Kundgebung: Eisenbahner:innen gegen den Krieg

Aufruf von Bahn-Gewerkschafter*innen zu einer Antikriegskundgebung in Berlin, Infomail 1182, 16. März 2022

Die russische Invasion der Ukraine und der Krieg haben uns überrascht und erschrocken. Er hat das schon seit Jahren drehende Rad der Konkurrenz und Eskalation zwischen den großen Mächten unfassbar beschleunigt. Wie sonst nichts bestimmt dieser Krieg nun unsere Welt. Jeder Meldung über Leid und Zerstörung in der Ukraine folgen neue Erklärungen, Drohungen, Sanktionen. Es wird weiter eskaliert – was bis zu einem Dritten Weltkrieg führen kann.

Denn der Krieg ist einer um die Neuaufteilung der Welt zwischen Russland einerseits und den USA und den europäischen Mächten, vertreten durch die Ukraine, andererseits.

Wir stehen daher auf der Seite unserer Kolleg:innen in der Ukraine, die ihr Zuhause, Familien und sogar ihr Leben verlieren und am meisten unter dem Krieg leiden.

Wir stehen aber auch auf der Seite unserer russischen Kolleg:innen, die die Zeche für den Krieg und Sanktionen aufgedrückt bekommen und deren Angehörige in Putins Feldzug fallen.

Und wir stehen auf der Seite aller unserer Kolleg:innen hierzulande, denn wir werden die Folgen des Krieges in unserer aller Taschen spüren – wir sollen die 100 Milliarden-Aufrüstung der Bundeswehr finanzieren und die explodierenden Preise für Lebensmittel, Gas, Strom und Sprit bezahlen!

Zu all dem sagen wir: NEIN, No, いいえ, Нет, 아니요, Hayır, Ні, Non, Όχι, 不, !

Vergessen wir nicht, dass Osteuropa seit Jahren auf dem Schienenweg bereits militarisiert und aufgerüstet wurde. Die Deutsche Bahn hat an diesen Rüstungstransporten und der Kriegsspirale ganz mies mitverdient! Wir Eisenbahner:innen haben es in der Hand, dem Krieg das Futter zu entziehen: „Halt“ für Panzerzüge, „Fahrt“ für Flüchtlingszüge und Hilfsgüter – in ganz Europa und Russland!

Als Eisenbahner:innen und Gewerkschafter:innen der EVG und GDL fordern wir:

  • Ein Ende der Militäroffensive der russischen Armee: sofortiger Abzug der Truppen und Ende der Bombardierungen!
  • Keine Unterdrückung und Einschränkungen der Presse- und der Meinungsfreiheit in Russland, der Ukraine und EU! Sofortige Freilassung aller Kriegsgegner:innen! Keine Zwangrekrutierung in Russland und der Ukraine! Keine Verfolgung von Menschen, die den Kriegsdienst verweigern oder desertieren! Unterstützung des Aufbaus unabhängiger Gewerkschaften in Russland und in der Ukraine!
  • Aufnahme aller Menschen, die fliehen, in die EU – nicht nur, wenn sie einen ukrainischen Pass haben!
  • Rückzug von NATO-Truppen und Nein zur NATO-Osterweiterung, Auflösung der NATO!
  • Brechen wir das zustimmende Schweigen bzw. die Zustimmung für Sanktionen gegen die Bevölkerung durch unsere Gewerkschaften! Keine Sanktionen, keine Waffenexporte, keine Aufrüstung, keine Preiserhöhung! Stattdessen sollen EVG und GDL zusammen eine starke internationale Antikriegsbewegung mit aufbauen und diese global ausweiten – das heißt notfalls auch: Arbeitsniederlegung und Streik gegen Waffenlieferungen, Truppentransporte Aufrüstung und Krieg!
  • Rücknahme der 100 Milliarden-Aufrüstung der Bundeswehr – stattdessen: Geld für unsere Daseinsversorgung wie z. B. eine echte Verkehrswende hin auf die Schiene!
  • Kontrolle aller Güterzüge Richtung Osteuropa – kein Transport von weiteren Waffen! Keine arbeitsrechtlichen Maßnahmen für Kollegen:innen, die sich weigern, Rüstungstransporte zu beladen, wagentechnisch zu behandeln, oder diese stehenlassen! EVG und GDL müssen ihre Mitglieder dazu ermutigen und aufrufen, die Kriegsmaschine zu stoppen.
  • Gegen den Krieg – für die internationale Solidarität unter Kolleg:innen! Kommt zur Kundgebung Eisenbahner:innen gegen den Krieg – eingeladen sind alle!

21.03.2022 / 16:00 Uhr, Berlin-Hauptbahnhof – Europaplatz

Initiative zur gewerkschaftsübergreifenden Vernetzung von Eisenbahner:innen: bahnvernetzung.de




Gegen die Aufrüstung! Nein zum Krieg! Weder Putin noch NATO!

Klassenkämpferischer und antiimperialistischer Block zur Großkundgebung in Berlin für Frieden und Solidarität für die Menschen in der Ukraine, Infomail 1181, 11. März 2022

Sonntag, 13.3. 11.45 Uhr Alexanderplatz
Treffpunkt: vor dem Cubix-Kino
Gemeinsam mit der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften

Seit zwei Wochen dauert der Angriff der russischen Streitkräfte auf ukrainische Städte und Dörfer an. Über 1,5 Millionen Menschen sind bereits geflohen. Putins reaktionärer Krieg muss sofort gestoppt und die Truppen zurückgezogen werden. Geflüchtete benötigen ein volles Einreise-, Aufenthalts- und Arbeitsrecht, ohne jegliche rassistische Segregation.

Der Krieg ist kein Krieg zwischen Diktatur und Demokratie, sondern ein Ringen um kapitalistische Einflusssphären. Die EU und die NATO sind kein Ausweg! Die Länder Osteuropas dienen auch für die deutsche Industrie als Niedriglohnländer und Absatzmärkte, während der Internationale Währungsfond die Ukraine zu Sparmaßnahmen und Privatisierungen zwingt. Es braucht die internationale Solidarität der Arbeiter:innenbewegung, um sich überall gegen die kriegerische Eskalation, Ausbeutung und Unterdrückung zu wehren.

Wir stellen uns deshalb nicht nur gegen Putins Einmarsch, sondern auch gegen jede Intervention der NATO. Wir lehnen entschieden den neuen Kurs der deutschen Außenpolitik ab, der eine massive Aufrüstung der Bundeswehr und stärkere deutsche Beteiligung an internationalen Konflikten und Kriegen bedeutet.

Wir begrüßen, dass die Gewerkschaften zu Mobilisierungen gegen den Krieg aufrufen – wir lehnen jedoch scharf ab, dass sie sich hinter die Sanktionen stellen, die letztlich die Lebensbedingungen der russischen Bevölkerung zerstören und zugleich die Gefahr der Eskalation des Kriegs erhöhen. Sanktionen sind kein friedliches Mittel, sondern nur eine andere Form der Kriegsführung!

Als Gewerkschafter:innen und Linke sind wir ebenso der Meinung, dass wir dem deutschen Militarismus nicht einmal den kleinen Finger geben dürfen: Es reicht nicht aus, wie es der DGB tut, die Aufrüstung „kritisch“ zu beurteilen – wir müssen sie auf das schärfste ablehnen! Nein zum 100 Milliarden Euro Sonderhaushalt, nein zur Erhöhung der Militärausgaben auf das NATO 2 Prozent Ziel!

Nichts Gutes kann für die Menschen in der Ukraine und für die Völker der Welt kommen, wenn der deutsche Imperialismus aufrüstet. Deshalb brauchen wir eine starke Kampagne gegen Krieg und Aufrüstung, die in den Betrieben, Schulen und Unis und auf der Straße eine klassenkämpferische und antiimperialistische Antwort auf die Politik der Regierung und der Bosse liefert.

  • Russische Truppen raus aus der Ukraine!
  • Schluss mit NATO-Kriegsvorbereitungen!
  • Keine Aufrüstung der Bundeswehr! Milliarden für die Pflege, Bildung und Klima statt für Kriege!
  • Keine Waffenlieferungen oder Sanktionen von EU und USA!
  • Für die Aufnahme ALLER Geflüchteten!
  • Solidarität mit den Protesten in Russland gegen den Krieg!

Bisherige Unterzeichner:innen:

Gruppe ArbeiterInnenmacht

Migrantifa Berlin

MLPD Berlin

linksjugend [’solid] Nord-Berlin

REVOLUTION – kommunistische Jugendorganisation

Revolutionäre Internationalistische Organisation / Klasse Gegen Klasse

Revolutionär Sozialistische Organisation

Rot Feministische Jugend Berlin

Young Struggle Berlin

Klassenkämpferischer und antiimperialistischer Block zur Großkundgebung in Berlin für Frieden und Solidarität für die Menschen in der Ukraine

Sonntag, 13.3. 11.45 Uhr Alexanderplatz

Treffpunkt: vor dem Cubix-Kino

Gemeinsam mit der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften




Musterantrag: Gewerkschafter*innen gegen Krieg und Aufrüstung!

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, 7. März 2022, Infomail 1181, 10. März 2022

Als aktiver Teil der Gewerkschaftsbewegung verurteilen wir den Angriff der russischen Armee auf die Ukraine auf das Schärfste. Der Krieg bringt den Tod von vielen unschuldigen Zivilist*innen und massive Zerstörung und Leid für die Arbeiter*innenklasse mit sich. Die Gefahr wächst, dass er in unabsehbarem Maße eskaliert, mit furchtbaren Folgen für die Arbeiter*innen international. Wirtschaftssanktionen werden bereits jetzt von der arbeitenden Bevölkerung in der EU und Russland mit massiv steigenden Lebenshaltungskosten und wachsender Armut bezahlt.

Wir fordern

  • Ein Ende der russischen Militäroffensive: sofortiger Abzug der Truppen und ein Ende der Bombardierungen!
  • Keine Waffenexporte aus Deutschland in den Krieg – keine Exportgenehmigung für Waffen deutscher Herkunft aus Drittländern in den Krieg!
  • Keine Intervention der NATO! Nein zur NATO-Osterweiterung!

Insbesondere fordern wir unsere Gewerkschaft dazu auf, gemäß einer guten alten, aber höchstaktuellen gewerkschaftlichen Tradition, sich gegen alle kriegsfördernden Maßnahmen zu stellen, also:

  1. gegen das 100 Milliarden Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung und
  2. gegen die Erhöhung des Wehretats auf 2 % des Bruttoinlandsprodukts.

Die Gewerkschaften müssen sich mit allen gewerkschaftlichen Mitteln, bis hin zum Streik gegen die Umsetzung dieser Maßnahmen wehren, um sie zu verhindern!

Stattdessen ist es notwendig, dass sich die Gewerkschaften für massive Investitionen in die Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge (Bildung, Gesundheit, Umwelt usw.) und für die Unterstützung aller Geflüchteten einsetzen.

Begründung:

Zu 1. Die Einrichtung eines Sonderetats von 100 Milliarden Euro zur Aufrüstung der Bundeswehr wird über Neuverschuldung finanziert. Finanzminister Lindner hat klar gemacht, dass das von uns, den Lohnabhängigen, bezahlt werden soll! Aufrüsten bedeutet Vorbereitung darauf, Krieg führen zu können. Sie ist kein Mittel, Krieg zu verhindern, sondern führt nur zu weiterem Wettrüsten und zur Eskalation bestehender Konflikte.

Zu 2. Die Erhöhung des laufenden Haushalts der Bundeswehr auf zwei Prozent des BIP wird die Finanzierung in anderen Bereichen der Daseinsfürsorge wie dem Gesundheitswesen infrage stellen.

Es gibt eine große Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung in Deutschland, die von der Bundesregierung genutzt wird, um ihren neuen außenpolitischen Kurs durchzusetzen. Damit üben sie Druck auf die Gewerkschaften aus, ihre bisherigen antimilitaristischen Positionen aufzugeben und sind damit teilweise bereits erfolgreich. Inzwischen sprechen die Vorstände von ver.di und IGM ‒ wie auch der DGB ‒ von einer „Neubewertung der Situation“ und haben über Nacht Forderungen wie ein Nein zu Waffenexporten fallengelassen. Es fehlt auch ein klares Nein zu dem gigantischen Aufrüstungsprogramm.

