel erfordert und die Verschuldung von Staaten und Unternehmen dramatisch gesteigert. Das Ausbleiben eines raschen und deutlichen Aufschwungs führt nun dazu, dass die Verschuldung und auch Ausdehnung von Unternehmen, die ohne Finanzhilfen eigentlich längst pleite sein müssten, die gesamtwirtschaftliche Produktivität und damit auch die Profitraten und die Akkumulation drücken.

Hinzu kommt, dass infolge von Corona bis heute Zulieferketten unterbrochen sind, Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten zusätzlich die Produktion und damit die Profite dämpft.

Außerdem fällt China anders als nach 2010 als Motor der Weltwirtschaft aus.

Der Krieg um die Ukraine, der Kampf um die Neuaufteilung der Welt und die Tendenz zur Blockbildung (Deglobalisierung) wirken unmittelbar extrem verschärfend auf diese Entwicklung. Dies drückt sich besonders bei Energie- und Nahrungsmittelpreisen aus; aber auch die  Finanzmärkte (Handeln von Eigentumstiteln) wirken preistreibend (z. B. auf dem Wohnungsmarkt).

Ingesamt müssen wir mit einer Kombination von Stagnation und Inflation (Stagflation) für die kommenden Jahre rechnen. Die aktuellen Preissteigerungen stellen keine vorübergehende Erscheinung dar. Sie führen vielmehr zu einer dauerhaften Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Arbeiter:innenklasse, für die Bauern-/Bäuerinnenschaft und alle unterdrückten Schichten der Bevölkerung, ja selbst für große Teile der Mittelschichten, wenn es dagegen keinen organisierten und massenhaften Kampf gibt.

Die Halbkolonien, vom Imperialismus beherrschte Länder, sind von der aktuellen Entwicklung besonders betroffen. In Ländern wie Sri Lanka drohen Hyperinflation und der Zusammenbruch der Währung.

Doch auch in den imperialistischen Zentren wie Deutschland bedeutet die Inflation für die Arbeiter:innenklasse insgesamt eine Entwertung der Löhne, Einkommen (Renten, ALG, Unterstützungsleistungen wie Kindergeld) und Ersparnisse.

Für die Massen führt die sinkende Kaufkraft zu einer Einschränkung ihrer Konsummöglichkeiten. Die ärmeren, schlechter bezahlten und sozial unterdrückten Teile der Klasse sind hiervon besonders hart und rasch betroffen, also prekär und/oder Teilzeitbeschäftigte, Aufstocker:innen, Arbeitslose, Rentner:innen, Jugend, Frauen, Migrant:innen, Geflüchtete.

Grundsätzlich treffen Preiserhöhung essentieller Güter des täglichen Verbrauchs, von Energie oder Nahrungsmitteln die Menschen umso härter, über je weniger Einkommen sie verfügen. Sie können, weil sie ohnedies schon am Existenzminimum leben, nicht groß verzichten. Sie müssen weiter versuchen, die Mieten trotz erhöhter Nebenkosten zu bestreiten, sie müssen bei erhöhten Preisen beim Discounter einkaufen usw. usf.

Im schlimmsten Fall droht ihnen die Verarmung und Verelendung. Verschärft wird das Problem noch dadurch, dass die Inflation mit der Knappheit an bestimmten Gütern einhergeht, so dass z. B. bei den Tafeln schon jetzt ein Engpass an gewissen Lebensmitteln herrscht.

Inflation treibt zwar auch Teile des Kleinbürger:innentums (v. a. untere Schichten) und sogar schwächere Kapitale in den Ruin und beschleunigt somit die Zentralisation und Konzentration des Kapitals – sie trifft aber in den imperialistischen Ländern besonders die Lohnarbeiter:innen.

Die Verlust an Kaufkraft, der Preisverlust Arbeitskraft führt auf Dauer auch zur Senkung ihres Werts, wird er nicht mittels steigender Löhne und Einkommen kompensiert. Dies betrifft nicht nur die Lohnabhängigen als Beschäftigte, sondern durch eine Senkung der Kaufkraft von Renten, Arbeitslosengeld und anderen Transferleistungen auch all jene Teile der Arbeiter:innenklasse, die ihre Arbeitskraft nicht verkaufen müssen oder können. Für das Kapital bietet die Inflation damit eine Chance zur Erhöhung der Ausbeutungsrate, ohne selbst direkt Lohnsenkungen durchsetzen zu müssen.

