GEW-Berlin: Und monatlich grüßt der Warnstreik?

Christian Gebhardt, Neue Internationale 277, Oktober 2023

Unterhält man sich mit Kolleg:innen hier in Baden-Württemberg über die Streikbemühungen der Berliner Kolleg:innen rund um den Tarifvertrag Gesundheit (TV-G) kommt neben zustimmenden Antworten auch oft eine Frage zum Vorschein: „Wie viele Warnstreiks haben die Berliner Kolleg:innen eigentlich schon durchgeführt?“ Eine Frage, die einerseits die große Kampfbereitschaft der Kolleg:innen aufgreift und würdigt, aber gleichzeitig auch den Finger in die Wunde legt und indirekt die Frage stellt: „Bekommen sie eigentlich das, wofür sie auf die Straße gehen?“

Ruf nach Ausweitung

Solche Fragen stellen sich nicht nur Kolleg:innen im entfernten Baden-Württemberg, sondern auch direkt vor Ort in Berlin. Eindrucksvoll spiegelte sich dies in den Abstimmungen auf der letzten zentralen Streikversammlung Ende des vergangenen Schuljahres wider, stimmten dort in einer großen Mehrheit die Berliner Kolleg:innen doch für eine Veränderung der bisherigen Streikstrategie und die Radikalisierung des Arbeitskampfes. Die aufeinanderfolgenden Streiktage sollten auf 5 erhöht werden und eine offene Debatte sowie Abstimmung über einen notwendigen Erzwingungsstreik stattfinden. Hierbei sollte die Basis miteinbezogen und nicht nur die Entscheidung alleinig der Tarifkommission überlassen werden. Diese Abstimmung zeigte auch, dass die mühsame Basisarbeit einer Basisgruppe innerhalb der (Jungen) GEW in Berlin auf offene Ohren gestoßen ist, schlug diese Gruppierung doch eine Diskussion über genau einen solchen Kampagnenplan vor mit dem Ziel der Ausweitung der Streikaktivitäten und der offenen Diskussion über einen Erzwingungsstreik.

Auf fruchtbaren Boden fielen diese Vorschläge aufgrund des offensichtlichen Scheiterns der bisher befolgten Strategie der Tarifkommission und der Berliner GEW-Bürokratie. Diese will letztlich eine entscheidende Konfrontation mit dem Senat vermeiden. Daher scheut sie auch vor einem Erzwingungsstreik zurück, weil dabei alle Seiten ihre Karten auf den Tisch legen müssten.

Hier wird deutlich, dass die Führung der GEW Berlin nicht an die eigene Mobilisierungsstärke und damit verbunden auch nicht an den Erfolg des Tarifkampfes glaubt. Stattdessen versucht sie, den Fokus der Verhandlungen weg von einem Tarifvertrag und hin auf eine Gesetzesänderung zu lenken, welche die Klassengröße festschreiben soll. Jede/r Kolleg:in weiß aber, dass politische und dienstliche Zwänge schnell dazu führen, dass gesetzlich festgeschriebene Klassenteiler schnell unter den Tisch fallen, wenn die Anzahl der Lehr- und Betreuungskräfte nicht stimmt oder die Schule nicht genügend Räume zur Verfügung hat. Diese Vorstellung war schon unter Rot-Grün-Rot fragwürdig. Unter dem neuen CDU-SPD-Senat wird sie vollends zur weltfremden Chimäre.

Es kann daher als Erfolg gewertet werden, dass die Demobilisierungsversuche der GEW-Bürokratie ins Leere liefen und sie stattdessen damit konfrontiert wurde, dass die aktiven Kolleg:innen für die Ausweitung der Streikaktionen plus transparente Debatte stimmten! Ein Erfolg, der begleitet wird von der Forderung, die Basis des Streikes zu verbreitern, indem aktiv schwach organisierte Schulen besucht werden sollen, um Unterstützung im Aufbau von GEW-Aktionsgruppen, für Streikversammlungen, Mobiveranstaltungen etc. anzubieten, um somit die Streikkraft der Bewegung zu vergrößern. Ein vollkommen verständlicher Vorschlag, da die abnehmende Zahl an Streikenden über die letzten Streiktage hinweg durchaus die Gefahr birgt, dass die Kolleg:innen ausgebrannt werden und keinen Sinn mehr in den Streikaktionen sehen. Damit dies nicht dem Senat sowie der GEW-Bürokratie in die Hände spielen kann, sind solche Vorschläge von kämpferischen Gewerkschafter:innen positiv aufzugreifen und zu unterstützen.

Darüber hinaus dient die Verbreiterung der Basis auch gleichzeitig dazu, den Druck auf die GEW-Bürokratie sowie auf die Tarifkommission zu erhöhen, um zu verhindern, dass sie die Abstimmung der Streikversammlung einfach umgehen. Dies erkennen wir daran, dass vonseiten der GEW-Führung nun nur ein 3-tägiger und kein 5-tägiger Warnstreik ausgerufen wurde. Hier redet sich die Bürokratie damit heraus, dass die Streikversammlungen keine demokratische Legitimität besäßen und von dieser keine Mandate ausgehen könnten.

Dieses Manöver zeigt deutlich, dass der Einfluss des Teils der Basis, welcher für die Ausweitung der Streikbemühungen einsteht, noch zu gering ist, um die Mehrheit auf Streikversammlungen auch wirklich in Aktionen der Gewerkschaft zu übertragen. Klar muss dem Manöver der Bürokratie widersprochen werden. Gleichzeitig sollte aber auch der Unmut über diese Entscheidung innerhalb des aktiven Kreises dazu verwendet werden, um Basisstrukturen aufzubauen, die sich kritisch mit der Rolle der GEW-Bürokratie auseinandersetzen und auch offen die demokratischen, gewerkschaftsinternen Prozesse der Streikführung kritisieren und diskutieren. Darüber hinaus müssen diese Diskussionen eingebunden werden in die oben schon angesprochenen Bemühungen zur Ausweitung der Basisstrukturen, um sich in zukünftigen Entscheidungen auf Streikversammlungen wie auch in konkreten Aktionen danach manifestieren zu können.

Schließlich sollte während des dreitägigen Warnstreiks vom 10. – 12. Oktober eine gut vorbereitete Vollversammlung stattfinden, die über die weitere Vorgehensweise beschließt. Es gibt keinen Grund, das demokratische Mandat einer solchen Versammlung anzuzweifeln, wenn schon im Vorfeld an Schulen und in den gewerkschaftlichen Strukturen genau diese Fragen anhand von Anträgen an die Vollversammlung diskutiert werden.




Freizeitpädagogik bleibt: zuerst essenziell, jetzt wegrationalisiert?

Aventina Holzer, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1226, 19. Juni 2023

Selma Schacht, die Betriebsrätin von „Bildung im Mittelpunkt“, meinte bei einer Streikkundgebung letztes Jahr, dass Freizeitpädagog:innen viele Jobs haben. Sie sind Künstler:innen, Sportler:innen, Lehrer:innen und emotionale Begleiter:innen und noch vieles andere mehr. Sie machen viele Sachen, die sonst im pädagogischen Angebot unter den Tisch fallen würden.

Die Freizeitpädagogik ist eine besondere Berufsbranche in Österreich, die als Reaktion auf den Lehrer:innen- und Betreuer:innenmangel entstanden ist. Seit einigen Jahren gibt es dafür auch einen eigenen Lehrgang, der speziell auf die Nachmittagsbetreuung an Schulen zugeschnitten ist. Dieser ist mit 60 ECTS-Punkten (also 2 Semester; ECTS = European Credit Transfer System, Europäisches System zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen; d. Red.) eine Reaktion auf einen Gesetzesbeschluss, der die Qualifikationen von Pädagog:innen in diesem Bereich besser systematisieren wollte. Der seit mehr als 10 Jahren bestehende Lehrgang ist ohne Matura zugänglich und bietet damit eine gute Möglichkeit für Menschen ohne Abschluss einer höheren Schule, in einem pädagogischen Beruf zu arbeiten.

Der neue Gesetzesentwurf der Regierung möchte sehr viel von diesen Beschlüssen wieder ändern. Bevor wir uns aber mit diesem genauer beschäftigen, wollen wir uns die momentane Situation in der Freizeitpädagogik genauer anschauen, die ist nämlich auch alles andere als rosig.

Die Arbeitsbedingungen in der Freizeitpädagogik sind zwischen Personalmangel, schlechter Bezahlung und fehlendem Respekt oft eine Zumutung. Im Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich, unter den aktuell die Freizeitpädagogik fällt, ist ein Gehalt von 2.638,80 Euro brutto vorgesehen für 37 Wochenstunden. Die meisten Mitarbeiter:innen arbeiten aber eher 32 Stunden. Vorbereitungsstunden sind davon auch nur 5, der Rest ist mit den Kindern zu verbringen.

Zeitgleich gibt es starken Personalmangel, zu wenig inklusionsgeschultes Personal und Schulungen für das Team und oft standortspezifische Probleme wie zu wenige Sozialarbeiter:innen, überfüllte Klassen, zu viele unkompensierte Krankheitsausfälle, räumliche Probleme, kein Material (oder nur solches, das aus eigener Tasche gekauft wird) und vieles mehr. Unter diesen Umständen ein ernsthaftes und gutes pädagogisches Programm aufzubauen, ist schwierig. Die ständigen Forderungen der Politik nach Umstrukturierung der Nachmittagsbetreuung, die als rotes Projekt speziell der ÖVP ein Dorn im Auge ist, machen auch Jobunsicherheit zu einem großen Thema.

Aus diesen und einigen anderen Gründen haben die Nachmittagsbetreuer:innen im letzten Jahr mehrmals gestreikt und Streikhandlungen angekündigt. Neben dem „BiM“ (Verein Bildung im Mittelpunkt GmbH), der die Wiener Nachmittagsbetreuung an öffentlichen Schulen organisiert, standen auch die Elementarpädagog:innen bundesweit im Streik.

Jetzt trifft diese Berufsgruppe der nächste große Schlag. Es soll eine Gesetzesnovelle kommen, die im Sommer beschlossen und 2024 umgesetzt werden soll. Sie sieht vor, Teile des Schulordnungs- und Schulunterrichtsgesetzes (inklusive anderer Bereiche) zu ändern. Das betrifft vor allem die Freizeitpädagogik als Berufsgruppe, die mit dieser Änderung abgeschafft werden soll. Statt dieser soll eine neue, die sogenannte „Assistenzpädagogik“, geschaffen werden. Die Assistenzpädagogik hat, wie das Wort schon andeutet, eher die Aufgabe, das Lehrpersonal bei der Arbeit zu unterstützen und nicht ein eigenes freizeitpädagogisches Programm zu gestalten und umzusetzen. Das bedeutet mehr Fokus auf Lernassistenz (also Hausaufgabenbetreuung und Ähnliches) und weniger auf Freizeitgestaltung. Abgesehen davon gibt es weitere Verschlechterungen, die sich anbahnen:

Die ohnehin recht kurze Ausbildung soll von 60 auf 30 ECTS-Punkte (also von zwei auf ein Semester) gekürzt werden. Zeitgleich soll ein Maturaabschluss eine Voraussetzung dafür werden. Zwar wurde angekündigt, dass die meisten Freizeitpädagog:innen übernommen werden sollen, trotzdem ist noch mehr als fraglich, ob das für die Beschäftigten ohne Matura auch letztlich wirklich gilt. Über ihnen hängt das Damoklesschwert des Jobverlustes.

Des Weiteren werden auch gröbere Gehaltskürzungen vermutet. Der Betriebsrat von „Bildung im Mittelpunkt“ schreibt dazu: „Der Vergleich mit unserem aktuellen Gehalt zeigt, dass vor allem in den ersten Jahren mit einem Minus von bis zu 19 % zu rechnen ist. Erst nach über 18 (!) Berufsjahren würde die Anwendung dieses Gehaltsschemas mit unserem jetzt gültigen Kollektivvertrag gleichziehen bzw. diesen erst ab 24,5 Jahren spürbar überholen. Und das auch nur, wenn es zur vollen Anrechnung sämtlicher bisheriger Vordienstzeiten kommt.“

Es gibt einige Sachen, die noch sehr unklar sind: zum Beispiel die Übernahme des Jobs in öffentliche Hand und was dann mit den Trägern passiert, die diese Arbeit momentan organisieren. Zeitgleich zeigt der Gesetzesentwurf eine klare Richtung, die sich deutlich gegen die Interessen von ganztägigen Schultypen und Betreuungsangeboten stellt, indem sie an deren Bedürfnissen vorbei wirkt.

