Schulen und Corona: Jugend plant Aktionstag

Lukas Resch, Neue Internationale 254, April 2021

Monate des Online-Unterrichts verdeutlichen, wie weit Deutschland in Sachen Digitalisierung zurückhängt. Das Homeschooling schwankte zwischen Extremen: Entweder wurden SchülerInnen mit Aufgaben überschüttet oder sie fehlten. Gleichzeitig wurden die Unterrichtsstunden oft nur genutzt, um neue Aufgaben zu stellen, oder sie fielen gleich ganz aus. Nie gab es eine einheitlich durchdachte Strategie zur Gestaltung des Unterrichts während der Pandemie. Was wie umgesetzt wird, müssen LehrerInnen im Alleingang und zusätzlich zum schon bestehenden Aufgabenberg entscheiden. Nun heißt die neue Hoffnung: In die Schule und testen, testen, testen (und was, wenn die Corona-Tests nicht da sind?).

SchülerInnen leiden unter diesen Zuständen. Monatelang zu Hause bei der Familie eingesperrt mit miserablen Unterrichtsmodellen. Dann zurück in die Schule mit vollkommen unzureichenden Hygienemaßnahmen und obendrein Leistungsabfragen und unter diesen Umständen kaum zu schaffende Prüfungen. Währenddessen bleibt zuhause die Stimmung oft angespannt, da auch für die Eltern die Krise noch lange nicht überwunden ist.

Schon früh regte sich Widerstand gegen das Vorgehen der Bundes- und Landesregierungen. Immer wieder kam es online zu Petitionen und Initiativen. Eine generelle Änderung der Politik wurde dabei jedoch nicht erwirkt. Das lag vor allem an drei Punkten:

  • Es wurde verpasst, die Forderungen nach Öffnungen oder Schließungen der Schulen mit der dahinter liegenden sozialen Frage zu verbinden, statt nur die jeweils akutesten Probleme anzusprechen. Das ist durchaus wichtig, aber leider nicht genug, denn die Lage von Pandemie und Politik ändert sich fast täglich.
  • Eine bundesweite Vernetzung unterblieb. Zwar ist Bildung Ländersache, aber eine der größten Schwächen ist eben das unkoordinierte Vorgehen der Länder. Der Bund greift, bis eine Obergrenze für „die Notbremse“ überschritten ist, nicht ein.
  • Die Initiativen verblieben im virtuellen Raum. Nur vereinzelt konnte lokal mediale Aufmerksamkeit erreicht werden, die in keinster Weise die eigentliche Anzahl derer repräsentiert, die sich nicht einverstanden mit der Schulpolitik erklären.

Für gerechte Bildung

Den Missständen in den Schulen hat das Bündnis „Für gerechte Bildung“ (gerechtebildung.org) den Kampf angesagt. Frei nach dem Motto „Wer 7 Mrd. für die Lufthansa hat, hat auch genug Geld für gute Bildung!“ geht es unter anderem um die Finanzierung von kostenloser Nachhilfe und digitaler Lernausstattung. Weitere Forderungen sind bessere Hygienekonzepte, Durchschnittsabschlüsse und sichere Lernräume für SchülerInnen, die diese nicht zuhause haben.

Am 23. April plant es einen zweiten bundesweiten Aktionstag gegen die menschenverachtende Corona-Politik. Es geht also endlich raus aus dem virtuellen Raum! Allerdings sind für einen erfolgreichen Kampf noch Hindernisse zu überwinden. Zwar gibt es eine bestehende bundesweite Vernetzung und Zuspruch von vielen Gruppen – darunter Internationale Jugend, Young Struggle, SDAJ, Solidaritätsnetzwerk, DIDF, Sozialistische SchülerInnengewerkschaft Deutschland und REVOLUTION.

Allerdings unterschätzen einige im Bündnis die Notwendigkeit, „Für gerechte Bildung“ zu mehr als einem Zusammenschluss kleiner, sich sozialistisch nennender Gruppen auszuweiten. Dazu muss es auch Massenorganisationen und Vertretungsstrukturen der SchülerInnen offensiv ansprechen und in die Aktion zu ziehen versuchen: Organisationen wie die Jusos, Linksjugend [’solid] zählen tausende Jugendliche in ihren Reihen. Sie sollten aufgefordert werden, für den Aktionstag zu mobilisieren und die Forderungen zu unterstützen. Selbiges gilt für die SchülerInnenvertretungen (SV). Nur wenn wir diese Kräfte gewinnen, kann eine Bewegung mit Massenanhang entstehen, die das Kräfteverhältnis wirklich verändern kann.

Im nächsten Schritt kommt es außerdem darauf an, dass alle Gruppen einen praktischen Beitrag leisten, was vor allem heißt: Mobi, Mobi und noch mal Mobi! Wenn am 24. April Tausende SchülerInnen auf die Straße gebracht sein sollen, haben alle Gruppen reichlich Möglichkeiten zur Verbreitung ihrer Politik und wir können zugleich den Druck auf größere Organisationen erhöhen, sich anzuschließen.

Schlussendlich fehlt es dem Bündnis auch an einer Perspektive für die Zusammenarbeit mit ArbeiterInnen, insbesondere jenen in Bildungs- und Erziehungssektor. Eine Chance dafür wäre die Zusammenarbeit mit der Basisinitiative der GEW. Diese erfolgte bereits in Berlin in Kooperation mit der Jungen GEW, um so die Gewerkschaft insgesamt in die Aktion zu ziehen.

„Für gerechte Bildung“ will ein Schulsystem, indem SchülerInnen mitentscheiden können. Doch wenn die Forderungen nach gerechten Lern- und besseren Hygienebedingungen Wirklichkeit werden sollen, braucht es mehr: eine demokratische Kontrolle des Bildungssystems! Maßnahmen an jeder einzelnen Schule wie auch bundesweit müssen durch Komitees aus SchülerInnen, Lehrkräften und Eltern beschlossen werden. Genau deshalb sollte das Bündnis auf die GEW, aber auch auf kämpferische ArbeiterInnen überhaupt zugehen und den gemeinsamen Kampf suchen. Immerhin sind es die Kinder und Jugendlichen aus ArbeiterInnenfamilien, die am meisten unter dem bisherigen Corona-Schulchaos leiden!

Bundesweiter Aktionstag




Systemrelevant und ignoriert – LehrerInnen und ErzieherInnen wehren sich!

Lucie Damsch und Christian Gebhardt, Infomail 1143, 23. März 2021

Fast pünktlich zum einjährigen „Jubiläum“ der Pandemie ist das Thema Corona so präsent wie eh und je. Auch die Bildungseinrichtungen erleben dadurch eine starke Veränderung. Seit fast einem Jahr wird die Betreuungs- und Bildungslandschaft im Zuge der Pandemie von Woche zu Woche vor neue Herausforderungen gestellt, teilweise durch spontane und nicht durchdachte Beschlüsse der Regierungen gebeutelt. Dazu kommen Ängste um die eigene Gesundheit und um die der Kinder und SchülerInnen. Dass uns der Kurs, welchen die Regierungen einschlagen – mit drastischen Einschränkungen und Isolationsmaßnahmen im Privaten und Sozialen auf der einen Seite und extremen finanziellen Zuschüssen für große Unternehmen und die Offenhaltung aller Produktionsbetriebe auf der anderen – nicht zu konstant niedrigen beziehungsweise null Infektionswerten führt, haben wir lange genug hingenommen.

Veranstaltung der VKG

Die Stimmen der Beschäftigten in den Bildungseinrichtungen wurden hierbei lange verschwiegen. Vor allem die der ErzieherInnen wurden oft überhört oder gingen in den Diskussionen rund um die Schulen unter. Um den beiden Bereichen eine Stimme zu geben, organisierte die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) in Berlin eine Onlineveranstaltung mit dem Titel: „Systemrelevant und ignoriert – Lehrer*innen und Erzieher*innen wehren sich!“

Die Veranstaltung war mit rund 40 – 45 TeilnehmerInnen gut besucht. Sie begann mit drei Beiträgen von Beschäftigen aus Schule und Kita. Es sprachen Christoph Wälz (Lehrer und Vorsitzender des GEW-Bezirksverbandes Berlin-Pankow), Lucie Bevermann (Erzieherin und Studentin, Mitglied der Jungen GEW Berlin) und Daniel Keller (Lehrer, VKG Berlin).

Christoph Wälz bezog sich thematisch vor allem auf den „Massenaufstand der LehrerInnen im Januar“, ausgelöst durch eine Petition eines besorgten Vaters in Berlin. Die Senatsverwaltung wollte entgegen der damaligen Stimmungslage als eines der ersten Bundesländer die Schulen wieder öffnen. Die Petition erhielt nicht nur viele Unterschriften, es kam auch dazu, dass sich viele Beschäftigte an Berliner Schulen versammelten, an ihre Gewerkschaft schrieben und von ihr Aktionen einforderten. Auch der Ruf nach Streik wurde von unten immer lauter. Die Protestaktionen und Forderungen zeigten Wirkung: Der Senat gab nach und sagte die Schulöffnungen wieder ab.

Anschließend berichtete Lucie Bevermann von der Situation der ErzieherInnen in Kitas und informierte über die Aktivitäten einer Basisinitiative von GEW-Mitgliedern, in welcher sie aktiv ist. Diese tritt für die Durchführung eines Aktionstages durch die Organisation der GEW für mehr Gesundheitsschutz ein und brachte die Idee eines Aktionstages teilweise erfolgreich in und über die Junge GEW Berlin auch in den Landesverband der GEW mit ein. Zusätzlich bezog sie sich auf die schon vor der Pandemie vorherrschenden schlechten Arbeitsbedingungen von ErzieherInnen und gab diesen oft überhörten Beschäftigtengruppen eine Stimme auf dieser Veranstaltung, wurden und werden ihre Arbeitsbedingungen durch die Pandemie doch noch zusätzlich verschärft. Der klassische Gesundheitsschutz (Abstand halten und Masken tragen) ist in der Arbeit mit den jüngsten Kindern nicht realisierbar. Diese Berufsgruppe setzt sich also tagtäglich einem enormen Risiko aus, um die Kinder zu betreuen. Durch die Beschlüsse der Regierung (in einigen Bundesländern wurden lediglich Bitten an die Eltern gerichtet, ihre Kinder zuhause zu betreuen, so dass diese kein Argument ihren Arbeit„geber“Innen gegenüber hatten, um für eine Betreuung dort entschädigt zu werden) wurde deutlich, dass die Gewährleistung der uneingeschränkten Arbeitskraft der Eltern im Hauptfokus dieser Schritte stand und steht. Des Weiteren waren und sind die beschlossenen Schutzmaßnahmen oft nicht bis zu Ende durchdacht und teilweise fernab jeder praktischen Realisierbarkeit. Um den Forderungen und der Empörung der Beschäftigten Gehör zu verschaffen, verdeutlichte Lucie noch einmal die Idee der GEW-Basisinitiative, als Gewerkschaft aktiv unsere Forderungen in Form eines bundesweiten Aktionstages auf die Straße zu tragen und nicht nur passiv Verbesserungen und Dialog einzufordern.

Als letztes sprach Daniel Keller und fokussierte sich als Sprecher für die VKG Berlin vor allem darauf, die Rolle der Gewerkschaftsbürokratie herauszuarbeiten und auf die Notwendigkeit einer koordinierten Auseinandersetzung mit gerade dieser hinzuweisen, mit der sich eine jede kämpferische Basisbewegung innerhalb der Gewerkschaften konfrontiert sehen wird. Er unterstrich damit die Wichtigkeit des Aufbaus der VKG über Gewerkschafts- und Branchengrenzen hinweg.

Bildungseinrichtungen öffnen oder schließen?

An die Inputreferate schloss sich eine sehr lebhafte und breite Diskussion an. Sie zeichnete sich nicht nur durch Beiträge von anwesenden politischen Gruppierungen aus, sondern wurde auch durch Erzählungen aus dem Alltag anwesender KollegInnen aus dem Bildungsbereich ergänzt und bereichert. Dies konnte für die VKG Berlin als Erfolg angesehen werden. Im Fokus der Diskussion standen vor allem folgende Themenfelder: der frisch beschlossene Aktionstag am 12.03 in Berlin, die Einschätzung der derzeitigen Stimmung rund um das Thema „Öffnung der Bildungseinrichtungen“ und davon abgeleitet das sehr kontrovers diskutierte Themenfeld #ZeroCovid.

Prinzipiell bestand große Übereinstimmung bezüglich der Notwendigkeit eines Aktionstages und einer darüber hinausreichenden Vernetzung und Organisation der Proteste im Bildungs- und Erziehungsbereich. Auch wurde die Argumentation, dass dieser nach Möglichkeit auf der Straße und in der Öffentlichkeit stattfinden sollte, um mehr Druck aufzubauen, bestärkt. In den letzten Monaten zeigten viele gut organisierte Demonstrationen, dass es auch in Zeiten der Pandemie möglich ist, dringende Forderungen in Präsenz vorzubringen und dadurch auch ein Stück weit gegen das Gefühl der Vereinzelung und Ohnmacht anzutreten.