Die Frage der Preissteigerung stellt daher auch ein zentrales Problem des Klassenkampfes in der aktuellen Lage dar.

Gewerkschaften und ihre Antwort

Hier machen sich die geringen Abschlüsse – also faktisch Lohnverzicht – der letzten Jahre und in der Regel extrem lange Laufzeiten von 2 Jahren und mehr dramatisch bemerkbar.

Die meisten Abschlüsse der letzten Monate (https://www.dgb.de/aktuelle-nachrichten/tarifverhandlungen-tarifrunden-tarifrunde-streiks-warnstreiks) reproduzieren diese Politik des Verzichts und Zurückweichens. Hier nur einige Beispiele aus dem Jahr 2022:

  • Banken/Versicherungen: 5 % – aber über 2 Jahre plus eine Einmalzahlung von 500 Euro.

  • IG BCE: Brückenlösung für sieben Monate – Einmalzahlung pro Beschäftigter/m von 1400 Euro (1000 Euro für „notleidende Betriebe).

  • Druck: 3,5 % in zwei Schritten bei 25 Monaten Laufzeit!

Allein diese Beispiele verdeutlichen, dass die Entgelterhöhungen deutlich unter der aktuellen Preissteigerung liegen. Einmalzahlungen von 1000 Euro oder mehr wie in der chemischen Industrie mögen zwar auf den ersten Blick gut ausschauen, doch sie sind eben mehr oder weniger rasch verbraucht und fließen nicht in die Entgelttabellen ein.

Doch wenn die Anpassungen schon vollkommen unter jenen der Branchen blieben, die sich zur Zeit in Tarifauseinandersetzungen befinden, so trifft es jene, die vor dem massiven Anstieg der Inflation abgeschlossen haben, noch viel härter. Sie müssen, folgt man dem üblichen Tarifrundenritual, eben noch einige Monate oder mehr als ein Jahr warten. Oder sie müssen auf ein „Entgegenkommen“ von einzelnen Unternehmen hoffen – und das sicher nicht ohne Zugeständnisse in anderen Bereichen.

Un- oder gering organisierte Branchen, die ohnedies nicht oder kaum zum Tarif zahlen, spielen bei der Strategie der DGB-Gewerkschaften erst recht keine Rolle.

Noch dramatischer ist jedoch die Lage für alle Lohnabhängigen, die nicht beschäftigt sind:

  • So fällt die Erhöhung der Renten mit 5,5 % nach eine Nullrunde im Jahr 2021 viel zu gering aus. Und auch hier trifft die rein lineare Erhöhung vor allem diejenigen mit den geringsten Renten am härtesten.

  • Dasselbe trifft für Minijobber:innen, Erwerbslose, Hartz-IV-Empfänger:innen wie alle Bezieher:innen von Transferleistungen zu.

  • Schließlich wird auch der Effekt der Erhöhung des Mindestlohns rascher aufgehoben.

Die Gewerkschaftsbürokratie gibt ebenso wie die Spitzen von SPD und Linkspartei auf diese Entwicklung keine Antwort. Ihr ganzes politisches Repertoire besteht darin, leere Appelle an den Staat und die „Sozialpartner:innen“ zu richten. Vom Bruch mit der Routine des Tarifrundenrituals, selbst von der allgemeinen und koordinierten Aufkündigung der bestehenden Verträge, wollen sie nichts wissen – schon gar nicht von einem politischen Kampf und politischen Streiks für alle Lohnabhängigen. Und das, obwohl (oder weil?) die allgemeine Preissteigerung die Unzulänglichkeit und Untauglichkeit der sozialpartnerschaftlichen und rein tarifpolitischen Antwort des Gewerkschaftsapparates offenbart. Für die Masse der Arbeiter:innenklasse führt sie unwillkürlich zu Verzicht und massivem Verlust an Kaufkraft.

Welche Antwort?