Wir brauchen eine starke internationale Anti-Kriegsbewegung, maßgeblich angeführt von Gewerkschaften – bis hin zu Mobilisierungen und notfalls Arbeitsniederlegungen (wie z.B. gegen Waffen- und Truppentransporte wie Kolleg*innen in anderen Ländern es bereits in der Vergangenheit gemacht haben)!




Linkspartei und Ukraine: Der Sturm der Ereignisse weht durch die Reihen

Wilhelm Schulz, Infomail 1179, 4. März 2022

Es gibt Jahre, in denen passiert nichts und Wochen, in denen alles passiert. Die Bundesregierung kündigt angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine eine Zeitenwende an und bereitet einen neuen Militarismus vor. Die bürgerliche Presse schreit nach Aufrüstung und sogar atomarer Bewaffnung Deutschlands. Während nur wenige hundert Meter vom Ort des Beschlusses, dem Bundestag, entfernt bis zu 500.000 Menschen in Solidarität mit den Ukrainer:innen auf die Straße gehen und ihren spontanen Willen nach Frieden äußern, jedoch ohne eine Alternative zum militaristischen Säbelrasseln zu formulieren, verabschiedet die Bundesregierung in Eintracht mit der Union ein 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr. Auch das gehört zur Eskalation eines Krieges, der droht, zum weltweiten Flächenbrand zu geraten.

Die Stimmung dieser Tage ist eine widersprüchliche. Menschen haben Angst, sehnen sich nach Frieden – und unterstützen die Aufrüstung zum Krieg. Der neue Militarismus wird als alternativlos bezeichnet. Das in dieser Frage recht einheitlich agierende Bürger:innentum stellt angesichts des Krieges in der Ukraine alle anderen Differenzen zurück.

In der Bevölkerung sind die Zustimmungsraten für diesen Kurswechsel hoch. Laut Infratest-dimap-Umfrage zum ARD-Deutschlandtrend vom 3. März 2022 stimmen 65 % der Befragten der 100 Milliarden-Sofortaufrüstung der Bundeswehr zu. 27 % lehnen dies ab. Linke schwimmen dieser Tage wieder vermehrt gegen den Strom oder lassen sich von der Strömung mitreißen und geraten ins freudige Kriegstaumeln.

Doch während uns solche Pakete der bürgerlichen Regierung weniger verwundern sollten, so stellt doch zumindest die Entwicklung der Linkspartei und der in den letzten Tagen erwachsene Streit um eine Positionsfindung in der Kriegsfrage eine neue Qualität im innerparteilichen Konflikt dar.

Beschluss im Bundestag

Am Sonntag, dem 27. Februar, fand im Bundestag eine außerordentliche Plenardebatte zum Krieg in der Ukraine statt. Zur Debatte wurde ein „Entschließungsantrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zur Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler zur aktuellen Lage“ vorgelegt. Dem Antrag nach begrüßt der Bundestag folgende Punkte:

(1) eine aktivere Rolle der Bundesregierung in diesem Konflikt im Verbund mit EU, NATO und G7;

(2) Sanktionen gegen Russland;

(3) Finanzpolitische Restriktionen;

(4) Entsendung 350 weiterer Bundeswehrsoldat:innen nach Litauen;

(5) Entsendung von Militärexpert:innen;

(6) Suspendierung Russlands aus dem Europarat.

Ergänzt wurde dies durch den Eilantrag für Aufstockung des Rüstungshaushalts um 100 Milliarden Euro. Über diesen haben wir an anderer Stelle bereits geschrieben (https://arbeiterinnenmacht.de/2022/02/27/aufruestungskanzler-olaf-demokratisch-imperialistische-militarisierung-schreitet-voran/). Hier soll es demgegenüber um die Auseinandersetzung der Linkspartei gehen.

Den Antrag lehnte ihre Bundestagsfraktion ab und reichte eine eigene, kurze Erklärung ein. In dieser lehnt sie Waffenlieferungen, Sanktionen gegen die allgemeine Bevölkerung und Aufrüstung ab und benennt Putin als Aggressor, klammert die Frage des Verhaltens der NATO jedoch völlig aus. Sanktionen gegen Oligarch:innen und Kriegsprofiteur:innen fordert die Linkspartei – Sanktionen, die wir ebenfalls als wirtschaftliches Kriegsmittel verstehen, welches notfalls gewaltsam durchgesetzt werden oder eben wirkungslos bleiben muss. Sanktionen sind demnach eben weder deeskalierend noch treffen sie die Herrschenden so krass wie die Arbeitenden und Armen, an die ihre Kosten weitergegeben werden.

Auseinandersetzung in der LINKEN

Berichten der Zeitung junge Welt zufolge war der Weg zu diesem passiven Eilantrag der LINKEN steinig. Demnach hatte eine Mehrheit der Fraktion vor Beginn der Sondersitzung noch geplant, sich gegenüber dem Antrag des Kanzlers zu enthalten. Erst kurzfristig hatte man sich auf eine Ablehnung einigen können und das aufgrund der spontanen Ankündigung des Bundeskanzlers, 100 Milliarden Euro zusätzlich in die Bundeswehr stecken zu wollen. Zuvor soll der rechte Flügel der Partei (die Regierungssozialist:innen) für eine weitere Eskalation die Kriegstrommeln gerührt haben. Die Co-Vorsitzende Hennig-Wellsow soll in der fraktionsinternen Debatte Putin als Faschisten bezeichnet und Waffenlieferungen an die Ukraine unterstützt haben. Gysi plädierte ursprünglich sogar für eine Unterstützung des Regierungs-/Unionsantrags. Angeblich sei der Versuch aber nur von drei Abgeordneten unterstützt worden. Ähnlich erging es Hennig-Wellsow. Dieser Logik folgend, aber an anderer Stelle forderte der linke thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow am 3. März die Wiedereinsetzung der allgemeinen Wehrpflicht, auch wenn er dann zügig zurückruderte.

Antimilitarist:innen in der Linkspartei stellten sich gegen diese Linie, ohne sie direkt zu adressieren. So wurde am vergangenen Sonntag eine „Erklärung zur Abstimmung über den Ukraine-Antrag von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und FDP am 27.02.2022“ von Sahra Wagenknecht, Sevim Dagdelen, Sören Pellmann, Andrej Hunko, Zaklin Nastic, Klaus Ernst und Christian Leye veröffentlicht.

Das Schreiben beginnt mit einer unmissverständlichen Verurteilung des russischen Großangriffs, spricht sich jedoch gegen die Erklärung von Regierungsparteien und Union aus, da diese keine Beendigung des Konfliktes zum Ergebnis habe. Deutlich richtet sie sich gegen Waffenlieferungen, die Entsendung deutscher Truppen und Sanktionen. Die Initiator:innen diagnostizieren eine Zeitenwende hin zu massiver Aufrüstung und atomarer Abschreckung der NATO. Ihre Alternative bleibt jedoch ein pazifistisches Rufen zur Wiederaufnahme diplomatischer Maßnahmen: „Nur die Beachtung des Völkerrechts durch alle und die Wiederaufnahme der Diplomatie können zum Frieden führen.“

Das Schreiben von Wagenknecht und Co. ist dementsprechend eine Reaktion auf diesen Linienkampf, der einen Bruch mit dem Programm der Linkspartei durch die Regierungssozialist:innen darstellt, ähnlich dem Sofortprogramm zur Bundestagswahl letztes Jahr. Schon damals wurde die Forderung des NATO-Austritts Deutschlands fallen gelassen. Nun äußerte sich Gregor Gysi entrüstet über das Statement von Wagenknecht und Co. Er meinte, dass die Argumentation der Kritiker:innen der Ukraine faktisch das Selbstverteidigungsrecht abspreche. Gysi räumt zwar ein, dass die Ablehnung der Aufrüstung prinzipiell richtig sei, stellt sich aber gegen ein generelles Verbot von Waffenlieferungen in die Ukraine. Wagenknecht entgegnete darauf, dass die Linke sich immer gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete und Aufrüstung ausgesprochen habe und das so bleiben solle.

Natürlich müssen Linke in der Linkspartei trotz des massiven Gegenwinds auch in den eigenen Reihen eine konsequente Antikriegsposition einnehmen, jedoch zeigt sich an dieser Stelle auch die Hilflosigkeit rein pazifistischer Politik, die im Moment des Versagens der Gespräche zum ungewollten Flankenschutz der Aufrüstung gerät. Nur die internationalistischen Aktionen der Arbeiter:innenklasse, die durch Streiks den drohenden imperialistischen Krieg stoppen, können ihn unserer Meinung nach aufhalten, ohne blindlings für den Sieg des eigenen Imperialismus – in diesem Krieg stellvertretend durch die Ukraine – einzutreten, wie es faktisch der rechte Flügel der Partei tut und mehrheitsfähig zu machen versucht.

Welche Position zum Krieg?

Das Kriegsgeschrei lässt somit auch weite Teile der Arbeiter:innenbewegung ins Lager der Vaterlandsverteidigung übergehen. Sie werden zu Freund:innen der westlichen „Aufklärung“ gegen den übrigen primitiven Despotismus in der Welt, mit der schon so viele Kriege in der Vergangenheit ideologisch legitimiert wurden.

Das Ganze hat nicht erst mit der Invasion Putins in die Ukraine begonnen. Als die Berliner Linksjugend [‘solid] vor einigen Wochen Losungen wie „Nein zum Krieg“ und „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ verabschiedete, da rügte das die Berliner LINKE. Das Argument sei ihrer Meinung nach aktuell nicht vermittelbar. Natürlich muss die Vermittlung politischer Ideen auf das vorherrschende Bewusstsein eingehen. Aber: dem Letzteren einfach nur blind, taub und stumpf hinterherzulaufen, bedeutet faktisch eine Kapitulation vor dem herrschenden Bewusstsein, gerade zu Beginn eines Kriegs stets das der Herrschenden – und somit vor der neuen Aufrüstungsstrategie des deutschen Imperialismus, dem der Krieg Russlands ein gefundenes ideologisches Fressen bietet.

Aber was spricht denn nun gegen die Unterstützung der Linkspartei für die Erklärung der Bundesregierung und der Union? Einerseits treten wir ein für eine unabhängige Klassenposition. Die Lohnabhängigen und Unterdrückten leiden unter den unterschiedlichsten Sanktions- und Kriegsmaßnahmen. Sie treffen die Preissteigerungen, sie werden in die Kriege einbezogen und schlussendlich finanzieren sie über die tagtägliche Ausbeutung ihrer Arbeitskraft dieses so schnell lockergemachte Rüstungsprogramm, während andererseits eine Milliarde Euro Pflegebonus Ergebnis monatelanger Auseinandersetzungen ist.

Die Perspektive des Regierungsprogramms stellt kein Maßnahmenpaket zur Beendigung eines möglichen Krieges dar, sondern eines, um diesen militärisch zu gewinnen. Hierin offenbart sich der imperialistische Charakter der BRD. Die Maßnahmen hätten ja auch die sofortige  Öffnung europäischer Grenzen für alle Flüchtenden und die Schuldenstreichung der Ukraine umfassen können. Dass dem nicht so ist, beweist auch, dass die Ukraine bitteschön in europäischer (deutscher) Abhängigkeit bleiben soll. Und darum geht es eben: Dieser Krieg, in den Deutschland direkter einzutreten droht, ist aktuell maskiert als humanitäre Notsituation. Dahinter aber steht der Kampf um die Neuaufteilung der Welt: Wem gehört die Ukraine?

Deswegen gilt: Eine Linkspartei, die so einem Kriegsprogramm zur angeblichen Verteidigung von Werten zustimmt, betrachtet den Krieg als etwas dem Kapitalismus Wesensfremdes und ordnet sich dem Burgfrieden unter. Was wir als innerimperialistische Konkurrenz in der verschärften Krise verstehen, wird hier zum reinen Konflikt der Ideen verballhornt, als ein Konflikt von Aufklärung und Demokratie gegen Despotismus. Doch was folgte aus den Militärbesatzungen im Namen der ‚Aufklärung‘? Erinnert sich noch jemand an die Besatzung Afghanistans, die die Taliban schlussendlich stabilisierte? Davon, dass diese vorher von den USA mit aufgebaut wurden, ganz zu schweigen.

