Vierte Welle in Österreich: Wie bekämpfen wir die Pandemie?

Heidi Specht, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1171, 1. Dezember 2021

Alle Jahre wieder kommt der nächste Lockdown … Naja, ein bisschen häufiger kommt er schon in letzter Zeit. Nach einem Sommer, in dem die ÖVP die Pandemie für beendet erklärt und die Politik scheinbar geschlafen hat, stehen wir jetzt vor neuen Spitzenrekorden der Infektionszahlen und erneut im Lockdown. Wir werden im Folgenden einen Blick darauf werfen, wie es so weit kommen konnte, wie die Gesamtsituation gerade aussieht und was eigentlich notwendig gewesen wäre  ist.

Die Pandemie und die Impfung

Viren mutieren, das ist weder neu noch außergewöhnlich. Mutationen führen zu Resistenzen gegen Antikörper, die durch Impfungen oder durchgemachte Erkrankungen erlangt wurden. Auch das ist in der Infektionslehre schon lange bekannt. Gerade die neue Omikron-Mutation bringt mit hoher Wahrscheinlichkeit neue Herausforderungen in Bezug auf Impfresistenzen mit sich. Darüber hinaus bietet nicht jeder Impfstoff eine vollständige Immunität. Es steht völlig außer Frage, dass die Impfstoffe gegen Covid-19 eines der wichtigsten Werkzeuge im Kampf gegen die Pandemie sind. Sie verringern das Risiko einer Ansteckung und, sofern es trotzdem dazu kommt, die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs. Doch die Durchimpfungsrate der Bevölkerung ist immer noch zu gering. Eine ungeimpfte Person die an der Delta-Variante erkrankt, steckt statistisch betrachtet vier weitere Personen an. Gefährdet sind neben ungeimpften Personen insbesondere Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Dass prozentuell immer mehr Geimpfte erkranken, ist wenig überraschend – es liegt ganz einfach an der steigenden Zahl von geimpften Personen und der zeitlich abnehmenden Wirksamkeit der Impfung. So oder so, so lange das Virus sich weltweit ausbreitet, mutiert und der Impfschutz nur kurzzeitig wirkt, so lange kann die Impfung alleine die Pandemie nicht beenden. Dazu bräuchte es internationale, politische Maßnahmen.

Aktuelle Situation

Dass die Zahlen im Winter steigen, überrascht MedizinerInnen nicht und sollte PolitikerInnen, die sich informieren, genauso wenig überraschen. Ein Faktor ist, dass sich wieder mehr Menschen in Innenräumen aufhalten und treffen, wodurch das Ansteckungsrisiko im Vergleich zu Treffen im Freien deutlich steigt. Außerdem ist unser Immunsystem in der kalten, feuchten Jahreszeit generell schwächer. Das geschwächte Immunsystem in Kombination mit dem steigenden Infektionsrisiko in Innenräumen führt also generell zu einem Anstieg der Zahlen, insbesondere bei Ungeimpften und Menschen mit Vorerkrankungen.

Neue Rekordzahlen werden also stetig vermeldet, die Intensivstationen sind wieder ausgelastet und überlastet. Hinter den Kulissen in den Krankenhäusern wird wieder eine der schlimmsten Maßnahmen nicht nur diskutiert sondern teilweise auch schon umgesetzt – die Triage. Diese ergibt sich aus Kapazitätsengpässen der Intensivstationen und für die aktuelle Lage unzureichenden Ressourcen. Es geht dabei darum zu entscheiden, wer (lebensrettende) medizinische Versorgung bekommt und wer keine oder unzureichende Behandlung erfährt. Das Krankenhauspersonal wird dazu gezwungen Menschen zum Tode zu verurteilen und diesen hilflos beim Sterben zuzuschauen.

Die Politik hat diesen Zustand auf den Intensivstationen zu verantworten: sowohl die Lage der Beschäftigten als auch die Situation für Menschen, die medizinische Behandlung benötigen. Denn der Sommer wurde wieder nicht genutzt, um Vorbereitungen zu treffen, damit es nicht so weit kommt. Doch bei den aktuellen Pressekonferenzen wird erneut ins selbe Horn geblasen: Wir sitzen (angeblich) alle im selben Boot und müssen die Pandemie gemeinsam besiegen.

Lockdown

Als eine zentrale Maßnahme hat die Regierung einen neuerlichen Lockdown beschlossen. Doch das Letzte, was dieser beweist, ist, dass wir alle im selben Boot sitzen. Der größte Unterschied zu früheren besteht darin, dass er noch weniger Wirkung zeigt.

Vieles entspricht früheren Lockdowns: Freizeitaktivitäten werden de facto auf die eigenen vier Wände eingeschränkt. Homeoffice bleibt eine Empfehlung. Das Haus darf man nur in Ausnahmefällen verlassen, z. B. zum Arbeiten. Doch er ist kaum spürbar. Straßen und öffentliche Verkehrsmittel sind so voll wie immer. Die meisten Menschen haben kein Homeoffice. Selbst ein relevanter Teil der Bundesbediensteten arbeitet entgegen der Behauptungen der Regierung komplett oder teilweise vom Büro aus.

Noch schwammiger ist der aktuelle Lockdown, was die Schulen anbelangt. Die Eltern sollen selbst entscheiden, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken. Die LehrerInnen sollen Präsenzunterricht für die Anwesenden machen und gleichzeitig Lernpakete für die zuhause Gebliebenen schnüren. Viele Eltern haben gar nicht die Möglichkeit, ihre Kinder zuhause zu behalten, weil sie selbst zur Arbeit müssen. Die Übrigen stehen vor der Entscheidung, ob sie ihre Kinder der Infektionsgefahr aussetzen oder riskieren, dass diese im Unterricht nicht mehr mitkommen, wenn sie nicht dazu in der Lage sind, das Wissen selbst zu vermitteln. Das Offenhalten der Schulen wirkt wie ein bewusster Schritt zu einer weiteren Durchseuchung der Bevölkerung, ausgetragen auf dem Rücken einer Altersgruppe, die zu einem Gutteil noch ungeimpft ist. Insgesamt werden bei diesem Lockdown, wie bei allen vorherigen, Unternehmensprofite über Menschenleben gestellt.

Impfpflicht

Außerdem hat die Regierung angekündigt, ab Februar 2022 eine allgemeine Impfpflicht für Covid einzuführen. Die Details dazu sind noch unklar. Doch scheint es auf Verwaltungsstrafen, potentiell Jobverlust und Streichung von AMS-Leistungen hinauszulaufen. (AMS: österreichischer Arbeitsmarktservice; d. Red.) Maßnahmen also, die Arme wesentlich härter treffen als Reiche.

Die Impfung gegen das Corona-Virus darf keine individuelle Entscheidung sein, denn sie betrifft einen nicht nur persönlich. Durch die Impfung des Großteils der Bevölkerung wird die Verbreitung des Virus deutlich reduziert. Dadurch werden genauso Menschen geschützt, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, wie jene, die aufgrund eines geschwächten Immunsystems ein höheres Risiko für Impfdurchbrüche tragen. Diese Entscheidung betrifft nicht nur ein Individuum, sondern die gesamte Gesellschaft.

Doch der Versuch des österreichischen Staates, diese Verantwortung mit Zwangsmaßnahmen umzusetzen, wird entweder halbherzig und unwirksam oder für klassenkämpferische Kräfte untragbar – mit hoher Wahrscheinlichkeit aber beides. Wir dürfen kein Vertrauen in den bürgerlichen Staat setzen, dass dieser für eine ausreichende Durchimpfung der Bevölkerung sorgen wird. Die Regierung hat in den letzten neun Monaten bewiesen, dass sie unfähig ist, die Bevölkerung von der Impfung zu überzeugen.

ImpfgegnerInnen

Seit Beginn der Pandemie gibt es Teile der Bevölkerung, die die Existenz des Virus, dessen Gefährlichkeit oder die Wirksamkeit von Maßnahmen wie Masken oder Impfungen leugnen bzw. stark relativieren. Je mehr die Regierung die Pandemiepolitik fahrlässig oder mutwillig verbockt, desto stärker wird auch die Bewegung der Menschen, die sich gegen die Maßnahmen stellen. Es handelt sich dabei nicht um eine homogene Gruppe an Menschen, aber geführt werden die Proteste von rechten und faschistischen Kräften, die die Pandemie nutzen, um ihre eigene Agenda voranzutreiben.

Große Aufmärsche wie in Wien genauso wie kleinere Bewegungen wie in Gleisdorf demonstrieren die Gefahr, die diese Bewegung darstellt. Rechtsradikale Kräfte wie die Identitären stehen an der Spitze einer Bewegung, die die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung mit Juden-/Jüdinnenverfolgung gleichsetzt. Diese Bewegung kommt nicht aus der Mitte der Gesellschaft. Es ist eine der extremen Rechten, die Menschen aus der Mitte der Gesellschaft für sich gewinnt und damit erstarkt. Dass es bei der großen Demonstration in Wien im November diesen Jahres keine starke Gegenmobilisierung gab, zeigt die Schwäche der ArbeiterInnenbewegung und der radikalen Linken. Das größte Übel ist allerdings, dass keine eigene linke Strategie der Pandemiebekämpfung sichtbar ist.

Notwendige Maßnahmen

Zu Zeiten steigender Fallzahlen und neuer Mutationen ist ein Shutdown der notwendige erste Schritt und als solcher quasi unvermeidbar. Im Gegensatz zum Lockdown der Regierung darf ein solcher nicht in erster Linie die Freizeit und Treffen im Freien einschränken. Vielmehr müssen alle nicht unmittelbar notwendigen Arbeiten eingestellt oder ins Homeoffice verlagert werden. KapitalistInnen sind bereit, für ihre Profite die Leben der ArbeiterInnen zu riskieren. Ihnen darf die Entscheidung, welche Arbeiten notwendig sind, nicht überlassen werden. Wir brauchen ArbeiterInnenkomitees in den Betrieben, die darüber entscheiden, welche Tätigkeiten fortgesetzt werden. Außerdem müssen dort, wo weiterhin gearbeitet wird, die notwendigen Schutzmaßnahmen von den Beschäftigten selbst entschieden und deren Umsetzung kontrolliert werden. Die Zeit des Shutdowns muss genutzt werden, um die Bevölkerung durchzutesten und so einen möglichst großen Anteil der infizierten Bevölkerung gleichzeitig zu identifizieren.

Die Beschäftigten selbst müssen die Arbeitsbedingungen entscheiden, im Bündnis mit den Gewerkschaften und der Wissenschaft – gerade in systemrelevanten Berufen. Damit ist auch die Entscheidung über Schutzmaßnahmen gemeint. Es geht aber weit darüber hinaus. Gerade im Gesundheitswesen sehen wir neben einem Mangel an Betten und Maschinen auch einen akuten an Personal. Dieser rührt her aus katastrophalen Arbeitsbedingungen, die eine massive körperliche und emotionale Belastung darstellen und viele Menschen aus dem Job drängen. Personalschlüssel, Pausenzeiten, Gehälter etc. müssen deutlich verbessert werden, denn Arbeit im Gesundheitswesen darf nicht krank machen! Das Gesundheitswesen wird hier als Beispiel genannt, da es in der aktuellen Lage besonders belastet und wichtig ist, doch diese Forderung trifft alle Arbeitsverhältnisse, denn Arbeit darf niemanden krank machen.

Forderungen

  • Für einen solidarischen Shutdown unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für die Freigabe aller Impfpatente!
  • Für Offenlegung und Kontrolle der Impfstoffforschung und -produktionsabläufe durch Organe der ArbeiterInnenklasse!
  • Für die Enteignung der ImpfstoffproduzentInnen unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für eine Aufklärungskampagne zu den Impfstoffen und  eine breit angelegte Impfkampagne, kontrolliert durch die ArbeiterInnenklasse in den Betrieben, Schulen und Wohnvierteln!
  • Für die Kontrolle über Schutzmaßnahmen im Betrieb durch die Beschäftigten selbst!



