Claus Weselsky – ein Gewerkschaftsbürokrat wie andere auch

Leo Drais / Martin Suchanek, Infomail 1243, 28. Januar 2024

Der Bahn-Streik wird vorzeigt abgebrochen, verkündete GDL-Chef Weselsky zur Überraschung der Öffentlichkeit am 27. Januar. Die Bahn AG sei bei den Verhandlungen zum Verhandeln bereit, frohlockt der große Vorsitzende in der Presserklärung der Gewerkschaft: „Insbesondere die Verhandlungsbereitschaft der DB zur Arbeitszeitabsenkung für Schichtarbeiter ist zentral bedeutsam. Die Bereitschaft, auch über einen Tarifvertrag für die Infrastruktur zu verhandeln, ist nunmehr vorhanden. Im Falle einer Einigung wäre das ein starkes Signal für das gesamte Eisenbahnsystem und ein Schub hin zur Attraktivitätssteigerung der Eisenbahnberufe.“

Ist damit die Umsetzung der Forderungen der GDL gewährleistet? Wohl nicht. Ein mehr oder minder fauler Kompromiss – orientiert an den Abschlüssen bei privaten Verkehrsunternehmen und nicht an den Forderungen, für die die Mitglieder im Streik angetreten sind – zeichnet sich schon jetzt am Ende der Verhandlungen ab. Diese beginnen am 5. Februar beginnen und sollen bis zum 3. März dauern – Verlängerung möglich.

Offenkundig reicht die bloße Erklärung der Verhandlungsbereitschaft zu „allen Themen“ durch die Bahn AG – und der gestern noch als unbelehrbar, selbstherrlich, geldgierig und beratungsresistent denunzierte Bahnvorstand mutiert zum vertrauenswürdigen Sozialpartner nach Weselskys Geschmack.

Der GDL-Löwe erweist sich als zahmes Kätzchen. Für die Dauer der Verhandlungen wurde eine Friedenspflicht vereinbart, ein bisschen vom DB-Vorstand am Bauch gekrault, ein kleiner sozialpartnerschaftlicher Finger zum reinbeißen, und schon miaut der große Claus zufrieden. Die Gewerkschaft verzichtet freiwillig auf jedes gewerkschaftliche Druckmittel.

Vor allem liegt die Vermutung nahe, dass es am Ende mal wieder um die Konkurrenz der EVG geht. Deren Tarifverträge gelten dank des reaktionären Tarifeinheitsgesetzes im Zuckerstück schlechthin des deutschen Eisenbahnuniversums – der DB InfraGO (ehemals Netz) als Infrastrukturbetreiber. Hier einen Fuß in die Tür zu kriegen, allein schon das bloße Versprechen des DB – Vorstandes darüber zu sprechen, hat gereicht, um den Streik vorzeitig zu beenden. Claus Weselsky ist wieder das, was er eigentlich sein will – ein anerkannter Sozialpartner am Verhandlungstisch anstatt ein Kampfpartner der Eisenbahner:innen.  

In kleinen Kreis soll unter Ausschluss der Öffentlichkeit und „natürlich“ auch der GDL-Mitglieder verhandelt werden. „Alle Inhalte, Zwischenstand, Zwischenergebnisse etc. unterliegen der strengen Vertraulichkeit und werden nicht nach außen getragen,“ heißt es auf der Homepage der GDL.

Über jeden Winkelzug der Verhandlungen, über das Ergebnis, über das Ende des Streiks entscheidet in Gutsherrenmanier der große Vorsitzende der GDL, Herr Weselsky, samt Stab. In strenger Vertraulichkeit mit den Kapitalvertreter:innen fährt der letzte Rest von Gewerkschaftsdemokratie an die Wand. Die Mitglieder werden nach gelungener Mauschelei allenfalls von ihrem „Erfolg“ informiert.

Die GDL-Spitze agiert in dieser Tarifrunde ähnlich der Konkurrenzgewerkschaft EVG, bloß dass diese sich auch noch zur Schlichtung hinreißen ließ. Der Abschluss der GDL wird – allein, um ihn gegenüber der eigenen Mitgliedschaft besser zu verkaufen – voraussichtlich etwas besser als jener der EVG-Konkurrenz werden. Faktisch verzichtet der GDL-Vorstand mit den Geheimverhandlungen auf den Kampf um die volle Durchsetzung der Forderungen und wird sich im Rahmen der meisten anderen Abschlüsse der letzten Jahre bewegen. 

Es reicht ein bisschen besser zu sein als die EVG-Konkurrenz. Die Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts bei den Privatbahnen wurde erkauft mit einer Aufgabe des Wahlmodels 12 Tage mehr Urlaub. Und doch ist Claus Weselsky nicht komplett wie andere Gewerkschaftsbürokrat:innen – er spricht und bandelt auch offen mit der AfD, die nicht nur rassistisch, queerfeindlich und sexistisch und daher schon feindlich gegen vielen Eisenbahner:innen gegenüber ist, sondern als Autopartei schlechthin auch absolut eisenbahnfeindlich ist! Aber solange der große Claus mitreden darf, ist ihm das alles egal. Er hat Autodeutschland längst akzeptiert, ein Eisenbahndeutschland will er nicht – sonst würde er die Cargoverkleinerung bekämpfen, sonst wäre er nicht für die weitere Zerschlagung der DB. 

Die Mitglieder der GDL, die in den letzten Tagen ihre Entschlossenheit beim Streik eindrucksvoll bewiesen haben bleibt nur, den sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurs Weselskys nicht mitzumachen. Bei Mitgliederversammlungen und in den Ortsgruppen sollten sie den neuen Kurs nicht nur besprechen, sondern ablehnen. Sie sollten einen Entscheid der GDL-Mitgliedschaft über das Abkommen mit der Bahn AG fordern, die Geheimverhandlungen und die Friedenspflicht ablehnen und die Durchführung eines Streiks zur Durchsetzung aller Forderungen verlangen. Sie müssen dafür eintreten, dass die Streikführung und die Verhandlungskommission unter Kontrolle der Mitglieder gestellt werden, dass diese von ihnen gewählt und abwählbar sein müssen. Nur so kann sichergestellt werden, dass ein Arbeitskampf nicht in der üblichen, üblen bürokratischen Manier abgebrochen wird, dass die Streikenden nicht am Katzentisch der Sozialpartner:innenschaft abgespeist werden statt bei voller Entfaltung ihrer Kampfkraft einen wirklichen Durchbruch zu erzielen.




