Teuerungskrise 2022

Mo Sedlak, ursprünglich veröffentlicht auf http://arbeiterinnenstandpunkt.net/, Teil 1, Infomail 1204, 12. November 2022

Die Preise explodieren, nicht nur in Österreich, sondern von Europa bis in die USA. Energie, Lebensmittel und Mieten sind für breite Teile der Bevölkerung nicht mehr leistbar. Für neokoloniale Länder im globalen Süden gehört diese Existenzbedrohung der Arbeiter:innenklasse und der Erwerbslosen schon länger zur Krisennormalität. Aber dass die beschworene Preisstabilität auch in den imperialistischen Zentren wackelt, zeigt, wie gefährlich der weltweite Kapitalismus unter Krieg und Gesundheitskrise taumelt. Das ist mehr als eine spannende Beobachtung: Wenn es nicht gelingt, die Lebenskostenkrise der Arbeiter:innenklasse abzuwehren, droht eine tiefe soziale Krise und eine weitere Schwächung der Linken.

Vor nur zwei Jahren hat das Gegenteil den Zentralbanken und Unternehmensverbänden Kopfweh gemacbereitet. Die jährlichen Preiserhöhungen wollten und wollten nicht an das „Inflationsziel“ von 2 % herankommen. Die Geldmengenpolitik der EZB ging direkt in Aktienblasen statt in die Supermärkte und Firmeninvestitionen.

Beides, sowohl Niedrig- als auch Hochinflation, sind Krisenphänomene des Kapitalismus seit der globalen Rezession 2008. Die Hochinflation ist allerdings deutlich kurzfristiger existenzbedrohend für Arbeiter:innen, Erwerbslose und Arme. Um das effektiv zu verhindern, müssen wir um mutige Forderungen kämpfen, Preise beschränken und die wichtigsten Wirtschaftsbereiche von Heizung bis Lebensmitteln unter demokratische Kontrolle stellen. Und wir müssen verstehen, was sich da eigentlich tut. Eine marxistische Analyse ist zwar anstrengend, aber hilfreich.

Hochinflation ab 2022

„Die Inflation ist zurück“ haben unsere deutschen Genoss:innen von der Gruppe Arbeiter:innenmacht Anfang des Jahres geschrieben. „Inflation is here to stay“ verkündete die US-Zentralbank FED. In der anhaltenden Coronakrise sind dramatische Preissteigerungen in die imperialistischen Zentren zurückgekehrt mit Anstiegen, wie sie zum Beispiel Österreich seit den Ölpreisschocks der 1970er Jahre nicht mehr erlebt hat.

Das hat schon letztes Jahr begonnen. Im September 2021 lagen die durchschnittlichen „Verbraucher:innenpreise“ um 3,3 % über dem Vorjahresmonat. Der durchschnittliche Wocheneinkauf („Miniwarenkorb“) war sogar um 6,8 % teurer. Vor allem die Preise für Energie und Gastronomie sind damals schnell gestiegen, Preise, die im ersten Coronajahr 2020 stark gefallen waren.

Das war kein „Wiederaufholen“ zum Vorkrisenniveau, was die Preisexplosion 2022 klar zeigt. Mittlerweile gehen Wirtschaftsforscher:innen von einer Jahresinflation um die 10 % aus. Die Preise für Heizung und Strom haben sich verdoppelt bis vervierfacht. Wien Energie zum Beispiel hat dieses Jahr schon mehrmals die Preise für Strom, Gas und Fernwärme erhöht. Die „Preisindizes“, an denen sich diese Rechnungen orientieren, haben sich dieses Jahr für Gas vervierfacht (+ 323 %), für Strom mehr als verdreifacht (+ 249 %).

Das ist keine österreichische oder europäische Besonderheit. Auch in den USA liegt die Durchschnittsinflation bei 9 %, in China um die 5 %.

Dazu drei Nebensätze: In den neokolonialen Ländern des globalen Südens sind Hoch- und Hyperinflation nichts Besonderes oder Neues. Auch das soziale Elend, das dadurch zum Beispiel in Venezuela, der Türkei oder Argentinien entsteht, ist nicht geringer oder normaler als in den imperialistischen Zentren. Trotzdem: Wenn es den Imperialist:innen nicht gelingt, solche Entwicklungen vor der eigenen Haustür abzuwenden, liegt einiges im Argen.

Diese Zahlen bilden einen krassen Unterschied zu den letzten 15 Jahren. Nach der Finanzkrise 2008 haben sich die US- und EU-Zentralbanken regelmäßig ein „Inflationsziel“, also durchschnittliche Preissteigerungen von 2 % pro Jahr gesetzt. Und sie sind regelmäßig daran gescheitert, trotz radikaler Maßnahmen wie „Quantitative Easing“, Null-Leitzins und direktem Kauf von Unternehmensanleihen (dazu später mehr).

2022, unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs und anhaltenden Corona-Lockdowns, sind die imperialistischen Staaten aus einer Niedriginflationsphase in allgemeine Teuerungsexplosion übergegangen. So richtig passt es quasi nie.

Eine soziale Krise, die Lebenskosten

Das ist nicht egal, sind nicht nur Details der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Ende 2022 werden sich viele Haushalte schwertun, Nahrungsmittel und Heizung zu bezahlen. Die stark angehobenen Mieten (Richtwertmietzins) und noch stärker steigenden Betriebskosten machen Angst vor Zwangsräumung und Wohnungsverlust.

In Österreich droht im Winter eine breite soziale Krise, eine Lebenskostenkrise. Zum ersten Mal seit vielen Jahren werden Hunderttausende schlagartig und massiv an Lebensstandard verlieren.

Der Kreditschutzverband KSV1870 rechnet deshalb 2022 mit massiv steigenden Privatkonkursen. Alltägliche Rechnungen werden sich so auftürmen, dass Haushalte nicht mal hinterherkommen, wenn sie ihre Ausgaben massiv einschränken.[i]

Das heißt konkret: Im Winter 2022 werden sich zehn- oder hunderttausende Haushalte die Heizung nicht leisten können. Wenn die Energieversorger:innen sie ihnen dann abdrehen, frieren sie sich zu Tode. Wenn der Hahn nicht gesperrt wird, schlittern entweder der Haushalt in Schuldenfalle und Konkurs, oder das Unternehmen, oder beide.

Das heißt auch: Im Winter 2022 werden sich zehntausende Eltern zwischen Essen und Heizung im Kinderzimmer, zwischen Waschmaschinenreparatur oder Wocheneinkauf entscheiden. Und wenn die Lebensmittelpreise so weiter steigen wie bisher, dann wird sich keins davon wirklich ausgehen.

Auch die Kreditversicherungsgesellschaft Coface gibt vierteljährlich einen Bericht heraus, der das Risiko von Zahlungsausfällen angibt. Sie berechnet quasi, wie viele Menschen es sich nicht leisten können, ihre Rechnungen zu bezahlen, sowohl Konsument:innen (zum Beispiel Wien Energie-Kund:innen) als auch Unternehmen. Sie geht für 2022 von einem hohen (und dramatisch gestiegenen) Risiko in der Agrar-, Chemie-, Bau-, Metall- und Energiebranche aus.[ii]

Das bedeutet auch: Bei vielen Unternehmen steigen gerade die Produktionskosten und sie wissen nicht, ob ihnen jemand ihre Produkte noch abkaufen kann. Das führt zu Baustoffmangel und stockenden Produktionsketten, aber auch zu Insolvenzen und Arbeitsplatzverlust. Für Unternehmer:innen ist ein Konkurs ärgerlich, für zehntausende Arbeiter:innen, die dabei ihren Job verlieren, ist das existenzbedrohend.

Schon jetzt betrifft die Inflation vor allem Arbeiter:innen, Erwerbslose, Alleinerziehende und prekär Beschäftigte. Bei einer folgenden Rezession oder anhaltenden Stagnation würden wir doppelt draufzahlen.

Was ist Inflation nochmal?

Inflation ist ein Angstwort. Für normale Menschen, weil sie sich für ihr Geld weniger leisten können, und für Ökonom:innen, weil sie sich schwer tun, sie wirklich zu verstehen, geschweige denn zu erklären.

Inflation bedeutet eine anhaltende und allgemeine Preiserhöhung. Obwohl im Kapitalismus die Produktion immer effizienter, die Arbeitskosten pro Stück immer niedriger, die Transportwege immer perfekter abgestimmt werden, steigen die Preise.

Aber das wird in erster Linie als Durchschnittswert gemessen: Energiekosten-, Verbraucherpreis-, Investitionskostenindex. Das macht Sinn, um die Situation von Betroffenen zu beschreiben, weil sie für den bestehenden Konsum so und so viel Prozent mehr Geld ausgeben müssen.

Wenn es jetzt aber „Ausreißer“branchen gibt (und die gibt es eigentlich immer), steigt auch der Durchschnittswert sofort. Wenn Russland den Ölhahn zudreht, macht das unmittelbar erstmal nichts mit den Ticketpreisen für die Wiener Linien, aber die durchschnittlichen Preise für Verkehr schießen in die Höhe. Umgekehrt haben in den vergangenen Jahren die sinkenden Preise für PCs den Verbraucherpreisindex ordentlich nach unten gezogen, obwohl Nudeln im Supermarkt jedes Jahr fünf Cent mehr gekostet haben.

Allgemeine Preissteigerungen bedeuten, dass so gut wie alle Zeilen auf dem Kassazettel raufgehen. Dafür gibt es zwei Gründe. Wenn der Gaspreis hochgeht, erhöhen sich auch die Energiekosten in der Produktion, das könnte man „Zweitrundeneffekt“ nennen. Und gleichzeitig wären Firmen ja blöd, bei einer sich ausbreitenden Preissteigerung nicht mitzumachen und ein bisschen zu übertreiben (solange Konsument:innen sich das noch leisten können und tatsächlich mehr Geld liegenlassen), das heißt dann „Mitnahmeeffekt“.

Im Moment beobachten wir beides und noch viel mehr. Aber wir sehen auch, dass genau das „Sich- noch-leisten-Können“ bald nicht mehr gegeben sein wird. Viele Haushalte konnten während der Coronalockdowns gar nicht so viel Geld ausgeben wie sonst, weil Beisln geschlossen waren und der Sommerurlaub an der Reisesperre scheiterte. Dieses „zwangsersparte“ Geld ist aber schon aufgebraucht, die Menschen sind nicht mehr flüssig und haben ein Liquiditätsproblem.

Das ist die Ursache der kommenden sozialen Krise und auch die Angst der Unternehmen. Wenn jetzt einzelne Firmen ausscheren, die Preise nicht erhöhen, dann steigen ihre Produktionskosten trotzdem und ihnen geht die Liquidität aus. Schlimmer noch, wenn die direkte Konkurrentin mehr Gewinne macht, kann sie schneller wachsen und in der Konsequenz den Markt dominieren. Und es gibt ja auch keine Belohnung, als einzelnes Unternehmen nicht mitzuschneiden vom großen Kuchen. Das lässt sich dann nur wer andere/r schmecken. Also reiten sie die Welle mit, bis sie bricht und darüber hinaus. Und hoffen, dass der kapitalistische Staat, der so genannte „ideelle Gesamtkapitalist“, Regeln für alle einführen wird, damit man nicht mehr mitziehen muss.

Erst Niedriginflation, dann Preisexplosion

Da hat sich, wie erwähnt, recht rasch etwas geändert. Der weltweite Kapitalismus ist von einer Niedrig- in eine Hochinflationsphase übergegangen. Es ist wichtig zu verstehen, warum es im Kapitalismus überhaupt Inflation, also allgemein steigende Preise gibt, aber auch, warum er zu niedrige Inflation genauso kennt wie explodierende Werte.

Denn eigentlich, und auch dazu später mehr, bedeutet Inflation, dass Unternehmen nicht mehr investieren, obwohl Konsument:innen mehr kaufen wollen und könnten. Firmen entscheiden sich gegen Investitionen, wenn die Profitrate niedriger ist als in anderen Bereichen – dann erhöhen sie zum Beispiel einfach die Preise, fangen so das „verfügbare Einkommen“ auf und legen es in Finanzprodukten an.

Nach der Finanzkrise 2008 befand sich der Kapitalismus in Europa und den USA in einer tiefen Verwertungskrise. Schon Jahre davor hatten Unternehmen lieber in Spekulationsblasen (am Immobilien- und Aktienmarkt) investiert. Dieses zusammenbrechende Kartenhaus riss dann auch Fabriken aus Ziegeln und Stahl mit. Trotzdem folgte eine Phase von sehr, sehr langsam wachsenden Preisen, vor allem bei den Kapitalgütern: Firmenwachstum war billig, und billiger als für Arbeiter:innen, deren Wocheneinkäufe schon teurer wurden. Und das, obwohl die Wachstumsraten von Produktion und Profiten wirklich niedrig waren.

Dafür gab es drei Gründe, wie unser Genosse Markus Lehner von der Gruppe Arbeiter:innenmacht in Deutschland erklärt (seinen Artikel findest du ebenfalls in dieser Ausgabe der flammende):[iii]

„(1) Die Gewichte im Welthandel hatten sich stark zu Gunsten von China verschoben, das als Lokomotive der Weltwirtschaft mit seinen Produktionsketten den Weltmarkt weiterhin mit billigen Herstellerpreisen bedienen konnte; (2) die Antikrisenpolitik in den imperialistischen Ländern fußte weiterhin auf Stagnation der Löhne und Massenkaufkraft; (3) trotz der Politik des billigen Geldes vertraute das globale Kapital aus Angst vor schlimmeren Verlusten in sogar gesteigertem Maße ihr Geld den klassischen imperialistischen Anlagemärkten an. In Folge wurden viele der angeblich aufsteigenden Schwellenländer (z. B. Brasilien, Türkei) durch Kapitalmangel und schrumpfende Weltmarktchancen gebeutelt. In vielen dieser Länder breitete sich bereits Stagflation aus.“

Auch 2020 – 2022 führen die Produktionsunterbrechungen in Coronalockdowns (vor allem die zeitweise Schließung wichtiger chinesischer Häfen) und der russische Angriffskrieg in der Ukraine zu niedrigen erwarteten Profitraten. Firmen wissen nicht, ob sie Vorprodukte kaufen können (oder zu welchem Preis), ob sie überhaupt produzieren können und ob das irgendwer kaufen wird. Jetzt reagieren sie aber genau umgekehrt, indem sie ihre Preise hinaufsetzen und die Produktionsmenge heruntersetzen.

Ein Grund dafür ist die internationale Tendenz zur „Deglobalisierung“ durch Krieg, Sanktionen und Handelssanktionen. Auch der damalige Wirtschaftsmotor China, in den europäische Gewinne profitabel investiert werden konnten, läuft nicht richtig an. Zahlungsausfälle im Immobiliensektor und wiederholte Unterbrechungen in Produktion und Handel beuteln den neuen Imperialismus. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass sich das so schnell ändern sollte.

Der Kapitalismus ist ein inflationäres System

Um zu verstehen, dass der Kapitalismus unmenschlich und instabil ist, muss man nur die Augen aufsperren. Um zu verstehen, warum das so ist, kann es hilfreich sein, den Blick auf ein bisschen marxistische Ökonomie zu richten. Auch wenn die teilweise unnötig kompliziert geschrieben ist.

Im Kapitalismus arbeiten die Kapitale, die sich in Unternehmen und Banken sowie Interessenverbänden sammeln, gegeneinander. Ein/e Kapitalist:in tut entweder, was notwendig ist, um ihre Investitionen zu vermehren (Kapital zu akkumulieren), oder sie geht im Wettbewerb unter. Das bedeutet, Firmen versuchen vor allem, Profit zu scheffeln, und agieren, wenn sie sich dafür Profit erwarten. Das sind grundlegende Widersprüche, zwischen Unternehmen genauso wie zwischen Unternehmen und Beschäftigten, und diese Widersprüche treiben den Wirtschaftsmotor an.

Solche Widersprüche gestalten den Kapitalismus zu einer grundlegend inflationären Wirtschaftsweise, zu einer Art Produktion, in der Preise weiter und weiter steigen. Das ist eigentlich, Vorsicht Wortwitz, widersprüchlich. Denn im Wettbewerb führen Firmen immer effizientere, günstigere Produktionsweisen ein, unterbieten sich gegenseitig im Preis und steigern die Arbeitsproduktivität. Um den Lebensstandard einer Arbeiter:in aus dem 19. Jahrhundert zu erreichen (Zimmer zu zehnt und ein Stückerl Fleisch am Sonntag), muss man nicht mehr 80 sondern eher 5 Stunden in der Woche arbeiten. Aber man wird halt auch sozial isoliert und stirbt mit ungefähr 45 an Mangelernährung.

Der Schlüssel zur Inflation ist das Geld. Preise ergeben sich aus den produzierten Waren und dem Geld, das dafür ausgegeben wird. Mehr Waren mit gleich viel Geld heißt Deflation, mehr Geld für gleich viele Waren heißt Inflation. Aber gleich viele Waren gibt es genauso selten (nämlich niemals) wie gleich viel Geld.

Geld ist ebenfalls eine Ware, also ein Produkt, das hergestellt wird, damit es auf dem Markt gekauft wird und die Herstellerin Profit erzielt. Marx nennt das „Geldware“, ein Produkt, das gegen alle anderen direkt eingetauscht werden kann. So spart man es sich, für seinen produzierten Tisch genau den/die Abnehmer:in zu finden, der/die den Mantel loswerden will, den man wiederum selber haben will. Und Sparen ist nicht nur eine bürgerliche Tugend, Zeit sparen, effizient sein, ist eine notwendige Voraussetzung für kapitalistisches Wachstum.

Typische Geldwaren sind Kaurimuscheln, Goldstücke oder Silbermünzen. Und auch die werden dann produziert, wenn es Nachfrage gibt. In einer wachsenden Gesellschaft, die immer mehr Waren zum Tausch herstellt, ist eine gewisse Nachfrage nach Geldwaren immer gegeben. Also: Die Geldware hat einen Gebrauchswert, jemand möchte sie haben, und deshalb erst kann sie einen Tauschwert bekommen.

Wie profitabel die Produktion ist, hängt vom Tauschwert und von  alternativen Investitionsmöglichkeiten ab. Als zum Beispiel der Goldrausch in Kalifornien auf dem absteigenden Ast war, hat man stattdessen mit Denimhosen mehr Geld gemacht, dachte sich zumindest Levi Strauss, der die Blue Jeans erfand.

Und dann gibt es bei Marx noch Geldzeichen, Fetzen Papier, die versprechen, dass man dafür eine Geldware bekommt. Solange die frei weitergetauscht wird, kann sie wie Geld verwendet werden. Und auch diese Geldzeichen wollen gedruckt werden. Auch das ist ein Produktionsprozess, den sich Kapitalist:innen nur antun, wenn Gebrauchswert, Nachfrage und Profit winken.

Heute sind Geldzeichen vor allem Zeilen im Computer: Banken vergeben Kredite, indem sie einer Firma versprechen, Geld zu überweisen, wenn sie etwas kaufen oder wen anstellen will. Für einen Kredit gibt es Zinsen, für ein bedrucktes Geldzeichen bekommt man ein anderes (nämlich eine Aktie), und für eine mühsam geprägte Silbermünze kriegt man einen Wocheneinkauf oder ein Bussi vom Enkerl. Alles sehr profitabel oder zumindest schön.

Das Herstellen von Geld ist profitabel, weil mit einer wachsenden Warenmenge auch die Nachfrage nach dem Tauschmedium steigt. Und weil viele Firmen, Banken, Prägereien miteinander konkurrieren, stellen sie sogar ein bisschen mehr her, als eine einzelne Firma müsste. Da kommt die Inflation prinzipiell einmal her. Und das genauer zu verstehen, heißt auch zu verstehen, wann die Inflation besonders hoch und niedrig ist.

Die Geldproduktion ist übrigens genau deshalb auch genau reguliert. Staaten kontrollieren in Extremfällen sogar die Preise (zum Beispiel in den Weltkriegen, oder in Österreich früher die Lohn-Preis-Kommissionen der Sozialpartner:innenschaft). Davor gab es die Abmachung, dass weltweit nur so viel Geld in Umlauf sein durfte, wie Goldreserven in Tresoren lagern (der Goldstandard), später dann in Gold und Dollarscheinen mit einem festgelegten Tauschverhältnis (das „Bretton-Woods-System“).

Nach der Hochinflation der 1970er Jahre wurden mit der „neoliberalen Wende“ auch diese strikten Regelsysteme abgeschafft. Aber in schwächerer Form existieren sie immer noch. Zum Beispiel verlangt die Europäische Zentralbank von Einzelbanken, dass sie einen gewissen Prozentsatz der Kredite, die sie ausgeben, mit Reserven decken können. Diese Reserven leihen sie sich von der Zentralbank, die frei entscheidet, wie viel sie davon ausgibt. Nachdem die Kreditvergabe durch Banken der wichtigste Aspekt moderner Geldproduktion ist, bedeuten die Regeln für Banken eine Beschränkung der Geldproduktion.

Preise steigen nicht, sie werden erhöht

Das Zusammenspiel von Geldmenge, Geldproduktion und Gebrauchswert der Geldware ist aber nicht alles. Sie sind nur die Rahmenbedingungen, das „Makrosystem“, in die sich konkrete Preisentscheidungen einordnen. Preise steigen nicht, sie werden erhöht.

Ein/e Supermarktkassierer:in pickt einen neuen Preiszettel ins Regal, jemand in der Firmenzentrale gibt eine neue Zahl ins Kassensystem ein, eine Managerin oder ein Manager beschließen: clever Nudeln kosten ab nächstem Montag Euro 1,39, und drei Wochen drauf gibt es eine Sonderaktion, wo sie kurzzeitig auf Euro 0,99 heruntergesetzt werden. Das sind Managemententscheidungen, die Entscheidungen von wirtschaftlich handelnden Personen im Interesse des Kapitals, eingebettet in Wettbewerb und Markt – aber der Markt lässt keine Preise steigen.

Das Verwechseln von Menschen und Waren, von Macht und Markt, ist leider tief in das menschliche Bewusstsein eingefressen – im Kapitalismus. Marxist:innen nennen das Warenfetisch, konkrete Dinge und Lebensverhältnisse mit einem mystischen Markt zu verwechseln. Es ist zwar der/die Personalchef:in, der/die die Entlassungspapiere unterschreibt, der Aufsichtsrat, der die Belegschaft halbiert. Aber oft sprechen wir vom Arbeitsmarkt, von der Auftragslage, oder im falschesten Fall von der Massenzuwanderung, die unser Einkommen auf 55 % Arbeitslosengeld mit begleitenden AMS-Schikanen kürzt.

Konkrete Menschen, Kapitalist:innen und ihre Managementstäbe, entscheiden also, wie viel sie produzieren lassen und für welchen Preis das verkauft wird. Wenn nun die „effektive Nachfrage“ (das heißt, jemand mag das haben und kann es auch bezahlen) steigt, können Kapitalist:innen entweder mehr herstellen oder das Hergestellte teurer verkaufen, um sich den verfügbaren Batzen Geld einzustecken.