Charité und Vivantes: Lehren eines bedeutenden Streiks

Jürgen Roth, Neue Internationale 260, November 2021

Nach über 7 Wochen Vollstreik hat das Berliner Krankenhausunternehmen Vivantes für seine ausgelagerten Tochtergesellschaften gemeinsam mit VertreterInnen der Gewerkschaft ver.di ein Eckpunktepapier unterzeichnet, das in einem Angleichungstarifvertrag an den TVöD münden soll. Moderator Matthias Platzeck, brandenburgischer Ex-Ministerpräsident, bezeichnet es als akzeptabel. Bereits zuvor, am 7.10., gab es solche Eckpunkte bei der Charité nach 30 Streiktagen und 4 Tage später folgte der Vivantes-Mutterkonzern, beide mit Klauseln für einen Tarifvertrag Entlastung (TVE) in der Pflege. Die Streiks wurden nach der Einigung auf die Papiere jeweils beendet. Für Ende November rechnet man mit jeweiligen Haustarifverträgen.

Charité

Ver.di-Verhandlungsführerin Melanie Guba erkärte, alle Forderungen seien in dem Papier berücksichtigt worden: Mindestbesetzungsregelungen für alle Bereiche, darunter Stationen, OP-Säle und Notaufnahmen/Rettungsstellen; Regelung eines Belastungsausgleichs; Verbesserung der Ausbildungsbedingungen. War auf Intensivstationen bisher eine Pflegekraft für bis zu 4 PatientInnen zuständig, im Nachtdienst für 20 – 30, so soll der neue Personalschlüssel 1:1 bzw. 1:10 – 1:17 lauten. In den Kreißsälen soll es wieder möglich werden, dass eine Hebamme nur eine Frau bei der Geburt begleitet. Man hofft darauf, dass 250 freiberufliche Hebammen ihre Zusage einhalten, unter diesen verbesserten Umständen wieder als Angestellte in die Kliniken zurückzukehren.

Nach uns vorliegenden Informationen sieht der Belastungsausgleich im Fall der Unterschreitung der Mindestpersonalbesetzung eine freie Schicht für 5 in Überlastung vor. Die „Gesamtstrategie 2030“ der Charité will den Stellenanteil erhöhen wie auch akademisierte Gesundheitsfachberufe gewinnen. Dies ist eine Reaktion auf hohe Krankenstände, Wechsel von Voll- in Teilzeit und hoher Fluktuationsrate. Viele PflegerInnen üben ihren Beruf nur wenige Jahre aus.

Vergleich mit dem Vivantes-Mutterkonzern

Im Kern soll der TVE die Angleichung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Berliner Krankenhäusern anstreben. Die Einigung ver.dis mit der Charité-Spitze im dortigen Eckpunktepapier zeigte in Anbetracht des Pflegepersonal- und Nachwuchsmangels auch bei der weit widerspenstigeren Verhandlungsführung Vivantes‘ schließlich Wirkung. Weitere Sturheit hätte die Gefahr einer Abwanderung eigenen Personals zur Charité heraufbeschworen. Der Konzern hatte zuvor erst ab 12 Überlastungsschichten eine Freischicht offeriert (bei Auszubildenden 48!), weniger als die Hälfte des Angebots der Unikliniken. Es bleibt einer detaillierteren Untersuchung des künftigen TVE vorbehalten, inwieweit tatsächlich gleiche Verhältnisse wie an der Charité erzielt werden konnten. Vivantes hat als Vollversorger mit einem erheblichen Anteil Grundversorgung deutlich mehr Finanzierungsprobleme durchs System der Fallpauschalen (DRGs) als die Unikliniken. Gerüchten zufolge droht Bettenabbau nach dem Abschluss. „Leistung soll dem Personal folgen“ heißt übersetzt also, dass eine Beeinträchtigung der stationären Grund- und Notfallversorgung in den Bezirken droht. Die nächste Kampffront tut sich also auf.

Die neuen Eckpunkte folgen der gleichen Systematik wie an den Unikliniken Berlins. Bereich für Bereich wird geschaut, ob unterschiedliche Belastungssituationen und Unterbesetzung bestehen. Bei beiden Konzernen soll ein Punktesystem eingeführt werden. Bei den 3 Uniklinikstandorten der Charité gibt es Belastungspunkte, wenn eine Abteilung unterbesetzt ist, Leiharbeitskräfte eingesetzt werden, oder nach Gewalterfahrungen. Die Punkte können dann in Freizeitausgleich, Erholungsbeihilfen, Kinderbetreuungszuschüsse, Altersteilzeitkonten oder Sabbaticals (längere Auszeiten) umgewandelt werden. Vivantes sprach dagegen lediglich allgemein von einer Umwandlung in Entgelt oder Freizeit.

Während die Charité 3 neue Ausbildungsstationen und 1 multiprofessionelle Intensiv-Lehrstation einrichten will, möchte Vivantes die Ausbildungsbedingungen tariflich regeln, z. B. durch Ausstattung mit Notebooks. Der Konzern legte sich auch nicht auf Neueinstellungen fest, während die Landesunikliniken 700 neue Pflegekräfte binnen 3 Jahren anwerben wollen. Der TVE soll in beiden Konzernen eine Laufzeit von 3 Jahren aufweisen.

Vivantes-Töchter

An den Streiks nicht beteiligt war das CFM, das ausgelagerte Tochterunternehmen der Charité. Hier war nach mehrjährigem Kampf eine Angleichung an den TVöD zustande gekommen. Es herrschte dort also Friedenspflicht.

Im Tarifkonflikt bei den Tochtergesellschaften der landeseigenen Vivantes-Kliniken (VSG u. a.) sollen die Beschäftigten bis 2025 schrittweise mehr Geld erhalten Je nach Tochter sollen ihre Löhne und Gehälter in den kommenden vier Jahren nach und nach auf 91 beziehungsweise 96 Prozent des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) steigen. Darauf einigten sich die Gewerkschaft ver.di und das Klinikum Mitte der letzten Oktoberwoche in einem Eckpunktepapier.

„Insbesondere in den unteren Lohngruppen bedeutet das in Zukunft deutlich höhere Einkommen und deutlich mehr Gerechtigkeit“, teilte Verdi-Verhandlungsführer Ivo Garbe mit. Die Gewerkschaft hatte eine Übernahme des TVöD für sämtliche Tochter-Beschäftigte gefordert. Der Kompromiss stelle die Arbeit„geber“Innenseite vor „große finanzielle Herausforderungen“, erklärte der kommissarische Vorsitzende der Vivantes-Geschäftsführung, Johannes Danckert gegenüber dem Ärzteblatt. Diese müssten gemeinsam mit dem Land Berlin bewältigt werden.

Die VSG gestand vorher lediglich eine Angleichung an den TVöD bis 2028 zu ohne Angaben zu Zeitzuschlägen und Zulagen. Zudem wollte sie die Medizinischen Versorgungszentren und das Labor Berlin (gemeinsame Tochter mit der Charité) von den Verhandlungen ausnehmen. Es bleibt also abzuwarten, ob die konkreten Details auch eine Verbesserung bei den Zuschlägen enthalten und alle ausgegliederten Bereiche umfassen. Ferner ist genau darauf zu achten, ob es eine Art Notlagentarifklausel gibt, der zufolge die Angleichung im Fall wirtschaftlicher Schieflagen ganz oder teilweise ausgesetzt werden kann.

Kommt es hier nicht zu einem Abschluss, der mindestens den gleichen Tarif wie bei der Charité-Tochter CFM durchsetzt, muss die Berliner Krankenhausbewegung vom Senat fordern, die Übernahme des CFM-Tarifvertrags zu erzwingen.

Ob die neue Landesregierung sich für Danckerts Ansinnen aufgeschlossen zeigen wird, bleibt fraglich, ist doch die Krankenhausfinanzierung weitestgehend von DRGs abhängig, die einen enormen Preisdruck ausüben. Die Hoffnung vieler Streikender auf ein Machtwort des Senats im Arbeitskonflikt zu ihren Gunsten hat bereits einen herben Dämpfer erhalten. Sie wird es auch bzgl. der Finanzierungsmöglichkeiten durch „die Politik“.

Wichtige Teilerfolge bei den TVEs

Möglich wurde dieser Erfolg durch einen langen und hartnäckig geführten Streik, der auch mit wirksamen Aktionen die breitere Öffentlichkeit und Bündnisse wie Deutsche Wohnen & Co. enteignen oder Gesundheit statt Profite einbeziehen konnte. Zudem beteiligte sich die Gewerkschaftsbasis außergewöhnlich engagiert. Fast jeder Bereich stellte ein/e SprecherIn auf den Kundgebungen, darunter auch engagierte und gute RednerInnen der Töchter. Neben o. a. Mobilisierungen ermittelte jede Station ihre Personaluntergrenzen, stellte Notdienstpläne auf und brachte ihre Meinung zum Stand der Verhandlungen ein, sorgte für eine repräsentative Tarifkommission, in der zahlreiche unterschiedliche Disziplinen vertreten waren. In Gestalt der Teamdelegierten schuf diese breite Bewegung Organe, die einerseits die AktivstInnen umfassen wie in gewerkschaftlichen Vertrauensleutekörpern und somit zur Etablierung lebendiger ver.di-Betriebsgruppen in den Häusern beitragen, aber auch eine wichtige Funktion bei der Kontrolle der Umsetzung des TVE ausüben könnten. Streik als Schule des Klassenkampfs: Dies stellt alles ein leider zu seltenes Vorbild für Arbeitsauseinandersetzungen dar.

Auch wenn die Eckpunkte bei Vivantes weniger konkret als bei der Charité ausfallen oder schlechter scheinen, können wir davon ausgehen, dass der zukünftige TVE in beiden Krankenhausketten deutlich mehr Bereiche als 2015, darunter auch nicht-stationäre wie Kreißsäle, OPs und Funktionsabteilungen (Notaufnahmen. Rettungsstellen, Untersuchungsräume) umfassen wird als der von 2015 und zudem konkretere Entlastungsregelungen.

Doch ist es der TVE, der nun all das regelt, was vorhergegangene Tarifkämpfe – denken wir nur an den 2015 bei der Charité erkämpften – nicht vermochten? Und finanzieren sich zusätzliche Pflegekräfte durch das Bundespflegepersonalstärkungsgesetz wie von selbst? Lt. unseren Informationen sind die Ausgleichsschichten in den nächsten 3 Jahren gedeckelt: 2022 max. 5, 2023 10, 2024 15 Tage.

Das o. a. Gesetz und die Herausnahme der Pflegekosten aus den Fallpauschalen (DRGs) seit Anfang 2020 bedeuten mitnichten die Selbstkostenerstattung durch die Krankenkassen, sondern eine Rückkehr zu langwierigen Budgetverhandlungen mit ihnen wie vor Einführung der DRGs. Kommt es dann eben nicht zur gewünschten Personalaufstockung, wird auch der Freizeitausgleich schnell an seine Grenzen stoßen.

Schwächen

Eine Schwäche des Streiks bestand darin, dass es keinen Beschluss von unten, durch Streikvollversammlungen und von ihnen gewählte und jederzeit neu wählbare Streikkomitees über die Aussetzung des Streiks nach der Einigung auf die Eckpunktepapiere gab. Vielmehr wurde der Streikabbruch von oben ohne Debatte an der Basis verkündet und somit dem Hauptamtlichenapparat die Streikführung nicht strittig gemacht. Mit einigen Teamdelegierten wurde zwar gesprochen, mit anderen dafür aber nicht. Doch darüber hätten Streikvollversammlungen bzw. von diesen gewählte Komitees allein entscheiden müssen. Hier rächte sich, dass die Teamdelegierten zwar eine Schnittstelle zur Tarifkommission, in der stets Hauptamtliche den Ton angeben, verkörperten und darüber den Druck der Basis weitergaben, aber diese nicht zur selbstermächtigenden Souveränin über den Streikverlauf machen konnten. Dazu hätten Vollversammlungen jederzeit von ihnen abwählbare Streikkomitees mit der operativen Arbeitskampfführung bevollmächtigen müssen.