Es wurden bereits einige Maßnahmen verkündet, in Wien wurde bereits demonstriert, es gibt Betriebsversammlungen, eine Petition, Streiks und noch einiges mehr, um die Änderungen abzuwehren. Jetzt wurde auch die Streikfreigabe für den 15. Juni erteilt. Die Gewerkschaften und nahestehende Institutionen scheinen dahinterzustehen. „Weder Beschäftigte noch Betriebsrat oder Gewerkschaft waren in die Novellierung eingebunden“, sagt Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA. In der Sozialdemokratie hört man immer mehr einzelne Stimmen dagegen, so auch den neuen SPÖ-Chef Babler oder die SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler. Es war ja auch eines der größeren sozialdemokratischen Projekte, die Nachmittagsbetreuung flächendeckend durchzusetzen.

Die Forderungen des BiM-Betriebsrats sind gut und verknüpfen einige Probleme miteinander. Es wird unter anderem gefordert, dass die beschriebenen Verschlechterungen durch die vorgeschlagene Novelle nicht eintreten dürfen. Besonders wichtig sind folgende Forderungen: „Übernahme aller ausgelagerten Schulküchenmitarbeiter:innen und Reinigungskräfte“ und „Kein Ersatz von Lehrer:innenstellen oder -stunden durch Freizeitpädagog:innen. Ausbildungsoffensive und Personalaufstockung bei Lehrer:innen“. Diese Forderungen versuchen, aktiv Kämpfe zu verbinden. Weil Schulorganisation zum Großteil Ländersache ist, ist es schwierig, diesen speziellen Kampf auch über die Bundesländergrenzen hinauszutragen. Klar ist aber, dass es auch in anderen Bundesländern Personalmangel und extreme Unzufriedenheit wegen schlechter Bezahlung gibt.

Lehrer:innenmangel steht auf der Tagesordnung und anstatt ihn mit komplett neuen Jobs auszugleichen, die andere wertvolle pädagogischen Aufnahmen übernehmen sollten, braucht es hier gezielte Verbesserungen. Eine Aufwertung der Ausbildung, ohne auf Kosten von Zugänglichkeit und Kosten zu gehen, wäre dabei schon ein wichtiger Schritt. Zeitgleich braucht es eine starke Veränderung der Lehrpläne, um sie an aktuelle Bedürfnisse anzupassen. Mehr Ressourcen für Bildung und damit auch Freizeitpädagogik sind essenziell. Die Bildung von Kindern und Jugendlichen sollte nicht immer nur davon abhängen, ob sich Lehrer:innen oder Freizeitpädagog:innen individuell besonders engagieren, sondern  direkt aus dem Bildungssystem heraus erwachsen. Dafür ist auch essenziell, dass wir nicht nur bei der Abwehr dieser Novelle bleiben, sondern auch für mehr Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen sowie für mehr Geld im Bildungssystem im Allgemeinen.




TVStud: Bald Lohnkampf an den Unis?

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 274, Juni 2023

Frischer Wind weht durch die Uniflure in der Bundesrepublik. Seit Semesterstart ist die Initiative TVStud für einen Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte unterwegs und versucht studentische Hilfskräfte zu organisieren. Das Ziel: Im Herbst diesen Jahres soll zusammen mit den Beschäftigten von TV-L gestreikt werden. Denn die Arbeitsbedingungen sind mehr als schlecht, wie das Forschungsprojekt „Jung, akademisch, prekär?“ vom Institut für Arbeit und Wirtschaft Bremen in Kooperation mit ver.di und GEW belegt. Insgesamt wurden im Zeitraum vom 30. Januar 2022 bis zum 22. Juli 2022 über 11.000 studentische/wissenschaftliche Hilfskräfte und Tutor:innen zu ihren Beschäftigungsverhältnissen und Arbeitsbedingungen befragt.

Damit ist die Studie die erste ihrer Art und aktuell die umfassendste. Kernerkenntnisse sind dabei, dass: 77,8% der studentisch Beschäftigten als armutsgefährdet gelten, da sie über weniger als 1.250€ monatliches Gesamteinkommen verfügten. Dies liege daran, dass sich die Löhne an den TdL-Richtlinien orientieren und nur knapp über dem Mindestlohnniveau lägen. Der Stundenlohn von studentischen Hilfskräften (SHK), also denjenigen ohne Bachelorabschluss, läge im Erhebungszeitraum zwischen 10 € (Thüringen und Bayern) und 12,96 € (Berlin). Hinzu kämen kurze Vertragslaufzeiten, im Durchschnitt bei 6,1 Monaten, häufig als Kettenbefristung. Seien studentische Hilfskräfte und Tutor:innen mehr als einmal an einer Hochschule beschäftigt, arbeiteten sie im Durchschnitt zum dritten Mal in Folge auf derselben Stelle. Für knapp 90% der studentischen Beschäftigten sei die Lebensfinanzierung ein (wesentliches) Erwerbsmotiv.

Kurzum: Befristung und schlechte Bezahlung sind hier als Spiegel der Arbeit im deutschen Wissenschaftsbetrieb der Universitäten zu verstehen. Die schlechten Anstellungsbedingungen der studentisch Beschäftigten dienen quasi als Vorbereitung zu den Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb. Darüber hinaus ist in den letzten Jahren eine massive Ausweitung dieser Anstellungsart zu beobachten, die auch genutzt wird um Stellen im universitären Bereich zu ersetzen und so Tarifflucht zu begehen.

Herausforderungen

Hier mit einem Tarifvertrag TVStud entgegen zu wirken in richtig und notwendig! Einfach wird  das Vorhaben aber nicht. Die Aktivist:innen stehen vor mehreren Problemen:

1. Die kurze Beschäftigungsdauer

Während andere Arbeitskämpfe den Vorteil haben, dass die Belegschaft Erfahrungen im Rahmen unterschiedlicher Auseinandersetzungen sammeln kann, ist das bei den SHKs weniger der Fall. Das liegt in der Natur des Studiums an sich, das im Idealfall drei Jahre dauert. Dementsprechend begrenzt sind auch die Anstellungsdauer der SHKs, verstärkt wird das ganze durch die Kettenbefristung. Das heißt in der Praxis: Studierende, die man im Sommersemester für den Streik motiviert, arbeiten vielleicht im Wintersemester nicht mehr in ihrer Anstellung.

2. Willkür und persönliche Abhängigkeit

Nur 36,7% der befragten SHKs haben sich auf eine Stellenausschreibung beworben; 41,4% wurden persönlich angesprochen, insgesamt 60,3% so oder auf einem anderen informellen Weg rekrutiert. Das bedeutet eine verstärkte Abhängigkeit gegenüber den Vorgesetzten, die häufig auch an die Studierenden Noten im „normalen“ Unialltag vergeben. Das in Kombination mit der Kettenbefristung kann die Bereitschaft senken für die eigenen Interessen und bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße zu gehen.

3. Fehlende Klarheit

Bisher ist unklar, für welche Form des Tarifvertrags man die SHKs eigentlich organisieren möchte. Berlin ist das einzige Bundesland in dem ein Tarifvertrag für studentische Beschäftigte existiert. Der Tarifvertrag ist ein Relikt aus den 80er Jahren, dient aber als Vorbild für die Initiative. Die Verbesserungen sind merklich: die durchschnittliche Anstellungszeit in Berlin liegt bei 14,1 Monaten und auch das Lohnniveau ist im Vergleich höher (auch wenn seit Juni 2022 der Berliner Landesmindestlohn den Abschluss überholt hat).

Was braucht es?

Um Erfolg zu haben, braucht es eine Strategiedebatte.

Die Frage, die auf dem Tisch liegt, ist, wofür eigentlich gestreikt werden soll. Ein bundesweiter TV-Stud? Oder eine Anbindung an den TV-L? Letzteres hat definitiv Vorteile wenn es darum geht, die Kampfkraft zu erhöhen. Statt alleine zu streiken, wären die studentischen Beschäftigten mit weiteren Kolleg:innen auf der Straße, beispielsweise auch mit wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen an den Universitäten.

Auf der anderen Seite gerät man dabei Gefahr, dass man seitens der Gewerkschaften ausverkauft und bei den Abschlüssen nicht genügend beachtet wird. Dieses Szenario ließe sich durch Streikversammlungen mit allen TV-L Beschäftigten bekämpfen, indem diese über die Fortführung des Streiks bestimmen, sowie direkte Wähl- und Abwählbarkeit für die Mitglieder der Tarifkommission. Das würde in der Praxis bedeuten, dass die Mitglieder der Tarifkommissionen die Entscheidungen der Streikenden von den Versammlungen umsetzten müssten. Damit das nachvollziehbar ist, sollten die Verhandlungen selbst auch öffentlich geführt werden.

Was sich nach Utopie anhört, hat in der Praxis mehrere Vorteile: Die Streikenden würden die Kontrolle über ihren Streik erhalten und selber in die Lage versetzt werden, politische Diskussionen zu führen, was notwendig wäre um die gewünschten Ergebnisse zu erhalten. Darüber hinaus fällt der Frust weg, seitens der Gewerkschaft ausverkauft zu werden, wie es beispielsweise Teile der Kolleg:innen mit dem Abschluss im TVöD erleben.

Doch das ist nicht alles: Darüber hinaus braucht es eine Bewegung an den Universitäten, die nicht nur die studentischen Beschäftigten erfasst. Für die Studierenden muss klar sein: Gute Lernbedingungen entstehen nur durch gute Arbeitsbedingungen. Es ist also im Interesse aller Studierenden die Streiks zu unterstützen. Ebenso bieten sie den Rahmen längst überfällige Forderungen zur Verbesserungen der eigenen Situation aufzustellen.




Britannien: Für eine Kampagne gegen den Tarifabschluss bei Royal Mail

Workers Power Postal Workers Bulletin, Infomail 1223, 27. Mai 2023

Royal Mail: Baut die Nein-Kampagne auf!

Gegenwehr gegen Angriffe auf unsere Löhne und Arbeitsbedingungen!

Organisiert eine klassenkämpferische Basisbewegung zur Zurückweisung des Abkommens!

Als die Vereinbarung mit Royal Mail (Britische Post) im April veröffentlicht wurde, löste sie eine Gegenreaktion der Gewerkschaftsmitglieder aus, als klar wurde, dass die Führung der CWU (Communication Workers Union) den meisten Forderungen von Royal Mail nachgegeben hatte.

Nach drei Abstimmungen, 18 Tage Lohnverlust an Streiktagen und über 400 suspendierten und entlassenen betrieblichen Gewerkschaftsertreter:innen und Mitgliedern, bedeutet die Vereinbarung einen Rückschlag in Bezug auf Löhne, Tarife und Arbeitsbedingungen.

Grundsätzlich ebnet sie den Weg für einen massiven Anstieg der Arbeitsbelastung, insbesondere für die Beschäftigten im Zustelldienst, und untergräbt die Kampfkraft der Gewerkschaften.

Aus diesem Grund haben einige CWU-Postangestellte und -Vertreter:innen eine Kampagne für die Belegschaft gestartet: Postangestellte sagen, stimmt mit Nein. Macht online mit, ladet das Bulletin herunter, um es an eure Kolleg:innen weiterzugeben, und beteiligt euch: www.tinyurl.com/PostiesSayNo.

Gewerkschaftsführer:innen kapitulieren

Auf den ersten beiden Seiten des Abkommens geht es um die katastrophale Lage von Royal Mail und darum, „das Schicksal des Unternehmens umzukehren“. Die Gier der Bosse hat das Unternehmen in den Ruin getrieben, aber die Vereinbarung stellt sicher, dass die Beschäftigten dafür zahlen, das Unternehmen wieder flottzumachen, und dass sie durch Erhöhungen der Arbeitsbelastung und Umstrukturierungen ihre Gewinne steigern können. Die CWU-Führerung wird die Kürzungen und Veränderungen in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit dem Management überwachen – und dann erwarten, dass die betrieblichen Gewerkschaftsvertreter:innen sie umsetzen.

Das Abkommen kann zu Recht als Niederlage bezeichnet werden. Die Führung hat den Streik für viermonatige Gespräche beendet, die zu nichts geführt haben. Für Arbeiter:innen enthält es kaum Positives. Viele begrüßen zwar die Zahlungen, aber bei steigenden Preisen bedeutet das Dreijahreslohnabkommen einen Reallohnverlust von über 10 Prozent. Der Rest akzeptiert, was die Bosse wollten oder hat ihre Forderungen (völlige Flexibilität, Fahrer:innen als Scheinselbstständige) nur dadurch „besiegt“, dass er ihnen auf halbem Wege mit Zugeständnissen bei der Arbeitsbelastung, 30 Minuten „formalisierter Flexibilität“ und saisonalen Arbeitszeiten entgegenkam.

