Ampelkoalition: rechts abbiegen erlaubt!

Jürgen Roth, Infomail 1172, 8. Dezember 2021

Nun ist es amtlich: Seit dem Nikolaustag steht die Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Die Grünen hatten als letzte Partei gleichfarbiges Licht gegeben und der neue Kanzler, Olaf Scholz, präsentierte die MinisterInnenriege seiner Partei. Ob und welche Geschenke seine Riege auf den Gabenteller legen wird, wollen wir im Folgenden untersuchen.

Rahmenbedingungen

Eines drängt sich bereits jetzt auf: Dass es auf Bundesebene – erst zum 2. Mal nach dem Kabinett Adenauer I – jetzt einer Dreierkoalition zum Regieren bedarf, ist an sich schon ein Zeichen für die schwindende Stabilität der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie. Dahinter steckt der schwere Seegang einer immer rauer werdenden Konkurrenz um Weltmarktanteile.

Dieser wird erst recht Flutwellen zeitigen im Fall einer künftigen Rezession in Kombination mit den Rechnungen, die Klima- und Coronakrise, die Krise der EU und der Kampf um die Neuaufteilung der Welt ebenso unerbittlich für die arbeitenden Klassen ausstellen werden. Wir können also damit rechnen, dass das Regierungsschiff alles andere als eine klare See durchqueren muss und dabei auch vom Kentern bedroht ist. Ein Überdauern der Legislaturperiode kann daher keineswegs als sicher vorausgesetzt werden.

Bewährungsprobe Coronavirus

Von einem klaren Kurs ist die Scholz-Crew kaum weniger weit entfernt als die geschäftsführende Bundesregierung. Zwar wurde die Frist für Notmaßnahmen über den 15. Dezember hinaus verlängert, wird über eine Impfpflicht vermehrt nachgedacht, aber grundsätzlich wird an der Erwartung eines baldigen Endes der Pandemie festgehalten. Die Strategie schlingert zwischen Impfkampagnen und bewusster Durchseuchung der jungen Bevölkerung (siehe dazu den Artikel „Mit der Impfpflicht gegen die vierte Welle?“ von Christian Gebhardt in dieser Ausgabe) hin und her.

Die oberste Maxime bildet die Abwendung eines Lockdowns für das Großkapital, gefolgt von einer Vermeidung der Überlastung von Intensivstationen und Krankenhäusern. Eine irrsinnig umständliche Logistik führt zur Impfstoffknappheit. Vor gerade eben erst geschlossenen Impfzentren formen sich jetzt lange Schlangen in der Kälte Wartender. Ebenfalls verlässt man sich auf weltweite Lieferketten im Fall der Testkits. Eigene Kapazitäten wurden trotz negativer Erfahrungen seit 2020 nicht aufgebaut. Resultat auch hier: Es herrscht Knappheit. Dem Wirrwarr unterschiedlicher und sich widersprechender Regelungen arbeitet bisher auch kein zentralisierter Krisenstab aus ExpertInnen entgegen. Coronapolitik findet v. a. in Talkshows statt.

Queerpolitischer Aufbruch?

In der Geschlechter- und Familienpolitik kündigt das Koalitionspapier umfassende Reformen an. Vorweg: Es handelt sich hierbei tatsächlich um das fortschrittlichste Kapitel. Bis 2030 soll die Gleichstellung von Frauen und Männern erreicht sein. Frauen sollen besser vor Gewalt geschützt werden und der Gender Pay Gap, die geschlechtlich geprägte Lohndifferenz soll überwunden werden. Dazu will man das Entgelttransparenzgesetz weiterentwickeln und den Klageweg vereinfachen. Warum das reichen soll, um diesen Ausdruck systematischer Frauenunterdrückung zu überwinden, steht in den Sternen. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wird jedenfalls nicht angekratzt. Eher ist das Gegenteil zu erwarten.

Der neue und alte Arbeitsminister, Hubertus Heil, will Familien, die „AltagshelferInnen“ in Anspruch nehmen, 40 % Zuschuss gewähren. Dies dürfte v. a. GutverdienerInnen zugute kommen, die noch zusätzlich durch die Erhöhung der Minijobobergrenze (siehe unten) in die Lage versetzt werden, die Hausarbeit auf schlecht bezahlte migrantische Frauen abzuwälzen.

Unter „Gleichstellung“ werden zwar nur Frauen und Männer angesprochen, doch enthält wohl zum 1. Mal ein Koalitionsvertrag ein Unterkapitel „Queeres Leben“. Ein „Nationaler Aktionsplan“ soll für Akzeptanz und Schutz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt sorgen. Hasskriminalität aufgrund des Geschlechts und gegen queere Personen soll zukünftig separat erfasst werden.

Das Werbeverbot für Abtreibungen (§ 219a) soll abgeschafft, Schwangerschaftsabbruch in die ärztliche Ausbildung aufgenommen werden. Die gesetzlichen Krankenkassen sollen zahlen. Ob das dazu beitragen wird, dass nicht wie bisher nur wenige ÄrztInnen Abtreibungen durchführen, bleibt indes fraglich, wenn weiterhin § 218 solche Eingriffe verbietet.

Das reaktionäre Transsexuellengesetz wird durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt, dem zufolge Selbstauskunft für eine Änderung des Eintrags im Personenregister genügt. Die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen bezahlt die GKV. Trans- und Interpersonen, die aufgrund früheren Rechts von Zwangsoperationen betroffen waren, sollen entschädigt, Schutzlücken im OP-Verbot bei intergeschlechtlichen Kindern geschlossen werden.

Das neue Familien- und Abstammungsrecht bringt auch Fortschritte bei Kindern in Ehen von 2 Frauen, die jetzt beide automatisch als Eltern anerkannt werden. Vorher galt das nur für Ehen unter Männern. Elternschaftsanerkennung außerhalb der Ehe und unabhängig vom Geschlecht soll ebenso möglich sein, wie das „kleine Sorgerecht“ auf bis zu 2 Personen neben den rechtlichen Eltern erweitert wird. Eine „Verantwortungsgemeinschaft“ jenseits von Liebe und Ehe von 2 oder mehr Personen soll rechtliche Kindesverantwortung übernehmen können.

Diese Verbesserungen sind zweifellos zu begrüßen, sprengen sie doch die an biologische Abstammung gekoppelte Sorge für die nachwachsende Generation, tragen somit ein Stück weit zur Sozialisierung dieser Art bisher intimer Nahbeziehungen bei. Diese sollte auch zur Erleichterung von Adoptionen führen, die in der BRD unnötig schwer gestaltet werden. Mit Ausnahme der genannten Mängel stellen auch die anderen geschlechter- und familienpolitischen Reformen einen Fortschritt dar. Deren Finanzierung steht aber auf einem anderen Blatt (vgl. Sparmaßnahmen bei Frauenhäusern) und wird ein notwendiges Kampffeld für die Umsetzung der fortschrittlichen Regeln für die ArbeiterInnenklasse und geschlechtlich Unterdrückten markieren.

Gemeinnützigkeits- und Bürgerrecht

Dieser Abschnitt klingt besser, als er ist. Dahinter verbergen sich schließlich auch Fragen der Überwachungsbefugnisse des Staates – also eigentlich die Einschränkung von Bürgerrechten.

Innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke sowie tagespolitisch gelegentlich darüber hinaus sollen gemeinnützige Organisationen agieren dürfen, ohne ihr Steuerprivileg (Abzugsfähigkeit von Spenden) zu verlieren. Transparenzpflicht und Regeln zur Offenlegung der Spendenstruktur und Finanzierung sollen handhabbar gemacht werden. Das klingt zwar gut, aber wenn zugleich die staatliche Überwachung zunimmt und die Gemeinnützigkeit linker Vereine weiter kassiert wird?

Weitere Themen aus dem Katalog der Bürgerrechte und Demokratieförderung drehen sich um die Überwachungspraktiken. Die Sicherheitsgesetze sollen bis Ende 2023 überprüft werden („Überwachungsgesamtrechnung“). Eine „Freiheitskommission“ wird verantwortliche Stellen bei Gesetzesvorhaben beraten. Videoüberwachung soll nur an „Kriminalitätsschwerpunkten“ stattfinden – deren Festlegung unterliegt jedoch weiter dem Staat. Sowohl Vorratsdatenspeicherung als auch Bundestrojaner werden weiter mit zusätzlichen geringfügigen Auflagen („Login-Falle“) zum Einsatz kommen dürfen. Das Demokratieförderungsgesetz soll bis 2023 eine Stärkung der „Zivilgesellschaft“ bewirken. Doch das Zwangsbekenntnis zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ entpuppt sich bei näherer Betrachtung als möglicher Einstieg zu einer „Extremismusklausel“ (z. B. Antisemitismusvorwürfe ggü. BDS). Mit keinem Wort geht das Koalitionspapier auf die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses ein.

Die Bundespolizei soll einer Kennzeichnungspflicht für ihre BeamtInnen unterliegen. Beschwerden nimmt ein/e beim Bundestag angesiedelte/r Polizeibeauftragte/r entgegen.