Der Aspekt der Schließung oder Öffnung der Kitas und Schulen wurde jedoch kontroverser diskutiert. In dieser Diskussion und dem damit verbundenen Themenfeld von #ZeroCovid wurden die Unterschiede der politischen Perspektiven der an dieser Diskussion beteiligten Gruppen ersichtlich. Die Diskussion drehte sich stark um die Frage, ob derzeit die Forderung nach „Schließung der Schulen, bis diese sicher sind“ überhaupt noch aufgeworfen werden sollte. Dies wurde hauptsächlich damit begründet, dass einerseits auch das Wohl der Kinder und Jugendlichen bei den Entscheidungen betrachtet werden soll und andererseits sich die Stimmung innerhalb der Bevölkerung und den Kollegien geändert hätte. Diese würde nun im Vergleich zum Beginn des Jahres mehr in Richtung Öffnungen tendieren. Daran angelehnt wurde auch die Konzeption der #ZeroCovid-Kampagne kritisiert und vor allem von VertreterInnen der Sozialistischen Organisation Solidarität (Sol) abgelehnt. Diese sei derzeit nicht vermittelbar und wäre der Organisation von Widerstand hinderlich.

Die neuesten Fallzahlentwicklungen zeigen jedoch, dass sich diese Aussage nicht als richtig erwiesen hat, führen sie in den letzten Tagen doch zu einem erneuten Anschwellen der Angst innerhalb der Bevölkerung und der Kollegien, dass die Öffnung der Schulen und Kitas ein großes Sicherheits- und Infektionsrisiko darstellt und mit für die Anstiege der Neuinfektionen verantwortlich ist. Eine kämpferische Vernetzung innerhalb der Gewerkschaften sollte sich gerade nicht von kurzzeitigen Stimmungsschwankungen leiten lassen und an die rückschrittlicheren Positionen innerhalb der ArbeiterInnenklasse anpassen. Sie muss eine klare Perspektive und einen klaren Standpunkt beziehen. Es war auch schon zur Zeit der Veranstaltung abzusehen, dass die Fallzahlen wieder steigen werden und die Frage der Schul- und Kitaschließungen erneut auf die Tagesordnung gesetzt werden wird.

Wirtschaftslockdown als Brücke zum Kindeswohl!

Hier überzeugten vor allem die Argumente innerhalb der Diskussion, die sich entlang der #ZeroCovid-Strategie orientierten. Diese forderten die Schließung nicht systemrelevanter Betriebe, um die Fallzahlen zu drücken. Eine solche Perspektive würde es der Gesellschaft dann auch unter bestimmten Bedingungen erlauben, kontrolliert die Bildungs- und Erziehungseinrichtungen wieder zu öffnen wie auch Raum zu geben, um Jugendlichen und Kindern soziale Kontakte im Privaten zu ermöglichen (z. B. Öffnungen von Jugendzentren etc.). Es sollte doch gerade nicht der Fehler begangen werden anzunehmen, dass das psychosoziale Wohl der Jugendlichen und Kindern alleine von den sozialen Kontakten innerhalb von Schulen und Kitas abhängt. Dieser Logik zu folgen, würde bedeuten, „der Wirtschaft“ in die Hände zu spielen. Eine ihrer wichtigsten Forderungen ist es, die Kinderbetreuung zu gewährleisten, damit die uneingeschränkte Arbeitskraft der Eltern für die Aufrechterhaltung der Wirtschaftskraft des Landes im internationalen Wettbewerb zur Verfügung steht. Hier ist es jedoch wichtig aufzuzeigen, dass es eine Alternative zum bürgerlich organisierten Lockdown gibt. Einen Lockdown organisiert durch und orientiert an den Interessen der ArbeiterInnenklasse! Als kämpferische GewerkschafterInnen ist es hierbei unsere Pflicht aufzuzeigen, welche Rolle die DGB-Gewerkschaften spielen müssten, und dafür auch innerhalb der Gewerkschaften zu kämpfen, anstatt sich hinter Stimmungsschwankungen zu verstecken oder sich von ihnen desorientieren zu lassen.

Besonders die Phase des zweiten Lockdowns, in welcher es zunächst für die Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes kein Kriterium war, ob die Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiteten oder nicht, zeigte offen, welche Interessen den Beschlüssen der Regierung zugrunde liegen. Durch die Aussetzung der Liste der systemrelevanten Berufe als Voraussetzung für Kinderbetreuung ließ die Regierung den Arbeit„geber“Innen freie Hand im Umgang mit ihren Angestellten. Von Lohnfortzahlungen bei Stundenreduzierung oder zusätzlichen bezahlten Urlaubstagen im Zuge der freiwilligen Kinderbetreuung zuhause war keine Rede, und die Eltern sahen sich gezwungen, ihrer nicht systemrelevanten Tätigkeit weiterhin voll nachzugehen und ihr Kind institutionell betreuen zu lassen. Zusammen genommen bilden die Forderungen nach Schließung der nicht systemrelevanten Betriebe sowie die nach Stundenreduzierung bei voller Lohnfortzahlung bzw. bezahlten Urlaubstagen ein Scharnier, das es einer kämpferischen Basisbewegung ermöglicht, das psychosoziale Wohl der Kinder und Jugendlichen mit den Bedürfnissen der beschäftigten Eltern zu vereinen.

Aktionstag in Berlin

Im Nachklang der Veranstaltung fand am 12.03. in Berlin der schon angesprochene Aktionstag statt, hauptsächlich organisiert durch die Junge GEW Berlin. Dieser stellte Forderungen für mehr Gesundheitsschutz und bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte der Kinder- und Jugendhilfe, Sozialarbeit, Schule und Hochschule auf und trug diese in Form einer Kundgebung in die Öffentlichkeit. Mithilfe einer Petition wurden Unterschriften gesammelt und diese der Senatsverwaltung übergeben. Für Personen, denen eine Teilnahme an der Kundgebung nicht möglich war, gab es eine Fotoaktion.

Die Idee des Aktionstages inklusive Präsenzveranstaltung und die Kritik an einer zu passiven Gewerkschaftsführung ging zurück auf die durch Lucie Bevermann vertretene Initiative, die zunächst mit ihrer Idee eines (bundesweiten) Aktionstages Gehör in der jungen GEW Berlin fand. Bürokratische Manöver durch die Gewerkschaftsführung der örtlichen GEW verhinderten die Ausweitung des Aktionstages. Obwohl es für diesen eine knappe Mehrheit im Landesvorstand der GEW Berlin gab, wurde er nur in geringem Maße durch die Hauptamtlichen der GEW Berlin unterstützt und wurden auch nur Mitglieder unter 35 Jahren dafür mobilisiert. Dieses Vorgehen der Gewerkschaftsführung und deren bürokratische Verzögerungstaktiken zeigen einmal mehr die Notwendigkeit einer kämpferischen Basisopposition innerhalb der GEW und der restlichen DGB-Gewerkschaften auf.

Deshalb begrüßen wir, dass sich nun der Beginn einer Vernetzung an GEW-KollegInnen im Bundesgebiet gebildet hat, die die Idee eines bundesweiten Aktionstages verbreitet und dafür innerhalb der GEW und darüber hinaus argumentieren möchte. Wir rufen deshalb alle interessierten KollegInnen in den Bildungseinrichtungen dazu auf, sich dieser GEW-Vernetzung anzuschließen und mit uns in Kontakt zu treten. Umso deutlicher die Stimmung innerhalb der GEW nach einem bundesweiten Aktionstag vernommen wird, umso mehr müssen der Bundesvorstand sowie die jeweiligen Landesvorstände darauf reagieren und unsere Gewerkschaftsstrukturen für das nutzen, für das sie gedacht sind: für die aktive Interessenvertretung der Beschäftigten!

Die Zeit des Bittens hat ein Ende. Lasst uns unsere Organisation dazu nutzen, um unseren richtigen und wichtigen Forderungen Druck auf der Straße zu verleihen! Denn das haben wir alle in über einem Jahr Corona gelernt: Ohne Druck wird die Politik weiterhin den Lockdown im Sinne der Wirtschaft und nicht in unserem organisieren.




#wirsinddiezukunft – Bildung für uns, nicht fürs System!

Jan Hektik, Infomail 1138, 6. Februar 2021

Am 5. Februar fand auf dem Berliner Alexanderplatz unter dem Motto „Bildung für uns, nicht fürs System!“ eine Auftaktdemonstration gegen die überhastete Öffnung von Schulen und Kitas inmitten der Pandemie statt. Vor Ort versammelten sich etwa 100 SchülerInnen und UnterstützerInnen, darunter unter anderem AktivistInnen von REVOLUTION, der SDAJ, [‘solid!] Kreuzkölln, der DIDF-Jugend, Sol, der Gruppe ArbeiterInnenmacht und der im Aufbau befindlichen Berliner Ortsgruppe der #ZeroCovid-Initiative.

Die Stimmung war positiv und kämpferisch, trotz des Versuchs einer Schikane der Polizei gegenüber TeilnehmerInnen. So hielt sie zu Beginn der Aktion Menschen mit Schildern zur Sichtbarmachung des gestrigen #ZeroCovidDays fest. Ihr Vorwurf bestand darin, dass diese angeblich im Vorfeld an einer Fotoaktion vor dem Sitz des Bundesverbandes der Deutschen Industrie teilgenommen hätten. In der #ZeroCovid-Berlin-Gruppe hieß es dazu korrekterweise: „Wären die AktivistInnen in einer Polonaise durch Geschäfte gestürmt oder hätten den Reichstag gestürmt, so wären sie glimpflicher davongekommen.“

Wir verurteilen diese Schikane. Sie zeigt uns, dass die Initiative gegen übereilte Öffnungen richtig und wichtig ist. Egal ob in der Frage der Schul- oder Werksöffnungen, Ziel des Kapitals ist der Profit, dafür gehen Konzerne notfalls über Leichen. Die gestrigen Aktionen stellen sich diesem Programm offen in den Weg.

Aufgerufen zur SchülerInnendemonstration wurde von der Antikapitalistischen SchülerInnen Truppe (AkST). Hervorheben wollen wir auch die Kampagne für ein Durchschnittsabitur, die vor Ort eine Rede hielt. Die Aktion war ein guter erster Schritt für den Auftakt eines Protestes gegen die Gesundheits- und Krisenpolitik der Regierung von links. Sowohl die Beteiligung von #ZeroCovid und die Diskussionen um einen dortigen Aufbau als auch das Engagement der anderen linken Gruppen und die Breite der Aktion bieten hierfür eine gute Chance.

Jetzt ist es wichtig, den Kampf gegen die Maßnahmen zum Schutz der Wirtschaft und nicht unserer Gesundheit zu vertiefen! Wir rufen alle Beteiligten und alle anderen linken Organisationen, welche sich auf die ArbeiterInnenklasse stützen, sowie die Gewerkschaften dazu auf, sich am Aufbau einer Bewegung um #ZeroCovid gegen die Krise zu beteiligen.

Lasst uns gemeinsam eine Bewegung gegen Pandemie und Krise aufbauen!

Am 07.02.2021 um 15 Uhr findet ebenso ein Bündnistreffen für weitere Aktionen statt.




Sichere Schulen und Kitas? Bundesweiter Aktionstag!

Christian Gebhardt, Neue Internationale 253, Februar 2021

Die Bildungseinrichtungen sind wie viele Institutionen in Zeiten von Corona ein heiß umkämpfter Ort. PolitikerInnen erzählen uns seit Monaten mit Krokodilstränen in den Augen, dass sie nicht geschlossen werden können, da wir es den Bildungsperspektiven einer gesamten Generation schuldig sind. Die Kürzungspolitik der letzten Jahrzehnte sowie die ausbleibenden Investitionen in den Bildungsbereich passen da jedoch nicht ganz zur heutigen Rhetorik. Im Grunde genommen ist es recht einfach: Damals wie heute sind der Politik die Bildungsaussichten vieler unserer Kinder und Jugendlichen reichlich egal. Nur dient dies derzeit als vorgeschobenes Argument, um das eigentliche Ziel erreichen zu können: Die Schulen und Kitas müssen offen bleiben, so dass die Eltern ohne Probleme zur Arbeit gehen können. Der Profit für einzelne Wenige soll weiter sprudeln, dafür müssen die Eltern zur Arbeit und dürfen nicht zuhause auf die Kinder aufpassen.

Verwirrspiel

Die Politik und die Wirtschaft sich sich hier auch nicht zu schade, die Bevölkerung über lange Zeit zu verwirren und ihr keinen reinen Wein einzuschenken. Es werden Studien über Studien herangenommen und gegeneinandergestellt, die für die eine oder andere Seite argumentieren, am Ende steht aber immer: „Kinder und Jugendliche wären keine TreiberInnen der Pandemie, daher könnten Schulen und Kitas auch gut und gerne offen bleiben.“ Ob dabei aber die Gesundheit der Kinder, Jugendlichen und PädagogInnen in Gefahr gebracht wird, steht hier schnell nicht zur Debatte. Die Bildungsperspektiven und psychische Gesundheit der nachwachsenden Generation seien höher einzustufen. Hier wird leider stark zwischen zwei Polen diskutiert. Auf der einen Seite steht die Option: „Schulen offen halten“ und auf der anderen Seite: „Schulen schließen“. Gibt es aber auch eine andere Möglichkeit?