Als eines der schlimmsten Zugeständnisse hat die Gewerkschaft die Zweistufigkeit der Belegschaft akzeptiert, d. h. neue Mitarbeiter:innen erhalten Verträge mit einer Arbeitszeit von mehr als 40 Stunden bei geringerer Bezahlung und Sonntagsarbeit. Persönliche digitale Assistent:innen und andere Daten werden als Anfang von der Geschäftsleitung für Leistungen und bestimmte Verhaltensweisen verwendet und missbraucht. Die Arbeiter:innen müssen die Worte über „unterstützende“ Ansätze für Anwesenheit und Leistung, „gesicherte Garantien“ oder noch schlimmer „gemeinsame Bestrebungen“ für die kürzere Arbeitswoche (wenn sie die Stunden für Neueinsteiger:innen erhöhen) in den Mülleimer werfen, wo sie hingehören, denn sie sind wertlos.

Die geopferten gewerkschaftlichen Vertreter:innen und Mitglieder sind nicht wieder eingestellt worden. Stattdessen wird ein „unabhängiger“ Richter, der selbst kein Freund militanter Gewerkschafter:innen ist, Lord Falconer, der 2016 für die gewerkschaftsfeindlichen Gesetze der Tories gestimmt hat, die Fälle überprüfen.

Das Abkommen trifft die Zusteller:innen besonders hart und wird die körperliche Arbeit im Freien ausweiten und viele aus dem Job drängen. Wie ein Zustellervertreter dies online fragte: „Im schlimmsten Fall kürzt eine Revision Hunderte Außendienststunden zur Erholung von den Gängen und macht sie länger plus 35 Minuten Streichung vom Innendienst und Anrechnung auf den Außendienst plus 2 Stunden länger im Winter plus 30 Minuten ,formalisierter Flexibilität’ an einigen Tagen. Man könnte also im Außendienst bis zu anderthalb Stunden länger als jetzt, um Weihnachten herum vielleicht sogar mehr, arbeiten.“

Einzuberechnen wären spätere Anfangszeiten bis zu 90 Minuten und Flexibilität, was bliebe dann noch übrig von „familienfreundlichen“ Schichten? Wenn man dann noch Anwesenheitszeiten, Verhaltensdaten, Kürzungen bei krankheitsbedingt vorzeitiger Verrentung zurechnet, kann Royal Mail schneller und billiger Arbeitskräfte loswerden, und mit dem zweistufigen Arbeitskräftesystem wird dem Unternehmen das gelingen.

Ein selektiver Ausverkauf

Die CWU-Führung sagt, sie wolle eine informierte Diskussion, damit Mitglieder eine informierte Entscheidung treffen können, aber während sie nicht bestimmte Fragen umgehen kann, sind andere (wie Zweiklassen-Arbeitskräfte, Verhaltensdaten, 20 – 35-minütige Kürzung für Innendienst bei Zustellungen), wenig bis gar nicht angesprochen worden. Die betrieblichen gewerkschaftlichen Vertreter:innen sollten darauf aber Antworten verlangen. Wenn diese nicht gegeben werden, könnte sich Royal Mail aus dem Abkommen herausstehlen, was bedeuten würde, seine Profitabilität auf unsere Kosten wiederherzustellen.

Das Abkommen läuft bis April 2025, doch seine Verpflichtungen zu keinen zwangsweisen Entlassungen sind kaum abzuschätzen angesichts der großen Anzahl von unbesetzten Stellen in Büros und billigen Berufseinsteiger:innen. Royal Mail sagt nur, dass sie „nicht plane“, Briefzentren auszulagern, zu verpachten und rationalisieren oder getrennte Paketgesellschaften zu gründen.

Das sind keine Garantien und neue, einschneidende Änderungen, ein einheitliches Großpaketnetz zu schaffen, wird mehr direkte Konkurrenz mit Anbieter:innen wie Amazon hervorrufen, wenn die Bosse noch sagen, wir seien 40 % überbezahlt und unausgelastet, und das wird  uns immer weiter in einen Dumpingwettbewerb treiben.

Die Gewerkschaftsführer Ward und Furey versuchen uns eine Vision zu verkaufen, wonach wir zum normalen Alltag mit einem stabilen sicheren Arbeitsplatz und ruhigem Leben zurückkehren können. Doch in Wirklichkeit wird es dauerhaft Veränderungen geben, die in der gemeinsamen Arbeitsgruppe vereinbart worden sind. Wenn das Abkommen nicht den Profiterwartungen entspricht, könnte Royal Mail sich sogar Stück um Stück aus der Vereinbarungen herausziehen, wie sie es letztes Jahr getan hat. Günstigstenfalls tickt die Uhr bis 2025 herunter zu einem neuen Kampf, mit untergrabener Kraft unserer Stärke an der Basis.

Die Alternative

Wenn es keine Zustimmung gibt, könnte die Gewerkschaft Royal Mail ein paar Zugeständnisse abringen. Aber die wirkliche Alternative zu diesem faulen Abkommen bedeutet, dass die Streiks wieder aufgenommen werden. Dieses Mal mit einem wirkungsvollen Plan, sie umfassend zu steigern, und Solidaritätskomitees aufzubauen, so wie es Workers Power von Beginn der Auseinandersetzungen an vertreten hat. Jetzt ist es an der Zeit, die Kampagne zur Wiederverstaatlichung von Royal Mail als CWU-Politik zu führen, den Bossen nicht zu gestatten, uns mit der Bankrottdrohung zu erpressen. Wenn wir dieses Abkommen jetzt annehmen, was würden wir tun können, wenn sie uns 2025 oder schon vorher wieder angreifen?

Ein Ablehnungskampagne könnte die Kräfte entfalten, die die CWU seit langem gebraucht hat: eine Basisbewegung, die die Gewerkschaften unter Kontrolle der Beschäftigten bringt, mit Abrufbarkeit und Facharbeiter:innengehältern für alle Funktionär:innen. Streikkomitees sollen an der Basis gebildet werden, um den Gewerkschaften von unten neues Leben einzuhauchen. Das würde uns nicht nur für Kampf und Sieg ausrüsten, sondern auch eine neue Führung aus den militanten Elementen fördern helfen, eine, die die Gewerkschaften am Arbeitsplatz verankert.

Teilt Eure Antworten und Erfahrungen mit oder kontaktiert uns für mehr Information über Workers Power: https://workerspower.uk/contact/. Artikel zur CWU in Workers Power: www.tinyurl.com/WPCWU.




Schlechte Abschlüsse – nicht mit uns!

Was tun gegen Sozialpartner:innenschaft und Ausverkauf?

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftsinfo der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Mai 2023, Infomail 1222, 13. Mai 2023

Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst wie schon zuvor die bei Post und Metall haben Hoffnung gemacht. Hoffnung, dass nach Corona und trotz Krieg und Kriegshetze, trotz Krise oder gerade deswegen die Kampfbereitschaft an der Basis wieder steigt. Vor allem im Kampf um den TVöD hat sich gezeigt, dass eine Schicht neuer, junger und kämpferischer Kolleg:innen auf den Plan getreten ist. Es gab zehntausende Neueintritte.

Aber die Abschlüsse haben mehreres gemeinsam: Sie bringen einen massiven Reallohnverlust, das Kampfpotential wurde nicht ausgeschöpft und gerade die aktivsten Kolleg:innen wurden durch die Manöver der Gewerkschaftsspitzen frustiert. Ja, gerade dort, wo ungewohnte Aktionen wie der „Megastreiktag“ von ver.di und EVG das Mobilisierungs- und Machtpotential deutlich gemacht haben, ist der Frust am höchsten.

Wieso haben unsere Gewerkschaften solch nachteiligen Abschlüssen zugestimmt? An den historisch klammen Kassen der Bosse oder des Staates kann es nicht liegen, verzeichnen diese doch trotz Krisen starke Gewinne bzw. hohe Steuereinnahmen. Als klassenkämpferische Gewerkschafter:innen stellen wir uns die Frage, warum die Chancen nicht ergriffen worden sind, wirkliche Siege zu erringen und die Weichen für eine Umkehr des jahrzehntelangen Niedergangs zu stellen. Welche Rolle hat die Gewerkschaftsbürokratie bei diesen Abschlüssen gespielt und welche Lehren sollten wir für kommende Tarifauseinandersetzungen daraus ziehen?

Am Beispiel des öffentlichen Diensts können wir sehen, dass sich unsere Gewerkschafsführungen mit den Arbeit„geber“:innen aus Bund, Ländern und Kommunen auf unsere Kosten auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt haben: zahlreiche Nullmonate, überlange Laufzeit, steuerfreie Einmalzahlungen, obwohl diese lange und vehement als nicht akzeptabel abgelehnt wurden. Offiziell ist der Abschluss zwar nicht unterschrieben und die Gewerkschaftsmitglieder werden noch „befragt“. Dieses Votum ist aber nicht bindend, weder für den Vorstand noch für die Bundestarifkommission. Gleichzeitig findet es in einem Diskussionsklima statt, wo sich herbe Enttäuschung unter den Mitgliedern breitgemacht hat und unsere Führung ihre Positionen und Gesprächshoheit nutzt, um für die Annahme zu werben und den Abschluss als eine „historische Sensation“ darzustellen. Hierbei bedient sie sich auch billiger Rechentricks, um von ihrem Ausverkauf abzulenken.

Inflationsausgleich

Lange wurde uns gesagt, dass wir eine steuerfreie Inflationsausgleichszahlung nicht hinnehmen und nur tabellenwirksame Änderungen annehmen werden. Zwar hören sich für einige Kolleg:innen die 3.000 Euro gut an – vor allem in Verbindung mit der grassierenden, historisch hohen Inflation. Das Ergebnis bringt uns zwar kurzfristig mehr Geld, aber keine Punkte bei der Rente. Es gibt kein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld darauf und diese Sonderzahlungen gehen nicht in die Berechnung von Arbeitslosen- und Elterngeld mit ein. Die Arbeit„geber“:innen sparen aber richtig und der Staat zahlt durch Steuerverzicht. Wen werden die daraus resultierenden Sparmaßnahmen treffen? Die Bundeswehr oder uns durch Streichungen von Sozialausgaben?

Konzertierte Aktion

Steuer- und abgabenfreie Lohnzahlungen sind eigentlich gesetzwidrig. Dass sie in den derzeit stattfindenden Tarifrunden überhaupt Anwendung finden können, haben wir den gemeinsamen Gesprächen zwischen Regierung, Gewerkschaften und Arbeit„geber“:innen im Sommer 2022 zu verdanken. Den Spitzen von ver.di, aber auch den restlichen DGB-Gewerkschaften war klar, auf was sie sich bei dieser Konzertierten Aktion eingelassen haben und wo die Haken sind. Sie wussten ebenfalls, dass dies nicht nur zum Spaß vereinbart wurde, sondern ihre Aufgabe darin bestand und besteht, es uns Kolleg:innen zu verkaufen oder zur Not am Ende durchzudrücken.

Warum wurden die Tarifrunden nun ausverkauft?

Ein eindrucksvolleres Bespiel für Sozialpartner:innenschaft kann es eigentlich nicht geben. Anstatt ihrer Mitgliedschaft voll und ganz den Rücken zu stärken und in ihrem Sinne die Verhandlungen zu führen und Tarifauseinandersetzungen mit der vollen Kampfkraft der Kolleg:innen zuzuspitzen, konzentrieren sich die Gewerkschaftsspitzen eher darauf, den „am ehesten machbaren“ Kompromiss herauszuholen. Dieser konzentriert sich dann darauf, was am ehesten für den Staat oder die Unternehmen zu verkraften ist und stellt somit die Interessen der Belegschaften hintenan. Hinzu kommt, dass in der aktuellen angespannten Weltlage eine monatelange Streikauseinandersetzung nicht nur den Arbeit„geber“:innen, sondern auch der Bundesregierung ein Dorn im Auge wäre.

Das heißt: Wie auch bei der Corona-Krise werden wir Beschäftigte nun aufgrund des Krieges mit Krümeln vertröstet. In Zeiten der Inflation, nach Kurzarbeit ist das für viele nicht mehr tragbar. Vor allem zeigt das aber eines: Es reicht nicht, nur kämpferischer zu sein und unsere Streikbereitschaft zu zeigen. Wenn wir nicht wollen, dass unsere Kämpfe mit Kompromissen beendet werden, dann müssen wir grundlegend in den Gewerkschaften selbst etwas ändern.