Die Linken in der Linkspartei dürfen diesen Anpassungen keinen Millimeter nachgeben und in diesem Punkt verteidigen wir die (bei allen Schwächen) verhältnismäßig richtige Reaktion von Wagenknecht und anderen Vertreter:innen der Linkspartei, trotz all ihrer Begrenztheit. Die Linke muss sich der Aufgabe stellen, aus der Bewegung in Solidarität mit der Ukraine eine gegen den Krieg zu formen, die klarmacht, dass wir diesem ihm die Mittel des Klassenkampfes entgegenstellen. Internationale Solidaritätsaktionen sind ein wichtiger Anfang, aber die Blockade von Waffenauslieferungen durch die organisierte Arbeiter:innenbewegung oder die Verhinderung der militärischen Kriegsinfrastruktur durch Streiks, das sind die Maßnahmen, die den Krieg beenden können und für die wir eintreten müssen.




Keine Person, keinen Cent für den Kampf um die Ukraine! Nein zur Kriegstreiberei!

Frederik Haber/Martin Suchanek, Neue Internationale 262, Februar 2022

Sie trommeln, sie lügen, sie bringen Truppen in Stellung. Die Medien, die PolitikerInnen und die Militärs auf beiden Seiten werden aktiv.

Beide Seiten präsentieren sich als jene, die angegriffen oder bedroht werden. Beide geben vor, Selbstbestimmung, Demokratie, Frieden und das Gute überhaupt zu verteidigen. Doch das sind nur Mittel zum Zweck, die eigenen geostrategischen, politischen und ökonomischen Interessen im Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den USA, der EU auf der einen und den imperialistischen Gegenmächten Russland und China auf der anderen Seite durchzusetzen.

Imperialistisches Kräftemessen

Vordergründig geht es um die Ukraine. Aber anders als 2013/14, als zwar auch USA, EU und Russland ihre Finger, ihr Geld und ihren Einfluss dort drin hatten, sich aber ein Bürgerkrieg entwickelte, der die Massen, die Klassen und alle politischen Kräfte des Landes in Bewegung und zum Handeln trieb, geht diesmal die Initiative ausschließlich von den imperialistischen Ländern aus. Die Kräfte vor Ort sind zu Puppen in einem Spiel degradiert, das droht, auf Kosten der Lohnabhängigen ausgetragen zu werden.

Die ukrainische Regierung ist zwar eine recht aggressive Büttelin der USA/ NATO, aber letztlich völlig von diesen abhängig. Die Führungen der Donbassrepublik wiederum haben keine andere Wahl, als zu schlucken, was Putin ihnen gibt oder vorgibt.

Auch wenn keine der beiden Seiten zur Zeit einen direkten bewaffneten Konflikt zwischen Russland und NATO austragen will, so ist die Kriegsgefahr durchaus real, gerade weil es wesentlich ein innerimperialistischer Konflikt ist, der sich weiter zuzuspitzen droht. Erstens könnte ein Stellvertreterkrieg in der Ukraine das Land weiter in den Abgrund reißen. Zweitens besteht die Gefahr von massiven Sanktionen gegenüber Russland, die natürlich ihrerseits zu Gegenreaktionen führen, die vor allem in Europa ausgetragen werden. Drittens kann ein solcher Konflikt zwischen den stärksten Nuklearmächten der Welt, gerade weil es um die Aufteilung der Welt geht, auch weiter eskalieren, als es die beiden Seiten ursprünglich wollten. Auch wenn beide mit Drohungen, Aufmärschen, Waffenlieferungen, den Gegner „eigentlich“ nur zum Einlenken, also zum diplomatisch-politischen Nachgeben bringen wollen, so ist die nächste Eskalation vorprogrammiert, wenn die Gegenseite nicht darauf einsteigt.

Genau an einem solchen Punkt stehen wir zur Zeit. Die Kriegsgefahr ist daher real. Das wechselseitige Aufrüsten, die innere Mobilmachung, die insb. auch ideologisch, nationalistisch, „demokratisch“ funktioniert, tragen ihre eigene Logik, die den Konflikt verschärft. Die sog „Friedensgespräche“ entpuppten sich als reine Farce, als bloße Wiederholung der jeweiligen Standpunkte.

Was tun?

Für revolutionäre KommunistInnen ist es in einem drohenden Krieg zwischen zwei imperialistischen Mächtegruppen zweitrangig, wer mehr lügt oder das kleinere von zwei imperialistischen Übeln ist. Es ist auch nicht entscheidend, wer zuerst angegriffen hat oder angreift. Für uns ist klar, dass in einer kapitalistischen Welt auch die Beziehungen zwischen Staaten auf Ausbeutung und Unterdrückung beruhen und die Konkurrenz zwischen den imperialistischen Ländern auch mit Kriegen ausgetragen wird. Deshalb appellieren wir nicht an die Hyänen, zu Vegetarierinnen zu werden.

Entscheidend ist vielmehr, erstens den Charakter des Konfliktes und drohenden Kriegs zu bestimmen, zu entlarven. Zum Zweiten müssen wir uns gegen jedwede Unterstützung der ImperialistInnen wenden. Es geht darum, den Kampf gegen die Kriegstreiberei beider Seiten mit den Mitteln der Klassenauseinandersetzung zu führen – und das bedeutet als RevolutionärInnen in Deutschland vor allem, die reaktionären Ziele des „eigenen“ Imperialismus zu bekämpfen. Denn für die Lohnabhängigen ist der Hauptfeind die eigene herrschende Klasse, ihre Regierung und Staatsmacht. Daher gilt es, alles zu tun, um zu verhindern, dass aus dem neuen Kalten Krieg ein heißer wird. Dazu gehören folgende Aufgaben:

  • Entlarvung des Charakters des Konflikts!
  • Entlarvung der Kriegsziele insbesondere des „eigenen“ Imperialismus bzw. des eigenen Lagers, d. h. hierzulande des deutschen!
  • Ablehnung jeder militärischen Unterstützung des „eigenen Lagers“, keinen Cent für die Ukraine, nein zu allen Waffenlieferungen. Rückzug aller deutschen Truppen, Austritt aus der NATO und deren Auflösung (ganz so wie die ArbeiterInnenklasse in Russland für die Auflösung der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, kurz: OVKS, eintreten muss)!
  • Abzug aller NATO-Truppen und -Waffen aus Polen, den baltischen Ländern und Norwegen, Abzug aller russischen Truppen aus den Grenzgebieten!
  • Nein zu allen wirtschaftlichen Sanktionen und Drohungen damit!

Der Kampf gegen den „eigenen“ Imperialismus ist mehrfach wichtig. Erstens stellt er den Hauptfeind der ArbeiterInnenklasse dar. Um den Widerstand gegen die eigenen KriegstreiberInnen voranzubringen, treten wir für den Aufbau einer Antikriegsbewegung ein, die auch Aktionen des Klassenkampfes setzt (z. B. Blockade von Rüstungstransporten, Streiks gegen Unterstützung der Kriegsmaschine, … ).

Zweitens kann eine solche Bewegung gegen die eigene Bourgeoisie auch den ArbeiterInnen anderer Länder deutlich machen, dass sich die ArbeiterInnenklasse dem nationalen Taumel, den chauvinistischen und „demokratischen“ Lügen widersetzt. Sie trägt somit praktisch zum Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung bei und zum Aufbau einer neuen Internationale, die für eine Welt ohne Krieg und Ausbeutung kämpft.




NATO, USA, EU, Russland, Ukraine: Ein Propagandakrieg und seine Hintergründe

Frederik Haber, Neue Internationale 262, Februar 2022

Revolutionäre KommunistInnen dürfen sich von der Propaganda der Herrschenden nicht beeindrucken lassen, schon gar nicht von den FührerInnen der imperialistischen Länder, also denen, die in der Lage sind, andere Länder zu unterdrücken und auszubeuten, sei es auf politischem, wirtschaftlichem oder militärischem Wege. Deren ganzes Bestreben ist einzig und allein darauf ausgerichtet, dies besser zu machen als ihre KonkurrentInnen.

Ganz besonders gilt es, die Lügen der Herrschenden im eigenen Land zu entlarven. Die Tatsache, dass linke wie rechte bürgerliche Medien, von der TAZ über den Spiegel bis zu FAZ und WELT, die gleiche Stoßrichtung einschlagen und die gleiche Wortwahl nutzen, belegt nicht deren Wahrheitsgehalt, sondern vielmehr die Entschlossenheit des Imperialismus – in diesem Falle des deutschen.

Lügen und Verfälschungen

Zu den billigen Lügen gehört, dass die (vermeintlichen) Truppenbewegungen Russlands berichtet werden, die der NATO nicht. Zum Beispiel die Tagesschau am 22. Dezember 2021: „Angesichts der russischen Truppenbewegung an der Grenze zur Ukraine hat die NATO offenbar mit einer ersten konkreten militärischen Maßnahme reagiert. Die Einsatzbereitschaft der schnellen Eingreiftruppe sei erhöht worden, berichtet die ‚Welt‘ unter Berufung eines ranghohen NATO-Diplomaten.“

Das ist gelogen. Es war nicht die „erste“ Maßnahme: Schon Anfang Dezember hatte sich die NATO zu einer Konferenz in Riga getroffen und bei der Gelegenheit das erste von 5 geplanten Manövern in Lettland abgehalten. Von wegen „einer ersten konkreten militärischen Maßnahme“! Es war die NATO, die mit „Truppenbewegungen an der Grenze“ schon Wochen vorher angefangen hatte. Genauso wie es Bilder der US-Geheimdienste gibt, die Reihen von LKWs in irgendwelchen Wäldern zeigen, gibt es übrigens solche von NATO-Ausrüstung, die in den Wäldern Polens und Norwegens stehen soll und dies vermutlich auch tut. Und auch das nicht erst seit dem 22. Dezember.

Die Frage, die auf der Hand liegt, lautet: Warum sollte Putin eigentlich in die Ukraine einmarschieren wollen? In der Propaganda wird diese nicht nur nicht beantwortet. Sie wird von den Medien offensichtlich bewusst nicht einmal gestellt. Stattdessen wird suggeriert, das habe er schon immer wollen, er habe ja 2014 die Krim annektiert und die „SeparatistInnen“ unterstützt. Die Welt hat offensichtlich erst 2014 begonnen, sich zu drehen.

Medien, PolitikerInnen und Militärs reden nicht davon, wie es zur „Separation“ in der Ostukraine kam und wie zur Annexion der Krim. Die propagandistischen Halb- und Viertelwahrheiten bestärken die Vermutung, dass es in der aktuellen geostrategischen Auseinandersetzung unter anderem genau um dieses Land geht, genauer gesagt, um die Bereinigung der Lage in der Ostukraine.

Der Putsch von 2014 …

Ende 2013 entstand eine diffuse Protestbewegung in der Ukraine, damals wie heute eines der ärmsten Länder Europas. Losgetreten wurde sie von rechten AktivistInnen und prowestlichen NGOs, die eine Neuauflage der „orangenen Revolution“ von 2004 wollten, die einen neoliberalen prowestlichen Präsidenten ins Amt gehievt hatte, der dies aber bei den nächsten Wahlen wieder verlor. Die Regierung in Kiew reagierte brutal auf diese Versuche und ihre Brutalität entfachte echte Massenproteste, die auch soziale Fragen aufwarfen. Diese Bewegung richtete sich natürlich gegen die damalige Regierung und den Staatspräsidenten Janukowitsch (Janukowytsch). Der zentrale Platz in Kiew wurde besetzt und gab der Bewegung den Namen: Maidan. Sehr schnell übernahmen nationalistische, rechtsradikale und faschistische Kräfte die Führung dieser Aktionen.

Die Bewegung wurde politisch rechts ausgerichtet. Soziale Forderungen wurden marginalisiert und allenfalls in einer populistisch-rechten Form verbreitet. Ansonsten dominierten Hoffnungen in die EU als freien Markt, der individuellen Aufstieg ermögliche. Die breite Solidarisierung ging zurück, aber rechte politische Strukturen etablierten sich vor allem im Westen des Landes.