Die bisher geführte Debatte wird auch so stark polarisiert, damit andere Lösungsvorschläge gar nicht erst aufgegriffen werden, obwohl sie eigentlich auf der Hand liegen und schon seit Jahrzehnten Bestandteil des Forderungskatalogs der GEW darstellen: Senkung des Betreuungsschlüssels, Einstellung von mehr ausgebildeten PädagogInnen, Ausbau der vorhandenen bzw. Anmietung von neuen Räumlichkeiten und Reduzierung der Arbeits-/Deputatsstunden, um sich intensiver und enger um seine/ihre Aufgabe als PädagogIn in der jeweiligen Einrichtung kümmern zu können.

Die Umsetzung dieser Forderungen (gepaart mit dem Ausbau von Testkapazitäten, der Bereitstellung von FFP2-Masken sowie von digitalen Endgeräten) würde auch unter Pandemiebedingungen einen „normaleren“ Betreuungsalltag an Kitas oder Unterricht an Schulen gewährleisten. Dies kostet aber Geld, welches nicht in die Hand genommen werden möchte. Politik und Wirtschaft verfolgen lieber die Strategie des Aussitzens und Abwartens. Warten auf den Sommer, warten auf den Impfstoff und eine dadurch eintretende Normalität. Wieso jetzt soviel Geld in die Hand nehmen, wenn danach wieder alles „normal“ wird?

Eins ist klar, um die oben beschriebenen Maßnahmen und Forderungen umzusetzen, reicht es nicht aus, diese Forderungen nur zu propagieren und von der Politik in Petitionen und Online-Streiks einzufordern. Dafür ist ein aktiveres Auftreten der Gewerkschaften (namentlich der GEW) sowie aller Organisationen der ArbeiterInnenklasse notwendig, um dafür zu mobilisieren und Druck aufzubauen. Um diese Notwendigkeit innerhalb der GEW anzusprechen und dafür zu werben, hat sich in ihr eine Basisinitiative rund um einen offenen Brief an ihre Führung gegründet. In diesem wird sie dazu aufgefordert, aus ihrer Passivität herauszutreten und ihre Mitgliedschaft aktiv für sichere Schulen und Kitas auf die Straße zu mobilisieren.

Aktoinstag, aber wie?

Diese Initiative zeigt erste kleine Erfolge. So hat sie in der Jungen GEW Berlin dazu geführt, dass diese nun die Organisation eines Aktionstages in Berlin plant und auch an die GEW Berlin herangetreten ist, mit der Bitte einen solchen ebenfalls zu unterstützen. Zusätzlich soll die Idee an den bundesweiten Koordinierungsvorstand der GEW herangetragen werden, um einen solchen Aktionstag auch bundesweit und nicht nur landesweit zu organisieren.

Eins zeigen uns die Erfahrungen der Basisinitiative jedoch auch: ein Aktionstag ist nicht gleich ein Aktionstag, stehen sich doch in der Diskussion zwei Arten eines solchen gegenüber. Der Vorschlag der Gewerkschaftsführung besteht auf einem Online-Aktionstag, da in der derzeitigen Pandemielage keine „Präsenzveranstaltung“ in Form einer Demonstration oder Kundgebung stattfinden könne.

Dem gegenüber steht als Vorschlag die Durchführung dezentraler Aktionen vor den einzelnen Bildungseinrichtungen, gepaart mit einer zentralen Kundgebung unter Einhaltung der notwendigen Hygienemaßnahmen. Letzterer besäße nicht nur den Vorteil, dass die Durchführung eines solchen Aktionstages auf mehrere Schultern verteilt und auch die Einbindung von Eltern, Kindern und SchülerInnen erleichtert würden.

Eine solche zentrale Kundgebung würde auch den Menschen vor Augen führen, dass sie Teil einer kollektiven Aktion und viele ihrer Meinung sind. Dies würde sich nicht nur positiv auf die Kampfmoral der KollegInnen auswirken, sondern auch die Gewerkschaft selbst stärken und den Organisationsgrad innerhalb der Kollegien heben.




GEW-Bundesjugendkonferenz, Teil 2: Junge Basismitbestimmung digital?

Richard Vries, Infomail 1120, 9. Oktober 2020

Im ersten Teil unseres Berichts von der Bundesjugendkonferenz haben wir uns mit Veranstaltungen zur Digitalisierung und zum Systemwandel beschäftigt. Nun werden wir auf den 2. Teil der Tagung eingehen.

Das dritte Panel am folgenden Sonntag sollte das Thema „Gewerkschaften und politischer Streik – ein No-Go ?!“ behandeln. Der Text im Programmbuch versprach: „Nach einem Input ‚ABC des Streikrechts’ erörtern wir gemeinsam, was die langfristigen Ziele der GEW bzw. der DGB-Gewerkschaften sind und wie die Schritte auf diesem Weg aussehen können“. Die gemeinsame Erörterung entpuppte sich freilich als ausführlicher, männlich dominierter Doppelmonolog.

Die Gewerkschaften hierzulande seien ohne politische Streiks in einer ständigen Verteidigungsposition, betonte der Referent zum Start. Bereits eine einzige rechtswidrige Forderung könne dort den gesamten Streik illegal werden lassen. Selbst die EU prangere dieses deutsche Streikrecht an, das den Gewerkschaften das Streikmonopol überließe und gleichzeitig lediglich Tarifstreiks erlaube. In anderen Teilen der europäischen Union seien politische Streiks entsprechend deutlicher ausgeprägt. Auch die GEW bekenne sich generell zum politischen Streik, weise aber auf die damit verbundene, schwierige Rechtslage in der BRD hin.

Genau an diesem Punkt wäre aus unserer Sicht wieder dringend den Bruch mit der SozialpartnerInnenschaft zu nennen, angebracht gewesen. Doch dazu kam es erneut nicht mehr. Unser Beitrag konnte wegen technischer Probleme und eines sehr geringen Zeitrahmens für Diskussionen, also für inhaltliche Beiträge, eben nicht nur für Fragen, nicht mehr behandelt werden. Auch, dass für die im Vortrag angesprochene Urabstimmung ganze drei Viertel der Mitglieder den Streik vorab bejahen müssen, bei der anschließenden über das Verhandlungsergebnis aber nur noch ein Viertel der Beteiligten diesen durchzuwinken habe, blieb undiskutiert. Demokratisches Vorgehen sieht anders aus.

Dabei hätte sich die Diskussion um den politischen Streik nicht bloß auf die rechtliche Lage un in Deutschland und der EU beschränken dürfen. Wenn dieser erkämpft werden soll, müssen wir auch auf die politischen Hindernisse eingehen, auf die wir in der ArbeiterInnenbewegung und in den Gewerkschaften selbst stoßen. Festgehalten werden müssen in diesem Zusammenhang zunächst einmal die vorherrschende Politik der Klassenzusammenarbeit und die SozialpartnerInnenschaft, die die Gewerkschaftspolitik und die der meisten Betriebsräte prägen. Sie gefährden darüber hinaus, wie aus den Vorträgen selbst hervorging, auch die Verteidigung des eigenen Streikrechts. Die DGB-Gewerkschaften stellen damit, ob bewusst oder unbewusst, eine soziale Hauptstütze der Großen Koalition dar – und beißen sich somit ins eigene Fleisch. Wie in den Landesregierungen ordnen sich sogar die Mitglieder der Linkspartei in den Gewerkschaften nicht selten den kapitalistischen „Sachzwängen“ unter. Womit dieses System der SozialpartnerInnenschaft angesichts des derzeitigen Großangriffs des Kapitals die ArbeiterInnenklasse an die bestehenden Verhältnisse fesselt und darüber hinaus auch noch nie erlaubt hat, eine wirkliche Wende durchzusetzen.

Denn diese PartnerInnenschaft geht immer wieder damit einher, es dem Kapital zu erlauben, seine Profitinteressen auf Kosten der Konkurrenz, der (prekär) Beschäftigten sowie der Umwelt durchzusetzen. Die politische Zurückhaltung der Gewerkschaften hat ihre Ursache also auch in der direkten Anbindung an das kapitalistische System mitsamt seinen Krisen – und sie setzt sich auch darin fort, dass kein ernsthafter Kampf gegen die zahlreichen Einschränkungen des Streikrechts geführt wird, ja dass die Bürokratie einen solchen selbst überhaupt nicht will. Dabei erfordert die aktuelle Krisenperiode eigentlich eine politische, also nicht bloß eine tariflich-gewerkschaftliche Strategie.

Es wird sich im Gegensatz dazu leider immer noch viel zu oft erhofft, wie etwa am 1. Mai 2020 beim DGB-Livestream, diese kapitalistische Krise durch noch mehr Zusammenarbeit mit dem Kapital, noch mehr PartnerInnenschaft bei der Sicherung der Interessen des deutschen Exports und des Großkapitals insgesamt zu überstehen. Es ist deshalb wirklich kein Wunder, dass immer größere Teile der ArbeiterInnenklasse von diesen Interessenvertretungen entfremdet oder gar nicht organisiert sind und diese wiederum ihre Aussagekräftigkeit verlieren. Stattdessen sollten unabdingbare politische Forderungen, wie sie auch mehrfach von den Vortragenden angesprochen wurden, in den Gewerkschaften immer wieder flächendeckend diskutiert und in die Forderungen bzw. Mobilisierungen mit einbezogen werden – wie heute also etwa die Abschaffung aller Einschränkungen des Streikrechts, insbesondere politischer Streiks, und das Recht auf eine Bildung politischer Fraktionen in den Gewerkschaften und Betrieben.

Kampf gegen Rassismus

Unabdingbare politische Forderung ist dann auch das passende Stichwort für unser viertes und letztes Panel des Sonntagnachmittags. Wieder mal ein Doppelvortrag, diesmal indes über die „Zivile Seenotrettung und politische Perspektiven“ von zwei aktiven Seenothelfenden. Ankündigt wurde dieser mit: „…MISSION LIFELINE e. V. ist ein gemeinnütziger Verein aus Dresden, der Schiffbrüchige im zentralen Mittelmeer rettet. Seit 2016 leisten wir in der anhaltenden humanitären Krise erste Hilfe und konnten mehr als 1.000 Menschen in Seenot retten…“. Nach der Gründung des MISSION LIFELINE e. V., so erfahren wir zu Beginn, wären zunächst ein Jahr Spenden eingesammelt sowie im September 2017 anschließend das erste Schiff gekauft worden. Seither, so die Referentin und der Referent, seien etwa die Einfahrt in Valetta und Sizilien unterbunden und die beteiligten KapitänInnen vor Gericht gestellt worden. Auch schon 12 Tage auf dem Meer habe die Besatzung ausharren müssen, bevor anschließend der sichere Hafen erreicht werden konnte, nur um im Anschluss das Schiff vor Ort beschlagnahmt zu sehen. All das, obwohl die Menschenrechte, unter anderem Art. 1 und 5, weltweit 70 Mio. Menschen auf der Flucht und 20.000 seit 2014 auf dem Weg Verstorbene (jede/r 7.) eine andere Sprache sprechen. Die Vortragenden forderten daher ein Ende der Kriminalisierung von Seenotrettung, ihre europaweite staatliche Unterstützung sowie die Abschaffung von Dublin 3. Mittlerweile würden gleichwohl die Auflagen für die Seenotrettungsinitiativen und ihre Schiffe weiter verschärft.

Wir beteiligten uns daraufhin auch wieder intensiv an der anknüpfenden Diskussionsrunde:

„…Auf den Inseln Lesbos, Samos, Chios, Leros und Kos leben bis zu 42.000 AsylbewerberInnen. Dabei ist jedes Camp überfüllt und beherbergt mehr Menschen, als für die es vorhergesehen war. (…) Und das sogar während der Pandemie. Diese Menschen müssen gleichzeitig auch als Sündenbock für den Niedergang der griechischen Wirtschaft herhalten und werden regelmäßig Opfer rechter Gruppen. (…) Die Öffnung aller Grenzen, die Anfechtung von Frontex (…) sowie die Entkriminalisierung der Seenotrettung müssen zu unseren wichtigsten Zielen im Zusammenhang mit der Evakuierung der Flüchtlingslager gehören. (…) Um dann zu verhindern, dass die Geflüchteten etwa hierzulande gegen Lohnabhängige – z. B. Erwerbslose, prekär Beschäftigte oder Menschen in Altersarmut – ausgespielt werden, geht es weiterhin darum, ein Mindesteinkommen sowie soziale Leistungen wie Alterssicherung für ALLE zu erkämpfen – bezahlt aus der Besteuerung von Unternehmensgewinnen und großen Vermögen. Um dies zu erreichen, müssen sich antirassistische Bewegungen zusammenschließen mit Gewerkschaften, der Seenotrettung, Geflüchteten und migrantischen Strukturen!“

Leider kam die gesamte Diskussion, wohl auch wegen ihres späten Zeitpunkts innerhalb der GEWolution, nur sehr dürftig in Gang. Gerade weil die Vortragenden vergleichsweise offen antworteten, war das leider sehr, sehr schade.