In der Tendenz (und diktiert vom Makrosystem, in das alle eingebettet sind) wird dann investiert, wenn die Investition sich auszahlt, wenn dabei ein Profiteuro pro Investitionseuro herausspringt, den man woanders nicht bekommt. Das bevorzugt das Kapital immer: Kapital kaufen, damit produzieren, die Waren verwerten und mit dem Profit neues Kapital anhäufen. Das heißt Kapitalakkumulation, die Triebfeder im Kapitalismus.

Nur manchmal ist es nicht bevorzugt, nämlich wenn die Profitrate nicht stimmt, zu unsicher ist oder eine kleine Bitcoinspekulation (voraussichtlich) mehr einbringt. Der marxistische Ökonom Anwar Shaikh drückt das weniger blumig aus, wenn er von der entscheidenden erwarteten Unternehmensprofitrate spricht. Das ist die Differenz aus erwartetem Profit und Zinssatz, den man fürs Verborgen bekommt (die sichere und vor allem weniger anstrengende Alternative).

Inflation entsteht, wenn Geldproduzent:innen mehr Geldzeichen in Umlauf bringen, diese auch für Käufe verwendet werden, als die Warenmenge steigt. Inflation steigt (ist also bei 10 % statt 2 %) wenn mehr Kapitalist:innen Preise erhöhen, als zu investieren.

Das liegt dann zum Beispiel an gesunkenen Profitraten (die eine Krise ankündigen). Oder an der Unsicherheit, was in den nächsten Monaten passieren wird, ein Anzeichen, dass die Krise schon begonnen hat. Und da stehen wir jetzt.

Im zweiten Teil beschäftigt sich der Artikel mit der Antwort der verschiedenen Klassen auf die Inflation.


Endnoten

[i]https://tirol.orf.at/stories/3164716/

[ii]https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20220629_OTS0012/coface-risiko-fuer-zahlungsausfaelle-in-oesterreich-steigt-anhaenge

[iii]https://arbeiterinnenmacht.de/2022/01/19/rueckkehr-der-inflation/




China und die neue Weltlage: Quo vadis?

Resa Ludivien, Neue Internationale 265, Juni 2022

Die letzten Monate haben das weltweite Machtgefüge ins Wanken geraten lassen. Doch der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine wirkt sich nicht nur auf das Verhältnis der NATO zu Russland oder die EU aus, sondern auch auf halbkoloniale Länder und den plötzlich etwas leiseren, weiteren Anwärter auf die Hegemoniestellung: China.

Der Krieg um die Ukraine

China hält sich in Fragen zum Krieg in der Ukraine auffällig bedeckt. Hilfszahlungen sind marginal und selbst eine politische Beteiligung an der „Lösung“ des Konfliktes scheint nicht in Sicht. Hintergrund für diese Haltung bildet der Umstand, dass es sich in einer zwiespältigen Lage befindet. Einerseits ist es Verbündeter Russlands. Sie sind nicht nur beide autoritär regiert, sondern wollen auch ein Gegenstück zum Westen darstellen. Durch die derzeitige westliche Russlandpolitik, insbesondere auch durch die Sanktionen, wird Russland noch näher an China gedrängt. Der ökonomische Austausch wird voraussichtlich auch steigen, da China ein wohlwollender Abnehmer für russische Rohstoffe ist, die jetzt im Westen „verbrannt“ sind.

Andererseits kommt China der Krieg denkbar ungelegen. Innenpolitisch steht die Regierung wegen Corona unter Zugzwang und der außenpolitische Druck erhöht sich stetig. Vor allem die USA nutzen den bereits bestehenden Konflikt mit der Volksrepublik, um ihr auch mit Sanktionen zu drohen. Trotz der Verbundenheit mit Russland, die weiterhin besteht, hätte sie nichts davon, sich zu offen zu positionieren oder am Krieg zu beteiligen, da sie damit einhergehende, schwer kalkulierbare Risiken fürchtet. Indirekt könnte sie zwar dennoch profitieren durch eine Verwicklung Russlands und der NATO in einen langen Krieg und indem sie sich gegenüber den Halbkolonien als „friedliche“ Alternative präsentiert.

Ost-West 2.0?

Der Angriffskrieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass eine Neupositionierung für eines der beiden großen Lager (pro und contra NATO) nicht nur bei russischen Nachbar:innen angestoßen wurde, sondern auch die Frage der „Verteidigung“ in sonst „neutralen“ Staaten diskutiert wird. Neben Russland steht auch China auf der Anti-NATO-Seite. Eine russische Niederlage würde daher auch Konsequenzen für seine Expansionsbestrebungen haben, da unklar ist, was auf Putin folgt. Für die chinesische Regierung käme ein Regierungswechsel zu einem prowestlichen Regime im Nachbarland einer Schwächung gleich.

Die inneren Krisen in China, allen voran die Pandemie, aber auch eine nahende wirtschaftliche Krise, deren Ursache die massive Überakkumulation von Kapital bildet, setzen die KP noch zusätzlich unter Druck. Bereits jetzt ist die Stimmung schlecht. Immer mehr Menschen äußern ihre Unzufriedenheit und Verzweiflung wegen der Coronamaßnahmen sowie der dadurch entstandenen ökonomischen Einschränkungen wie fehlender Lohn und ausbleibende Nahrung, ganz zu schweigen von einer noch krasseren Einschränkung demokratischer Rechte.

Die Expansionsbestrebungen sind auf ökonomischer Ebene vor allem im Projekt „Neue Seidenstraße“ zu erkennen. Doch nicht nur China selbst, sondern auch Länder, die sich ihm angenähert haben, sind von der derzeitigen Krise betroffen. Sie hat bereits Pakistan und Sri Lanka erfasst. Das Versprechen von Wohlstand und Modernisierung nach chinesischer Manier, die das Projekt „Neue Seidenstraße“ mit sich bringen sollte, kann derzeit nicht eingehalten werden.

Im Gegenteil. Bisher hat die chinesische Regierung nur wenig getan, um ihren Verbündeten finanziell zu helfen. Dies führt sogar dazu, dass sich solche Länder zumindest zeitweilig wieder stärker am Westen orientieren – weil sie sich gezwungen sehen, mit dem IWF Vereinbarungen zu treffen, um den Bankrott abzuwenden und das Land zu stabilisieren. Einerseits kann das als Versuch der Schwächung des chinesisch dominierten Blocks gesehen werden. Andererseits dürfen diese „Hilfen“ nicht romantisiert werden, da die Arbeiter:innenklasse weder von der einen noch anderen Dominanz einen tatsächlichen Vorteil hat. Inwiefern Länder wie Pakistan wieder aus dem chinesischen Einfluss gelöst werden können, bleibt abzuwarten.

Nur einen Antagonismus zwischen „dem Westen“ und allen anderen, autoritären und nicht halbkolonialen Ländern (vor allem östlich von Europa) zu sehen, ignoriert aber die realen Interessen, die Länder wie Russland oder China verfolgen, und damit auch den realen Konflikt zwischen den sich formierenden imperialistischen Blöcken. Es geht nicht um „Demokratie und Freiheit“ vs. „Autoritarismus und Diktatur“, sondern um die Neuaufteilung der Welt.

Taiwan

Eine Besonderheit Chinas im derzeitigen Konflikt ist die Verbindung mit der Taiwanfrage. So versucht das Land seit Jahren auf politischem Wege und zuletzt mit immer mehr militärischer Drohkulisse, Taiwan „zurückzuholen“. Letzteres, eine kleine Insel, im strategisch wichtigen Ostchinesischen Meer, war zwar nie Teil der Volksrepublik, aber die Rhetorik der KP versucht dennoch, die Geschichte für sich günstig umzudeuten.

Einen Angriff des gut ausgerüsteten chinesischen Militärs würde Taiwan als Staat, der von vielen Ländern auf Druck Chinas nicht einmal anerkannt ist, alleine nur schwer überstehen. Die Einnahme würde die chinesische Seegrenze in Richtung USA und Japans verlegen. Taiwan setzt daher im Angriffsfall seine Hoffnung auf die USA, welche ihrerseits bereits zugesagt hat, es zu verteidigen. Diese hypothetische Konstellation bildet jedoch nur ein mögliches Szenario einer kriegerischen Konfrontation. Zur Zeit arbeiten die USA unter Biden daran, in Ostasien bestehende militärische Bündnisse zu stärken und neue wie z. B. AUKUS (Abkommen zwischen Australien, Britannien und den USA) zu schaffen, um China zu isolieren.

Kontrolle nach innen = Stärke nach außen?

Wer das kapitalistische System studiert, weiß, dass ökonomischer Aufschwung und schnelles Wachstum nicht dauerhaft anhalten können und nicht nur von individuellen oder nationalen Bemühungen abhängen. Auch wenn die Expansion des Kapitalismus in China ungewöhnlich lange anhielt, scheint deren Endlichkeit nun auch das Land erfasst zu haben. War „made in China“ noch vor einigen Jahren ein spöttischer Ausdruck dafür, wie sich die Blüte der chinesischen Wirtschaftskraft auf alle Kontinente erstreckte, ist die Volksrepublik nun ökonomisch angeschlagen. Sie kann, anders als vor 10 Jahren nicht mehr den Motor der Weltwirtschaft spielen, auf den man sich angesichts der sich anbahnenden internationalen Krise stützen könnte. Der politische und ökonomische Druck von außen auf China ist gestiegen. Doch Beijing will zuerst die Krisen im Innern angehen.

Das jahrhundertealte Konzept der inneren Harmonie, das als philosophische Grundlage den starken Fokus auf innere Angelegenheiten und Kontrolle bereits in vorkapitalistischen Zeiten setzte, bestimmt auch jetzt das Krisenmanagement der KP. Die Konzentration auf die Innenpolitik prägte auch den Volkskongress, der Anfang März stattfand – einer der wichtigsten Termine in der chinesischen Politik. Der wichtigste kommt freilich noch: der Parteitag im November 2022. Die oben bereits benannten Krisen versucht man, im Alleingang, und ohne großes Aufsehen zu erregen, zu lösen.

Das Problem liegt dabei aber darin, dass nicht nur Pandemie, sondern auch Inflation globale Phänomene sind. Um der Wirtschaftskrise im Land selbst entgegenzuwirken, wird versucht, „kontrolliert“ Kapital zu vernichten. Damit sollen die sozialen und wirtschaftlichen Folgen begrenzt werden. Bei der gesamten Problemstellung handelt es sich jedoch um eine Art Quadratur des Kreises. Der Zweck der Krise besteht, innerkapitalistisch betrachtet, gerade darin, überschüssiges, nicht mehr konkurrenzfähiges Kapital zu zerstören, um so einen neuen Zyklus produktiver Neuinvestitionen und einer Erneuerung des Kapitalstocks einzuleiten. Je größer die Masse des überakkumulierten Kapitals, je mehr dieses auch die Finanzsphäre ergriffen hat und spekulative Blasen die Summen fiktiven Kapitals erhöht haben, desto heftiger muss die Zerstörung durch die Rezession ausfallen, damit die Grundlagen für einen neuen expansiven Zyklus gelegt werden können.

Dies inkludiert aber auch eine enorme Zuspitzung der Klassenkonflikte. Reales kapitalistisches Eigentum muss zerstört werden. Vor allem aber bedeutet dies auch die Stilllegung von Betrieben und Massenentlassungen von Arbeiter:innen. Die KP fürchtet solche Konflikte und ist ihrer wohl bewusst. Daher greift sie auf Repression und Überwachung in extremer Form zurück. Zugleich versucht sie aber auch, das Zerstörungswerk der Krise „kontrolliert“ durchzuführen. Dies schließt aber notwendigerweise ein, dass überschüssiges Kapital nicht zerstört, sondern fortgeschleppt und damit die Ursache der Krise nicht beseitigt wird.

Eine weitere Reaktion auf Weltwirtschaftskrisen ist die vermeintliche Stärkung nach innen, die allerdings Nationalismus und Repression befördert. Für die Arbeiter:innen bedeutet das weitere Einschränkungen. Eine nach außen gerichtete Krisenpolitik würde zwangsläufig zu einer Erstarkung der Achse Beijing-Moskau und einem Einspannen bereits verbündeter Regionalmächte, also Blockbildung, führen. Für die Aufrüstungsspirale und Kriegsgefahr wären das nur Brandbeschleuniger.

Klassenkampf in China

Die chinesische Arbeiter:innenklasse ist die größte der Welt. Kein Wunder also, dass man gerade versucht, diese niederzuhalten, um das Land zu kontrollieren. Ihr Potenzial, einen nationalen Umsturz oder eine gar internationale Bewegung einzuleiten, ist enorm. Jedoch sind auch die Hürden Repression und Unterdrückung massiv. Es gab in der Vergangenheit und auch in den letzten Jahren bereits unzählige Arbeitskämpfe. Aufgrund der eingeschränkten Versammlungsfreiheit, keiner Möglichkeit zur freien Organisierung und des ausgebauten Überwachungsapparats blieben die Kämpfe jedoch oft auch lokal beschränkt und durch die Zensur auch wenig im Land beachtet. Eine der größten Bewegungen neben der in Hongkong war vor Corona die chinesische Variante der #MeToo-Bewegung, die zwar keinen Klassenstandpunkt bezog, aber es schaffte, eine solche Dynamik zu entwickeln, dass die Social-Media-Zensur nicht hinterherkam.

Der Unmut über die soziale und politische Lage wird immer größer und entlud sich zuletzt gegen die Coronamaßnahmen, die ein „Überleben“ immer schwieriger machen. Die ökonomische, pandemische und innenpolitische Krise sowie der Systemkampf der KP mit den USA fordern ein Aktionsprogramm für den Klassenkampf in China. Die Krise wird sich weiter verschärfen. Es braucht eine gemeinsame Organisierung um ein solches herum gegen die Krise, damit Lohnabhängige, Bauern/Bäuerinnen und Unterdrückte nicht die Quittung für die Krise erhalten. Bereits jetzt gibt es lokale Kämpfe, Organisierung im Kleinen und im Untergrund oder spontane Aktionen im Betrieb. Es braucht einen gezielten Aufbau und eine Vernetzung der Kampfstrukturen auch über die großen Städte hinaus auf dem Land. Da legale Arbeit in China so gut wie unmöglich ist, kann nicht nur auf erlaubte Möglichkeiten zurückgegriffen werden, sondern der Aufbau einer revolutionären Partei muss auch mit illegaler Untergrundtätigkeit verbunden werden.

Eine revolutionäre Partei in China muss mit der Politkaste der KP-Führung brechen und von der Erkenntnis ausgehen, dass es sich von einem degenerierten Arbeiter:innenstaat hin zu einer imperialistischen Macht entwickelt hat. Die chinesische Arbeiter:innenklasse hat nichts, davon sich hinter die Kriegsrhetorik der Regierung einzureihen. Ganz im Gegenteil. Dieser Fokus nach außen dient nur, um Widersprüche im Innern zu vernebeln wie den Angriff auf die Lebensgrundlage von Arbeiter:innen oder die Beschränkung von demokratischen Rechten wie der Pressefreiheit oder die Unterdrückung von Minderheiten. Auch in China gilt wie in jedem imperialistischen Staat: Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Lasst die Kapitalist:innen für die Krise zahlen! Bekämpft die Militarisierung und den Nationalismus!




Rückkehr der Inflation?

Markus Lehner, Infomail 1176, 19. Januar 2022

Inflationsraten Ende 2021 von 5,3 % in Deutschland oder 7 % in den USA – so etwas kannten viele BewohnerInnen der imperialistischen Zentren nur noch aus Erzählungen „aus grauer Vorzeit“ oder von Ländern des „globalen Südens“. Seit einigen Monaten sind Inflationsraten über 2 % üblich geworden. Zunächst erklärten WirtschaftsforscherInnen und ZentralbänkerInnen, dass es sich um Sondereffekte handeln würde: kurzfristige Lieferengpässe aufgrund der wirtschaftlichen Folgen von Corona oder Spezialeffekte, wie die Rücknahme der Mehrwertsteuerermäßigung.

Inzwischen sind die meisten dieser ExpertInnen sehr viel vorsichtiger geworden – insbesondere nachdem der Vorsitzende der FED, der US-Zentralbank, erklärte: „Inflation is here to stay“. Die Frage ist also: Stehen wir am Beginn einer neuen Ära der Inflation – und wenn ja, aus welchem Grund? Insbesondere stellt sich die Frage nach den Auswirkungen auf die ArbeiterInnenklasse und die notwendige Reaktion darauf.

Zunächst einmal: Was ist überhaupt Inflation?

Einfach gesagt geht es um eine allgemeine und längerfristige Steigerung der Preise, die nicht nur einen bestimmten Sektor, sondern wesentliche Bereiche sowohl für den Massenkonsum als auch für Investitionsgüter betrifft. Das Schwierige dabei ist, dass eine solche übergreifende Preissteigerungstendenz sehr verschiedene Ursachen haben kann. Da es sich bei Preisen um ein quantitatives Verhältnis von Geld und Waren handelt, in dem sich letztlich ein Wertverhältnis widerspiegeln muss, kann die Ursache sowohl auf der Geld- wie auf der Warenseite liegen.

Geld dient einerseits als Zirkulationsmittel, um den Tausch von Waren zu ermöglichen, und andererseits als Wertmaßstab im Tauschverhältnis (tritt uns also z. B. als Preis einer Ware entgegen). Daher können sowohl Schwankungen in der Geldmenge als auch im Wert des Geldes das allgemeine Preisniveau beeinflussen. Der klassische Fall in der Geldtheorie waren die massiven Zuflüsse von Silber in der frühen Neuzeit aus den spanischen Kolonien. Herrschte zuvor trotz Ausdehnung von der Arbeitsproduktivität in Europa Geldknappheit und damit eine Tendenz zu fallenden Preisen, so führte die Ausdehnung der Geldmenge vor allem in Spanien zu einer massiven Inflation (samt Abfluss des Silbers in die produktiveren Sektoren Europas). War dies zunächst der erhöhten Nachfrage geschuldet, so wurde es noch verstärkt, indem die Silbermünzen immer mehr „gestreckt“ wurden (d. h. ihr nomineller und realer Wert auseinanderfielen).

Zusätzlich ist Geld nicht nur Zirkulationsmittel und Maßstab der Werte – es ist durch Kredit- und Wechselgeschäfte immer auch Zahlungsmittel für Tauschvorgänge, bei denen Kauf dem Verkauf vorgezogen wird (nachträgliche Zahlung mit entsprechender Verzinsung). Auch durch Schwankungen der Masse an Zahlungsmitteln und deren Werte (sowie der Zinsen) können Preiseffekte entstehen. Dies betrifft Phasen der Ausdehnung der „Liquidität“ (Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit einer wachsenden Zahl von GläubigerInnen) wie ihres Schrumpfens. Ein hohes Ausmaß an Zahlungsausfällen und Zurückhalten von kurzfristiger Vorfinanzierung – wie z. B. nach der Finanzkrise 2008 – führt zu Marktstockungen und damit kurzfristig zu raschem Preisverfall für plötzlich schwer verkäufliche Waren. Langfristig wirkt hingegen die Ausdehnung der Geldmenge als Zahlungsmittel auch inflationär – wenn der so zum Anwachsen gebrachten Nachfrage (Kauf) langfristig nicht auch die entsprechenden Gegenleistung entspricht (Verkauf). Moderne Inflationen entspringen zumeist Ungleichgewichten in diesen Kreditgeldsphären und weniger dem klassischen Geldumlaufbereich.

Weltmarktstellung, Finanzsystem und Inflation

Von Seite der Ware her gesehen ist das Phänomen der Inflation vor allem eines des Verhältnisses von Wert und Preis. Der Wert wird wesentlich bestimmt durch die gesellschaftliche Arbeitszeit, die für die Produktion der Ware unter den vorherrschenden durchschnittlichen Arbeitsbedingungen notwendig ist. D. h. längerfristige Veränderungen der Arbeitsproduktivität, vor allem sektoral oder regional, führen zu Ausgleichsbewegungen, die sich durch Veränderungen der Preise vermitteln. So hat die „billige Industrieware“ des britischen Kapitals im 19. Jahrhundert auf dem vom Britannien dominierten Weltmarkt zu einer Ära fallender Preise geführt. D. h. obwohl Britannien praktisch das ganze 19. Jahrhundert eine nachhaltig steigende Staatsverschuldung erlebte, führte dies nicht zu Inflation, da dies mehr als wettgemacht wurde durch den deflationären Effekt der Weltmarktstellung des britischen Kapitals. Ein Produktivitätsvorteil, der lange von KonkurrentInnen nicht eingeholt werden kann, kann durch Verkauf über Wert zu einem Werttransfer führen. Trotz Ausdehnung der Geldmenge (dargestellt noch in Gold bzw. damit gedeckten Äquivalenten) wurde dies durch den Zufluss an ausländischen Werten (Gold oder Anleihen) mehr als wettgemacht.

Der Zusammenbruch der Goldwährungssysteme (British Empire, Bretton Woods) hatte jeweils die Gefahr von inflationären Krisenphasen zur Folge gehabt. Um das Beispiel der 1970er Jahre heranzuziehen: Der lange Boom der Nachkriegsperiode endete in Profitabilitätsproblemen, Stockungen der Investitionstätigkeit und Stagnation der Arbeitsproduktivität. Gleichzeitig war der Welthandel stark von nationalstaatlichen Beschränkungen und Monopolpreisen bestimmt. Die Überschuldung der USA, die zur Aufkündigung der Währungsregulierung von Bretton Woods 1973 führte, überschwemmte den Weltfinanzmarkt mit Dollars, die per Schuldenfinanzierung zur Ankurbelung der stockenden Wirtschaften dienen sollten. Tatsächlich kamen letztere jedoch nicht vom Fleck, weshalb sich im Verlauf der späten 1970er Jahre auch in den reichen Industrieländern die Inflationsraten auf die 10 % zubewegten. Stagnation, Verschuldung und Inflation wurden zum Teufelskreis der „Stagflation“ – bis die US-Zentralbank 1982 mit massiven Zinserhöhungen („Volcker-Schock“), teilweise bis zu 20 %, den großen „Dollar-Staubsauger“ anwarf. Die danach einsetzende massive Schuldenkrise war einer der entscheidenden Hebel für die Durchsetzung der neoliberalen Angriffe und der Durchsetzung des „Washington Consensus“ während der 1980er Jahre.