Sieg dem GDL-Streik!

Martin Suchanek, Infomail 1243, 24. Januar 2024

Nichts oder jedenfalls fast nichts geht mehr. Der GDL-Streik steht und mit ihm der Bahnverkehr in ganz Deutschland. Sechs Tag wird der Ausstand dauern, der seit dem 22. Januar den Güterverkehr von DB Cargo und seit dem 23. Januar Personennah- und -fernverkehr lahmlegen wird.

Die Streikfront steht. Und zwar nicht, weil sich Claus Weselsky ein „Denkmal“ als besonders harter Gewerkschafter und Erzfeind des Bahnvorstandes setzen will. Wir wollen dabei keineswegs in Abrede stellen, dass er zum Abschied seiner Vorsitzendenlaufbahn noch einmal zeigen will, wo der Hammer hängt, persönliche Motive mit dem Kampf verbindet. Doch was wäre schon so schlimm daran, wenn auch alle anderen Gewerkschaftsvorsitzenden ihre Karriere mit einem harten Streik statt wachsweichem Verhandlungsgedöns ausklingen ließen.

Dass die GDL-Mitglieder Weselsky und ihrer Gewerkschaft folgen, hat schließlich vor allem leicht nachvollziehbare rationale Gründe – und diese kennen alle, die bei der Bahn arbeiten: Personalmangel, schlechte Arbeitsbedingungen, Schichtdienste, Überstunden. Hinzu kommt die Inflation angesichts von Gehältern, die auch bei der Bahn nicht üppig ausfallen, wenn man nicht gerade im Vorstand sitzt. Und schließlich müssen die Beschäftigten alle Mängel des wegen jahrzehntelanger Einsparungen ausgedünnten, ausgezehrten Systems Bahn auch noch ausbaden – sei es durch Überstunden und Stress, sei es, indem sie den berechtigten Unmut der Kund:innen stellvertretend für jene entgegennehmen müssen, die für die Misere der Bahn verantwortlich sind.

Am Scheideweg?

Die Verschärfung des Arbeitskampfes stellt zweifellos die richtige Antwort auf die Hinhaltetaktik des Bahnvorstandes dar. Die „großzügigen Verhandlungsangebote“ der Deutschen Bahn sollen vor allem in der Öffentlichkeit Entgegenkommen signalisieren. Von einer 35-Stunde-Woche und Verhandlungen für weitere Beschäftigtengruppen will sie partout nichts wissen – und ihre Ignoranz wird sie im Zweifel wahrscheinlich versuchen, vor Gerichten mit Verweis auf das Gesetz zur Tarifeinheit durchzusetzen.

Um selbst nicht als „stur“ dazustehen, hat die GDL ihrerseits noch am 22. Januar einen Kompromissvorschlag vorgelegt, den die Bahn jedoch als „Maximalforderung“ abgetan hat. Dabei geht es der GDL-Führung allem Verbalradikalismus Weselskys zum Trotz durchaus um einen Kompromiss, der sich an den Abschlüssen bei Netinera Deutschland (u. a. ODEG und vlexx; Töchter der italienischen Staatsbahn Trenitalia), metronom und Go-Ahead orientiert.

Ab 2028 kommen dort die 35-Stunden-Woche, bis dahin schrittweise Anpassung der Arbeitszeit, eine Inflationsausgleichsprämie über 3.000 Euro in zwei Schritten, eine Entgelterhöhung 2024 in zwei Schritten um brutto 420 Euro, Zuschläge +5 %. Die Entgeltlaufzeit beträgt 24 Monate, die Laufzeit der Arbeitszeit geht bis Ende 2027. Erkauft wird das Ganze wohl damit, dass das Wahlmodell mit zusätzlichem Urlaub wegfällt – die kürzere Arbeitszeit bringt unterm Strich zwar mehr Freizeit, aber eben bestimmt durch Dienstpläne und nicht nach den selbst ausgewählten Urlaubszeiträumen, wobei über diese letztlich auch die Disponent:innen und Personaleinsatzplaner:innen entscheiden.

Das zeigt, dass die GDL durchaus kompromissbereit wäre, und der Wegfall des Wahlmodells für zusätzlichen Urlaub wird sich für viele Kolleg:innen noch als echter Rückschlag entpuppen. Bei der Bahn wird der Kampf freilich heiß, weil die GDL auch in ihrem Wirkungsbereich durch das Tarifeinheitsgesetz eingeschränkt blieben soll. Während sie bei den Privatbahnen längst als „verlässliche“ und auf Geheimverhandlungen setzende Sozialpartnerin anerkannt ist, ist die EVG bei der Bahn Sozialpartnerin Nr. 1. Die GDL muss sich dort kämpferischer und militanter geben, als ihre Führung es letztlich sein will.

Doch genau deshalb birgt der Kampf Konfliktpotential, das ihn weiter treiben kann, als es beiden Seiten – Bahnvorstand und GDL-Führung – lieb ist. Nachdem beide Seiten der anderen Unversöhnlichkeit vorwerfen, lässt sich schwer vermitteln, wenn sie doch über die „Provokation“ der anderen Seite verhandeln. Ein Abschluss, den beide als „Sieg“ verkaufen können, rückt damit in die Ferne, auch wenn natürlich beide für solche „Wendungen“ jederzeit gut sind, beispielsweise durch eine „neutrale Vermittlung“, die „alles“ zum Gesprächsgegenstand erklärt.

Daher stellt sich für die GDL-Mitglieder und Streikenden, aber in Wirklichkeit für alle Beschäftigten bei der Bahn (und letztlich auch weit darüber hinaus), die Frage, wie es nach dem Streik weitergehen soll.

Die Taktik der GDL auf, wenn auch mehrtätige, so doch befristete Streiks zu setzen, wird früher oder später an eine Grenze stoßen. Ob der Bahnvorstand das ausreizen will, ist zwar ungewiss, aber nicht unmöglich. Hinzu kommt, dass sich die Führung der EVG bei der Bahn einmal mehr gegenüber den streikenden GDLer:innen extrem unsolidarisch verhält, diese bei den Kolleg:innen anschwärzt, und EVGler:innen, die sich mit dem GDL-Streik offen solidarisieren, wie die EVG-Betriebsgruppe DB Systel Frankfurt, madig macht.