Es gelang dem Maidan mit Provokationen und viel Unterstützung seitens der USA, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 5 Mrd. US-Dollar in die Schlacht um die Ukraine geworfen hatten, aber auch der BRD und ihrem Schlepptau in der EU, die politisch schwache Regierung Janukowitsch zu stürzen. Ein zentraler Konfliktpunkt war deren Zögern gewesen, einen Vertrag mit der EU zu ratifizieren, der dieser weitgehende Ausbeutungsmöglichkeiten sichern sollte. Russland wollte dagegen die Ukraine weiter als seinen Satelliten halten und offerierte seinerseits günstige Kredite.

Nach der Machtergreifung versuchte die neue Regierung, ihr Programm aggressiv durchzusetzen. Um den Staatshaushalt und den Krieg gegen den Osten zu sichern, brauchte sie Kredite vom IWF und Hilfsgelder von EU und USA. Mit der EU wurde das Assoziierungsabkommen in zwei Schritten beschlossen. Die sozialen Kosten für diese Maßnahmen mussten die lohnabhängigen und bäuerlichen Massen tragen – und zwar nicht nur im Osten.

Zugleich verfolgte die Kiewer Regierung einen aggressiven Kurs, um ihre Machtansprüche im Osten des Landes durchzusetzen: Nationalistische Sprachpolitik, d. h. das Verbot der russischen Sprache, Ersetzen von GouverneurInnen, Legitimierung der neuen Regierung durch Putsch der „neuen“ Parlamentsmehrheit und über Aktionen auf der Straße.

Nach der Machtergreifung des „Maidan“ wurden alle jene Linke, die sich gegen die Regierung und die FaschistInnen wehrten, brutal angegriffen. Die Kommunistische Partei der Ukraine und sozialistische Organisationen wie Borotba wurden verboten. Am 26. Juni 2014 griff der faschistische „Rechte Sektor“ z. B. eine Gewerkschaftsversammlung brutal an – die Polizei schaute zu. Diese Repression gegen Linke, Gewerkschaften und soziale Bewegungen setzt sich fort. Vor kurzem wurden 5 Sender verboten, die nicht genügend regierungskonform waren – was bei den demokratischen westlichen Medien ebenfalls keine Kritik hervorrief.

 … und die Gegenbewegung

Der Maidan war nie eine landesweite Bewegung und das Gros der ArbeiterInnenklasse verhielt sich ihr gegenüber reserviert – aus verständlichen Gründen. Der ukrainische Nationalismus bildete von Beginn an den ideologische Kitt des Maidan, was notwendigerweise die russischsprachige Bevölkerung v. a. im Osten und Süden des Landes abstoßen musste.

Es entstand eine Gegenbewegung im Osten, die sich erstens gegen den ukrainischen Nationalismus und die Unterdrückung der russischen Sprache wandte, gegen den Terror der FaschistInnen, aber auch richtig verstand, dass eine Ukraine unter dem EU-Imperialismus ihre Industrie und den Bergbau im Osten sowie die Werften am Schwarzen Meer zerschlagen bekommen, also dasselbe Schicksal wie auch andere EU-Neuzugänge erleiden würde.

Dagegen versprach die Fortsetzung der engen industriellen Arbeitsteilung mit Russland der Industrie wenn auch keine goldene Zukunft, so doch ihren Fortbestand.

Diese Gegenbewegung führte auf der Krim zu einer Volksabstimmung für den Anschluss an Russland mit einer Mehrheit von 96,7 % bei einer Wahlbeteiligung von über 80 %. Gleichzeitig besetzten russische Truppen ohne Abzeichen dort alle Schaltstellen der Macht.

Die Ukraine und die UNO halten den Anschluss der Krim für illegal, den Putsch in Kiew und die Absetzung des Parlaments der Krim durch die Kiewer Regierung dagegen für legal. (Bemerkenswerterweise halten sie das vergleichbare Vorgehen bei der Abspaltung des Kosovo von Serbien für legal, während Russland dies wiederum als völkerrechtswidrig einstuft.)

Donbass

Die demokratische Volksbewegung im Osten akzeptierte die Absetzung ihrer gewählten lokalen Vertretungen durch die Putschregierung nicht. Sie fürchteten zu Recht die Pogrome der NationalistInnen zu einer Zeit, als die „Demokratin“ Timoschenko (Tymoschenko) davon sprach, „alle Russen eigenhändig auszurotten“.

Es kam zu Besetzungen von Rathäusern in fast allen Städten im Osten und Südosten. In den meisten gelang es Regierungstruppen, Polizei und FaschistInnen, den Aufstand niederzuschlagen. In Lugansk (Luhansk) und Donezk konnten sich die Aufständischen halten.

In den folgenden Kämpfen gab es um die 10.000 Tote auf beiden Seiten, darunter auch viele Opfer aus der Zivilbevölkerung durch die Regierungskräfte. Dem schrecklichen Pogrom in Odessa fielen mindestens 43 Menschen zum Opfer. Täter waren Killertrupps, die in enger Verbindung zur Putschregierung in Kiew standen. Sie griffen ein Camp der Volksbewegung an, viele flüchteten von dort ins Gewerkschaftshaus. Die FaschistInnen legten Feuer, Menschen verbrannten oder wurden erschlagen. Weder Feuerwehr noch Polizei griffen ein.

Lugansk und Donezk konstituierten sich als „Volksrepubliken“. Sie konnten der scheinbaren Übermacht Kiews trotzen, aus mehreren Gründen: Die Wehrpflichtigenarmee der Regierung war für einen Bürgerkrieg untauglich, viele desertierten. Es musste erst eine Elitetruppe, die Nationalgarde, aufgebaut werden. Die faschistischen Einheiten auf Seiten der Regierung, die von ukrainischen OligarchInnen und aus internationalen Quellen finanziert wurden, provozierten mit ihrem Vorgehen eher Widerstand. Es gab viele Freiwillige aus Russland, aber auch aus anderen Ländern, und militärisches Material, mindestens mit Wohlwollen der russischen Regierung geliefert.

Minsker Abkommen

Als sich die Fronten einigermaßen verfestigt hatten, wurde unter Merkels Führung ein Waffenstillstand vereinbart. Beteiligt waren daran die ukrainische Zentralregierung, die Volksrepubliken, Russland und Frankreich sowie die OSZE. In zwei Abkommen wurde der militärische Status quo festgeschrieben, der bis zum Schluss noch verändert werden sollte: Die Regierung wollte den Flughafen Donezk erobern, die Aufständischen versuchten, Mariupol zurückzugewinnen, und waren letztlich erfolgreich bei der Einkesselung der Regierungstruppen bei Debalzewo (Debalzewe). Die drohende Niederlage dort hatte letztlich zum Einlenken von Kiew geführt.

Neben der Festschreibung des Status quo gab es vage Formulierungen für die Zukunft, die beiden Bürgerkriegsparteien erlaubten, das Gesicht zu wahren, die aber nicht umgesetzt werden konnten.

Die Jahre seit dem Minsker Abkommen haben zugleich auch die Verhältnisse im Donbass verändert. 2014/15 gab es in den Volksrepubliken durchaus auch linke, fortschrittliche Initiativen. Die Verstaatlichung von Bergwerken und Industrie wurde diskutiert und teilweise umgesetzt, landwirtschaftliche Kooperativen entstanden – teilweise aus militärischem und wirtschaftlichem Zwang, teilweise mit kleinbürgerlich-linken ideologischen Ansätzen. Heute sind diese linken Initiativen erlahmt und zerstört, einige der linkspopulistischen Führer wie Mozgowoi (Mozgovoy) und Bednow („Batman“) wurden ermordet. In den Republiken selbst gibt es wohl Fragen, wie es weitergeht, und um diese auch Konflikte zwischen den jeweiligen AnführerInnen.

2014 verzichtete die Russische Föderation auf eine direkte, staatliche Integration der Ostukraine, auch wenn sie militärisch leicht möglich gewesen wäre. Das hatte einerseits mit den damals unsicheren inneren Verhältnissen zu tun. Andererseits dient der unsichere Status der Donbassrepubliken als diplomatisches Faustpfand. Für Putin und den russischen Imperialismus stellen sie Kleingeld im Kampf um die Neuordnung der Region dar.

USA gegen Deutschland

Neben dem Bürgerkrieg innerhalb der Ukraine und dem globalen Konflikt USA gegen Russland gab es eine dritte Front – innerhalb des westlichen Bündnisses. Der deutsche Imperialismus und in seinem Gefolge die EU wollten zwar die Assoziierung der Ukraine, so wie sie das auch sonst in Osteuropa getan hatten: Überschwemmung des Warenmarktes, Integration in die Arbeitsteilung, (Stilllegung großer Teile der Industrie, Aufkauf der interessanten „Kerne“, „verlängerte Werkbank“ zu Niedriglöhnen), Arbeitskräftereservoir. Die Ukraine ist zusätzlich besonders begehrt für ihre großen, z. T. sehr fruchtbaren landwirtschaftlichen Flächen, auf die die deutsche Agrarindustrie gierig schielt.

Aber Deutschland strebte und strebt durchaus gute Beziehungen mit Russland auf wirtschaftlicher Ebene an: Öl und Gas importieren, Maschinen und Autos exportieren. Kurz vor der Ukrainekrise 2014 waren die EU und Russland fast so weit, das Visa-Regime gegenseitig zu erleichtern.

Der US-Imperialismus hegte und hegt andere Interessen. Seine wirtschaftlichen Beziehungen sind sowohl mit der Ukraine als auch mit Russland schwach. Ihm geht es darum, die militärische Macht Russlands zu brechen, zu verhindern, dass der russische Imperialismus ihm an allen möglichen Ecken der Welt in die Quere kommt.

Zweitens sind die EU und Deutschland auch KonkurrentInnen der USA. Die Störung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland ist diesen mindestens genauso wichtig. Heute zeigt das der Kampf der USA gegen „Nordstream 2“. Es war immer auch in ihrem Interesse, die EU uneinig zu halten – oder besser gesagt – es dem französischen und deutschen Imperialismus so schwer wie möglich zu machen, die EU nicht nur wirtschaftlich zu dominieren, sondern auch zu einem eigenständigen imperialistischen Block zu formieren. Konflikte in Osteuropa sind immer geeignet, die baltischen Länder, Polen oder Ungarn gegen Deutschland und die EU zu mobilisieren.

2014 in Kiew stellte sich dieser Konflikt so dar: Die BRD hatte mit dem damaligen Außenminister Steinmeier eine gemeinsame Übergangsregierung unter Einschluss Janukowitschs und der „MaidansprecherInnen“ vereinbart. Die USA forderten die rechtsnationalistischen und faschistischen Banden des „Rechten Sektors“ zum Sturm auf das Parlament auf. Janukowitsch floh. Berühmt wurden die (abgehörten) Worte der US-Beauftragen Victoria Nuland in diesem Zusammenhang: „Fuck the EU“.

Die Minsker Abkommen als Versuch Deutschlands, die Beziehungen zu Russland zu normalisieren, wurden von den USA immer abgelehnt. Nuland damals: „Sie fürchten sich vor Schäden für ihre Wirtschaft, Gegensanktionen der Russen“ und „Wir können gegen die Europäer kämpfen, rhetorisch gegen sie kämpfen … “

Heute wird diese Front z. B. sichtbar, wenn CDU-Chef Merz feststellt, dass eine Einstellung des internationalen Überweisungssystems „SWIFT“ keinesfalls geeignet für Sanktionen sei. Darüber hinaus zeigen sich die inneren Gegensätze der EU letztlich auch in inneren Konflikten der herrschenden Klasse, in Regierung wie in der parlamentarischen Opposition. Die FPD und die Grünen markieren dabei die größten, pro-US-amerikanischen Kriegstreiberinnen, während v. a. die SPD, aber auch CDU/CSU – siehe nur Söders Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine – gespalten sind.