Die letzten 30 Jahre waren durch ungebremste Verschärfung der Kriminalitätspolitik geprägt. Die angekündigte „Effizienzsteigerung“ in Strafverfahren lässt die Fortführung dieser Kontinuität vermuten. Die Koalition will indes den Eigengebrauch von Cannabis vorsichtig legalisieren und die Sicherheitsgesetze auf Vereinbarkeit mit den Bürgerrechten prüfen. Noch im November 2020 hatte die Große Koalition die seit 2002 geltenden Terrorismusbekämpfungs- und Überwachungsgesetze, die auf den damaligen Innenminister Otto Schily („Otto-Katalog“) zurückgehen, entfristet. Eine Überarbeitung des Strafrechtssystems (Ersatzfreiheitsstrafe, Maßregelvollzug) und seine Entrümpelung in puncto Entkriminalisierung von Bagatelldelikten (Schwarzfahren, Cannabisnutzung, Ladendiebstahl, Unterschlagung geringwertiger Sachen) und Abschaffung von Sonderregeln (gegen Genitalverstümmelung, die sowieso als schwere Körperverletzung gilt) stehen an.

Insgesamt dürfen aber einige kleine Verbesserungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kurs auf eine Ausweitung der staatlichen Repressionsrechte fortgesetzt wird, wenn auch von einigem konservativen Ballast entrümpelt.

Mindestlohn

Er soll auf 12 Euro/Stunde steigen. Das stellt zwar einen nicht zu unterschätzenden Schritt nach vorn dar und eine materielle Verbesserung für Millionen. Lt. Hans-Böckler-Stiftung verdienen zur Zeit 8,6 Millionen Beschäftigte weniger als 12 Euro/Stunde. Aber es bleibt ungewiss, ob die Anhebung schnell eingeführt wird. Sollte er lt. Sondierungspapier noch im 1. Jahr erhöht werden, schweigt sich der Koalitionsvertrag über Fristen aus. Ab dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens wird allerdings auch die Minijobobergrenze von 450 auf 520 Euro steigen.

Die meisten Verstöße gegen den Mindestlohn gibt es aber gerade hier, sagen ArbeitsmarktforscherInnen. MinijobberInnen erhalten meist keinen bezahlten Urlaub, keine Lohnfortzahlung bei Krankheit. 77 % bekamen zuletzt weniger als 11,50 Euro Stundenlohn, ohne dass berücksichtigt wird, dass sie keinen bezahlten Urlaub genießen. Der Staat subventioniert diesen prekären Sektor zudem. Insgesamt fallen nur 28 % statt 40 % Sozialbeiträge an. 2014 belief sich der geschätzte Ausfall für die Sozialversicherungen auf 3 Mrd. Euro. 6,9 Millionen Menschen hatten im Frühjahr einen Minijob – 18 % aller abhängig Beschäftigten! Lt. IAB-Studie vom Oktober 2021 verdrängen sie in Kleinbetrieben bis zu 500.000 sozialversicherungspflichtige Stellen. Für Arbeitslose bilden diese eher ein Ghetto als eine Brücke zur Sozialversicherungspflicht. In der Pandemie wurden viele entlassen. Anspruch auf KurzarbeiterInnengeld haben sie nicht. StudentInnen, RentnerInnen, Beschäftigte mit Zweitjobs bessern so ihre Einkünfte auf. Leben kann man davon nicht. Insbesondere verheiratete Frauen mit einem/r berufstätigen PartnerIn müssten brutto doppelt so viel verdienen, um netto auf gleiche Einkünfte zu kommen – Ehe förderndem Steuerrecht und Minijobsubvention durch den Staat sei Dank.

Außer der Tariftreue für öffentliche Aufträge hat sich die Ampeltroika darüber hinaus wenig vorgenommen. Eine einfachere Allgemeinverbindlichkeitserklärung für Tarifverträge ist nicht geplant. Die Talfahrt bei der Tarifbindung wird sich fortsetzen. So droht selbst die Anhebung des Mindestlohns – des einzigen handfesten Versprechens für die Lohnabhängigen – durch weitere Deregulierung, Umstrukturierung und Inflation aufgefressen zu werden.

MieterInnenschutz

Die Bundesampel will das vom Bundesverwaltungsgericht gekippte kommunale Vorkaufsrecht nur prüfen. Auch eine Öffnungsklausel, die den Bundesländern die Einführung eines Mietendeckels erlauben würde, ist nicht vorgesehen. Wir erinnern uns: Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Mietenregulierung des Landes Berlin jüngst abgelehnt. Die weitgehend wirkungslose Mietenbremse wird nicht nachgezogen. Erhöhungsmöglichkeiten für bestehende Mietverhältnisse werden geringfügig von 15 % auf 11 % für einen Zeitraum von 3 Jahren beschnitten. Die geplante Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit bleibt einziger Trost. SPD und Grüne hatten noch im Wahlkampf für „Mietenstopp“ geworben. Ein neoliberaler Kurs im Wohnungsbausektor wird allenfalls notdürftig durch das Beschwören – vor allem privaten! – Neubaus übertüncht. Der Ampelvertrag enthält fast ausschließlich Verschlechterungen.

Gesundheit und Pflege

Lauterbachs Posten ist der ungeliebteste in  der Regierung. In der Altenpflege sollen die Eigenanteile der Pflegebedürftigen gesenkt und die Soziale Pflegeversicherung von „versicherungsfremden Leistungen“ entlastet werden. In den Krankenhäusern soll kurzfristig eine verbindliche Personalbemessung, zunächst in Gestalt der von ver.di, Deutschem Pflegerat und Krankenhausgesellschaft erarbeiteten Pflegepersonalregelung 2.0, gelten. Ferner soll die Grenze zwischen ambulantem und stationärem Sektor durchlässiger werden (Hybridpauschalen, niedrigschwellige Präventions- und Behandlungsangebote in der Fläche, finnisches Modell Gesundheitskiosk, GemeindepflegerInnen, GesundheitslotsInnen). Der Bund wird allerdings die Länder bei ihren Investitionen im Rahmen der dualen Finanzierung nicht unterstützen, wie es vor und im Wahlkampf hier und da aus den Reihen von SPD und Grünen noch anklang.

Aufzupassen gilt es vor allem bei 2 Punkten: Die Herausnahme der Pflege aus den Fallpauschalen seit Januar 2020 führte nicht zum automatischen Personalaufbau. 2021 gibt es sogar deutschlandweit 4 000 Intensivbetten weniger als 2020. Die Pflegekräfte werden seitdem zusehends mit Aufgaben belastet, die vorher sog. Hilfskräfte ausübten. Auf deren Kosten erfolgt also z. T. die Finanzierung dieses an sich begrüßenswerten Schritts. Insbesondere sind wir aber misstrauisch ggü. den Plänen zur Verzahnung des ambulanten Sektors mit dem stationären. So sehr ein integriertes und durchlässiges Gesundheitssystem an sich erstrebenswert ist, so muss bei der neuen Koalition davon ausgegangen werden, dass es sich hier nicht um Vorhaben zur Stärkung des öffentlichen auf Kosten des privaten Bereichs der niedergelassenen ÄrztInnen handelt. Es gilt, vor Plänen in der Schublade zu warnen, die eine weitere Ausdünnung der Krankenhäuser anstreben, die auf dem Land zum Wegfall der stationären, flächendeckenden Grundversorgung durch schäbigen ambulanten Ersatz führen könnten.

Vor allem aber: Alles steht letztlich unter Finanzierungsvorbehalt. Im Gesundheitswesen fehlt es an 130 000 Beschäftigten. Zu den notwendigen Mitteln, um den Pflegenotstand und die Überlastung der Krankenhäuser zu beenden, finden sich allenfalls vage Zusagen. Die Fortsetzung der Misere ist solcherart vorprogrammiert.

Migration

Auch hier finden sich einige an sich begrüßenswerte Absichtserklärungen. Geduldete mit stets nur kurzfristig verlängerten Aufenthaltsgenehmigungen („Kettenduldungen“) sollen mehr Chancen auf ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen. Geflüchtete mit Schutzstatus dürfen ihre Angehörigen nachholen. Nicht straffällige, Deutsch lernende, abgelehnte AsylbewerberInnen mit Arbeitseinkommen sollen dauerhaftes Bleiberecht erlangen können. Erleichterungen wird es auch für Menschen ohne Papiere geben (eidesstattliche Versicherung über die eigene Identität), folglich eine Bleibeperspektive.

So weit die Versprechungen. Die Einführung eines Punktesystems („Chancenkarte“) soll im Einwanderungsrecht eine 2. Säule etablieren. Wird nett verpackt, soll aber letztlich vor allem dazu beitragen, die Anwerbung jener migrantischen Arbeitskräfte zu erleichtern, die vom Kapital gebraucht werden – und im Umkehrschluss die Abweisung jener, die nicht verwertet werden können. Die Segregation unter MigrantInnen wird also neu organisiert – nicht zuletzt, um so eine langjährige Forderung der Unternehmerverbände nach mehr Fachkräften zu befriedigen.

Zugleich plant die neue Bundesregierung eine „Rückführungsoffensive“, also beschleunigte Abschiebungen abgelehnter AsylbewerberInnen, neben einer Reduzierung „irregulärer Migration“. Die Außenfestung der EU wird so weiter gestärkt.

Finanz-, Steuer- und Verteidigungspolitik

Nicht zufällig bekleidet FDP-Chef Lindner den Posten des Finanzministers. Die Schuldenbremse soll ab übernächstem Jahr wieder eingeführt werden. Steuererhöhungen soll es nicht geben. Alles Gerede über Reichensteuer bei Grünen und insbes. SPD, seien es Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Vermögensteuer usw., erweist sich als Makulatur. Woher die nötigen Investitionen in z. B. Energiewende und Digitalisierung kommen sollen, wird die Masse der Bevölkerung recht bald im eigenen Portemonnaie merken.