Dabei käme den Gewerkschaften eigentlich eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die Preissteigerungen zu. Die Millionen organisierten Arbeiter:innen stellen jene unverzichtbare Kraft dar, die ein Programm durchsetzen kann, das verhindert, dass die Inflation auf die Lohnabhängigen abgewälzt wird. Umso wichtiger ist es, dass oppositionelle Strömungen wie die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) die Initiative ergreifen und sich andere klassenkämpferische Kräfte mit dieser koordinieren, um gemeinsam für eine Antwort auf die Preissteigerungen zu kämpfen. Dazu schlagen wir folgende Forderungen vor:

  • Automatische Anpassung der Löhne, Gehälter, Einkommen an die Preissteigerung. Diese muss von Kontrollausschüssen der Beschäftigten, Gewerkschaften, Rentner:innen und Erwerbslosen kontrolliert werden.

  • Bestimmung des Warenkorbs, der als Grundlage für die Anpassung der Einkommen herangezogen wird, durch solche Ausschüsse, da die Erhöhung der Lebenshaltungskosten oft höher liegt als der amtliche Verbraucherpreisindex.

  • Massive Anhebung von Mindestlöhnen und Einkommen (Arbeitslosengeld, Renten) gegen Armut auf 1600,- netto/Monat.

  • Preisstopps und -kontrolle in bestimmten Sektoren.

Die Verbraucher:innenpreise und Kosten von Waren, die v. a. Lohnabhängige für Wohnen, Energie, Lebensmittel bezahlen müssen, müssen offengelegt, kontrolliert und z. B. bei Mieten eingefroren werden. Die Kosten müssen durch den Staat oder das (Wohnungs-)Kapital übernommen werden.

  • Kostenlose Grundversorgung: ÖPNV, garantierter Zugang zum Gesundheitssystem und zur Bildung für alle.

  • Enteignung und Kontrolle des Agrarkapitals; direkte Verbindung zu landwirtschaftlichen Produzent:innen; Enteignung der Immobilienkonzerne.

  • Enteignung der Energiekonzerne und Fortführung unter Arbeiter:innenkontrolle.

Wenn Preissteigerungen v a. aus diesem Sektor herrühren, müssen wir diesen unter Kontrolle bringen.

  • Finanzierung durch massive Besteuerung von Vermögen und Unternehmensgewinnen. Alle Enteignungen müssen entschädigungslos und Arbeiter:innenkontrolle stattfinden zur Reorganisation der Produktion im Interesse der Massen und ökologischer Nachhaltigkeit.

Tarifkämpfe sollten als Mittel genutzt werden, um massive Entgelterhöhungen möglichst branchenübergreifend durchzusetzen und Kampforgane aufzubauen. Doch sie reichen nicht. Sie müssen als Mittel verstanden werden, alle Lohnabhängigen für einen gemeinsamen politischen Klassenkampf, letztlich für einen politischen Massenstreik zu sammeln. Diese Bewegung muss sich auf Aktionskomitees in den Betrieben, Büros, aber auch in den Stadtteilen und Gemeinden stützen, um auch Arbeitslose und Rentner:innen, Jugendliche und Studierende zu einer Kampfeinheit zu formieren.

Inflation, Stagnation und Krise gehen Hand in Hand. Ihre Lösung erfordert die Verbindung der Mobilisierung gegen Preissteigerungen mit der Eigentumsfrage und der sozialistischen Umwälzung. In diesem Rahmen erst ergeben Übergangsforderungen wie die gleitende Skala der Löhne (automatische Anpassung an die Inflation) und Arbeiter:innenkontrolle ihren eigentlichen Sinn – als Schritte im Kampf für eine zukünftige Gesellschaft.




Rückkehr der Inflation?

Markus Lehner, Infomail 1176, 19. Januar 2022

Inflationsraten Ende 2021 von 5,3 % in Deutschland oder 7 % in den USA – so etwas kannten viele BewohnerInnen der imperialistischen Zentren nur noch aus Erzählungen „aus grauer Vorzeit“ oder von Ländern des „globalen Südens“. Seit einigen Monaten sind Inflationsraten über 2 % üblich geworden. Zunächst erklärten WirtschaftsforscherInnen und ZentralbänkerInnen, dass es sich um Sondereffekte handeln würde: kurzfristige Lieferengpässe aufgrund der wirtschaftlichen Folgen von Corona oder Spezialeffekte, wie die Rücknahme der Mehrwertsteuerermäßigung.