Die darauffolgende Globalisierungsperiode führte zu zwei Jahrzehnten von globalem Wachstum, gestützt auf den Zusammenbruch der degenerierten ArbeiterInnenstaaten, massiver Deregulierung und Privatisierung, Abbau von Handelsschranken und nationalen Schutzbestimmungen – und damit der Ankurbelung von Arbeitsproduktivität und Investitionstätigkeit aufgrund entsprechender Profitraten. Die Deregulierung der globalen Finanzmärkte führte zu einer Ära der scheinbar unbegrenzt wachsenden Liquidität, der Zahlungsmittel für einen in neuer Qualität wachsenden Weltmarkt. Insbesondere die Verbilligung von Waren und Dienstleistungen durch globales Outsourcing, Steigerungen von Produktivität und Ausbeutungsraten zeitigte durch das Sinken der Herstellungspreise einen deflationären Effekt. Die scheinbar explodierenden Geldmengen führten unter diesen spezifischen Bedingungen nicht zur Inflation. Außerdem wuchs die Massenkaufkraft in Folge der neoliberalen Lohn- und Haushaltspolitik auch in den imperialistischen Ländern nicht in entsprechendem Ausmaß, so dass der Geldüberhang eher wiederum in neue Finanzmarktprodukte floss und das Kreditgeldsystem stabilisierte. In den imperialisierten Ländern dagegen wurden diejenigen, die den „Washington Consensus“ verließen, ganz automatisch durch Schrumpfen der Dollarreserven oder Abwertung ihrer Währung mit Inflation gestraft. Die Inflation war also nicht verschwunden – nur dass sie in den imperialistischen Ländern als solche der Finanzwerte, in den imperialisierten Ländern als Zwangsmittel zur Aufrechterhaltung neoliberaler Politik auftrat.

Globale Krise

Mit dem Sinken der Profitraten in den frühen 2000er Jahren kehrte die Realwirtschaft zur Stagnation zurück, während der spekulative Boom durch das Aufblasen der Finanzmärkte weitergetrieben wurde – bis zur Finanzmarktkrise 2008. Die vorläufige Rettung des globalen Kapitals wurde paradoxerweise 2009/2010 mit der Politik des „Quantitative Easing“, also der extremen weiteren Ausdehnung der Zahlungsmittelmengen erzielt. Damit wurde die Liquidität wiederhergestellt und gleichzeitig ein großer Teil der imperialistischen Kapitale gerettet. Da die 2010er Jahre in den alten imperialistischen Ländern aber gleichzeitig weiterhin durch sehr geringe Wachstums- und Profitraten in der Realwirtschaft gekennzeichnet waren, stellt sich die Frage, warum sich das dort nicht als Inflation ausgewirkt hat. Hier wirkten folgende drei Faktoren: (1) Die Gewichte im Welthandel hatten sich stark zu Gunsten von China verschoben, das als Lokomotive der Weltwirtschaft mit seinen Produktionsketten den Weltmarkt weiterhin mit billigen Herstellerpreisen bedienen konnte; (2) die Antikrisenpolitik in den imperialistischen Ländern fußte weiterhin auf Stagnation der Löhne und Massenkaufkraft; (3) trotz der Politik des billigen Geldes vertraute das globale Kapital aus Angst vor schlimmeren Verlusten in sogar gesteigertem Maße ihr Geld den klassischen imperialistischen Anlagemärkten an. In Folge wurden viele der angeblich aufsteigenden Schwellenländer (z. B. Brasilien, Türkei) durch Kapitalmangel und schrumpfende Weltmarktchancen gebeutelt. In vielen dieser Länder breitete sich bereits Stagflation aus.

Die Corona-Krise traf dieses sowieso schon krisenhafte Weltsystem. Mit dem Wachstumseinbruch der ersten Corona-Welle und den folgenden Einschränkungen, was Welthandel, Transport und Zulieferindustrien betraf, kam es zu schweren Rezessionen in fast allen Ländern des Globus. Wiederum wurden in den imperialistischen Ländern massive Geldmittel zur „Überbrückung“ bis zum erneuten Anlaufen der Weltwirtschaft bereitgestellt. Dies betraf sowohl große staatliche Ausgabenprogramme wie auch weitere Ausweitung der Zahlungsmittelmengen (z. B. durch Übernahme gefährdeter Finanzierungen). Anders, als sich Regierungen und Zentralbanken es vorstellten, ging die Krise aber nicht so rasch vorbei. Insbesondere führten das Prinzip „so wenig Lockdown in den Betrieben wie möglich“ ebenso wie der Mangel an Unterstützung der Impfkampagnen in der imperialisierten Welt dazu, dass die Pandemie unvermindert weitergeht, von Mutationswelle zu Mutationswelle.

Außerdem wächst das Gewicht der schon seit der letzten Krise immer zahlreicher werdenden „Zombiekapitale“ (Betriebe, die abseits der bestehenden Geldpolitik längst zahlungsunfähig wären). Dies drückt die gesamtwirtschaftliche Produktivität, bindet Kapital für neue Investitionen und drückt die Durchschnittsprofitrate. Die Wachstumsraten, die sich bisher für das neue Jahrzehnt andeuten, sind daher ebenso stagnativ wie im letzten Jahrzehnt. Dazu kommt, dass diesmal auch China in einer real- und finanzwirtschaftlichen Krise steckt (Stichwort: Evergrande). Während es diesmal nicht die dynamische Rolle auf dem Weltmarkt spielen kann, kommt auch noch dazu, dass nicht erst seit Trumps US-Präsidentschaft der Welthandel wieder deutlich protektionistischer organisiert wird. In wachsender Weise werden auch Produktionsketten wieder in die imperialistischen Kernländer zurückverlegt (Schlagwort „Deglobalisierung“).

Inflation ist zurück

All dies bedeutet, dass derzeit die gewachsene Geldmenge durch sehr viel weniger deflationäre Gegengewichte gebremst wird. Die Stimuluspakete z. B. von Bundesregierung oder USA waren stärker als 2009 auf Belebung von Massenkonsum und Investitionen ausgerichtet (in der Annahme, dass dies der kurzfristigen Überbrückung dient). Doch trafen sie auf einen weiterhin stagnierenden bzw. sogar schrumpfenden Weltmarkt. Geringere Kapazitäten in der Öllieferung führten zu steigenden Preisen mit einem Anstieg der Gaspreise in Folge. Mit den CO2-Zertifikaten führt dies insbesondere bei den Energiepreisen zu einem enormen Anstieg. Ähnliche Preisauftriebe gibt es für Baumaterialien und -maschinerie. Der Rückbau von Produktionsketten ebenso wie pandemiebedingte Ausfälle bringen auch einen Nachfrageüberhang nach Arbeitskräften mit sich, was zu einer Lohnsteigerungstendenz führt. Letztlich mündet die Finanzmarktentwicklung auch weiterhin in hohen Investitionsraten in Immobilien und damit auch zu weiter steigenden Mieten.

All das bedeutet heute, dass sich die Politik des billigen Geldes derzeit auch tatsächlich in steigenden Preisen auswirkt. Sollte es nicht zu einem raschen und starken Wachstum, fußend vor allem auf steigenden Investitionen, kommen, droht tatsächlich auch in den imperialistischen Zentren die Rückkehr der Stagflation (Kombination von Stagnation und Inflation, die einander wechselseitig verstärken). Da ein realer, von Investitionen getragener anhaltender Aufschwung nicht zu erwarten ist, müssen wir uns auch wieder auf die Schockmaßnahmen vorbereiten, die das Kapital für so einen Fall parat hält.

Zunächst einmal muss uns als Lohnabhängigen klar sein, dass eine längerfristige Phase der Inflation eine starke Bedrohung für unsere Lebensverhältnisse darstellt. Schon jetzt sind gerade NiedrigverdienerInnen und Hartz-IV-EmpfängerInnen massiv von den Preiserhöhungen betroffen. Aber auch „Normalverdienende“ werden diese zu spüren bekommen, wenn die Inflation nicht vollumfänglich in die Lohnforderungen eingeht. Alle Behauptungen von einem „vorübergehenden Phänomen“ müssen entschieden zurückgewiesen werden.

Tatsächlich kann sich das Problem von Erhöhungen von Strom- und Wohnkosten in nächster Zeit sogar extrem zuspitzen. Dies muss insbesondere bei Fragen der Enteignung von Wohnungsgesellschaften und Energiekonzernen mit eingebracht werden. Insgesamt kann die ArbeiterInnenklasse den Auswirkungen einer Stagflationskrise nur durch einen konsequenten Kampf für eine gleitende Skala von Löhnen und Arbeitszeiten unter ArbeiterInnenkontrolle begegnen, also eine unmittelbare Anpassung der Einkommen an Preiserhöhungen. Da die offizielle Inflation die Preissteigerungen der Lohnabhängigen oft nur unzureichend widerspiegelt, muss diese Erhöhung von Löhnen, Arbeitslosengeld, Renten usw. die Preisentwicklung jener Waren widerspiegeln, die vor allem von den Lohnabhängigen konsumiert werden, um sich zu reproduzieren.

Doch die Auswirkungen einer Inflation und möglicher „Schocktherapien“ der Herrschenden wie eine Rückkehr zu einer Hochzinspolitik treffen nicht nur die Preise. Ein mögliche drohende „Schocktherapie“ muss ihrerseits zwangsläufig zu einer massiven Welle von Betriebsschließungen führen – was nur mit einer koordinierten Welle von Betriebsbesetzungen beantwortet werden kann.

Viel spricht dafür, dass die zu erwartende Stagflationskrise die der 1970er Jahre global um einiges übersteigen wird. Daher können die genannten Abwehrmaßnahmen der ArbeiterInnenklasse nur die Vorbereitung auf die notwendige Offensive für den Angriff auf die Wurzel des Problems sein: das Privateigentum an den Produktionsmitteln und eine Neuaufteilung der gesellschaftlichen Arbeit unter Kontrolle der Lohnabhängigen. Die ökonomische und ökologische Krise, auf die wir zusteuern, erfordert lebensnotwendig den Kampf um eine sozialistische Gesellschaft.




China: Was heißt „Lehman“ auf Chinesisch?

Peter Main, Infomail 1167, 19. Oktober 2021

Nun, eine genaue Übersetzung gibt es nicht, aber vielleicht wäre „Evergrande“ eine gute Entsprechung. So wie Lehman Brothers einst als Unternehmenssymbol für den nicht enden wollenden Boom der Globalisierung galt, so stand Evergrande, ein Immobilienentwickler und keine Bank, einst als Unternehmenssymbol für den ständig wachsenden Reichtum Chinas seit der Restauration des Kapitalismus.

Und wie bei Lehman Brothers hat sich gezeigt, dass die Symbolik auf Bergen von Schulden beruht, die nicht zurückgezahlt werden können. Innerhalb der nächsten zwei Jahre sollte Evergrande Auslandsanleihen im Wert von rund 11,9 Mrd. US-Dollar rückerstatten. Am 23. September sollte das Unternehmen 83,5 Mio. US-Dollar an Zinsen für eine Anleihe zahlen, was jedoch nicht geschah. Am 29. September waren weitere 45,2 Mio. US-Dollar für eine andere Anleihe fällig, die ebenfalls nicht beglichen wurden. Infolgedessen obliegt Evergrande nun eine 30-tägige „Gnadenfrist“, bevor das Unternehmen für zahlungsunfähig erklärt wird.

Noch schlimmer sind die Schulden bei chinesischen GläubigerInnen, die auf 310 Milliarden US-Dollar geschätzt werden. Früher sagte man, wenn man einer Bank 1 Million US-Dollar schuldet, hat man ein großes Problem, aber wenn man bei einer Bank mit 100 Millionen US-Dollar im Soll steht, hat die Bank ein großes Problem – und 350 Milliarden US-Dollar … ?

Implikationen

Die Bedeutung von Evergrande liegt nicht nur darin, dass es sich um ein riesiges Unternehmen handelt, das wahrscheinlich in Konkurs gehen wird. Es ist bei weitem nicht der einzige Immobilienentwickler, der mit demselben Problem konfrontiert ist. Im vergangenen Jahr hatte Country Garden Holdings den höchsten Umsatz in der Branche, sein Verhältnis von Verbindlichkeiten zu Vermögenswerten liegt bei 78,5 Prozent und damit weit über dem von der Regierung festgelegten Grenzwert. Nach Angaben von Morgan Stanley hat der Immobiliensektor insgesamt Schulden in Höhe von 2,8 Billionen US-Dollar und macht etwa 30 Prozent des BIP aus. Die Auswirkungen des möglichen Zusammenbruchs von Evergrande gehen jedoch tiefer, als selbst diese Zahlen vermuten lassen.

In vielerlei Hinsicht ist das Unternehmen ein Produkt des gesamten Wirtschaftsmodells Chinas seit der Wiederherstellung des Kapitalismus. Es wurde 1996 von Hui Ka Yan (Xu Jiayin), einem Metallarbeiter, gegründet, um die neuen Möglichkeiten zu nutzen, die sich durch die Abschaffung der Planwirtschaft eröffneten. Zuvor basierten die Ausgaben der Kommunalverwaltungen auf zentral zugewiesenen Zuschüssen. Als diese abgeschafft wurden, begannen die Kommunalverwaltungen, durch den Verkauf von Grundstücken an Bauträger Geld zu beschaffen.

Angesichts des Ausmaßes der Verstädterung, als Hunderte von Millionen Menschen in die schnell wachsenden Städte strömten, war die Aufnahme von Krediten zum Kauf von Grundstücken, auf denen sowohl Industrie als auch Wohnungen gebaut werden sollten, nicht nur lukrativ, sondern auch politisch vorteilhaft. Die Beziehungen zwischen der lokalen Regierung, den Bauträgern und den örtlichen, staatseigenen Banken blühten auf, und die Verträge wurden natürlich von den lokalen FunktionärInnen der Kommunistischen Partei beaufsichtigt. Was konnte da schon schiefgehen?

Zwanzig Jahre lang lief aus Sicht von Hui nichts schief. Nach der Finanzkrise von 2008/9, als China sein riesiges Ausgabenprogramm startete, hätte es kaum besser laufen können. Im Jahr 2015 wurde sein Vermögen auf 45 Milliarden US-Dollar geschätzt und er wurde von den Großen und Mächtigen gefeiert. In jenem Jahr begleitete er Xi Jinping selbst auf seiner Reise nach London, wo er von Prinz Andrew im Buckingham Palace empfangen wurde – auch wenn er jetzt vielleicht nicht mehr auf diese besondere Liaison hinweisen würde.

Ironischer Weise wurde auch 2015 zum ersten Mal deutlich, was alles schiefgehen kann. Ein Zusammenbruch der Börse in Shanghai offenbarte die Kluft zwischen der Bewertung vieler Unternehmen und ihrem tatsächlichen Vermögen. (Mehr dazu unter: https://fifthinternational.org/content/china-free-market-not-going-according-plan) Die unmittelbare Reaktion der Regierung, nämlich das Einfrieren aller Aktivitäten auf den Märkten, stellte die Stabilität recht schnell wieder her, aber danach wurden Regeln eingeführt, um das Wachstum der Schulden zu begrenzen, insbesondere durch die staatlichen Banken.

Dies hatte unmittelbare Auswirkungen auf das Geschäftsmodell der Bauträger, die sich nicht mehr auf die leichten Kredite der staatlichen Banken verlassen konnten, die das „Wachstum“ ungeachtet der finanziellen Tragfähigkeit finanzieren wollten. Stattdessen begannen Hui und andere wie er, getreu ihrem optimistischen Motto „Baut es und sie werden kommen“, Kapital für ihre Bauprojekte zu beschaffen, indem sie „außerhalb des Plans“ verkauften, d. h. Immobilien veräußerten, bevor sie gebaut wurden. Einem Bericht der französischen Investmentbank der Sparkassen und Genossenschaftsbanken, Natixis, zufolge machen solche Finanzierungen inzwischen 54 Prozent der Immobilienentwicklung aus.

Rote Linien

Im Juli letzten Jahres führte die Regierung noch strengere Vorschriften ein, die als „drei rote Linien“ bezeichnet werden, um die Immobilienspekulation einzudämmen. Die „Linien“ beziehen sich auf die Begrenzung dreier Schlüsselkennzahlen, nämlich des Verhältnisses von Verbindlichkeiten zu Vermögenswerten, von Nettoverschuldung zu Eigenkapital und von Liquiditätsmitteln zu kurzfristigen Krediten. 14 der 30 größten Bauträger Chinas haben in den letzten Monaten mindestens eine dieser roten Linien überschritten.

Solche Verstöße haben gezeigt, dass der gesamte Sektor am Rande einer Krise steht. Zum einen kamen sie trotz des optimistischen Mottos jedoch nicht, und nun stehen in einigen Regionen derzeit rund 30 Millionen Wohnungen in China leer. Andererseits hat der Mangel an Finanzmitteln dazu geführt, dass die im Voraus bezahlten Wohnungen nicht gebaut wurden. Schätzungen zufolge hat Evergrande 1,6 Millionen Wohnungen nicht ausgeliefert.

In einem Interview mit der Financial Times bemerkte Jim Chanos, der dafür bekannt ist, den Zusammenbruch des Energiekonzerns Enron vorhergesagt zu haben: „In vielerlei Hinsicht muss man sich keine Sorgen machen, dass es sich um eine Situation wie bei Lehman handelt, aber in vielerlei Hinsicht ist es viel schlimmer, weil es symptomatisch für das gesamte Wirtschaftsmodell und die Schulden ist, die dahinter stehen. Alle Bauträger sehen so aus. Der gesamte chinesische Immobilienmarkt steht auf Stelzen.“

Hier liegt das Dilemma für die Regierung in Peking: Fast ein Drittel der heimischen Wirtschaft ist finanziell nicht lebensfähig. Hier geht es nicht darum, ob Hui Ka Yan zum Sündenbock gestempelt werden soll, sondern um ganze Industrien, um Vermögenswerte im Wert von Billionen von US-Dollar und um 1,6 Millionen Familien, die dachten, sie hätten ein Haus gekauft.

Wie die chinesische Regierung damit umgeht, bleibt abzuwarten. Die „Gnadenfrist“ endet am 23. Oktober. Wenn die Zinszahlungen nicht geleistet werden und Evergrande für zahlungsunfähig erklärt wird, sind die GläubigerInnen berechtigt, Vermögenswerte zu beschlagnahmen. Zuvor wird der Staat wahrscheinlich Maßnahmen zum Verkauf von Vermögenswerten, zur Umstrukturierung der Schulden und möglicherweise zur Aufteilung des Konglomerats in getrennte Geschäftsbereiche ergreifen, um lebensfähige Teile zu ermitteln. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Staat die Fertigstellung bereits verkaufter Projekte garantieren, um die soziale Stabilität zu gewährleisten. Er hat nunmehr branchenweite Regeln eingeführt, die vorschreiben, dass alle Einnahmen aus „Vorverkäufen“ separat unter lokaler Bankenaufsicht zu verbuchen sind.

Ansteckung

Auch wenn solche Notmaßnahmen die unmittelbaren Auswirkungen des Zusammenbruchs von Evergrande begrenzen mögen, so kann dies jedoch nicht ohne dramatische Folgen für den gesamten Immobilienentwicklungssektor bleiben, denn wie wir gesehen haben, sind auch andere Unternehmen von einem Ausfall bedroht. Da ihre Anleihen von anderen Unternehmen gehalten werden, die sie als Sicherheiten für ihre eigene Kreditaufnahme verwenden können, besteht die ernste Gefahr einer „Ansteckung“ über die säumigen SchuldnerInnen hinaus. Sicherlich werden viele GläubigerInnen einen Schnitt hinnehmen müssen, indem sie nur einen Prozentsatz ihrer fälligen Rückzahlungen akzeptieren. Vor allem ausländische InvestorInnen werden wahrscheinlich keine weiteren Kredite an Bauunternehmen in China vergeben.

Selbst wenn diese Maßnahmen ausreichen, um einen weitreichenden Zusammenbruch des gesamten Sektors zu verhindern, was nicht garantiert ist, wird die Schuldenkrise zweifellos starke Auswirkungen auf die Wirtschaft im Allgemeinen haben. Abgesehen von den unmittelbaren Folgen unvollendeter Projekte stellt dies die Politik in Frage, die für Chinas Wirtschaftswachstum insbesondere seit der Krise von 2008/9 von zentraler Bedeutung war: Investitionen in Infrastruktur und Bauwesen.

Viele ÖkonomInnen haben argumentiert, dass eine solche Änderung notwendig ist, und gefordert, den Schwerpunkt auf den Binnenkonsum zu verlagern, um die Wirtschaft „wieder ins Gleichgewicht“ zu bringen. Doch selbst wenn Xi und die Parteiführung dem zustimmen, wird es viele Interessengruppen geben, die sich dem widersetzen. Das stellt ein grundlegendes Problem für das gesamte politische Regime dar.

Xi selbst wurde erst nach einem langwierigen Fraktionskampf innerhalb der KP Chinas Präsident (siehe unsere Untersuchung dazu) und festigte in seiner ersten Amtszeit die Position seiner Fraktion durch eine Säuberung von GegnerInnen, wobei er den „Linken“ in der Partei den Vorzug gab, die sich gegen eine weitere Aushöhlung der staatlichen Kontrolle und Zugeständnisse an den Privatsektor aussprachen.

In seiner zweiten Amtszeit, seit 2017 und im Zuge der Finanzkrise von 2015, gab es dagegen mehrere hochkarätige Maßnahmen gegen einige der reichsten KapitalistInnen in China. So wurde beispielsweise nur wenige Tage vor dem Börsengang (öffentliches Gründungsangebot; IPO) von Jack Ma’s Ant Group an der Shenzhener Börse, bei dem die höchste IPO-Bewertung aller Zeiten erwartet wurde, die Börsennotierung staatlicherseits gestoppt. Ma, selbst Mitglied der KP Chinas und Milliardär, wurde monatelang nicht gesehen, hat die Entscheidung aber inzwischen akzeptiert.

Die Parteidisziplin ist zweifellos ein starker Faktor, und auch Repression kann sehr wirksam sein, aber die Nachwirkungen des Immobiliencrashs und die Aussicht auf eine grundlegende Änderung der Wirtschaftspolitik müssen innerhalb der Partei Konsequenzen tragen. Alte Fraktionen werden sich bestätigt fühlen, neue werden sich bilden. Es kann gar nicht anders sein, denn die Partei selbst hat „Geschäftsleute“ zum Beitritt ermutigt, und nach 30 Jahren des Aufbaus des Kapitalismus sind viele StaatsbeamtInnen, das Rückgrat der Partei, selbst in eine weitere kapitalistische Entwicklung verstrickt.

Es sind diese Spannungen und Widersprüche, die hinter dem zunehmend autoritären Regime in China stehen: die verstärkte Bevölkerungskontrolle durch Überwachungsprogramme, die mörderische Unterdrückung der UigurInnen in Xinjiang, das Vorgehen gegen demokratische Rechte in Hongkong, die kriegerische Behauptung, dass Taiwan unter chinesische Souveränität zurückkehren muss. Dies alles ist nicht mit der persönlichen Psychologie von Xi Jinping zu erklären, wie es oft dargestellt wird, sondern eine Vorbereitung auf stürmische Zeiten.