Die Schuldenbremse ist ein Erbe der Finanzkrise und wurde 2009 in der BRD eingeführt, 2012 über den EU-Fiskalpakt ausgeweitet. Durch drastische Sparsamkeit sollte die Eurozone wieder zu einem attraktiven Ziel für die Finanzmarkthaie werden. In den letzten 10 Jahren stiegen die deutschen Staatsausgaben stärker als in deren Rest. Gleichzeitig diente der Fiskalpakt als Hebel, um den Druck auf die Partnerstaaten aufrechtzuerhalten.

Angesichts der Corona- und Umbaukosten befindet sich die Ampel in einer Zwickmühle, also folgerichtig auf Gelb: Das Gesamtkapital gilt es zu erneuern bei gleichzeitigem Sparzwang. Auf nationaler Ebene sollen es kreative Maßnahmen richten: mehr Kredite durch die Förderbank KfW und mehr Schulden für staatliche Gesellschaften wie die DB AG, Rückzahlungen werden gestreckt. Der EU-Aufbaufonds NGEU gilt zwar als zeitlich und in der Höhe befristet, aber das ist ja etwas anderes als eine einmalige Sache.

Während die Koalition das große Kapital und dessen Restrukturierung im Namen von Modernisierung, Digitalisierung und ökologischer Wende fördern wird, werden mit der Schuldenbremse im öffentlichen Sektor die Daumenschrauben angezogen. Wie soll der Ausbau von Bildung, Schulen und Unis so erreicht werden? Durch private InvestorInnen. Die neoliberale Seite der Ampel lässt grüßen.

Im Koalitionsvertrag findet sich kein wörtliches Bekenntnis zum Ziel, 2 % des BIP für Verteidigung auszugeben. Doch der Beschaffung bewaffneter Drohnen – nur für garantiert demokratische Tötungen zugelassen – wird ebenso zugestimmt, wie der Aufrechterhaltung eines glaubwürdigen Abschreckungspotentials – inkl. nuklearer Teilhabe Deutschlands, versteht sich –, weltweiten Militäroperationen und Beteiligung an der Konfrontationspolitik der USA das geschriebene Wort gegönnt wird. Außenministerin-Baerbock-Grün oder Kanzler-Adenauer-Schwarz, die transatlantische Waffengeschwisterschaft wird mit Aggressionsdrohungen bekräftigt. Auch wenn das Bundesverteidigungsministerium in die Hände der SPD fällt – Struck lässt von der „Verteidigung am Hindukusch“ aus grüßen.

Diese Kernressorts der Regierung offenbaren, was droht – Verschlechterungen auf ganzer Linie.

Grundsicherung und Umweltpolitik

Hartz IV heißt jetzt Bürgergeld. Forderten die Grünen noch im Wahlkampf einen um 50 Euro höheren Regelsatz und ein Ende der Sanktionen, so bleibt es bei 3 Euro ab 2022. Mitwirkungspflichtig bleiben auch die BürgergeldbezieherInnen. Winzige Brosamen stellen dar: befristeter Bonus für Teilnahme an Fördermaßnahmen; Sanktionen, die einen Fall unters Existenzminimum zur Folge hätten, werden 1 Jahr ausgesetzt; Prüfung von Schonvermögen und  Wohnung entfällt, aber nur in den ersten 2 Jahren nach Antragstellung; das Schonvermögen fällt nach 2 Jahren höher aus als bisher; übersteigt die Wohnung eine „angemessene“ Größe, muss der Umzug nicht mehr sofort erfolgen; Einkommen und Verdienste von Kindern neben Studium oder Schule sowie von Pflege- und Heimkindern werden nicht mehr angerechnet. Als Pferdefüße könnten sich pauschale, regionalspezifische Auszahlungen der Kosten für Unterkunft und Heizung sowie die Einführung der Kindergrundsicherung erweisen. Bei Letzterer würden Regelsatz, kostenfreies Mittagessen und Zuschüsse für Schulbedarf und Klassenfahrten wegfallen. Erstere würde Menschen mit alten Heizungsanlagen und in Wohnungen mit schlechter Wärmedämmung benachteiligen. Zudem will Rot-Grün-Gelb den einzelnen Jobcentern mehr „Gestaltungsspielräume“ dadurch verschaffen. Im nicht heuchlerischen normalen Sprachgebrauch bedeutet das: Arme Gemeinden werden ihre Bürgergeldklientel mehr schurigeln!

Apropos Wärme: Da war doch was mit der Erde? Wird der wackere Ritter Robert Habeck mit seinem neuen Superministerium für Wirtschaft und Umwelt eine Lanze für die Natur brechen? Antwort: eher einen Zahnstocher! Beim Kohleausstieg ist die schwammige Formel des Sondierungspapiers übernommen worden: „idealerweise bis 2030“ statt 2038. Der CO2-Zertifikatepreis – eine „sozial ungerechte“, indirekte, nicht progressive Massensteuer – soll nicht unter 60 Euro/t sinken. Seit August 2021 liegt er im EU-Emissionshandel über dieser magischen Grenze. Die Kohlekraftwerke laufen munter weiter. Ihr Strom wird nämlich zuerst abgerufen, da das in der Treibhausgasbilanz günstigere Erdgas teurer ist. Bis 2030 sieht der Koalitionsvertrag einen Anteil erneuerbarer Energien am Strommarkt von 80 % vor. In 9 Jahren müsste die Erzeugung von Ökostrom dann aber verdoppelt werden. Am ehrgeizigsten fallen die Ziele bei der Windenergie auf See aus. Hier mischen ja auch die großen Konzerne am meisten mit. Im gewerblichen Neubau soll eine Solardachpflicht kommen, bei neuen Privathäusern sollen Solarzellen zur Regel werden. Neue Gaskraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung werden forciert. Sinn machen diese aber v. a. erst dann, wenn sie von durch erneuerbare Energien produziertem Erdgas betrieben werden. Letzteres könnte auch einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Speicherproblematik leisten. Dafür hat das Flickwerk, das sich Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nennt, aber keinen Plan. Vor allem im Verkehr, der in der BRD zu mehr als 1/5 zur Treibhausgasemission beiträgt, sieht’s noch finsterer aus. Ein Ende der Steuerfreiheit für Kerosin und der Subventionen für Diesel ist außer Sicht. Neuer Autominister wird der FDPler Wissing.

Fazit

„Mehr Fortschritt wagen“, „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“: Diese süffisanten Formeln aus dem Arsenal der Volksverdummungsindustrie namens Werbung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Masse der Lohnabhängigen gerade angesichts der eingangs geschilderten internationalen Rahmenbedingungen sich nachhaltig warm anziehen muss. Das Geschenkpaket, das Ersatznikolaus Onkel Olaf seinen Untertanenkindern aus dem Schuh gezaubert hat, erweist sich in großen Teilen als vergifteter Köder.

Vor allem Fortschrittlichen steht stets Lindner, der das nötige Kleingeld für die Blütenträume unserer bunten Dreifaltigkeit genehmigen muss. Der hat die Hand an einem entscheidenden Machthebel. Das rechtfertigt das Urteil, das letztlich die rechteste Partei in der VorturnerInnenriege, die FDP, sich am besten bei den Koalitionsverhandlungen in Szene setzen konnte. Schritte zur Rentenfinanzierung, mehr private Investitionen, Lockerungen der Arbeitszeitregeln untermauern diese Einschätzung. Schließlich sei noch angemerkt: Ostdeutschland mit seinen speziellen Problemen wird nur einmal auf 178 Seiten erwähnt.

Beinahekanzlerin Annalena Baerbock wird als Außenministerin in die ausgetretenen Fußstapfen ihres grünen Vorgängers, „Jugoslawienbomber“ Joschka Fischer, treten und in transatlantischer Nibelungentreue einen verschärft konfrontativen Kurs gegen China und Russland (Ukraine, Gaspipeline Nord Stream 2) mitfahren.

Der unmittelbar größte Druck auf die neue Regierung wird angesichts der Schwäche der organisierten ArbeiterInnenschaft, insbesondere der Linkspartei, eindeutig von rechts ausgeübt werden. Grüne und SPD drohen, sich zu verschleißen angesichts hoher Ansprüche (Grüne) bzw. deren Gegenteils (SPD). Die FDP könnte sich als Gewinnerin erweisen: Sie kann sich mit gewissen fortschrittlichen Regelungen (Senkung des Wahlalters, Cannabislegalisierung, Abschaffung des § 219a), aber auch Klima- und Umweltfragen sowie der Digitalisierung) freiheitlich-modern schmücken, ohne gegen ihren neoliberalen Kern zu verstoßen.

Darum: Kein Vertrauensvorschuss für die Ampel! Bereitet den Widerstand gegen die zu erwartenden Angriffe vor, beginnend mit einer Aktionskonferenz aller Parteien und Organisationen der ArbeiterInnenbewegung! Dafür müssen wir auch alle von SPD und Grünen enttäuschten Teile der Krankenhaus- und Umweltbewegung, der MigrantInnen und gesellschaftlich Unterdrückten mit an Bord holen.




Kemmerich – ein Ministerpräsident von AfD Gnaden

Martin Suchanek, Infomail 1088, 5. Februar 2020

Bis vor kurzem kannten ihn nur wenige. Nachdem Thomas L.
Kemmerich am 5. Februar zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt wurde, warfen
wohl viele die Suchmaschinen im Internet an, um mehr über einen Mann zu
erfahren, der bisher im bürgerlichen Parlamentarismus und auch in der FDP
allenfalls eine drittrangige Rolle spielen durfte.

Der Thüringer FDP-Fraktionsvorsitzende Kemmerich gehörte von
2017–2019 zu den HinterbänklerInnen, den grauen Mäusen im Bundestag. Bei den
Landtagswahlen 2019 schaffte seine Partei gerade 5 %. Der Unternehmer und
Vorsitzende der FDP-nahen Vereinigung „Liberaler Mittelstand“ war bisher nur
durch notdürftig als „Mittelstandpolitik“ verbrämten Neo-Liberalismus und als
Betreiber einer Friseurkette aufgefallen, die Jobs mit „flexiblen
Arbeitszeiten“ verspricht.