Der EVG-Vorstand wiederholt die Politik der GDL-Führung, die auch jede Solidarisierung ablehnte mit den EVG-Warnstreiks ablehnte und diese trotz Streikverbots als „Schmierentheater“ denunzierte. Hinsichtlich der Spaltung der Belegschaft kann sich der DB-Vorstand jedenfalls auf „seine“ Gewerkschaftsführer:innen verlassen.

Volle Kampfkraft für die Forderungen!

Für die Streikenden der GDL stellt sich als die Frage, wie sichergestellt wird, dass die volle Kampfkraft für sämtliche Forderungen – 35 Stunden Woche, 555 Euro monatlich, 3.000 Euro Einmalzahlung bei einer Laufzeit von 12 Monaten – eingesetzt werden kann. Das erfordert einen unbefristeten Streik. Und es erfordert die Kontrolle der Streikenden über den Arbeitskampf und etwaige Verhandlungen – also regelmäßige Vollversammlungen, Wahl, Abwählbarkeit und Rechenschaftspflicht der Streikleitungen und vor allem auch der Verhandlungskommission. Schließlich müssen die Beschäftigen entscheiden, ob sie ihre Forderungen erstreiken wollen oder sich zu einem Kompromiss wie bei den Privatbahnen gezwungen sehen. In jeden Fall darf das nicht von der Verhandlungskommission oder Weselsky im Alleingang entschieden werden.

Für die Beschäftigen der Bahn und vor allem für die EVG-Mitglieder muss die Parole lauten: Solidarität mit dem GDL-Streik! EVG-Mitglieder können und sollen sich auch beteiligen, sie dürfen sich in keinem Fall als Streikbrecher:innen missbrauchen lassen. Kämpferische und solidarische Gewerkschafter:innen sollten in ihren Betriebsgruppen ähnliche Beschlüsse fassen wie die EVG-Betriebsgruppe DB Systel Frankfurt und den EVG-Vorstand mit der Forderung bombardieren, sich mit der GDL zu solidarisieren. Das gilt natürlich auch für sämtliche anderen DGB-Gewerkschaften.

Bei der Bahn ist das aber besonders wichtig, weil ein GDL-Erzwingungsstreik auch die Solidarität aller Beschäftigen, aller Gewerkschafter:innen brauchen wird. In der EVG und unter den Bahnbeschäftigten braucht es Versammlungen von Abteilungen und Betriebsgruppen, um nicht nur die Solidarität mit der GDL zu erklären, sondern auch die Forderung zu erheben, selbst den Kampf um eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich für den gesamten Konzerne aufzunehmen, so also den Kampf und die Streikfront direkt auszuweiten – und letztlich auch gemeinsame, gewerkschaftsübergreifende Streikkomitees zu bilden.

Tarifauseinandersetzung zu gesellschaftlichem Kampf machen!

Eine solche Solidarisierung ist auch aus einem anderen Grund unerlässlich. Gegen den 6-tägigen Streik machen mittlerweile fast alle bürgerlichen Medien, die Vertreter:innen der Ampel wie die bürgerlichen und rechten Oppositionsparteien Stimmung. Täglich „erfahren“ wir, dass der Streik nicht nur „die Wirtschaft“ maßlos schädige, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung finde, dass das alles jetzt „zu weit ginge“.

Verkehrsminister Wissing macht sich für eine Schlichtung stark, so dass endlich verhandelt werden könne. Die Tagesschau fordert in einem Kommentar, „der Gesetzgeber sollte dem Treiben langsam Grenzen setzen, damit Millionen Bahnkunden nicht länger die Leidtragenden sind.“ Die CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), Gitta Connemann, macht die GDL nicht nur als eindeutig Schuldige aus, sondern fordert auch gleich eine Einschränkung des Streikrechts durch verpflichtende Schlichtung bei kritischer Infrastruktur.

Diese Forderungen und Drohungen sind nur der Vorgeschmack darauf, was kommt, wenn die GDL einen unbefristeten Streik ausrufen würde. Diesem Druck können die GDL-Mitglieder und Streikenden letztlich nur standhalten, wenn sich die Bahnbeschäftigten, aber auch alle anderen Gewerkschaften mit ihnen solidarisieren und Solidaritätskomitees aufbauen, die gegen die Stimmungsmache der Herrschenden Gegenöffentlichkeit schaffen, die Pendler:innen, Kund:innen, letztlich die gesamte Bevölkerung durch Kundgebungen, Demonstrationen, Flugblätter, Arbeit in sozialen Medien aufklären.

Das würde aber erfordern, dass der Arbeitskampf nicht nur als reiner Tarifkampf betrieben wird, sondern als gesellschaftliche Auseinandersetzung, die auch jeder Privatisierung und weiteren kapitalistischen „Bahnreform“ den Kampf ansagt, für massive Investitionen in den Betrieb und in Personal sowie kostenlosen öffentlichen Nahverkehr eintritt, finanziert aus der Besteuerung der Reichen und Gewinne der privaten Großkonzerne!




GDL-Streik: Volle Durchsetzung der Forderungen, oder?

Leo Drais, Neue Internationale 280, Februar 2023

Seit dem 10. Januar legten die Mitglieder der GDL bundesweit für drei Tage den Bahnverkehr lahm. Die Streikfront stand fest, fast nichts ging mehr bei der Bahn. Denn die Beschäftigten mussten in den letzten Jahren nicht nur Reallohneinbußen hinnehmen, sondern vor allem die Arbeitsbedingungen sind angesichts von Schichtarbeit, Überstunden Streik und Kampf der Gewerkschafter:innen verdienen die Solidarität und Unterstützung der gesamten Arbeiter:innenklasse – auch der DGB-Gewerkschaften!

Wie bei jedem Arbeitskampf bei der Bahn, also auch den Warnstreiks der EVG, hat es sich der Konzern auch diesmal nicht nehmen lassen, zu sabotieren, herauszuzögern und die GDL vors Arbeitsgericht zu zerren. Im Unterschied zum verbotenen EVG-Streik im vergangenen Sommer war die Staatsjustiz der GDL erst- wie zweitinstanzlich wohlgesonnener und erlaubte den Streik, was sicher auch an der rechtlich besseren Absicherung der GDL liegt.