Während die ArbeiterInnenklasse im großen globalen Kampf zwischen der US/NATO-geführten westlichen Allianz unter Einschluss Deutschlands und der EU einerseits und Russlands mit China im Rücken andererseits keine Seite unterstützen darf, stellen die verschiedenen Flügel innerhalb des deutschen politischen Establishments nur unterschiedliche strategische Orientierungen innerhalb der herrschenden Klasse dar.

Die ArbeiterInnenklasse und die Linke sollten vielmehr diese inneren Widersprüche nutzen, um eine schlagkräftige Antikriegsbewegung auf die Beine zu stellen. Frei nach dem Motto von Karl Liebknecht: Der Hauptfeind steht im eigenen Land!




Die Gefahr eines Krieges um die Ukraine

Internationales Exekutivkomitee, Liga für die Fünfte Internationale, Montag, 24. Januar 2022, Infomail 1176, 26. Januar 2022

Zum ersten Mal seit den 1990er Jahren werden in Europa wieder die Kriegstrommeln gerührt. Es geht um den eskalierenden Konflikt zwischen Russland und der NATO um die Ukraine. Die westlichen Medien geben Wladimir Putin und Russland, das über 100.000 SoldatInnen an den Grenzen der Ukraine mobilisiert hat, die Schuld daran. Putins „militärische Manöver“ zielen darauf ab, seine Forderungen an die USA und ihre NATO-Verbündeten zu untermauern, dass die Ukraine niemals der NATO beitreten darf und die Truppen und Raketensysteme der Westmächte, die derzeit auf dem Gebiet der drei baltischen Staaten und Polens usw. stationiert sind, abgezogen werden müssen.

Putins Drohung mit einer Invasion, ganz zu schweigen von einer tatsächlichen, muss von allen SozialistInnen und DemokratInnen verurteilt werden. Das bedeutet aber umgekehrt nicht, dass sie in Europa und Nordamerika die Aktionen der NATO-Mächte in diesem Konflikt, ob real oder potenziell, unterstützen sollten. Im Gegenteil. Der amerikanische Präsident, die britische Regierung, NATO und EU drohen mit Sanktionen, die auf eine lähmende Wirtschaftsblockade Russlands hinauslaufen, was selbst zu einem Vorspiel für Kriegshandlungen werden könnte. Gleichzeitig liefern sie große Mengen an Waffen und militärischer Ausrüstung an die ukrainische Regierung.

Diese Regierung selbst ist kein hilfloses Opfer der russischen Aggression, sondern eine provokante Handlangerin der USA und der NATO, die die Ukraine zu ihrer Frontlinie machen und als halbkolonialen Besitz in die EU integrieren möchten. Das nationalistische, prowestliche Regime in Kiew ruft zu Waffen auf, um die Donbassregion (Donezbecken) zurückzuerobern. Da dies unmöglich wäre, wenn Russland bereit wäre, militärisch zu „intervenieren“, hoffen sie, dass der Druck der USA, der NATO und der EU, der Wirtschaftssanktionen mit der Erweiterung der NATO kombiniert, Putin zum Einlenken bewegen könnte. Auf der anderen Seite sind die Donbass„republiken“ Vasallinnen des russischen Imperialismus und werden von diesem kontrolliert. Auch wenn keine der beiden Seiten wirklich einen direkten bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der NATO will, spielen beide mit dem Feuer, denn die Gefahr eines Krieges zwischen den beiden stärksten Atommächten der Welt ist sehr real.

Russlands Wiederaufleben

Für Russland waren die 1990er Jahre ein Jahrzehnt der wirtschaftlichen Verwüstung, vergleichbar mit der Großen Depression der 1930er Jahre, die auf den Zusammenbruch der UdSSR und ihrer Planwirtschaft zurückzuführen war und durch die neoliberale „Schocktherapie“ noch verschlimmert wurde. Die unbarmherzige Osterweiterung der NATO und die von den USA offen angezettelten „Farbrevolutionen“ zur Schaffung moskaufeindlicher Nachbarregime führten zu einer unvermeidlichen Reaktion unter Wladimir Putin. Russland verwandelte sich erneut in einen Gegner der USA, in einen neuen Imperialismus. Deutschland und andere EU-Mächte hingegen versuchten, Russland als strategischen wirtschaftlichen Verbündeten zu umwerben, sehr zum Leidwesen der USA.

Der Kampf um die Ukraine war dabei ein Schlüsselfaktor. Die Euromaidan-Bewegung führte zu einem reaktionären Putsch, der von rechtsgerichteten und faschistischen Milizen angeführt und von Washington unterstützt wurde, wodurch sich das Kräfteverhältnis verschob. Die USA wurden zur dominierenden Macht in der Ukraine und versuchten, die EU-Länder über die NATO in einen neuen Kalten Krieg hineinzuziehen, wobei sie Staaten wie Polen und die baltischen Länder als Verbündete nutzten. Innerhalb der Ukraine hatte der Widerstand gegen die faschistischen Kräfte im Donbass und auf der Krim zunächst einen progressiven Charakter, der sich jedoch änderte, je mehr er unter die Kontrolle des russischen Imperialismus geriet. Heute ist der Konflikt in der Ukraine vor allem ein Stellvertreterkonflikt, auch wenn der Westen als Verteidiger der ukrainischen Demokratie und Russland als Aggressor auftritt.

Nach dem Maidan, dem Bürgerkrieg im Donbass und der Eingemeindung der Krim durch Russland wurden die Fronten durch das Minsker Abkommen faktisch eingefroren, was für Russland erträglich war, auch wenn es den Verlust des größten Teils seines Einflusses in der Ukraine bedeutete, und für die EU günstig, weil es den Sieg der USA einschränkte.

Heute geben beide Seiten vor, sich im Namen der nationalen Sicherheit und Unabhängigkeit gegen die Aggression zu wehren. In Wirklichkeit ist die Ukraine nur ein Zankapfel in einem viel größeren und gefährlicheren globalen Kampf. Beide Seiten setzen ihre eigenen geostrategischen, politischen und wirtschaftlichen Interessen durch in einem Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den USA und der EU auf der einen Seite, also den alten imperialistischen Mächten, und den neuen, Russland und China, auf der anderen.

Ein Einmarsch Putins in die Ukraine, die Bombardierung Kiews und die Auslösung eines umfassenden Landkriegs wäre ein unglaublicher Akt der Selbstbeschädigung, eine groteske Fehlkalkulation. Ohne einen unwahrscheinlichen schnellen Sieg würde dies nicht nur lähmende Sanktionen nach sich ziehen, sondern nach einem anfänglichen chauvinistischen Rausch auch zu großen sozialen Umwälzungen in Russland selbst führen, die Putin und seinen OligarchInnenkreis zu Fall bringen könnten. Darüber hinaus bergen all diese Drohungen und Gegendrohungen in einer Zeit der sich verschärfenden zwischenimperialistischen Rivalität wie der jetzigen globale Gefahren. Man denke nur an die möglichen Auswirkungen auf die Situation rund um Taiwan, wo Kampfflugzeuge und Flottillen von Kriegsschiffen bereits die Hoheitsgewässer überfliegen und durchqueren.

Der neue Rüstungswettlauf, die Aufrüstung, die Mobilisierung der Bevölkerung mit nationalistischen oder demokratischen Parolen, die von der Presse, dem Rundfunk und den sozialen Medien gefördert werden, tragen alle ihre eigene Logik, die den Konflikt verschärft. Putin versucht ganz offensichtlich, seine Popularität im eigenen Land zu steigern, indem er Russlands Ansehen als Großmacht wiederherstellt und sich dem „Club“ mit den USA und China anschließt. Auch Biden versucht zu beweisen, dass die USA als Weltpolizist zurück sind, indem er europäische und asiatische Verbündete um sich schart, indem er den NATO-Schutzwall erweitert und ein Äquivalent in Asien aufbaut.

Ein sekundäres Ziel der USA (und Großbritanniens) besteht darin, die beiden Großmächte innerhalb der Europäischen Union, Deutschland und Frankreich, in ihrem Streben nach mehr Unabhängigkeit und Eigenständigkeit zu schwächen. Die Tatsache, dass Biden sie bei seinem Blitzabzug aus Afghanistan nicht konsultiert, Frankreichs U-Boot-Vertrag mit Australien gekündigt, den AUKUS-Pakt auf den Weg gebracht hat und klar darauf abzielt, die russische Gaspipeline Nord Stream 2 nach Europa zu sabotieren, unterstreicht dies alles.

Die USA setzen die neue deutsche Regierung unter Druck, um den Gasvertrag zu beenden oder sogar den Ausschluss Russlands aus dem globalen elektronischen Zahlungssystem SWIFT, das seinen Sitz in Belgien hat, zu erreichen. Dies würde Europa auf den internationalen Märkten ins Chaos stürzen, während es die USA weit weniger tangieren würde. Hier zeigt sich die fast diktatorische Macht, die Washington immer noch über die Weltwirtschaft ausübt, was es bisher nur in kleinerem Maßstab im Iran, in Kuba und Venezuela gezeigt hat.

Wenn solche Ultimaten und Drohungen einander entgegengeschleudert werden, und sei es nur, um den Gegner zu einem demütigenden Einlenken zu bewegen, ist die Gefahr einer Fehlkalkulation und eines bewaffneten Konflikts sehr groß. Wenn nicht dieses, dann das nächste Mal wird der/die „SiegerIn“ ermutigt, weitere Siege zu erringen, und die Besiegten werden die erste Gelegenheit zur Rache nutzen.

Wir sollten uns daran erinnern, dass solche Krisen die Jahrzehnte vor den beiden Weltkriegen des zwanzigsten Jahrhunderts geprägt haben. Eine tatsächliche Invasion Russlands in der Ukraine, selbst an ihren östlichen Grenzen, würde nicht nur weiteres Leid für die ukrainische Bevölkerung bedeuten, sondern auch die Gefahr einer Eskalation zu einem direkten Zusammenstoß zwischen den imperialistischen Mächten selbst erhöhen.

Die Kriegsdrohung stoppen

Wie sollten also SozialistInnen und die ArbeiterInnenbewegung weltweit reagieren? Im „Westen“ schweigen die rechten Führungen der Sozialdemokratie und Gewerkschaften entweder oder plappern die Positionen der NATO-Regierungen nach. Da sie ihre eigenen Regierungen durch die Brille der „Demokratie“ sehen, betrachten sie Russland und China als autoritäre, diktatorische Mächte, die kleine Nationen angreifen. Für sie rechtfertigt dies den Sozialpatriotismus, wie 1914 oder 1939 oder in den vielen realen bewaffneten Auseinandersetzungen des so genannten Kalten Krieges. Während einige reformistische FührerInnen in Europa in stiller Opposition zum Krieg stehen, weil sie eine andere imperialistische Ausrichtung ihrer Länder, d. h. eine engere Beziehung zu Russland, vorziehen würden, sind in Deutschland die einflussreichsten der angeblich linksgerichteten grünen Parteien, wie die Liberalen, zu ausgesprochenen Russophobinnen geworden.

Was ist mit jenen Teilen der weltweiten ArbeiterInnenbewegung, die aus der „kommunistischen“ (stalinistischen) Tradition kommen und ein höheres Maß an Feindseligkeit gegenüber ihren „eigenen“ Regierungen pflegen, die sie als die einzigen imperialistischen Mächte betrachten? Sie schieben die Schuld für jeden potenziellen Konflikt allein den USA und der NATO in die Schuhe. Auch wenn sie Russland und China nicht mehr als „sozialistisches Lager“ sehen, neigen sie dazu, sie zumindest als Gegengewicht zum Imperialismus zu betrachten, das nicht mit den eigentlichen Bösewichten gleichgesetzt werden darf.

Die Position der RevolutionärInnen in allen Ländern sollte sein, dass es sich um einen Konflikt zwischen imperialistischen Mächten und Blöcken handelt und die Ausdehnung der NATO nach Osteuropa nach dem totalen Zusammenbruch des „Kommunismus“ selbst ein Akt der Aggression war. Sie hat einmal mehr gezeigt, dass die Priorität der so genannten „demokratischen“ Imperialismen nicht in der Bildung wirklich unabhängiger Staaten lag, sondern darin, die zuvor von Sowjetrussland dominierten Länder in ihr eigenes System von Halbkolonien zu zerren.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion lösten Gorbatschow und Jelzin auch den Warschauer Pakt auf und plädierten entweder für den Beitritt zur NATO oder für deren Auflösung. Obwohl es aus Sicht der WeltarbeiterInnenklasse keine Invasion in der Ukraine rechtfertigt, ist Russlands historische „Staatsräson“ Anlass genug, um über die Anwesenheit von Raketen und Truppen der NATO an seinen Grenzen beunruhigt zu sein. Es sei daran erinnert, dass die Vereinigten Staaten die Welt 1962 an den Rand eines Atomkriegs brachten, als sie auf die Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba reagierten.