Den Teamdelegierten fiele eine weitere wichtige Rolle im Aufbau einer wirksamen Kontrolle über die Umsetzung des TVE zu. Kommt es nämlich nicht zu einer durch progressive Besteuerung des Kapitals und gesetzlicher Krankenversicherungspflicht für alle ohne Beitragsbemessungsgrenzen finanzierten massiven Neueinstellungswelle in der Pflege und steuern chefärztlich umgesetzte Renditeziele weiterhin die Krankenhausmedizin, dann drohen die Entlastungsregelungen, zu langfristigen individuellen Lebensarbeitszeitkonten ohne Überstundenzuschläge zu verkommen.

Ein Manko gegenüber dem Abschluss von 2015 besteht also darin, dass Interventionsmittel wie Bettensperrungen und Aufnahmestopps im zukünftigen TVE gar nicht mehr angedacht sind. Die Beschäftigten und PatientInnenorganisationen haben aber ein objektives Interesse an der Kontrolle von unten, v. a. wenn es beim Pflegepersonalmangel bleibt. Der Marburger Bund und die in ver.di organisierten ÄrztInnen können und müssen für vergleichbare Entlastungen beim ärztlichen Personal eintreten und notfalls streiken.

Berliner Vorbild bundesweit nachahmen!

Nach der Urabstimmung über die TVs muss der beispielhafte Kampf an den Berliner Krankenhäusern als Ausgangspunkt für eine bundesweite Bewegung für Entlastung und Angleichung an den TVöD wirken. Der 1. Schritt muss die Einberufung einer bundesweiten Krankenhauskonferenz, organisiert durch ver.di, sein.

Akut müssen in der anstehenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder die Anliegen vergleichbarer KollegInnen vollständig aufgenommen werden. Doch ver.di plant lediglich eine Gehaltsrunde. Die Interessen der Pflegekräfte an Entlastung werden an einem bedeutungslosen Gesundheits(katzen)tisch vorgetragen, aber sie müssen zum Verhandlungsgegenstand und streikfähig gemacht werden!

Sich an die Seite der streikenden KollegInnen zu stellen und dafür alle Beschäftigten, die ein Interesse an einem funktionierenden Gesundheitssystem unter guten Arbeitsbedingungen hegen,  zu mobilisieren, wäre die Aufgabe aller DGB-Gewerkschaften über die laufende Tarifrunde hinaus. Mit einer solchen Mobilisierung, einem politischen Streik, würden die Regierenden in die Knie gezwungen werden können. Dies wäre der Weg für einen erfolgreichen Kampf gegen Privatisierungen und mangelnde personelle und finanzielle Ausstattung des gesamten Gesundheitssektors.




Vivantes-Eckpunktepapiere: Licht und Schatten

Jürgen Roth, Infomail 1168, 1. November 2021

Als letzter der 3 Bereiche der Berliner Krankenhausbewegung (Mutterkonzerne Charité und Vivantes, ausgelagerte Vivantes Tochterunternehmen) konnten nun auch die Vivantes-Servicegesellschaften ein mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ausgehandeltes Eckpunktepapier auf einer Pressekonferenz letzten Freitagmittag vorstellen.

Mutter …

Eine vorläufige Sichtung der Kernpunkte bestätigt unsere Vermutung: Es umfasst wie bei der Charité und im Unterschied zum dortigen 2015 vereinbarten und 2016 gekündigten Tarifvertrag Entlastung (TVE) alle Bereiche des Mutterkonzerns, bleibt aber in wesentlichen Punkten hinter dem bei den Uniklinken anvisierten Abschluss zurück. Im Kern fällt 1 Freischicht auf 9 in Überlast (Charité: 5). Das stellt ggü. dem ursprünglichen Angebot (1:12) eine deutliche Verbesserung dar. Das gilt auch ggü. dem für Auszubildende (1:48). Allerdings kriegen diese nur ein Notebook geschenkt und Freizeitausgleich erst angerechnet, wenn sie nach Ende ihrer Ausbildung von Vivantes übernommen werden.

In der Urabstimmung sollten die Gewerkschaftsmitglieder beim Vivantes-Mutterkonzern den Vertrag ablehnen, solange er nicht eine vollständige Gleichstellung mit den Angestellten der Charité bringt. Ein weiterer Erzwingungsstreik sollte den neuen Senat auffordern, die Umsetzung des zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Charité-Abschlusses auch bei Vivantes anzurdnen.

… und Töchter – schmerzhafter Kompromiss

Einerseits ist Erleichterung unter den Beschäftigten zu spüren. Der längste und heftigste Streik der Berliner Krankenhausbewegung ist vorläufig zu Ende. Seit über einem Jahr wurde verhandelt. „In 4 Jahren sehen wir uns wieder auf der Straße“, so Alexander Thonig von VivantesClean (Reinigungsgesellschaft), Mitglied der ver.di-Tarifkommission im Neuen Deutschland vom 1. November.

Der Stufenplan sieht je nach Tochtergesellschaft bis 2025 einen Lohn von 96 % oder 91 % des TVöD vor. Zur Zufriedenheit trügen auch die stark an ihm orientierte Zulagenregelung sowie die Verlängerung des Krankengeldzuschusses über die 6. Woche (eigentlich überhaupt ein Krankengeldzuschuss, denn bis zur 6. Woche gilt ja die gesetzliche Lohnfortzahlung) hinaus bei, so Thonig.

Doch es gibt auch Schattenseiten: Sauer stößt vielen Beschäftigten auf, dass keine vollständige Angleichung an den TVöD erreicht werden konnte, geschweige denn eine Rückkehr in den Schoß der Konzernmutter, die ja von Senat und Abgeordnetenhaus versprochen worden war. Melanie Meißner, Medizinische Fachangestellte in einem MVZ, macht ferner darauf aufmerksam, dass manche ihrer KollegInnen in den Bestandsschutz schlüpfen müssen, um nicht weniger zu verdienen als zuvor. In Anlehnung an den TVöD nehmen die Eckpunkte nämlich die Lohngruppeneinteilung nach Dauer der Betriebszugehörigkeit vor. Sie selbst weist 23 Jahre Berufserfahrung und eine onkologische Zusatzausbildung auf, ist aber erst seit 3 Jahren bei Vivantes. Verhandlungsführer Ivo Garbe bezeichnet das Ergebnis denn auch als „teils gut und teils schmerzhaft“.

Für das Labor Berlin, ein gemeinsames Tochterunternehmen mit der Charité, gelten die Eckpunkte nicht. Der Verhandlungsaufforderung ver.dis sind die Geschäftsführungen bisher nicht nachgekommen. Der TV soll bis zum 15. Dezember fertiggestellt sein, damit er 2022 inkraft treten kann und Prämien und Nachzahlungen für 2021 ausgezahlt werden könnten.

Finanzierung

Der kommissarische Geschäftsführer von Vivantes, Johannes Danckert – die Geschäftsführerin und Verhandlungshardlinerin Dorothea Schmidt scheint man beurlaubt zu haben –, betont die resultierenden Mehrausgaben von 68 Mio. Euro, verweist auf die finanziellen Schwierigkeiten des Konzerns und hofft auf Refinanzierung durch „die Landespolitik“, die bereits Zusagen getätigt habe. Über deren Zusagen und sogar Beschlüsse können die Beschäftigten allerdings eine lange Klagelitanei anstimmen. Hinzu kommt, dass zu erheblichen Teilen die Finanzierung der laufenden Krankenhausbetriebskosten durch die Krankenkassen nach dem System der Fallpauschalen (DRGs) erfolgt. Aus diesen Erlösen müssen sich auch die Töchter finanzieren.

Damit hängt ein weiteres Damoklesschwert über dem möglichen Abschluss, wenn staatliche Subventionen, sofern sie nicht eh nur leere, großmäulige Versprechen darstellen, dieses Marktmodell aushebeln. Schließlich schwebt immer noch das drohende Verdikt seitens der ArbeitgeberInnenverbände im öffentlichen Dienst (TGL, VKA) über dem Ganzen, einen „Berliner Alleingang“ mit einem Rauswurf aus den Verbänden nötigenfalls mit einem Rauswurf zu quittieren.

Urabstimmung für Gleichstellung Ein Vergleich der Eckpunkte mit dem gültigen TV des Tochterunternehmens der Charité, CFM, ist erst nach Bekanntwerden aller Details möglich. Das müssen die Beschäftigten klären und können das auch besser als wir. Eine Urabstimmung muss den TV ablehnen, falls er schlechter ausfällt als der bei CFM, und dessen Übernahme durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung seitens „der Landespolitik“ fordern. Unter diese muss auch das Labor Berlin fallen, falls kein besserer TV ausgehandelt werden kann. Das dürfte nach Aussetzung des Streiks, die die Beschäftigten dort ihres wichtigsten Druckmittels beraubt, eine verbliebene Chance verkörpern, mit ihren anderen KollegInnen beider Konzerne gleichgestellt zu werden




Vollstreik bis zum Sieg! Solidarität mit der Berliner Krankenhausbewegung!

Flugblatt der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Infomail 1161, 9. September 2021

Personalnotstand, Outsourcing, prekäre Arbeitszeiten, Überlastung, Privatisierungen. Nach Jahren des Notstandes an den Krankenhäusern befinden sich die Klinikleitungen von Charité und Vivantes in der Defensive. Endlich!

Die Mobilisierung der Berliner Krankenhausbewegung trägt nun Früchte. Ohne monatelange Anstrengung wäre das unmöglich gewesen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad stieg in den letzten Monaten, Tausende neue Mitglieder traten ver.di bei. Die Warnstreiks und Großkundgebungen haben gezeigt, dass eine erfolgreiche Organisierung trotz massiven Drucks in den Krankenhäusern, trotz Auslagerungen, trotz künstlicher Zersplitterung und Spaltung der Belegschaften, trotz unterschiedlicher Tarifverträge möglich ist.

An der Charité stimmten 97,85 Prozent, bei Vivantes 98,45 Prozent und in den Tochterunternehmen 98,82 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten für den Arbeitskampf. Allein das spricht eine deutliche Sprache. Es gibt keine Alternative zum unbefristeten Streik.

Die einzige Sprache, die sie verstehen

Über Monate, ja Jahre hinweg haben die Klinikleitungen von Charité und Vivantes alle möglichen fadenscheinigen Gründe angeführt, warum sie die Forderungen nach einem Tarifvertrag Entlastung und einem „TVöD für alle“, also nach Einstellung von mehr Personal, verbesserten Arbeitsbedingungen und gleichen Einkommen für alle nicht erfüllen könnten.

Nun, nachdem fast 100 % der Gewerkschaftsmitglieder für einen unbefristeten Streik votierten, zaubern sie plötzlich neue Last-Minute-Verhandlungsangebote aus dem Hut. Zugeständnisse wären jetzt möglich – wenn die Beschäftigten und die Gewerkschaft ver.di nur den Streik abblasen würden. Nachdem die Vivantes-Leitung im August noch versuchte, die Warnstreiks per Gericht zu verbieten, klagt sie jetzt über den Mangel an „Kooperation“ und „Vertrauen“ der Beschäftigten.

Klar, diese Leute wollen lieber verhandeln, wenn wir nicht streiken, wenn wir die Aktionen aussetzen – denn dann ist ihre Verhandlungsposition stärker, ist der Druck, unsere Durchsetzungsfähigkeit geringer. Daher sollte auch kein Streik, kein Streikposten, keine Aktion heruntergefahren werden, solange es keinen Abschluss gibt, der die Forderungen erfüllt und von den Streikenden akzeptiert wird. Streik – das ist die einzige Sprache, die die sog. ArbeitergeberInnen verstehen; und das ist auch das beste Mittel, die Einheit der Beschäftigten und den Organisationsgrad der Gewerkschaft weiter zu stärken.