Die Marxsche Krisentheorie – Ein kurzer Überblick

Richard Brenner, Revolutionärer Marxismus 39, August 2008

Die gegenwärtige Finanzkrise scheint auf den ersten Blick eine beeindruckende Bestätigung der Marxschen Akkumulations- und Zusammenbruchstheorie des Kapitals zu sein. In seinen Schriften über politische Ökonomie entwickelt Marx, es dass in der kapitalistischen Produktionsweise der Prozess der Kapitalakkumulation selbst ist, der zur „Überakkumulation von Kapital“ führt; dass sich in den Händen der herrschenden Klasse mehr Kapital ansammelt, als mit ausreichender Aussicht auf Profit wieder investiert werden kann. Irgendwann führt dies zu einer Krise im Finanzsystem, wenn Investoren wegen sinkender Renditeerwartungen geliehene Gelder zurückziehen oder die Zinsen dermaßen erhöhen, dass dadurch der Kreislauf des Kapitals unterbrochen wird. Die Krise führt zur Entwertung des Kapitals in vielfältiger Form. Dazu gehören Abschreibungen von Krediten, Wertverfall von Aktien und Abwertung von Währungen, galoppierende Inflation (Geldentwertung), Insolvenzen, fallende Löhne und Arbeitslosigkeit.

Wir können davon ausgehen, dass das Interesse an der Marxschen Theorie wieder erwachen wird, da sie Erklärungen liefert zu den Vorgängen in den USA und im Weltfinanzsystem im letzten Jahr und nicht nur eine Rezession vorhersagt, sondern auch behauptet, dass solche Entwicklungen sich aus der Natur des kapitalistischen Systems ergeben.

Die vollständige Unfähigkeit der bürgerlichen Wirtschaftstheorie, eine andere glaubwürdige Erklärung für die Krise zu geben, wird zum Studium von Marx´ Werken motivieren. Angesichts dessen und vor dem Hintergrund der Finanzkrise 2007/08 will dieser Artikel eine Einführung in die Marxsche Krisentheorie geben. Er beginnt mit einem kurzen Überblick, um sich dann mit Marx´ zentraler Behauptung auseinander zu setzen, dass die Krise aus dem Streben nach höherer Arbeitsproduktivität entsteht, welche eine Krise der Profitabilität nach sich zieht. Krisen entspringen also nicht irgendwelchen äußeren Umständen, sondern sind eine Funktion des Wesens des Kapitals: der Ausbeutung lebendiger Arbeitskraft. Wir werden uns dabei mit einigen wesentlichen Einwänden gegen Marx´ Behauptung auseinandersetzen und dann Marx´ Theorie in eine konkretere Form fassen, um seine Analyse der Wirtschaftszyklen und der Art und Weise, wie sich Krisen in der realen Welt aktuell vollziehen, zusammenhängend darzustellen.

Überakkumulation und Krise: ein Überblick

Marx´ Krisentheorie hat ihre Grundlage in der Arbeitswerttheorie. Wie er im ersten Kapitel des „Kapital“ erklärt, haben alle Waren sowohl einen Gebrauchs- als auch einen Tauschwert. Ihre Gebrauchswerte sind qualitativ verschieden und deshalb nicht vergleichbar. Jede Ware muss dennoch gegen andere ausgetauscht werden können. Dies erfordert eine gemeinsame Eigenschaft, die quantitativ messbar und vergleichbar ist. Diese Eigenschaft ist der Wert, gemessen in menschlicher Arbeitszeit. Der Wert einer Ware bemisst sich nach der durchschnittlichen Arbeitszeit, die zu ihrer Produktion erforderlich ist („gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“). Waren werden im Durchschnitt zu diesem Wert getauscht. Dies gilt auch für die Ware Arbeitskraft, die einzige Ware, welche die arbeitende Klasse besitzt und verkauft. Die Arbeitskraft unterscheidet sich aber von allen anderen Waren, da sie die einzige ist, die zusätzlichen Wert schafft, während sie im Verlauf der Produktion verbraucht wird. Das hat seinen Grund darin, dass – wenn Arbeitskraft auf andere Waren (z.B. Rohstoffe) angewandt wird – Arbeit hinzukommt, welche in Arbeitszeit, dem Maß des Werts, gemessen wird.

Wenn Arbeitskraft die einzige Ware ist, welche die Arbeiterklasse besitzt und verkauft – wie hoch ist dann deren Wert?

Wie bei anderen Waren bemisst sich der Wert der Ware Arbeitskraft an der Arbeitszeit, die zu ihrer Produktion erforderlich ist. Im Fall der Ware Arbeitskraft handelt es sich, grob gesagt, um den Wert der Güter, die für ihre Reproduktion erforderlich ist, d.h. was nötig ist, den Arbeiter am Leben zu erhalten und in die Lage zu versetzen, im durchschnittlichen Maß am allgemeinen kulturellen Leben der Arbeiterklasse eines Landes teilzuhaben. Das Ausmaß dessen, was zur Reproduktion nötig ist, unterscheidet sich von Gesellschaft zu Gesellschaft. Die Bedingungen zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft sind bei einem Arbeiter in Detroit anders als bei einem in Mumbai. Der Wert der Ware Arbeitskraft ist darum in einigen Ländern niedriger als in anderen, obwohl sich dies natürlich entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung ändert.

Der Wert der Arbeitskraft bestimmt die Höhe des Lohns. Ausschlaggebend für den Wert der Ware Arbeitskraft sind ihre Reproduktionskosten und nicht der Wert des Produkts, welches der Arbeiter herstellt. Wir können uns deshalb den Arbeitstag in zwei Teilen vorstellen. Der erste Teil ist die notwendige Arbeitszeit. Das ist der Zeitraum, in welchem ein Arbeiter die Werte herstellt, die den Kosten entsprechen, die entstehen, um seine Arbeitskraft wiederherzustellen. Dies ist oft sehr viel weniger, als die gesamte Länge seines Arbeitstages. Während des anderen Teils des Arbeitstages findet „Mehrarbeit“ statt. Es handelt sich um den unbezahlten Teil des Arbeitstages, in dem der Mehrwert produziert wird. Der Mehrwert ist die Quelle des Profits.

Die notwendige Arbeit ist nur ein Teil des Arbeitstages. Deshalb ist der Wert der Arbeitskraft geringer als der Wert, den der Arbeiter den hergestellten Produkten hinzufügt. Bei der Differenz handelt es sich um Mehrwert, den der Kapitalist als Profit akkumuliert. Der Grund dafür, dass die Ware Arbeitskraft Mehrwert erzeugt, ist, dass ein Teil der Arbeitszeit des Arbeiters unbezahlt ist. Im Verlauf der Akkumulation von Kapital steigert der Kapitalist die Produktivität der Arbeit, so dass mehr Waren in einer kürzeren Zeitspanne produziert werden können. Am offensichtlichsten und am häufigsten geschieht dies durch den Einsatz von moderneren Maschinen. Dies reduziert die Zeit, die für einen durchschnittlichen Arbeiter zur Produktion eines Produkts erforderlich ist. Die durchschnittliche in die Produktion einer Ware einfließende Arbeitszeit sinkt darum. Das bedeutet, dass der Wert der Ware sinkt. Der Kapitalist, der zuerst ein solches neues System einführt, erzielt einen Extraprofit, wenn die nun billiger produzierten Waren zu einem Preis verkauft werden, der in etwa dem alten entspricht.

Nun werden in einer gegebenen Zeit mehr Produkte hergestellt. Das verkürzt die Zeit, in welcher der Arbeiter den Wert herstellt, der seine Lebenshaltungskosten abdeckt (sofern die Wertsenkung dieser Waren in die Reduktion des Werts von Waren zur Reproduktion der Arbeitkraft eingeht). Das bedeutet, dass die notwendige Arbeitszeit reduziert wird. Sie sinkt, während die Zeit für die Produktion von Mehrwert steigt. Der kapitalistische Profit steigt entsprechend. Dem kapitalistischen System wohnt darum ein grundlegendes Bestreben inne, die Arbeitsproduktivität durch Erhöhung des technischen Niveaus der Produktion zu steigern. Marx drückt das in seiner Terminologie so aus: Es gibt es ein Bestreben, den Anteil des konstanten Kapitals (Maschinen und Rohstoffe) gegenüber dem variablen Kapital (lebendige Arbeit) zu steigern. Dies vermehrt kurzfristig die Profitmasse dieses Kapitalisten, jedoch werden andere Kapitalisten dieses Produktionszweiges bald das gleiche System einführen und so den kurzfristigen Vorteil ihres Wettbewerbers beenden.

Zur selben Zeit ist etwas sehr Wichtiges passiert. Der Anteil an Investition des Kapitalisten, der in die lebendige Arbeit fließt, ist relativ gesunken gegenüber dem Anteil, der in Maschinen und Rohmaterialien fließt. In Marx´ Terminologie: Das konstante Kapital hat sich gegenüber dem variablen Kapital erhöht. Marx nennt das „Anstieg der organischen Zusammensetzung des Kapitals“.

Dieses Merkmal des Kapitalismus hat wichtige Konsequenzen für die Erzeugung von Profit. Marx hält daran fest, dass die Quelle des Profits der Mehrwert ist und dass allein der Arbeiter Profit erzeugen kann, indem er mit unbezahlter Arbeit Mehrwert produziert. Daraus folgt, dass nur die Investitionen des Kapitalisten in variables Kapital Profit erzeugen. Das konstante Kapital, also die Maschinen, Gebäude und Rohstoffe, wurden bereits durch Lohnarbeit produziert. Der Profit aus der Mehrarbeit, der für ihre Produktion aufgewandt wurde, wurde also bereits in einem früheren Stadium dieser Produktionskette von einem anderen Kapitalisten eingestrichen. Das konstante Kapital fügt einem Produkt, welches vorher nicht bestand, keinen zusätzlichen Wert zu – es fügt  dem neuen Produkt nur seinen eigenen Wert zu während es dabei langsam an Wert verliert. Es ist allein das variable Kapital – also wirkliche Arbeitskräfte -, welches neue Werte schafft.

Um dies zu verdeutlichen, stelle man sich eine Fabrik vor, in der Mikrowellen produziert werden. In der Fabrik wird neue Technologie – z.B. neue Montagebänder – eingeführt und erlaubt, mit der gleichen Belegschaft eine größere Zahl von Geräten pro Stunde herzustellen. Die Arbeitsproduktivität steigt also. Die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, die in jeder Mikrowelle steckt, sinkt – der Wert jeder Mikrowelle sinkt relativ zum allgemeinen Wert der Mikrowellen der Konkurrenz – und die Firma, der die Fabrik gehört, erzielt einen im Vergleich zu den Konkurrenten höheren Profit. Es scheint, dass die neue Technologie zu einer gesteigerten Werterzeugung geführt habe, aber sie hat einfach nur den Wert menschlicher Arbeit hinzugefügt, der für die Produktion der neuen Technologie aufgewandt worden war. Im Lauf der Zeit transferiert die neue Maschinerie – das konstante Kapital – ihren Wert auf die erzeugten Produkte, und verliert gleichzeitig selbst entsprechend an Wert. Der Prozess wiederholt sich im dem ständigen Bestreben, die Arbeitsproduktivität durch Einführung neuer Technologie weiter zu erhöhen, d.h. durch neues konstantes Kapital.

Doch dieser Prozess tritt nicht in einer einzelnen Mikrowellenfabrik auf, sondern in der gesamten kapitalistischen Produktion – einschließlich der Fabrik, die die Maschinen herstellt, mit denen die Produktivität erhöht wurde. Dies drückt eine allgemeine Tendenz des Kapitalismus zum Wachsen des konstanten im Vergleich zum variablen Kapital aus, obwohl das variable Kapital der einzige Faktor ist, der Mehrwert schafft.

Wenn also der Anteil der Investition in variables Kapital (lebendige Arbeit) im Vergleich zur Investition in konstantes Kapital sinkt – und dies muss im Kapitalismus so sein – muss auch der Anteil an den Investitionen sinken, der Profit erzeugen kann. Das aufgebaute konstante Kapital – Kapital, das in Maschinen, Fabriken und in zirkulierenden Elementen wie Rohstoffen und Halbfertigprodukten gebunden ist – steigt im Verhältnis zur lebenden Arbeit. Dies erzeugt eine Tendenz zum Fall der Profitrate. Die Profitrate ist nicht die Masse an Profit, der in der kapitalistischen Produktion entsteht, sondern die Profitmasse im Verhältnis zum investierten Kapital. Das heißt keinesfalls, dass die Profitmasse schrumpft, wenn die Profitrate fällt. Tatsächlich können wir davon auszugehen, dass die Produktivitätssteigerung die Profitmasse durch die gleichzeitige Ausweitung der Produktion erhöht, jedoch geschieht dies nur durch die Erhöhung des konstanten Kapitals im Vergleich zum variablen. Während also die Produktion wächst, fällt die Profitrate.

Wie wir alle wissen, unterliegt die kapitalistische Produktion Konjunktur-Zyklen. Hierbei handelt es sich um Perioden von etwa 7-10 Jahren, in denen Produktion und ökonomische Aktivität steigen und fallen. Wir werden uns später noch eingehender mit diesem zyklischen Verlauf beschäftigen, aber ganz allgemein können wir schon jetzt einen einfachen Sachverhalt feststellen: In der Expansionsphase eines konjunkturellen Zyklus steigen die Profite und tatsächlich steigt sogar die Profitrate, wenn man aber den gesamten Verlauf des Zyklus betrachtet, bestätigt sich der tendenzielle Fall der Profitrate. In einem bestimmten Stadium kann die nächste Investitionsrunde nicht mehr soviel Profit versprechen, dass sich eine Investition lohnt. Während die Profitrate fällt, ziehen wichtige Investoren ihr Kapital aus einem bestimmten Produktionszweig ab, was zu Schließungen und Ausverkäufen führt. Oder sie ziehen ihr Kapital aus dem Finanzsektor ab und verursachen so eine Kreditknappheit; oder sie verlangen wesentlich höhere Zinsen für Anlagen und verursachen so Insolvenzen und weitere Kreditprobleme; oder sie erhöhen die Preise für Treibstoffe und Nahrungsmittel und provozieren so Hungerrevolten in armen Ländern, Streiks für höhere Löhne und ein Sinken des Lebensstandards der ArbeiterInnen überall auf der Welt.

Dieser Druck auf die Profitrate resultiert aus einer Überakkumulation des Kapitals. Da die Profitraten in den Sektoren mit der höchsten organischen Zusammensetzung des Kapitals am meisten unter Druck geraten (die Sektoren mit der höchsten Arbeitsproduktivität, in denen der Anteil des konstanten im Verhältnis zum variablen Kapital am höchsten ist), stellen die Kapitalisten fest, dass sie über mehr Kapital verfügen, als sie rentabel einsetzen könnten, um die Profite zu erhalten, die sie bräuchten, um weiter expandieren zu können und konkurrenzfähig zu bleiben. Dies bewirkt eine panische Suche nach Alternativen für das Kapital. Die Überakkumulation bewirkt, dass das Kapital in Niedriglohnländer exportiert wird, wo wegen des niedrigeren technologischen Niveaus höhere Profitraten erzielt werden können. Sie lenkt Kapitalströme in Aktien und noch komplexere Finanzinstrumente (wie die Anlagen in Hypothekenschulden, welche die Banken gegenwärtig in Höhe von Hunderten von Milliarden Dollar abschreiben müssen); sie lenkt es in kommerzielle Immobilienspekulation und führt zu einem immer unbekümmerten Umgang mit Krediten,  um das System am Laufen zu halten. Letztlich führt dies zum Entstehen vielfältiger Formen fiktiven Kapitals, welches in keinem Verhältnis mehr zum zugrunde liegenden Wert realer Waren steht.

Es ist wichtig zu erkennen, dass diese Faktoren den tendenziellen Fall der Profitrate aussetzen können. Marx nennt sie entgegenwirkende Ursachen, die den tendenziellen Fall der Profitrate verzögern und bremsen. Aber er beharrt darauf, dass keine dieser entgegenwirkenden Ursachen den Fall der Profitrate für immer aufhalten kann. Wie wir sehen werden, können sie die Durchsetzung des Gesetzes nicht ewig hinausschieben. Überakkumulation des Kapitals bedeutet, dass sich die Wachstumsphase des industriellen Zyklus zu einem spekulativen Fieber entwickelt, welches in der Krise endet. Geld, das mit der Erwartung einer hohen Rendite angelegt worden war, erweist sich als viel weniger wert als ursprünglich angenommen. Eine Kreditknappheit entsteht explosionsartig, wenn sich zeigt, dass Bankdarlehen und komplexe Finanzinstrumente massiv überbewertet sind. Der Prozess der Akkumulation des Kapitals kommt zu einem abrupten Stillstand; das ganze System scheint einen Herzinfarkt zu erleiden.

Der traumatische Prozess der Kapitalentwertung setzt sich fort. Die Kapitalisten kämpfen miteinander, wer die Kosten dafür zu tragen hat. Dies spielt sich nicht abstrakt ab oder nur auf dem Papier oder gleichzeitig auf der ganzen Welt mit der gleichen Geschwindigkeit. Es ist ein chaotischer Prozess, der an realen Orten und in echter Zeit zuschlägt. Währungen werden entwertet (wie heute der Dollar); Anlagen werden wertlos (die Kreditkrise); nicht nur die Profitrate, sondern auch die absolute Höhe der Profite bricht ein (Gewinnwarnungen); Konzernvorstände überlegen, wie sie „Über“kapazitäten abbauen können. Die Krise entwickelt sich zur Rezession, da der Prozess der Entwertung Nachfrage und Auftragslage scharf trifft und ein starkes Anwachsen der Arbeitslosigkeit bewirkt. Am Ende – Länge und Tiefe von Krise und Rezession hängen von einer Vielzahl weltpolitischer Faktoren ab – beginnen die Kapitalisten, in billigere Betriebe, Maschinerie und Arbeiter neu zu investieren und ein Erholungsprozess setzt ein. Ein neuer Zyklus beginnt.

Wie kraftvoll oder wie schwach der Aufschwung ist und wie schnell Krise und Rezession wiederkehren hängt davon ab, wie gut es den dominanten Kapitalisten gelingt, andere – also schwächere kapitalistische Länder und vor allem die Arbeiterklasse – den Preis der Krise zahlen zu lassen. Es hängt davon ab, wie viel Kapital in den gewaltsamen Ereignissen der Krise entwertet oder zerstört wurde.

Marx´ Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate

Wie wir gesehen haben, wächst im Kapitalismus durch kontinuierliche Innovation der Produktionstechnik die Arbeitsproduktivität in einigen Unternehmungen, die zu den wettbewerbsfähigsten der Branche werden. Ließen wir hypothetisch einmal die realen sozialen Produktionsverhältnisse (Kapitalismus) außer Acht, dann würden die verbesserte Technologie und die gesteigerte Arbeitsproduktivität natürlicherweise zur Arbeitszeitverkürzung führen. Die Automatisierung würde dazu beitragen, den Arbeiter von einem durch ein rigides Arbeitsregime gefesselten Halbsklaven zu einem Aufseher der Produktion zu machen, würde ihn durch fortgesetzte und nachhaltige Verkürzung des obligatorischen Arbeitstages dazu befähigen, sich an der  Planung und Überwachung auch größerer Bereiche von Produktion, Verteilung und Verbrauch zu beteiligen (Sozialismus). Doch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse, in deren Rahmen sich aktuell die Entwicklung der Produktivkräfte vollzieht, hemmen und unterdrücken diese noch nicht realisierte Entwicklungstendenz.

Auf dem höchsten Abstraktionsgrad der Analyse ist Kapital als sich selbst verwertender Wert bestimmt. Im Prozess seiner Selbstverwertung nimmt es eine Reihe unterschiedlicher Formen an: Kapital kommt zurück als Profit, um reinvestiert zu werden, um noch mehr Profit zu schaffen. Es bedarf für seine Akkumulation zusätzlichen Werts (Profit), der Ausbeutung unbezahlter Arbeit (des Mehrwerts) und, da dieser Mehrwert ausschließlich durch lebende Arbeit entsteht und nicht durch Maschinen oder Rohstoffe, ist der Kapitalist gezwungen, die Einführung von arbeitssparender Technologie nicht mit der Reduktion von „Arbeit“ im Sinne der Verkürzung der durchschnittlichen individuellen Arbeitszeit oder der Bürde der arbeitenden Bevölkerung als ganzer zu verbinden, sondern mit der Verkürzung seinen Aufwendungen für die Arbeit, d.h. seinen Arbeitskosten. Entsprechend besteht der Nettoeffekt der wachsenden Arbeitsproduktivität im Kapitalismus im Ausschluss von immer mehr lebendiger Arbeit aus dem Produktionsprozess – in einer Weise, die die Ausbeutung der ArbeiterInnen intensiviert, anstatt sie zu mindern. Marx schreibt dazu:

„Diese (die kapitalistische Produktion; Anm. d. Red.) erzeugt mit der fortschreitenden relativen Abnahme des variablen Kapitals gegen das konstante eine steigend höhere organische Zusammensetzung des Gesamtkapitals, deren unmittelbare Folge ist, dass die Rate des Mehrwerts bei gleich bleibendem und selbst bei steigendem Exploitationsgrad der Arbeit sich in einer beständig sinkenden allgemeinen Profitrate ausdrückt. (Es wird sich weiter zeigen, warum dies Sinken nicht in dieser absoluten Form, sondern mehr in Tendenz zum progressiven Fall hervortritt.) Die progressive Tendenz der allgemeinen Profitrate zum Sinken ist also nur ein der kapitalistischen Produktionsweise eigentümlicher Ausdruck für die fortschreitende Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit. Es ist damit nicht gesagt, dass die Profitrate nicht auch aus anderen Gründen vorübergehend fallen kann, aber es ist damit aus dem Wesen der kapitalistischen Produktionsweise als eine selbstverständliche Notwendigkeit bewiesen, dass in ihrem Fortschritt die allgemeine Durchschnittsrate des Mehrwerts sich in einer fallenden allgemeinen Profitrate ausdrücken muss. Da die Masse der angewandten lebendigen Arbeit stets abnimmt im Verhältnis zu der Masse der von ihr in Bewegung gesetzten vergegenständlichten Arbeit, der produktiv konsumierten Produktionsmittel, so muß auch der Teil dieser lebendigen Arbeit, der unbezahlt ist und sich in Mehrwert vergegenständlicht, in einem stets abnehmenden Verhältnis stehn zum Wertumfang des angewandten Gesamtkapitals. Dies Verhältnis der Mehrwertsmasse zum Wert des angewandten Gesamtkapitals bildet aber die Profitrate, die daher beständig fallen muß.“ (1)

Das Motiv bei der Einführung von Technologie und der damit verbundenen Steigerung der Arbeitsproduktivität ist immer die unmittelbare Auswirkung, nämlich der Anstieg der Mehrwertrate (der „Ausbeutungsrate“ oder des Anteils des Mehrwerts am variablen Kapital) in den revolutionierten Bereichen durch die Reduktion der Zeit, die nötig ist, um ein bestimmtes Produkt herzustellen. Wie oben festgestellt, ist der Arbeiter fähig, in einer bestimmten Zeit mehr Produkte herzustellen. Dadurch sinkt der Wert der Ware im Verhältnis zur Ware des Wettbewerbers und der Kapitalist erzielt einen höheren Profit. Wenn m Mehrwert ist und v variables Kapital, dann ist der Wert von v abhängig von der notwendigen Arbeitszeit. Wir können somit sagen, dass die Ausbeutungsrate m/v ist. Wenn die Arbeitsproduktivität steigt, reduziert sich das Verhältnis der notwendigen Arbeitszeit – die Zeit, die erforderlich ist für die Reproduktion der Arbeitskraft des Arbeiters, d.h. der Lohn – zum Arbeitstag als Ganzem. Dies vergrößert den Gewinn und die Profitabilität des Investments.