Inzwischen sind die meisten dieser ExpertInnen sehr viel vorsichtiger geworden – insbesondere nachdem der Vorsitzende der FED, der US-Zentralbank, erklärte: „Inflation is here to stay“. Die Frage ist also: Stehen wir am Beginn einer neuen Ära der Inflation – und wenn ja, aus welchem Grund? Insbesondere stellt sich die Frage nach den Auswirkungen auf die ArbeiterInnenklasse und die notwendige Reaktion darauf.

Zunächst einmal: Was ist überhaupt Inflation?

Einfach gesagt geht es um eine allgemeine und längerfristige Steigerung der Preise, die nicht nur einen bestimmten Sektor, sondern wesentliche Bereiche sowohl für den Massenkonsum als auch für Investitionsgüter betrifft. Das Schwierige dabei ist, dass eine solche übergreifende Preissteigerungstendenz sehr verschiedene Ursachen haben kann. Da es sich bei Preisen um ein quantitatives Verhältnis von Geld und Waren handelt, in dem sich letztlich ein Wertverhältnis widerspiegeln muss, kann die Ursache sowohl auf der Geld- wie auf der Warenseite liegen.

Geld dient einerseits als Zirkulationsmittel, um den Tausch von Waren zu ermöglichen, und andererseits als Wertmaßstab im Tauschverhältnis (tritt uns also z. B. als Preis einer Ware entgegen). Daher können sowohl Schwankungen in der Geldmenge als auch im Wert des Geldes das allgemeine Preisniveau beeinflussen. Der klassische Fall in der Geldtheorie waren die massiven Zuflüsse von Silber in der frühen Neuzeit aus den spanischen Kolonien. Herrschte zuvor trotz Ausdehnung von der Arbeitsproduktivität in Europa Geldknappheit und damit eine Tendenz zu fallenden Preisen, so führte die Ausdehnung der Geldmenge vor allem in Spanien zu einer massiven Inflation (samt Abfluss des Silbers in die produktiveren Sektoren Europas). War dies zunächst der erhöhten Nachfrage geschuldet, so wurde es noch verstärkt, indem die Silbermünzen immer mehr „gestreckt“ wurden (d. h. ihr nomineller und realer Wert auseinanderfielen).

Zusätzlich ist Geld nicht nur Zirkulationsmittel und Maßstab der Werte – es ist durch Kredit- und Wechselgeschäfte immer auch Zahlungsmittel für Tauschvorgänge, bei denen Kauf dem Verkauf vorgezogen wird (nachträgliche Zahlung mit entsprechender Verzinsung). Auch durch Schwankungen der Masse an Zahlungsmitteln und deren Werte (sowie der Zinsen) können Preiseffekte entstehen. Dies betrifft Phasen der Ausdehnung der „Liquidität“ (Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit einer wachsenden Zahl von GläubigerInnen) wie ihres Schrumpfens. Ein hohes Ausmaß an Zahlungsausfällen und Zurückhalten von kurzfristiger Vorfinanzierung – wie z. B. nach der Finanzkrise 2008 – führt zu Marktstockungen und damit kurzfristig zu raschem Preisverfall für plötzlich schwer verkäufliche Waren. Langfristig wirkt hingegen die Ausdehnung der Geldmenge als Zahlungsmittel auch inflationär – wenn der so zum Anwachsen gebrachten Nachfrage (Kauf) langfristig nicht auch die entsprechenden Gegenleistung entspricht (Verkauf). Moderne Inflationen entspringen zumeist Ungleichgewichten in diesen Kreditgeldsphären und weniger dem klassischen Geldumlaufbereich.