Marlis Tepe, die Bundesvorsitzende der GEW, fasste in letzter Instanz von ihrem häuslichen Büro aus schließlich zusammen: „Wir werden viel zu kämpfen haben, wenn wir wollen, dass gute Arbeit und gute Bildung unsere Zukunft besser gestalten. (…) Ihr treibt uns voran und motiviert uns, auch über die gewerkschaftlichen Grenzen hinaus!“ Es bleibt fraglich, wie viele GEWolution-Teilnehmende ihr da noch via Facebook und YouTube zugehört hatten.

Grundsätzliche Charakterisierung des Kongresses

Doch auch die allgemeine Beteiligung an den Diskussionen hielt sich insgesamt in Grenzen. Insbesondere bei den offenen Vorträgen fühlte sich der Ablauf dadurch sehr von „oben herab“ bestimmt an. Bei einem dieser, nämlich dem zum besonders brisanten Thema des politischen Streiks, fehlte bekannterweise komplett die Zeit für Diskussionen. Innerhalb der Workshops beschränkte sich der Austausch, zumindest bei unserer Teilnahme, weitestgehend auf Pinnwandeinträge auf dem Padlet und Vorstellungsrunden im Mattermost-Chat, die anschließend ausschließlich vom/von der Vortragenden vorgelesen und monologisiert wurden. Es gab außerdem durchweg kaum Bezug bzw. Kritik an der zu der Zeit in den Bildungseinrichtungen vorzufindenden Corona-Situation sowie an den sich damals schon abzeichnenden unkontrollierten Schul- bzw. Kitaöffnungsprozessen.

Vertiefte politische Diskussionen schienen somit generell, trotz technischer Möglichkeiten, gezielt umgangen zu werden. Eine pro-aktive Moderation sowie klare Vorgaben zur Beteiligung hätten hier viel Abhilfe schaffen können. Es blieb im Großen und Ganzen also, wie eingangs vorausgesehen, bei thematischen Anrissen, die die Grenzen des Systems höchstens ausreizten, anstatt uns bewusst in die Lage zu versetzen, es zu sprengen. Nach diesem Schema wurde letzten Endes auch mit unseren Beiträgen umgegangen, indem bei den anschließenden Entgegnungen die Ernüchterungen mit dem vorhandenen System hervorgehoben wurden, ohne aber den zur Überwindung notwendigen Schritt hinlänglich zu hinterfragen bzw. fortsetzend auszuführen.

Mithilfe der sogenannten Unkonferenz, dem offenen GEWolution-Chat der Veranstaltung, sollte einstweilen zumindest ein Raum für selbstständig bestimmbare Themen und Diskussionen der Teilnehmenden in Form von eigens initiierten Arbeitsgruppen geschaffen werden. Auch Vernetzungsprozesse waren hierbei angedacht. Alle diese Abläufe wurden weiterhin von einem Projektgruppenmitglied begleitet. Als paralleles Angebot zu den doch recht üppigen Panels wucherte diese oft als belebend verstandene Arbeitsform allerdings aus und blieb hinter ihren Möglichkeiten zurück. Es verharrt somit kontinuierlich dabei als eine bezeichnende Strategie des linken Gewerkschaftsapparates, scheinbar Opposition und Basisaktivitäten zuzulassen. Tatsächlich aber werden Gedanken und Vorschläge nicht aus dem engen Korsett eines vereinzelten, kontrollierten Raumes herausgelassen.

Zusammenfassend gab es über das gesamte Wochenende verteilt insofern zwar viel Abwechslung, wogegen diese aber zu Lasten der Diskussions- bzw. vor allem der lösungs- und umsetzungsorientierten Vertiefung verlief. Sicherlich hing das auch ein wenig mit der digitalen Form des Komplexes zusammen, die von allen Beteiligten sowie unter Berücksichtigung ihrer heimischen Lokalitäten große individuelle Initiative erforderte, womit man gerade an diesen sonnigen Feiertagen nicht durchweg rechnen konnte. Aber gerade das offenbart doch auch nochmals die exemplarische Bedeutung permanenter, zwischenmenschlicher linker Organisation und Lehre.

Absichten und Perspektiven

Zur konkreten Umsetzung und Verknüpfung der hier thematisierten Inhalte der GEW-Jugendkonferenz braucht es zum Abschluss ergo eben doch mehr als nur die große Gewerkschaft als Sammlungspunkt, Infrastruktur und Gegenstimme ihrer (jungen) Basis. Von letzterer haben wir derweil einige Impressionen bezüglich ihrer Debatten sammeln können. Unser Ziel war es dabei, speziell ihre klassenkämpferischen Entwicklungsfähigkeiten mit einzubeziehen.

Da Gewerkschaften und im Besonderen ihre Jugendverbände als Sammelstellen des Widerstands gegen die strukturellen Gewaltakte des Kapitals dienen können, sofern sie nicht einfach beim schnöden Geplänkel mit dem Status quo verharren, sondern benutzt werden, um sich geschlossen aus diesem als ArbeiterInnenklasse zu erheben und damit endgültig das ausbeuterische, kapitalistische Lohnsystem hinter sich zu lassen, sind sie und ihre Initiativen auf eben diesen Aspekt hin genauestens zu beleuchten.

Soziale und politische Regungen müssen innerhalb des Gewerkschaftskontextes dementsprechend nicht nur vermehrt Beachtung finden, sondern mittel – und langfristig unbedingt auch zu einem wissentlichen Aufbau dieser Institution als agierender Knotenpunkt zur Befreiung der ArbeiterInnenklasse verwendet werden.

Gerade deswegen wäre es bei der GEWolution 2020 nur hilfreich (gewesen), die betriebenen Diskussionen auch wahrhaftig gesamtgewerkschaftlich zu behandeln. Wie dementsprechende, praktische Kampagnen auszusehen hätten, müsste gleichsam ebenso auf die Agenda wie von der gewerkschaftlichen Basis demokratisch erarbeitete Umsetzungspläne, deren Einlösung letztlich die FunktionärInnen zu gewährleisten hätten. Aktuell würden sich hiernach die ausstehende TVöD-Tarifrunde, deren Verknüpfung mit den Tarifkämpfen des TV-N sowie Fridays For Future und eine gemeinsame, bundesweite Antikrisenbewegung anbieten. Die passenden Fragen dazu hätten zudem die danach sein können, wer die Krise eigentlich zahlt, wieso das überhaupt so ist und was wir schließlich dagegen tun könnten und sollten. Doch statt Aktionspläne für die gegenseitige Praxis zu erörtern, verblieb diese Online-Veranstaltung bei der basisdemokratischen Mitbestimmungsvorgaukelei, wie auch sonst so oft, ohne Konkretes an die Spitze weiterzugeben oder gar von ihr einzufordern.

Eine gezielte Konfrontation sowie schließlich die notwendige Neuausrichtung der Gewerkschaft erfordert indes zwingend das Ende der von den Spitzen und ihrer Bürokratie in die Basis getragene und mit dem Kapital praktizierte SozialpartnerInnenschaft. Hierfür bedarf es wiederum einer Radikalisierung der Kräfte am Sockel der Gewerkschaft, also der ArbeiterInnenbewegung. Ohne externe Einflussnahme einer zusätzlich hinzuzufügenden Option der Organisation wird sich diesbezüglich aber sehr schnell Frustration und Stagnation bei den Gewerkschaftsmitgliedern sowie den ebenfalls dort zu verortenden RevolutionärInnen einstellen. Deshalb ist die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) und die Beteiligung an ihr zur Schaffung einer klassenkämpferischen Basisopposition als Gegnerin des schwerfälligen Apparats auch so alternativlos. Andererseits werden miteinander zu kombinierende und zu organisierende politische Erfordernisse und Kämpfe der ArbeiterInnenklasse sowie politische Massenstreiks weiterhin im Verborgenen ausharren müssen. Wir als Gruppe ArbeiterInnenmacht planen dementsprechend unser Engagement in GEW und VKG fortlaufend zu intensivieren und untereinander fester zu verknoten.




3. Bundesjugendkonferenz der GEW 2020: Junge Basismitbestimmung digital?

Richard Vries, Infomail 1120, 8. Oktober 2020

Zwei Jugendorganisationen gibt es in der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), der Bildungsgewerkschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB): die junge GEW und den Bundesausschuss der Studentinnen und Studenten (BASS). Statt eines üblichen Bundessekretariats gibt es deshalb auch zwei. Die vielen Landesverbände mit ihren jeweiligen Jugendstrukturen sind dabei aufgrund des deutschen Föderalismus verbandsintern von immenser Bedeutung.

Der jungen GEW werden dabei Mitglieder aus FachschülerInnen mit Ausbildungen zu ErzieherInnen, Studierenden, ReferendarInnen und jungen Berufstätigen in pädagogischen und wissenschaftlichen Berufen unter 35 Jahren zugerechnet. Von den über 280.000 GEW-Mitgliedern insgesamt sind wiederum etwa 20 % der jungen GEW zuzuordnen. Über 70 % der Mitglieder sind weiblich.

GEWolution

Noch bei der ersten gesamtdeutschen GEWolution, also der 1. Bundesjugendkonferenz der GEW im Jahr 2016, lautete das verhaltene „…Ziel: eine tolle Konferenz auf die Beine zu stellen – von jungen Kolleg*innen für junge Kolleg*innen! Mit gewerkschaftlichen Fragen, Spaß und Raum für Utopien…“.

Den Anfang gemacht hatte aber schon zwei Jahre zuvor der GEW-Nordverbund mit durchaus bestimmteren Absichten: „…Für uns ist der Zeitpunkt gekommen, neue Wege zu suchen und die Dinge zu verändern. Deshalb haben wir uns zusammengetan und die Nord-Konferenz organisiert. Ziel ist es, die GEW mit uns in Bewegung zu bringen…“

Nach einer weiteren bundesweiten GEWolution im Jahre 2018 und einer des Nordverbundes 2019 lud das Projektteam der GEWolution 2020: we digitalized it! am Pfingstwochenende, vom 30.05. – 31.05.20, das dritte Mal zur Bundesjugendkonferenz und coronabedingt auch das erste Mal online unter dem Motto: „Gesellschaft.Macht.Grenzen – Change a failing system!“ ihre unter 35-jährigen Mitglieder ein.

Auch wir als Gruppe ArbeiterInnenmacht beteiligten uns daran. Andere politische Gruppen waren unterdessen nicht öffentlich anwesend. Auch wenn seither einige Monate vergangen sind, wollen wir uns im folgenden zweiteiligen Bericht kritisch mit den Inhalten der Konferenz auseinandersetzen, weil diese nicht nur den Stand der GEW-Bundesjugendkonferenz widerspiegelt, sondern auch die Frage aufwirft, wohin sich die Organisation eigentlich entwickeln soll.

Die Anforderungen an sich selbst, die dem in der Zwischenzeit digital angepassten Programm für die Veranstaltung zu entnehmen sind, lauteten dabei: „…Digitalisierung macht in Zeiten der Corona-Krise einen unerwarteten Entwicklungssprung, begleitet von Euphorie, Verzweiflung und sozialen und pädagogischen Kollateralschäden. (…) Dem wachsam zu begegnen und neue, innovative Lösungsstrategien zu entwickeln, ist für Gewerkschaften unabdingbar. (…) Welche staatlichen und institutionellen Grenzen haben Bildung und Bildungsgerechtigkeit? Welche Grenzen wollen wir ziehen und welche überwinden? Welche Ressourcen, Aktionsformen, Verbündeten und Öffentlichkeiten stehen uns zur Verfügung? Diese Fragen wollen wir mit euch auf der GEWolution diskutieren und Antworten entwickeln!“

Schon vor dem Beginn der Veranstaltung wurden mittels solcher Formulierungen also die möglichen „Spielfelder“ der Diskussionen gezielt abgesteckt. Jene hier vorzufindende Selbstdarstellung der GEW als Gewerkschaft, die aus Gesprächsergebnissen so etwas wie „schöpferische Bewältigungstaktiken“ gegen Corona aufzunehmen scheint, zeigt sich in der alltäglichen Praxis allerdings überwiegend in bürokratischer Manier.

Offiziell angemeldet waren nach Angaben der GEW 140 Teilnehmende. Zusammen mit den InitiatorInnen nahmen also etwa 180 Personen teil. Online waren davon im Schnitt circa 100. Diese sind dann wiederum aufgeteilt auf die jeweils 4 parallelen Angebote gewesen. Als Schaltzentrale diente unterdessen die GEW-Geschäftsstelle des Hauptvorstands in Frankfurt am Main, um unterstützend eingreifen und die Vorgänge aufeinander abstimmen zu können.

Schöne neue Digitalisierung?