Nehmen wir zum Beispiel einen Hersteller von Computern. Wenn wir m den Wert von 5 (5 Mill. $ Profit) und v den Wert von 10 (10 Mill. $ investiert für Arbeitskraft) geben, beträgt die Mehrwertrate oder Ausbeutungsrate 5/10 = 0,5 oder 50%. Wenn wir nun die notwendige Arbeitszeit reduzieren, so dass die ArbeiterInnen den gleichen Mehrwert in sagen wir der Hälfte der Zeit produzieren, erhalten wir einen starken Anstieg der Mehrwertrate. Wenn m immer noch einen Wert von 5 hat (der Profit beträgt immer noch 5 Mill. $) aber wir nun v den Wert von 5 geben (die Arbeitskosten betragen nun nur noch 5 Mill. $) erhalten wir eine Mehrwertrate von 5/5 = 1, eine Ausbeutungsrate von 100%.

Wir fügen nun das konstante Kapital (Rohstoffe, Gebäude und Maschinen) in die Formel ein und nennen das c. Wir können zeigen, dass ein Anwachsen des Verhältnisses von konstantem zu variablem Kapital – von nicht Mehrwert produzierendem zu Mehrwert produzierendem Kapital, von Maschinerie und Material zu Arbeitern, von toter zu lebendiger Arbeit – notwendigerweise die Profitrate mindert. Wenn die Ausbeutungsrate m/v beträgt, dann kann die Profitrate mit m/c+v dargestellt werden, der Mehrwert im Verhältnis zum Gesamtinvestment des Kapitalisten.

Bemühen wir ein weiteres einfaches numerisches Beispiel. Wenn m=5, v=5 und c=5, dann gilt m/c+v = 5/5+5 oder 5/10. Die Profitrate ist in diesem Beispiel 0,5 oder 50 Prozent. Wenn unser Computerproduzent 5 Mill. $ für Arbeit und 5 Mill. $ für Technologie aufwendet und sein Profit 5 Mill. $ beträgt, dann liegt seine Profitrate bei 5m/10m, was die Häfte oder eine Profitrate von 50% ergibt.

Betrachten wir nun, was passiert, wenn wir die Arbeitsproduktivität durch Einführung von Hightech-Maschinerie in den Produktionsprozess steigern, wenn wir damit den Anteil des konstanten Kapitals im Verhältnis zum variablen erhöhen, wenn s und v gleich bleiben, aber c wächst.

Wenn c auf 10 Mill. $ anwächst, aber m und v gleich bleiben, erhalten wir für m=5, v=5, c=10, demnach m/c+v = 5/5+10 = 5/15 = 1/3 oder 33%. Durch das Wachsen des Verhältnisses von konstantem zu variablem Kapital sinkt die Profitrate unseres Computerproduzenten, da der Profit von 5 Mill. $ jetzt durch ein Investment von 15 Mill.  $ realisiert wird – obwohl die Mehrwertrate und die Ausbeutungsrate gleich geblieben sind.

Je mehr Investitionen in konstantes Kapital erfolgen, desto mehr sinkt die korrespondierende Profitrate. Wenn im Fall eines sehr großen Investments in Ausrüstung und Maschinerie dieses z.B. auf 45 Mill. $ wächst, erhalten wir für c=45 und einen scharfen Abfall der Profitrate.

m/c+v = 5/45+5 = 5/50 = 0,1 oder 10%

So weit, so einfach. Aber der Grund für sehr viel Verwirrung in diesem Bereich, besteht – wie wir noch zeigen werden – darin, dass die Einführung von neuen Produktionssystemen und neuer Technologie, die die Arbeitsproduktivität steigern, gleichzeitig einen Anstieg der Mehrwertrate und einen tendenziellen Fall der Profitrate bewirken können. Das bedeutet, dass wir oft eine starke Vergrößerung der Profitmasse gerade am Vorabend einer größeren Krise von sinkenden Profitraten beobachten können.

Der Abfall der Profitrate als Resultat der wachsenden „organischen Zusammensetzung des Kapitals“ (c/v) erklärt zum Teil, warum es zyklische Wirtschaftskrisen gibt. Wir werden dies im Folgenden näher ausführen. Jetzt ist es wichtig, daran zu denken, dass auf den ganzen Zyklus bezogen die Profitrate nicht immer sinkt. Wäre dem so, würden Kapitalisten niemals einen Profit machen und das ganze System wäre in sich selbst zusammengebrochen, bevor es begonnen hätte, sich zu entwickeln. Die wachsende organische Zusammensetzung des Kapitals erzeugt eine Tendenz zum Fall der Profitrate, jedoch es gibt mächtige Gegentendenzen, welche die Tendenz zum Fall der Profitrate verlangsamen, verzögern und teilweise aufhalten. Nur wenn die Tendenz zur Überakkumulation diese entgegenwirkenden Ursachen überwiegt, ist das Ergebnis ein eindeutiger Fall der Profitrate bei neuen Investitionen. Das führt dann schließlich zu einem Fall der Profitmasse, zur Krise und zur korrigierenden Entwertung von Kapital.

Marx erläutert in den Grundrissen, wie in der Theorie (1) die Menge des Profits wächst in umgekehrten Verhältnis zur Profitrate, aber dann (2) letztlich die Profitmasse nicht weiter wachsen kann, da die Profitrate fällt. Er beginnt mit dem ersten Punkt.

„Der gross profit (Bruttoprofit, Anmerkung im Original), d.h. der Mehrwert, betrachtet außer seiner formellen Beziehung, nicht als Proportion, sondern als einfache Wertgröße ohne Beziehung auf andere, wird im Durchschnitt nicht wachsen wie die Rate des Profits, sondern wie die Größe des Kapitals. Wenn also die Rate des Profits im umgekehrten Verhältnis zum Wert des Kapitals, wird die Summe des Profits in direktem Verhältnis zu ihm stehn.“ (2)

Betrachten wir diesen Zusammenhang bezogen auf unser Beispiel, bei dem unser Produzent 5 Mill. $ in Arbeit investiert hat, 5 Mill. $ in Maschinerie und einen Profit von 5 Mill. $ erzielt, oder, in mathematischen Termini, wenn c, v und m alle 5 betragen. Wenn wir nun überall den Wert verdoppeln und es dabei bleibt, dass die Ausbeutungsrate m/v bei 100% verharrt, dann beträgt c=10, v=10, m/v=1, demnach beträgt die Profitmasse (hier gleich dem Mehrwert) m= 10. Die Profitmasse wuchs proportional zur Größe des Kapitals.

Betrachten wir nun ein Beispiel, bei dem die Profitmasse ansteigt und gleichzeitig die Profitrate sinkt. Am Ausgangspunkt betrugen c, v und m jeweils 5. Bevor wie das Kapital verdoppelten, galt m/c+v = 5/5+5 und die Profitrate betrug 5/10 = 0,5 oder 50%. Als wir v auf 10 wachsen ließen und die Ausbeutungsrate m/v bei 100 blieb, stieg die Profitmasse. Wenn wir das konstante Kapital nun im gleichen Maße erhöhen auf 10, bleibt die Profitrate gleich. 10/10+10 ergibt die gleiche Rate wie 5/5+5. In beiden Fällen ergibt sich eine Rate von 50%.

Was würde passieren, wenn wir c stärker wachsen lassen als v, sagen wir auf 40, so dass nicht nur das Kapital absolut anwächst, sondern das konstante Kapital gegenüber dem variablen anwächst? Wieder gehen wir davon aus, dass die Ausbeutungsrate konstant bleibt bei m/v = 100 Prozent. m beträgt nun 10, c beträgt 40 und v beträgt 10 was m/c+v = 10/40+10 = 10/50 = 0,2 oder 20%. Die Profitmasse, die Summe des Profits, stieg von 5 auf 10, weil das Kapital vermehrt wurde. Aber die Profitrate fiel von 50% auf 20%.

Das Kapital unseres Computerproduzenten vermehrte sich massiv und seine Profitmasse stieg als Folge davon. Da die Ausbeutungsrate 100% beträgt, was bedeutet, dass die Hälfte der Arbeitszeit der Angestellten unbezahlt ist, führt eine Verdopplung der Arbeitskraft von 5 auf 10 Mill. zu einer Verdopplung seines Profits von 5 auf 10 Mill. $. Zur selben Zeit jedoch hat die massive Investition in neue Maschinerie von 45 Mill. $, die zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität führte, die Profitrate von 50 Cent auf jeden investierten Dollar herabgedrückt auf nur noch 20 Cent pro investierten Dollar.

Marx zeigt, dass die Profitmasse zwar steigt, die Profitrate jedoch fällt. Die Veränderung der Profitmenge wächst proportional mit der Größe des Kapitals, jedoch die Profitrate verhält sich umgekehrt proportional.

Marx setzt in den „Grundrissen“ seine Erklärung fort, indem er ausführt, dass das Phänomen steigenden Profits bei gleichzeitigem Sinken der Profitrate nur für eine Weile fortbestehen kann. Er führt aus:

„Allein auch dieser Satz ist nur wahr für eine beschränkte Stufe der Entwicklung der Produktivkraft des Kapitals oder der Arbeit.“ (3)

Marx führt ein Beispiel dafür an, wie sich dieses Phänomen im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung darstellt. Er gibt uns ein Beispiel einer niedrigen Profitrate, die zu einer Vermehrung der Profitmasse führt und schreibt:

„Ein Kapital von 100 mit einem Profit von 10% gibt eine kleinere Summe des Profits als eine Kapital von 1000 mit einem Profit von 2%. In dem ersten Fall ist die Summe 10, in dem zweiten 20, d.h. der gross profit des großen Kapitals doppelt so groß wie der des 10mal kleineren Kapitals, obgleich die Profitrate des kleineren 5mal größer als die des größeren.“ (4)

Wenn der Prozess der fallenden Profitrate fortbesteht, muss das schließlich eine Auswirkung auf die Profitmasse haben. Marx erklärt dies sehr einfach:

„Aber wäre der Profit des größeren Kapitals nur 1%, so wäre die Summe des Profits 10, wie für das 10mal kleinere Kapital, weil im selben Verhältnis, wie seine Größe die Profitrate abgenommen. Wäre die Profitrate für das Kapital von 1000 nur 0,5%, so wäre die Summe des Profits nur halb so groß wie die des 10mal kleineren Kapitals, nur 5, weil die Profitrate 20mal kleiner.“ (5)

Wenn die Profitrate stärker fällt als das Kapital wächst, kann die Profitmasse eines großen Kapitals im Vergleich zu einem kleineren sinken, was Erweiterungsinvestitionen für dieses Kapital uninteressant werden lässt.

„Allgemein ausdrückt: Nimmt die Profitrate ab für das größere Kapital, aber nicht im Verhältnis seiner Größe, so wächst der gross profit, obgleich die Rate des Profits abnimmt. Nimmt die Profitrate ab im Verhältnis zu seiner Größe, so bleibt der gross profit derselbe wie der des kleineren Kapitals; bleibt stationär. Nimmt die Profitrate ab im größeren Verhältnis, als seine Größe wächst, so nimmt der gross profit des größeren Kapitals, verglichen mit dem kleineren, ebenso ab, als die Profitrate abnimmt.“ (6)

Dies ist von enormer Bedeutung. Es zeigt, dass – wenn die Arbeitswerttheorie richtig ist – periodisch auftretende fallende Profitraten das Wachstum der Profitmasse bedrohen. An einem bestimmten Punkt sinkt die Profitrate so stark, dass die Kapitalisten ihr Kapital aus der Produktion o.a. Investitionsbereichen abziehen, weil nicht genügend Profit erzielt wird. Wenn dies stimmt, würde der Kapitalismus notwendigerweise Zyklen durchlaufen, die an einem Punkt kulminieren, an dem Investitionen plötzlich nicht mehr vorgenommen werden, die das Kapital gewaltsam entwerten, bevor seine Akkumulation in einem neuen Zyklus wieder beginnen kann. Genau das aber findet statt, wie uns die Kreditkrise von 2007 und die Bankenkrise von 2008 nur zu deutlich zeigen!

Es ist nicht verwunderlich, dass Marx selbst von der Einfachheit und großen Bedeutung seiner Entdeckung betroffen war. Er fasst dies in den Grundrissen so zusammen:

„Es ist dies in jeder Beziehung das wichtigste Gesetz der modernen politischen Ökonomie und das wesentlichste, um die schwierigen Verhältnisse zu verstehn. Es ist vom historischen Standpunkt das wichtigste Gesetz. Es ist ein Gesetz, dass trotz seiner Einfachheit bisher nie begriffen und noch weniger bewußt ausgesprochen worden ist.“ (7)

Dies ist die zugrunde liegende Ursache des Phänomens der Überakkumulation des Kapitals, des „Überflusses“ von Liquidität, die die Krise begleitet, die nach dem Höhepunkt des kapitalistischen Booms entsteht, der verrückten Jagd des Kapitals, Profite oberhalb und jenseits der durchschnittlichen Profitrate zu erzielen, und dem ansonsten unerklärlichen Versiegen der Investitionen trotz des Vorhandenseins außerordentlicher Geldmengen („ein Exzess der Liquidität“). So wird deutlich, warum diese Verhältnisse oft in Krisen explodieren, die Investitionstätigkeit beenden – noch bevor die Verbrauchernachfrage zusammenbricht (was 2007 anscheinend geschehen ist).

Der Investitionsstopp, die Unterbrechung der Zirkulation des Kapitals, die Abschreibungen auf überbewertete Anlagen und Kreditkonstruktionen und letztlich die Schließung von unprofitablen Industrien weisen auf eine gewaltsame Entwertung des Kapitals hin. Die in diesen Krisen zu Tage tretende Entwertung ist die Antwort des Kapitalismus auf die Überakkumulation des Kapitals. Sie ist für Marx das deutlichste Zeichen dafür, dass der Kapitalismus unaufhaltsam auf seine eigene Zerstörung zusteuert – etwas, das nicht automatisch ohne die bewusste Intervention von Menschen, Bewegungen und Parteien passiert, sich aber durch eine Serie von krampfartigen kapitalistischen Krisen ständig neu als Notwendigkeit und Möglichkeit erweist.

Es zeigt sich, dass

„die durch das Kapital selbst in seiner historischen Entwicklung herbeigeführte Entwicklung der Produktivkräfte, auf einem gewissen Punkt angelangt, die Selbstverwertung des Kapitals aufhebt, statt sie zu setzen.

Über einen gewissen Punkt hinaus wird die Entwicklung der Produktivkräfte eine Schranke für das Kapital; also das Kapitalverhältnis eine Schranke für (die) Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit. (…)

In schneidenden Widersprüchen, Krisen, Krämpfen drückt sich die wachsende Unangemessenheit der produktiven Entwicklung der Gesellschaft zu ihren bisherigen Produktionsverhältnissen aus. Gewaltsame Vernichtung von Kapital, nicht durch ihm äußere Verhältnisse, sondern als Bedingung der Selbsterhaltung, ist die schlagendste Form, worin ihm advice (der Rat) gegeben wird, to be gone and give room to a higher state of social production (abzutreten und einem höheren Stadium der gesellschaftlichen Produktion Raum zu geben).“ (8)

Entgegenwirkende Ursachen

Marx bestand darauf, dass der Trend zu fallenden Profitraten kein linearer Prozess ist, sondern dass er durch eine Reihe von Faktoren verzögert wird, die ihn verlangsamen, verschieben und aufhalten können.

Logischerweise müssen diese Faktoren, wenn sie das Fortschreiten der Kapitalakkumulation hin zu Krise und Zusammenbruch verlangsamen sollen, alle etwas gemeinsam haben. Die Grundursache der Krise ist in der Überakkumulation von Kapital und in fallenden Profitraten zu suchen, welche sich aus dem Wachsen des konstanten Kapitals relativ zum variablen Kapital ergeben.

So müssen die entgegenwirkenden Ursachen logischerweise entweder a) das konstante Kapital in Verhältnis zum variablen Kapital verringern, b) das variable Kapitals im Verhältnis zum konstanten Kapital vermehren, c) den Gesamtprofit erhöhen, ohne gleichzeitig das konstante Kapitals im Verhältnis zum variablen Kapital zu erhöhen oder d) den Gesamtprofit erhöhen bei einer verzögerten Erhöhung des konstanten Kapitals im Verhältnis zum variablen Kapital oder e) eine Kombination von a), b), c) und d).

Wir werden sehen, dass jede der entgegenwirkenden Ursachen das bis zu einem gewissen Grad tut, aber dass jede nur einen begrenzten Effekt haben kann. Keine kann permanent fallende Profitraten ausgleichen oder die Krise unbegrenzt aufschieben.

Die entgegenwirkenden Ursachen, welche das tendenzielle Fallen der Profitraten verschieben oder verlangsamen, sind zahlreich und verschieden. Sie umfassen:

• Kapitalexport: Wenn eine Investition in Ländern stattfindet, wo die Arbeitskraft billiger ist und als Resultat niedriger technologischer Entwicklung die organische Zusammensetzung des Kapitals niedriger ist; dann sind die Profitraten höher, weil der Anteil des variablen Kapitals im Verhältnis zum konstanten Kapital höher ist. Das zeigt sich in dem bekannten Prozess, dass Investoren aus den höchstentwickelten Ländern das Geld in die ‚aufstrebenden Märkte‘ (die unterentwickelte Welt) pumpen, um höhere Profitraten zu sichern, eine große Zahl von ArbeiterInnen zu beschäftigen, die vom Land kommen, deren Lebensstandard niedriger ist und die an weniger und nicht so hoch entwickelter Maschinerie als im Westen arbeiten müssen.

• Expansion des Aktienkapitals: Erweitert die Menge der Investoren und erlaubt den führenden Kapitalisten, den Anteilseignern einen Ertrag unterhalb der Durchschnittsprofitrate zu geben.

• Ausdehnung des Kredits: Erlaubt den Kapitalisten, breitere Quellen zur Geldbeschaffung für Investitionen heranzuziehen und den Punkt hinauszuzögern, an dem ein Fall der Profitmasse sie zwingt, die nächsten Runden im Investieren auszusetzen.

• Expansion des Handels zwischen fortgeschrittenen und weniger weit entwickelten kapitalistischen Ökonomien. So wie die internationalen Preise für  Handelswaren und Dienstleistungen auf Durchschnittsprofitraten basieren, und die Profitrate im höher entwickelten Land niedriger sein wird als in einem weniger entwickelten Land, werden die Kapitalisten der höher entwickelten Macht begünstigt von einer Form von ‚ungleichem Austausch‘, weil sie zu einem Durchschnitt tauschen, der höher ist als ihre eigene Profitrate. Obwohl beide Kapitalistengruppen davon profitieren, erzielen die Kapitalisten der entwickelteren Macht bei diese Art von Handel den Großteil des Profits (‚Super-Profit‘).

• Reduzierung des Werts der Arbeitskraft durch Ausbeutung von billiger ausländischer Arbeitskraft und durch Import billigerer Lebensmittel. Das erhöht die Ausbeutungsrate und dadurch die Profitmasse.

• Verkürzung der Umschlags- und der Zirkulationszeit durch Beschleunigung von Produktion, Transport und Vertrieb. Dies reduziert die Zeit, in der das Kapital gebunden ist, und erhöht die Zahl der Zyklen. Das Kapital kann folglich mehr Zeit damit verbringen, sich im Wert durch Ausbeutung lebendiger Arbeit zu vermehren und ist weniger Zeit in der Zirkulation gebunden.

• Reduktion des Werts des konstanten Kapitals, sowohl des Bestands an Fabriken und Maschinerie als auch an Rohstoffen, was den Anteil des konstanten Kapitals relativ zum variablen Kapital reduziert.

• Vergrößerung des Teils des Arbeiterklasse, der unter dem Wert der Arbeitskraft bezahlt wird durch Lohndrückerei und durch Nutzung von Tagelöhnern, prekärer, migrantischer und Kinderarbeit.

• Verlängerung der Arbeitszeit und Intensivierung der Arbeit, so dass die Arbeitskräfte mehr Wert schaffen in längerer Zeit oder bei intensiverer Nutzung der Arbeitszeit.

Diese entgegenwirkenden Ursachen üben alle am Beginn des industriellen Zyklus einen beschränkten Effekt aus, schlagen aber schließlich in ihr Gegenteil um.

So setzt der Kapitalexport im empfangenden Land einen Prozess von Akkumulation in Bewegung, der dann selbst in Überakkumulation und Krise führt und dabei seinen ursprünglichen Effekt der Absenkung der organischen Zusammensetzung des Kapitals im Entwicklungsland reduziert. Das Beispiel China zeigt, dass als Resultat der Entwicklung die Preise steigen, die sich entwickelnde Ökonomie destabilisiert wird und sich Klassenwidersprüche und Kämpfe in dem sich neu entwickelnden kapitalistischen Staat verschärfen. Nicht nur der Prozess der Kapitalakkumulation, sondern all seine Widersprüche und Krisentendenzen werden im globalen Maßstab ausgeweitet, so dass schließlich u.a. die Preise im Westen steigen.

Die Ausweitung von Aktienkapital und die Erweiterung des Kredits dehnen den Anteil von fiktivem Kapital in der Zirkulation aus. Es ist dabei wichtig zu verstehen, dass dies keine Abweichung oder eine seltsame Art kollektiven Wahnsinns ist, sondern ein notwendiges Element der Zirkulation des Kapitals in einem marktbasierten System. Wie wir in der Krise 2007/08 klar sehen können, ist eine massive Ausweitung des Kredits, wie wir sie 1998-2008 beobachten konnten, weit davon entfernt, Krisen endlos hinauszuschieben; sie verstärkt stattdessen massiv die Instabilität im Finanzsystem, verbreitet die „Seuche“ des überbewerteten Kapitals über den Erdball und macht den korrigierenden Schock, der erforderlich ist, um ‚die exzessive Liquidität vom Markt‘ zu nehmen, umso heftiger. Der Abwertungsprozess des fiktiven Kapitals führt zu einer Jagd nach der härtesten Form von Geld, heute am liebsten Gold oder nicht-konvertibles ‚fiat‘ Geld, gedeckt von einem starken Staat. Heute, wo der historische Abstieg des Dollars neue Tiefen erreicht, scheint auch die Position des Weltgeldes in Zukunft vakant zu werden – ein Indikator bevorstehender inter-imperialistischer Spannungen.