Sie hatte – und darin unterscheidet sie sich bei der Bahn positiv von den Tarifrundenritualen der DGB-Gewerkschaften – die Verhandlungen schnell eskalieren lassen und eine Urabstimmung durchgeführt. Nach dem Weihnachtsfrieden wurde gestreikt – nicht unbefristet und nicht, ohne am Montag und Dienstag die An- und Abreise für die rechten Apparatschiks des deutschen Beamtenbundes (die GDL ist hier Mitgliedsgewerkschaft) zur Jahrestagung in Köln sichergestellt zu haben. Man bestreikt sich ja nicht selbst, sprich, den eigenen Apparat. So wichtig die Solidarität mit dem Streik, so wenig sollten wir freilich blauäugig sein gegenüber der Politik der GDL-Führung.

Volle Durchsetzung der Forderungen oder des Netinera-Abschlusses?!

Das Paket „Fünf für Fünf“ (fünf Forderungen für fünf Berufsgruppen), mit dem die GDL ins Rennen ging, belief sich auf 555 Euro mehr in der Tabelle, darunter deutliche Entgelterhöhung für Azubis; Zulagen + 25 %; 35-Stunden-Woche für Schichtarbeitende (inkl. Wahlrecht für Beschäftigte zwischen 40- und 35-Stundenwoche); Inflationsausgleichsprämie 3.000 Euro; 5-Schichten-Woche, 5 % Arbeit„geber“:innenanteil für die betriebliche Altersversorgung; nach 5 Schichten, spätestens nach 120 Stunden, muss der nächste Ruhetag beginnen (Mindestfrei: 48 Stunden); 12 Monate Laufzeit.

Doch wird das jetzt durch einen Erzwingungsstreik durchgesetzt? Nein. Bereits jetzt ist klar, dass die Abschlüsse bei Netinera-Deutschland (u a. ODEG und vlexx; Töchter der italienischen Staatsbahn Trenitalia), metronom und Go-Ahead als Vorbilder dienen sollen.

Was steht dort drin? Ab 2028 kommt die 35-Stunden-Woche, bis dahin schrittweise Anpassung der Arbeitszeit; eine Inflationsausgleichsprämie über 3.000 Euro in zwei Schritten; eine Entgelterhöhung 2024 in zwei Schritten um brutto 420 Euro; Zuschläge +5 %. Die Entgeltlaufzeit beträgt 24 Monate, die der Arbeitszeit geht bis Ende 2027. Erkauft wird das Ganze wohl damit, dass das Wahlmodell mit zusätzlichem Urlaub wegfällt – die kürzere Arbeitszeit bringt unterm Strich zwar mehr Freizeit, aber eben bestimmt durch Dienstpläne und nicht nach den selbst ausgewählten Urlaubszeiträumen, wobei über diese letztlich auch die Disponent:innen und Personaleinsatzplaner:innen entscheiden.

Und auch wenn das Ganze sicher kein vollendeter Verrat ist, ist es mit Sicherheit auch kein „historischer Abschluss“, wie die GDL titelt. Die Reallohnverluste der vergangenen drei Jahre werden damit nicht ausgeglichen werden. Die Streikbeteiligung bei DB, Transdev und City-Bahn dürfte trotzdem hoch sein, während bei Netinera kein:e Kolleg:in die Möglichkeit hatte, über den „historischen Abschluss“ in einer Urabstimmung zu entscheiden. Die sonst so laute GDL-Spitze rühmt sich hier damit, dass sie auch leise könne. Am Ende ist sie eben eine Sozialpartnerin wie andere Gewerkschaften auch. Netinera warb Lokführer:innen sogar damit, dass Claus Weselsky ODEG fahren würde, wäre er noch Lokführer.

Bis zum 20. Januar hat die GDL weitere ähnliche Tarifverträge mit Abellio Rail und anderen privaten Unternehmen abgeschlossen. Während Weselsky durchaus zu Recht über den Bahnvorstand herzieht, überhäuft er die privaten Bahnunternehmen mit Lob. „Alle Unternehmen haben lösungsorientiert gehandelt und so die Abschlüsse ermöglicht“, heißt es in einer Pressemitteilung vom 19. Januar. Kurzum, wird die GDL als echte Sozialpartnerin anerkannt, braucht es auch keine Streiks. Dann reicht in guter deutscher Manier ein Verhandlungsmarathon.

Nach den Warnstreiks vom Januar hat die Bahn AG ein neues Verhandlungsangebot vorgelegt, auf das bei Drucklegung noch keine Reaktion der GDL vorliegt. Deutlich ist jedoch eines: Der GDL geht es nicht um die Durchsetzung der vollen Forderungen bei der Bahn, sondern darum, dass diese die Abschlüsse der privatisierten Konkurrenz übernimmt.

Linke sollten also keine Illusionen hegen. Auch bei der GDL gibt es weder Streikdemokratie noch jederzeit wähl- und abwählbare Gremien. Gerade deshalb müssten wir fordern: volle Durchsetzung der Forderungen durch einen unbefristeten Erzwingungsstreik. Das wäre im sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftssumpf der BRD in der Tat mal historisch.

Nur Tarif?

Trotzdem muss man natürlich anerkennen, dass die Abschlüsse der GDL besser sind als die der EVG. Wie schon in der Vergangenheit erscheint Letztere als Konkurrentin, der es Mitglieder abzuluchsen gilt. Dass die DB weiterhin das schändliche Tarifeinheitsgesetz anwendet, gießt hier weiter Öl ins Feuer – war das Gesetz nicht zuletzt auch von DGB-/SPD-Spitzen durchgesetzt worden. Auch der EVG-Vorsitzende Burkert hatte dem als Bundestagsabgeordneter zugestimmt.

Dass die GDL als kämpferischer Stern am deutschen Gewerkschaftshimmel prangt, liegt zum einen an ihren in Relation zu anderen Abschlüssen betrachteten vergleichsweise guten Erfolgen. Es ist aber eben eine relative Betrachtungsweise, in der eigentliche Eisenbahnzerstörer:innen und sozialpartnerschaftliche Füße-Stillhalter:innen – nichts anderes ist auch die Spitze der GDL – als Held:innen erscheinen, weil die EVG-Spitze und ihre Vorgänger:innen bei Transnet (Stichwort Norbert Hansen) einfach noch beschissener waren.