Wahrscheinlich wäre Kemmerich auch eine unbekannte
Randfigur, eine der zahlreichen StatistInnen des bürgerlichen Politbetriebs
geblieben, hätte ihn nicht die politische Lage in ungeahnte „Höhen“ gehievt.
Schließlich kommt es auch in deutschen Landtagen nur höchst selten vor, dass
ein Mitglied der schwächsten Partei zum Ministerpräsidenten gewählt wird.

Erklärbar ist seine Wahl nur als Folge des politischen
Patts, das die Wahlen 2019 in Thüringen mit sich brachten – und der
offenkundigen Bereitschaft von CDU und FDP, auch mit der AfD „bürgerliche
Mehrheiten“ zu organisieren.

Die Linkspartei konnte zwar zulegen und wurde mit 31 %
stärkste Partei. Allein verfügt sie über 29 der 90 Sitze. Aber ihre
Koalitionspartnerinnen schwächelten: Die SPD sackte auf 8,2 % ab und die
Grünen schafften mit 5,2 % gerade den Einzug ins Abgeordnetenhaus. Daher
verfügte die rot-rot-grüne Koalition gerade über 42 Stimmen, während die AfD
(22 Mandate), CDU (21) und FDP (5) eine gemeinsame Mehrheit bilden konnten.

Bürgerblock

Union und FDP standen also vor der Wahl, entweder mit der
AfD zu kooperieren oder Rot-Rot-Grün und damit den bisherigen
Ministerpräsidenten Ramelow zu „tolerieren“.

Nachdem Ramelow in den ersten beiden Wahlgängen jedoch keine
absolute Mehrheit erringen konnte, zog die AfD im dritten ihren Kandidaten
zurück – und erklärte wie schon in den letzten Wochen, den FDP-Mann Kemmerich
zu wählen. Dieser errang die Mehrheit. Mit 45 gegenüber 44 Stimmen für Ramelow
wurde er bei einer Enthaltung als neuer Ministerpräsident gewählt.

Zufall stellt die Wahl von Kemmerich natürlich keinen dar.
Schon im Vorfeld hatte er erklärt, dass er sich auch von der AfD zum
Ministerpräsidenten wählen lassen würde. Während Bundes-CDU und -FDP
„offiziell“ noch von der „Abgrenzung“ und „Nichtzusammenarbeit“ mit der rechten
AfD schwadronierten, kümmerte die Thüringer Abgeordneten dieses leere Geschwätz
offenkundig schon lange nicht mehr.

Der Feind der Union und FDP wird dort offenbar bei den
„Roten“ – und sei es ein noch so blasser Roter wie Thüringens Ramelow –
verortet. Den Hauptfeind für Union und FDP bildet schließlich die
ArbeiterInnenbewegung und nicht der Rechtspopulismus, in dessen Reihen sich
neben (halb)faschistischen Flügel-Leuten auch viele ehemalige CDUlerInnen und
FDPlerInnen tummeln. Hier wächst anscheinend zusammen, was, jedenfalls für
bedeutende Teile der Union und FDP, zusammengehört.

Zu solch einer Wahl gehört auch die Legendenbildung.
FDP-Bundesvize Kubicki erklärt gar, dass die Wahl einen großen Erfolg seiner
Partei darstelle, da diese schließlich die „demokratische Mitte“ darstelle –
einen Erfolg, für den FDP und CDU den politischen Sieg der AfD billigend in
Kauf nehmen. Kemmerichs FDP und erst recht die Thüringer CDU stellen den
Ausgang so dar, also hätten sie nur „zufällig“ den Liberalen mit den Stimmen
der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt, da sie Höcke und Co. nicht an ihrer
Stimmabgabe „hindern“ hätten können. Dabei hätten sie das natürlich können. Sie
hätten sich nur der Stimme enthalten müssen.

Die TaschenspielerInnen des Parlamentarismus ziehen es
offenkundig vor, sich blöd zu stellen. Das glaubt zwar niemand, aber solche
„Erklärungen“ sollen wenigstens den Bundesparteien erlauben, weiter so zu tun
können, als ob sie mit der AfD nicht kooperieren würden, als ob es sich nur um
einen „Sonderfall“ oder „Betriebsunfall“ handeln würde. FDP-Chef Linder phantasiert
sogar davon, dass es gar keine Kooperation mit der AfD gegeben habe – man habe
sich schließlich nur von ihr wählen lassen.

In Wirklichkeit stellt die Thüringer Wahl des Ministerpräsidenten ein Politprojekt einer CDU/FDP-Koalition von AfDs Gnaden dar. Auch wenn es durchaus möglich ist, dass die Bildung einer Landesregierung Kemmerich durch CDU und FPD mit Duldung der AfD scheitert, so sollte doch niemand deren Bildung ausschließen. Schließlich zeigte der 5. Februar, zu welchen Manövern Teile von FDP und CDU mittlerweile bereit sind.

Schließlich entspricht die Bereitschaft der CDU und FDP in
Thüringen auch der Überzeug weiter Teile ihrer Parteien und von Fraktionen der
herrschenden Klasse, dass Koalitionen mit der AfD eine Option werden könnten,
wenn sich die Krise der EU weiter verschärften sollte. Hinzu kommt, dass damit
in jedem Fall auch der Druck auf die Grünen oder andere „PartnerInnen“ nach den
nächsten Bundestagswahlen erhöht werden kann. Sollten sie sich der CDU/CSU
nicht fügen, hätte diese dann eben auch eine Alternative.

Klassenpolitik

Thüringen zeigt auch, dass – unabhängig von allen
„zufälligen“ Momenten der Wahl – Klasseninteressen allemal bedeutender sind als
Beteuerungen, undemokratische, rechtspopulistische, rassistische Parteien
„auszugrenzen“. Wenn es um die Sicherung bürgerlicher Macht und vor allem auch
um die Option eines aggressiveren, nationalistischen Kurses zur Wahrung der
Interessen des eigenen Kapitals in der internationalen Konkurrenz geht, will
und wird sich die herrschende Klasse nicht den „Luxus“ einer „Ausgrenzung der
AfD“ leisten. Solche Schritte müssen freilich vorbereitet werden – und dazu
kann eine regionalpolitische Entscheidung, bei der für alle unappetitlichen
Tabubrüche im Zweifelsfall die LandespolitikerInnen verantwortlich gemacht
werden können, den Boden bereiten.

Diese Schlussfolgerung sollten sich auch alle jene zu eigen
machen, die hofften und hoffen, die AfD im Gleichschritt mit den bürgerlichen
Parteien zu „stoppen“. Dies trifft bei aller Empörung über die Manöver von FDP
und CDU auch auf die SPD, Grünen und Linkspartei in Thüringen zu. Die Grünen
werfen der FDP vor, sich von FaschistInnen wählen zu lassen – ein Akt, der
jedoch im Gegensatz zu den Vorstellungen dieser bürgerlichen DemokratInnen
leider nicht einzigartig in der deutschen Geschichte ist.

Die SPD verspricht, dass sie mit Kemmerich nicht kooperieren
wolle. Diese „Härte“ fällt ihr freilich leicht. Ausnahmsweise muss sie ihre
„Prinzipien“ nicht über Bord werfen, denn sie wird im Thüringer
Kabinettsschacher ohnedies nicht gebraucht. Nach dem Rechtsruck im Landtag
müsste sie eigentlich die Große Koalition auf Bundesebene aufkündigen – doch so
treu will die Sozialdemokratie zu ihren angeblichen Prinzipien wieder auch
nicht stehen. Stattdessen wird sich die SPD wohl auf Allerweltsfloskeln
beschränken wie etwa Kevin Kühnert, der in einer ersten Stellungnahme erklärte,
dass „Wachsamkeit … das Gebot der Stunde“ sei.

Schließlich muss sich aber auch die Linkspartei fragen,
wohin sie ihr Hofieren der Thüringer CDU, die Spekulationen und
Hinterzimmergespräche mit Gauck über eine „Projektregierung“, also eine Duldung
von Rot-Rot-Grün durch die CDU, gebracht haben. Selbst das zahme rot-rot-grüne
„Projekt“ wollten CDU und FDP nicht länger erdulden – es zweigt sich einmal
mehr, dass diese parlamentarischen Kombinationen kein Schutz vor dem Rechtsruck
und dem weiteren Aufstieg der AfD darstellen. Der 5. Februar legte nicht nur
die Leere der „Abgrenzung“ von CDU und FDP gegenüber der AfD offen, sondern
auch die Leere der – auch von der Linkspartei geteilten – „Einheit der
DemokratInnen“, von offen bürgerlichen Kräften, und der, wenn auch
verbürgerlichten, ArbeiterInnenbewegung.

Dass die Thüringer Vorsitzende der Linkspartei,
Hennig-Wellsow, Kemmerich einen Blumenstrauß vor die Füße wirft, drückt
schließlich nicht nur berechtigen Zorn, Wut, ja Abscheu aus – es verdeutlicht
auch ungewollt das illusorische Vertrauen, das die Linkspartei in CDU und FDP,
also in die Parteien des Kapitals, hegt(e).

Auch Parteichef Riexinger beklagt diesen „bitteren Tag für
die Demokratie“ – als ob diese erst gar keine Herrschaftsform des Kapitals
wäre. In Wirklichkeit zeigt der Urnengang eben auch, dass „die Demokratie“
keine über den Klassen schwebende politische Institution darstellt, dass die
„demokratischen Parteien“ der Bourgeoisie eben auch zur Kooperation mit den
wenig demokratischen, rechtspopulistischen politischen Parteien bereit sind.