Neben den Aktionen braucht es tägliche Streikversammlungen, wo der Stand der Auseinandersetzung diskutiert wird, wo die Streikleitungen gewählt und gestärkt, wo neue Aktive einbezogen werden können. Darüber hinaus kann und sollte bei den Versammlungen diskutiert und beschlossen werden, wie der Arbeitskampf unbefristet und solange weiter geführt werden kann, bis Vivantes und Charité klein beigeben.

  • Unbefristeter Vollstreik bis zur Erfüllung der Forderungen! Keine Aussetzung des Streiks ohne Abstimmung unter den Streikenden! Keine Teilabschlüsse in einem Krankenhaus, sondern nur gemeinsamer Abschluss!

Dynamik nutzen, Kampf ausweiten!

Zur Zeit befinden wir uns und unsere Gewerkschaften in einer günstigen Position. Der Streik und die Forderungen sind bei der Bevölkerung populär.

Erstens streiken wir nicht nur für unsere Löhne und Arbeitsbedingungen, sondern auch für eine menschenwürdige Versorgung aller PatientInnen, aller Lohnabhängigen. Hinzu kommt zweitens, dass kurz vor den Wahlen fast alle PolitikerInnen ihr Herz für das Gesundheitswesen entdecken. Wir sollten darauf nicht viel geben, aber die Situation nutzen und den Senat noch mehr unter Druck setzen.

Drittens sollten wir den Streik in direkte Verbindung mit anderen Arbeitskämpfen setzen, vor allem mit dem Streik der GDL und der anstehenden Tarifrunde der Länder im öffentlichen Dienst. Gerade letzte müssten wir mit dem Kampf für mehr Personal, für Wiedereingliederung outgesourter Tochterunternehmen, für gleiche Tarife, kürzere Arbeitszeiten und höhere Einkommen verbinden, für die Abschaffung der unsäglichen DRGs und ein Gesundheitssystem, das sich nicht an Markt und Profiten, sondern an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.

  • Koordinierung des Streiks bei den Krankenhäusern mit dem Arbeitskampf der GDL und mit der nächsten Ländertarifrunde! Nutzen wir den Kampf für einen Entlastungstarifvertrag in Berlin als Sprungbrett für den um einen bundesweiten Tarifvertrag Entlastung!
  • Umgekehrt dürfen Vivantes und Charite nicht alleine bleiben! An allen Orten muss ver.di jetzt die Klinikbelegschaften streikfähig machen! Die Tarifbewegung bei den Uni-Kliniken ist ein guter Ansatz, die Bewegung sofort zu verbreitern!

Öffentliches Gesundheitssystem unter Kontrolle der Beschäftigten!

Der Kampf in den Berliner Krankenhäusern ist weit mehr als einer für einzelne Verbesserungen. Nicht erst die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass dieses System ständig am Rande des Zusammenbruchs funktioniert, alle Privatisierungen und marktkonformen Reformen der letzen Jahre und Jahrzehnte auf Kosten der Beschäftigten und der Masse der PatientInnen gingen, während sich private Klinken und KrankenhausbetreiberInnen,  Pharmakonzerne und medizintechnische Industrie bereichern konnten.

Damit muss Schluss sein, wenn wir ein menschenwürdiges Gesundheitssystem aufbauen wollen! Der Markt richtet nichts, jedenfalls nicht für die Masse der Bevölkerung.

  • Entschädigungslose Enteignung privater und privatisierter Krankenhäuser unter Kontrolle der Beschäftigten und der Gewerkschaften! Entschädigungslose Enteignung der Pharma- und Medizintechnikkonzerne!
  • Für ein gesetzliche Personalbemessung, die den tatsächlichen Bedarf widerspiegelt und die  in allen Sektoren, auch der Altenpflege gilt!
  • Für ein ausreichendes Pflegepersonalgesetz in allen Sektoren, auch der Altenpflege! Personalbedarf für die PatientInnenversorgung, errechnet durch die Beschäftigten sowie PatientInnen und ihre Organisationen selber! Laufende Personalbesetzungs- und Betriebsregelungen unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Weg mit Beitragsbemessungsgrenzen, Befreiungs- und Ausstiegsmöglichkeiten von der gesetzlichen Krankenversicherung! Für weitere Finanzierung des Plans durch progressive Steuern auf Kapital, Gewinne und Vermögen!
  • Plan- statt Marktwirtschaft: Erstellung eines Plans für ein integriertes Gesundheits-, Rettungs-, Kur- und Rehabilitationswesen von unten durch Beschäftigte und PatientInnen unter Hinzuziehung von ExpertInnen ihres Vertrauens!

Diese Forderungen können einen Schritt darstellen zur Sozialisierung der gesamten Care- und Reproduktionsarbeit einschließlich der unbezahlten in Privathaushalten.

Sich dafür einzusetzen und sich an die Seite der streikenden KollegInnen zu stellen und dafür alle Beschäftigten, die ein Interesse an einem gut funktionierenden Gesundheitssystem unter guten Arbeitsbedingungen haben, an Eurer Seite zu mobilisieren, wäre die Aufgabe aller DGB-Gewerkschaften. Mit einer solchen Mobilisierung – streikende KollegInnen in den Krankenhäusern und KollegInnen aus allen Betrieben – würden die  Regierenden in die Knie gezwungen werden können. Dies wäre der Weg für einen erfolgreichen Kampf gegen Privatisierungen und mangelnde personelle und finanzielle Ausstattung des gesamten Gesundheitssektors.

Das kann auch die prekär Beschäftigten auf unterster Stufenleiter unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit, ferner alle Azubis mitnehmen und die Tür aufmachen zu einem vernünftigen Gesellschaftssystem, das den arbeitenden Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Produktionszwecke stellt: Sozialismus statt Kapitalismus!




Berliner Krankenhausstreiks: Wie weiter nach dem Auftakt?

Mattis Molde/Jürgen Roth, Neue Internationale 258, September 2021

Montag 23. August 2021: Ver.di ruft die Krankenhausbeschäftigten von Vivantes und Charité zu einem dreitägigen Warnstreik auf – nachdem weder die Klinikleitungen in ernsthafte Verhandlungen über mehr Personal und gleiche Arbeitsbedingungen in den ausgegliederten Unternehmen von Vivantes eingetreten sind noch die politisch Verantwortlichen in Stadt und Land entsprechenden Druck auf diese ausgeübt hatten.

Blockadehaltung der Klinikleitungen

Was die Klinikleitungen von den berechtigten Forderungen halten, hat Vivantes klargemacht: Anstatt über bessere Bedingungen für alle Beschäftigten zu verhandeln, lassen sie den Warnstreik bei den Tochterfirmen über eine einstweilige Verfügung beim Arbeitsgericht Berlin verbieten. Sie sehen keine Notwendigkeit eines Tarifvertrags (TV) Entlastung für die Angestellten der kommunalen bzw. Landesbetriebe Vivantes und Charité bzw. der Gültigkeit des TvöD für die Beschäftigten in den Vivantestochterunternehmen und machten bisher keinerlei Angebot.

Zwar verhandelten sie tagelang über eine Notdienstvereinbarung, doch erklärten die Arbeit„geber“Innen die bis 2017 an der Charité angewandte für gegenstandslos, seinerzeit von deren Direktor selbst vorgeschlagen. Stattdessen sollten die Beschäftigten noch flexibler einsetzbar sein! Am Charité-Standort Mitte entschied der Vorstand, mit voller Bettenbelegung in die Streikwoche zu starten. Nach 4 Stunden mussten einige Stationen den Streik abbrechen, so Clemens Riedemann, Krankenpfleger in der dortigen Onkologie lt. NEUES DEUTSCHLAND vom 26.8.2021.

Spielte Vivantes mit gerichtlichen Verfügungen, so die Charité mit der Karte des „Streikverbots durch die Hintertür“ (Riedemann). Er konterte auch die Einlassung, es sei juristisch wegen Tarifbindung (TVöD und Mitgliedschaft im Arbeit„geber“Innenverband der Bundesländer) nicht möglich, einem TV zuzustimmen, der es erlaube, bei hoher Belastung einen Ausgleich in Anspruch zu nehmen, unter Verweis auf das Beispiel des Uniklinikums Mainz.

Charitésprecher Markus Heggen widersprach den Vorwürfen der Beschäftigten. Man habe im Vorfeld nicht dringliche Behandlungen abgesagt, respektiere das Streikrecht also und schaffe somit Möglichkeiten zur Teilnahme der Beschäftigten an den Warnstreiks. Es sei nicht möglich gewesen, ganze Stationen zu schließen. Alle Aussagen sind nicht überprüfbar, wohl aber steht fest, dass bei der Sitzung der Zentrumsleitung Charité Mitte mit ver.di-VertreterInnen am 1. Warnstreiktag eine Notvereinbarung präsentiert wurde, die die Normalbesetzung als Notdienstmannschaft vorschlug (Riedemann).

Affront

Dies alles ist ein klarer Affront gegen die Interessen der Beschäftigten und ihren Willen, für deren Durchsetzung in den Kampf zu gehen. Nicht nur die privat organisierten Konzerne wie Helios, Asklepios u. a. setzen auf Konfrontation, sondern nun auch die noch öffentlich geführten Häuser. Kein Wunder, geht es doch in dieser Auseinandersetzung letzten Endes um die politische Ausrichtung der Gesundheitsversorgung – öffentlich mit einer entsprechenden finanziellen Ausstattung, die auch die wirklich aufkommenden Kosten der Behandlungen und der notwendigen Ausstattung refinanziert, oder weiter mit Privatisierung und Fallpauschalen, die zu Personalabbau und Konkurrenz unter den Krankenhäusern führen und letztlich zu Schließungen von Häusern, die der Konkurrenz nicht standhalten können.

Großartiger Start

Von daher hatten die KollegInnen recht, wenn sie trotzdem in den Warnstreik gingen und eine öffentliche Kundgebung gegen diese Entscheidung abhielten. Deutlich über 1000 Streikende und UnterstützerInnen versammelten sich am 23.8. um halb elf vor der Vivantes-Zentrale. Die Stimmung – prima.

Es sprachen die SpitzenkandiatInnen der SPD, der Linken und Grünen. Frau Giffey erntete auch einige Pfiffe, aber für ihre Aussagen, hinter dem Kampf und seinen Zielen zu stehen, bekamen alle drei Applaus. Die Streikleitung legte einen guten Vorschlag vor: Eine Delegation sollte die Rücknahme der einstweiligen Verfügung gegen den Streik der Tochterfirmen von der Geschäftsführung verlangen. Die WahlkämpferInnen sollten mit – eigentlich sind sie als Senatsspitze die AuftraggeberInnen dieser Geschäftsleitung.

Die Streikleitung rief: „Wir gehen hier nicht weg, bevor die Erklärung zurückgenommen worden ist.“ Die Streikenden: „Wir bleiben hier!“

Dann gegen halb eins der Schock: Es gab eine zweite einstweilige Verfügung, angestrengt ebenfalls von den Vivantes-Bossen: Sie wollten geklärt haben, ob die Frage der Personalbemessung überhaupt tariffähig sei. Es gelte ja der laufende Tarifvertrag vom vergangenen Herbst, abgeschlossen zwischen ver.di und den kommunalen Arbeit„geber“Innenverbänden.

Kurz darauf kam die Delegation von dem Spitzengespräch zurück: Die Geschäftsführung nahm nichts zurück. Das hatte auch jetzt niemand mehr erwartet.

Ein Sprecher der Geschäftsführung erläuterte nochmal deren Position, bot aber an, doch über die Aufstockung von Personal reden zu können: „Wir haben viele offene Stellen, kommen Sie zu uns“ und: „Wir haben doch die gleiche Meinung wie ver.di, dass da mehr getan werden muss – aber keinen Tarifvertrag.“ Und dann: „Es wird keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen für diesen Streiktag geben.“ Was man auch als Drohung für den nächsten Streiktag auffassen konnte.