Kredit in seiner modernen Massenkonsumenten-Form der Hypotheken und Kreditkarten reißt jetzt die Masse der Bevölkerung mit, in dem die Krise der Abwertung in bisher unvorhergesehener Weise vergesellschaftet wird. Zu Marx` Zeiten gab es keinen Massenmarkt für Hypotheken. Weit davon entfernt, eine neue und stabile Basis für den Kapitalismus zuschaffen (der von Reagan und Thatcher so hoch gelobten ‚Hauseigentümer-Demokratie“), haben Massen-Konsumentenkredite und die Verwandlung von Mieten in Finanzprodukte das Finanzsystem massiv destabilisiert. So wie die kommerziellen Mieten und Grundrenten vom Gesamtprofit der Kapitalistenklasse abgezogen werden, so werden die privaten Mieten von den Durchschnittslöhnen der Arbeiterklasse abgezogen (mit lokalen Unterschieden, je nachdem, wie weit sie von den Zentren des großen Geldes entfernt sind). Hauspreise für ‚Hauseigentümer‘ sind nur die kapitalisierte Form der Wohnungsrente, wo die Miete ist in eine Hypotheken-Zurückzahlung umgewandelt wurde, dabei wird jeder Anstieg im Profit aus der Wertsteigerung der Immobilie mit dem Hypothekenkreditverleiher in Form von äußerst hohen Zinsen geteilt. Wenn dann die Reallöhne sinken und die kommerziellen Zinsraten steigen, so wie in den USA über die letzten Jahre, und die Profite fallen, fallen schließlich auch die Immobilienpreise. Das deckt auf, warum die Hausbeleihungen in hohem Maß fiktives Kapital sind. Sowohl die Kreditgeber als auch die ‚innovativen‘ Finanzinstitute, die auf der Basis „neuverpackter“ Hypothekenschulden verleihen, müssen Milliarden abschreiben oder bankrott gehen. Dies verschlimmert den Trend in Richtung Rezession, da die gebeutelten Hauseigentümer und die an die Luft gesetzten ehemaligen Hauseigentümer den Gürtel enger schnallen und Ausgaben reduzieren müssen.

Wie schon erwähnt, hebt der Handel zwischen den imperialistischen Metropolen und den sich schnell entwickelnden halbkolonialen Ländern die Profite im ‚Westen‘, weil die Halbkolonien eine niedrigere organische Zusammensetzung des Kapitals haben, folglich eine höhere Profitrate. Hinzu kommt, kurz gesagt, dass sich die Mehrwertrate im ‚Westen‘ durch Importe billiger Waren erhöht, da sie die Kosten der Reproduktion der Arbeitskraft verringern. Aber unter Wert-Begriffen betrachtet, bedeutet das Senkung des Wertes der Arbeitskraft, also auch des Wertes von v (dem variablen Kapital), so dass sich schließlich das Problem der steigenden Wertzusammensetzung des Kapitals und daher fallender Profitraten verschärft. Die Krise der Überakkumulation kann nicht unendlich hinausgeschoben werden, wie wir weiter unten sehen, da der Wert von c (konstantes Kapital) schließlich schneller wächst als v.

Wenn dann wiederum die Überakkumulation des Kapitals in einem aufkommenden halb-kolonialen Land den deflationären Effekt des Exports von Konsumgütern für die LohnarbeiterInnen in den Metropolen reduziert, stellt dies nicht einfach das Gleichgewicht wieder her durch Erhöhung des Werts der Arbeitskraft im Verhältnis zu c. Auch der Wert des konstanten Kapitals – Fabriken und Maschinerie und Rohstoffimporte – wächst. Auf einer weit konkreteren Ebene untergräbt der Effekt höherer Preise für Treibstoff und Nahrungsmittel und höherer Zinsraten zur Kontrolle der Inflation die Ausweitung des Kredits auf Basis des Massenkonsums; er führt vielmehr ab einem bestimmten Punkt zu einer Krise, einem Einbruch des Konsums, sei es bei Schuldenrückzahlungen, Hypothekenschulden, Zinszahlungen oder bei Luxusgütern oder Grundnahrungsmitteln.

Eine weitere entgegenwirkende Ursache, die Reduktion der Umschlagszeit, hebt die Profitmasse an, indem es Kapital im Umlauf hält. Aber dies verkürzt auch die Zeitspanne, in der unkonsumiertes konstantes Kapital abgeschrieben werden muss, seine Wertübertrag muss also schneller vonstatten gehen. Wie jeder weiß, altert Hi-Tech-Ausrüstung schnell, sie wird uneffizient, verglichen mit neueren Modellen. Dies steigert den Druck auf jeden Kapitalisten, die Zusammensetzung des Kapitals zu erhöhen, treibt die organische Zusammensetzung des Kapitals in die Höhe und erhöht die Dynamik der Krise.

Die Ausbeutung von Einwanderern und Billigarbeit steigert die Profite, drückt die Löhne nach unten und untergräbt die Tarifverträge der organisierten Arbeiterschaft. Aber es dehnt die Größe des armen Proletariats aus, des Teils, der unkorrumpiert ist von den Vorurteilen der Arbeiteraristokratie, des Teils, der keine ‚Erfolgsbeteiligung‘ an den Profiten der Bosse durch höhere Lohnabschlüsse und Bonuszahlungen zu erwarten hat, und der nichts als seine Ketten zu verlieren hat. Schließlich steigen die Löhne im Aufschwung und die Nachfrage der Arbeiterklasse nach Konsumgütern, so dass der lohndrückende Effekt billiger Arbeiterkraft durch den Druck auf die Profitrate in der Gesamtwirtschaft mehr als wett gemacht wird.

Gesteigerte Rüstungsausgaben verschieben den Zusammenbruch – so wie das Gemetzel, das aus der Benutzung (dem ‚Verbrauch‘) von Waffen folgt, auch explosive ‚Abwertungen‘ mit sich bringt, die wiederum die Kapitalakkumulation wieder in Gang bringen können. Dennoch verschlimmern diese Ausgaben – v.a. in dem Ausmaß, das sie durch die Bush-Administration 2001 angenommen haben – die Krise der öffentlichen Haushalte und erschweren es den Bossen, dem Druck auf die Profite mit Steuersenkungen zu begegnen. Sie untergraben außerdem den Wert nationaler Währung. Ein weiterer Punkt, den jedeR MarxistIn erwähnen sollte, wenn man über den begrenzten Effekt von Militärausgaben im Hinblick auf das soziale Gleichgewicht nachdenkt, ist natürlich, dass Krieg auch Revolution hervorbringen kann.

Das wichtigste Gesetz

Es wird völlig klar beim Lesen von Marx‘ Werken wie den „Grundrissen“, dem „Beitrag zu einer Kritik der politischen Ökonomie“, dem „Kapital“ und den „Theorien über den Mehrwert“, dass er weit davon entfernt war, es als nebensächlichen Anhang zu seinen Theorien zu betrachten – nein, Marx betrachtete das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate als zentral. „Es ist vom historischen Standpunkt das wichtigste Gesetz.“ (9)

Marx hatte das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate fest im Sinn, als er den ersten Band des „Kapital“ schrieb, auch wenn er sich entschied, im Einführungsband keine vollständige Ausarbeitung dieses Gesetzes vorzunhemen. Aber er erklärt dort, dass die Akkumulation zur Überakkumulation von Kapital führt, das nicht ausreichend profitabel angelegt werden kann, dass die daraus hervorgehenden Krisen eine Armee von erwerbslosen ArbeiterInnen erzeugen, deren Arbeitskraft brach liegt, für die der Kapitalismus keine Verwendung hat. Die Akkumulation führt, in Marx Worten, zu “unbeschäftigtem Kapital auf der einen und unbeschäftigte(r) Arbeiterbevölkerung auf der anderen Seite.“ (10)

Daraus folgt, dass der Kapitalismus eine Form der Produktion und der Herrschaft ist, die auf ihren eigenen Zusammenbruch zusteuert. Ob dieser Kollaps aufgelöst wird zum Vorteil der ArbeiterInnen, hängt vom subjektiven Faktor ab, ist also eine Frage von revolutionärer Organisation, Aktion, Programm und Führung.

So schreibt Marx im ersten Band des „Kapitals“ im Abschnitt „Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation“ die berühmte revolutionäre Passage:

„Je ein Kapitalist schlägt viele tot. Hand in Hand mit dieser Zentralisation oder der Expropriation vieler Kapitalisten durch wenige entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses auf stets wachsender Stufenleiter, die bewußte technische Anwendung der Wissenschaft, die planmäßige Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der Arbeitsmittel in nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel, die Ökonomisierung aller Produktionsmittel durch ihren Gebrauch als Produktionsmittel kombinierter, gesellschaftlicher Arbeit, die Verschlingung ganzer Völker in das Netz des Weltmarkts und damit der internationale Charakter des kapitalistischen Regimes. Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, welche alle Vorteile dieses Umwandlungsprozesses usurpieren und monopolisieren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten vereinten und organisierten Arbeiterklasse. Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert.“ (11)

In diesem Stadium der Darstellung seiner Ideen im ersten Band des „Kapitals“ hatte Marx noch nicht die notwendigen Kategorien zur Darstellung des Gesetzes des tendenziellen Falls der Profitrate entwickelt. Schon in den „Grundrissen“ formulierte Marx denselben revolutionären Gedanken wie folgt, mit seinem Gesetz als zentralem Baustein in seiner Ausführung:

„Da dieses Abnehmen des Profits gleichbedeutend ist mit der verhältnismäßigen Abnahme der unmittelbaren Arbeit zur Größe der vergegenständlichten Arbeit, die sie reproduziert und neu setzt, so wird alles vom Kapital versucht werden, um die Kleinheit des Verhältnisses der lebendigen Arbeit zur Größe des Kapitals überhaupt, und daher auch des Mehrwerts, wenn als Profit ausgedrückt, zum vorausgesetzten Kapital zu checken by reducing the allotment made to necessary labour and by still more expanding the quantity of surplus labour with regard to the whole labour employed. Hence the highest development of productive power together with the greatest expansion of existing wealth will coincide with depreciation of capital, degradation of the labourer, and a most straitened exhaustion of his vital powers. These contradictions lead to explosions, cataclysms, crises, in which by momentaneous suspension of labour and annihilation of a great portion of the capital the latter is violently reduced to the point where it can go on fully employing its productive powers without committing suicide. Yet, these regularly recurring catastrophes lead to their repetition on a higher scale, and finally to its violent overthrow (bremsen, indem es die Zuwendung für notwendige Arbeit verringert und die Quantität der Mehrarbeit in Hinblick auf die gesamte Menge der angewandten Arbeit noch mehr erweitert. Folglich werden die höchste Entwicklung der Produktivkräfte und die stärkste Ausdehnung des vorhandenen Reichtums zusammenfallen mit Entwertung des Kapitals, Erniedrigung des Arbeiters und einer höchst unmittelbaren Erschöpfung seiner Lebenskraft. Diese Widersprüche führen zu Explosionen, Katastrophen, Krisen, in denen durch momentane Einstellung der Arbeit und die Vernichtung eines großen Teils des Kapitals das letztere gewaltig reduziert wird bis zu dem Punkt, von welchem aus es weiter kann, in der Lager ist, seine Produktivkräfte voll anzuwenden, ohne Selbstmord zu verüben. Jedoch diese regelmäßig wiederkehrenden Katastrophen führen zu deren Wiederholung auf höherer Stufe und schließlich zum gewaltsamen Umsturz.)” (12)

Marx‘ Krisentheorie ist deshalb eine revolutionäre anti-kapitalistische Theorie. Kein Wunder also, dass sie zum Gegenstand von systematischen und anhaltenden Attacken wurde.

Ausbeutungsrate und Profitrate

Nur die Arbeitswerttheorie hat ähnlich viele und große Kontroversen unter Ökonomen hervorgerufen, wie das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. Es zieht nicht nur die Schmähungen der bürgerlichen Theoretiker auf sich, sondern auch jeden Typs von Revisionisten, die vorgeben, auf dem Boden des Marxschen Denkens zu stehen.

Die Kritiken am Gesetz konzentrieren sich darauf, Marx‘ Schlussfolgerung anzugreifen, dass der tendenzielle Fall der Profitrate den Status eines Gesetzes habe, während die entgegenwirkenden Ursachen von nachrangiger Bedeutung sind. Die Absicht dieser Kritiken an Marx ist natürlich zu behaupten, dass Profitraten ebenso leicht steigen wie fallen könnten, dass es keinen allgemeinen Trend zu fallenden Profitraten gebe, dass die ‚entgegenwirkenden‘ Ursachen dem tendenziellen Fall der Profitrate gleichwertig gegenüber stünden, und – darüber hinaus – dass es keine inhärente Tendenz zum Zusammenbruch der Kapitalakkumulation gäbe. Das stützt natürlich eher reformistische als revolutionäre Schlussfolgerungen, wie die Arbeiterklasse am besten auf die kapitalistischen Widersprüche antworten solle.

Diese Schlussfolgerung bildet die unterschwellige Haltung der Revisionisten im großen Konflikt zwischen Reformisten und Revolutionären in der Zweiten Internationale zur Zeit von Lenin und Luxemburg, als Bernstein, Tugan-Baranovsky und Otto Bauer und anti-marxistische bürgerliche Theoretiker wie L. von Bortkiewicz und Böhm-Bawerk Marx‘ Zusammenbruchstheorie attackierten, indem sie die ‚harmonistische‘ Ansicht übernahmen, dass die Krisen vom Ungleichgewicht zwischen den Sphären der Produktion abzuleiten seien, die dauerhaft vermeidbar seien durch staatliche Intervention, geplantes Management und/oder Operationen des Finanzsystems.

Das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate blieb seitdem umstritten. Es wurde von prominenten Autoren wie Natalie Moszkowska (eine Kritikerin des marxistischen Theoretikers Henryk Grossmann, Autor von „Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems“), von anti-marxistischen Autoren wie Joan Robinson, von einflussreichen Unterkonsumtionstheoretikern wie Paul Sweezy u.v.a. kritisiert.

Hier ist nicht der Platz, eine umfassende Exegese und Antwort zu jede dieser Kritiken auszubreiten (13). Aber wir müssen uns mit den wichtigsten Einwänden befassen, soweit sie in Bezug auf die Frage der Rolle des Marxismus bei der Analyse der aktuellen globalen Krise relevant sind.

Einer der wichtigsten basiert auf dem Argument, dass die wachsende organische Zusammensetzung des Kapitals, also die Erhöhung des konstanten Kapitals im Verhältnis zum variablen, nur dann im Endeffekt zur Verringerung der Profitraten führen wird, wenn sie größer ist als die Steigerung der Mehrwertrate (m/v), bewirkt durch die Einführung neuer Technik und Maschinerie. Wenn dies der Fall ist, warum sollten dann die Profitraten zum Fallen tendieren? Sie könnten genauso gut steigen. Produktivitätssteigerungen können entweder den Wert von v verringern, die Mehrwertrate hochziehen oder den Wert von c senken, indem die organische Zusammensetzung des Kapitals verringert wird, oder beides – und dies könnte ausreichend sein, um den tendenziellen Fall der Profitrate zu streichen. Hier wird eine bestimmte wichtige entgegenwirkende Ursache, die in Wertbegriffen auf demselben Abstraktionsniveau ausgedrückt werden kann wie das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate selbst, als die logische Zerstörung des Gesetzes präsentiert. Entsprechend dieser Argumentation könne der Einfluss der wachsenden Produktivität auf alle Größen in Marx´ Gleichung – das Verhältnis von m, v und c – die Profitrate entweder erhöhen oder verringern, es gebe aber keine allgemeine Tendenz in die eine oder andere Richtung.

Moszkowska formulierte diese Schlussfolgerung folgendermaßen:

„(Das Gesetz) beweist keine historische Tatsache, namentlich nicht, dass die Profitrate fällt; es formuliert nur eine wechselseitige Abhängigkeit zweier Variablen, nämlich 1. Wenn die Mehrwertrate konstant bleibt, fällt die Profitrate. 2. Wenn die Profitrate konstant bleibt, steigt die Mehrwertrate. Das heißt, dass das Gesetz einfach eine funktionale Beziehung ausdrückt. Und daher könnte man das Gesetz des ‚tendenziellen Falls der Profitrate‘ ebenso gut Gesetz des „tendenziellen Anstieges der Profitrate nennen.“ (14)

Paul Sweezy, nimmt in seiner „Theorie der kapitalistischen Entwicklung“ im Grunde den gleichen Punkt auf, wenn er behauptet:

„Wenn diese Argumente richtig sind, dann folgt daraus, dass es keine allgemeine Wahrscheinlichkeit gibt, dass Veränderungen in der organischen Zusammensetzung des Kapitals relativ sehr viel größer sein werden als Veränderungen in der Mehrwertrate, und daß die ersteren die Bewegung der Profitrate beherrschen werden. Im Gegenteil, es hätte den Anschein, daß wir die zwei Variablen, grob gesprochen, als gleichbedeutend ansehen müssen.“ (15)

Wenn dies korrekt ist, bleibt nichts vom tendenziellen Fall der Profitrate übrig. Aber Marx hat diese Argumente vorausgeahnt und – widerlegt.

Zuerst stelle man sich vor, wie gesteigerte Arbeitsproduktivität die Mehrwertrate erhöht. Kann dieses Wachstum der Mehrwertrate dem Wachstum der organischen Zusammensetzung des Kapitals entsprechen und so permanent die Tendenz zum Fall der Profitrate aufschieben? Marx zeigt sehr klar, warum sie das nicht kann. In allen Industriebranchen erhöht die Steigerung der Produktivität durch Einführung von Technologie den Anteil des konstanten gegenüber dem variablen Kapital. Dabei wird der Wert der Arbeitskraft auch durch die Produktion von Waren reduziert, die als ein Resultat dieser Produktivitätssteigerung zu einem niedrigeren Wert geschaffen werden können, und dies steigert die Mehrwertrate. Aber es ist sehr wichtig, im Kopf zu behalten, dass nicht alle Industrien in denen die Produktivität steigt, Industrien sind, die Konsumgüter für die Arbeiterklasse produzieren, d.h. Güter, die von ArbeiterInnen verbraucht werden. Ein signifikanter Teil der Industrie produziert Maschinerie, Rohmaterialien, Gebäude – also Produktionsmittel. Die Produktivitätssteigerung in dieser Abteilung hat keinen Effekt auf den Wert der Arbeitskraft. Daher steigert dieser große Sektor der Ökonomie die organische Zusammensetzung des Kapitals und verschlimmert die Tendenz zum Fall der Profitrate ohne Erhöhung der Ausbeutungsrate durch Verbilligung der Konsumgüter:

„Der Wert der Arbeitsvermögen fällt nicht in demselben Verhältnis, wie die Produktivkraft der Arbeit oder des Kapitals steigt. Diese Steigerung der Produktivkraft vermehrt auch in allen Zweigen, die nicht necessaries (zum Leben notwendige Dinge) produzieren (direkt oder indirekt) das Verhältnis des konstanten zum variablen Kapital, ohne irgendeine Alteration in der value of labour (dem Wert der Arbeit) hervorzubringen.“ (16)

Außerdem gibt es noch eine ganz fundamentale Begründung, warum die Ausbeutungsrate nicht in einem solchen Maß wachsen kann, dass sie effektiv die fallenden Profitraten ausgleicht. Auch ein Arbeiter, der nie müde wird und nie in seiner Arbeit eine Pause einlegt, kann nicht länger als 24 Stunden am Tag arbeiten. Wie Marx in den Grundrissen  erklärte:

„Je größer der Surpluswert des Kapitals vor der Vermehrung der Produktivkraft, je größer das Quantum der vorausgesetzten Surplusarbeit oder Surpluswerts des Kapitals oder je kleiner bereits der Bruchteil des Arbeitstags, der das Äquivalent des Arbeiters bildet, die notwendige Arbeit ausdrückt, desto geringer ist das Wachstum des Surpluswerts, das das Kapital von der Vermehrung der Produktivkraft erhält. Sein Surpluswert steigt, aber in immer geringrem Verhältnis zur Entwicklung der Produktivkraft.“ (17)

Dies bedeutet, je niedriger die notwendige Arbeitszeit eines Arbeiters ist, desto geringer der Effekt für die Profite, wenn der Kapitalist sie weiter reduziert. Dies ermöglicht Marx nicht nur zu erklären, warum die Kapitalisten immer besessener davon werden, über die Arbeiter zu verfügen, je ärmer diese werden, sondern auch, warum diese brutalen Angriffe immer weniger vermögen, die Profitabilität zu erhöhen.

„Je entwickelter also schon das Kapital, je mehr Surplusarbeit es geschaffen hat, um so fruchtbarer muß es die Produktivkraft entwickeln, um sich nur in geringem Verhältnis verwerten, d.h. Mehrwert zuzufügen – weil seine Schranke immer bleibt das Verhältnis zwischen dem Bruchteil des Tages, der die notwendige Arbeit ausdrückt, und dem ganzen Arbeitstag. Je kleiner schon der Bruchteil, der auf die notwendige Arbeit fällt, je größer die Surplusarbeit, desto weniger kann irgendeine Vermehrung der Produktivkraft die notwendige Arbeit sensibly vermindern; da der Nenner enorm gewachsen ist. Die Selbstverwertung des Kapitals wird schwieriger im Maße, wie es schon verwertet ist.“ (18)

Je höher das technische Niveau, je ausgereifter das Kapital wird, desto schwerer wird es, ausreichenden Profit zu realisieren. Das Kapital versucht sich selbst gegen diese Grenzen der Zeit zu strecken, aber:

„Die absolute Schranke des durchschnittlichen Arbeitstages, der von Natur immer kleiner als 24 Stunden, bildet eine absolute Schranke für den Ersatz von vermindertem variablen Kapital durch gesteigerte Rate des Mehrwerts oder von verringerter exploitierten Arbeiteranzahl  durch erhöhten Exploitationsgrad der Arbeitskraft.“ (19)

Übrigens, die Form, in der Profit im Finanzsystem erscheint, verschleiert diese Realität – was für die aktuelle Analyse höchst relevant ist – weil es die tiefe Verwurzelung der Ideologie erklärt, die verhindert, dass die Kapitalisten die Gefahren erkennen, die mit der Expansion von fiktivem Kapital verbunden sind, bis zu dem Moment, an dem wirklich die Krise ausbricht:

„Durch die Identität des Mehrwerts mit der Mehrarbeit ist eine qualitative Grenze für die Akkumulation des Kapitals gesetzt: der Gesamtarbeitstag, die jedesmal vorhandene Entwicklung der Produktivkräfte und der Bevölkerung, welche die Anzahl der gleichzeitig exploitierbaren Arbeitstage begrenzt. Wird dagegen der Mehrwert in der begriffslosen Form des Zinses gefaßt, so ist die Grenze nur quantitativ und spottet jeder Phantasie.“ (20)

Kurz: weil die Kapitalisten nicht erkennen und zugeben können, dass die Quelle des Profits in unbezahlter Arbeit liegt. So leben sie in glückseliger Ignoranz und können nicht den Unterschied zwischen fiktivem Kapital und realem Wert erkennen. Das ist der Grund, warum die Krise für die Bourgeoisie meistens völlig unerwartet hereinbricht.