Die AfD, Rechtspopulismus, Rechtsruck und erst recht der
Faschismus werden durch die gemeinsame „Ausgrenzung“ dieser Parteien weder in
den Parlamenten noch in der Gesellschaft gestoppt werden können. Im Gegenteil.
Die „Ausgrenzung“ durch CDU und FDP hat sich als Chimäre, als Illusion
erwiesen. Der Kampf gegen rechts – diese Lehre verdeutlicht das Thüringer
Ergebnis einmal mehr – kann letztlich nur als Teil des Klassenkampfes, gegen
Rassismus, Faschismus, Ausbeutung und Unterdrückung geführt werden. Einheit
also nicht „der DemokratInnen“, sondern der sozialen und ArbeiterInnenbewegung
mit eigenen Zielen und Forderungen gegen den Rechtspopulismus als eine, wenn
auch aggressivere Spielart bürgerlicher Politik.




Abbruch der Jamaika-Verhandlungen – Politische Krise in Berlin

Susanne Kühn, Infomail 973, 20. November 2017

Gescheitert! Schwarz-Gelb-Grün wird vorerst keine Regierung bilden. Kurz vor Mitternacht verließ die FDP die Sondierungsgespräche – laut Union und Grünen just zu einem Zeitpunkt, als eine Einigung nahe schien.

Das mag durchaus der Fall sein. Die Begründung der FPD, dass ihr erst Sonntagnacht auffiel, dass das „Gesamtpapier“, das schon am Freitag vorlag, ihren Überzeugungen und „Prinzipien“ widerspreche, mag glauben, wer will. Die „Rekonstruktion“ und Rechtfertigung des Scheiterns der Verhandlungen überlassen wir an dieser Stelle getrost anderen. Es ist auch nicht notwendig, die Differenzen auf einzelnen Politikfeldern zu wiederholen, die über die Wochen immer wieder v. a. zum Migration, Klima, aber auch zu Finanzen und Zukunft der EU hervortraten.

Bemerkenswert ist vielmehr, dass Union und Grüne anscheinend vor einer Einigung standen, als die FDP für alle überraschend die Verhandlungen platzen ließ. Die Grünen warfen ihr vor, eine gemeinsame Regierung ohnedies nicht gewollt zu haben. CDU-Vertreterin Klöckner sprach von einer schlechten „spontanen Inszenierung“. In selten trauter Einigkeit lobten Seehofer und die Grünen Angela Merkel. Ob nun die FDP die Hauptverantwortung für das Platzen der Jamaika-Koalition trägt oder ihr „nur“ ebendies in die Schuhe geschoben werden soll, ist letztlich zweitrangig. Bemerkenswert ist vielmehr, dass sie scheiterte, obwohl die Grünen der CSU anscheinend noch weitere Zugeständnisse gemacht haben. Ob die FDP nun aus rein taktischem Eigeninteresse motiviert die Koalition platzen ließ und plötzlich ihre Werte, freien Markt kombiniert mit Nationalismus, „entdeckte“ – hinter diesen Formeln offenbart sich auch eine tiefe politische Krise im gesamten bürgerlichen Lager.

Unwahrscheinlich war das Scheitern der Gespräche nicht, dessen konkrete Form aber schon. Oberflächlich betrachtet, könnte man meinen, dass Jamaika an „zu wenig Vertrauen“, am Mangel an „staatspolitischer Verantwortung“, an „mangelnder Kompromissfähigkeit“, an der „angeschlagenen Autorität“ Merkels, am Machtkampf in der CSU, am „Unwillen“ der FDP gescheitert sei. Diese Faktoren spielten natürlich eine Rolle. Es scheinen nebensächliche, triviale Faktoren zu sein, die maßgeblich das Scheitern herbeiführten. So sehr die handelnden Personen auch Banalität, Egomanie, unterschiedliche „Kultur“ verkörpern, so erklärt das aber letztlich nichts.

Widersprüche

Vielmehr gilt es, die tieferen Ursachen, die inneren Widersprüche des deutschen Kapitalismus zu verstehen, die in einem immer einigermaßen wahrscheinlich gebliebenen, in der Form jedoch überraschenden, ja zufälligen Ende der Sondierung hervorgetreten sind. Dies ist umso wichtiger, als die AkteurInnen selbst jede Menge Nebelkerzen über ihr eigenes Handeln, ihre Motive, den Stand der Verhandlungen in die Welt setzen – und selbst wesentlich an oberflächlichen Fragen hängenbleiben.

Hinter dem Zusammenbruch der Sondierungsgespräche steht eine tiefe strategische Krise der herrschenden Klasse. Unter den Regierungen Merkels vermochte der deutsche Imperialismus zwar Ländern wie Griechenland seine Austeritätspolitik aufzuzwingen, seine Krise auf Kosten der anderen Länder der EU abzufangen, die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals auf dem Weltmarkt zu halten, wenn nicht zu stärken. Aber er konnte die EU nicht als Block unter seiner Führung oder einer deutsch-französischen Achse weiter einen. Im Gegenteil, in der internationalen Konkurrenz und im Kampf um eine Neuaufteilung der Welt sind die EU und Deutschland als geo-strategische Akteure gegenüber den USA und China, ja auch Russland zurückgefallen. Der Hauptgegensatz zwischen den imperialistischen Großmächten ist mittlerweile der zwischen den USA und China, während die EU in ihrem aktuellen Zustand weiter zurückbleibt.

Brexit, die sog. „Flüchtlingsfrage“, die zunehmenden nationalistischen Gegensätze, die ungelösten Konflikte über die Finanzpolitik, die militärische wie politische Schwäche gegenüber den globalen Konkurrenten, die inneren Widersprüche der EU-Institutionen – all das bedeutet, dass der deutsche Imperialismus in einer widersprüchlichen Situation steckt. In den letzten Jahren wurde zwar offenbar, dass es einer neuen, klaren europapolitischen Strategie zu einer Vereinheitlichung der EU unter deutscher Führung (z. B. in Form eines Kerneuropa) bedarf, um zu verhindern, dass die EU weiter hinterhertrabt oder Euro und Staatenbund überhaupt auseinanderfliegen.

Aber der „geschäftsführende Ausschuss“ der herrschenden Klasse und die deutschen Think-Tanks haben keine einheitliche Antwort auf die Frage, ja sie wird in der Regel nicht einmal offen diskutiert. Das „System Merkel“, das die deutsche Vormachtstellung „moderierend“ in Europa einführen wollte, das sich vor allem auf das wirtschaftliche Gewicht Deutschlands und auf die Dominanz von EU-Institutionen verließ, ist praktisch gescheitert. Das ist die eigentliche Ursache seines „Autoritätsverlustes“. Das hat zugleich reaktionäre Antworten gestärkt – insbesondere in Form der AfD, aber auch im gesamten bürgerlichen Lager.

 

Dieses fundamentale Problem, das alle anderen „großen Themen“ und „Zukunftsfragen“ wie Klimaschutz, Flüchtlingspolitik, Digitalisierung überschattet, erscheint in der deutschen „offiziellen“ Politik als mehr oder minder über den Parteien stehend. Nur Linkspartei und AfD beziehen hier offen und zumindest partiell Gegenpositionen aus reformistischer oder rechter Sicht. Ansonsten erschien das EU-Thema in den Koalitionsverhandlungen allenfalls als „Zahlungsfrage“ – die strategische Zielsetzung wurde öffentlich nicht angesprochen.

Die Regierungen unter Merkel haben – gerade weil sie auch Erfolge des deutschen Kapitals verwalteten und die Exportindustrie befeuerten – die strategischen Probleme zunehmend vor sich hergeschoben oder sind an den inneren Gegensätzen der EU, ihren Widersprüchen an Grenzen gestoßen.

Fragmentierung des Parteiensystems

Auch wenn die EU-Frage nach außen hin relativ wenig Erwähnung fand, so machte sie sich nichtsdestotrotz bei den Verhandlungen geltend. Alle „PartnerInnen“ fürchteten, dass ein „Weitermachen“ unter Merkel IV mit denselben politischen Zielen und Methoden nicht nur kein Problem lösen, sondern sie selbst auch politisch schwächen würde. Zudem sitzt der CSU die AfD im Nacken und die FDP fürchtet, in einer neuen Regierung wieder über den Tisch gezogen zu werden. Die Grünen erwiesen sich als die „Beweglichsten“ – nicht nur wegen ihres Opportunismus und Rechtsrucks, sondern auch weil sie politisch-inhaltlich Merkel und dem Teil der CDU, der hinter ihr steht, tatsächlich näher als CSU und FDP stehen.

Die Verhandlungen fanden zudem vor dem Hintergrund einer zunehmenden sozialen Polarisierung im Inneren statt, die die Bindekraft von CDU/CSU und SPD bei ihren „traditionellen“ Milieus schwächte. Da die SPD ohnedies die Politik der herrschenden Klasse administrierte und die Linkspartei zu keiner kämpferischen, sichtbaren Oppositionspolitik fähig war, verschob sich das politische Spektrum nach rechts. Nicht nur die SPD verlor Millionen Lohnabhängige. Die Krise der CDU/CSU führte dazu, dass sie ihre Funktion als vereinheitlichende bürgerliche „Volkspartei“ nicht mehr erfüllen kann. Das offen bürgerliche Spektrum ist heute de facto auf fünf Parteien (AfD, CDU, CSU, Grüne, FDP) im Parlament zersplittert, was objektiv die Bildung von Regierungen erschwert.