Es gehört zu den Paradoxien des deutschen Klassenfriedens, dass CDU-Mitglied Claus Weselsky sich mit einer angehaucht klassenkämpferischen Rhetorik als glaubwürdigster Arbeiter:innenführer stilisieren konnte. Dass die CDU eine wesentliche Zerstörerin der Eisenbahn in Deutschland war, 16 Jahre die Union das Autoministerium führte, sie das Tarifeinheitsgesetz mit verabschiedet hat – all das hat ihn nie sein Parteibuch abgeben lassen.

Und das ist kein Zufall. Im Verständnis des großen Vorsitzenden Claus ist der Markt gar nicht das Problem für die Bahn, solange es Gewerkschaften gibt, die für einen „fairen“ Preis der Ware Arbeitskraft sorgen. Dass die GDL da im vergangenen Sommer mit der „Fair-Train e. G.“ eine eigene Leiharbeitsfirma gegründet hat, ist nur folgerichtig.

Auch wenn es Claus Weselsky bestreitet – die GDL ist auch eine politische Kraft. Sie ist für die weitere Zerschlagung des Eisenbahnsystems, sprich der DB. Die GDL hat kein Problem mit hunderten EVU (Eisenbahnverkehrsunternehmen), solange diese mit ihr Abschlüsse tätigen. Doch genau diese hunderte EVU sind Teil der Eisenbahnkrise in Deutschland – nicht nur die verfluchte DB. Scheiße bleibt Scheiße, auch wenn man sie noch weiter aufteilt.

Zudem verschwimmt hinter Weselskys gewerkschaftlicher Rolle sein leidenschaftlicher Konservatismus. Er beriet das AfD-Absprengsel Bündnis Deutschland und eine Distanzierung von AfD-Mitgliedern in den eigenen Reihen lehnt er ab – das sei nicht Aufgabe der Gewerkschaften.

Natürlich ist die GDL mehr als nur Claus Weselsky. Die Ortsgruppe der S-Bahn-Berlin ist vergleichsweise links und die GDL Mitglieder allgemein spiegeln wahrscheinlich einfach durchschnittliches gewerkschaftliches Bewusstsein wider, was, bedingt durch das Charisma ihres Vorsitzenden und die passablen Abschlüsse, stolz auf seine Mitgliedschaft ist. Mit dem baldigen Ruhestand Weselskys stellt sich hier die Frage, wer in seine großen Fußstapfen folgen soll. Ob es wirklich Mario Reiß wird, bleibt abzuwarten – jüngst kam heraus, dass er es war, der als GDL-Mitglied im Aufsichtsrat des sonst so verfluchten DB-Konzerns 2022 zugestimmt hatte, die Vergütung des DB-Vorstandes zu erhöhen, während die GDL sonst nicht müde wird, die Bonuszahlungen von Lutz, Seiler und Co. anzuprangern. Nicht genug damit – die Mitgliedschaft wurde obendrein belogen und die Zustimmung zu den Vorstandsgehältern den Aufsichtsratsmitgliedern der EVG in die Schuhe geschoben (die ihrerseits auch nicht den Arsch in der Hose hatten, abzulehnen, sondern sich bloß zu enthalten).

Eine Gewerkschaft, eine Eisenbahn

Natürlich verdient die GDL, verdienen die Kolleg:innen unsere Solidarität, erst recht die der EVG-Mitglieder. Eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wäre definitiv ein Zugewinn, erst recht in einem von Wechselschichtarbeit geprägten Berufsleben. Gegen die Angriffe des DB-Konzerns, der nicht nur den Streik mit einer einstweiligen Verfügung stoppen wollte, sondern mit Verweis auf „Fair-Train e. G.“ der GDL auch generell die Tariffähigkeit richterlich absprechen lassen will, gehört jene verteidigt.

Zugleich dürfen wir nicht kritiklos in den „Claus, Claus, Claus“-Chor einstimmen. Politisch ist die GDL die rechtere der beiden Bahngewerkschaften. Strukturell undemokratisch ist sie ähnlich wie die EVG, vielleicht noch eine Spur autoritärer. Wer einfach nur das bessere Angebot für den eigenen Geldbeutel sucht, wird vielleicht zur GDL gehen, vielleicht auch nicht, je nach Tarifeinheitsgesetz und DB-Betrieb.

Wer jedoch wirklich eine funktionierende Bahn mit guten Löhnen und selbstbestimmter Organisation haben will, muss einen Kampf in GDL wie EVG für eine einzige, basisdemokratische Verkehrsgewerkschaft führen. Anstatt sich gegeneinander aufzubringen oder aufbringen zu lassen, sollten sich die Basiseinheiten beider Gewerkschaften mal zusammentun und darüber diskutieren: Was für eine Bahn, was für eine Gewerkschaft brauchen und wollen wir? Viele private EVU auf marodem Netz oder doch eine staatliche europäische Bahn ohne Profitzwang? Mit einer Gewerkschaft, die sich nicht nur auf Tarif konzentriert, sondern beginnt, in der Organisation der Eisenbahn und der Verkehrswende eine entscheidende Rolle in Planung, Bau und Betrieb zu spielen, indem sie für Arbeiter:innenkontrolle über die Bahn kämpft.

Auf dem Weg dahin liegt noch nicht mal der Schotter, geschweige denn ein befahrbares Gleis. Wir müssten es selbst bauen. Und große Vorsitzende werden uns dann im auch im Weg stehen.




GDL-Streik: Für Fünf für Fünf – oder was?

Leo Drais, Infomail 1241, 11. Januar 2024

Seit dem 10. Januar legen die Mitglieder der GDL bundesweit für drei Tage den Bahnverkehr lahm. Die Streikfront steht. Denn die Beschäftigten mussten in den letzten Jahren nicht nur Reallohneinbußen hinnehmen, sondern vor allem die Arbeitsbedingungen sind angesichts von Schichtarbeit, Überstunden und Personalmangel schier unerträglich. Der Streik und der Kampf der Gewerkschafter:innen verdient die Solidarität und Unterstützung der gesamten Arbeiter:innenklasse – auch der DGB-Gewerkschaften!