Die USA, geschützt durch zwei riesige Ozeane, fühlen sich unverwundbar und daher in der Lage, sich in alle anderen Kontinente einzumischen und dort Kriegssituationen zu schaffen, um ihr „manifestes Schicksal“ der Weltherrschaft zu verfolgen. Gegenwärtig zielt dies in erster Linie auf China ab, doch hegen die USA ähnliche Ambitionen in Bezug auf Russland, dessen eigenes Wiedererstarken ihre Schwäche in Syrien offenbart hat.

Sicherlich existiert für Russland keine Rechtfertigung für eine Invasion in der Ukraine, und revolutionäre SozialistInnen sollten jede derartige Aktion unmissverständlich verurteilen. Der ukrainische Widerstand gegen eine solche Aggression kann jedoch nicht losgelöst von dem gesamten innerimperialistischen Konflikt beurteilt werden. Ihr eigenes Vorgehen gegen die russischsprachige Bevölkerung in der Ostukraine im Jahr 2014, ihre Entschlossenheit, der NATO beizutreten, und ihre wiederholten Versuche, eine NATO-Intervention zu provozieren, bestätigen, dass die Ukraine ein Werkzeug des „westlichen“ Imperialismus darstellt.

SozialistInnen sollten nicht nur die Ausweitung der NATO verurteilen, sondern auch ihre Existenz selbst. Die USA und ihre Verbündeten haben eine Reihe von farbigen Revolutionen (einschließlich des Euromaidan) unterstützt, um prowestliche Regime im nahen Ausland Russlands zu etablieren, die potenziell zu Militärbasen für sie werden könnten.

Es ist daher keine Überraschung, dass Putin, der sich durch den Niedergang der Vereinigten Staaten und die unberechenbare Politik ihres Präsidenten, Amerika wieder groß zu machen, ermächtigt fühlt, versucht, Moskaus Position im „nahen Ausland“ wiederherzustellen. Wir unterstützen keine der beiden rivalisierenden imperialistischen Anmaßungen. Sie drohen, ihre Völker und die Osteuropas, ganz Europas und sogar der ganzen Welt in eine unvorhersehbare und brutale Reihe von Konflikten zu ziehen.

Die Frage, welche Seite die anfängliche Aggressorin verkörpert, entscheidet nicht über den politischen Standpunkt, der einzunehmen ist. Vielmehr geht es darum, den Kampf gegen die Kriegstreiberei auf beiden Seiten mit den Mitteln des Klassenkampfes zu führen, indem der zwischenimperialistische Charakter des Konflikts aufgedeckt und die Unterstützung des einen oder anderen Lagers mit der Begründung, das eine kämpfe für die Demokratie und das andere gegen den Imperialismus, abgelehnt wird.

Die ArbeiterInnenklasse in Europa, Russland und den USA muss sich gegen all diese Kriegszüge und Hetze mobilisieren, um den Rückzug aller russischen Truppen von den Grenzen der Ukraine zu fordern und ebenso aller westlichen Waffen, Kriegsmaterial und Personal aus der Ukraine, den baltischen Staaten, Polen usw. Wir müssen die Auflösung sowohl der NATO als auch der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit fordern und uns allen bestehenden oder angedrohten Wirtschaftssanktionen widersetzen.

Wir rufen die ArbeiterInnen- und Friedensbewegungen Europas, Amerikas und Russlands auf, auf die Straße zu gehen und ein Ende aller Kriegsvorbereitungen und der massiven Erhöhung der Rüstungsausgaben zu fordern, die die Taschen der milliardenschweren WaffenherstellerInnen und OligarchInnen füllen, während es den einfachen arbeitenden Menschen an angemessenen Wohnungen und Gesundheitsversorgung fehlt.

An die Putins, die Xis, die Bidens oder die FührerInnen der EU und Großbritanniens zu appellieren, sich von imperialistischen Tigern in pazifistische Lämmer zu verwandeln, wäre jedoch vollkommen aussichtslos. Letztendlich kann nur die ArbeiterInnenklasse der Kriegsgefahr, einschließlich der eines Dritten Weltkriegs, ein Ende setzen. Die ArbeiterInnen in Russland und den OVKS-Staaten wie Kasachstan müssen sich mobilisieren, um ihre autokratischen Herrscher zu stürzen und sich mit ihren KlassengenossInnen in Europa und Amerika zu verbinden.

Ein erster Schritt besteht heute in allen Ländern in der Mobilisierung von Millionen von Menschen auf der Straße, wie wir es 2003 getan haben, um die Kriegshetze zu stoppen. Aber wir müssen aus diesen Mobilisierungen lernen und dürfen es nicht bei ein paar Tagen des Protests belassen, sondern müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um die KriegstreiberInnen zu vertreiben und die Macht in die Hände der arbeitenden Menschen weltweit zu legen. Diese dringenden Aufgaben zeigen einmal mehr, wie notwendig es ist, dass die ArbeiterInnenbewegungen zusammenkommen, um die Grundlagen für eine neue, Fünfte Internationale zu schaffen.




Kriegstreiberin NATO

Frederik Haber, Neue Internationale 261, Dezember 2021/Januar 2022

Ziemlich plötzlich wichen die Bilder und Berichte von der polnisch-belarussischen Grenze solchen von russischem Kriegsgerät: Es drohen nicht nur Flüchtlinge, sondern auch russische Panzer.

Beides wurde dann auch als Grund dafür angegeben, warum sich die AußenministerInnen der NATO in Lettland treffen und beraten müssen. Anfang Dezember also trafen sie sich in Riga, zum ersten Mal so nahe an der russischen Grenze, und die NATO hielt auch gleich eines von fünf dort geplanten Manövern ab.

Die Fakten also belegen eine geplante Machtdemonstration des atlantischen Bündnisses, das natürlich seine Rechtfertigung braucht: „Es soll Truppenkonzentrationen an der russischen Grenze geben“, lautete der Tenor der Medien und PolitikerInnen. Belegt wurde nichts, die Bilder der russischen Militärausrüstung stammten aus Archiven.

Motive

Die Aggressorin ist eindeutig die NATO unter Führung des US-Imperialismus. Es gibt für diesen verschiedene Motive. Das Entscheidende ist die Zuspitzung der Widersprüche zwischen den führenden imperialistischen Mächten: China fordert die Hegemonie der USA heraus, ist wirtschaftlich teilweise auf Augenhöhe und rüstet schnell auf, wenn auch das Land militärisch noch meilenweit von der Stärke der USA entfernt ist. Russland kann wirtschaftlich überhaupt nicht mithalten, verfügt aber nach wie vor über eine militärische Stärke, die die neue russische Bourgeoisie aus der Sowjetunion geerbt hat. Diese erlaubt Russland, den USA nicht nur in seinem engeren Umfeld wie Ukraine und Armenien in die Parade zu fahren, sondern auch in Zentralasien oder Syrien.

Die USA unter Biden setzen wieder stärker darauf, die direkten KonkurrentInnen zu schwächen, und verfolgen so mit anderen Hebeln das gleiche Ziel, „America great again“ zu machen. Im Gegensatz zu Trump nutzt Biden dazu mehr die NATO und andere internationale Strukturen. Das bringt dem US-Imperialismus zwei Vorteile: Die Kosten können umgelegt und die „Verbündeten“ in Konflikte mit Russland und China getrieben werden, die sie möglicherweise gar nicht wollen.

Insbesondere der deutsche Imperialismus steht dabei im Fokus der USA. Seine Stärke liegt im Export. Er braucht wirtschaftliche Beziehungen mit Russland zur Energieversorgung und zum Export von Autos, Maschinen und Anlagen sowie China für Handel mit allem und jedem. Andere Teile der EU gehen in eine ähnliche Richtung. Für die USA verfolgen die Konflikte mit Russland und China immer auch den Zweck, den deutschen und EU-Imperialismus zu schwächen, wirtschaftlich wie politisch.

Kriegspropaganda entlarven

Als SozialistInnen ist es unsere Aufgabe, der Kriegspropaganda der eigenen herrschenden Klasse entgegenzutreten und ihre Lügen zu entlarven. Wenn es sich dabei um eine imperialistische Macht handel wie die BRD, erst recht. Wir wissen auch, dass gerade, wenn es um die innere und äußere Sicherheit, um die Absicherung der Diktatur der Bourgeoisie und ihrer Position in der globalen Konkurrenz geht, die Bereitschaft zur Lüge sehr hoch ist. Gerade weil die Kriegstreiberei der NATO die Kriegsgefahr erhöht, ist Wachsamkeit vonnöten: Die harmlosen Gesichter eines Maas oder bald einer Baerbock dürfen uns nicht täuschen.

Aber die Lügen unserer ImperialistInnen machen die der anderen nicht besser. Auch die Außenpolitik des russischen Imperialismus geht über Leichen. Hunderttausende fanden den Tod in Syrien und ihre Hoffnungen wurden begraben, als sich die russische Hilfe als der entscheidende Faktor erwies, den Schlächter Assad an der Macht zu halten.

In Osteuropa, genauer in der Ukraine, hat der russische Imperialismus quasi „die richtige Seite“ unterstützt. Gegen den Putsch der rechten NationalistInnen und FaschistInnen, der 2014 von den USA mit über 5 Milliarden US-Dollar finanziert worden war, unterstützte Russland diejenigen, die sich dagegen zur Wehr setzten und eine Volksbewegung im Ostteil des Landes bildeten. Es nutzte dies, um sich die Krim einzuverleiben, nachdem die dortige Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit einen Anschluss gefordert hatte. Putin versorgt die Republiken im Osten so weit, dass sie überleben können. Ein Ende dieser Unterstützung würde Pogrome zur Folge haben, weit schlimmer noch als das Massaker an den VerteidigerInnen des Odessaer Gewerkschaftshauses. Zugleich hat der russische Einfluss alle linken und emanzipatorischen Projekte im Donbass beendet. Es muss heute davon ausgegangen werden, dass der Tod von mindestens 3 linkspopulistischen Führern auf russisches Betreiben geschah.

RevolutionärInnen dürfen nicht den Fehler vieler Linker (meist stalinistischer Herkunft) begehen, zwischen guten und schlechten ImperialistInnen zu unterscheiden oder gar zu leugnen, dass Russland (oder China) imperialistische Länder sind. Es gilt, die Konflikte zu nutzen, um sie jeweils vor ihrer eigenen Bevölkerung entlarven.

Gerade weil wir die Verlogenheit der „demokratischen“ ImperialistInnen bekämpfen, können wir am besten die GewerkschafterInnen und DemokratInnen in Belarus oder der Russischen Föderation in ihrem Kampf gegen Putin oder Lukaschenko unterstützen und sie vor den Illusionen in die „westliche“ Propaganda bewahren.

Antikriegsbewegung!

Das Treffen der NATO in Riga verkörpert einen Schuss gegen Russland und eine weitere Eskalation in einem neuen Kalten Krieg. Die USA und ihre engeren Verbündeten in der NATO drängen auf massive Aufrüstung, verstärkte Grenztruppen. US-Verteidigungsminister Lloyd J. Austin III. erklärt sich öffentlich für einen NATO-Beitritt der Ukraine und Georgiens. Auch wenn das noch dauern mag, so wird die Ukraine schon jetzt aufgerüstet – mit fleißiger Unterstützung der alten wie der neuen Bundesregierung. Ebenso drohen USA und NATO mit weiteren, härteren Wirtschaftssanktionen gegenüber Moskau.