Die Mitglieder der Tarifkommission und der Streikleitung zogen sich zurück zur Beratung. Nach zwei Stunden wurde der Streik vorläufig beendet. Viele waren unzufrieden. Solidaritätsadressen der IG Metall und der GDL machten etwas Mut.

Es ging hin und her: Sollen wir weiter hier die Zentrale von Vivantes blockieren oder machen wir einen Sitzstreik vor dem SPD-Sommerfest? Am Ende verlagerte sich alles dorthin.

Wie geht es weiter?

Der alte Plan sah vor, dass in den Krankenhäusern nur eine Minimalbesatzung im Einsatz ist. Dies ist völlig richtig angesichts der Weigerung der Klinikführungen, auch nur über einen Streiknotfahrplan zu verhandeln. Bei Vivantes hatten zwölf, bei der Charité sieben Teams angekündigt, ab der Dienstagsfrühschicht nicht mehr auf den Stationen zu erscheinen.

Nach einer gerichtlichen Aufhebung der einstweiligen Verfügung ging der Warnstreik am Dienstag und Mittwoch weiter und endete mit einer Kundgebung im Volkspark Friedrichshain. Mittlerweile berät die Tarifkommission über die Abhaltung einer Urabstimmung, die einen Vollstreik einleiten soll.

Gestützt auf eine jüngst errungene, beachtliche Steigerung des gewerkschaftlichen Organisationsgrads und auf Kreationen einer aktiven Basis (Teamdelegierte, TarifberaterInnen bzw. -botschafterInnen), können die Beschäftigten mutig und gestärkt in diesen gehen, wenn sie darüber stets das Heft der Streikführung in der Hand behalten und die Provokationen der Gegenseite adäquat beantworten: Keine Notdienstvereinbarungen ohne unsere Zustimmung! Zur Not setzen sie diese einseitig durch, ohne das PatientInnenwohl zu gefährden (Bettensperrungen, Stationsschließungen, Aufnahmekontrollen). Schließlich liegt ja auch das PatientInnenschicksal schon im Normalbetrieb äußerst einseitig in der Hand aller Beschäftigtenberufsgruppen, nicht in der der Leitungen! Auf alle Angriffe aufs Streikrecht muss mit dem Appell an gewerkschaftliche Solidarität gekontert werden, v. a. mit der solidarischen Wiederaufnahme des laufenden GDL-Streiks, besser einem politischen Streik aller Gewerkschaften insbes. des DGB und seitens des Marburger Bundes!

Natürlich sollte ver.di in die Offensive gehen und den Kampf um einen Entlastungstarifvertrag in den beiden Berliner Häusern als Ausgangspunkt nehmen, um eine bundesweite Entlastungskampagne zu initiieren. Natürlich würde auch die im Oktober beginnende Tarifrunde der Länder im öffentlichen Dienst eine weitere Chance, um in dieser Richtung weiterzukommen, darstellen. Diese müsste dazu genutzt werden, die Beschäftigten aller Unikliniken in einen gemeinsamen Kampf um mehr Personal zu führen, anstatt die Entlastungskampagne auf die Zeit nach der Tarifrunde zu verschieben.

Aber beides braucht Anlaufzeit. Darauf hat die Gewerkschaft sich und die Belegschaften nicht vorbereitet. Während dies in Angriff genommen werden muss, muss zugleich die Dynamik und Mobilisierungsfähigkeit der Berliner Beschäftigten auf die nächste Stufe gehoben und der Kampf ausgeweitet werden von Warnstreiks zu einem unbefristeten Erzwingungsstreik: Für die sofortige Einleitung der Urabstimmung in Berlin! Aufnahme der Berliner Forderungen (TvöD-Angleichung für ausgelagerte Tochtergesellschaften und Personalentlastung in den landeseigenen Krankenhäusern wie z. B. den Unikliniken) in die anstehende Ländertarifrunde des öffentlichen Dienstes!




Ver.di und die gesetzliche Pflegeversicherung

Jürgen Roth, Infomail 1145, 13. April 2021

Im Artikel „Systemrelevanz oder Gotteslohn?“ beschäftigten wir uns mit der Ablehnung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung des zwischen der Gewerkschaft ver.di und einem kleineren Unternehmerverband in der Altenpflege ausgehandelten Tarifvertrags durch die Caritas. Die dabei zutrage tretenden Verhältnisse beleuchten jedoch nur einen Aspekt einer viel umfassenderen Krise im Bereich der Pflegeversicherung.

Eigenanteile

Allgemein stellt sich das als Finanzierungsproblem dar. Der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen beklagt schon länger zu wenig öffentliche Mittel und zu hohe Eigenanteile in der Pflegeversicherung. Im Schnitt müssten HeimbewohnerInnen derzeit 2.068  Euro/Monat – nach anderen Berechnungen 2.015 – zahlen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plant darum eine Begrenzung des Eigenanteils und einen Zuschuss des Bundes, setzt aber gleichzeitig auf private Vorsorge.

Ver.di rechnet mit folgenden monatlichen Durchschnittskosten pro Heimplatz: 455 Euro Investitionskosten, 774 Euro Verpflegung und Unterkunft, 786 Euro Eigenanteile. Die Durchschnittsrente beträgt demgegenüber aber nur 954 Euro.

Mehr Personal

Sylvia Bühler, im ver.di-Bundesvorstand für die Beschäftigten im Gesundheitswesen und für Gesundheitspolitik zuständig, fordert eine „gute pflegerische Versorgung und deren auskömmliche und gerechte Finanzierung“. Die hohen Belastungen führen schon im Normalbetrieb zur Flucht etlicher Pflegekräfte aus dem Beruf oder in Teilzeit. Derzeit ist die Personalausstattung in den Pflegeheimen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und nicht verbindlich genug geregelt. Auf Drängen von ver.di und einigen anderen Verbänden hat die Bundesregierung ein Verfahren zur Personalbemessung in der stationären Altenpflege in Auftrag gegeben, dessen Ergebnisse Heinz Rothgang, Professor für Gesundheitsökonomie an der Uni Bremen, jüngst vorgelegt hat. Demnach sind für eine adäquate Versorgung 115.000 zusätzliche Vollzeitstellen vonnöten. Die Bundesregierung hat zunächst jedoch gerade 20.000 Hilfskräfte (!) bewilligt. Nun will sie das Bemessungsverfahren erproben und evaluieren, also verwässern.

Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den 15.400 Pflegeheimen und 14.700 ambulanten Pflegediensten und die Kampfkraft der dortigen Beschäftigten werden von ver.di so gering eingeschätzt, dass eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung für notwendig erachtet wurde. Nach deren Scheitern hat die Gewerkschaft außer Ratlosigkeit jedoch nichts anzubieten, schon gar nicht einen politischen Streik für die dringend nötige Umsetzung des Tarifvertrages, die im Interesse der gesamten ArbeiterInnenklasse liegt (siehe: Ver.di Publik 1/2021, Fachbereich 3, S. 3).

„Solidarische Pflegegarantie“

Wer soll die Personalaufstockung und bessere Entlohnung bezahlen? Aktuell ist jede/r 3. HeimbewohnerIn auf Sozialhilfe angewiesen. Dieser Anteil wird laut Deutscher Angestelltenkrankenkasse (DAK) kurzfristig auf 37 % steigen. Steigende Kosten kämen allein auf die Versicherten und Pflegebedürftigen zu. Im Gegensatz zu Kranken- und Rentenversicherung haben sich die Unternehmen in den 1990er Jahren „ihren“ Beitrag durch die Streichung des bundesweiten Feiertags Buß- und Bettag erkauft. Nur in Sachsen blieb dieser erhalten. Dafür werden dort die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung vollständig vom Bruttolohn abgezogen.

Spahn will in dieser Situation nur den pflegebedingten Eigenanteil auf höchstens 700 Euro monatlich für längstens 3 Jahre deckeln. Die Länder sollen 100 Euro pro Monat und Person an Investitionskosten übernehmen. Selbst mit dieser Bremse müsste noch ein Viertel der BewohnerInnen „Hilfe zur Pflege“ beantragen.

Konsequent wäre, so Barbara Suser, bei ver.di für Pflegepolitik zuständig, alle Pflegekosten durch die Pflegeversicherung zu finanzieren, wie es bei ihrer Einführung 1995 auch gedacht gewesen sei. Eine „Solidarische Pflegegarantie“ soll wie die gesetzliche Krankenversicherung alle Risiken übernehmen und die Leistungen dürften entsprechend der Lohnentwicklung dynamisiert werden. Zudem müssten die Bundesländer ihrer Pflicht zur Finanzierung von Investitionen nachkommen (455 Euro), die bislang größtenteils den BewohnerInnen auferlegt würde.

Sie schlägt daher vor, die gesamte Bevölkerung, also alle Einkommensarten in die Versicherung einzubeziehen und die Trennung zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung aufzuheben. Für die große Masse würde das eine umfassende Pflegegarantie mit ausreichend und besser bezahltem Personal bedeuten. Die Pflegeversicherung würde dabei durchschnittlich um 5 Euro/Monat erhöht werden. Bühler will dieses Vorhaben mit allen Pflegebedürftigen und ihren Familien, Arbeit„geber“Innen und PolitikerInnen, „die das Gemeinwohl im Sinn haben“, umsetzen. Wie blauäugig ist doch dieses krampfhafte Festhalten an der SozialpartnerInnenschaft mit Staat und Kapital angesichts des Scheiterns viel bescheidenerer Pläne wie dem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag! Klassenkampf kommt für diese Spitzengewerkschafterin noch nicht mal als Wort vor, geschweige denn als bitter notwendige Realität angesichts verheerender Zustände in diesem systemrelevanten Bereich.

Bürgerversicherung

Die Vorschläge gehen immerhin in die richtige Richtung und übertreffen die Pläne der Bundesregierung deutlich. Wir kritisieren aber nicht nur, dass ver.di überhaupt keine Mobilisierung der KollegInnen dafür ins Auge fasst. Die Gewerkschaft fordert auch nicht, dass als erster Schritt die Rücknahme der Streichung des Feiertags und Wiedereinführung der traditionellen paritätischen Finanzierung wie in den anderen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung erfolgen muss. Zudem macht sie nicht genug deutlich, dass dieses Prinzip bei allen Illusionen in Staat und Unternehmen gegenüber manchen Vorstellungen von Bürgerversicherung verteidigt gehört. Deren AnhängerInnen wie auch einige UnterstützerInnen des bedingungslosen Grundeinkommens möchten sich die Versicherungspflicht für alle gern durch Verzicht auf die sogenannten Lohnnebenkosten für die Unternehmen erkaufen. Da diese jedoch in Wirklichkeit der Verfügung der ArbeiterInnenklasse entzogene Bestandteile ihres Arbeitslohns darstellen, läuft die Forderung nach deren Kürzung letztlich auf eine Minderung des Arbeitslohns hinaus, also eine Umverteilung zugunsten des Kapitals.

Demgegenüber stellt selbst das tradierte Sozialversicherungswesen trotz seiner Illusionen in den „Unternehmensanteil“ und die staatliche Oberaufsicht einen Fortschritt dar. Dieses auf die Bismarck’sche Reform von oben zurückgehende System verkörpert sowohl eine Verallgemeinerung der Versicherung für alle Lohnabhängigen, also eine wichtige Errungenschaft der ArbeiterInnenklasse, als auch eine Verstaatlichung der einzelnen proletarischen beruflichen Hilfskassen, also die Ausschaltung der Kontrolle und Verwaltung durch die Lohnabhängigen bzw. von diesen gewählte Gremien.