Weltmarktstellung, Finanzsystem und Inflation

Von Seite der Ware her gesehen ist das Phänomen der Inflation vor allem eines des Verhältnisses von Wert und Preis. Der Wert wird wesentlich bestimmt durch die gesellschaftliche Arbeitszeit, die für die Produktion der Ware unter den vorherrschenden durchschnittlichen Arbeitsbedingungen notwendig ist. D. h. längerfristige Veränderungen der Arbeitsproduktivität, vor allem sektoral oder regional, führen zu Ausgleichsbewegungen, die sich durch Veränderungen der Preise vermitteln. So hat die „billige Industrieware“ des britischen Kapitals im 19. Jahrhundert auf dem vom Britannien dominierten Weltmarkt zu einer Ära fallender Preise geführt. D. h. obwohl Britannien praktisch das ganze 19. Jahrhundert eine nachhaltig steigende Staatsverschuldung erlebte, führte dies nicht zu Inflation, da dies mehr als wettgemacht wurde durch den deflationären Effekt der Weltmarktstellung des britischen Kapitals. Ein Produktivitätsvorteil, der lange von KonkurrentInnen nicht eingeholt werden kann, kann durch Verkauf über Wert zu einem Werttransfer führen. Trotz Ausdehnung der Geldmenge (dargestellt noch in Gold bzw. damit gedeckten Äquivalenten) wurde dies durch den Zufluss an ausländischen Werten (Gold oder Anleihen) mehr als wettgemacht.

Der Zusammenbruch der Goldwährungssysteme (British Empire, Bretton Woods) hatte jeweils die Gefahr von inflationären Krisenphasen zur Folge gehabt. Um das Beispiel der 1970er Jahre heranzuziehen: Der lange Boom der Nachkriegsperiode endete in Profitabilitätsproblemen, Stockungen der Investitionstätigkeit und Stagnation der Arbeitsproduktivität. Gleichzeitig war der Welthandel stark von nationalstaatlichen Beschränkungen und Monopolpreisen bestimmt. Die Überschuldung der USA, die zur Aufkündigung der Währungsregulierung von Bretton Woods 1973 führte, überschwemmte den Weltfinanzmarkt mit Dollars, die per Schuldenfinanzierung zur Ankurbelung der stockenden Wirtschaften dienen sollten. Tatsächlich kamen letztere jedoch nicht vom Fleck, weshalb sich im Verlauf der späten 1970er Jahre auch in den reichen Industrieländern die Inflationsraten auf die 10 % zubewegten. Stagnation, Verschuldung und Inflation wurden zum Teufelskreis der „Stagflation“ – bis die US-Zentralbank 1982 mit massiven Zinserhöhungen („Volcker-Schock“), teilweise bis zu 20 %, den großen „Dollar-Staubsauger“ anwarf. Die danach einsetzende massive Schuldenkrise war einer der entscheidenden Hebel für die Durchsetzung der neoliberalen Angriffe und der Durchsetzung des „Washington Consensus“ während der 1980er Jahre.

Die darauffolgende Globalisierungsperiode führte zu zwei Jahrzehnten von globalem Wachstum, gestützt auf den Zusammenbruch der degenerierten ArbeiterInnenstaaten, massiver Deregulierung und Privatisierung, Abbau von Handelsschranken und nationalen Schutzbestimmungen – und damit der Ankurbelung von Arbeitsproduktivität und Investitionstätigkeit aufgrund entsprechender Profitraten. Die Deregulierung der globalen Finanzmärkte führte zu einer Ära der scheinbar unbegrenzt wachsenden Liquidität, der Zahlungsmittel für einen in neuer Qualität wachsenden Weltmarkt. Insbesondere die Verbilligung von Waren und Dienstleistungen durch globales Outsourcing, Steigerungen von Produktivität und Ausbeutungsraten zeitigte durch das Sinken der Herstellungspreise einen deflationären Effekt. Die scheinbar explodierenden Geldmengen führten unter diesen spezifischen Bedingungen nicht zur Inflation. Außerdem wuchs die Massenkaufkraft in Folge der neoliberalen Lohn- und Haushaltspolitik auch in den imperialistischen Ländern nicht in entsprechendem Ausmaß, so dass der Geldüberhang eher wiederum in neue Finanzmarktprodukte floss und das Kreditgeldsystem stabilisierte. In den imperialisierten Ländern dagegen wurden diejenigen, die den „Washington Consensus“ verließen, ganz automatisch durch Schrumpfen der Dollarreserven oder Abwertung ihrer Währung mit Inflation gestraft. Die Inflation war also nicht verschwunden – nur dass sie in den imperialistischen Ländern als solche der Finanzwerte, in den imperialisierten Ländern als Zwangsmittel zur Aufrechterhaltung neoliberaler Politik auftrat.