Dieser Kriegstreiberei der NATO und der Aufrüstung in der BRD müssen wir entschlossen entgegentreten. Nein zu allen Sanktionen, die selbst nur ein „ziviles“ Mittel im Kampf um die Neuaufteilung der Welt darstellen! Nein zu allen Auslandseinsätzen! Sofortiger Abzug aller Truppen im Ausland! Nein zur NATO-Mitgliedschaft, nein zur Aufrüstung der Bundeswehr! Keinen Cent, keine Person für diese Armee!




Der „AUKUS-Pakt“ erhöht die Kriegsgefahr

Dave Brody, Workers Power (Britannien), Infomail 1164, 27. September 2021

Der „AUKUS“-Sicherheitspakt zwischen Australien, Großbritannien und den USA (benannt nach den Initialen der drei teilnehmenden Länder) ist einer der dramatischsten Schritte, den die Vereinigten Staaten bisher unternommen haben, um der Bedrohung ihrer Interessen durch ihren größten imperialistischen Rivalen, China, zu begegnen. Er stellt auch eine brutale Brüskierung Frankreichs und im weiteren Sinne der Europäischen Union und ihrer Nato-Verbündeten dar, von denen keine/r konsultiert worden war. Der Brexit unterstreicht auch die Abkehr Großbritanniens von seinen früheren EU-PartnerInnen und die Hinwendung zu einer Geostrategie mit Nordamerika.

Der Pakt ist einer der bisher deutlichsten Beweise für die Schwächung der US-amerikanischen Hegemonie, die am Ende des Zweiten Weltkriegs errichtet wurde, und für die wachsenden Spannungen nicht nur zwischen konkurrierenden imperialistischen Blöcken, sondern auch innerhalb dieser. Es zeigt auch – wie schon der überstürzte Abzug aus Kabul –, dass Joe Bidens Multilateralismus und seine Versöhnung mit den Verbündeten mehr eine Sache der Worte als der Taten ist.

Den größte Schock verspürte nicht die chinesische, sondern die französische Regierung,  eine der ältesten Verbündeten der USA. Ein Abkommen zwischen Frankreich und Australien über den Bau der nächsten Generation von U-Booten der Angriffsklasse war ohne Vorwarnung gekündigt worden. Frankreich zog wutentbrannt seine BotschafterInnen aus Washington und Canberra ab, um „Konsultationen“ abzuhalten. Großbritannien wurde nur deshalb ausgeschlossen, weil die französische Regierung vom „perfiden Albion“ (Löwe: englisches Wappentier) nichts Besseres erwarteten. Aber im Beisein der USA gestand der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian Gefühle von „Wut und Bitterkeit“ ein und erklärte.  „Diese brutale, einseitige und unvorhersehbare Entscheidung erinnert mich sehr an das, was Herr Trump zu tun pflegte“, und fügte hinzu: „So etwas tut man nicht unter Verbündeten.“

Inhalt des Paktes

AUKUS ist ein Sicherheitspakt zwischen den drei Ländern, der zunächst auf die Entwicklung und Stationierung einer Flotte australischer Atom-U-Boote im Indopazifik abzielt. Diese U-Boote sind weitaus schwerer zu entdecken und viel schneller als konventionell angetriebene Schiffe. Die Stationierung einer solchen Flotte in Australien wird die Bemühungen der USA unterstützen, der wachsenden Dominanz Chinas in der Region und seiner militärischen und maritimen Aufrüstung entgegenzuwirken. Die Vereinbarung geht jedoch weit darüber hinaus und sieht eine Zusammenarbeit in einem breiten Spektrum militärischer Fragen vor, darunter Cybersicherheit und künstliche Intelligenz.

Die UnterzeichnerInnen des Pakts hoffen, der wachsenden maritimen Herausforderung durch China begegnen zu können. Die Modernisierung der chinesischen Marine hat inzwischen diejenige Japans, Indiens und Australiens überholt, und China konkurriert nun direkt mit Amerika um die Vorherrschaft auf dem Seeweg in der Region. Die USA und Großbritannien sind zunehmend besorgt über Chinas wachsende Fähigkeit, ihre imperialistischen Interessen im Pazifik zu beeinträchtigen.

Obwohl Australien ein wichtiger Handelspartner Chinas ist, macht es sich zunehmend Sorgen über die wachsende Dominanz der chinesischen Flotte und das zunehmend bedrohliche Verhalten des Landes, einschließlich der Errichtung von Marinestützpunkten auf künstlichen Inseln im Südchinesischen Meer. Obwohl AUKUS Australiens Marinekapazitäten massiv erhöhen wird, ist das Abkommen an Bedingungen geknüpft: Australien hat sich in einem künftigen Konflikt mit China fest auf die Seite der USA gestellt. Ein hochrangiger US-Beamter bezeichnete das Abkommen als „eine grundlegende Entscheidung, die Australien für Generationen fest an die Vereinigten Staaten und Großbritannien bindet“.

Wie vorauszusehen, betrachtet China den AUKUS-Pakt als direkten Gegenschlag zu seinen Versuchen, die potenzielle Blockade durch US-Basen, -Verbündete und -Flotten im indopazifischen Raum zu lockern. Der Pakt kommt auch zu einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten in demütigender Weise aus Afghanistan abziehen und China mit seiner „Neuen Seidenstraßen“-Initiative vorankommt, die ihrerseits eindeutig darauf abzielt, den potenziellen maritimen Würgegriff der USA zu überwinden.

Die chinesische Regierung hat das Abkommen als „extrem unverantwortlich“ verurteilt und erklärt, dass es „das Wettrüsten verschärft“, was es in der Tat tut. Die Global Times, eine vom chinesischen Staat unterstützte Publikation, ging noch weiter und erklärte, Australien habe sich mit diesem Schritt „zum Gegner Chinas gemacht“, und sagte noch offener, dass „die australischen Truppen höchstwahrscheinlich die erste Gruppe westlicher SoldatInnen sein werden, die ihr Leben im Südchinesischen Meer vergeuden“.

Es waren jedoch der demokratische Präsident Barack Obama und seine  Außenministerin Hillary Clinton, von der Falkenfraktion, die „pivot to Asia“ (Schwenk nach Asien) einleiteten und unter anderem die Transpazifische Partnerschaft (TPP) ins Leben riefen, einen Handelspakt zwischen elf Ländern, der als Mittel zur Eindämmung des wirtschaftlichen Einflusses Chinas im Pazifikraum angesehen wurde, den Trump jedoch später aufgab. Am Tag nach der Ankündigung des AUKUS-Pakts beantragte China den Beitritt zur seltsam umbenannten „umfassenden und progressiven“ TPP, offensichtlich mit dem Ziel, die USA zu überflügeln oder zumindest in Verlegenheit zu bringen.

Weitere Eskalation

Im Grunde ist der AUKUS-Pakt eine weitere Eskalation der zwischenimperialistischen Rivalität und des zunehmenden Wettrüstens zwischen den Großmächten – in erster Linie China und den USA. Aber der Streit mit Frankreich und die Rede zur „Lage der Union“ der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in der sie Europa aufforderte, seine eigenen Verteidigungskapazitäten zu entwickeln, um Expeditionsstreitkräfte zur Verteidigung seiner Interessen ohne die Erlaubnis der USA zu entsenden, werden ein Thema für den neuen deutschen Bundeskanzler sein. Bisher hat sich Deutschland geweigert, sich Macron und früheren französischen Präsidenten anzuschließen und sich für eine von der amerikanischen Führung innerhalb der NATO unabhängige europäische Verteidigungstruppe einzusetzen. Dieser Weg kann nur zur Bildung eines neuen Lagers als Rivalin zu den USA führen – keine leichte Angelegenheit.

Der zunehmende Unilateralismus der USA – sowohl unter Biden als auch unter Trump – ist jedoch ein Faktor, der auf eine künftige transatlantische Konkurrenz hindeutet, eine Rivalität, die das „weltumspannende Großbritannien“ vor harte Entscheidungen stellen wird.

Die Macht der Vereinigten Staaten nimmt sicherlich ab, aber sie sind immer noch die bei weitem höchstentwickelte imperialistische Macht mit enormen militärischen und finanziellen Fähigkeiten. In dem Maße, wie China an Stärke gewinnt und die absolute globale Hegemonie der USA nach 1991 schwindet, wächst die Gefahr eines offenen Konflikts zwischen den beiden Mächten und ihren Verbündeten.

Ein solcher Konflikt wäre verheerend für die ArbeiterInnenklasse und für die gesamte Menschheit und könnte bis zur völligen nuklearen Vernichtung eskalieren. Daher ist es für revolutionäre KommunistInnen in den imperialistischen Zentren, sei es in den USA, Großbritannien, der EU oder China, von entscheidender Bedeutung, eine Bewegung gegen eine Eskalation des Wettrüstens der rivalisierenden imperialistischen Lager zu organisieren, die auf einen Krieg zusteuert.




Bergkarabach: Krieg droht zum Flächenbrand zu werden

Martin Suchanek, Neue Internationale 250, 2. Oktober 2020

Am Morgen des 27. September eskalierte der seit über drei Jahren mal offen ausgetragene, mal vor sich hin schwelende Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Aserbaidschanische Truppen beschossen Stepanakert, die Hauptstadt von Bergkarabach (Nagorny Karabach), einer armenischen Enklave, die formell zum Staatsgebiet Aserbaidschans gehört, aber seit Mitte der 1990er Jahre faktisch als unabhängige Region mit Armenien eng verbunden ist und um ihre internationale Anerkennung ringt. 2017 erklärte sich Bergkarabach unabhängig unter dem Namen Republik Arzach, wird aber seither international nicht anerkannt.

Reaktionärer Angriff

Die Bombardierung durch die Armee Aserbaidschans stellt eine qualitative Verschärfung der Kampfhandlungen im schwelenden Konflikt dar, der schon seit Juli von beiden Seiten verstärkt bewaffnet ausgetragen wird.

Die Führung Aserbaidschans unter dem autokratischen Präsidenten Alijew steht ihrerseits unter Druck extrem nationalistischer oppositioneller HardlinerInnen, die der Regierung zu große Nachgiebigkeit gegenüber Armenien und Bergkarabach vorwerfen. Eine Mobilisierung gegen den Erzfeind Armenien, militärische Erfolge im umkämpften Grenzgebiet und erst recht die Rückeroberung Bergkarabachs wären für das Regime angesichts einer tiefen Wirtschaftskrise, grassierender Korruption und sinkender Öl- und Gaspreise (und damit der wichtigsten Einnahmequelle des Landes) ein „Befreiungsschlag“. Und wie so oft wird ein nationalistischer Angriff als Selbstverteidigungsaktion legitimiert. Die massiven Artillerieangriffe auf armenische Siedlungen am 27. September wurden vom Verteidigungsministerium Aserbaidschans als „Gegenoffensive“ deklariert, „um Armeniens militärische Aktivitäten zu stoppen und die Sicherheit der Bevölkerung zu schützen“.

In Wirklichkeit ist der Angriff eindeutig reaktionärer Natur. Im Falle eines Erfolges würde die armenische Bevölkerung Bergkarabachs zu einer unterdrückten Nation, ihr Selbstbestimmungsrecht mit Füßen getreten werden. In Aserbaidschan würde die Herrschaft der OligarchInnen und des seit 15 Jahren mit halb-diktatorischen Mitteln regierenden Präsidenten Alijew neue Legitimität erhalten. Nicht nur die Minderheiten, sondern auch die ArbeiterInnenklasse und die Jugend, die als Kanonenfutter im reaktionären Waffengang verheizt werden soll, wären verstärkter, nationalistisch legitimierter Unterdrückung ausgesetzt.

Angesichts dieser Lage gilt unsere Solidarität allen Kräften der Linken, wie der Azerbaijani Leftist Youth (http://www.criticatac.ro/lefteast/anti-war-statement-of-azerbaijani-leftist-youth), die sich dem reaktionären, nationalistischen Treiben widersetzen und ein Ende des Angriffs fordern.

Zweifellos kann die Bevölkerung Bergkarabachs ein legitimes Recht auf Selbstbestimmung (und Selbstverteidigung) für sich reklamieren. RevolutionärInnen, ja alle DemokratInnen sollten ihr Recht anerkennen, selbst zu entscheiden, ob sie einen eigenen Staat gründen oder sich Armenien anschließen wollen.