Das Scheitern der Sondierungsgespräche bedeutet eine tiefe politische Krise nicht nur in Deutschland. Auch als EU-Führungsmacht wird die Bundesrepublik wenig bis gar nicht in Erscheinung treten können. Natürlich werden „Reformen“ und Gesetze auf den Weg gebracht. Natürlich dominiert Deutschland weiter. Aber die grundlegenden Fragen liegen auf Eis – und damit wird sie weiter gegenüber USA und China an Boden verlieren.

Das Scheitern der Sondierung bringt alle diese Probleme in Form einer Regierungskrise auf den Tisch. Katerstimmung und Ratlosigkeit herrschen vor. Alle möglichen Kombinationen werden aufgezählt – von einer Minderheitsregierung über das Weichkochen der SPD bis hin zu Neuwahlen.

In dieser Situation wird, gewissermaßen als Nebenprodukt, unwillkürlich die Rolle des Bundespräsidenten gestärkt, der lange Zeit als eine bloß „moralische“ Instanz, als eine Art Grüßdirektor des deutschen Imperialismus erschien. Auch wenn von Steinmeier keine politischen Abenteuer zu erwarten sind, so wird seine Präsidentschaft wohl damit einhergehen, dass sich die Rolle des Amtes, ihre Bedeutung für die Regierungsbildung verändert. Ein „aktiver“ Präsident wird gestärkt, mag er sich vorerst auch nur auf moralische Appelle beschränken, die Parteien an ihre „Verantwortung für das Land“ zu erinnern. Damit werden autoritäre Tendenzen und Institutionen hoffähig gemacht, die zum Einsatz kommen können, falls auf parlamentarischem Wege oder durch das Handeln der Parteien die Probleme der Regierungsbildung nicht gelöst werden können.

In den nächsten Monaten müssen wir uns auf eine Fortsetzung der Regierungskrise einstellen. Wahrscheinlich wird die Große Koalition noch bis weit ins Jahr 2018 „übergangsweise“ im Amt bleiben. Das könnte selbst bei Neuwahlen zutreffen, da diese wahrscheinlich zu einem ähnlichen Ergebnis – und damit zu erneuten Schwierigkeiten bei der Koalitionsbildung – führen würden. Auch wenn sich die Kräfte deutlich verschieben, so erleichtert das keinesfalls notwendig die Regierungsbildung.

Hinzu kommt, dass es in mehreren politischen Parteien zu größeren personellen Änderungen und Machtkämpfen kommen kann. So erscheint eine Verschärfung der inneren Krise der CSU unvermeidlich. Auch die Grünen werden ihr Führungsduo in Frage stellen. Ebenfalls kann bei Neuwahlen eine Ablösung Angela Merkels zum Thema werden. Schon heute hält sich sich vor allem, weil ein sofortiger Rücktritt Deutschland weiter schwächen würde und die CDU über keine/n unumstrittene/n NachfolgekandidatIn verfügt. Es ist aber klar, dass Merkel von der ewigen Kanzlerin zum Auslaufmodell mutiert ist.

Eine Neuauflage der Großen Koalition – unwahrscheinlich, wenn auch nicht ganz auszuschließen – käme nicht nur einem politischen Selbstmord der SPD gleich. Es ist auch fraglich, ob sie ohne tiefe Krise der Sozialdemokratie überhaupt zu haben wäre – und somit ebenfalls eine instabile Regierung bedeuten würde.

Schließlich bleibt eine Minderheitsregierung, die jedoch nur Bestand haben könnte, wenn sie nicht nur von CDU/CSU (eventuell einschließlich der Grünen) getragen würde, sondern vermittelt über den Präsidenten, Bundestag und Bundesrat auch eine indirekte Stütze in der SPD z. B. bei Europafragen hätte.

Wie man es auch dreht und wendet, für die herrschende Klasse wird die Krise nur schwer lösbar sein. Für die ArbeiterInnenklasse, die Gewerkschaften, die Unterdrückten eröffnet das auch eine Chance. Damit diese genutzt werden kann und nicht zu einer Stärkung der AfD führt, bedarf es aber einer politischen Neuausrichtung der ArbeiterInnenbewegung selbst, eines Bruchs mit der Politik von Klassenzusammenarbeit und Sozialpartnerschaft sowie der Bildung einer Aktionseinheit gegen die Angriffe des Kapitals, die Maßnahmen der „geschäftsführenden“ Regierung und gegen den Rechtsruck.




Große Koalition abgewählt – übernimmt Schwarz/Gelb/Grün?

Martin Suchanek, Neue Internationale 223, Oktober 2017

Ein politisches Erdbeben wurde es dann doch. Auch wenn die Gebäude oder Institutionen der Bundesrepublik nicht eingestürzt sind, erschüttert wurden sie, auch wenn Merkel mit einer neuen Regierungskoalition weitermachen wird.

Die bürgerlichen Parteien

Abgewählt wurde die Große Koalition, deren Parteien verloren 13,8 Prozent der Stimmen, sackten also von insgesamt 67,2 Prozent auf 53,5 Prozent ab (1).

Allen Verlusten zum Trotz verkündet die CDU, dass sie ihre drei „strategischen Wahlziele“ errungen habe, also weiter die stärkste Partei und Fraktion stellt, gegen die keine Regierung gebildet werden könne und dass sie außerdem Rot-Rot-Grün verhindert hätte. Solcherart kann sich die Union trotz des Verlustes von 8,6 Prozent zur Wahlsiegerin erklären, immerhin bleibt ihr die Führung der nächsten Regierung. In Wirklichkeit dient eine solche „Bilanz“ offenkundig vor allem dem Schönreden der eigenen Niederlage.

AfD und FPD hingegen waren vor unverhohlenem Triumphalismus kaum zu bremsen. Im nationalen Überschwang verkündete AfD-Vorsitzender Gauland nicht nur, dass seine Partei die Regierung jagen werde, sondern auch noch, dass sie sich das „Land und das Volk“ zurückholen würde. Sprachlich war das zwar einigermaßen verunglückt. Klar ist aber, worum es der AfD geht – nicht das „eigene“ Volk soll zurückgeholt werden, vielmehr sollen jene, die nach Meinung der AfD nicht zu diesem gehören, aus dem Land vertrieben oder eingedeutscht werden.

Was die AfD an rassistischer Zuspitzung verspricht, will die FDP an der Regierung in Sachen „Liberalismus“, also an Privatisierungen, Flexibilisierung und neo-liberaler Politik, „einbringen“. Frei ist das Land, nämlich vor allem dann, wenn die großen Unternehmen und Konzerne frei für die Profitmacherei sind – notfalls auch auf Kosten der Umwelt und der Bevölkerung, wie die Verteidigung des Braunkohlebergbaus und der wahnwitzige Lobbyismus für den innerstädtischen Berliner Flughafen Tegel zeigen.

Dabei geht der Sieg der FDP, immerhin eine Verdoppelung ihrer Prozente und Stimmen, auch auf einen „taktischen“ Wechsel von früheren Union-WählerInnen zurück.

Die Grünen zeigten, dass man sich auch über den letzten Platz im Rennen um Parlamentssitze freuen kann – mag es auch nicht immer so überzeugend gelingen. In der nächsten Regierung stehen sie für „Umwelt“, „Offenheit“ und „Europa“. Mit Europa ist die „demokratische“ Vertiefung der EU in Allianz mit Frankreich zum Wohle „der europäischen Wirtschaft“ gemeint. Unter Umwelt geht es um den „ökologischen Umbau“ im Rahmen eines Green New Deal mit der Großindustrie. Und unter „Offenheit“ verstehen sie die „faire“ Selektion der MigrantInnen und die humanitäre Ausgestaltung der Abschiebung.

All das ist eine Basis für zähe, aber letztlich wohl erfolgreiche Koalitionsverhandlungen zwischen Union, Grünen und FDP. Eine neue Regierung wird wahrscheinlich erst nach längeren Verhandlungen zustande kommen, zu einem „Gelingen“ des Unternehmens haben aber diese drei Parteien schon jetzt keine Alternative mehr.

Der Grund dafür ist einfach: Diese drei Parteien stehen in wesentlichen Fragen für eine Fortsetzung, allenfalls für eine Modifikation der Politik der Großen Koalition. Vor allem aber stehen sie dafür, dass die Lösung der Krise der EU eine, ja die Kernaufgabe der nächsten Bundesregierung sein wird. Wobei es darum geht, den „Kern“ Europas, also die Achse um Frankreich und Deutschland zu stärken und verlorenes Terrain in der Weltpolitik gegenüber den USA und China aufzuholen – wozu notwendigerweise auch Aufrüstung, Interventionen, verstärktes globales Agieren und die Sicherung der Investitionsbedürfnisse des Großkapitals gehören.

Verliererin SPD

Nur eine Partei vermochte am Wahlabend an ihrer Niederlage nichts zu deuten – die SPD. Sie verlor 5,2 Prozent der Stimmen und fuhr mit 20,5 Prozent das schlechteste Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg ein. In absoluten Zahlen verlor sie fast zwei Millionen WählerInnen.

Die Niederlage kam zwar angesichts der Umfragen weniger überraschend als die Einbußen der Union. Aber die Union hatte 2013 immerhin ein extrem starkes Ergebnis (plus 7,7 Prozent), während die SPD sich von der Agenda-Politik bis heute nicht zu erholen vermochte.

Offenkundig hatte die Parteispitze dieses Debakel schon einkalkuliert. So verkündete sie kurz nach den ersten Hochrechungen, dass sie für eine Fortsetzung der Großen Koalition nicht zur Verfügung stünde. So war Schulz wenigstens ein Wahl-Coup gelungen.