In seiner Eröffnungsrede prangerte der stellvertretende Vorsitzende der GEW, Andreas Keller, den Zustand an den Schulen und die vorherrschende Bildungspolitik zu Corona-Zeiten an: „Die Liste der Probleme, die sich nun offenbaren, ist lang: Für den Fernunterricht von zu Hause sind die Schulen technisch kaum ausgestattet, wobei Schülerinnen und Schüler aus sozial schwachen Familien häufig ohnehin nicht über das nötige Equipment verfügen. Die Corona-Krise ist so auch eine Krise der sozialen Ungleichheit. (…) Die Corona-Krise darf nicht zur Bildungskrise werden!“

Das erste Panel am Samstagmorgen eröffnete mit dem Workshop zum Digitalpakt und den dazugehörigen einjährigen Erfahrungen eines GEW-Gewerkschafters aus Rheinland-Pfalz. „Mit dem Digitalpakt haben sich Bund, Länder und Kommunen auf den Weg gemacht, endlich der Digitalisierung an Schulen Schwung zu verleihen. (…) Der Fokus liegt dabei auf erfolgreichen Strategien. (…) Außerdem gibt es Gelegenheit, das Spannungsfeld zwischen Land, Schulträgern und den Kollegen*innen vor Ort kritisch zu diskutieren“.

So lautete jedenfalls der Teaser zum Angebot im digitalen Programmheft. Während des Verlaufs erfuhren wir vom Referenten: Mobile Endgeräte würden durch den Digitalpakt nur stark eingeschränkt gestellt und wenn, dann auch nur für das Personal, nicht für die SchülerInnen. Die Länder müssten sich zudem zu 10 % selbst an den Kosten beteiligen, ebenso wie die Schulen einen zusätzlichen Beitrag dazu zu leisten hätten. Vermehrt käme es außerdem zu Verzögerungen bei der Umsetzung, da die beim Kultusministerium eingereichten Konzepte, ohne die es überhaupt nichts gäbe, kaum zufriedenstellend seien. Doch eine detailgenaue Konzepterstellung falle eben gerade so schwer, weil es bei der derzeitigen Mangelausstattung so gut wie keinen Raum für Vorstellungsvermögen in den Schulen gäbe. Die digitale KoordinatorIn, oder auch „die eierlegende Wollmilchsau“ genannt, welche für all das so gut wie nichts dazu bekäme, schlage sich also mit jenem Prozess nur immer wieder aufs Neue herum. Währenddessen müsse dann auch noch der Support der digitalen Infrastruktur vom bereits überlasteten Personal gewährleistet werden. Es sei denn, TechnikerInnen von außerhalb würden, kostspielig und mit langen Wartezeiten verbunden, akquiriert. Es empfehle sich letztlich ein EDV-Team an jeder Schule, so der Referent, welches die anfallenden Aufgaben unter sich verteile und das Kollegium mittels Newslettern und erklärenden Videos auf dem Laufenden halte.

Ungeklärte Fragen und ausweichende Antworten

Doch die Fragen, die dabei letzten Endes für uns als Zuhörende ungeklärt blieben, waren: Mit welchen personellen, finanziellen und zeitlichen Mitteln soll dies überhaupt ermöglicht werden? Wer stattet letztlich die benachteiligten Familien dauerhaft mit den digitalen Endgeräten aus bzw. führt sie in die zielgerichtete Arbeit mit ihnen ein? Und wer sichert bei alledem die unbedingte Professionalität der handelnden Kräfte und der gleichzeitig notwendigen, akuten Umsetzung? Vor allem aber: Wie können wir uns für diese dringliche Ausstattung starkmachen und inwiefern unterstützt uns die GEW bei diesen Kämpfen?

Wir als GAM hatten also beim Fragen Sammeln auf der digitalen Pinnwand Padlet nachgehakt: „Bürokratiemonster: Was macht eigentlich eine Grundschule, deren defekte Computer und Beamer repariert werden müssten, aber aufgrund der Aussicht auf neue Geräte ‚in einigen Jahren’ durch den Digitalpakt akut (Corona) keine Unterstützung dafür bekommt? Das Medienkonzept wurde bereits konzipiert, aber an Grundschulen dauert das ganze Prozedere leider noch länger als an anderen Schulformen … “.

Für diesen Kommentar erhielten wir derweil mehrfach Zuspruch. Die Antwort des Referenten via BigBlueButton lautete allerdings wie folgt: Die Erstellung und Vorlaufzeiten eines Medienkonzepts seien in dem Sinn gar keine Bürokratiemonster, sondern ein Prozess, der die Professionalität und Einbindung des gesamten Kollegiums sowie der weiteren AkteurInnen erfordere.

Zu unserem eigenen Beitrag wurde von einer weiteren Beteiligten zudem noch auf dem Padlet die Frage gestellt: „Was sind die besonderen Herausforderungen an Grundschulen?“

Unsere Antwort darauf lautete: „Definitiv das Gleichgewicht zu finden zwischen einem wirklich sinnvollen und kompetenzbezogenen Einsatz von Medien sowie gleichzeitig einer Verstärkung der (individuellen) Förderung (etwa des unabdingbaren Schreibens mit der Hand). Für beides fehlen allerdings das Personal und die Ausstattung. Die Gefahr, die hierdurch langfristig besteht, ist, dass etwa wie in Amerika oder China, die öffentlichen Schulen digitalisiert werden, um dem massiven Mangel an Lehrkräften entgegenzuwirken. Damit droht wiederum eine weitere Vertiefung der sozialen Spaltung sowie eine Aufgabe der sozialen Erziehung zur Selbständigkeit und Gemeinschaft.“

Die aktuelle Pandemie verstärkt solche Entwicklungen wie ein Brennglas. Die Ursache der Klassenspaltung wie von Diskriminierung und Rassismus liegt schlussendlich jedoch im kapitalistischen System. Dieses und seine inhärenten Klassenstrukturen anzugehen, erfordert von uns demnach, sie zu überwinden, also einen politischen Kampf zu führen.

Change – but how?

Ob das wohl der GEW so klar ist? „…Change a failing system? But how?“ lautete dann auch die Fragestellung der Podiumsdiskussion am Ende des ersten Tages. „Streik. Protest. Intervention. (…) Mit gesellschaftlichen Akteur*innen von Frauen*streik und Fridays for Future sowie mit interventionistischen Künstler*innen wollen wir diskutieren.“

Die Sprecherin der GEW-Studis und gleichzeitig auch Moderatorin der Runde fragte gleich zu Beginn nach den alltäglichen barbarischen Momenten, die uns immer wieder begegnen würden. „Es gibt sehr viele (…) in unserer Gesellschaft“, antwortete die Künstlerin des Peng!-Kollektivs darauf und fuhr nach einer diesbezüglichen Aufzählung mit ihrer daraus hergeleiteten Gewerkschaftskritik fort: „…Ausbeutung des globalen Südens, dann natürlich die europäische Grenzpolitik (…) dass wir nahezu das komplette Recht auf Asyl ausgesetzt haben. (…) Das Problem ist aber, dass unsere Gesellschaft ja durch und durch rassistisch ist. (…) Es geht nicht darum, Leute für etwas zu gewinnen, sondern genau die Themen anzubieten, die Leute bewegen und die ihre Realität letztlich auch widerspiegeln. Und ich glaube, das ist ein Problem, was sehr viele nicht verstehen, und, glaube ich, auch Gewerkschaften grundsätzlich sehr wenig verstehen.“ Die Künstlerin zog hieraus letztlich auch den Entschluss, sich folglich nicht innerhalb einer Gewerkschaft zu engagieren.

Wir werden auf diesen politischen Fehl- und Kurzschluss noch später zurückkommen. Die GEW-Moderatorin konstatierte hierzu jedenfalls ausweichend: „Also das wäre für uns zumindest ein Lehrpunkt. (…) Nicht einfach nur Leute schlucken, sondern vielmehr auch zur Sprache bringen, was die betroffenen Gruppen eigentlich sagen wollen.“

Später folgte ebenso noch die im kleinbürgerlichen Jargon gehaltene Frage einer Zuschauerin: „Wie kann eine progressive und transformative Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und anderen sozialen Bewegungen aussehen?“ Die Antwort der Peng!-Künstlerin darauf: „Es gibt einmal etablierte Protestformen und es gibt Protestformen, die sind unter dem zivilen Ungehorsam zu finden. Und die sind vielleicht ein bisschen radikaler. (…) Das Problem ist ganz oft, was ich darin sehe, dass in den sozialen Bewegungen gerade die Großen, ob das Gewerkschaften sind (…), als Erstes abspringen und sich als Erstes abgrenzen von etwas radikaleren Gruppen. (…) Wir können demonstrieren, so viel wir wollen, aber ob das letztendlich immer klappt und ob wir gehört werden mit friedlichen Protestmitteln, das sei mal dahingestellt.“

Dieser Austausch offenbart einige politische Probleme, wie wir im folgenden Abschnitt erläutern werden. Nur so viel vorweg: Die Kritik, dass „große Organisationen“ per se schlecht und weniger radikal sind, entpuppt sich bei näherer Betrachtung nicht nur als gänzlich oberflächlich, sondern als politisch falsch und perspektivlos.

Welcher Radikalismus?

Wenn wir als Gewerkschaft, ja als Klasse Ausgebeuteter und Unterdrückter, unsere Interessen gegen einen gut organisierten Gegner – das Kapital und seinen Staat – durchsetzen wollen, so brauchen wir Strukturen und Organisationen, die Massen, letztlich Millionen, organisieren und in Bewegung setzen können. Eine Gewerkschaft wird grundsätzlich immer dann durchsetzungsfähiger sein, wenn sie mehr Lohnabhängige organisiert. Menschen aus dem Bildungsbereich, die es vorziehen, sich der GEW (oder einer anderen DGB-Gewerkschaft) nicht anzuschließen, stärken, ob sie es wollen oder nicht, in Wirklichkeit den Klassengegner. Die durchaus berechtigte Kritik am bürokratischen und reformistischen Charakter der GEW und an deren Mangel an Radikalität ändert an dieser Tatsache nichts. Die Aufgabe von wirklich radikalen, klassenkämpferischen AktivistInnen besteht daher darin, in der Gewerkschaft für eine andere politische Ausrichtung und für deren Demokratisierung zu kämpfen. Daher treten wir auch in der GEW und anderen DGB-Gewerkschaften für den Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung und den Aufbau der Vernetzung kämpferischer Gewerkschaften (VKG) ein.

Zweitens entpuppt sich bei näherer Betrachtung auch die Vorstellung als falsch, dass Aktionen des „zivilen Ungehorsams“ oder selbst militantere Blockaden außerhalb der Arbeitswelt, „radikaler“ wären. Berechtigt ist zweifellos die Kritik, dass sich die Gewerkschaftsapparate oft und gern rasch von solchen Aktionen distanzieren und sie auf möglichst harmlose Formen beschränken wollen. Das hat aber nichts mit deren Größe, sondern mit der politischen Ausrichtung zu tun.

Umgekehrt verfügen die Gewerkschaften gerade, weil sie die Lohnabhängigen organisieren, im Gegensatz zu Bewegungen, die in Betrieben oder an Schulen nicht verankert sind, über enorm radikale Kampfmittel – Streik und Besetzungen von Produktionsstätten. Sie können die Herrschenden dort treffen, wo es wirklich weh tut – entweder direkt in der Produktion oder im Transport oder bei gesellschaftlich notwendigen Diensten wie im Bildungswesen. Einen lang anhaltenden oder gar unbefristeten Bildungsstreik fürchten Regierungen und UnternehmerInnen zu Recht viel mehr als Aktionen des zivilen Ungehorsams, weil sie einen viel größeren gesellschaftlichen Druck entfalten und, jedenfalls für die Dauer der Aktion, das Kommando über die Arbeit der Beschäftigten in Frage stellen.

Die Vertreterin von PENG! „übersieht“ den nicht zu leugnenden Klassenkampf der ArbeiterInnen gegen die Bourgeoisie. Mag dies von einer Aktivistin aus einer kleinbürgerlichen Bewegung wenig verwundern, so verweist die ausweichende „Antwort“ der GEW-Vertreterin freilich auf ein Grundproblem in der Gewerkschaft. Radikale Klassenpolitik kommt zu kurz.

Stattdessen leitete die Moderation mit folgender Bemerkung über, die mehr Fragen aufwirft, als sie Antworten gibt: „Wir spinnen mal Utopien und beziehen aber genau dabei mit ein (…), dass es immer wieder zu Interessenskonflikten kommen wird. Und bei Fragen von Umwelt und Klima und gerade Naturschutz ist es ja so, dass wir auch weiterhin produzieren müssen.“

But how???

Immerhin kommt das Podium am Ende noch einmal auf die Ausgangsfrage zurück: „Seht ihr eine Chance für ‚Change a failing system! and how?’?“ Nachdem sich die Künstlerin kurz verabschiedet hatte, erklärten die beiden übrigen Teilnehmenden der Diskussionsrunde, ein Vertreter von Fridays for Future und eine Sprecherin des Frauen*streiks, von einer auf dem Reißbrett geplanten Gesellschaft weiten Abstand zu nehmen. Kurz davor hatte nämlich die Moderatorin den Sozialismus als zukünftige Möglichkeit für ein anderes System angeboten. Jeweils ein einziger Satz sollte letzten Endes für die Beantwortung dieser elementaren Frage ausreichen. Die Quintessenz daraus: „Zusammen erreichen wir etwas“.