Wurzeln des Konflikts und Armeniens Rolle

Ginge es nur um Bergkarabach und die Frage von dessen Selbstbestimmungsrecht, so wäre der Charakter des Gesamtkonflikts recht einfach zu bestimmen. Doch im seit über drei Jahrzehnten offen ausgetragenen Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien verhält sich die Sache nicht so unkompliziert.

Gegen Ende der Existenz der Sowjetunion brach der selbst weit zurückliegende Konflikt um Bergkarabach offen aus. In der UdSSR war die Region entgegen dem Willen der armenischen Bevölkerung Aserbaidschan zugeschlagen worden. Mit dem Zerfall der Sowjetunion reklamierte diese erneut  das Recht auf Lostrennung für sich und stieß dabei auf den erbitterten Widerstand Aserbaidschans. Das Land befand sich auf dem Weg in die Unabhängigkeit und die NationalistInnen – ihrerseits ehemalige ParteibürokratInnen und städtische Intellektuelle – wollten nicht auf Bergkarabach verzichten, lehnten sowjetische Vermittlungsversuche ab und suchten eine militärische Lösung.

Am Beginn des von 1992 bis 1994 andauernden offenen Krieges schienen die Streitkräfte Aserbaidschans als Siegerinnen hervorgehen – nicht zuletzt aufgrund ihres brutalen Vorgehens, das tausenden ZivilistInnen das Leben kostete und in barbarischen Massakern ganzer Dörfer gipfelte. Doch das Blatt wendete sich. Die militärischen Verbände Armeniens und Bergkarabachs waren nicht nur in der Lage, die Enklave zu verteidigen, sondern eroberten auch mehrere Provinzen, die Armenien von dieser trennten. Diese mehrheitlich aserbaidschanischen Siedlungsgebiete wurden unter dem Kommando des nicht minder brutal vorgehenden armenischen Nationalismus ethnisch gesäubert. Er beschränkte sich offensichtlich nicht auf die Unterstützung der eigenen Verbündeten, sondern vertrieb hunderttausende AserbaidschanerInnen aus sieben Bezirken, die seit dem Waffenstillstand 1994 von Armenien kontrolliert werden.

Bis 1994 wurden über 1,1 Millionen Menschen aus Aserbaidschan und Armenien vertrieben, also fast 10 % der gesamten Bevölkerung der beiden Staaten. 25.000 bis 50.000 Menschen starben nach unterschiedlichen Schätzungen. Seit damals befinden sich Armenien und Aserbaidschan in Lauerstellung. Nicht nur die Frage Bergkarabachs ist ungelöst. Beide Seiten verweigern die Rückkehr hunderttausender Geflüchteter.

Reaktionärer Nationalismus auf beiden Seiten

Der Nationalismus wurde faktisch zur Staatsdoktrin beider Seiten einschließlich einer oft extremen religiösen und ethnischen Überhöhung. Seit 1994 kam es immer wieder zu begrenzten bewaffneten Konflikten zwischen den beiden Parteien, zuletzt im sog. „Vier-Tage-Krieg“ 2016.

Beide Staaten erlebten zwar einen massiven ökonomischen Einbruch nach dem Zerfall der Sowjetunion, auf deren gesamtstaatliche Arbeitsteilung ihre Wirtschaftsplanung bezogen war. Der Maschinenpark in der Industrie war weitgehend veraltet. Die Einführung der Marktwirtschaft und die Privatisierungen nahmen die Form einer Plünderung, einer Art ursprünglicher Akkumulation durch mafiöse, oligarchische Strukturen an.

Beide Staaten bzw. deren Regime unterhielten weiter enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland. Dieses fungierte als Moderator zwischen den befeindeten Seiten – sei es auf eigene Rechnung, sei es im Rahmen der sog. Minsker Gruppe, die 1993 zur Vermittlung und Befriedung des Konflikts ins Leben gerufen wurde und neben Russland auch solche Staaten wie Deutschland, Frankreich und die USA umfasst. Im Grunde wurde der Konflikt eingefroren. Die UN verweigert die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes von Bergkarabach. Umgekehrt wurden dessen enge Verbindung mit Armenien und eine Wirtschafts- und Währungsunion ebenso faktisch geduldet wie die armenische Kontrolle über Gebiete mit ehemals aserbaidschanischer Mehrheitsbevölkerung.

Armenien und Aserbaidschan bezogen beide den größten Teil ihrer Waffen aus Russland, wenn auch zu unterschiedlichen Konditionen. So musste das öl- und gasreiche Aserbaidschan zu Weltmarktpreisen kaufen, während die armenische Armee zu günstigeren, russischen „Inlandspreisen“ aufrüsten konnte. Auch Serbien verkaufte an beide „befreundete“ Staaten, während Israel und die Türkei exklusiv an Aserbaidschan lieferten.

Während sich die Regionalmacht Türkei als Schutzpatronin Aserbaidschans ins Zeug legt und extrem aggressive Töne anschlägt, band sich Armenien stärker an Russland und den Iran. Dieser ist der wichtigste Energielieferant des Landes. Russland ist faktisch die Schutzmacht Armeniens, unterhält dort mehrere Militärbasen. Außerdem ist das Land Mitglied in den von Russland dominierten wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bündnissen, in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) wie auch in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), dem von Russland dominierten Gegenstück zur NATO.

Warum jetzt?

Dass der Konflikt im Juli wieder bewaffnete Formen annahm, inkludiert möglicherweise auch ein zufälliges Element. So ist bis heute umstritten, wie die ersten Kampfhandlungen in den letzten Monaten ausgelöst wurden.

Wir können jedoch drei Faktoren ausmachen, die das Gleichgewicht unterminierten, das seit 1994 zu einem brüchigen Waffenstillstand geführt hatte und von der Minsker Gruppe und insbesondere auch von Russland weiter „vermittelt“ worden war.

Erster besteht in der politischen und wirtschaftlichen Instabilität beider Staaten. Beide sind nicht nur hart von der Weltwirtschaftskrise betroffen, beide Länder werden auch von repressiven, kapitalistischen und anti-demokratischen Regimen geführt, selbst wenn sich der armenische Präsident rühmt, über die samtene Revolution an die Macht gekommen zu sein. Für beide bietet der Nationalismus daher eine Möglichkeit, von inneren Konflikten abzulenken und die „Einheit des Volkes“ zu beschwören.

Zweitens haben sich aber die wirtschaftlichen Gewichte zwischen den Staaten verschoben. Aserbaidschan verfügt, anders als Armenien, über große Öl- und Gasvorkommen und damit Devisenquellen, auch wenn dieser Reichtum vor allem der kapitalistischen Oligarchie und den führenden Schichten im Staatsapparat zugutekommt. Die Rendite aus dem Öl- und Gasexport konnte Aserbaidschan aber auch für Rüstungsausgaben verwenden, die jene Armeniens in den letzten Jahren um das Fünffache übertreffen. Angesichts der Ziele des Regimes (und der nationalistischen Opposition) dürfte es nur zu verlockend sein, die größeren wirtschaftlichen Reserven und die militärische Aufrüstung in Gebietsgewinne praktisch umzumünzen.

Drittens sind es die veränderten geo-strategischen Verhältnisse, die diesen Konflikt befeuerten – insbesondere die wachsende Rivalität zwischen dem russischen Imperialismus und der Regionalmacht Türkei. Diese beiden geraten schließlich nicht nur im Kaukasus, sondern auch in Syrien und Libyen aneinander, was den Konflikt noch explosiver macht.

Auch wenn EU und USA vor allem als VermittlerInnen agieren wollen, wenn beide mit größeren inneren Problemen und anderen Prioritäten konfrontiert sind, so ist es fraglich, dass v. a. die USA abseits stehen werden, falls sich der Konflikt verschärft oder regional ausweitet, also z. B. der Iran hineingezogen wird.

Drohender Flächenbrand

Der Konflikt um Bergkarabach und der drohende Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan droht somit leicht zu etwas Größerem zu werden, so wie die Balkankriege vor 1914 leicht zu einem Weltkrieg hätten werden können.

Beide Seiten, Aserbaidschan und Armenien, lehnen bisher jede Vermittlung ab, beide haben das Kriegsrecht verhängt. Beide beschuldigen andere Mächte mit mehr oder minder viel Recht der Unterstützung der Gegenseite. Während sich die Türkei offen und ganz hinter Aserbaidschan, logistische Hilfe stellt und reaktionäre MilizionärInnen aus dem Syrien-Krieg als „Freiwillige“ schickt, bezichtigt sie den Iran und Russland der Unterstützung Armeniens.

Zur Zeit zieht Russland (und wohl auch China und der größte Teil des Westens) eine „friedliche“ Lösung, also das weitere Einfrieren des Konflikts vor. Das würde Russland enge Verbindungen zu Aserbaidschan und Armenien und eine dominante Rolle erlauben. Eine geostrategische Expansion der Türkei kann es hingegen schwer dulden, weil diese seine Rolle als Ordnungsmacht sowohl in Eurasien als auch im Nahen Osten und im Mittelmeer schwer erschüttern würde.

So würde sich die OVKS als Papiertigerin entpuppen, wenn sie ein in Bedrängnis geratenes Armenien und das von ihm gestützte Bergkarabach nicht einmal gegen aserbaidschanische Kräfte und wachsenden Einfluss der Türkei schützen könnte.

Die Kriegsgefahr ist real. Der Konflikt kann sich leicht zum Flächenbrand ausweiten, selbst wenn das niemand will, denn jede Aktion der einen Seite droht eine Reaktion der anderen hervorzurufen. Selbst wenn die groß-türkische Rhetorik Erdogans teilweise „nur“ leeres Gerede sein mag, so können gerade bonapartistische Regime wie das seinige den Bogen ihrer außenpolitischen Abenteuer leicht überspannen – mit fatalen Konsequenzen.

Welche Perspektive?

Die internationale ArbeiterInnenbewegung und die gesamte Linke müssen der nationalistischen Mobilmachung auf beiden Seiten und jeder Einmischung der Türkei, Russlands und anderer Mächte entschieden entgegentreten. Es gilt, alle Kräfte in Armenien und Aserbaidschan zu unterstützen, die sich einem drohenden Gemetzel widersetzen, und diese durch Aktionen der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten insbesondere in der Türkei und Russland zu stärken.

Ein zentrales Mittel zum Stopp der geo-strategischen Interventionen der Türkei und Russlands (wie anderer Mächte) besteht im Kampf gegen die autokratischen Regime Erdogans und Putins selbst.

Um dem Nationalismus in Armenien und Aserbaidschan eine politische Alternative entgegenzusetzen, braucht es aber auch ein Programm, das eine Lösung der drängenden demokratischen und sozialen Fragen leisten kann.

Das beinhaltet die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes aller Nationen, also auch der Bevölkerung von Bergkarabach. Es beinhaltet ebenso das Recht auf Rückkehr aller Vertriebenen und Geflüchteten des Krieges und die Entscheidung über den weiteren Status der durch die armenischen Streitkräfte besetzten Bezirke durch die Bevölkerung. Das Selbstbestimmungsrecht bildet im Kaukasus – ähnlich wie auf dem Balkan – dabei nur ein Element der Lösung der nationalen Frage. Das andere muss in der Bildung einer freiwilligen Föderation der Staaten des Kaukasus bestehen, um so offene Grenze zwischen den verschiedenen Regionen zu gewährleisten.

Demokratie und Sozialismus

Wie die Geschichte der Sowjetunion, vor allem aber der Restauration des Kapitalismus gezeigt hat, ist eine demokratische Lösung der nationalen Frage untrennbar mit der Klassenfrage verbunden, der Frage, in welchem Interesse die Ökonomie organisiert wird. Auf der Basis von oligarchischem Kapitalismus, neoliberalem Markt, Mangel, Arbeitslosigkeit und Armut werden immer wieder reaktionäre, nationalistische oder rassistische Scheinlösungen von den Herrschenden präsentiert werden.

Der Kampf um das Selbstbestimmungsrecht und eine Föderation der Staaten des Kaukasus muss daher verbunden werden mit dem für revolutionäre Arbeiter- und Bauern-/Bäuerinnenregierungen und die Bildung einer sozialistischen Föderation auf Basis demokratischer Planwirtschaften.