Globale Krise

Mit dem Sinken der Profitraten in den frühen 2000er Jahren kehrte die Realwirtschaft zur Stagnation zurück, während der spekulative Boom durch das Aufblasen der Finanzmärkte weitergetrieben wurde – bis zur Finanzmarktkrise 2008. Die vorläufige Rettung des globalen Kapitals wurde paradoxerweise 2009/2010 mit der Politik des „Quantitative Easing“, also der extremen weiteren Ausdehnung der Zahlungsmittelmengen erzielt. Damit wurde die Liquidität wiederhergestellt und gleichzeitig ein großer Teil der imperialistischen Kapitale gerettet. Da die 2010er Jahre in den alten imperialistischen Ländern aber gleichzeitig weiterhin durch sehr geringe Wachstums- und Profitraten in der Realwirtschaft gekennzeichnet waren, stellt sich die Frage, warum sich das dort nicht als Inflation ausgewirkt hat. Hier wirkten folgende drei Faktoren: (1) Die Gewichte im Welthandel hatten sich stark zu Gunsten von China verschoben, das als Lokomotive der Weltwirtschaft mit seinen Produktionsketten den Weltmarkt weiterhin mit billigen Herstellerpreisen bedienen konnte; (2) die Antikrisenpolitik in den imperialistischen Ländern fußte weiterhin auf Stagnation der Löhne und Massenkaufkraft; (3) trotz der Politik des billigen Geldes vertraute das globale Kapital aus Angst vor schlimmeren Verlusten in sogar gesteigertem Maße ihr Geld den klassischen imperialistischen Anlagemärkten an. In Folge wurden viele der angeblich aufsteigenden Schwellenländer (z. B. Brasilien, Türkei) durch Kapitalmangel und schrumpfende Weltmarktchancen gebeutelt. In vielen dieser Länder breitete sich bereits Stagflation aus.

Die Corona-Krise traf dieses sowieso schon krisenhafte Weltsystem. Mit dem Wachstumseinbruch der ersten Corona-Welle und den folgenden Einschränkungen, was Welthandel, Transport und Zulieferindustrien betraf, kam es zu schweren Rezessionen in fast allen Ländern des Globus. Wiederum wurden in den imperialistischen Ländern massive Geldmittel zur „Überbrückung“ bis zum erneuten Anlaufen der Weltwirtschaft bereitgestellt. Dies betraf sowohl große staatliche Ausgabenprogramme wie auch weitere Ausweitung der Zahlungsmittelmengen (z. B. durch Übernahme gefährdeter Finanzierungen). Anders, als sich Regierungen und Zentralbanken es vorstellten, ging die Krise aber nicht so rasch vorbei. Insbesondere führten das Prinzip „so wenig Lockdown in den Betrieben wie möglich“ ebenso wie der Mangel an Unterstützung der Impfkampagnen in der imperialisierten Welt dazu, dass die Pandemie unvermindert weitergeht, von Mutationswelle zu Mutationswelle.

Außerdem wächst das Gewicht der schon seit der letzten Krise immer zahlreicher werdenden „Zombiekapitale“ (Betriebe, die abseits der bestehenden Geldpolitik längst zahlungsunfähig wären). Dies drückt die gesamtwirtschaftliche Produktivität, bindet Kapital für neue Investitionen und drückt die Durchschnittsprofitrate. Die Wachstumsraten, die sich bisher für das neue Jahrzehnt andeuten, sind daher ebenso stagnativ wie im letzten Jahrzehnt. Dazu kommt, dass diesmal auch China in einer real- und finanzwirtschaftlichen Krise steckt (Stichwort: Evergrande). Während es diesmal nicht die dynamische Rolle auf dem Weltmarkt spielen kann, kommt auch noch dazu, dass nicht erst seit Trumps US-Präsidentschaft der Welthandel wieder deutlich protektionistischer organisiert wird. In wachsender Weise werden auch Produktionsketten wieder in die imperialistischen Kernländer zurückverlegt (Schlagwort „Deglobalisierung“).