Es blieben unterm Strich also viele essentielle Fragen offen. Auch der späte Zeitpunkt dieser doch recht aufschlussreichen Podiumsdiskussion ist sicherlich zu kritisieren. Trotzdem und obwohl die Beteiligung der GEWolution-Teilnehmenden darüber hinaus auch nur auf schriftlich einzusendende Fragen beschränkt war, die noch vor ihrer Stellung selektiert wurden, kam dieser Veranstaltungsteil der erhofften politischen Brisanz der GEWolution sowie einem minimalen Anreißen von Maximalforderungen im marxistischen Sinne wohl noch am nächsten.

Dabei wäre gerade an dieser Stelle näher und genauer zu diskutieren gewesen, wie die GEW-Jugendorganisation den Kampf für eine andere Gesellschaft mit dem gewerkschaftlichen zu verbinden gedenkt. Wie kann z. B. Arbeitszeitverkürzung bei gleichzeitigem vollem Gehaltsausgleich mit dem Eintreten für ArbeiterInnenkontrolle in der Produktion oder im Bildungsbereich verbunden werden?

Die Notwendigkeit einer Revolution bzw. einer revolutionären Arbeiterinnenpartei als politische Organisationsform im Kampf für den Sozialismus wurde erst gar nicht erwähnt, wie überhaupt der „Sozialismus“ im Grunde zu einer Geschmacksfrage, einer Wunschvorstellung verkam, die unverbindlich neben anderen Forderungen steht. Dazu wäre gerade Fragen danach nötig aufzuzeigen, wie wir den Kampf um Verbesserungen mit dem für eine andere, sozialistische Gesellschaftsordnung verbinden können und warum dazu ein Programm von Übergangsforderungen nötig ist.

Im zweiten Teil beschäftigen wir uns mit dem zweiten Tag der Konferenz.




Britannien: Konservative könnten zweite Coronawelle durch Wiedereröffnung der Schulen auslösen

Red Flag, Infomail 1117, 12. September 2020

Im Zuge der Wiedereröffnung von Schulen und Universitäten im ganzen Land hat die Nationale Bildungsgewerkschaft (NEU) den regierenden Tory-MinisterInnen „extreme Fahrlässigkeit“ vorgeworfen. Die NEU argumentiert, dass Schulen und Universitäten im Unklaren gelassen wurden, wie sie mit einer zweiten Welle von SARS-CoV-2 umgehen sollen, und Familien aufgrund eines Mangels an einem tragfähigen Rückverfolgungssystem im Stich gelassen werden.

Gefahren

Es waren turbulente Wochen für den glücklosen Bildungsminister Gavin Williamson nach Fiasko beim Abschluss von Abitur und Mittlerer Reife. Der Labour-Vorsitzende Keir Starmer warnte davor, dass die Prüfungskrise die geplante Wiedereröffnung der Schulen „gefährdet“, hatte aber zuvor erklärt, er erwarte, dass alle Kinder ungeachtet der Risiken noch in diesem Monat wieder zur Schule gehen: „Ohne Wenn und Aber, ohne Zweideutigkeit“.

Die Haltung des Labour-Vorsitzenden beunruhigte viele BildungsmitarbeiterInnen, die nicht darauf vertrauen, dass ihre Klassenzimmer gegen das Virus gesichert sind. Angesichts der derzeitigen Verbreitung von Covid-19 in Großbritannien besteht ein erhebliches Risiko, dass sich jede/r SchülerIn oder jedes Mitglied des Lehrkörpers, der/die/das während des Herbstsemesters wöchentliche Präsenzveranstaltungen besucht, mit dem Virus infizieren könnte. Professor Neil Ferguson (Epidemiologe am Imperial College in London) hat einen Anstieg der Infektionsrate um bis zu 50 % vorhergesagt, wenn die Sekundarschulen in diesem Herbst wieder vollständig geöffnet werden.

Eine Reihe von Ausbrüchen in Deutschland und der jüngste Vorfall an einer Schule in Dundee machen deutlich, welche Rolle Schulen bei der Verbreitung des Virus spielen können. Es gibt immer noch vieles, was wir über die Übertragung von Infektionen in Schulen nicht wissen, doch jüngste Forschungsergebnisse legen nahe, dass Aerosole (kleine Tröpfchen in der Luft) ein gefährliches Mittel zur Übertragung sind. Dieses Risiko nimmt stark zu, je länger Menschen in geschlossenen Räumen zusammenbleiben.

Als die Regierung im Juni versuchte, die Grundschulen unter Druck zu setzen, damit sie in großem Stil wieder geöffnet werden, sprachen die Bildungsgewerkschaften über das Fehlen einer angemessenen Vorbereitung, von Ressourcen und Richtlinien. Drei Monate später gab es keine Fortschritte, und das „Weltklasse“-Verfolgungssystem wurde von den Privatunternehmen, die mit dem Vertrag Millionen verdienten, nie verwirklicht. Anträge auf vertrauensbildende Tests für SchülerInnen und LehrerInnen auf Verlangen wurden vom Minister für Schulstandards Nick Gibb abgelehnt. Dies untermauert die realen Befürchtungen, die das Bildungspersonal, ihre Gewerkschaften und Eltern für eine unsichere Herbstsemesterzeit hegen.

Soziale Folgen und Klassenspaltung

Die Wahrscheinlichkeit weiterer Sperrungen hat auch die LehrerInnen wegen der unrealistischen Erwartungen für die Prüfungen im nächsten Jahr beunruhigt. Die Regierung und staatlichen Prüfungsämter haben einige kleinere Änderungen an den Realschul- und Abiturprüfungen vorgenommen, die 2021 abgelegt werden sollen, aber SARS-CoV-2 wird nicht auf einen Schlag besiegt werden. Der krasse Versuch, die Prüfungsergebnisse in diesem Jahr zu manipulieren, war nicht das erste Mal, dass sich gezeigt hat, wie das Prüfungssystem die Klassenspaltung institutionalisiert. 2012 erhielten überwiegend SchülerInnen ethnischer Minderheiten und aus der ArbeiterInnenklasse schlechtere Noten, um eine „Inflation besserer Noten“ zu vermeiden. Der Beurteilungsprozess für Realschulabschlüsse und Abiturzeugnisse erfordert eine radikale Überarbeitung und die Prüfungen sollten abgeschafft werden. Das System der nicht bestandenen Prüfungen hat sich in den letzten zehn Jahren dahingehend geändert, dass es sich auf Abschlussprüfungen konzentriert und alle anderen Formen der Bewertung ausschließt. Die kontinuierliche Beurteilung hat sich als eine weitaus wirksamere Methode erwiesen, um die kreativen Möglichkeiten jedes jungen Menschen zu entwickeln. LehrerInnenbeurteilungen sollten weiterhin eine wichtige Rolle bei der Benotung spielen.

Es ist wahrscheinlich, dass es eine weitere Hinwendung zum Lernen aus der Ferne geben wird. Der Übergang zur Technologie während der Abriegelung hat die krasse digitale Kluft offenbart, die in unseren Schulen und Hochschulen besteht. Es wurde weiter gelernt, aber nicht alle SchülerInnen konnten von zu Hause darauf zugreifen. Daten des Landesstatistikamts (ONS), die 2019 veröffentlicht wurden, zeigen uns, dass etwa 700.000 Kinder im Alter von 11 bis 18 Jahren in Großbritannien angaben, zu Hause keinen Internetzugang von einem Computer oder Tablet-PC zu haben. Im August wurde berichtet, dass nur ein Drittel der benachteiligten Kinder, denen von Williamson im April kostenlose Laptops versprochen worden waren, diese auch erhalten hatten.

Drohung mit Geldstrafen

Premierminister Boris Johnson hat die vollständige Wiedereröffnung der Schulen als einen „absolut lebenswichtigen“ Schritt für die Überwindung der Abriegelung des Landes bezeichnet. Die Regierung hat mit der Verhängung von Geldstrafen gedroht, falls die Kinder nicht in die Klassenzimmer zurückkehren. In einem von 250 Kinder- und JugendpsychiaterInnen unterzeichneten Schreiben appellieren sie an die Regierung, die Geldstrafen fallen zu lassen, und argumentieren: „Dies könnte schwerwiegende Folgen für ihre psychische Gesundheit haben, vor allem, wenn sie um die Behütung durch die Familie besorgt sind. Bußgelder könnten die Familien finanziell stärker belasten, da wir uns in einer Rezession befinden, was die psychische Gesundheit von Kindern und Eltern ernsthaft beeinträchtigen könnte.“

Die von Johnson geäußerte Besorgnis über die Priorität, dass Kinder „zur Überbrückung der Ungleichheit“ wieder in die Schule gehen sollten, klingt noch hohler, nachdem die Regierung in den Sommerferien die kostenlose Schulspeisung gestrichen und die Abiturergebnisse der staatlichen SchülerInnen herabgestuft hat. Die gesamte Stoßrichtung dieser Politik ist darauf ausgerichtet, die Eltern wieder an den Arbeitsplatz zu bringen, nicht auf Gesundheit und Sicherheit.

Starmer erwies sich auch als ein lautstarker Einpeitscher für das Großkapital während der Sperren und setzte sich vehement dafür ein, dass die Schulen gegen den Rat der LehrerInnen im Juni wieder geöffnet werden. Die damalige Schattenbildungsministerin Rebecca Long-Bailey schloss sich dem Sicherheit-geht-vor-Ansatz der LehrerInnengewerkschaften an und wurde daraufhin von Starmer unter einem fadenscheinigen Vorwand entlassen. Die Labour-Führung weigerte sich, die Forderungen der Gewerkschaften nach dem Tragen von Masken in den Schulen zu unterstützen, aber als die Regierung die Presse darüber informierte, dass eine Kehrtwende bevorsteht, änderte die neue Schattenbildungsministerin Kate Green rasch ihre Haltung. Die Labour-Partei hat LehrerInnen und SchülerInnen bei der sicheren Rückkehr in die Schulen im Stich gelassen.

Widerstand organisieren

Eltern, SchülerInnen und die Bildungsgewerkschaften sollten sich gemeinsam organisieren, um Gesundheits- und Sicherheitsinspektionen und Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit in Schulen zu kontrollieren. Risikobeurteilungen sollten individuell gestaltet und in Absprache mit den Gewerkschaften regelmäßig aktualisiert werden. Wir brauchen eine drastische Reduzierung der Klassengrößen, um physische Distanz und einen verbesserten Unterricht zu erleichtern. Regelmäßige Tests sind unerlässlich, um Ausbrüche zu erkennen und die Ausbreitung des Virus zu verhindern, und wir müssen weiterhin Tests auf Wunsch fordern. Grundsätzlich sollten sich Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen organisieren, um Schulen zu schließen, in denen ihre Sicherheitsbedenken nicht berücksichtigt werden. Bildungsgewerkschaften müssen bereit sein, Mitglieder zu unterstützen, die sich weigern, unter unsicheren Bedingungen zu arbeiten.

Die SozialistInnen in den Gewerkschaften und der Labour-Partei sollten sich für einen öffentlichen Ansatz bei einer allgemeinen Gesundheitskrise einsetzen. Sie sollten die Forderung nach einer Verlängerung des Beurlaubungs- und Räumungsverbotes, den Erlass der Mietschulden, die Kontrolle der ArbeiterInnen über die Arbeitsbedingungen und keine Geldstrafen für besorgte BetreuerInnen und Eltern unterstützen. Unsere Gemeinden brauchen keine gefährlich verfrühte Rückkehr zum Unterricht von Angesicht zu Angesicht ohne angemessene Sicherheitsmaßnahmen. Sie brauchen eine national koordinierte Reaktion auf das SARS-CoV-2-Virus, die die Menschen vor den Profit stellt.




„Wir sind keine Versuchskaninchen!“ – GEW-Kundgebung gegen unkontrollierte Schulöffnung in Hessen

Richard Vries, Infomail 1107, 18. Juni 2020

Ein abrupter Kurswechsel von oben, ein bei dessen Vermittlung auf sich allein gestelltes Personal und dazu noch ein völlig undurchsichtiger Planungsprozess, der komplett ohne jegliche Einbindung der Betroffenen auskommen will: GewerkschafterInnen, viele Eltern und die SchülerInnen selbst wurden am 10. Juni 20 durch eine widersprüchliche Ankündigung des hessischen Kultusministers Lorz zur weiteren Öffnung der Grundschulen in Hessen vollends verunsichert.

Erst seit dem 2. Juni sind die 1. – 3. Jahrgänge überhaupt wieder in kleineren, aufgeteilten Gruppen in ihre Klassen zurückgekehrt. Da sollte die Abstandsregel, lange oberste Prämisse des Schulalltags, beständig umgesetzt werden. Mit dem Schreiben vom 10. Juni soll sich das ändern. Das Abstandsgebot, so der Hessische Kultusminister, wäre laut neuen Erkenntnissen unnötig, da „die derzeit gültigen Abstandsregelungen im Schulbetrieb für das Infektionsgeschehen keine entscheidende Rolle spielen“ würden und daher „weitere Schulöffnungsschritte unter Wahrung der Hygienevorschriften hin zu einem weitgehenden Normalbetrieb vorgenommen werden können“. Ab 20. Juni, also für die letzten zwei Wochen des Schuljahres, soll wieder „normaler“ Unterricht mit vollen Klassen und ohne Abstandsgebot durchgezogen werden.