Wie bei jedem Arbeitskampf bei der Bahn, also auch den Warnstreiks der EVG, hat es sich der Konzern auch diesmal nicht nehmen lassen, zu sabotieren, herauszuzögern und die GDL vors Arbeitsgericht zu zerren. Im Unterschied zum verbotenen EVG-Streik im vergangenen Sommer war die Staatsjustiz der GDL erst- wie zweitinstanzlich wohlgesonnener und erlaubte den Streik, was sicher auch an der rechtlich besseren Absicherung der GDL liegt. Sie hatte – und darin unterscheidet sie sich bei der Bahn positiv von den Tarifrundenritualen der DGB-Gewerkschaften – die Verhandlungen schnell eskalieren lassen und eine Urabstimmung durchgeführt. Nun ist der Weihnachtsfrieden vorbei und es wird gestreikt – nicht unbefristet und nicht, ohne am Montag und Dienstag die An- und Abreise für die rechten Apparatschiks des deutschen Beamtenbundes (die GDL ist hier Mitgliedsgewerkschaft) zur Jahrestagung in Köln sichergestellt zu haben. Man bestreikt sich ja nicht selbst, sprich, den eigenen Apparat. So wichtig die Solidarität mit dem Streik, so wenig sollten wir freilich blauäugig sein gegenüber der Politik der GDL-Führung.

Volle Durchsetzung der Forderungen oder des Netinera-Abschlusses?!

Das Paket „Fünf für Fünf“ (fünf Forderungen für fünf Berufsgruppen), mit dem die GDL ins Rennen ging, belief sich auf 555 Euro mehr in der Tabelle, darunter deutliche Entgelterhöhung für Azubis; Zulagen + 25 %; 35-Stunden-Woche für Schichtarbeitende (inkl. Wahlrecht für Beschäftigte zwischen 40- und 35-Stundenwoche); Inflationsausgleichsprämie 3.000 Euro; 5-Schichten-Woche, 5 % Arbeit„geber“:innen-Anteil für die betriebliche Altersversorgung; nach 5 Schichten, spätestens nach 120 Stunden, muss der nächste Ruhetag beginnen (Mindestfrei: 48 Stunden); 12 Monate Laufzeit.

Doch wird das jetzt durch einen Erzwingungsstreik durchgesetzt? Nein. Bereits jetzt ist klar, dass die Abschlüsse bei Netinera-Deutschland (u a. ODEG und vlexx; Töchter der italienischen Staatsbahn Trenitalia), metronom und Go-Ahead als Vorbilder dienen sollen.

Was steht dort drin? Ab 2028 kommt die 35-Stunden-Woche, bis dahin schrittweise Anpassung der Arbeitszeit; eine Inflationsausgleichsprämie über 3.000 Euro in zwei Schritten; eine Entgelterhöhung 2024 in zwei Schritten um brutto 420 Euro; Zuschläge +5 %. Die Entgeltlaufzeit beträgt 24 Monate, die der Arbeitszeit geht bis Ende 2027. Erkauft wird das Ganze wohl damit, dass das Wahlmodell mit zusätzlichem Urlaub wegfällt – die kürzere Arbeitszeit bringt unterm Strich zwar mehr Freizeit, aber eben bestimmt durch Dienstpläne und nicht nach den selbst ausgewählten Urlaubszeiträumen, wobei über diese letztlich auch die Disponent:innen und Personaleinsatzplaner:innen entscheiden.

Und auch wenn das Ganze sicher kein vollendeter Verrat ist, ist es mit Sicherheit auch kein „historischer Abschluss“, wie die GDL titelt. Die Reallohnverluste der vergangenen drei Jahre werden damit nicht ausgeglichen werden. Die Streikbeteiligung bei DB, Transdev und City-Bahn dürfte trotzdem hoch sein, während bei Netinera kein:e Kolleg:in die Möglichkeit hatte, über den „historischen Abschluss“ in einer Urabstimmung abzustimmen. Die sonst so laute GDL-Spitze rühmt sich hier damit, dass sie auch leise könne. Am Ende ist sie eben eine Sozialpartnerin wie andere Gewerkschaften auch. Netinera warb Lokführer:innen sogar damit, dass Claus Weselsky ODEG fahren würde, wäre er noch Lokführer. Linke sollten hier keine Illusionen hegen. Auch bei der GDL gibt es weder Streikdemokratie noch jederzeit wähl- und abwählbare Gremien. Gerade deshalb müssten wir fordern: volle Durchsetzung der Forderungen durch einen unbefristeten Erzwingungsstreik. Das wäre im sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftssumpf in der BRD in der Tat mal historisch.

Nur Tarif?

Trotzdem muss man natürlich anerkennen, dass die Abschlüsse der GDL besser sind als die der EVG. Wie schon in der Vergangenheit erscheint sie als Konkurrentin, der es Mitglieder abzuluchsen gilt. Dass die DB weiterhin das schändliche Tarifeinheitsgesetz anwendet, gießt hier weiter Öl ins Feuer – war das Gesetz nicht zuletzt auch von DGB-/SPD-Spitzen durchgesetzt worden. Auch der EVG-Vorsitzende Burkert hatte dem als Bundestagsabgeordneter zugestimmt.

Dass die GDL als kämpferischer Stern am deutschen Gewerkschaftshimmel prangt, liegt zum einen an ihren in Relation zu anderen Abschlüssen betrachteten vergleichsweise guten Erfolgen. Es ist aber eben eine relative Betrachtungsweise, in der eigentliche Eisenbahnzerstörer:innen und sozialpartnerschaftliche Füße-Stillhalter:innen – nichts anderes ist auch die Spitze der GDL – als Held:innen erscheinen, weil die EVG-Spitze und ihre Vorgänger:innen bei Transnet (Stichwort Norbert Hansen) einfach noch beschissener waren.

Es gehört zu den Paradoxien des deutschen Klassenfriedens, dass CDU-Mitglied Claus Weselsky sich mit einer angehaucht klassenkämpferischen Rhetorik als glaubwürdigster Arbeiter:innenführer stilisieren konnte. Dass die CDU eine wesentliche Zerstörerin der Eisenbahn in Deutschland war, 16 Jahre die Union das Autoministerium führte, sie das Tarifeinheitsgesetz mit verabschiedet hat – all das hat ihn nie sein Parteibuch abgeben lassen.