Der Gang in die Opposition blieb ihr als einzige Möglichkeit, den finalen politischen Selbstmord zu verhindern – ob sie sich in dieser zu regenerieren vermag, ist allerdings fraglich. Die „Taktik“, so zu tun, als wäre nur die CDU für die Regierungspolitik und den Mangel an politischer Debatte im Land verantwortlich gewesen, wird wohl erst recht nicht als „Strategie“ reichen.

Die Verluste der SPD sind zweifellos wohlverdient und vor allem auf dem eigenen Mist gewachsen. In den Altersgruppen unter 45 schnitt sie nach Umfragen noch einmal stark unterdurchschnittlich ab (19 Prozent bei den 18-24-Jährigen, 18 bei den 25-35-Jährigen und 16 Prozent bei den 25-44-Jährigen).

Bei den ArbeiterInnen (24 Prozent), RentnerInnen (24 Prozent) und Arbeitslosen (23 Prozent) ist sie zwar überdurchschnittlich stark vertreten – aber auf einem historisch geringen Niveau. Es sind aber jene Teile der Bevölkerung, die der SPD noch eher die Stange hielten als Angestellte oder gar Selbstständige. Es liegt eine gewisse – unfreiwillige – Ironie darin, dass jene Schichten, die sie in den letzten Jahren immer wieder verraten hat, noch eher zu ihr hielten als die viel umworbene „Mitte“.

Erhebungen unter Gewerkschaftsmitgliedern (2) zeigen, dass die SPD mit 29 Prozent noch immer den höchsten Anteil erzielen konnte. Die Union erreichte im Landesdurchschnitt 20, die Linkspartei 12 Prozentpunkte. Damit lag sie aber nur auf dem vierten Platz – hinter der AfD, die 15 Prozent erzielen konnte. Im Osten kommt sie ebenso wie die Linkspartei unter Gewerkschaftsmitgliedern auf 22 Prozent – gegenüber 24 Prozent der Union und 18 der SPD. Allein das ist ein politisches Alarmsignal.

Das drückt sich z. T. auch in den Wählerwanderungen aus. Die SPD verlor fast nichts an die Union, aber 380.000 Menschen an die Grünen und 470.000 an die FDP. Das dürften eher Angestellte und Selbstständige gewesen sein. Sie verlor zugleich 470.000 an die AfD, was sicher auch den erschreckend hohen Anteil von ArbeiterInnen und Arbeitslosen an den AfD-Stimmen miterklärt. An die Linkspartei wanderten 430.000 ehemalige SPD-WählerInnen, vor allem im Westen, wo die Linkspartei weit überdurchschnittlich abschnitt.

Zweifellos sind gerade an diese Parteien auch Stimmen des Protests und der Unzufriedenheit verloren gegangen, nachdem klar geworden war, dass die SPD ohnedies keine Regierungsoption zu bieten hatte. Sie haben gewissermaßen taktisch gegen die Sozialdemokratie gestimmt, aber aus durchaus entgegensetzten Motiven. Die Stimmen der AfD brachten zwar sicher auch Unzufriedenheit mit allen anderen Parteien zum Ausdruck, sie waren aber auch eine Stimme für mehr, offeneren und unverhüllten Rassismus und Nationalismus, wie die Umfragen zu den Motiven der AfD-WählerInnen zeigen.

Die Linkspartei wurde aus anderen Gründen – im Grunde als Zeichen für eine „echte“ sozialdemokratische Politik, für Reformen im Interesse der ArbeiterInnen und Jugend gewählt.

Die Linkspartei

Betrachten wir nur die Stimmenanteile der Linkspartei, so scheint sich mit einem Plus von 0,6 Prozent (8,6 auf 9,2) wenig verändert zu haben. Dahinter verbergen sich jedoch enorme Veränderungen innerhalb ihrer WählerInnenschaft.

Erstens hat DIE LINKE in den neuen Bundesländern, also ihren traditionellen Bastionen, durchgängig verloren und ist auf den dritten Rang hinter CDU und AfD abgerutscht. Damit wird eine Entwicklung fortgesetzt, die sich schon in den Landtagswahlen (insbesondere in Berlin) gezeigt hatte. Hinsichtlich der Wählerwanderungen drückt sich das deutlich in Verlusten an die AfD aus – und zwar rund 400.000!

Zugleich hat die Linkspartei in allen westlichen Bundesländern sowie in Berlin zugelegt – und zwar durchaus beachtlich. In Berlin konnten die Verluste in den Ostbezirken durch Gewinne in den westlichen Bezirken kompensiert werden, so dass die Partei gegenüber den Bundestagswahlen 2013 leicht zulegen konnte. DIE LINKE schaffte es außerdem in allen westlichen Bundesländern, deutlich über die 5-Prozenthürde zu kommen, sogar in Ländern wie Bayern (6,2 Prozent), Baden-Württemberg (6,4), Rheinland-Pfalz (6,8) oder Nordrhein-Westfalen (7,5), wo sie bei den Landtagswahlen deutlich gescheitert war.

Sicherlich ist ein Teil dieser Stimmen auch auf taktisches Verhalten sozialdemokratischer WählerInnen zurückzuführen, die für die Linkspartei stimmten, da die SPD ohnedies keine Chance auf die Kanzlerschaft hatte und ihre Stimme somit auch nicht „verschwendet“ werden würde.

Das Wahlergebnis zeigt aber auch den Wandel an der sozialen Basis der Partei auf, Auch wenn die Linkspartei nur leicht überdurchschnittlich ArbeiterInnen (10 Prozent), Arbeitslose (11 Prozent) ansprechen konnte, so repräsentiert sie die bewussteren, (links)reformistischen Teile der ArbeiterInnenklasse. Hinzu kommt, dass sie unter jüngeren WählerInnen (18-34 Jahre) mit 11 Prozent besser als unter allen anderen Altersgruppen abschneidet.

Zweifellos haben die relative Stabilität des deutschen Imperialismus, das geringere Niveau gewerkschaftlicher Kämpfe und Niederlagen der Refugee-Bewegungen die Chancen der Linkspartei geschmälert. Ein Rechtsruck der Gesellschaft erschwert durchaus auch das Anwachsen links-reformistischer Parteien, zumal wenn große Teile der ArbeiterInnenklasse sozialpartnerschaftlich integriert sind und das Niveau der Klassenkämpfe relativ gering ist.

Trotz leichter Zuwächse vermocht die Linkspartei der vorhandenen Unzufriedenheit keinen umfassenden Ausdruck zu geben und konnte die Krise der SPD weniger als möglich nutzen. Die Gründe dafür sind hausgemacht, sie sind Resultat von Anpassung und Anbiederung. Erstens an die rassistische und chauvinistische Hetze gegen Geflüchtete, wie sie auch von „Linken“ wie Wagenknecht verbreitet wurde, zweitens an die Gewerkschaftsführungen, die allenfalls zaghaft kritisiert werden, und an den „demokratischen“ Mainstream, wie im Zuge von Distanzierungen nach dem G20-Gipfel zu sehen war. Und drittens in der Regierungspolitik in Thüringen, Berlin, Brandenburg. Dass die Partei vielen nicht gerade als „oppositionell“ erscheint, ist kein „Vermittlungsproblem“, sondern, wenn auch im kleineren Maßstab, ähnlich wie bei der SPD die notwendige Folge bürgerlicher Regierungspolitik, der Verwaltung sog. Sachzwänge.

Aufstieg der AfD

Zweifellos hat die AfD davon – noch viel mehr natürlich von der Politik der SPD – profitiert. Die beiden, sich historisch und organisch auf die ArbeiterInnenklasse stützenden Parteien verloren insgesamt 870.000 WählerInnen an die Rechts-PopulistInnen, also fast so viele wie die Union (980.000). Darüber hinaus hat sie mit 1,2 Millionen Stimmen als einzige Partei ehemalige NichtwählerInnen wirklich mobilisieren können.

Die AfD konnte sich als einzige „anti-systemische“ Partei präsentieren und damit auch Unzufriedenheit aller Art auf sich kanalisieren. Aber die Umfragen, die zeigen, dass eine Mehrheit der AfD-WählerInnen die Rechten nicht wegen ihrer Politik, sondern vor allem wegen der Ablehnung anderer Parteien wählte, sind kein Grund zur Entwarnung.

Der „Protest“ ist eindeutig mit einem politischen Inhalt verbunden. Die WählerInnen der AfD nehmen deren offenen Rassismus und aggressiven Deutschnationalismus nicht nur billigend in Kauf, viele wählen sie auch gerade deshalb.

Das zeigten z. B. Umfragen über die Ansichten der AfD-WählerInnen am Wahlabend. So erklärten 99 Prozent, dass sie gut finden, dass die AfD „den Einfluss des Islam in Deutschland verringern will“. 96 Prozent „finden es gut, dass sie den Zuzug von Flüchtlingen stärker begrenzen will.“ Zu diesen Einstellungen kommt hinzu, dass die AfD als beste Law-and-Order-Partei erscheint, die Kriminalität – vorzugsweise von AusländerInnen – wirklich bekämpfen wolle.

Außerdem treibt ihre WählerInnen um, dass wir angeblich „einen Verlust der deutschen Kultur erleben“ (95 Prozent) und der „Einfluss des Islam in Deutschland zu stark wird“ (94 Prozent).