Dabei ist es zentral zu verstehen, dass es nicht ausreicht, einfach nur die Posten in der Bürokratie mit Träger:innen politisch linker Positionen zu besetzen oder andere Organisierungsmodelle einzusetzen. Denn auch wenn einige kämpferisch rangehen, muss es vielmehr unser Ziel sein, die Bürokratie als System abzuschaffen. Das Problem ist nämlich, dass sie durch ihre Funktion selbst – als Vermittlerin zwischen Lohnarbeit und Kapital – ein Eigeninteresse entwickelt hat, nicht „zu radikal“ aufzutreten. Auf der einen Seite muss das Interesse der Beschäftigten berücksichtigt werden, aber eben nur so weit, wie es den Arbeit„geber“:innen nicht wirklich wehtut. Erfüllt sie diese Rolle nicht, würde sie ihre eigene Lebensgrundlage verlieren. Deswegen ist es wichtig, dafür einzutreten, dass solche Posten zum einen immer rechenschaftspflichtig sind sowie wähl- und abwählbar und niemand mehr verdient als den Durchschnittslohn. Das allein ist keine Garantie für kämpferische Entscheidungen, jedoch bringt es uns Kontrolle darüber, wer beispielsweise Abläufe von Tarifrunden organisiert.

Kündigt die Schlichtungsvereinbarungen!

Einen ersten praktischen Schritt kann eine Kampagne gegen die Schlichtungsvereinbarung setzen. Schließlich müssen wir aus Fehlern lernen, um nicht noch mehr Kolleg:innen zu demotivieren. Denn dass es in der Tarifrunde für den öffentlichen Dienst zu einem Schlichtungsverfahren gekommen ist, ist nicht weiter verwunderlich. Ver.di und der VKA trafen eine Vereinbarung, die eine der beiden Seiten dazu verpflichtet, einer Schlichtung zuzustimmen, wenn es die andere wünscht. Wie schon bei der Konzertierten Aktion spielte diese Vereinbarung in den Köpfen der ver.di-Verhandlungsführer:innen eine Rolle bei ihrer „Taktikfindung“. Gleichzeitig ermöglichte sie ihnen auch, sich rhetorisch bis zur Schlichtung kämpferischer darzustellen, um dann durch die Schlichtung den sozialpartner:innenschaftlichen Kompromiss auszuhandeln.

Weiterhin erfüllte die Schlichtung auch die Funktion, die Mobilisierungen der Kolleg:innen zu bremsen und die Diskussionen aus den Streikversammlungen/-cafés hin in die Schlichtungskommission zu lenken. Anstatt das Schlichtungsabkommen als in Stein gemeißelt anzuerkennen, hätte ver.di das Abkommen fristgerecht für diese Tarifrunde kündigen können. Hierzu wurden auch in unterschiedlichen Städten, z. B. in Berlin, Anträge in Streikversammlungen eingebracht und mit großer Mehrheit angenommen. Auch wenn diese Anträge für die Tarifkommission nicht bindend waren, konnten sie als Gradmesser verwendet werden, um die Stimmung der Kolleg:innen abzubilden sowie Druck auf die Tarifkommission und die ver.di-Führung auszuüben. Des Weiteren hätten die Verhandlungen als gescheitert erklärt werden sollen, um die Urabstimmung für einen unbefristeten Erzwingungsstreik für unsere Forderungen vorzubereiten und diesen auf den Weg zu bringen. Jetzt gilt es, uns zu organisieren und unter anderem dagegen aufzustellen, sodass sich das nicht erneut wiederholt!

Urabstimmung = Erzwingungsstreik?

Eine Urabstimmung wäre also der richtige nächste Schritt für die Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst gewesen. Diesen hätten wir entgegen der Taktik des Vorstands und der Verhandlungsführer:innen von unten durchsetzen müssen. Aber hätte ein positives Ergebnis auch gleichzeitig bedeutet, dass es zu einem Erzwingungsstreik gekommen wäre? Hier lohnt es, auf die Tarifverhandlungen bei der Post zu schauen. Auch hier war die Streikbeteiligung sehr hoch und kämpferisch, die Urabstimmung wurde von der ver.di-Führung eingeleitet, dann aber trotz breiter Zustimmung der Beschäftigten nicht als Mandat für einen Erzwingungsstreik verwendet, sondern ganz in sozialpartner:innenschaftlicher Manier als „Verhandlungsmasse“ angesehen. Es wurde nicht gemäß dem Wunsch der Kolleg:innen gehandelt, sondern nur der „Druck“ auf die Arbeit„geber“:innenseite forciert, um das Angebot zu verbessern. Dass dadurch der Abschluss in keinster Weise besser ausfiel als das letzte Angebot vor der Urabstimmung, störte die ver.di-Führung nicht. Sie verkaufte es dennoch als Gewinn für die Kolleg:innen, die ohne das klare Statement in der Urabstimmung nicht zustande gekommen wäre. Auch hier zeigt sich wieder, dass die Gewerkschaftsführung ihrem Charakter nach in erster Linie auf Kompromisse aus ist und nicht die Interessen der Beschäftigten vertreten kann und möchte. Das macht verständlicherweise wütend! Lasst uns diese Wut nutzen, um nachhaltig was zu verändern. Statt Geheimniskrämerei und Pseudointegration brauchen wir deswegen:

  • Nein zu allen Gesprächen hinter verschlossenen Türen, keine Geheimhaltungspflicht für die Tarifkomissionen! Verhandlungen sollen öffentlich über das Internet übertragen werden!
  • Keine Abschlüsse ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Rechenschaftspflicht und Wahl der Tarifkommission durch die Basis!
  • Regelmäßige Streikversammlungen in allen Betrieben und Abteilungen! Wähl- und Abwählbarkeit der Streikleitungen durch die Mitglieder!
  • Für den Aufbau einer klassenkämpferischen Basisopposition in den Gewerkschaften! 

Wut im Bauch? Aufbau einer Basisopposition statt Austritt!

Die Forderungen, für die wir mobilisiert wurden und für welche wir neue Kolleg:innen für die Gewerkschaften gewonnen haben, wurden erneut von ver.di nicht ernst genommen. Die Mobilisierungen wurden ausgebremst und die Argumente der Gegenseite übernommen. Es ist völlig verständlich, wenn sich viele nun verraten fühlen und sich ihre Mitgliedschaft nochmal durch den Kopf gehen lassen. Was wir aus diesen Erfahrungen jedoch lernen sollten, ist nicht, dass eine Mitgliedschaft in den Gewerkschaften sinnlos ist. Ganz im Gegenteil, sie zeigen, dass es eine organisierte Opposition gegen die Führungen innerhalb der Gewerkschaften braucht, um sich gemeinsam zu vernetzen und gegen die Argumente von oben zu bewaffnen und zu koordinieren. Dafür arbeiten wir als Gruppe Arbeiter:innenmacht in der „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)“ mit und rufen alle Kolleg:innen und Strukturen mit dem gleichen Ziel dazu auf, sich daran zu beteiligen. (Werbung für Workshop der VKG auf der Konferenz)

Klassenkämpferische Basisbewegung und politische Alternative

Eine organisierte, antibürokratische Opposition in den Gewerkschaften muss unserer Meinung nach nicht nur, wie oben skizziert, für Arbeiter:innendemokratie und eine konsequente Tarifpolitik kämpfen. Sie muss auch eine politische Alternative zur Sozialpartner:innenschaft und zum Reformismus der Bürokratie verkörpern.

Das heißt, eine klassenkämpferische Opposition braucht ein Programm des Klassenkampfes, das nicht nur gewerkschaftliche und betriebliche Forderungen konsequent vertritt, sondern alle Fragen von Unterdrückung und Ausbeutung wie Krieg, Rassismus, Sexismus, Imperialismus und ökologische Zerstörung thematisiert. Es braucht ein Programm, das über den rein gewerkschaftlichen Rahmen hinausgeht, nicht nur für höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten eintritt, sondern das System der Lohnarbeit, den Kapitalismus selbst in Frage stellt. Das heißt, wir müssen nicht nur den Aufbau eine Opposition in den Gewerkschaften diskutieren, sondern auch die Frage, welche politische Organisation wir brauchen, wie wir eine neue, revolutionären Arbeiter:innenpartei aufbauen können, welche Politik und welches Programm dazu notwendig sind.Mehr Demokratie?

Nach dem Streik ist vor dem Streik? Der TVöD/BK ist fast abgeschlossen und viele Kolleg:innen sind enttäuscht. Statt uns zu ärgern, den Kopf in den Sand zu stecken oder einfach auszutreten, wollen wir uns vernetzen und die Situation nutzen, um nachhaltig was zu verändern! Wenn du also Interesse hast, mit deinen Kolleg:innen die letzten Tarifrunden kritisch auszuwerten, dann komm vorbei! Unser Ziel ist, unsere Erfahrungen zu nutzen und unsere Kolleg:innen, bei denen Tarifverhandlungen direkt vor der Tür stehen, wie bei der EVG, direkt zu unterstützen. Denn die Probleme sind keinesfalls auf ver.di beschränkt, sondern haben System. Wenn wir also was verändern wollen, müssen wir uns zusammenschließen und gemeinsam für die Demokratisierung der Gewerkschaften kämpfen. Wie genau das aussehen kann und welche Initiative wir starten wollen, besprechen wir auf unserem Treffen!




Schlichterspruch im öffentlichen Dienst – Nein zu einem „Kompromissvorschlag“ mit Haken! Einleitung der Urabstimmung!

Susanne Kühn, Infomail 1220, 17. April 2023

Am 15. April veröffentlichte die Schlichtungskommission ihre Empfehlung für einen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst für Bund und Kommunen. Diese sieht folgende Schritte vor:

  • Einkommensteuerfreie Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 3.000 Euro (Juni 2023: 1.240 Euro, Juli 2023 bis Februar 2024: 220 Euro pro Monat)

  • Ansonsten bis März 2024: Nullrunde

  • Tabellenwirksame Erhöhung erst ab März 2024: 200 Euro 5,5 %, insgesamt mindestens 340 Euro

  • Einmalzahlungen für die Azubis von 620 Euro (Juni 2023) und dann monatlich 110 Euro. Ausbildungsentgelte erhöhen sich um 150 Euro ab März 2024

  • Laufzeit: 24 Monate ab Januar 2023 statt geforderten 12 Monate

Auch wenn der Spruch der Schlichtung nur eine Vorlage für die Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeit„geber“:innenverbänden am 22. April darstellt, so stehen die Zeichen auf Annahme. Der Vorsitzende der Kommission, der Bremer Verwaltungsrechtler Hans-Henning Lühr (SPD), der von den Gewerkschaften vorgeschlagen worden war, ist natürlich voll des Lobes für seine Empfehlung, die er als „fairen Interessenausgleich, für den natürlich auch viel Geld in die Hand genommen werden muss“, anpreist. Auch der von Bund und Kommunen benannte Stellvertreter der Kommission, der ehemalige sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU), hält die Annahme für „verkraftbar“.

Klar ist, dass die Vorsitzenden der Schlichtung und eine nicht näher definierte Mehrheit für die Empfehlung waren. Wer aber wirklich dafür (oder dagegen war), wissen wir nicht sicher. Schließlich gilt die Geheimhaltungspflicht – und an die halten sich die Vertreter:innen der Schlichtung mehr oder minder eisern.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Verhandlungsführerin für den Bund begrüßte jedenfalls die Einigung, was nahelegt, dass zumindest die Vertreter:innen des Bundes dafür sind. Unklar ist, wie es die kommunalen Arbeit„geber“:innen“ sehen, wo weit mehr Hardliner:innen sitzen. Lt. NEUES DEUTSCHLAND vom 17.4.2023, das sich hier auf die Süddeutsche Zeitung beruft, stimmten 24 der 26 Kommissionsmitglieder mit Ausnahme zweier Stimmen aus dem Arbeit„geber“:innenlager für den Vorschlag.

Offen kommuniziert wurde aber nichts. Unklar ist daher, wie die 12 gewerkschaftlichen Vertreter:innen und insbesondere jene von ver.di und GEW abgestimmt haben. Angesichts der neutral bis wohlwollend gehaltenen gewerkschaftlichen Außendarstellung liegt es wohl nicht fern, dass sie dafür stimmten. Aber sicher wissen wir das nicht. Denn die Vertreter:innen der Gewerkschaften verstecken sich hinter einer Verschwiegenheitspflicht, die vor allem eine gegenüber den eigenen Mitgliedern ist. Warum die „eigenen“ Vertreter:innen welches Votum abgaben, was in der Schlichtungskommission besprochen wurde und warum sie der Empfehlung zustimmten oder nicht – darüber wird die Mitgliedschaft erst gar nicht informiert, dazu sind sie den Mitgliedern nicht einmal rechenschaftspflichtig. Mit Demokratie hat diese Mauschelei, die vom Apparat weitgehend auch für die Tarifverhandlungen akzeptiert wird, nichts zu tun!

Diese Verschwiegenheitspflicht ist freilich nicht nur für die sog. Arbeitgeber:innen praktisch, sie nützt auch der Bürokratie und erschwert eine offene Diskussion und Aussprache über den angebotenen Schlichtungsspruch.