Ausgehend von dieser Verteidigung eines wichtigen, aber widersprüchlichen Schutzes gegen die Zumutungen der freien Marktwirtschaft fordern wir:

  • Wiedereinführung der sogenannten paritätischen Beitragszahlung und Rückgabe des bezahlten Feiertags!
  • Vollständige Sozialversicherungspflicht für alle! Keine Befreiung durch Mitgliedschaft in einer privaten Kranken- oder Rentenversicherung!
  • Wegfall der Beitragsbemessungsgrenzen! Beitragspflicht auf die volle Einkommenshöhe!
  • „UnternehmerInnenanteile“ müssen wie bisher das halbe Versicherungsbudget decken, sei es durch progressive Gewinnsteuer oder Wertschöpfungsabgabe! Der Gewinn soll die Einnahmebasis bilden, nicht das Lohnaufkommen, was die großen Konzerne begünstigt hat!

Von der Sozialversicherung zum gesellschaftlichen Reproduktionsfonds

Das in der reformistisch dominierten ArbeiterInnenbewegung vorherrschende ideologisierende Gerede vom „Sozialstaat“ drückt letztlich die höchst irdische heilige Dreifaltigkeit der SozialpartnerInnenschaft zwischen ArbeiterInnenklasse, Kapital und Staat aus, erkauft mit der Knebelung der von ArbeiterInnen gegründeten Hilfskassen. Um Illusionen in diese drittelparitätische Knebelung an Unternehmen und ihren Staat zu durchbrechen, reicht bloße Kritik an ihnen nicht aus. Damit die Klasse damit auch im wirklichen Leben zu brechen beginnt, müssen die Lohnabhängigen zur Verteidigung der bestehenden Errungenschaften mobilisiert werden. Nur im Kampf werden sie als Klasse erkennen, dass die eigene Kontrolle über die Versicherungskassen notwendig ist. Wie oben ausgeführt, stellen Sozialabgaben einen Teil des kollektiven Arbeitslohns dar. Folglich sollten für die vollständige Selbstverwaltung bzw. Kontrolle durch die Arbeitenden allein ihre Organisationen zuständig sein:

  • Staat und Unternehmen raus aus den Sozialversicherungen! Abschaffung der paritätischen Mitbestimmung des Kapitals!

Die Krise der Pflegeversicherung verdeutlicht auch, dass der Kapitalismus immer wieder alle erkämpften Reformen, alle Bollwerke der ausgebeuteten Klasse angreift. In Zeiten der Krise gerät darüber hinaus das traditionelle Sozialversicherungswesen in eine Situation, in der die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben sich öffnet. Durch Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit etc. sinkt die Lohnsumme als grundlegende Einnahmequelle. Gleichzeitig steigen die Ausgaben, v. a. in der Arbeitslosenversicherung.

Auf der Anbieterseite operieren private, kapitalistische bzw. staatliche und frei-gemeinnützige Träger nach dem Prinzip der Rationalität jeden Kapitals. Für sie stellen Versicherungen einen möglichst profitablen Geschäftszweig wie jeden anderen dar. Letztlich kann diese Tendenz im Kapitalismus nie überwunden wurden werden. Erst auf Grundlage der Enteignung der herrschenden Klasse kann der gesamtgesellschaftliche Produktions- und Reproduktionsfonds, also die materielle Basis der Gesellschaft kollektiv und demokratisch kontrolliert und geplant entwickelt werden.

Der Kampf um ArbeiterInnenkontrolle im Rahmen der bestehenden Gesellschaft stellt dabei eine Übergangsforderung dar, einen Schritt, die privaten Profitinteressen zurückzudrängen und zugleich die Stellung der Lohnabhängigen zu stärken. Das macht aber auch verständlich, warum eine solche Kontrolle nur im Klassenkampf, durch politische Massenstreiks errungen werden und warum sie selbst im Kapitalismus nur als Übergangsform existieren kann. Nehmen wir einmal an, die Sozialversicherung würde von gewählten Gremien der Lohnabhängigen kontrolliert und die UnternehmerInnen hätten darin nichts zu sagen, so würden letztere diese Errungenschaften bei erster Gelegenheit in Frage stellen und angreifen. Der Klassenkampf würde sich also verschärfen, bis zum Kampf um die Reorganisation der gesamten Gesellschaft im Interesse der Mehrheit, bis hin zu einer sozialistischen Umwälzung. Diese innere Logik erklärt freilich auch, warum die reformistischen Parteien wie SPD und DIE LINKE sowie die Gewerkschaftsbürokratie an der SozialpartnerInnenschaft eisern festhalten wollen, selbst wenn sie das Kapital aufkündigt. Eine klassenkämpferische Opposition in den Gewerkschaften, alle linken und klassenkämpferischen Kräfte müssen hingegen einen Bruch mit der SozialpartnerInnenschaft einfordern und einen entschlossenen gemeinsamen Kampf. Dazu schlagen wir folgende Losungen vor:

  • ArbeiterInnenkontrolle über Sozialkassen, Gesundheits- und Altenpflege, gemeinsam mit ihren NutzerInnen, den PatientInnen, Bedürftigen und Angehörigen!
  • Entschädigungslose Verstaatlichung der Pharmakonzerne, Klinik- und Altenpflegeketten!
  • Für einen Gesundheits- und Pflegefonds als deren Träger und Finanzquelle!
  • Finanzierung in Höhe der demokratisch festgelegten notwendigen Betriebs- und Investitionsmittel für Personalaufstockung, Qualifizierung und angemessene Entlohnung!
  • Sozialisierung der Haus- und Sorgearbeit inkl. Betreuung von Angehörigen und Kindererziehung, Jugendbildung und -ausbildung!



Systemrelevanz oder Gotteslohn?

Zum Scheitern einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Tarifvertrags für die Altenpflege

Jürgen Roth, Infomail 1142, 17. März 2021

Am Donnerstag, dem 25. Februar 2021, hat sich die Arbeit„geber“Innenseite der arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas dagegen ausgesprochen, dass der von ver.di und BVAP, einem kleineren UnternehmerInnenverband in der Altenpflege, abgeschlossene Tarifvertrag (TV) für allgemeinverbindlich erklärt wird. Letzteres wollten Arbeitsminister Hubertus Heil, die Gewerkschaft, aber auch Unternehmen wie die AWO. Zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung wäre die Zustimmung von Caritas und Diakonie notwendig gewesen, weil sie das Gros der AltenpflegerInnen beschäftigen.

Fachkräftemangel und Niedriglohn

Die Gehälter in der Altenpflege sind in den letzten Jahren etwas stärker gestiegen als in anderen Branchen. In der Pflege herrscht ganz allgemein ein Fachkräftemangel. Zudem gelten die Beschäftigten dort seit der Pandemie als systemrelevant. Letztere geht überdies mit erhöhtem Arbeitsaufwand und -risiko einher.

Pflegefachkräfte in Altenheimen erhielten laut Statistischem Bundesamt 2019 für einen Vollzeitjob rund 3.100 (brutto) Euro im Monat, damit 25 % weniger als Chemiefachpersonal. AltenpflegehelferInnen erhielten im Mittel nur 2.150 Euro, in Ostdeutschland sogar unter 2.000 Euro. Die meisten der 1,2 Millionen Angestellten erhielten sogar noch weniger, weil sie eine Teilzeitstelle haben.

Der TV sieht vor, dass Kräfte mit einjähriger Ausbildung 13,10 Euro Stundenlohn ab August erhalten sollen (2.220 Euro/Monat in Vollzeit).

Nun bleibt es bei den bereits bestehenden Mindestlöhnen (11,20 Euro in Ost- und 11,60 Euro in Westdeutschland). Ab Juli gilt erstmals ein Mindestlohn für Fachkräfte (15 Euro).

Beschäftigte in Privathaushalten, oft Frauen aus Polen oder Rumänien, haben noch mehr das Nachsehen. Die meisten haben nicht einmal Anspruch auf den Pflegemindestlohn entweder weil sie Verträge als Haushaltshilfen haben oder offiziell als selbstständig gelten. Hier greift nur der gesetzliche Mindestlohn. Laut Schätzungen gibt es in der BRD bis zu 600.000 sogen. 24-Stunden-Betreuungskräfte, überwiegend aus Osteuropa. Mit diesen Beschäftigungsverhältnissen werden wir uns demnächst in einem weiteren Artikel auseinandersetzen.

Kirchliche Sonderregeln

Laut Rolf Cleophas, Sprecher der MitarbeiterInnenseite der arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas, liegen die Gehälter dort über den Mindestvergütungen im geplanten Branchentarifvertrag. Das gelte auch für kommunale Einrichtungen. Warum hat die Caritas ihn dann abgelehnt?

Der Dienstgeber der Caritas, Norbert Altmann, begründet die Ablehnung mit drohenden Konflikten im Gehaltsgefüge. Wenn ab Juni 2023 Kräfte mit einjähriger Ausbildung 14,40 Euro erhalten sollen, fürchtet er Druck in Richtung Lohnerhöhungen. Doch darüber hinaus fürchten die kirchlichen Unternehmen eine Gefährdung ihres „Dritten Weges“, wenn der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt würde.

So bezeichnen sie die Sonderregelungen, die die Kirchen aus ihrem „Selbstbestimmungsrecht“ ableiten. Dazu gehört, dass das Streikrecht eingeschränkt ist und dass das Betriebsverfassungs- bzw. Personalvertretungsgesetz nicht gelten. Auch bei Einstellungen und Entlassungen spielen das „richtige“ Gesangbuch bzw. „christliches“ Betragen eine ausschlaggebende Rolle. Lebt z. B. ein geschiedener katholischer Gärtner in „wilder Ehe“, so ist das ein Entlassungsgrund, und AtheistInnen müssen draußen bleiben. In den höchst irdischen Unternehmen des Herrn gibt es also weder Betriebs- noch Personalräte (BR, PR), sondern sogen. MitarbeiterInnenvertretungen (MAV) mit noch weniger Befugnissen als erstere. Und die oberste Instanz, Senior- und Juniorchef, kennt keinen Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital. Jede Anspielung darauf und sei’s nur in Form sozialpartnerschaftlich integrierter und verstümmelter Institutionen wie BR oder PR und erst recht mittels eines richtigen Streiks oder auch nur der Aushandlung von Tarifverträgen mit einer Gewerkschaft, sei sie auch noch so devot gegenüber „der Wirtschaft“ wie ver.di, gilt als Teufelswerk. So legt es zumindest die irdische Etage der Christenheit aus. Einspruch „von oben“ ist nicht in Sicht.

Konkordat

Der Dritte im Bunde – Pardon! Vierte, wenn man den Heiligen Geist mitrechnet – in diesem selig-unseligen Treiben ist allerdings die höchste Instanz in der ersten Etage: der bürgerliche Staat! Die Bundesrepublik hält seit ihrer Gründung am Konkordat mit den beiden christlichen Kirchen eisern fest. Damit ermöglicht sie ihnen nicht nur den arbeitsrechtlichen Status als besondere Tendenzbetriebe, sondern tätigt auch Investitionen in christlichen Krankenhäusern, treibt Kirchensteuer im Rahmen des Direktabzugs wie bei der Lohn- und Einkommensteuer und in einigen Bundesländern auch Kirchengeld für EhegattInnen ein, die nicht der Kirche angehören.

Darüber hinaus wird auch ein großer Teil des Klerus vom Staat bezahlt. Natürlich erhielten die Kirchen auch Verlustausgleich für die im Zuge der Säkularisierung verlustig gegangenen Ländereien aus Feudalbesitz. Das nur einige Beispiele. Faktisch ist die Trennung zwischen Kirche und Staat in Deutschland also nicht existent. Sie vehement zu fordern, bleibt eine elementare Pflicht für KommunistInnen, um bis heute nicht erfüllte Forderungen der bürgerlichen Revolution in diesem Lande und auf diesem Feld zu Ende zu bringen.

  • Für die vollständige Trennung von Kirche und Staat!
  • Volles Arbeits- und Streikrecht für Kirchenbeschäftigte!
  • Erzwingung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch Streik bis hin zum politischen Massenstreik!
  • Entschädigungslose Verstaatlichung der kirchlichen Unternehmen unter ArbeiterInnenkontrolle im Falle ihrer Weigerung, den berechtigten Forderungen ihrer MAV-VertreterInnen nachzukommen!