Damit werden nicht nur die LehrerInnen, die bislang darauf drängten, lächerlich gemacht – vor allem wird ohne Not ein größeres Infektionsrisiko für SchülerInnen, Eltern und Lehrkräfte 2 Wochen vor den Ferien billigend in Kauf genommen, obwohl diese Zeit sicherlich keine entscheidenden Auswirkungen für den Lernerfolg haben wird.

Eine gleichzeitig in der jeweiligen Schule zu beantragende Möglichkeit der Aussetzung der Präsenzunterrichtspflicht für SchülerInnen soll dabei vor allem die Gemüter der weiterhin vorsichtigeren und verunsicherten Eltern zähmen. Doch letztlich werden nur wieder einmal jene bereits erregten Gemüter der LehrerInnen durch diese völlig unverantwortliche Dienstanweisung der Obrigkeit bis aufs Äußerste strapaziert.

Kundgebungen der GEW

Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Südhessen befürwortet deshalb die Kundgebung der Fachgruppe Grundschule von Offenbacher GEW-Kreisverbänden unter dem Motto: „Keine unkontrollierten Öffnungen der Grundschulen! Wir stehen als Versuchskaninchen nicht zur Verfügung!“

Dutzende Basismitglieder aus Grundschulen sowie weitere, sich solidarisch zeigende Mitglieder aus Kindertagesstätten und weiterführenden Schulen versammelten sich hierzu zusammen mit einigen betroffenen Eltern und Kindern vor dem Rathaus in Offenbach am 17. Juni.

Auch wir von der Gruppe ArbeiterInnenmacht schließen uns den Argumenten gegen eine widersprüchliche, fahrlässige und letztlich unkontrollierte Öffnung der Grundschulen in Hessen an.

Aktive KollegInnen in den Gewerkschaften und an den Schulen müssen sich nun zwingend ihrer desolaten Lage bewusst werden und selbstbewusst für eine Fortsetzung und Anpassung der Hygienemaßnahmen vor Ort und darüber hinaus plädieren – und zwar unter Kontrolle von LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern. Auch den noch jungen SchülerInnen muss diese komplett gegensätzliche Situation erst einmal verdeutlicht und zusammen mit ihnen vor allem ein sinnvoller Weg durch diese Bedingungen gefunden werden. So können auch sie in die konkrete Ausarbeitung und Umsetzung vernünftig geplanter Maßnahmen einbezogen werden. Nicht zuletzt sollte aber unbedingt die strukturelle Problematik der fehlenden Einbindung der Beteiligten in alle bisherigen Prozesse hervorgehoben werden.

An den Schulen müssen die Lehrkräfte eigene Kontrollkomitees bilden. ExpertInnen, die selbst in der Institution zugegen sind und das Vertreten der Betroffenen genießen, sollen die LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen und ihre VertreterInnen beraten, so dass diese ihre eigenen Bedingungen bestimmen. Dafür müssen wir miteinander kämpfen!




Stress an der Schule – ohne Prüfungen geht es nicht?

Lukas Resch, Neue Internationale 247, Juni 2020

Im Einklang mit den allgemeinen Lockerungen werden seit Anfang Mai schrittweise die Schulen wieder geöffnet. Den Anfang machten dabei die Jahrgangsstufen 9, 10 und 12 bzw. 13, die Abschlussklassen also. Gab es am Anfang noch lauten Protest, wie zum Beispiel durch einen Schulstreik in NRW, werden die Gegenstimmen seit Beginn der Prüfungen kaum noch gehört und die nahenden Sommerferien geben Anlass, weitere Einwände für unnötig zu erklären, da nur noch ein bis zwei Monate Unterricht stattfinden.

Da sich aber die aktuelle Gesundheitsgefahr durch das Corona-Virus auf absehbare Zeit nicht lösen wird, lohnt sich ein Blick auf die Hintergründe und die Hürden die SchülerInnen aktuell und auch in Zukunft überwinden müssen. Schon vor der Pandemie sorgten die maroden Zustände an Schulen für Schlagzeilen, doch was früher „einfach nur“ eklig oder schlecht für die Unterrichtsqualität war, wird heute zu Gefahr für Leib und Leben.

Mängel treten deutlich zutage

Grund dafür sind die nach wie vor mangelnden Investitionen in den öffentlichen Bildungssektor, deren Auswirkungen jetzt noch krasser zutage treten. Da oft Klassen auf verschiedene Räume aufgeteilt wurden und viele LehrerInnen, um ein gesundheitliches Risiko zu vermeiden, nicht persönlich unterrichten können, hat sich der Betreuungsschlüssel seit der Wiedereröffnung sprunghaft verschlechtert. Faktisch bedeutet das oft auch, dass SchülerInnen nur an wenigen Tagen und für wenige Stunden zur Schule gehen, ein „normaler“ Unterricht nicht stattfindet.

Dieses ist nicht nur schlecht für die Qualität des Unterrichts, sondern auch für die Gesundheit aller Beteiligten. Dass dabei nicht den ganzen Tag Mundschutz getragen wird, ist zwar irgendwo nachvollziehbar, macht das Ganze aber nicht besser.

Ein weiterer dauerhafter Mangel im Zustand der Schulen sind die Instandhaltung und die Beschäftigung von Personal außerhalb des Lehrkörpers. Tagelang leere Seifen- und Papierspender, dreckige oder kaputte Toiletten, sind schon seit Jahren fester Bestandteil der meisten Schulen. Die Idee, dass nun aus dem Stegreif die zusätzlichen Ansprüche, die ein Schulbetrieb während einer Pandemie bedeutet, erfüllt werden können, scheint nicht nur unwahrscheinlich, sondern erweist sich seit Anfang Mai als durchgehend falsch.

Soziale Selektion

Doch nicht nur in der Schule mangelt es an finanziellen Mitteln. Schon immer haben die sozialen und finanziellen Unterschiede, also letztlich die Klassenherkunft, bestimmenden Einfluss auf die Chancen und Leistungen der SchülerInnen ausgeübt. Durch das E-Learning schlagen diese aber noch stärker zu Buche. Gerade in finanziell schwächeren Familien fehlt oft ein eigenes Gerät für SchülerInnen oder ein Internetanschluss, weil z. B. die Eltern den notwendigen Netzbetrieb über das Handy tätigen. Auch einen eigenen Raum zum Lernen hat nicht jedes Kind zur Verfügung, schon gar nicht wenn die Eltern, wegen Home-Office, Kurzarbeit oder Jobverlust vermehrt oder ganz daheim sind. Gerade die letzten beiden Punkte üben zusätzlichen Druck auf die Jugendlichen aus. Wer kann sich schon auf Algebra oder die Abschlussarbeit in Geschichte konzentrieren, wenn gleichzeitig die Existenzgrundlage der Eltern verschwindet.

Gerade die soziale Ungleichheit wurde vehement als Argument für die Wiedereröffnung der Schulen angeführt, vor allem von Seiten, die bisher blind für diese Thematik schienen. Auch wenn es für einige einen Teil dieses Problems zu lösen scheint, bleiben die bisher bestehenden Probleme unangetastet, unausgesprochen und das eben auch nur für die Abschlussklassen.

Statt für dieses Schuljahr allen SchülerInnen einen Abschluss anzuerkennen, den Numerus Clausus und andere Zugangshürden unbürokratisch abzuschaffen, wird auf einen vorgeblich „echten“ Abschluss und „Leistungsgerechtigkeit“ gepocht.

Erstens haben alle jene SchülerInnen, die es bis kurz vor den Abschluss geschafft haben, in Wirklichkeit längst die notwendigen Leistungen über Jahre erbracht. Zweitens erhöht sich der Druck auf die SchülerInnen angesichts von Pandemie und Wirtschaftskrise ohnedies dramatisch. Das Insistieren auf einen „echten“ Abschluss entpuppt sich als zusätzlich Schikane.

Düstere Aussichten

Hinzu kommt außerdem, dass Jugendliche mit Abschluss  in der Tasche keinesfalls eine rosige Zukunft erwartet. Die Aussichten sind vielmehr sehr düster. Zwar gibt es seit 2019 mehr Ausbildungsplätze als BewerberInnen. Diese konzentrieren sich jedoch sehr ungleich, im Wunschberuf kommt auch 2019 nur ein Teil der 525.100 Azubis unter. Dass in bestimmten Branchen (Gastronomie, Reinigung, Baugewerbe) Lehrstellen unbesetzt blieben, hat offenkundig mit geringeren Ausbildungsvergütungen, beschissenen Arbeitszeiten und extrem harten Arbeitsbedingungen zu tun.

Für 2020 ist aber in allen Branchen mit einer massiven Verschlechterung der Lage zu rechnen. Der wirtschaftliche Einbruch wird in allen Bereichen, insbesondere auch bei mittleren und kleinen Betrieben einen Rückgang der Ausbildungsplätze mit sich bringen. Aktuell werden um 8 % weniger erwartet, das dürfte aber eine sehr optimistische Schätzung sein. Hinzu kommt, dass drohende Schließungen und Insolvenzen auch die Ausbildungsplätze und jede Chance auf Übernahme in Frage stellen.

SchülerInnen, die eine Hochschulreife abschließen oder Azubis mit Abitur, die nicht übernommen werden, werden außerdem an die Unis drängen, was die Konkurrenz um die Studienplätze erhöhen wird. Dass sich an ein Studium oft die Frage eines Umzugs knüpft, stellt erneut vor allem finanziell schwächere Familien vor ein Problem, denn die Mietpreise haben sich in den letzten Jahren gerade in den Universitätsstädten erhört.

Andererseits sind durch Corona viele typische StudentInnenjobs verloren gegangen, was angehende und bereits Studierende gleichermaßen in Schwierigkeiten bringt und schlussendlich auch wieder Rückwirkungen auf den Ausbildungsmarkt haben wird. Auch wer ein abgeschlossenes Studium oder eine Ausbildung in der Tasche hat, wird es in der kommenden Zeit schwer haben. Mit der Wirtschaftskrise wird sich auch die Lage am Arbeitsmarkt verschlechtern.

Was tun?

Dieser Trend wird sich weiter verstärken und so werden auch die Chance auf Übernahme und Neueinstellung insgesamt sinken. Der DGB wirbt bereits um eine staatliche Prämie für die Übernahme von Auszubildenden, um von der Insolvenz bedrohte Betriebe zu retten und gleichzeitig einen Crash am Ausbildungsmarkt zu verhindern.

Das wird aber eher nur einen Plazebo-Effekt haben. Die Lage am Ausbildungs- und Bildungssektor insgesamt wird sich nicht durch staatliche Subventionen für krisengeschüttete Unternehmen und die Übernahme von Ausbildungskosten lösen lassen. Außerdem ist auch nicht einzusehen, warum die Masse der steuerzahlenden Lohnabhängigen die Ausbildungskosten für die Betriebe übernehmen soll.

Früher galt in der DGB-Jugend noch der Slogan „Wer nicht ausbildet, muss zahlen“, also Kosten für die Ausbildung in anderen Betrieben übernehmen – heute verschwindet im Zeichen der sozialpartnerschaftlichen Politik der Gewerkschaften selbst diese Reformforderung im Hintergrund. Im Angesicht der Krise braucht es an all diesen Punkten mehr denn je einen Bruch mit der aktuellen Politik. Wir fordern daher:

  • Nein zur überhasteten Schulwiedereröffnung. Die Gewerkschaft GEW, VertreterInnen der LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern – nicht Schulbehörden, Staat oder sog. „ExpertInnen“ müssen darüber entscheiden, wann die Schule eröffnet wird oder nicht.
  • Dies bedeutet auch die Erarbeitung eines Umbauplans der Schulen, um sie für eine „andere Schule“ in Zeiten von Corona fit zu machen: Ausbau von Klassenzimmern, um kleinere Klassengruppen zu ermöglichen, Einrichtung von Teststationen, um die SchülerInnen und LehrerInnen und Verwaltungsangestellte in den Schulen regelmäßig testen zu können. Ein solcher Umbauplan und Restrukturierungsmaßnahmen machen es notwendig, über eine längere Schulschließung nachzudenken.
  • Für die Ausstattung aller SchülerInnen mit kostenlosen digitalen Endgeräten um die individuelle Teilnahme an den E-Learning-Angeboten zu gewährleisten.
  • Die Versetzung aller SchülerInnen in die nächsthöhere Klassenstufe.
  • Absage aller Abschlussprüfungen an allen Schultypen und Anerkennung des Abschusses für alle SchulabgängerInnen (Abitur, andere Abschlussprüfungen). Abschaffung des Numerus Clausus (NC) an den Universitäten und freier Zugang zur Uni für alle AbgängerInnen.
  • Sicherung der Ausbildung für alle SchulabgängerInnen. Sollten die Unternehmen Azubis nicht einstellen, müssen sie für deren Ausbildung zahlen (Umlage) und soll sie durch den Staat bei voller Vergütung gesichert werden.
  • Übernahme aller Azubis in ihren Lehrbetrieb. Sollte die Übernahme aufgrund von Schließungen nicht möglich sein, sollen diese Betriebe entschädigungslos enteignet, die Azubis bei vollen Tariflöhnen übernommen werden. Sie sollen für gesellschaftlich nützliche Arbeit (z. B. im Gesundheitswesen, für die Wiedereröffnung der Schulen im Herbst, für ökologische Erneuerung) etc. beschäftigt werden.
  • Für die Neueinstellung zusätzlicher Lehrkräfte, die Verringerung der Klassenteiler und der Deputatsstunden. Die Schulen werden sich im kommenden Schuljahr mit einer inhomogeneren SchülerInnenschaft auseinandersetzen müssen. Hierfür müssen Bedingungen geschaffen werden, um es den Schulen zu ermöglichen, mit dieser umzugehen.
  • Für eine massive Ausweitung der Bildungsbudgets, Ausbau von Schulen und Kitas. Schluss mit der Privatisierung der Schulen, Privatschulen in öffentliche Hand. Für eine gemeinsame Schule aller unter Kontrolle von LehrerInnen, SchülerInnen und VertreterInnen der Lohnabhängigen.