Einschätzung des Vorschlags

Und dies ist dringend nötig, weil der Spruch besser erscheint, als viele erwartet hatten – aber auch, weil er eben nur besser erscheint. Gefordert waren 10,5 %, aber mindestens 500 Euro. Ein solches Ergebnis hätte bedeutet, dass bis zu einem Einkommen von 4.762 Euro alle 500 Euro erhalten hätten, für alle darüber hinaus eine starke prozentuale Steigerung eingetreten wäre.

Die Kombination von Sockel (200 Euro) und Prozenten (5,5 %) aus dem Schlichtungsvorschlag ergibt eine kontinuierliche Steigerung über fast alle Gehälter, die dafür nicht so heftig ausfällt. Die Mindesterhöhung 340 Euro kommt nur in der Entgeltgruppe 1 und dem Einstiegsgehalt bei EG 2 und EG 20 zum Tragen. Insgesamt steigen jedoch die mit den geringsten Einkommen vergleichsweise schlecht aus.

Gegenüber der Forderung ist also die Mindesterhöhung niedriger, die hohen Gehälter erhalten eine deutlich geringere Steigerung. Für einen sehr großen Teil der Beschäftigten, alle die derzeit in Vollzeit bis 4.220 Euro erhalten, bedeutet die Schlichtungsempfehlung eine Erhöhung von mindestens 10,5 %. Und auf dessen Zustimmung dürften die Gewerkschaftsvorstände spekulieren.

Zwei Jahre Laufzeit sind ein Jahr zuviel

Der große Haken bei der Empfehlung ist nicht die Kombination von Sockel und prozentualer Steigerung, sondern – einmal mehr – die Laufzeit.

Zwei Jahre bedeuten zwei Jahre Stillhalten, zwei Jahre Friedenspflicht und damit zwei Jahre „Planungssicherheit“ für die sog. Arbeitgeber:innen, die in kritischen Bereichen wie bei den Krankenhäusern die nächsten „Reformen“ über die Bühne bringen wollen.

Zwei Jahre Laufzeit bedeuten zudem auch, dass wir über diesen Zeitraum nicht auf weitere Preissteigerungen und damit verbundene Reallohneinbußen reagieren können.

Zwei Jahre Laufzeit bedeuten, dass die tabellenwirksame Lohnerhöhung unter der Preissteigerung bleiben würde, wenn sie auf ein Jahr umgerechnet wird.

Bezüglich der Inflation sollen die Beschäftigten statt einer vollen Lohnerhöhung mit einer einkommensteuerfreien Prämie von insgesamt 3.000 Euro geködert werden. Das bringt den Beschäftigten kurzfristig mehr Cash, aber keine Punkte bei der Rente. Die Summe hört sich schön an, geht aber nicht in die Tariftabelle ein – und entlastet damit Bund und Kommunen bei der nächsten Tarifrunde.

Nein!

Daher müssen wir die Tarifkommission bei den Versammlungen in den nächsten Tagen deutlich unter Druck setzen und auffordern, den Spruch der Schlichtung abzulehnen und den Kampf für die vollen 10,5 % und 500 Euro Mindesterhöhung bei einer Laufzeit von einem Jahr aufzunehmen. Am Verhandlungstisch wird das auch am 22. April nicht erreichbar sein. Daher sollte die Urabstimmung eingeleitet werden, um möglichst rasch zum Erzwingungsstreik überzugehen.

Die Mobilisierung bei den Warnstreiks mit rund einer halben Million Beteiligten hat gezeigt, dass wir kampffähig sind. Auch einige Zugeständnisse der Schlichtung verdeutlichen, dass die sog. Arbeitgeber:innen unsere Macht fürchten, wenn wir sie denn einsetzen. Daher:

  • Nein zum Schlichtungsergebnis!

  • Wir brauchen einen Erzwingungsstreik! Vorbereitung und Einleitung einer bindenden Urabstimmung!

  • Nein zu allen Gesprächen hinter verschlossenen Türen! Verhandlungen sollen öffentlich über das Internet übertragen werden! Keine Abschlüsse ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Rechenschaftspflicht und Wahl der Tarifkommission durch die Basis!

  • Regelmäßige Streikversammlungen in allen Betrieben und Abteilungen! Wahl und Abwählbarkeit der Streikleitungen durch die Mitglieder!

  • Wahl und Entsendung von Delegierten zu einer bundesweiten Streikdelegiertenkonferenz, um hier gemeinsam über die nächsten Schritte im Arbeitskampf zu beraten!



Organisierung von oben – Buchbesprechung von A Collective Bargain (McAlevey)

Tim Nailsea, Workers Power, Infomail 1220, 12. April 2023

A Collective Bargain –  Unions, Organizing and the Fight for Democracy (Macht. Gemeinsame Sache. Gewerkschaften, Organizing und der Kampf um die Demokratie, VSA Verlag, Hamburg 2021) ist nach Raising Expectations (and Hell) und No Shortcuts (Keine halben Sachen. Machtaufbau durch Organizing. VSA Verlag, Hamburg 2019) das dritte Buch von Jane McAlevey. Diese Bücher bilden eine nützliche Lektüre für aktive Gewerkschafter:innen und die Grundlage für ihr internationales Organizing-Netzwerk O4P, das sich auf seiner Website rühmt, seit September 2019 fast 25.000 Organizer:innen aus 110 Ländern beherbergt zu haben.

A Collective Bargain wurde im Kontext der Trump-Präsidentschaft und der daraus resultierenden Krise der Linken geschrieben. McAlevey argumentiert, dass die von ihr entwickelte Organizing-Methode in der politischen Arena von Nutzen sein kann.

Methoden

Im Hinblick auf Organizing befürwortet McAlevey „zwei Schlüsselmethoden“: Strukturtests – um die Popularität der Gewerkschaft, das Engagement der Mitglieder und ihre Bereitschaft zu Aktionen zu messen – und die Identifizierung von „organischen“ Führungspersönlichkeiten in den Betrieben durch Organisanizer:innen, um den Kampf voranzutreiben.

Beide Methoden können für jene nützlich sein, die ernsthaft versuchen, ihren Arbeitsplatz zu organisieren, aber es hängt viel davon ab, wie und von wem sie eingesetzt werden. Für Organizer:innen, die auf erfolgreiche Aktionen hinarbeiten wollen, könnten Strukturtests wertvoll sein. Aber auch für viele Gewerkschaftsführer:innen könnten endlose Strukturtests, Urabstimmungen oder eintägige Streiks dazu dienen, die Beschäftigten den Berg hinauf und wieder hinunter marschieren zu lassen, und so die Kraft zu schwächen, anstatt sie aufzubauen.

Ebenso ignoriert McAlevey mit ihrem Fetisch, eine „Supermehrheit“ zu gewinnen, bevor sie offen organisieren, geschweige denn streiken kann, die Lehren der Kommunist:innen, Sozialist:innen und Syndikalist:innen, die Organisierung als Teil des Klassenkampfes sahen. Sie befürwortet zwar die Mobilisierung sozialer Bewegungen zur Unterstützung der gewerkschaftlichen Organisierung, aber wenn sich die Gelegenheit zu Massenstreiks bietet, müssten all diese übervorsichtigen Methoden in den Hintergrund treten.

Ihre Methode ignoriert auch die Notwendigkeit, auf schwerwiegende Angriffe mit sofortigen Maßnahmen zu reagieren, die radikalisierende Wirkung eines Streiks und die Tatsache, dass die großen Wellen der gewerkschaftlichen Organisierung sich nicht auf betriebliche „Strukturtests“ oder die Sicherstellung einer Supermajorität beschränkten und es auch nicht konnten.

Wenn es um die Identifizierung von Führungspersönlichkeiten geht, sind Menschen, die sich selbst als Gewerkschaftsaktivist:innen bezeichnen, möglicherweise keine Führungspersönlichkeiten. Sie könnten das sein, was McAlevey als „Großmäuler“ bezeichnet, die von ihren Kolleg:innen einfach ignoriert werden mögen.

Stattdessen schlägt sie vor, „organische Führungspersönlichkeiten“ auszuwählen, d. h. Personen, die aufgrund ihrer Erfahrung oder ihrer Fähigkeiten Einfluss auf ihre Kolleg:innen haben, charismatisch sind oder sich selbstbewusst gegenüber der Geschäftsleitung verhalten. Eine erfolgreiche Organisierungskampagne sollte sich darauf konzentrieren, solche Beschäftigten zu gewinnen, um das Machtgleichgewicht zugunsten der Gewerkschaft zu verschieben, auch wenn sie der Gewerkschaft zunächst skeptisch oder feindlich gegenüberstehen.

McAlevey unterschätzt jedoch, wie die Identifizierung von Führungspersönlichkeiten, wenn sie von Gewerkschaftsfunktionär:innen vorgenommen wird, zur Auswahl solcher Führer:innen führen kann. Wenn eine solche organische Führungspersönlichkeit ihre Position hauptamtlichen Organisator:innen verdankt und nicht ihren Kolleg:innen , wenn sie nur durch den Gewerkschaftsapparat ersetzt werden kann und nicht durch diejenigen, die sie anführt, dann führt dies nicht langfristig zu einer stärkeren Beteiligung der Arbeiter:innen an ihrer Gewerkschaft und letztlich zu deren Kontrolle.

Prinzipien

McAlevey unterstützt jedoch „zwei Schlüsselprinzipien“: Demokratie und Beteiligung. Keine Kampagne kann ihrer Meinung nach erfolgreich sein, wenn sich die Arbeiter:innen nicht für sie verantwortlich fühlen und ihre Richtung mitbestimmen können. Ihr Verständnis von Gewerkschaftsdemokratie ist jedoch fragwürdig.

In A Collective Bargain geht sie auf diese Frage zwar nicht näher ein, aber in ihrem ersten Buch Gestiegene Erwartungen plädiert sie für eine Struktur, in der hauptamtliche Gewerkschaftsmitglieder gewählte Positionen besetzen. Die gewerkschaftliche Organisierung, so McAlevey, erfordert eine professionelle Führung.

Wie wir aus den Erfahrungen in den britischen Gewerkschaften wissen, wo sowohl die Basis als auch die hauptamtlichen Gewerkschaftsmitglieder um Positionen konkurrieren, werden die Aktivist:innen an der Basis oft von den Berufsgewerkschafter:innen verdrängt, die Zugang zur gewerkschaftlichen Infrastruktur haben, um Kampagnen durchzuführen. Für McAlevey bleibt die Basisorganisation als Ausbildungsstätte für Kämpfer:innen, die von der professionellen Bürokratie unabhängig sind, ein Buch mit sieben Siegeln.

Politik

Wie McAlevey glaubt, dass ihre Methoden in der Politik eingesetzt werden können, wird nicht wirklich erforscht. Sie ist eine US-Demokratin und sieht die Hauptschwäche der Demokratischen Partei darin, dass sie keine wirksamen Organizing-Methoden einsetzt, um ihre Basis zu mobilisieren. Aber sie geht nicht darauf ein, warum das so ist.

Die Demokratische Partei kann keine Methoden anwenden, die zu einer Organisierung und Radikalisierung am Arbeitsplatz führen, und zwar aus Gründen, die auf der Hand liegen sollten: Sie ist eine Partei der Kapitalist:innenklasse.

Die Lehrer:innen von Los Angeles, denen sie ein ganzes Kapitel widmet, befanden sich in direkter Konfrontation mit dem US-demokratischen Parteiapparat. Dies gilt auch für andere Gewerkschaftsaktivist:innen des öffentlichen Sektors in amerikanischen Großstädten. McAlevey weist auch auf die gewerkschaftsfeindliche Natur des Silicon Valley hin, das politisch fast ausschließlich demokratisch ist.

Natürlich ist die Demokratische Partei in keiner Weise eine Arbeiter:innenpartei. Aber könnten die Methoden von McAlevey innerhalb der britischen Labour Party angewendet werden?

Sie wurden in gewissem Maße in der Momentum-Bewegung ausprobiert, aber förderten keine demokratische Kontrolle, sondern überließen diese den von Jon Lansman und dem Team Corbyn ausgewählten Organizer:innen. Es wurden Kompromisse und Pakte geschlossen, um die Abgeordneten des rechten Flügels an Bord zu halten, während die Linken in den Wahlkreisen isoliert wurden.

Umwandlung der Gewerkschaften

A Collective Bargain ist wahrscheinlich das bisher am wenigsten wertvolle Buch von McAlevey. Raising Expectations war eine nützliche Darstellung der betrieblichen Organisierung in Amerika, und No Shortcuts ist ein klares und präzises Argument für ihre Organizing-Methode. Das jüngste Buch betritt wieder altbekanntes Terrain, so dass die gleichen Stärken und Schwächen zu Tage kommen.