GesundheitsministerInnenkonferenz in Leipzig: Protest mit angezogener Handbremse

Jürgen Roth, Infomail 1058, 8. Juni 2019

Am 5. Juni tagte die alljährlich stattfindende Konferenz der
GesundheitsministerInnen des Bundes und der Länder, diesmal in der sächsischen
Metropole. Angesichts des akuten Pflegenotstands mobilisierte die
Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bundesweit zum Protest. 1.300 Pflegekräfte
aus Krankenhäusern, Altenheimen und Rehaeinrichtungen marschierten vom
Ankunfts- zum Tagungsort beim Steigenberger-Hotel und mussten mehr als 3
Stunden bei brütender Hitze auf die Ankunft des Bundesgesundheitsministers Jens
Spahn und seiner sächsischen Kollegin Barbara Klepsch (beide CDU) warten.

Sie mussten durch ein von zahlreichen Kolleginnen gebildetes
Spalier schreiten. Ver.di hatte in Form eines olympischen Briefes von 400 m
Länge zahlreiche Unterschriften von Pflegekräften mit der Aufforderung zum
Handeln gegen den Pflegenotstand gesammelt. Diese Papierschlange ahmte symbolisch
den Stafettenlaufs des in Athen entzündeten olympischen Feuers nach. Im den
letzten Monaten waren Unterschriften in Hunderten von Pflegeeinrichtungen gesammelt
worden, die den beiden PolitikerInnen in Leipzig überreicht wurde.

Pflegealltag und –„reformen“

Laut ver.di fehlen allein in der Krankenpflege 80.000
Stellen. Die Bertelsmann-Stiftung prognostiziert, dass angesichts einer
steigenden Zahl von Pflegebedürftigen in 10 Jahren 500.000 Vollzeitkräfte in
der Pflege vakant sein werden. Spahn und Klepsch durften zur versammelten Schar
sprechen. Der Bundesgesundheitsminister wähnt die Große Koalition auf einem
guten Weg. Er nannte als Belege die neue Untergrenzenregelung (PpUVG) und das
Pflegepersonalstärkungsgesetz (PpSG). Ver.di-RednerInnen wiesen darauf hin,
dass das PpUVG ganz und gar keine Früchte getragen habe, sondern vielmehr die
Untergrenzen des schlechtest besetzten Viertels der 4 Bereiche, die unter
dieses fallen, jetzt zu neuen Regelbesetzungen auch in den anderen 3 Vierteln
mutiert sind! Folglich kassierte der Bundesminister Pfiffe für seine
Auslassungen.

Mit Händen und Füßen währte sich Spahn gegen die lautstark geforderte Abschaffung der Fallpauschalen (DRGs). Schließlich sei doch die Pflege ab 2020 davon ausgenommen und das schaffe doch keine einzige neue Pflegekraft am Krankenbett. Beide Behauptungen sind reine Demagogie. Die Pflege wird lediglich aus den allgemeinen Fallpauschalen herausgenommen. Das viel subtilere Damoklesschwert neuer Pflege-DRGs hängt weiter über Köpfen und Rücken der Beschäftigten. Selbst wenn diese noch nicht gleich ab 2020 eingeführt werden sollten, erfolgt bestenfalls eine Rückkehr zu einem bürokratischen Prozess eines gedeckelten Pflegebudgets. Schon das Pflegestellenförderprogramm 2016 und 2017 musste so hohe bürokratische Hürden überwinden, dass dessen Mittel nur zur Hälfte abgerufen wurden. So richtig es ist, dass mit der neuen Regelung ab 2020 noch keine einzige Pflegekraft neu eingestellt wird – dafür müsste zunächst das Wiederinkrafttreten der gesetzlichen Pflegepersonalregelung her –, so sehr „vergisst“ Spahn, dass die Konferenz dies weiterhin kategorisch ablehnt. Er unterschlägt auch, dass miese Arbeitsbedingungen und Bezahlung Pflegekräfte nach durchschnittlich 12 Jahren zur Flucht aus ihrem Beruf zwingen und ihre Rückkehr erschweren. Es sind nicht Faulheit und Unwille der Beschäftigten, die für den Notstand verantwortlich zeichnen, sondern die marktwirtschaftliche Durchdringung des Gesundheits(un)wesens und die Politik ihrer ClaqueurInnen und HelfershelferInnen in den Ministeriumsetagen – zuvorderst in der Person des Bundesgesundheitsministers selbst! Auf die Pferdefüße seiner Reformen haben wir schon in „Stückwerk Pflegepolitik“ hingewiesen.

Konzertierte Aktion Pflege

An dieser waren mehr als 50 Verbände – Arbeit„geber“Innen,
Gewerkschaften, VertreterInnen von Pflegeberufen und –bedürftigen – beteiligt.
Die am 4. Juni vorgestellten Ergebnisse versprechen bundesweite Tarifverträge
für Beschäftigte in der Pflege und die gleiche Bezahlung in Ost und West. Die
auf Initiative von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sowie seinen
SPD-KollegInnen Familienministerin Franziska Giffey und Arbeitsminister
Hubertus Heil im vergangenen Jahr gestartete Aktion will dem Fachkräftemangel
in dieser Branche neben höherer Bezahlung auch durch mehr Auszubildende,
Ausbildungseinrichtungen (bis 2012 um 10 %) und Weiterbildungsplätze
(5.000) entgegenwirken. Zudem soll die Anwerbung von ausländischen Fachkräften
forciert werden, u. a. durch eine Fach- und Sprachausbildung in deren
Herkunftsländern. LINKE-Chef Riexinger bemängelt nur eine zu knapp bemessene
Zusatzfinanzierung – das Fallpauschalensystem als Wurzel der neoliberalen
Umgestaltung kritisiert er nicht. Sozialverbände warnen vor erhöhten
Eigenbeteiligungen der Pflegebedürftigen zur Finanzierung. Maria Loheide,
Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, mahnt eine zeitnahe
Pflegereform an.

Gewinnerin Altenpflege?

Tatsächlich ist bei der Konzertierten Aktion gar kein Gesetz
zustande gekommen. Es gibt lediglich 200 Seiten Papier mit Zusagen der
Mitarbeitenden. Deren Kernaussage – bessere Bezahlung für Altenpflegekräfte –
klingt zunächst einmal gut. Fachkräfte kamen hier 2017 im Mittel auf 2.740 Euro
brutto monatlich (KrankenpflegerInnen: 3.340 Euro), unausgebildete
AltenpflegerInnen nur auf 1.940 Euro. Und dies ist nur der Durchschnitt: gerade
private Träger weichen davon oft deutlich nach unten ab.

Eine Mehrheit der Kommissionsmitglieder setzt sich sogar für
eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrags (TV) für die
Altenpflege ein, der dann für alle Betriebe gälte. Derzeit gilt verbindlich nur
ein Altenpflegemindestlohn von 10,55 Euro Ost bzw. 11,06 Euro West. Bevor
Minister Heil das Arbeit„nehmer“entsendegesetz ändern lassen kann, auf dessen
Grundlage dann der TV für die gesamte Altenpflegebranche gelten könnte, fehlen
wichtige Verbündete wie die kirchlichen Träger, der Bundesverband privater
Anbieter sozialer Dienste (bpa) und das Deutsche Rote Kreuz, die sich laut
Abschlussbericht der Konzertierten Aktion gegen den Weg der
Allgemeinverbindlichkeitserklärung ausgesprochen haben.

Ver.di: darf’s ein bisschen mehr sein?

Ver.di hat bereits im Januar 2019 seine Forderungen für die
Altenpflegestundenlöhne vorgestellt: 16 Euro Einstiegsstundenlohn für
Examinierte und 12,84 Euro für Ungelernte. Doch Durchsetzungskraft und –wille
der Gewerkschaft lassen im Pflegebereich zu wünschen übrig! Die Aktion in
Leipzig gerade 1.300 Mitglieder auf die Beine – ein maues Ergebnis für eine
bundesweite Mobilisierung. Letztes Jahr in Düsseldorf waren es noch 5.000 – 6.000.
Zugegeben, ziemlich zeitgleich fanden die Streiks an den Unikliniken Essen und
Düsseldorf statt. Aber schon bei der Pflegekonferenz in Hamburg und auf der
Streikrechtskonferenz in Braunschweig wurde deutlich, dass auch der linke Teil
des Apparats keine Großdemo an einem Wochenende gegen den Pflegenotstand wollte
und diesen Vorschlag gegen Leipzig ausspielte. Statt sich auf eine solche
bessere Art von Lobbypolitik und auf das fast ebenso stumpfe Instrument des
Volksentscheids – just in Hamburg gescheitert – zu konzentrieren, gilt es, eine
gesetzliche Pflegepersonalbemessung gemäß der eigenen Vorgaben an fehlenden
Stellen zu erstreiken. Dieses Instrument, nicht nur das des Lohn-Tarifvertrag,
muss auch für Altenpflege und Reha erkämpft werden! Statt auf eine
Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu warten, muss eine Großdemonstration,
vorzugsweise an einem Wochenende im Herbst, her sowie eine gewerkschaftliche
Konferenz fürs gesamte Gesundheitswesen, die diese Forderungen bündelt und mit
dem Kampf für einen auskömmlichen und verbindlichen Lohntarif in der
Altenpflege in Form eines Vollstreiks verbindet. Heiße Luft hatten wir in
Leipzig schon genug durchs Wetter. Dafür brauchen wir keine Gewerkschaft. Die
muss ihren Namen mit dem Feuer des Klassenkampfes verdienen, sonst bleibt sie
nur Treibhausgas!




Wie weiter im Kampf gegen den Pflegenotstand?

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftsinfo der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Mai 2019, Infomail 1053, 3. Mai 2019

An Wochenende des 4./5 Mai treffen
sich diverse Pflegebündnisse, die sich landauf landab gegründet haben zur
Unterstützung der KollegInnen – insbesondere des Pflegepersonals -, die für die
Durchsetzung von Tarifverträgen für ausreichend Personal in den Krankenhäusern
kämpfen.

Nach nunmehr 3 Jahren Kampf an
den Kliniken müssen wir feststellen, dass sich an den miserablen
Pflegebedingungen dort nichts Wesentliches geändert hat, der Pflegenotstand
existiert weiter,

  • auch wenn in 13 Krankenhäusern – allesamt
    Unikliniken – Tarifverträge oder schuldenrechtliche Abkommen für mehr Personal
    durchgesetzt werden konnten. In allen Krankenhäusern lässt sich jedoch
    feststellen, dass die erkämpften Stellen von den Krankenhausleitungen nicht
    eingerichtet werden, sie erfinden allerlei Tricks, um die Regelungen zu
    umgehen;
  • auch wenn Gesundheitsminister Spahn mit einigen
    gesetzlichen Regelungen auf den gesellschaftlichen Druck reagieren musste – zum
    einen mit dem sog. Pflegepersonalstärkungsgesetz und der
    Personaluntergrenzenverordnung. Keine dieser Regelungen hat bisher zu einer
    Milderung der miserablen Personalsituation in den Krankenhäusern geführt.

Schon diese kleine Bilanz des
Kampfes um mehr Personal zeigt, dass es an diesem Wochenende darum gehen muss zu diskutieren, welchen Beitrag die Pflegebündnisse leisten
können, um die Durchsetzung von mehr Personal an den Kliniken auch tatsächlich
Realität werden zu lassen.

Dabei geht es aus unserer Sicht
vor allem um drei Fragestellungen:

  • Wie kann der große gesellschaftliche Druck – der
    mit den 100.000en von Unterstützungsunterschriften für die Volksbegehren gegen
    Pflegenotstand in Berlin, Hamburg, Bremen und Bayern zum Ausdruck kam – mit den
    gewerkschaftlichen Kämpfen für mehr Personal in den Krankenhäusern verbunden
    werden?