Wir werden diese Forderungen aber nicht geschenkt bekommen. Die DGB-Gewerkschaften müssen mit ihrer Burgfriedenspolitik brechen. Die GEW muss nicht nur kritisieren, sondern vor allem mobilisieren. Anstatt Politik zusammen mit den Unternehmen zu gestalten, sollte sie eher eine Bewegung für die Durchsetzung ihrer Forderungen aufbauen.




Britannien: Gewerkschaften und Labour Councils müssen Kampf gegen unsichere Wiedereröffnung von Schulen verstärken

Ein Gewerkschafter aus London, Infomail 1104, 25. Mai 2020

Die Tory-Regierung treibt ihre Pläne zur Wiedereröffnung der Schulen für ein breiteres Spektrum von SchülerInnen ab dem 1. Juni trotz weit verbreiteten Widerstands voran. Eltern und LehrerInnen unterstützen die Wohltätigkeitsorganisation Parentkind, die LehrerInnengewerkschaft National Education Union (NEU), die gewerkschaftliche ÄrztInnenvereinigung British Medical Association sowie eine wachsende Anzahl von Labour Councils (örtliche, bezirkliche oder regionale Gewerkschaftszusammenschlüsse), die fordern, dass Schulen geschlossen bleiben, bis sie sicher sind.

Der Grund für die Empörung liegt in der offensichtlichen und unbestreitbaren Tatsache, dass diese Maßnahme zusammen mit der vorzeitigen Lockerung des Lockdowns der Wirtschaft, die derzeit Millionen von ArbeiterInnen aufgezwungen wird, zu einem neuen Anstieg der Covid-Infektionen und Todesfälle führen wird. Die erste Welle hat ihren Höhepunkt gerade erst überschritten, aber wir blicken jetzt auf das Ausmaß einer zweiten Welle, die sie bei weitem übertreffen könnte.

Trotz der verheerenden Auswirkungen der Entscheidung der Regierung auf die öffentliche Gesundheit ist sie entschlossen, sie durchzusetzen, da sie integraler Bestandteil ihres Plans zur Wiederankurbelung der kapitalistischen Wirtschaft ist und damit Millionen von ArbeiterInnen und ihre Familien gefährdet. Das macht diesen Kampf zu einem klassenpolitischen Thema.

In Großbritannien gibt es nach wie vor täglich 3.500 neue Covid-19-Fälle; die tägliche Zahl der Todesopfer liegt nach wie vor bei rund 500. Zur Verdeutlichung: Als Dänemark seine Schulen teilweise wiedereröffnet hat, gab es nur 93 Todesopfer pro einer Million EinwohnerInnen, während die Zahl in Großbritannien über 500 liegt. Dänemarks tägliche Todesfällen bewegten sich im einstelligen Bereich; die britische Zahl liegt zur Zeit um die 500.

Frankreich ist ein weiteres Land, das seine Schulen teilweise wiedereröffnet hat und von der konservativen Tory-Presse und den Abgeordneten als Beweis dafür angeführt wird, dass es Zeit sei, dass die LehrerInnen ihre Ängste ablegten und wieder an die Arbeit gingen. Aber viele französische Schulen mussten wieder schließen, nachdem die Lockerung der Isolation einen weiteren Anstieg der Infektionen verursacht hatte.

Man muss sich nur eine Familie vorstellen, in der ein/e Erwachsene/r BusfahrerIn und ein/e andere/r PflegerIn ist, und deren Kinder in zwei verschiedene Schulen, eine Grundschule und eine weiterführende Schule, gehen müssen, und dann kehren alle nach tausend verschiedenen Kontakten zwischen ihnen nach Hause zurück… um zu verstehen, wie wahnsinnig gefährlich das ist.

Endlich Aktion!

Es ist also erfrischend zu sehen, dass eine Gewerkschaft mit der Faust auf den Tisch haut und sagt: „Das Leben unserer Mitglieder ist mehr wert als Gewinne – Eure Wirtschaft kann warten.“ Die LehrerInnengewerkschaft NEU führt eine Koalition von neun Bildungsgewerkschaften an, die sich weigert, bei den Öffnungsplänen zusammenzuarbeiten, bis ihre fünf Prüfkriterien erfüllt sind:

  1. Deutlich geringere Zahl von Covid-19-Fällen
  2. Ein nationaler Plan zum Einhalten eines Schutzabstandes (persönliche Schutzausrüstung, viel weniger SchülerInnen, Reinigung usw.)
  3. Tests, Tests, Tests (auch von Kindern und Personal ohne Symptome)
  4. Strategie für die gesamte Schule (sie zu schließen und alle zu testen, wenn ein Covid-Fall in einer Schule gefunden wird)
  5. Schutz der Schutzbedürftigen (einschließlich des Rechts, von zu Hause aus zu arbeiten)

Die Regierung hat keinen dieser Tests bestanden. Entscheidend ist, dass sie bei weitem noch nicht über ein System zur Ermittlung und Testung von Kontaktpersonen verfügt – und dies ist einer ihrer eigenen „Tests“. Notieren wir: „NB“ für nicht bestanden!

Die neun Gewerkschaften hielten am 15. Mai eine Sitzung mit WissenschaftlerInnen der Regierung ab, darunter auch Mitglieder der Wissenschaftlichen Beratungsgruppe für Notfälle (SAGE), aber alle Gewerkschaften blieben mit unbeantworteten Fragen zurück.

Seitdem haben 11 Labour Councils erklärt, dass sie dem überweilen Zeitplan von Johnson und Bildungsminister Gavin Williamson nicht folgen werden. Die Liste reicht von Liverpool, Bury und Calderdale, die den von ihnen betreuten Schulen mitteilten, sie sollen am 1. Juni nicht weiter öffnen, bis hin zu Manchester, Leeds und Birmingham, die es den einzelnen Schulen überlassen, darüber zu entscheiden. Weitere Stadt- und Bezirksräte haben für die nächste Sitzung Anträge eingereicht – obwohl der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan (Labour Party) beschämenderweise nur Bedenken über die verstärkte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel geäußert hat.

In Schottland, Wales und Nordirland weigern sich die nationalen und regionalen Regierungen ebenfalls, den Anweisungen von Boris Johnson zu folgen. Dies ist ein beispielloser Grad an Zwietracht auf höchster Ebene.

Wenn man die Zahl der lokalen, regionalen und nationalen Behörden, die gegen diesen gefährlichen Schachzug der Regierung sind, und die Zahl der Gewerkschaften des Lehr- und Hilfspersonals, die sich vehement dagegen wehren, sowie der Eltern und SchülerInnen, die sich der Vorschrift nicht anschließen wollen, zusammenzählt, kann man sehen, dass dies eine gewinnbare Schlacht ist.

Wie können wir gewinnen?

Leider droht der Plan der NEU an dieser Stelle zu scheitern. Sie stützt sich auf ein nützliches, aber begrenztes Gesetzeswerk, das ursprünglich für die BauarbeiterInnen entworfen wurde: Abschnitt 44 des Beschäftigungsgesetzes (1996). Dieser ermöglicht es den Beschäftigten, jeden Arbeitsplatz, den sie als unsicher erachten, zu verlassen und erst dann zurückzukehren, wenn er ausreichend sicher geworden ist.

So weit, so gut. Jetzt hat es jedoch zu einer Situation geführt, in der die NEU einen Rückzieher gemacht und eine neue Reihe von 12 Schritten herausgegeben hat, die die Risikobewertung einer Schule viel sicherer machen würde. Auf lokaler Ebene haben VertreterInnen versucht, den Mitgliedern zu sagen, dass sie beide Hürdenreihen durchlaufen sollen, in dem Bewusstsein, dass einige Schulen, insbesondere Sekundarschulen – von denen verlangt wird, dass sie weit weniger SchülerInnen aufnehmen – die zweite „Testreihe“ bestehen werden.

Was wir brauchen, ist die landesweite Einheit in ganz England: eine/r raus, alle raus. Das kann nur erreicht werden, wenn wir alle Bildungsgewerkschaften zwingen, zum Streik aufzurufen. Natürlich müssten die Abstimmungen elektronisch durchgeführt werden, aber die 20.000 Mitglieder, die am 18. Mai zu einem landesweiten Internet-Aufruf durch die LehrerInnengwerkschaft online erschienen sind, zeigen das Potenzial, in dieser Zeit der Not mit Hunderttausenden von Gewerkschaftsmitgliedern in Kontakt zu treten.

Eine Streikurabstimmung zu gewinnen und die gewerkschaftsfeindlichen Gesetze zu missachten, würde auch bedeuten, in die Offensive zu gehen und Eltern und ältere SchülerInnen zu organisieren. Wir müssen der Hetze der rechten Presse und ihren orchestrierten Versuchen, LehrerInnen und Eltern zu dämonisieren, die einfach keine weiteren Infektionen und Todesfälle in ihren Gemeinden erleben wollen, entschieden entgegentreten.

Dies wird zwangsläufig die Einrichtung neuer Basisorganisationen bedeuten, um die Mitglieder der verschiedenen Gewerkschaften an den Schulen zusammenzuführen. Eine solche Organisierung wird eine wichtige Rolle bei der Planung gemeinsamer Kampagnen spielen und sicherstellen, dass wir geeint bleiben, falls eine oder mehrere der Gewerkschaften plötzlich aus der Reihe tanzen sollten – wie es bei gewerkschaftlichen Einheitsfronten geschieht, die nur an der Spitze zementiert werden.

GewerkschaftsführerInnen mögen es nicht, in eine extrem konflikthafte Konfrontation geworfen zu werden. Ihr Instinkt sagt ihnen immer, die Situation zu entschärfen und zum „business as usual“ zurückzukehren. Aber für die absehbare Zukunft ist das Coronavirus die neue Normalität. Deshalb brauchen wir eine reaktionsfähigere und integrativere Organisation – am Arbeitsplatz und in den Kommunen.

Sich erfolgreich Johnsons Forderung nach der Wiedereröffnung von Schulen zu widersetzen, ist jedoch nur die halbe Miete. Wir müssen gemeinsame Gewerkschafts-, Eltern- und SchülerInnentreffen organisieren, um die Krise zu erörtern und Covid Watch Committees (Komitees zur Überwachung und Eindämmung der Covid-Pandemie) zu bilden, damit es nach einem Streik oder einer erfolgreichen Aktion keinen Rückfall gibt, der einen Anstieg der Infektionsrate (die R-Zahl) verursacht, oder die Schule beschließt, neue Risiken mit unserem Leben einzugehen.

Dieser Kampf wird so lange andauern, bis ein Impfstoff gefunden ist. Wir müssen während des gesamten nächsten Schuljahres wachsam sein. Es ist ein Ringen um ArbeiterInnenkontrolle – dies werden wir brauchen, um Entlassungen und Schließungen zu stoppen, da die Kürzungen während der Rezession weiter wirken.

Es ist auch eine Auseinandersetzung in einem breiteren Klassenkampf. Die KapitalistInnen sind verzweifelt darauf bedacht, Schulen zu eröffnen, damit sie die Beschäftigten wieder an die Arbeit bringen können, damit sie Gewinne für ihre Unternehmen erwirtschaften, bevor diese untergehen. Eine rationale Gesellschaft würde auf diese Weise privates Vermögen nicht über die öffentliche Gesundheit stellen. Sie würde nur wesentliche Arbeiten zulassen, um uns alle gesund zu halten, zu desinfizieren, zu ernähren usw., bis das Virus besiegt ist.

Ein weltweiter Kampf

Dies weist auf eine weitere Ebene hin, auf der wir die Hand ausstrecken und eine kämpferische Einheitsfront schmieden können. Die weltweite Pandemie erfordert eine globale Lösung! Schulgewerkschaften in den USA, Europa, Lateinamerika und auf der ganzen Welt sehen sich den gleichen wahnsinnigen Anforderungen gegenüber wie wir hier. Wir sollten die modernen Technologien der Webinare im Internet nutzen, um uns mit den BasisaktivistInnen auf der ganzen Welt zu vernetzen, damit wir zusammen mit einer gemeinsamen Strategie und einem gemeinsamen Ziel kämpfen können.

Ein Sieg für LehrerInnen und anderen Beschäftigen an den Schulen wäre ein Sieg für unsere, die ArbeiterInnenklasse, auf dem wir in den kommenden Kämpfen aufbauen könnten.