Vor allem versteht sie weder als Organizerin noch als Akademikerin die Rolle der Gewerkschaftsbürokratie als Ganzes (im Gegensatz zu den konservativen Spitzenfunktionär:innen, die das Organisieren so lange vernachlässigt haben).

Hauptamtliche und Funktionär:innen, die die Gewerkschaften bestimmen, setzen sich für den Erhalt des Verhältnisses zwischen Lohnarbeit und Kapital ein. Ihre soziale Stellung hängt davon ab. Das ist die Quelle ihrer Feindseligkeit gegenüber der Basis, die durch die Eskalation von Konflikten bis zu dem Punkt, an dem die grundlegenden Interessen des Kapitals in Frage gestellt werden, „außer Kontrolle gerät“. Diese Ansicht liegt auch der Strategie von McAlevey zugrunde.

Die Arbeiter:innen hingegen haben kein Interesse daran, die kapitalistische Ordnung aufrechtzuerhalten, die ständig versucht, die Löhne zu drücken, die Arbeitsintensität zu erhöhen und sie regelmäßig aus der Arbeit zu werfen. Sozialist:innen versuchen, diese Spannung in den Gewerkschaften zum Vorteil der Arbeiter:innenschaft aufzulösen, indem sie die direkte Kontrolle der Lohnabhängigen über ihre Auseinandersetzungen und ihre Gewerkschaft einführen und so die Bürokratie als Ganzes auflösen.

Bei allen nützlichen Organizing-Methoden, die McAlevey befürwortet, ist diese Blindheit gegenüber der Bürokratie ein grundlegender Fehler in ihrer Analyse und ihrem Ausblick, der verhindert, dass ihr Werk ein Leitfaden für die Basis ist, um die Gewerkschaften zu transformieren und sie für den Sozialismus zu gewinnen.




Tarifrunde öffentlicher Dienst: Konsequenter Kampf oder fauler Verhandlungspoker?

Helga Müller, Neue Internationale, April 2023

So nahe an branchen- und gewerkschaftsübergreifenden gemeinsamen Streiks – nicht nur Warnstreiks – wie jetzt waren wir seit Gründung der sogenannten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di noch nie!

Gemeinsamer Warnstreik

Selbst sog. Tarifexpert:innen aus dem bürgerlichen Lager schreiben, dass dies eine neue Situation darstelle – und hetzen gegen angebliche „Erpressung“. Am Montag, den 27. März organisierten EVG (Verkehrsgewerkschaft im DGB) und ver.di einen gemeinsamen Warnstreik im gesamten öffentlichen Verkehr. In 7 Bundesländern wurde der kommunale Nahverkehr aufgerufen (in anderen blieb dies aus, da die Tarifverträge für den Nahverkehr in den Bundesländern unterschiedlich sind). Damit wäre der öffentliche Verkehr in mehreren Bundesländern lahmgelegt. In mehreren Städten, u. a. auch in München, gab es Solidaritätsaktionen zwischen den streikenden Post- und ver.di-Kolleg:innen. Die EVG rief die Beschäftigten zu einem eintägigen, zeitgleichen Warnstreik auf, was die Bahn AG dazu brachte, den Fernverkehr gleich einzustellen.

Und natürlich rennen die Unternehmer:innenverbände Amok dagegen. Die CDU-Mittelstandsvereinigung – also der „christliche“ Unternehmer:innenzusammenschluss – forderte bereits aufgrund der zweitägigen Warnstreiks an mehreren Flughäfen im Februar eine Einschränkung des Streikrechts. „Das Streikrecht dürfe nicht missbraucht werden, um im ‚frühen Stadium von Tarifverhandlungen unverhältnismäßig Druck auszuüben und durch die Einbeziehung kritischer Infrastrukturen schweren Schaden auszurichten‘, heißt es in einem Papier der Mittelstandsunion.“ (nd-aktuell, 20.2.23).

Während ver.di und EVG in den Warnstreik treten, geht unsere Zeitung in Druck. Eine Bilanz können wir an dieser Stelle daher noch nicht ziehen, aber eine solche werden wir auf unserer Homepage veröffentlichen. Eines wird aber schon jetzt deutlich: Der gemeinsame Warnstreik ist nicht nur ein längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung. Er verdeutlicht auch, dass alle Gewerkschafter:innen vor einer entscheidenden Frage stehen.

Entweder antworten wir auf massive Einkommensverluste mit einem gemeinsamen, branchenübergreifenden Abwehrkampf. Dann müssen die Warnstreiks als Auftakt für Urabstimmungen und befristete Erzwingungsstreiks für alle unsere Forderungen genutzt werden; dann müssen wir sie als Auftakt für eine über Lohnfragen hinausgehende politische Konfrontation mit Kabinett und Kapital führen, die auch den Kampf um Neueinstellungen von Hunderttausenden, für die Rekommunalisierung privatisierter Unternehmen und für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich umfassen muss.

Oder die gemeinsamen Warnstreiks bleiben nur ein einmaliges Signal, eine Drohgebärde an die sog. Arbeitgeber:innen, doch zum üblichen – und üblen! – Tarifrundenritual zurückzukehren. Dann werden Abschlüsse wie bei Metall, Chemie und Post folgen, die deutlich unter der Inflationsrate bleiben und uns mit zweijährigen Laufzeiten an die sog. Friedenspflicht fesseln.

Das steht an. Wir müssen jetzt die Chance ergreifen, alles zu tun, damit die volle Kampfkraft der Gewerkschaften entfaltet wird und die Tarifkommission und die Vorstände keine faulen Kompromisse am Verhandlungstisch aushandeln und uns nicht, wie jüngst bei der Post, ausverkaufen können.

Neue Lage

In einer Hinsicht haben die Kapitalist:innen nämlich recht. Wir befinden uns in einer neuen Situation: Die galoppierende Inflation, die zwar derzeit ein wenig abgeflacht ist, treibt viele Kolleg:innen aus dem öffentlichen Dienst, bei den Flughäfen, der Bahn, im öffentlichen Nahverkehr und vor allem auch bei der Post dazu, mit mehr Nachdruck für eine Lohnerhöhung, die auch tatsächlich die Inflation ausgleicht, zu kämpfen. Diese dringende Notwendigkeit nach einem realen Inflationsausgleich tendiert dazu, sich über die Branchen hinweg zu vereinen. Wir haben eine Inflation, die viele Kolleg:innen – nicht nur in den Niedriglohnsektoren – in Existenznöte bringt!

Diese Dringlichkeit eines existenzsichernden Einkommens und sicherlich auch die eindrucksvollen Massenstreiks und -demonstrationen in Frankreich gegen die Rentenreform von Macron und die vielen Streiks in Britannien gegen Personalnotstand und Unterfinanzierung der Gesundheitsversorgung tun ihr Übriges dazu, dass der Wille auch hier steigt, die aufgestellten hohen Forderungen durchzusetzen. Selbst der Apparat muss dem Rechnung tragen. Seit Jahrzehnten gab es keine so hohen Forderungen mehr: 15 % bei der Post, 10,5 %, mindestens aber 500 Euro im öffentlichen Dienst und 650 mehr bei der Bahn.

Landauf, landab wurden gemeinsame Warnstreiks des gesamten öffentlichen Dienstes – angefangen bei der Stadtverwaltung, über die Müllentsorgung, Arbeitsagenturen bis zu Kitas und Krankenhäusern – vor den vorerst letzten Verhandlungen am 27. bis 29. März inszeniert! Und die Beteiligung an den Arbeitskämpfen ist gut, besser als von manchem/r Gewerkschaftsverantwortlichen erwartet: So haben in München insgesamt über 6.000 Kolleg:innen aus dem gesamten öffentlichen Dienst am 21.3. bei einer Kundgebung ihrem Unmut gegen die öffentlichen Arbeit„geber“:innen von Bund und Kommunen Luft verschafft, in Köln waren es um die 12.000, in Gelsenkirchen um die 20.000 Beschäftigte, in Nürnberg 8.500 am 22. März!

In München z. B. – sicherlich auch in anderen Bezirken – wurde zum ersten Mal eine überbetriebliche und branchenübergreifende Arbeitskampfleitung gegründet, in der gewerkschaftliche Aktivist:innen und Gewerkschaftssekretär:innen aus dem öffentlichen Dienst, der Post, des öffentlichen Nahverkehrs gemeinsame Aktionen und Warnstreiks besprechen und vorbereiten.

Schulterschluss mit anderen Bewegungen und Kampfbereitschaft

Was noch zusätzlich als neues Element in dieser Tarifbewegung dazukommt ist der „Schulterschluss“ mit fortschrittlichen Bewegungen.

Im Bereich Nahverkehr – der großteils erst 2024 in Verhandlungen einsteigt – gibt es aus früheren Tarifrunden noch zahlreiche Verbindungen zur Klimabewegung. Am 3. März 2023 – dem weltweiten Klimastreiktag – kam es in vielen Städten zu gemeinsamen Aktionen und Kundgebungen, verbunden mit mehrtägigen Warnstreiks der Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr, von Gruppen der Klimabewegung wie FFF und streikenden Kolleg:innen.

Hier gibt es auch ein ganz klares gemeinsames Interesse: Ausbau des öffentlichen Nah- statt Individualverkehrs und Aufbau des entsprechenden Personals – eine der Forderungen der dort tätigen Beschäftigten. Dies durchzusetzen, geht nur gemeinsam mit Aktivist:innen aus der Klimabewegung und Kolleg:innen anderer Bereiche. Ein sinnvolles „Nebenprodukt“ dabei ist auch, dass diese gemeinsamen Aktionen von Klimabewegung und streikenden Kolleg:innen den Weg aufzeigen, wie die Klimabewegung aus ihrer Krise herauskommt und eine wichtige Verbindung mit der Arbeiter:innenbewegung eingeht!

Auch am 8. März, dem  Internationalen Frauenkampftag, kam es in vielen Städten zu gemeinsamen Kundgebungen und Demonstrationen von Frauenbewegung und streikenden Kolleg:innen aus dem Sozial- und Erziehungsdienst. Ein Manko dabei war, dass sich der ver.di-Bundesvorstand nicht dazu entscheiden konnte, alle Bereiche – nicht einmal jene, in denen vor allem überwiegend weiblich Beschäftigte arbeiten, also der ganze Bildungs- und Gesundheitsbereich –  zu Warnstreiks aufzurufen.

Aufgrund der großen Mobilisierungen – mehrere Hunderttausend Kolleg:innen waren und befinden sich in Warnstreiks – und der Notwendigkeit, einen Inflationsausgleich in diesen Tarifrunden durchzusetzen, sind über 45.000 neue Kolleg:innen in ver.di eingetreten.

Warnung Post

Bei der Post hat der Kampfeswillen dazu geführt, dass fast 86 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Kolleg:innen für einen unbefristeten Streik gestimmt hatten. Dazu hat sicherlich auch die Ignoranz der Konzernführung beigetragen, die Forderung nach 15 % mehr Lohn als unrealistisch zu bezeichnen, obwohl sie gleich zwei Jahre hintereinander ihre höchsten Gewinne eingestrichen hat bei gleichzeitiger Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Löhne für die Kolleg:innen. Interessanterweise lief die Urabstimmung bei der Post über unbefristete Streiks bis zum 8. März, dem Internationalen Frauenkampftag. Trotz dieser großen Zustimmung ging die Tarifkommission in Verhandlungen und vereinbarte ein unterirdisches Ergebnis – das nichts anderes als einen Reallohnverlust bedeutet (siehe dazu den Artikel in diese Ausgabe).

Worüber nun die Kolleg:innen zwar wieder in einer Urabstimmung bis zum 30. März abstimmen müssen, es aber nur ein Quorum von 25 % braucht, um angenommen zu werden. Ein absolut undemokratisches Vorgehen von Seiten der Verhandlungsführung, aber auch kein, Wunder sitzen doch viele ver.di Verantwortliche wie die Verhandlungsführerin Andrea Kocsis im Aufsichtsrat und streichen dort Gelder ein, auch wenn sie einen bestimmten Teil an ver.di abgeben müssen. Laut Satzung sind sie doch schon aufgrund dieser materiellen Besserstellung weit von den Interessen der Kolleg:innen entfernt und verstehen sich als Vermittler:innen zwischen den Kapitalinteressen und denen der Kolleg:innen, anstatt sich für diese ohne Wenn und Aber einzusetzen!