Entwertung des konstanten Kapitals

Wir haben uns bisher der Frage gewidmet, ob und inwieweit die Erhöhung der Ausbeutungsrate (m/v) dem Fall der Profitrate (m/c+v) entgegenwirken kann. Jetzt müssen wir uns mit einem anderen entscheidenden Einwand gegen die Marxsche Analyse beschäftigen: er basiert auf der Entwertung des konstanten Kapitals. Dieser Einwand ist im Grunde das Gegenteil des vorherigen. Wiederum behaupten die Kritiker, dass Marx zwei Konsequenzen der steigenden Arbeitsproduktivität nicht genügend betrachtend hätte. Sie greifen den Punkt auf, dass Marx aus seiner Feststellung, dass die Masse an Maschinen und Rohstoffen im Verhältnis zur Arbeitskraft wächst, ein „Gesetz“ ableitet – das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate -, nach welchem der Wert des konstanten Kapitals c im Verhältnis zum variablen Kapital v steigt. Aber der gleiche Prozess, bei dem die neue Technologie die Waren verbilligt, reduziert auch den Wert des konstanten Kapitals c – was von Marx aber nicht als Gesetz, sondern bloß als „entgegenwirkende Ursache“ betrachtet wird.

Hatte Marx recht damit? Oder müssen beide Vorgänge als gleichwertig eingeschätzt werden? Haben sie die gleichen Effekte und heben sich daher auf? Kann die Abwertung des konstanten Kapitals die Tendenz der Profitrate zu fallen außer Kraft setzen?

Roman Rosdolsky, Autor von „Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen ‚Kapital’“, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die klarste Widerlegung dieser Argumente im dritten Teil der „Theorien über den Mehrwert.“ Hier erklärt Marx, wie unmöglich und unrealistisch diese Einwände sind. Dabei wird nämlich übersehen, dass der technologische Fortschritt nicht nur eine technisch überholte Maschine durch eine bessere Maschine ersetzt, sondern dass die damit erzielten Kostenvorteile auch zu einer Ausweitung der Produktion führen:

„Die zunehmende Produktivität der Arbeit ist (as far as connected with machinery = soweit sie mit Maschinerie zusammenhängt) identisch mit der abnehmenden Masse Arbeiter relatively to the number extent of the machinery employed. Instead of a simple and cheap instrument is placed a collection of those instruments (wenn auch modified) und besides that collection the whole part of the machinery consisting of the moving and producing parts; besides the materials used (like coal etc.) to produce the moving agent (as steam) (= im Verhältnis zu der Zahl und Ausdehnung der angewandten Maschinerie. An Stelle eines einfachen und billigen Werkzeugs tritt eine Kollektion solcher Werkzeuge (wenn auch modifiziert) und zu diese Kollektion kommt noch der ganze Teil der Maschinerie hinzu, der sich zusammensetzt aus sich bewegenden und kraftübertragenden Teilen; dazu die Materialien (wie Kohle etc.), die erforderlich sind, die bewegende Kraft (wie Dampf) zu erzeugen). Endlich die Baulichkeiten. Wenn ein Arbeiter 1800 Spindeln überwacht, statt ein Spinnrad zu drehn, wäre es höchst blödsinnig zu fragen, warum diese 1800 Spindeln nicht so wohlfeil wie das eine Spinnrad. Die Produktivität ist hier eben hervorgebracht durch die Masse des Kapitals, das als Maschinerie angewandt ist.“ (21)

Jeder, der schon einmal gearbeitet hat, kennt diese grundlegende Wahrheit. Marx erklärt weiter, dass, wenn die Kosten für Maschinen sinken, der Kapitalist mehr anschaffen wird: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Maschinerie sich verwohlfeilert aus zwei Gründen: Die Anwendung von Maschinen in der Produktion der Rohmaterialien, aus denen die Maschinerie besteht. Die Anwendung von Maschinerie bei der Verwandlung jenes Materials in Maschinerie. Allein damit ist zweierlei gesagt. Erstens: Daß auch in diesen beiden Branchen, verglichen mit den Instrumenten, die die Manufakturindustrie brauchte, das in Maschinerie ausgelegte Kapital an Wert wächst gegen das in Arbeitslohn ausgelegte. Zweitens: Was sich verwohlfeilert, ist die einzelne Maschine und ihre Bestandteile, aber es entwickelt sich ein System der Maschinerie; es tritt nicht nur einzelne Maschine an die Stelle von Instruments, sondern ein System, und das Instrument, was vielleicht früher die Hauptrolle spielte, wie Nadel z.B. (bei dem Strumpfwirker oder ähnlicher Maschine), nun zu vielen Tausenden gesammelt. Jede einzelne Maschine, die dem Arbeiter gegenübersteht, schon ungeheure Kollektion von Instrument, die er früher vereinzelt verbrauchte, wie 1800 Spindeln statt einer. Trotz der Verwohlfeilerung des einzelnen Elements das whole bulk (die ganze Masse) <der Maschinerie> steigt im Preis enorm, und die Produktivität besteht in der beständigen Ausdehnung des bulk.“ (22)

Angesichts dieser erschütternd einleuchtenden Betrachtungen, ist es nur schwer nachvollziehbar, wie man behaupten kann, dass die Entwertung des konstanten Kapitals jene fundamentalen Prozesse aufheben könne, die das konstante Kapitals im Verhältnis zum variablen Kapital wachsen lassen und damit den tendenziellen Fall der Profitrate bewirken. Aber das konstante Kapital besteht nicht nur aus Maschinen. Konstantes Kapital beinhaltet mehr als seine fixen Komponenten, Maschinen und Gebäude – es beinhaltet auch Rohstoffe, die Marx „zirkulierenden Teile“ des konstanten Kapitals nennt.

Welchen Einfluss haben sinkende Rohstoffkosten auf den allgemeinen Krisenprozess des Kapitals? Hier verweist Marx auf einen weiteren eindeutigen Punkt: die Menge der Rohstoffe steigt zwangsläufig mit der Produktivität der Arbeitkraft. Ihm ist der Einwand, die Anhäufung der Rohstoffe könnte durch die steigende Arbeitsproduktivität den Wert der Rohstoffe senken, bewusst und er antwortet darauf folgendermaßen:

„Zum Teil verteuert sich das Rohmaterial, wie von Häuten etc. und anderen tierischen Bestandteilen, schon weil das abgeschmackte Gesetz der Grundrente mit dem Fortschritt der Zivilisation den Wert des Produkts steigert.“ (23)

Um das zu verstehen, müssen wir wissen, dass für Marx die Grundrente ein Abschlag vom Profit ist, die der Grundeigentümer für die Benutzung des Landes einfordert. Während des Aufstiegs des Kapitalismus stiegen die Profite, also stieg auch die Rente für den Grund, auf dem die Waren hergestellt wurden, deren Preis damit auch anstieg. Marx beschäftigt sich ebenso mit den Kernrohstoffen des Kapitalismus, wie es heutzutage das Öl ist, welche aus dem Boden geholt werden müssen:

„Was Kohle und Metalle angeht (Holz), so sehr verwohlfeilert im Fortschritt der Produktion; indes bei Erschöpfung der Minen wird das schwieriger etc.“ (24)

Dies ist so klar, dass weitere Bemerkungen nicht nötig sind, außer das wir beim Fortschritt des Kapitalismus beobachten können, dass der Hunger nach Öl größer wird – es ist der wichtigste Brennstoff für all die mechanischen Prozesse, mit denen die Kapitalisten das Anwachsen des konstanten Kapitals (Maschinen, Rohstoffe) auf Kosten des variablen Kapitals (Arbeitskraft) vorantreiben. Die fortschreitende Industrialisierung Asiens hat die Rohstoffpreise erhöht, nicht gesenkt (wenn auch die anstehende Rezession als Folge der Finanzkrise 2008 Produktion abbauen und den Ölpreis etwas senken könnte).

Nichtsdestotrotz unterscheiden sich einige Arten von Landbesitz von denen, welche Rohstoffe wie Kohle, Öl und Erz bergen oder Nutzpflanzen hervorbringen. Manch Grund und Boden hat höheren Wert, nicht aufgrund seiner natürlichen Schätze, sondern aufgrund seiner Anziehungskraft auf Kapital und die Bourgeoisie. Wir wie erklärt haben ist die Grundrente, ganz allgemein gesagt, ein Abschlag vom Profit – und der „Preis“ von Grund und Boden ist nichts anderes als der Versuch, den Wert zukünftiger Grundrente zu Kapital zu machen, was die heutigen „Experten“ und Immobilienfinanzierungs-Parasiten die „Kapitalisierung“ und „Securitisation“ von Miet- und Pachteinkünften nennen. Wenn kommerziell genutzter Grund und Boden im Wert steigt, dann deshalb, weil die durchschnittlichen Profite steigen – wenn der Wert für Grund und Boden sinkt, dann wegen fallender Profite.

Wenn Grund oder Boden durch seine Lage attraktiver ist, unterscheidet sich dessen Preis vom durchschnittlichen Wert. Höhere Miet- und Pachtgebühren aufgrund der Rohstoffe des Bodens resultieren natürlich aus dem Wert der Bodenschätze, die vorhanden sind. Aber gleichzeitig ist der höhere Wert des Bodens im Bereich großer Städte, Finanz -und Produktionszentren, wie der chinesischen Küstenstädte, durch ihre örtliche Lage bestimmt. Das heißt, dass die Mieten für diesen Boden nicht dessen natürliche Ressourcen ausdrücken, sondern faktisch dazu beitragen, den Wert der Rohstoffe zu erhöhen. Diese direkten Folgen der kapitalistischen Entwicklung – wie Urbanisierung – wirken selbst gegen die Verbilligung der Rohstoffe und führen zu starken inflationären Tendenzen bei Öl, Lebensmitteln und Holz.

Marx erklärt dies sehr deutlich: „Wenn bei der Korn- und Minenrente gesagt werden kann, daß sie nicht den Wert des Produkts verteuert (nur seinen Marktpreis), vielmehr ein Ausdruck seines Werts ist (der Überschuß seines Werts über den Produktionspreis), so unterliegt dagegen keinem Zweifel, daß Viehrente, Hausrente etc. nicht Folge, sondern Ursache des steigenden Werts dieser Dinge.“ (25)

Was bedeutet das für die Krisentheorie in ihrer Gesamtheit? Dass die Entwertung der zirkulierenden Teile des konstanten Kapitals, also der Rohstoffe und der Halbfertigteile, den Anstieg des konstanten Kapitals im Verhältnis zum variablen Kapital nicht ausreichend effektiv blockieren kann und daher auch dem tendenziellen Fall der Profitrate nicht dauerhaft entgegen wirken kann. Darüber hinaus wird, wenn einer Profit durch Ölverkauf macht, die Verbilligung des Öls wohl kaum den tendenziellen Fall seiner Profitrate stoppen:

„Die Verwohlfeilerung der Rohmaterialien, der matières instrumentales etc. checks but does not cancel the growing value of this part of capital. Paralysiert to the degree to which it works the fall of profit (=Hilfsstoffe etc. verlangsamt, hebt aber nicht auf den wachsenden Wert dieses Kapitalteils. Paralysiert bis zu dem Grad, zu dem es das Fallen des Profit bewirkt).“ (26)

Damit beendet Marx die Diskussion, inwieweit die Entwertung des konstanten Kapitals möglicherweise den Kapitalismus vor Krisen schützen kann: „Damit diese Scheiße erledigt.“ (27)

Marx´ Krisentheorie im Jahr 2008

Die Gesetze der kapitalistischen Akkumulation und des Zusammenbruchs sind entscheidend, nicht nur, um die allgemeine Entwicklung des Kapitalismus verstehen zu können, sondern auch die aktuelle Krise 2007/08.

Die aktuelle Finanzkrise ist das Ergebnis der Überakkumulation des Kapitals, welche in eine ungezügelte Kreditvergabe mündete und einem Zusammenbruch der Akkumulation. Genau wie Marx zu seiner Zeit beobachtete und vorhersagte, führt dies zu einer erdbebenähnlichen Entwertung von Kapital. Das Wachstum des fiktiven Kapitals ist Ergebnis des tendenziellen Falls der Profitrate und der Überakkumulation im wertschaffenden Sektor. Es ist keine Verwirrung, keine krankhafte Abweichung von der „normalen“ kapitalistischen Entwicklung. Es ist notwendiger, fundamentaler Bestandteil der kapitalistischen Akkumulation, untrennbar vom Kapitalismus.

Auch die steigende Inflation in den expandierenden kapitalistischen asiatischen Staaten ist eine Folge der Überakkumulation von Kapital. Heute sehen wir als Resultat der steigenden kapitalistischen Produktion in China nicht mehr nur den anfänglichen Effekt der sinkenden Preise für konstantes und variables Kapital im Westen, sondern verstärkt inflationäre Tendenzen bei Rohstoffen, Lebensmitteln und Energie aufgrund steigender Nachfrage und erhöhten Verbrauchs. Es sind genau diese Widersprüche, die die anfänglichen deflationären Effekte der Entwicklung Asiens beendet, die Krise 2007/08 verschärft und die Möglichkeiten der Zentralbanken, den Kredit auszudehnen, eingeschränkt haben. Damit haben sich sowohl die Potenz der Marxschen Analyse als auch die Grundwidersprüche des kapitalistischen Systems wieder einmal offenbart.

Die entgegenwirkenden Ursachen haben es nicht geschafft, die kapitalistische Krise unbegrenzt zu verschieben oder gar aufzuheben. An Beispielen für krisenbedingte Entwertung konnten wir bisher sehen: Unterbrechungen in der Kapital-Zirkulation (Zusammenbrechen von Kreditketten); Wertverfall von Anlagevermögen (z.B. Kredite, Immobilien, Einlagen); sinkender Konsum und fallender Lebensstandard; Abwertung des Dollars; Inflation als Wertverlust (Entwertung der Arbeitslöhne).

Nicht nur in der Theorie, auch in der Praxis zeigt sich, dass keine der entgegenwirkenden Ursachen die Tendenz des Zusammenbruchs des Kapitalismus aufheben kann. Bislang sind wir nur theoretisch darauf eingegangen, doch unsere Argumente werden von der Realität bewiesen. Echte Krisen (von verschiedener Länge und Tiefe) kommen in jeder kapitalistischen Wirtschaft alle 7-10 Jahre vor, wir wollen nun herausarbeiten, warum und wie das geschieht.

Der kapitalistische Zyklus

Bei aller Wichtigkeit des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate ersetzt das in keiner Weise die genaue Betrachtung, wie sich einzelne Krisen entwickeln. Im Konkreten ist die Wechselwirkung zwischen dem Umschlag des fixen Kapitals, der Zirkulationszeit, Ungleichgewicht zwischen den Abteilungen der Produktion und dem Finanzkapital und seinem fiktiven Kapital in Rechnung zu stellen.

Marx identifiziert die Umschlagszeit des fixen Kapitals – die Periode, in welcher der Wert, der in Fabriken und Maschinen steckt, befreit wird, indem er auf die neu produzierten Güter übertragen wird , die dann als Waren zirkulieren – als den entscheidenden Faktor, der die Dauer des industriellen Zyklen im Kapitalismus bestimmt. Mit dem Fortschreiten des Zyklus steigt die organische Zusammensetzung des Kapitals, so dass, wenn für die industriellen Kapitalisten die Notwendigkeit entsteht, das fixe Kapital zu ersetzen, dies bei einer gedrückten Profitrate geschieht. Der Zwang, solche großvolumigen Anlagen zu beschaffen, ist zugleich eine Triebkraft für die Kreditbeschaffung, ebenso wie der Bedarf nach liquiden Mitteln, wenn sich das Kapital in der Zirkulationssphäre bewegt. Das Kapital muss dabei immer schneller die Zirkulationssphäre durchschreiten, um möglichst rasch wieder zum Anfangspunkt zurückzukehren – der Akkumulation von Kapital und der Verwertung der Arbeitskraft. „Der Gegensatz von Arbeitszeit und Zirkulationszeit enthält die ganze Lehre vom Kredit.“ (28)

Für große und langlebige Investitionen kann der Kapitalist nicht auf erzielte Profite oder auf innerbetriebliche Finanzierungen setzten, dafür braucht er immer mehr die Bankkredite. Die Expansion von Finanzprodukten, wie Derivaten, Optionen etc., ist verursacht durch die Überakkumulation und die daraus resultierenden niedrigeren Profitraten in der verarbeitenden Industrie und – wie wir heute sehen – zwingt immer mehr industrielle Unternehmen, in die Spekulation und den Hypothekenmarkt zu investieren. Am Ende des Aufschwungs innerhalb des Zyklus treibt die gestiegene Nachfrage nach Krediten deren Preis (Zinsen) immer höher. Das und die massive Ausweitung des fiktiven Kapitals führt zu einer Kredit- und Bankenkrise am Ende des zyklischen Aufschwungs.

Warum geschieht der Umschlag des fixen Kapitals in einem relativ zusammenhängenden Rhythmus? Warum hat sich ein großer Teil des fixen Kapitals zum gleichen Zeitpunkt verausgabt? Sind nicht die einzelnen Entscheidungen der konkurrierenden Kapitalisten, Investitionen zu tätigen, so unterschiedlich und variabel, dass hier gar kein zeitliches Muster entstehen kann?

Eine Antwort liegt erneut im Wesen des Wendepunkts innerhalb des Zyklus. Überakkumuliertes Kapital muss in der Krise entwertet werden. Dem folgt eine Phase der Rezession, in welcher die Vorräte verkauft werden oder vernichtet, fixes Kapital wird verschrottet, unprofitable Unternehmen geschlossen und die ArbeiterInnen entlassen werden. In dieser Phase bricht die Nachfrage ein – Preise für Investitionsgüter fallen, Löhne sinken und die Leitzinsen tendieren nach unten. In diesem rezessiven Umfeld wird dann auch der nächste Aufschwung durch bessere Konditionen für größere Investitionen in fixes Kapital vorbereitet. Dies erklärt, warum verhältnismäßig viele dieser Investitionen genau dann stattfinden – und somit dem Zyklus eine allgemeine zeitliche Abfolge geben.

Wir wollen hier anmerken – aufgrund der Wichtigkeit für das Verständnis der anstehenden Entwicklungen und längerfristige Kurven der kapitalistischen Entwicklung, welche wir später beleuchten – dass die Umschlagzeit des fixen Kapitals nur den Zeitraum von Aufschwung bis zur Krise zeitlich relativ genau bestimmen kann. Dieser liegt zwischen 7-10 Jahren – auch wenn hier nationale Zyklen durch äußere Umstände, wie Wirtschaftskrisen anderer Staaten, Kriege, Hungersnöte usw. gebrochen werden können. Die Dauer und Tiefe der Krisen und Rezessionen sind nicht durch die Umschlagzeit des fixen Kapitals bestimmt und daher auch weniger vorhersehbar. Sie werden von der geo-politischen Situation bestimmt, vom Handeln der Staaten, der Finanzinstitutionen und der sozialen Klassen. Dauer und Tiefe der Krisen hängen davon ab, in welchem Ausmaß Kapital erfolgreich vernichtet wurde und in welchem Maß die Akkumulation mit relativ niedriger organischer Zusammensetzung wieder begonnen werden kann.

Es ist nicht wahr, wie einige behaupten, dass Marx keine Theorie der industriellen Zyklen hätte. Im dritten Band des „Kapitals“ führt Marx – wenn auch mit abstrakten und vereinfachenden Ableitungen – aus, wie im Zyklus Akkumulation und Zusammenbruch auftreten: Von der inneren Entwicklung des fixen Kapitals zur Einführung technologischer Neuerungen, zur wachsenden organischen Zusammensetzung des Kapitals, zu höheren Löhnen (29) und höherem Beschäftigungsgrad, zu steigender Nachfrage, zu höheren Preisen und Zinsen und steigender Verschuldung der Unternehmen auf dem Finanzmarkt, zur Expansion des fiktiven Kapitals, zu Überakkumulation, die zu hysterischer Spekulation führt, und schlussendlich zur Krise, in der Werte wieder in Geldform umgewandelt werden und Kapital rabiat entwertet wird.

Phasen innerhalb des kapitalistischen Zyklus

Wie wir gesehen haben, folgt der Krise oder dem Crash immer eine Phase stagnierender Produktion. Diese wird abgebaut und die Profitraten werden normalerweise gering sein. Alle bereits produzierten Güter kommen zu niedrigen Preisen auf den Markt, die Arbeitslosigkeit steigt – beides drückt auf die Preise und die Löhne, gleichzeitig sinkt die Nachfrage nach Konsumwaren und Produktionsmitteln, inklusive der Nachfrage nach Krediten. Nach der Entwertung des Kapitals verändern die Unternehmen vorsichtig ihre produktionstechnischen und organisatorischen Strukturen – zur Reduzierung der Kosten und Stabilisierung der Preise, als Vorbereitung der Erholung und einer neuen Aufschwungphase.

Während dieser Erholung kann der Kapitalist Vorteil aus niedrigeren Löhnen und billigeren Krediten schlagen. Die organische Zusammensetzung des Kapitals ist im Vergleich zum vorherigen Höchststand innerhalb des Zyklus gesunken – nicht unbedingt im Vergleich zur Aufschwungsphase des letzten Zyklus – deswegen beginnen die Profitraten wieder zu steigen. Neue Beschäftigte aus der „industriellen Reservearmee“ können zu niedrigeren Löhnen ausgebeutet werden, ebenso können fixes Kapital wie Maschinen und zirkulierende Bestandteile des konstanten Kapitals wie Rohstoffe preiswerter eingekauft werden. Wie schon erwähnt, sind die Bedingungen für langfristige Investitionen in große Anlagen jetzt vergleichsweise günstig. Diese Entwicklung führt zu einer höheren Beschäftigung in Abteilung 1 (Produktion von Produktionsmitteln) und zu einem Ungleichgewicht zwischen Abteilung 1 und 2, da die Nachfrage an Konsumgütern schneller wächst als das Angebot.