Erst wenn die Kämpfe in den
Krankenhäusern und der Wille der großen Mehrheit der Lohnabhängigen,
RentnerInnen und Jugendlichen, die eine gute Gesundheitsversorgung brauchen,
zusammengeführt werden, wird es möglich sein, tatsächliche Schritte in Richtung
einer bedarfsgerechten Personalausstattung in allen – ob öffentlich
finanzierten oder privatwirtschaftlich organisierten – Krankenhäusern
durchzusetzen. D. h. ein politischer Kampf, ein politischer Massenstreik
bis hin zum Generalstreik ist notwendig, um eine bedarfsgerechte
Personalausstattung in den Krankenhäusern durchzusetzen, und zwar gegen den
Willen der Klinikleitungen, der großen Gesundheitskonzerne und der Regierungen,
die es erst möglich gemacht haben, dass die Krankenhäuser nach Profitinteressen
und nicht nach dem wirklichen Pflegebedarf der PatientInnen und entsprechend
guten Arbeitsbedingungen für das Personal ausgerichtet wurden.

  • Wie kann die Diskussion in ver.di und in den
    Belegschaften forciert werden, die gesamte Kraft aller Belegschaften aller
    Krankenhäuser in den Kampf um eine bedarfsgerechte Personalausstattung in den
    Krankenhäusern zu führen?

Dass der Druck aus den
Belegschaften für mehr Personal nach wie vor existiert, zeigt der Beschluss des
Bundesvorstandes des Fachbereichs 03 in ver.di vom Oktober letzten Jahres: Hier
wird gefordert, die ver.di-Kampagne Entlastung/mehr Personal in den
Krankenhäusern fortzuführen und auf weitere Krankenhäuser auszuweiten. In dem
Papier werden Kriterien aufgezählt, die notwendig sind, um eine Belegschaft
durchsetzungsfähig zu machen. Trotz dieses begrüßenswerten Beschlusses
existiert nach wie vor das Manko, das von Anfang an diese Kampagne belastet
hat: Die ver.di-Verantwortlichen beziehen nach wie vor nur vereinzelte Belegschaften
aus den Krankenhäusern in den Kampf mit ein, die sich dann isoliert mit ihrem
Management auseinandersetzen dürfen. Notwendig und sinnvoll wäre es aber, wenn
der ver.di-Bundesvorstand und die ver.di-Verantwortlichen jetzt die
Initiative ergreifen würden, Schritt für Schritt alle Krankenhäuser gemeinsam,
zum gleichen Zeitpunkt und bundesweit in die Streikbewegung einzubeziehen, um
bundesweit eine einheitliche Vereinbarung durchsetzen zu können. Jede
gewerkschaftliche Erfahrung zeigt – nicht zuletzt der derzeitige Druckerstreik
für den Erhalt des bundesweiten Manteltarifvertrages -, dass die Einbeziehung
möglichst aller Belegschaften in den Kampf erst die Bedingungen dafür schafft,
ihre Forderungen gegen den Willen der Geschäftsführungen durchzusetzen.

  • Wie kann die Diskussion in ver.di und in den
    Krankenhäusern, in denen Tarifverträge oder schuldenrechtliche Abkommen
    durchgesetzt werden konnten, forciert werden um die Frage: welches
    Instrumentarium brauchen die Belegschaften, damit die durchgesetzten neuen
    Stellen auch tatsächlich eingerichtet werden, und wie kann dieses durchgesetzt
    werden? Solange das Klinikmanagement entscheidet und nicht das Personal, wird
    sich an der Stellensituation nichts Wesentliches ändern.

Was tun?

Ein erfolgreicher Kampf für mehr Personal und für eine bedarfsgerechte Ausstattung der Krankenhäuser ist möglich und dringend notwendig!

Ein Schritt in Richtung einer
gemeinsamen Mobilisierung aller Belegschaften aus allen Krankenhäusern ist
sicherlich die Mobilisierung von ver.di zu der alljährlich stattfindenden
GesundheitsministerInnenkonferenz, dieses Jahr am 5. Juni in Leipzig. Wie stark
diese Demonstration wird, hängt einerseits vom Druck der Belegschaften in den
Krankenhäusern selber und andererseits von der Stärke der Pflegebündnisse ab,
um ver.di stärker als in den letzten Jahren unter Druck zu setzen, dies als
eine gemeinsame Aktion aller Krankenhausbeschäftigten anzugehen.

Ein Schritt in Richtung einer
gemeinsamen Mobilisierung aller Belegschaften aus allen Krankenhäusern mit
den Lohnabhängigen, RentnerInnen und Jugendlichen wäre, dass das Treffen der
Pflegebündnisse die Initiative für eine bundesweite Demo gegen Pflegenotstand
an einem Samstag im Herbst ergreift.

Zur Vorbereitung und
Organisierung einer solchen Demonstration sollten unserer Meinungen  nach alle politischen und
gewerkschaftlichen Organisationen aufgefordert werden, die die Beschäftigten
und die Masse der PatientInnen im Gesundheitswesen organisieren: ver.di, IG
Metall, SPD, DIE LINKE, PatientInnnenorganisationen, Marburger Bund, Verein
demokratischer Ärzte und Ärztinnen, …..

Die Pflegebündnisse können einen
Startschuss dafür geben, indem sie zu einer Aktionskonferenz aufrufen, an der
alle Organisationen, die die Belegschaften, PatientInnen und Lohnabhängigen
vertreten oder sich auf deren Interessen berufen, teilnehmen sollen. Diese
Aktionskonferenz hätte die Aufgabe eine solche Demo vorzubereiten und
durchzuführen – und damit den Kampf gegen den Pflegenotstand weiter zu bündeln.




Aktionskonferenz gegen den Pflegenotstand notwendig!

Anne Moll/Helga Müller/Jürgen Roth, Neue Internationale 234, Dezember 2018/Januar 2019

Das Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“ (KsF) hatte für den 19.-21. Oktober 2018 zu einer Konferenz gegen die Politik der „,Ökonomisierung‘ des Gesundheitswesens und welche Alternative gibt es zum Fallpauschalensystem?“ eingeladen. Es waren ca. 80 TeilnehmerInnen aus den lokalen Bündnissen, aber auch hauptamtliche wie ehrenamtliche ver.di FunktionärInnen aus den Krankenhäusern vor allem aus Baden-Württemberg vertreten. An politischen Organisationen waren IL (vor allem aus dem regionalen Bündnis) und SAV (Charité Berlin) stark repräsentiert.

Stuttgart

Organisiert und politisch dominiert war das Ganze vom linken ver.di-Apparat aus Baden-Württemberg, ÄrztInnen aus Marburger Bund und VdÄÄ (Verein demokratischer Ärzte und Ärztinnen). KsF versteht sich offensichtlich als eine Art Lobby, um Druck auf die Entscheidungsträger ausüben zu können. Ihm geht es nicht um größere Aktionen, sondern um richtige Analysen und Argumente. Das lässt der linke Apparat noch zu und auf dieser Ebene kommt man mit ihm auch nicht in Konflikt!

Von den Aktionen her orientiert man sich sehr stark an den bereits „gesetzten“ Terminen. Auf dem Abschlussplenum gab es dann eine längere Diskussion um die Frage  einer Großdemo mit den Forderungen „verbindliche Personalbemessung, weg mit DRGs, gegen Privatisierung“ am besten am Wochenende, um auch die arbeitende Bevölkerung miteinbeziehen zu können, oder anlässlich der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) in Leipzig, die durch VertreterInnen von ISO und Gruppe ArbeiterInnenmacht in einer Arbeitsgruppe eingebracht worden waren. Dieser Vorschlag wurde zunächst vom Präsidium gar nicht aufgenommen, dann von diversen ver.di-FunktionärInnenabgelehnt und ins Lächerliche gezogen. Diese richtige Initiative, um auch die Notwendigkeit zu betonen, einen politischen Kampf gegen Privatisierung und Fallpauschalen zu beginnen, wurde nur von wenigen verteidigt. Die SAV z. B. nahm lediglich eine Zwischenposition ein und versuchte, zwischen den beiden Polen zu vermitteln, damit der Konflikt nicht zu sehr eskalierte.

Hamburg

Das Hamburger Bündnisfür mehr Personal im Krankenhaus hatte für den 10./11. November bundesweit alle gleichartigen Initiativen eingeladen. Der Einladung zum 3. Treffen überhaupt folgten ca. 60 Menschen aus 12 Städten, deutlich mehr als zuvor. Die ModeratorInnen sagten, es gäbe jetzt 20 solcher Bündnisse in Deutschland.

Die TeilnehmerInnen waren überwiegend gewerkschaftlich bzw. politisch erfahren. Anwesend waren außer uns die IL, SAV, ISO, ver.di-Hauptamtliche, DIE LINKE, einige (ehemalige) Betriebsräte, DKP, DIDF. Am 10.11. gab es eine gute inhaltliche, recht kontroverse Diskussion über die Ziele der Bewegung, und wie wir besser Druckaufbauen können. Hier brachten ISO und wir die Notwendigkeit einer Aktionskonferenz zwecks Vorbereitung einer zentralen Großdemonstration ein. Das führte dann auch erwartungsgemäß dazu, dass die LinksreformistInnen dagegen hielten – ähnlich wie in Stuttgart. Die Diskussion wurde jedoch nicht abgebrochen und einige mehr sprachen sich dann doch noch für eine zentrale Aktion aus. Allerdings haben sich alle RednerInnen gegen eine Aktionskonferenz gewandt.

 Zu vier Punkten wurden Vereinbarungen getroffen:

  • Die „Bremer“ Resolution wird aktualisiert und soll dann beim nächsten Bündnistreffen verabschiedet werden.
  • Nächste Treffen: im Rahmen der Streikkonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Braunschweig vom 15.-17. 02. 2019, nächstes „richtiges“ Treffen im April in Düsseldorf.
  • Eine bundesweite Struktur für Öffentlichkeitsarbeit und bessere Vernetzung soll entstehen.
  • Aktionen: Fest stehen 8. März, 1. Mai, 12. Mai. Zur GMK am 5./6. Juni in Leipzig soll es einen „olympischen Brief“ geben, der von Krankenhaus zu Krankenhaus weiterläuft, wobei die Unterschriften kumuliert werden. Start ist mit entsprechender Pressemitteilung der 1.1.2019. Präsentation bei der GMK mit Pressekonferenz zusammen mit einer Bilanz der „Personaluntergrenzen“. Der Vorschlag einer vorbereitenden Aktionskonferenz für eine zentrale Großdemo soll wenigstens im Protokoll genannt werden  – als Möglichkeit in weiter Zukunft.

Fazit

Insbesondere das Hamburger Treffen ist ein Schritt vorwärts in der Bewegung – trotz des widersprüchlichen Agierens durch ver.di. Sie bleibt aber doch sehr schwach, was durch die Fokussierung vieler lokaler Bündnisse auf Volksbegehren – weg von Streiks – eher verstärkt wird. Sie schrecken davor zurück, weil die Strukturen vor Ort schwach sind und einige nicht wissen, wie das zu überwinden ist, andere aber genau diese Schwäche nicht überwinden wollen (GewerkschaftsfunktionärInnen, LinksparteivertreterInnen). Es fehlt an Kampfmaßnahmen, die reale Fortschritte erzwingen können – wie die jüngsten Streiks an den Unikliniken Düsseldorf und Essen – statt zahmer Bettelbriefe und Pressekonferenzen!

Unsere ausführliche Perspektive für die Bewegung haben wir zuletzt in einem vierseitigen Flugblatt veröffentlicht, das auf beiden Konferenzen verteilt wurde, sowie im Artikel „Kampf gegen Pflegenotstand – Welche Perspektive?“. Der nächste Schritt, um aus Lobby- und Bittstellerpolitik herauszukommen, muss eine Aktionskonferenz aller Parteien, politischen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, Gewerkschaften, ihrer Careorganisationen (ASB, AWO) sowie den auf beiden Konferenzen vertretenen Kräften sein.