Darüber hinaus ist der Bund immer noch größter Anteilseigner der Post AG. Über die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau hält die Bundesregierung über 20 Prozent der Aktienanteile und dies garantiert ihm eine jährliche Dividendenauszahlung. Dieses Jahr erhält der Bund fast eine halbe Milliarde Euro, auf die die ver.di-Führung nicht verzichten will. Dafür opfert sie dann gerne einen konsequenten Kampf für die Durchsetzung der Forderungen! Gleichzeitig fürchtet sie natürlich in einer solchen Situation eine unkontrollierbare Mobilisierung der Kolleg:innen, die über ihren eigene Branche hinausgehen könnte und Beispielfunktion für die Beschäftigten in den anderen Bereichen, die sich gerade im Tarifkampf befinden, ausüben könnte. Damit würde sie ihre Rolle als Garantin für eine geregelte Tarifauseinandersetzung in Frage stellen und wäre für die Kapitalseite unbrauchbar!

Kein Vertrauen in den Bürokratie!

Auch wenn derzeit – kurz (zur Zeit des Redaktionsschlusses) vor den vorerst letzten Verhandlungen im öffentlichen Dienst – überall beeindruckende und gemeinsame Streiks stattfinden mit guter Beteiligung der aufgerufenen Bereiche, heißt das aufgrund dieser Erfahrungen nicht, dass die Verhandlungsführung rund um den ver.di-Vorsitzenden Werneke und die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Behle (zuständig im Bundesvorstand für den öffentlichen Dienst) auch tatsächlich einen besseren Abschluss als der bei der Post aushandelt!

In der Regel ist es immer so, dass, wenn kurz vor den entscheidenden Verhandlungen in einem anderen Bereich von ver.di ein Ergebnis zustande kommt, dieses die Grundlage für den nächsten Tarifbereich darstellt. Von daher ist zu befürchten, dass es zu einem schlechten Abschluss kommen könnte. Aber bisher scheinen die öffentlichen Arbeit„geber“:innen nicht gewillt, ver.di entgegenzukommen, es sei denn das Kalkül der ver.di-Führung geht auf und der gemeinsame Warnstreiktag von ver.di und EVG entwickelt soviel Druck, dass sie doch noch nachgibt, bevor es zu unvorhersehbaren Mobilisierungen kommt. Gleichzeitig ist und bleibt der Druck und damit auch die Erwartungshaltung der Gewerkschaftsmitglieder hoch, so dass durchaus zu erwarten ist, dass es zu einem Scheitern der bisher letzten Verhandlungen kommen könnte.

Doch bevor es im öffentlichen Dienst zu einer Urabstimmung über unbefristete Streiks kommen wird, die aller Wahrscheinlichkeit nach derzeit auch so eindeutig wie bei der Post ausgehen würde, wird es zu einem Schlichtungsverfahren kommen. Dieses hat ver.di trotz mehrerer Beschlüsse aus Gremien nicht gekündigt, solange noch Zeit war. Mit Sicherheit werden die Arbeit„geber“:innen dieses einleiten wollen. Damit ist auch ver.di gezwungen, sich daran zu beteiligen. Hier wird unter einem/r Vorsitzenden – meistens ein/e erfahrene/r Politiker:in – unter Einhaltung der Friedenspflicht weiterverhandelt. Auch hier ist die Gefahr groß, dass sich die Beteiligten auf einen faulen Kompromiss einigen. Darüber hinaus übt dieses Schlichtungsverfahren auch die Funktion aus, die Dynamik aus den Streiks rauszunehmen. Je länger die Schlichtung dauert, desto umwahrscheinlicher wird ein unbefristeter Streik!

Wir dürfen darüber hinaus nicht zulassen, dass die Gegenseite über den Weg des Schlichtungsverfahrens den Streik aushebeln kann. Deswegen haben auch Versammlungen in mehreren Städten wie Berlin und Leipzig mit großer Mehrheit, teilweise sogar einstimmig, beschlossen, dass es keinen Alleingang der Tarifkommissionen und Vorstände bei der Festlegung der Kampftaktik geben darf, sondern dass diese von der Basis kontrolliert und bestimmt werden muss (siehe: https://vernetzung.org/resolutionen-zur-tarifrunde-des-oeffentlichen-diensts).

Kampfesführung

Ver.di und EVG haben sich zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieser Zeitung dazu entschieden, am Montag, den 27. März, dem ersten Tag der vorerst letzten Verhandlungen im öffentlichen Dienst, einen bundesweiten gemeinsamen Warnstreik zu organisieren. Aufgerufen sind neben der Bahn der gesamte Verkehr des öffentlichen Dienstes – von Flughäfen, über kommunale ÖPNV-Betriebe in sieben Bundesländern, Teile der kommunalen Häfen, Autobahngesellschaften bis hin zur Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Ein Megastreik – wie ver.di diesen Warnstreiktag bezeichnet!

Ja, ein veritabler Massenstreik, aus dem sich die politische Kraft entwickeln könnte, die die Forderungen gegen die derzeitige Front der öffentlichen Dienstherr:innen und Konzernleitungen für Millionen Kolleg:innen durchsetzen könnte. Mehr noch, die Kraft, die wir brauchen, um den Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf unseren Rücken, gegen Klimakatastrophe und Aufrüstung – diese kapitalistische Weltordnung hat uns nur Chaos, Krieg und Verwüstung zu bieten – aufnehmen zu können!

Diese Entscheidung widerspiegelt ganz offensichtlich, dass sowohl ver.di als auch EVG unter einem doppeltem Druck stehen: einerseits von den vielen Hunderttausenden Kolleg:innen, die sich derzeit in Tarifkämpfen mobilisieren und von Seiten der Arbeit„geber“:innen, die gerne ungeschoren aus diesen Tarifrunden herausgehen wollen. Letzteres kann dazu führen, dass der Apparat weiter zu gehen gezwungen ist, als er will.

Wie der Kampf weitergeht, hängt aber entscheidend davon ab, wie viel Druck die Kolleg:innen an der Basis entwickeln können und vor allem, ob sie in der Lage und auch bereit sind, einen Schritt weiter zu gehen und zu beginnen, Instrumente und Strukturen aufzubauen, mit Hilfe derer sie in der Lage sind, den Gewerkschaftsführungen ihren Willen aufzuzwingen! Anstatt am Schluss der Tarifrunde enttäuscht wieder zurück zur Arbeit zu gehen, auf die Gewerkschaftsspitze zu schimpfen und die Gewerkschaftsbücher hinzuwerfen!

Das A und O dafür, dass dieser gemeinsame Kampf nicht eine Eintagsfliege bleibt, um Druck auf die Unternehmen auszuüben, und die Kämpfe erfolgreich geführt, also alle Forderungen erfüllt werden können, liegt darin, dass die Kolleg:innen sich dafür einsetzen, auf breiten Streikversammlungen über den Verhandlungsstand informiert zu werden, diskutieren und entscheiden zu können, wie ihr Kampf weitergeführt wird. Diese Entscheidungen müssen sowohl für die Tarifkommission als auch den Bundesvorstand, der letztlich über die Streiks entscheidet, bindend sein!

Um diese Diskussionen organisiert führen zu können, sind gewählte Streikkomitees notwendig, die gegenüber den streikenden Kolleg:innen rechenschaftspflichtig und von ihren Vollversammlungen jederzeit abwählbar sind. D. h., diese müssen sich dafür einsetzen, dass sie selbst die Kontrolle darüber erringen. Erste Elemente dieser elementaren Arbeiter:innendemokratie haben sich in den beiden Krankenhausbewegungen von Berlin und NRW herauskristallisiert. Letzten Endes ist das nur möglich, wenn sich eine politische Kraft in ver.di und allen DGB-Gewerkschaften herausbildet, die bewusst den Kurs der Anpassung aller Gewerkschaftsführungen an Kapitalinteressen und angebliche Sachzwänge in einer antibürokratischen Basisbewegung bekämpft. Einen Ansatz dafür stellen heute die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften und ihre lokalen Strukturen dar.

  • Einzelne Streiktage reichen nicht! Schluss mit der Zersplitterung! Gemeinsame Aktionen mit der Bahn und allen anderen Kämpfen! Aufbau von Unterstützungskomitees, um die Öffentlichkeit zu informieren!

  • Wir brauchen einen Erzwingungsstreik! Vorbereitung und Einleitung der Urabstimmung anstatt monatelanger Verhandlungsrituale oder gar Schlichtung!

  • Für gläserne Tarifverhandlungen! Nein zu allen Gesprächen hinter verschlossenen Türen! Verhandlungen sollen öffentlich über das Internet übertragen werden! Keine Abschlüsse ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Rechenschaftspflicht und Wahl der Tarifkommission durch die Basis!

  • Regelmäßige Streikversammlungen in allen Betrieben und Abteilungen! Wahl und Abwählbarkeit der Streikleitungen durch die Mitglieder!



Kritische Bilanz der bundesweiten „Genug ist Genug!“-Konferenz

Valentin Lambert/Lukas Müller, Infomail 1217, 22. März 2023

Am 03./04. März 2023 fand in den Räumlichkeiten der Universität Halle das erste bundesweite Vernetzungstreffen von „Genug ist Genug!“ (GiG) statt. Angekündigt wurde dieses als „Aktionskonferenz“. Gut 80 Aktivist:innen, die meisten davon bereits politisch organisiert und jünger als 30 Jahre, nahmen an der Konferenz teil. Die Kampagne wurde 2022 vor allem von Jacobin-Magazin und linken Hauptamtlichen aus GEW und ver.di ins Leben gerufen, um gegen die steigenden Preise und die soziale Schieflage zu kämpfen. Zu diesem Zweck wurden die folgenden Forderungen aufgestellt:

1. 1000 Euro Wintergeld für alle. 2. Das 9-Euro-Ticket verlängern. 3. Löhne endlich erhöhen. 4. Energiepreise deckeln. 5. Energieversorgung sichern. 6. Krisenprofiteur:innen besteuern.

Konferenz mit dem Ziel, „Schluss zu machen mit all der Ungerechtigkeit“

An Gruppen konnten wir wahrnehmen: SDAJ, SDS, FAU, Falken, Grüne Jugend, Soli-Netz, Armutsbetroffeneninitiative, ver.di und uns als GAM. Besonders stark vertreten waren die Grüne Jugend und ver.di. Eine große Mehrheit der Aktivist:innen sagte aus, noch im Studium zu stecken, ein kleinerer Teil stellte sich als Gewerkschaftsfunktionär:innen vor. Als Beschäftigte/r aus den Betrieben stellte sich kaum jemand vor, bis auf wenige Redner:innen beim Auftakt, welche teilweise als Gäste eingeladen wurden.

Die Aktionskonferenz hatte das Ziel, „sich für die anstehenden Kämpfe aufzustellen“, um „Schluss zu machen mit all der Ungerechtigkeit“. Am ersten Abend wurde über die Aktivitäten der letzten sechs Monate berichtet. Thesen zur aktuellen politischen Lage wurden vorgestellt und eine sehr kurze offene Debatte geführt. Den Auftakt bildeten Eröffnungsreden von Beschäftigten aus verschiedenen Branchen, u. a. aus der Krankenhausbewegung in NRW, dem Fabrikkollektiv GKN aus Italien und der Initiative #ichbinarmutsbetroffen. Außerdem redete eine Reihe von Gewerkschaftsfunktionär:innen.

GiG orientiert sich um

In den Thesen zur aktuellen Lage in Deutschland wurde festgestellt, dass der erhoffte „heiße Herbst“ von linken Kräften ausblieb. Die Proteststimmung sei nun weg. Trotzdem sei die Lage prekär und es müsse irgendwie weitergehen, aber auf anderen Wegen. Durch die anstehenden bzw. laufenden Tarifverhandlungen rücken Arbeitskämpfe und der Streik als Mittel nun in den Vordergrund der politischen Kämpfe. In Zukunft möchte sich die Kampagne daher innerhalb der Tarifkämpfe einbringen. Die Tarifverhandlungen seien so politisch wie lange nicht mehr und sollen gesellschaftliches Gewicht erlangen.

Diese Analyse und die Schlussfolgerung sind soweit sehr richtig, aber auch mehr oder weniger Allgemeingut. Zudem ging die Analyse kaum über diese wenigen Sätze hinaus und war nach 5 – 10 Minuten abgehandelt. Die Frage, warum es nicht gelungen ist, Massenproteste von links zu initiieren, die durchaus vorhandene Wut der Menschen in die richtigen Bahnen zu lenken, ja an etlichen Orten stattdessen die Rechten das Ruder übernommen haben und was wir daraus lernen können, wurde nicht bearbeitet. Zudem wurde nicht darauf eingegangen, dass die Tarifkämpfe zwar polarisierter sind und heftiger mobilisiert wird, dass sie zugleich aber unter Kontrolle der Bürokratie stattfinden und auch den Rahmen ökonomischer Kämpfe nicht verlassen haben.