Inflation ist zurück

All dies bedeutet, dass derzeit die gewachsene Geldmenge durch sehr viel weniger deflationäre Gegengewichte gebremst wird. Die Stimuluspakete z. B. von Bundesregierung oder USA waren stärker als 2009 auf Belebung von Massenkonsum und Investitionen ausgerichtet (in der Annahme, dass dies der kurzfristigen Überbrückung dient). Doch trafen sie auf einen weiterhin stagnierenden bzw. sogar schrumpfenden Weltmarkt. Geringere Kapazitäten in der Öllieferung führten zu steigenden Preisen mit einem Anstieg der Gaspreise in Folge. Mit den CO2-Zertifikaten führt dies insbesondere bei den Energiepreisen zu einem enormen Anstieg. Ähnliche Preisauftriebe gibt es für Baumaterialien und -maschinerie. Der Rückbau von Produktionsketten ebenso wie pandemiebedingte Ausfälle bringen auch einen Nachfrageüberhang nach Arbeitskräften mit sich, was zu einer Lohnsteigerungstendenz führt. Letztlich mündet die Finanzmarktentwicklung auch weiterhin in hohen Investitionsraten in Immobilien und damit auch zu weiter steigenden Mieten.

All das bedeutet heute, dass sich die Politik des billigen Geldes derzeit auch tatsächlich in steigenden Preisen auswirkt. Sollte es nicht zu einem raschen und starken Wachstum, fußend vor allem auf steigenden Investitionen, kommen, droht tatsächlich auch in den imperialistischen Zentren die Rückkehr der Stagflation (Kombination von Stagnation und Inflation, die einander wechselseitig verstärken). Da ein realer, von Investitionen getragener anhaltender Aufschwung nicht zu erwarten ist, müssen wir uns auch wieder auf die Schockmaßnahmen vorbereiten, die das Kapital für so einen Fall parat hält.

Zunächst einmal muss uns als Lohnabhängigen klar sein, dass eine längerfristige Phase der Inflation eine starke Bedrohung für unsere Lebensverhältnisse darstellt. Schon jetzt sind gerade NiedrigverdienerInnen und Hartz-IV-EmpfängerInnen massiv von den Preiserhöhungen betroffen. Aber auch „Normalverdienende“ werden diese zu spüren bekommen, wenn die Inflation nicht vollumfänglich in die Lohnforderungen eingeht. Alle Behauptungen von einem „vorübergehenden Phänomen“ müssen entschieden zurückgewiesen werden.

Tatsächlich kann sich das Problem von Erhöhungen von Strom- und Wohnkosten in nächster Zeit sogar extrem zuspitzen. Dies muss insbesondere bei Fragen der Enteignung von Wohnungsgesellschaften und Energiekonzernen mit eingebracht werden. Insgesamt kann die ArbeiterInnenklasse den Auswirkungen einer Stagflationskrise nur durch einen konsequenten Kampf für eine gleitende Skala von Löhnen und Arbeitszeiten unter ArbeiterInnenkontrolle begegnen, also eine unmittelbare Anpassung der Einkommen an Preiserhöhungen. Da die offizielle Inflation die Preissteigerungen der Lohnabhängigen oft nur unzureichend widerspiegelt, muss diese Erhöhung von Löhnen, Arbeitslosengeld, Renten usw. die Preisentwicklung jener Waren widerspiegeln, die vor allem von den Lohnabhängigen konsumiert werden, um sich zu reproduzieren.

Doch die Auswirkungen einer Inflation und möglicher „Schocktherapien“ der Herrschenden wie eine Rückkehr zu einer Hochzinspolitik treffen nicht nur die Preise. Ein mögliche drohende „Schocktherapie“ muss ihrerseits zwangsläufig zu einer massiven Welle von Betriebsschließungen führen – was nur mit einer koordinierten Welle von Betriebsbesetzungen beantwortet werden kann.

Viel spricht dafür, dass die zu erwartende Stagflationskrise die der 1970er Jahre global um einiges übersteigen wird. Daher können die genannten Abwehrmaßnahmen der ArbeiterInnenklasse nur die Vorbereitung auf die notwendige Offensive für den Angriff auf die Wurzel des Problems sein: das Privateigentum an den Produktionsmitteln und eine Neuaufteilung der gesellschaftlichen Arbeit unter Kontrolle der Lohnabhängigen. Die ökonomische und ökologische Krise, auf die wir zusteuern, erfordert lebensnotwendig den Kampf um eine sozialistische Gesellschaft.