Und das ist kein Zufall. Im Verständnis des großen Vorsitzenden Claus ist der Markt gar nicht das Problem für die Bahn, solange es Gewerkschaften gibt, die für einen „fairen“ Preis der Ware Arbeitskraft sorgen. Dass die GDL da im vergangenen Sommer mit der „Fair-Train e. G.“ eine eigene Leiharbeitsfirma gegründet hat, ist nur folgerichtig.

Auch wenn es Claus Weselsky bestreitet – die GDL ist auch eine politische Kraft. Sie ist für die weitere Zerschlagung des Eisenbahnsystems, sprich der DB. Die GDL hat kein Problem mit hunderten EVU, solange diese mit iht Abschlüsse tätigen. Doch genau diese hunderte EVU sind Teil der Eisenbahnkrise in Deutschland – nicht nur die verfluchte DB. Scheiße bleibt Scheiße, auch wenn man sie noch weiter aufteilt.

Zudem verschwimmt hinter Weselskys gewerkschaftlicher Rolle sein leidenschaftlicher Konservatismus. Er beriet das AfD-Absprengsel Bündnis Deutschland und eine Distanzierung von AfD-Mitgliedern in den eigenen Reihen lehnt er ab – das sei nicht Aufgabe der Gewerkschaften.

Natürlich ist die GDL mehr als nur Claus Weselsky. Die Ortgruppe der S-Bahn-Berlin ist vergleichsweise links und die GDL Mitglieder allgemein spiegeln wahrscheinlich einfach durchschnittliches gewerkschaftliches Bewusstsein wider, was durch das Charisma ihres Vorsitzenden und die passablen Abschlüsse stolz auf seine Mitgliedschaft ist. Mit dem baldigen Ruhestand Weselskys stellt sich hier die Frage, wer in seine große Fußstapfen folgen soll. Ob es wirklich Mario Reiß wird, bleibt abzuwarten – jüngst kam heraus (https://www.youtube.com/watch?v=b4DaFhOzaL0), dass er es war, der als GDL-Mitglied im Aufsichtsrat des sonst so verfluchten DB-Konzerns 2022 zugestimmt hatte, die Vergütung des DB-Vorstandes zu erhöhen, während die GDL sonst nicht müde wird, die Bonuszahlungen von Lutz, Seiler und Co. anzuprangern. Nicht genug damit – die Mitgliedschaft wurde obendrein belogen und die Zustimmung zu den Vorstandsgehältern den Aufsichtsratsmitgliedern der EVG in die Schuhe geschoben (die ihrerseits auch nicht den Arsch in der Hose hatten, abzulehnen, sondern sich bloß zu enthalten).

Eine Gewerkschaft, eine Eisenbahn

Natürlich verdient die GDL, verdienen die Kolleg:innen unsere Solidarität, erst recht die der EVG-Mitglieder. Eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wäre definitiv ein Zugewinn, erst recht in einem von Wechselschichtarbeit geprägten Berufsleben. Gegen die Angriffe des DB-Konzerns, der nicht nur den Streik mit einer einstweiligen Verfügung stoppen wollte, sondern mit Verweis auf „Fair-Train e. G.“ der GDL auch generell die Tariffähigkeit richterlich absprechen lassen will, gehört jene verteidigt.

Zugleich dürfen wir nicht kritiklos in den „Claus, Claus, Claus“-Chor einstimmen. Politisch ist die GDL die rechtere der beiden Bahngewerkschaften. Strukturell undemokratisch ist sie ähnlich wie die EVG, vielleicht noch eine Spur autoritärer. Wer einfach nur das bessere Angebot für den eigenen Geldbeutel sucht, wird vielleicht zur GDL gehen, vielleicht auch nicht, je nach Tarifeinheitsgesetz und DB-Betrieb.

Wer jedoch wirklich eine funktionierende Bahn mit guten Löhnen und selbstbestimmter Organisation haben will, muss einen Kampf in GDL wie EVG für eine einzige, basisdemokratische Verkehrsgewerkschaft führen. Anstatt sich gegeneinander aufzubringen oder aufbringen zu lassen, sollten sich die Basiseinheiten beider Gewerkschaften mal zusammentun und darüber diskutieren: Was für eine Bahn, was für eine Gewerkschaft brauchen und wollen wir? Viele private EVU auf marodem Netz oder doch eine staatliche europäische Bahn ohne Profitzwang? Mit einer Gewerkschaft, die sich nicht nur auf Tarif konzentriert, sondern beginnt, in der Organisation der Eisenbahn und der Verkehrswende eine entscheidende Rolle in Planung, Bau und Betrieb zu spielen, indem sie für Arbeiter:innenkontrolle über die Bahn kämpft.

Auf dem Weg dahin liegt noch nicht mal der Schotter, geschweige denn ein befahrbares Gleis. Wir müssten es selbst bauen. Und große Vorsitzende werden uns dann im auch im Weg stehen.




GDL-Tarifrunde Deutsche Bahn: Fünf für Fünf und ein Claus Weselsky

Leo Drais, Neue Internationale 278, November 2023

Es wird sein großer Auftritt zum Schluss. Die anstehende Tarifrunde bei der Deutschen Bahn soll die letzte für den Vorsitzenden und Verhandlungsführer der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) sein. Danach will der frühere Lokführer in den Ruhestand gehen. Bis dahin ist eine harte Tarifauseinandersetzung zu erwarten.

Forderungen

Das Paket sieht wie folgt aus: 555 Euro mehr in der Tabelle, darunter deutliche Entgelterhöhung für Azubis; Zulagen + 25 %; 35-Stunden-Woche für Schichtarbeitende (inkl. Wahlrecht für Beschäftigte zwischen 40- und 35-Stundenwoche); Inflationsausgleichsprämie 3.000 Euro; 5-Schichten-Woche, 5 % Arbeit„geber“:innenanteil für die betriebliche Altersversorgung; nach 5 Schichten, spätestens nach 120 Stunden, muss der nächste Ruhetag beginnen (Mindestfrei: 48 Stunden); 12 Monate Laufzeit.