Die abschließende „offene Debatte“ wirkte verkürzt und war mit einer einminütigen Redezeit und einem Beitrag pro Person quasi nicht möglich. Bei mehr als 80 Personen ist so etwas zwar zwangsläufig nicht einfach, allerdings für einen tatsächlich bundesweiten Austausch dennoch von zentraler Bedeutung. Hier hätte man deutlich mehr Zeit einplanen müssen. Vom Podium wurde dazu aufgerufen, die Redezeit zu nutzen, um anzureißen, welche Themen man am nächsten Tag vertiefen möchte. Allerdings waren diese hierfür bereits gesetzt und Raum für in der offenen Debatte aufgekommene Themen gar nicht vorgesehen.

Kämpferische Bewegung von unten oder geordnete Bahnen?

Am zweiten Tag der Aktionskonferenz fanden Workshops und Arbeitsgruppen statt, welche auch nach der Konferenz weiter aktiv sein sollen: Inflation und Preise, öffentlicher Dienst, Post, Bus und Bahn, GiG an den Unis, Social Media und interne Kommunikation. Diese schienen überwiegend von Gewerkschaftshauptamtlichen vorbereitet worden zu sein. Wir beteiligten uns am Workshop zum TVöD.

Hier wurden vor allem verschiedene Möglichkeiten diskutiert, wie man die Aktionen der Beschäftigten „von außen“ unterstützen kann. Diskutiert wurde aber auch über die starren Strukturen der Gewerkschaften. Von der Genossin aus der Krankenhausbewegung in NRW wurde von Erfahrungen der Selbstorganisation von unten berichtet, was nicht gerade auf Begeisterung seitens der an der Debatte beteiligten Gewerkschaftsfunktionär:innen stieß.

Die Idee der Zusammenführung von Streiks zu einem Generalstreik wurde von der ver.di-Funktionärin Jana Seppelt aus Berlin aufgrund einer angeblichen Spaltung der Bewegung abgelehnt und es wurde vor einem utopischen „Überschuss“ gewarnt. Die Kritik einer marxistischen Gruppe auf einem GiG-Treffen in Berlin an der Beteiligung der Grünen Jugend, da die Grünen im Bundestag gegen eine Vermögenssteuer gestimmt haben, bezeichnete Jana Seppelt in Halle als „linksradikale Kleinscheiße“. Im Allgemeinen wurde/n selbst auf vorsichtige Kritik an der Gewerkschaftsführung umgehend mit entsprechenden Gegenredebeiträgen von Gewerkschaftssekretär:innen reagiert und kämpferische Vorschläge eher ausgebremst.

GiG ist leider noch nicht genug

Als im vergangenem Jahr linke Gewerkschafter:innen und andere Aktivist:innen „Genug ist Genug!“ aufbauten, um einen bundesweit koordinierten Kampf gegen die Krise zu entfalten, ergriffen sie eine bitter nötige und unterstützenswerte Initiative. Auch die nun vollzogene Orientierung auf die Tarifkämpfe und der Versuch, diese zusammenzuführen und die gesellschaftliche Debatte dadurch insgesamt zu prägen, sind für sich genommen richtig. Allerdings weisen die Struktur und die Strategie von GiG unserer Ansicht nach Schwächen auf und sind zumindest in ihrer aktuellen Form noch nicht geeignet, diesen Aufgaben gerecht zu werden.

Welche Struktur brauchen wir?

So wurden von verschiedenen Personen zu Recht die eher undurchsichtigen Strukturen und Verantwortlichkeiten von GiG kritisch angesprochen. Ist GiG ein Bündnis oder eine eigene Organisation? Wer trifft die Entscheidungen und schnürt die Kampagnen? Auch auf der Konferenz war für uns nicht ersichtlich, wer die Leute sind, die da vorne auf dem Podium sitzen und die Konferenz organisiert haben. Ein gewähltes bundesweites Koordinierungsgremium, welches politisch verantwortlich und rechenschaftspflichtig ist, Protokolle seiner Arbeit intern veröffentlicht und so weiter, scheint es nicht zu geben. Bisher hat GiG vor allem so funktioniert, dass „von oben“ vorgefertigte Kampagnen und Materialien „unten“ in den Ortsgruppen einfach reproduziert wurden, ohne dass die Aktivist:innen und Gruppen vor Ort diese inhaltlich mitgestalten konnten. Die Tatsache, dass GiG behauptet, 38 Ortsgruppen zu haben, sich aber nur gut 80 Leute an der ersten bundesweiten Konferenz beteiligten, zeigt, dass die Struktur von einer lebendigen Kultur der Mitgestaltung weit entfernt ist und/oder viele Ortsgruppen gar nicht mehr aktiv sind.

Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass GiG fast ausschließlich aus Studierenden zu bestehen scheint. Natürlich ist es löblich, wenn sie, die nicht unmittelbar von Tarifkämpfen betroffen sind, diese unterstützen wollen. Ein Fehler ist es aber, diesen Zustand nicht überwinden und mit den Beschäftigten aus den Betrieben praktisch wie organisatorisch zu einer gemeinsamen Bewegung verschmelzen zu wollen. So wurde von der Vertreterin der Grünen Jugend sogar explizit vorgeschlagen zu versuchen, primär Studierende in die Arbeit einzubinden, denn diese hätten im Gegensatz zu Beschäftigten Zeit. In den ganzen Debatten wurde von GiG gesprochen als einer Supporter:innenstruktur, welche von außen an die Streiks herantritt, den Beschäftigten und der Gewerkschaftsführung bei ihrem Kampf zur Hand geht, die Moral durch die gezeigte Solidarität stärkt und innerhalb der Bevölkerung Öffentlichkeit und Verständnis schafft.

Was wir aber versuchen müssen, ist der Aufbau eines gemeinsamen bundesweiten Aktionsbündnisses aus allen kampfbereiten Beschäftigten, unterstützenden Studierenden, linken Organisationen und Gewerkschaften, welches die verschiedenen Tarifkämpfe, die Umwelt- und die Antikriegsbewegung zu einem gemeinsamen Kampf vereint, statt sich gegenseitig von außen zu unterstützen. Dieses bundesweite Aktionsbündnis sollte lokale Ableger in den Städten haben und versuchen, Verankerung vor allem in den Betrieben, aber auch an Unis und Schulen aufzubauen. In dem Bündnis sollten die verschiedene Organisationen und (Betriebs-)Gruppen bzw. deren Vertreter:innen auf Augenhöhe diskutieren und mit einfacher Mehrheit Beschlüsse fällen. Eine demokratisch gewählte, rechenschaftspflichtige und transparent arbeitende Koordinierung sollte die Arbeit und Kämpfe bundesweit zusammenführen. Ein erster Schritt in diese Richtung müsste die Einberufung einer Aktionskonferenz über GiG hinaus sein, unter Einbezug aller oben genannten Akteur:innen. Dafür müssten die Gründer:innen von GiG, welche wie gesagt vor allem aus den Apparaten von ver.di und GEW kommen, allerdings bereit sein, die Zügel aus der Hand zu geben und die Initiative für einen solchen Schritt zu ergreifen.

Welche Strategie führt zum Sieg?

Die Debatten zur Intervention in die Tarifkämpfe klangen auf der Konferenz vor allem nach Vorfeldarbeit für die Politik der Gewerkschaftsführung. Wenn GiG die Tarifkämpfe zuspitzen und zusammenführen möchte, hätte man eine eigenständige Perspektive diskutieren müssen, wie und wohin die Streiks konkret führen sollen. Die aktuellen Tarifverhandlungen bei der Post machen deutlich, dass auf die Gewerkschaftsbürokratie kein Verlass ist, wo sich ver.di nach knapp 90 % Zustimmung unter den Beschäftigten für einen Streik auf einen in letzter Sekunde vorgelegten faulen Kompromiss eingelassen hat. Die demokratische Urabstimmung zum Streik wurde kalt missachtet und die Bewegung ausverkauft (https://arbeiterinnenmacht.de/2023/03/14/post-guter-streik-statt-schlechter-verhandlungen-das-ergebnis-muss-abgelehnt-werden/). Eine Zuspitzung der Kämpfe wird wohl kaum ohne massiven Druck von unten gegen die Bürokratie durchzusetzen sein. Aktuell wird die GiG aber vor allem aus den Apparaten heraus finanziert.

Diese Zuspitzung darf nicht alleine bedeuten, die einzelnen Tarifauseinandersetzungen zusammenzuführen, viele Mitglieder in die Auseinandersetzung zu ziehen oder neue zu gewinnen, auch wenn dies ein nützlicher Teilschritt wäre. Ein weiterer Zwischenschritt wäre eine Kampagne gegen die Gefahr eines Schlichtungsverfahrens im öffentlichen Dienst und für die Aufkündigung dieser Vereinbarung. Unserer Einschätzung nach bedarf es einer Vorbereitung auf den politischen Massenstreik branchenübergreifend und notfalls unbefristet. Zugleich müssen wir uns darauf vorbereiten, dass solche radikaleren Kampfmaßnahmen auch den Widerstand von Staat und Kapital befeuern.

Auf der Konferenz wurde festgestellt, dass die Forderungen von GiG überarbeitet werden müssen. Wir schlagen der Kampagne deshalb abschließend folgende zentrale Forderungen vor:

1. Automatische Anpassung von Löhnen, Renten und Sozialleistungen an die Inflation!

2. Kampf um höhere Löhne! Unterstützung der Tarifrunden! Mindestlohn und Mindestrente von 1.600 Euro!

3. Bundesweite Deckelung der Preise für Mieten, Strom, Gas und Lebensmittel!

4. Massive Besteuerung der großen Unternehmen und Vermögen!

5. Verstaatlichung von Energiekonzernen unter Kontrolle der Lohnabhängigen!




Arbeitskämpfe in Österreich im Reproduktionsbereich

Aventina Holzer, Fight! Revolutionärer Frauenzeitung, März 2023

Österreich ist ein Land, das nicht unbedingt für seine Arbeitskämpfe berühmt ist. Aber die drohende Krise und speziell die Covidpandemie mit ihren Auswirkungen für den Reproduktionssektor haben vermehrt dazu geführt.

Speziell in der Pandemie wurde viel Aufmerksamkeit auf die Pflege und andere Krankenhausmitarbeiter:innen gelegt, die unter sehr schwierigen Arbeitsbedingungen essenzielle Tätigkeiten verrichten. Neben diesen wurde auf den Pflegenotstand aufmerksam gemacht. So werden bis 2030 76.000 zusätzliche Arbeitskräfte gebraucht sowie bessere Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie gefordert. Es gibt momentan auch Kampagnen, die verlangen, dass Pflege als Schwerstarbeit kategorisiert wird, um die tatsächlichen Auswirkungen der Arbeit aufzuzeigen.

Die Wiener Partei LINKS, in der die Genoss:innen des Arbeiter*innenstandpunkts aktiv sind, hat zur Unterstützung dieser Arbeitskämpfe eine Kampagne gestartet, in der versucht wird, die Situation in der Pflege im Spital mit der der häuslichen zu verbinden und aufzuzeigen, was hier alles falsch läuft.

Das sind aber nicht die einzigen Aktivitäten im Reproduktionsbereich in Österreich. Im letzten Jahr streikten Elementar- und Freizeitpädagog:innen mehrmals, um gegen Personalmangel, fehlende Ressourcen und Gelder für Erziehung und die schlechte Bezahlung anzukämpfen. Die Forderungen richten sich auch konkret an die türkis-grüne Regierung. Die korrupte, türkise und rechtskonservative Volkspartei steht schon seit Jahren auf Kriegsfuß mit der öffentlich-staatlichen Förderung von Bildung. Die Grünen opfern ihre Versprechen dem Erhalt ihre Regierungssitze. Bemerkenswert ist, dass die Streiks ausstrahlten und immer mehr Sektoren und zusammenhängende Bereiche gemeinsam in den Ausstand treten.

So fand am 8. November 2022 ein Streiktag der Sozialwirtschaft Österreich statt, wo von der Pflege bis hin zur Nachmittagsbetreuung viele Arbeiter:innen des sozialen (und reproduktiven) Bereichs auf die Straße gegangen sind und bessere Kollektivvertragsabschlüsse gefordert haben. Von den geforderten 15 % wurden 8 % zugestanden. Angesichts einer Inflationsrate von 8,6 % im Jahr 2022 bleibt dieser Abschluss jedoch unter der aktuellen Preissteigerung. Es kommt daher nicht nur darauf an, weiter die Kämpfe auf die Straße zu bringen und sie miteinander zu verbinden. Notwendig ist ein politischer, unbefristeter Massenstreik für die automatische Anpassung der Löhne und Gehälter, der Renten und anderen Transferleistungen an die Preissteigerung – kontrolliert von demokratisch gewählten Ausschüssen der Beschäftigten.