Rassismus und – zunehmend auch völkisch begründeter – Nationalismus bilden den Kitt der AfD. Vermeintliche und wirkliche Ängste werden so zu einer aggressiven chauvinistischen, rechten Ideologie verbunden, die heute zwar noch vor allem parlamentarisch ausgerichtet ist, die sich jedoch auch weiter radikalisieren kann, wie die Verbindungen der AfD zu offen faschistischen Kräften zeigen.

Auch wenn diese Partei noch um einiges von der Stärke einer FPÖ oder FN entfernt ist, so hat sich zweifellos eine rechts-populistische, rassistische Partei in Deutschland etabliert. Diese wird sich – gerade angesichts der globalen politischen Verwerfungen und verschärften Konkurrenz – auch trotz innerer Konflikte und (noch) fehlender unumstrittener Führungsfigur – kaum „selbst zerlegen“. Erst recht wird sie nicht durch den Parlamentarismus „entzaubert“ werden. Im Gegenteil. Die Politik der nächsten Regierung wird ihr Stoff geben, sich als Opposition aufzuspielen, zumal wenn SPD und Linkspartei den Fehler machen sollten, den Kampf gegen die Regierung zugunsten der imaginären Einheit der „DemokratInnen“ hintanzustellen.

Die AfD ist kein Fremdkörper in der bürgerlichen Gesellschaft, sondern die Entstehung einer rechts-populistischen Partei verdeutlich die krisenhaften Prozesse, die – schon vor einer ökonomischen Zuspitzung – aus dem Untersten der Gesellschaft empordrängen.

Nationalismus, Chauvinismus, Bevorzugung der Deutschen, Abschottung gegen MigrantInnen, anti-muslimischer Rassismus – all das sind keine Alleinstellungsmerkmale der AfD, sondern in allen bürgerlichen Parteien vertreten und in der Form des Sozial-Chauvinismus auch bei SPD und Linkspartei. Die AfD erntet diese Früchte, die andere gesät haben.

Die Mobilisierung gegen die AfD und ihren Rassismus darf daher nicht als eine vom Klassenkampf getrennte Aufgabe verstanden werden. So wie es gilt, der rechten, rassistischen Hetze entgegenzutreten, so muss das mit dem Kampf gegen den staatlichen Rassismus, für offene Grenzen und gleiche Rechte, aber auch mit der „sozialen Frage“, also für Mindestlohn, Rente, gleichen Zugang zu Bildung, gegen Mietenspekulation usw. verbunden werden.

Es braucht aber auch einen bewussten Kampf gegen das Gift von Rassismus und Nationalismus in den Reihen der ArbeiterInnenklasse, in den Betrieben, an Unis und Schulen.

Regierungsbildung – das Problem des Unvermeidlichen

Ein von der nächsten Regierung unabhängiger Kurs der Linken und der Gewerkschaften ist eine unabdingbare Voraussetzung nicht nur für einen erfolgreichen Kampf gegen die AfD und die Stimmungen, auf die sie sich stützt.

Die Niederlage der Union, aber auch die Schwierigkeiten, eine Jamaika-Koalition rasch auf die Beine zu bringen, zeigen auch, dass es für die herrschende Klasse einen zweiten, wichtigeren Grund als den Aufstieg der AfD für Beunruhigung gibt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich das Parteienspektrum in Westdeutschland lange praktisch auf drei Parteien verengt. Schon die Entstehung der Linkspartei und der Grünen unterminierte das. Mit der AfD kam noch eine Kraft hinzu.

So sehr sich aber auch CDU, CSU, Grüne, FDP sowie die SPD in wichtigen Zielsetzungen – gerade wenn es um die Ordnung Europas geht – ähneln, so sind ihre Gegensätze auch real und nicht wahltaktisch vorgeschoben. Das trifft nicht nur auf FPD und Grüne zu, die beide gerne mit der Union (wenn auch nicht miteinander) koalieren möchten, sondern auch auf CDU/CSU. Gerade in der Europapolitik orientieren die CDU-Führung und auch die Grünen auf einen Pakt mit Macron, die FDP ist zwar nicht grundsätzlich dagegen, lehnt dafür aber seine finanzpolitischen Vorschläge kategorisch ab. Ähnliches gilt für andere Politikfelder.

Hinzu kommt, dass gerade FDP und Grüne, aber angesichts ihres katastrophalen Wahlergebnisses und baldiger Landtagswahlen auch die CSU, um ihre „Alleinstellungsmerkmale“ fürchten.

Die Verhandlungen werden noch zusätzlich erschwert, weil es für den deutschen Imperialismus angesichts der verschärften globalen Konkurrenz und der Krise der EU auch darum geht, dass die nächste Regierung eine klarere Strategie verfolgt, um die EU unter deutscher Führung zu „einen“ und neu zu formieren. Formelkompromisse mögen daher zwar im Koalitionsschacher funktionieren, für die strategischen Zielsetzungen Deutschlands wären sie aber selbst ein Problem.

Die Weigerung der SPD, in Verhandlungen mit der Union einzutreten, zwingt die drei anderen Parteien praktisch zu einer Koalitionsbildung. Kein Wunder, dass alle auf die SPD schlecht zu sprechen sind, engt deren Entscheidung ihre Optionen doch massiv ein.

Während Merkel und die Union die SozialdemokratInnen höflich ums Überdenken ihrer Haltung auffordern, macht es die FDP schriller. So wirft ihr Parteivorsitzender Lindner der SPD Landesverrat vor, da sie erstmals seit 1919 die Interessen der Partei über jene des Landes stelle.

Dass die SozialdemokratInnen so weit gehen, doch noch Koalitionswilligkeit zu signalisieren, um den Spielraum der FDP beim Jamaika-Poker zu erhöhen, darf bezweifelt werden, auch wenn die Partei für ihre selbstmörderische Entscheidungen immer wieder zu haben war.

Hinter der Aufregung ob der „harten“ Haltung der SPD zeigt sich aber mehr. Die Bourgeoisie möchte die Option auf eine „große“ Koalition, auf eine zweite Wahl für den Fall innerer Zerwürfnisse von CDU/CSU, Grünen und FDP offenhalten.

In den nächsten Jahren will die herrschende Klasse kein Szenario, das zu mehr Polarisierung zwischen den Klassen, zu einer „härteren“ Sozialdemokratie oder auch zu einer weniger regierungsnahen Politik der Gewerkschaften führt.

In der Ablehnung der Großen Koalition liegt nämlich – durchaus entgegen den Intentionen aller SPD-FührerInnen – ein Moment, das auf mehr Konfrontation entlang sozialer und ökonomischer Fragen verweist. Wenn sie irgendwie „Glaubwürdigkeit“ zurückgewinnen wollen, „soziale Gerechtigkeit“ in den Vordergrund rücken, dann müssen sie sich als Opposition nicht nur zur Regierung präsentieren, sie müssen sich auch der Konkurrenz der Linkspartei stellen – wie diese umgekehrt aufpassen muss, dass ihr die SPD ihr sozialdemokratisches Programm nicht einfach klaut.

Einige Schlussfolgerungen

Die kurzen Betrachtungen führen zu einigen ersten Schlussfolgerungen.

  1. Die Wahlen sind eine Warnung an die Linke und an die ArbeiterInnenbewegung. Sie bringen einen Rechtsruck der Gesellschaft zum Ausdruck. Der Sieg der AfD und ihre Hetze ist nur der extremste Ausdruck. Der triumphale Widereinzug der FDP ist das ebenso wie die Rechtsentwicklung der Grünen.
  2. Die Verhältnisse sind zugleich auch instabiler geworden. Wir müssen damit rechnen, dass die Krise Europas, die instabile Weltlage, aber auch die Drohung eines weiteren Zulaufs zur AfD als Disziplinierungsmittel nicht nur in der Regierung, sondern auch gegenüber der parlamentarischen Opposition und den Gewerkschaften genutzt wird, indem die „Einheit der Demokraten“ beschworen wird.
  3. Daher gilt es nicht nur, den offenen RassistInnen auf der Straße, in den Betrieben, in Stadt und Land konfrontativ entgegenzutreten – es muss dies durch Klassenpolitik, durch ein Bündnis der ArbeiterInnenorganisationen, der MigrantInnen und Flüchtlinge, der Gewerkschaften und Linken, nicht durch gemeinsame Erklärungen mit der Regierung geschehen.
  4. Der Kampf gegen die Angriffe der nächsten Regierung, auf sozialer, gewerkschaftlicher, vor allem aber auch internationaler Ebene muss im Zentrum linker Politik stehen. Die aktuelle Lage erfordert und ermöglicht, den Widerstand nicht nur auf nationaler Ebene, sondern vor allem auch auf europäischer und internationaler zu koordinieren. Gerade von der Linkspartei und den Gewerkschaften – respektiven deren linkeren Kräften – ist hier eine entschlossene Initiative gefordert, die es erlaubt, den Kampf in Frankreich, den Widerstand in Katalonien, den Kampf gegen Militarisierung, Interventionen und die Abschottung der EU koordiniert zu führen.
  5. Daher schlagen wir eine Aktionskonferenz vor, auf der die Politik der nächsten Regierung analysiert und ein Forderungs- und Mobilisierungsplan verabschiedet wird. Dazu sollten vorbereitende Treffen in allen Großstädten, an Schulen, Unis und in den Betrieben und Gewerkschaftsgruppen stattfinden.

 

Endnoten

(1) Die Zahlen beziehen sich auf das vorläufige amtliche Ergebnis vom 25. September. Diese und andere Zahlen sind der Homepage der Tagesschau entnommen. Einzige Ausnahme bilden die Zahlen zur WählerInnenpräferenz von Gewerkschaftsmitgliedern.

(2) Bundestagswahl 2017: So haben Gewerkschaftsmitglieder gewählt