In dieser Erholungsphase haben viele Kapitalisten noch große Mengen an flüssigen Geldern, die Nachfrage nach Bankkrediten ist schwach, was die Zinssätze niedrig hält. Sobald die alten Warenbestände aus den Zeiten der Stagnation abgestoßen worden sind, kann die Produktion neu anlaufen und die Preise können wieder steigen. So auch die Profite. Diese Investitionen, die mit geliehenem Kapital finanziert wurden, versprechen eine reale Akkumulation für die nächsten Jahre und bieten daher Sicherheit für die Gläubiger. Die Profitraten der einzelnen Großkonzerne variieren zu diesem Zeitpunkt des Zyklus stark untereinander, da die Anstrengungen von Banken und Aktionären die Profitrate anzugleichen hier noch nicht so stark ausgeprägt sind wie in den späteren Phasen des Zyklus.

So wie die Einkünfte aus Warenproduktion und Zirkulation ansteigen, steigt die Nachfrage nach Waren und Krediten, diese regt Wachstum auf der Angebotsseite an – die Bühne ist bereitet für eine neue, auf Kredit basierende Phase der Expansion.

Mit steigenden Profiten, Grundrenten und Zinsen und expandierender Warenproduktion, steigt auch das Vertrauen der Kapitalisten, Investoren und Besitzer erwarten freudig steigende Profite. Die Expansion schreitet voran, aber unter Verhältnissen, in denen die anarchischen, planlosen Grundzüge der kapitalistischen Produktionsweise voll zum Ausdruck kommen. Die angehäuften Vorräte und Reserve-Kapazitäten sind ausgeschöpft – weitere größere Investitionen sind nötig, die Zirkulationszeit des Kapitals muss verringert und gebundenes Kapital freigesetzt werden und Nachschub an fixen und zirkulierenden Bestandteilen des konstanten Kapitals besorgt werden. Die Preise steigen, die firmeneigenen Gelder sind ausgeschöpft – nun tritt das Kreditsystem in den Vordergrund.

Vertrauen und Erwartungen in künftige Profite sind durch die gestiegenen Dividenden, Zinsen, Anleihen der letzten Jahre etc. so groß, dass selbst diese Erwartungen in Form von Optionen und Derivaten auf dem Finanzmarkt zirkulieren. Das fiktive Kapital entfernt sich immer weiter von seiner produktiven Basis. Nun besitzen die Banken ein mächtiges Instrument zur Angleichung der Profitraten, die Konkurrenz um die Kredite nimmt zu, jeder potentielle Schuldner muss die bestmöglichen Bedingungen für Profitmaximierung und Rückzahlung bieten. Aber gleichzeitig sind Teile der „industriellen Reservearmee“ eingestellt worden und Arbeitskräftemangel entsteht. Arbeitskräfte werden international angeworben, die Löhne von qualifizierten und organisierten ArbeiterInnen steigen. Jeder neugeschaffene Arbeitsplatz erfordert massive Investition in fixes Kapital, begleitet von neuen Formen von Krediten und der Spekulation. Die letzte Phase innerhalb des Aufschwungs kündigt sich an: ausgedehnte Spekulation.

In dieser Phase zirkuliert mehr Wert auf den Märkten, als in verausgabter Arbeit in der Produktion realer Güter und Waren an Wert geschaffen wurde. Finanzskandale und Betrügereien sind an der Tagesordnung. Die Löhne erreichen ihr Maximum und die Wirtschaft kommt der Vollbeschäftigung nahe; obwohl die Profitmasse gewaltig ist, kommen die Profitraten unter Druck, speziell bei Neuinvestitionen, und bedrohen so die Profitmasse im allgemeinen. Das überakkumulierte Kapital findet neue Anlagen in Aktien, im Kapitalexport, im Grundbesitz – in mannigfachen Formen. Jetzt entstehen sichtbare Ungleichgewichte im System: Ungleichgewicht in der Entwicklung der Staaten durch den internationalen Handel; in der Zahlungsbilanz; Ungleichgewicht zwischen den beiden Abteilungen der Produktion; steigende Preise für Rohstoffe; Arbeitskräftemangel; steigende Mieten und Grundstückspreise; Massen von Kreditprodukten zirkulieren ohne Verhältnis zum realen Wert; schwankende Preise an den Börsen; Ängste vor den Leitzinsen. Das System scheint seinen Durst mit Salzwasser löschen zu wollen, die Kreditblase steht vor dem Platzen – aber das System hat keine andere Medizin als weitere Kreditexpansion.

Marx erklärt: „Hat der Reproduktionsprozess wieder den Stand der Blüte erreicht, der dem der Überanstrengung vorhergeht, so erreicht der kommerzielle Kredit eine sehr große Ausdehnung, die dann in der Tat wieder die ‚gesunde‘ Basis leicht eingehender Rückflüsse und ausgedehnter Produktion hat. In diesem Zustand ist der Zinsfuß immer noch niedrig, wenn er auch über sein Minimum steigt. Es ist dies in der Tat der einzige Zeitpunkt, wo gesagt werden kann, daß niedriger Zinsfuß, und daher relative Reichlichkeit des verleihbaren Kapitals, zusammenfällt mit wirklicher Ausdehnung des industriellen Kapitals. Die Leichtigkeit und Regelmäßigkeit der Rückflüsse, verknüpft mit einem ausgedehnten kommerziellen Kredit, sichert das Angebot von Leihkapital trotz der gesteigerten Nachfrage und verhindert das Niveau des Zinfußes zu steigen. Andererseits kommen jetzt erst in merklichem Grad die Ritter herein, die ohne Reservekapital oder überhaupt ohne Kapital arbeiten und daher ganz auf den Geldkredit hin operieren. Es kommt jetzt auch hinzu die große Ausdehnung des fixen Kapitals in allen Formen und massenhafte Eröffnung neuer weitreichender Unternehmungen. Der Zins steigt jetzt auf seine Durchschnittshöhe. Sein Maximum erreicht er wieder, sobald die neue Krise hereinbricht, der Kredit plötzlich aufhört, die Zahlungen stocken, der Reproduktionsprozeß  gelähmt wird und, mit früher erwähnten Ausnahmen, neben fast absolutem Mangel von Leihkapital, Überfluß von unbeschäftigtem industriellen Kapital eintritt.“ (30)

Diese Krisenphase des Zyklus ist lange vorhersehbar und unvermeidlich, und doch stellt es für die Profiteure und die Opfer des Systems eine böse Überraschung dar. „Daher erscheint immer das Geschäft fast übertrieben gesund gerade unmittelbar vor dem Krach. Den besten Beweis liefern z.B. die ‚Reports on Bank Acts‘ von 1857 und 1858, wo alle Bankdirektoren, Kaufleute, kurz alle vorgeladenen Sachverständigen, an ihrer Spitze Lord Overstone, sich wechselseitig Glück wünschten über die Blüte und Gesundheit des Geschäfts – genau einen Monat bevor die Krise im August 1857 ausbrach. (…) Das Geschäft ist immer kerngesund und die Kampagne im gedeihlichsten Fortgang, bis auf einmal der Zusammenbruch erfolgt.“ (31)

Dem können wir nur hinzufügen, dass US-Präsident Calvin Coolidge im Dezember 1928(!) erklärte, die US-Wirtschaft befände sich im besten Zustand aller Zeiten. Ebenso erreichte der Index für Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung im 1. Quartal 2007 in den USA und Britannien sein Rekordhoch, alle Journalisten sangen das hohe Lied des ewigen Booms, dank „Chinamania“ überall und gemeinsam mit ihnen verkündeten sogar einige Linke einen lang anhaltenden Boom ohne zyklische Störungen.

Der Beginn der Krisenphase ist nur in seiner Erscheinungsform plötzlich. Die Dynamik und Eigenschaft dieser Krise sind durch die vorgehende Phase begründet. Ins öffentliche Bewusstsein dringt dies zumeist mit einem scharfen Ereignis: ein Währungsverfall, eine Bankenkrise, ein Bankenzusammenbruch oder ein Börsencrash usw. als klare Anzeichen der Krise. Die himmelhoch jauchzenden Prognosen und Vorhersagen aus Zeiten des Booms sind nun Geschichte und verkehren sich in ihr Gegenteil. Wenn Kreditketten unterbrochen werden, fordern die Banker höhere Zinsen oder ziehen Kapital komplett ab. Plötzlich ist die fiktive Natur aller vorheriger Spekulation sichtbar. Ein Run auf reales Geld setzt ein.

Marx fasst diese allgemeinen Grundzüge des Zyklus in einer Passage des dritten Bandes des „Kapitals“ zusammen. Er beginnt damit, die Grundlagen der Krise in der Produktion festzuhalten. Wenn die Krise als erstes im Finanzsystem ausbricht, scheint es, als wenn die Ursachen der Krise nur im Kredit und Finanzsystem liegen würden und weniger in der Produktion.

„Es verhält sich mit dem industriellen Zyklus so, daß derselbe Kreislauf, nachdem der erste Anstoß einmal gegeben, sich periodisch reproduzieren muss. Im Zustand der Abspannung sinkt die Produktion unter die Stufe, die sie im vorigen Zyklus erreicht und wofür jetzt die technische Basis gelegt ist. In der Prosperität – der Mittelperiode – entwickelt sie sich weiter auf dieser Basis. In der Periode der Überproduktion und des Schwindels spannt sie die Produktivkräfte auf das höchste an, bis hinaus über die kapitalistischen Schranken des Produktionsprozesses.

Daß es in der Periode der Krise an Zahlungsmitteln fehlt, ist selbsteinleuchtend. Die Konvertibilität der Wechsel hat sich substituiert der Metamorphose der Waren selbst, und grade zu solcher Zeit um so mehr, je mehr ein Teil der Geschäftshäuser bloß auf Kredit arbeitet. Unwissende und verkehrte Bankgesetzgebung, wie die von 1844/45, kann diese Geldkrise erschweren. Aber keine Art Bankgesetzgebung kann die Krise beseitigen.

In einem Produktionssystem, wo der ganze Zusammenhang des Reproduktionsprozesses auf dem Kredit beruht, wenn da der Kredit plötzlich aufhört und nur noch bare Zahlung gilt, muß augenscheinlich eine Krise eintreten, ein gewaltsamer Andrang nach Zahlungsmitteln. Auf den ersten Blick stellt sich daher die ganze Krise nur als Kreditkrise und Geldkrise dar. Und in der Tat handelt es sich nur um die Konvertibilität der Wechsel in Geld. Aber diese Wechsel repräsentieren der Mehrzahl nach wirkliche Käufe und Verkäufe, deren das gesellschaftliche Bedürfnis weit überschreitende Ausdehnung schließlich der ganzen Krisis zugrunde liegt. Daneben aber stellt auch eine ungeheure Masse dieser Wechsel bloß Schwindelgeschäfte vor, die jetzt ans Tageslicht kommen und platzen; ferner mit fremden Kapital getriebne, aber verunglückte Spekulationen; endlich Warenkapitale, die entwertet oder gar unverkäuflich sind, oder Rückflüsse, die nie mehr einkommen können. Das ganze künstliche System gewaltsamer Ausdehnung des Reproduktionsprozesses kann natürlich nicht dadurch kuriert werden, daß nun etwa eine Bank, z.B. die Bank von England, in ihrem Papier allen Schwindlern das fehlende Kapital gibt und die sämtlichen entwerteten Waren zu ihren alten Nominalwerten kauft. Übrigens erscheint hier alles verdreht, da in dieser papiernen Welt nirgendswo der reale Preis und seine realen Momente erscheinen; sondern nur Barren, Hartgeld, Noten, Wechsel, Wertpapiere. Namentlich in den Zentren, wo das ganze Geldgeschäft des Landes zusammengedrängt, wie London, erscheint diese Verkehrung; der ganze Vorgang wird unbegreiflich; weniger schon in den Zentren der Produktion.“ (32)

Dies erklärt, warum George W. Bush und der Chef der Bank von England gemeinsam die Märkte beruhigen wollten, als sie im Sommer 2007 während der Kreditkrise davon sprachen, dass die „Grunddaten gesund seien“. Es erklärt auch, warum verschiedene Reformisten die Konsequenzen aus der Marxschen Theorie der Überakkumulation und der Krise nicht wahrhaben wollen und meinen, dass die Kreditkrise nicht Ausdruck von Problemen in der Produktion sei.

Die Krise war im ersten Anschein vielleicht nicht mehr als eine Krise der Kredite und Schulden, aber die Krise ist direktes Produkt der Überakkumulation von Kapital. Dies hat direkten Einfluss auf die Produktion, da die Bourgeoisie Werte aus der Zirkulation abziehen muss.

„Eben noch erklärte der Bürger in prosperitätstrunknem Aufklärungsdünkel das Geld für leeren Wahn. Nur die Ware ist Geld. Nur das Geld ist Ware“ gellt’s jetzt über den Weltmarkt. Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit seine Seele nach Geld, dem einzigen Reichtum.“ (33)

Der Run auf hartes Geld und der Abzug von Werten aus der Zirkulation sind in sich selbst eine Form der Entwertung.

Um das zu verstehen, wollen wir uns kurz damit beschäftigen, wie Kapital überhaupt „entwertet“ wird. Nach der Marxschen Arbeitswerttheorie bestimmt sich der Wert einer Ware nach der in ihr verausgabten menschlichen Arbeitszeit in der Produktion. Wie also kann eine Ware „entwertet“ werden?

Auch wenn in einer Ware Arbeit vergegenständlicht ist, kann sie aufhören, als Wert zu fungieren. Dies können wir nur verstehen, wenn wir uns vor Augen halten, dass ein Ding nur dann zur Ware wird, wenn es Gebrauchswert und Tauschwert hat. Wenn in der Rezession die Fabrik geschlossen wird, ist es egal, wie viel Jahre menschlicher Arbeitskraft darin stecken – im Augenblick der Schließung hört sie auf, als Kapital zu existieren. Dasselbe geschieht es bei allen Erschütterungen im Kapitalkreislauf.

Das ist ein Grund, sich daran zu erinnern, dass Kapital ein Verhältnis, eine wechselseitige Beziehung ist und kein „Ding.“ So sind die Vernichtung von Geld und der Rückzug von Geldern aus der Zirkulation ein Zeichen der Entwertung des Kapitals. Es hat direkte Auswirkungen auf die eingehenden Profite, führt zu Dumpingverkäufen auf übersättigten Märkten, geschlossenen Unternehmen und verschrotteten Produktionsanlagen, dem Verfall von Rohstoffen und dem massiven Verlust von Arbeitsplätzen. Dieser Wahnsinn ist unbestreitbare Folge des inneren Ungleichgewichts der kapitalistischen Akkumulation. Die Krise begründet sich nicht durch die Unterkonsumtion der Massen oder in der ungleichen Entwicklungen der verschiedenen Abteilungen der Produktion; sie sind nur Ausdruck verschiedener Etappen innerhalb des Zyklus. Die Grundlage der kapitalistischen Krise ist im Hauptwiderspruch der Produktion zu finden – das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital selbst trägt die Krise in sich:

„In schneidenden Widersprüchen, Krisen, Krämpfen drückt sich die wachsende Unangemessenheit der produktiven Entwicklung der Gesellschaft zu ihren bisherigen Produktionsverhältnissen aus. Gewaltsame Vernichtung von Kapital, nicht durch ihm äußere Verhältnisse, sondern als Bedingung seiner Selbsterhaltung, ist die schlagendste Form, worin ihm advice (der Rat) gegeben wird, to be gone and give room to a higher state of social production (abzutreten und einem höheren Stadium der gesellschaftlichen Produktion Raum zu geben).“ (34)

Schlussfolgerung

Marx stellt also in seiner Analyse fest, dass die Krisenhaftigkeit und Instabilität des kapitalistischen Systems nicht äußeren Faktoren geschuldet ist, sondern dem Kapitalverhältnis selbst. Diese Analyse beinhaltet nicht nur die zeitlichen Ablaufmuster des Produktionsprozesses, sondern auch die wahren Gründe für Krise und Niedergang der Produktion. Wie wir gesehen haben, ruft jede ungezügelte Expansion, welche stets der Krise voraus geht, auch die bürgerliche Ideologie auf den Plan. Diese beschwört das Ende aller Krisen, den ewigen Aufschwung und dass das System seine inneren Widersprüche überwunden habe. Diese euphorischen Klänge finden immer ein jähes Ende.

In der Krise kommt die andere Seite der bürgerlichen Propaganda zum Vorschein. Inflation, Deflation, die Rezession im allgemeinen erfahren mannigfaltige Erklärungen durch die „Experten“ des Kapitals. Neo-Malthusianer begründen die Krise mit der Überbevölkerung: zu viele Arbeiter und Bauern. Alle stimmen darin überein, dass die zu hohen Löhne Schuld an der Inflation sind; alle stimmen darin über ein, dass die Arbeitslosigkeit der Beschäftigung zu vieler Arbeiter geschuldet ist, die die Fabriken unprofitabel machen würden.

All diese Theorien stellen die Realität auf den Kopf. Alle stellen die Überakkumulation von Arbeit ins Zentrum, nicht die Überakkumulation von Kapital. Vom Standpunkt des Kapitals sind sie durchaus rational. Ihre Irrationalität bestätigt gleichzeitig die innere Widersprüchlichkeit des Kapitals selbst. Es ist die Überwindung des Kapitalverhältnisses selbst, auf die Marxsche Theorie daher beständig hinsteuert – als einer Notwendigkeit für die gesellschaftliche Arbeit und als logische Folge der Entfaltung der inneren Widersprüche des Kapitals.

Die Überwindung des Kapitalismus ist bestimmt von historischen Notwendigkeiten – aber sie kann nur durch einen bewussten Akt der Arbeiterklasse geschehen. Diese historische Besonderheit macht den Sieg im Klassenkampf zum einen beispiellos schwierig, zum anderen zu einem großen Versprechen für die Menschheit. Die Schwierigkeiten ergeben sich aus der einfachen Tatsache, dass eine ausgebeutete Klasse, die nicht mehr als ihre Arbeitskraft verkaufen kann, nicht innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsordnung neue Produktionsverhältnisse etablieren kann – wie es die bürgerliche Klasse in den feudalen Städten des Mittelalters konnte. Allein dieser Fakt beweist, dass die Arbeiterklasse eine eigene politische Organisation aufbauen muss, unabhängig von der Bourgeoisie.

Daher ist der Klassenkampf des Proletariats auch stets mehr, als der Kampf um Verbesserungen im System der Lohnarbeit. Die Arbeiterklasse hat kein Privateigentum an Produktionsmitteln, ihre Befreiung geschieht nur durch die Abschaffung dieses Privateigentums und dem Aufbau einer neuen Produktionsweise, basierend auf gemeinschaftlicher Arbeit. Dies ist nicht weniger als die Befreiung der Menschheit von ihrer Vorgeschichte. Das moderne Proletariat ist daher, in Marx´ Worten, „die universelle Klasse.“ Sie ist Produkt der Entwicklung des Kapitalismus. In großer Zahl und überall auf dem Erdball schuf er das moderne Proletariat. Darin bestand seine zivilisatorische Mission – damit hat er aber auch seinen Untergang vorbereitet.

Fußnoten

(1) Marx, Das Kapital, Band III, MEW 25, S. 223

(2) Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW 42, S. 640

(3) Ebenda, S. 640

(4) Ebenda, S. 640

(5) Ebenda, S. 640/641

(6) Ebenda, S. 641

(7) Ebenda, S. 641

(8) Ebenda, S. 641/642

(9) Ebenda, S. 641

(10) Marx, Das Kapital, Band III, MEW 25, S. 261

(11) Marx, Das Kapital, Band I, MEW 23, S. 790/791

(12) Marx, Grundrisse, S. 642/643

(13) Wir werden uns in diesem Artikel z.B. nicht mit dem Okishio-Theorem auseinandersetzen. Dieses wurde 1961 vom japanischen Ökonom N. Okishio im Artikel „Technical Change and the Rate of Profit“ entwickelt. Darin versucht er, das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate logisch zu widerlegen. Seine Kritik beruht dabei darauf, die Marxschen Kategorien keiner immanenten Kritik zu unterziehen, sondern sie aus dem Kontext der Werttheorie herauszureißen und als Kategorien der bürgerlichen Ökonomie zu behandeln. Selbst die Fehlerhaftigkeit dieser vulgarisierten Formeln wurde später von marxistischen Ökonomen nachgewiesen.

So hat z.B. Andrew Kliman – Vertreter der „Temporal Single System Interpretation School“ – in seinem letzten Buch „Reclaiming Marx’s Capital – A Refutation of the Myth of Inconsistancy“ erneut den Nachweis erbracht, dass Okishios und eine ganze Reihe anderer neo-ricardianischer „Widerlegungen,“ die sich auf den italienischen Ökonomen Sraffa (Warenproduktion mittels Waren) berufen, alle auf dieselbe Weise vorgehen: Den Marxschen Kategorien Annahmen der Gleichgewichtstheorien der Neo-Klassik unterzuschieben und auf dieser Basis, erstens die Wertfundierung von Kategorien wie den Produktionspreisen aus den Marxschen Schemata „herauszurechnen“ und zweitens auf dieser Basis die „logische“ Unschlüssigkeit „nachzuweisen“.

(14) N. Moszkowska, Das Marxsche System, 1929, S. 118

(15) Paul Sweezy, Theorie der kapitalistischen Entwicklung, S. 128

(16) Marx, Theorien über den Mehrwert, Dritter Teil, MEW 26.3, S. 295

(17) Marx, Grundrisse, MEW 42, S. 258

(18) Marx, Grundrisse, MEW 42, S. 258/259

(19) Marx, Kapital, Band I, S. 323

(20) Marx, Kapital, Band III, S. 412

(21) Marx, Theorien über den Mehrwert, Dritter Teil, MEW 26.3, S. 357

(22) Ebenda, S. 358

(23) Ebenda, S. 360

(24) Ebenda, S. 360

(25) Ebenda, S. 260

(26) Ebenda, S. 260

(27) Ebenda, S. 260

(28) Marx, Grundrisse, MEW 42, S. 561

(29) Die Tatsache, dass Marx anerkennt, dass Löhne in bestimmten Perioden steigen, ist einer Generation bürgerlicher Ökonomen nach der anderen entgangen, die dümmlich behaupten, dass Marx geglaubt habe, dass Löhne immer fallen würden. Die „Widerlegung“ dieser Marx ungeschobenen These wird in einem britischen Lehrbuch der Wirtschaftswissenschaften als Grund angeführt, warum Marx erst gar nicht studiert werden solle. Das Buch heißt bezeichnenderweise: Economics for Dummies.

(30) Marx, Das Kapital, Band III, MEW 25, S. 505

(31) Ebenda, S. 501/502

(32) Ebenda, S 506/507

(33) Marx, Das Kapital, Band I, MEW 23, S. 152

(34) Marx, Grundrisse, MEW 42