Die Antwort des DB-Personalvorstandes Martin Seiler, seines Zeichens früherer Betriebsrat der Deutschen Post (also einer, der sich damit auskennt), war ein erwartbares Geheul, dass die DB damit 10.000 neue Fachkräfte zusätzlich bräuchte (gut wär’s!). Er schlug dann vor, von Anfang an eine moderierte Verhandlung zu führen, was Weselsky ebenso erwartbar ablehnte.

Hinter den Kulissen stehen die Zeichen natürlich lange nicht so auf Sturm, wie sich nach außen gegeben wird. Da ist von vorneherein klar, dass das, was gefordert wurde, nicht erreicht wird und auch gar nicht erreicht werden will, auch nicht von Claus Weselsky. Dafür sind die Forderungen der Basis wie etwa der Ortsgruppe bei der S-Bahn Berlin (30 % mehr, besondere Altersteilzeit ab 50 für Schichtarbeitende sowie das tarifvertragliche Recht der Kriegsdienstverweigerung am Zug für alle Bahnbeschäftigten) geflissentlich in Schubladen verschwunden.

Streiken, verhandeln, Claus

Natürlich werden Streiks stattfinden, allein schon, weil die Vorstellungen von DB und GDL weit auseinander liegen. Zudem waren sie immer Teil des Waffenarsenals der GDL in den letzten 15 Jahren und weiterhin sind sie bereits angedroht worden, auch, um die eigenen Mitglieder einzustimmen. Entscheidend ist die Frage: Wird es einen Erzwingungsstreik geben und wenn ja, wie viele Zugeständnisse wird es der DB gegenüber am Ende trotzdem geben? Und kann so ein Streik durchgehalten werden?

Die Motivation dafür dürfte hoch sein. Die Inflation schlägt ins Kontor, die Arbeitsbedingungen entsprechen der Pünktlichkeit und dann ist da die sowieso vorhandene, grundsätzlich kämpferischere Haltung der GDL. Und dann ist da noch die Konkurrenz zur EVG. Für Claus Weselsky und die Führung der GDL ist sie ein Ziel wiederholter verbaler Angriffe und negativer Profilierung. Auch wenn an der Inflation gemessen die GDL ebenfalls eine „Einkommensverringerungsgewerkschaft“ in den letzten Jahren war (und es wird sehr schwer, dies diesmal nicht auch zu sein), so wirft der große Claus vor allem der EVG vor, dies zu sein.

Zweifellos hat die GDL viel rausgeholt, was die EVG dann nachgetragen bekommen hat. Ihre kämpferische Haltung ist glaubwürdiger und der Vorsitzende Weselsky schafft es, sich mit einer gewissen schrulligen Note mitgliedernah zu geben – gepaart mit einem gehörigen Schuss Populismus. Selbst die bürgerliche Presse, deren liebster Feind er war, beginnt nun, mit der Gewissheit, ihn bald los zu sein, ihm kleine Denkmäler zu bauen und ihn anerkennend eine Kultfigur zu nennen. Die GDL ist vor allem er. Sein wahrscheinlicher Nachfolger Mario Reiß wird es trotz sächsischen Akzents und angedeutetem Schnauzer schwer haben, es ihm gleichzutun.

Und so ist der Apparat auch auf die Spitze der GDL zugeschnitten, sowohl strukturell als auch personell. Die Sekretär:innen sind noch mehr als etwa in der EVG Weisungsempfangende von oben, was zuerst eine straffere Kontrolle bedeutet. Eine breitere Debatte über das Ergebnis der GDL-Runde wird es nicht geben. Natürlich ist Claus Weselskys Ablehnung einer moderierten Verhandlung zwar an sich richtig, aber die Begründung, nicht im Hinterzimmer verhandeln zu wollen, geheuchelt, denn in allen Tarifrunden der GDL lief es immer darauf hinaus, dass nicht nur die letzten Worte, sondern auch die ersten der Runde die Kabinette nie verließen.

Darüber hinaus schwingt natürlich die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes durch die DB mit, von dem Martin Seiler nicht abrückt, das zu Fall zu bringen über einen angestrebten Kündigungstarifvertrag, ein richtiges Ziel der GDL ist. Es bedeutet eine verschärfte Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften EVG und GDL, da nur der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gilt, die die Mitgliedermehrheit in den jeweiligen DB-Betrieben stellt. In 18 Betrieben ist das die GDL, in 282 die EVG, wobei es nicht erwiesen ist, ob diese Verteilung tatsächlich den Mehrheitsverhältnissen entspricht. Die EVG war in diesem Sinne bisher tatsächlich eher eine Hausgewerkschaft, die GDL die, die sich reingekämpft hat. Um das zu erreichen, wurden nicht nur für deutsche Verhältnisse vergleichsweise harte Streiks geführt. Der Vorstand um Claus Weselsky gebärdete sich stark und zugleich opportun. Sie ist nicht nur fein damit, Rechte unter ihren Mitgliedern zu haben, sondern stellt sogar heraus, keine Abgrenzung gegen die AfD zu wollen. Das sei nicht Aufgabe einer Gewerkschaft. Diese habe schlicht gute Arbeitsbedienungen für ihre Mitglieder zu erreichen. Hier ist die GDL eindeutig reaktionärer als die EVG. Auch wenn es schwierig war, es gegen die alte, weiß-männlich geprägte Garde durchzusetzen war, gibt es in Letzterer eine gewisse Offenheit z. B. für queere Themen.

Entsprechend ist das Verhalten zu den Zerschlagungsplänen der DB. Während die EVG als „Hausgewerkschaft“ des Staatskonzerns an der Misere DB festhält, spricht sich die GDL für die Zerschlagung aus, was zwar nicht dem Eisenbahnsystem nutzt, aber die Erwartung in sich trägt, den eigenen Einfluss auszubauen. Da passt es ins Bild, eine eigene Leiharbeitsfirma mit „fair-train“ gegründet zu haben, wie wir im Artikel „GDL – Genossenschaft Deutscher Lokführer?“ im Juni auf unserer Homepage gezeigt haben.

Kaum was nehmen sich übrigens EVG und GDL beim Thema DB Cargo. Es zeichnet sich ab, dass die DB die rote Zahlen schreibende Güterzugsparte zusammenstauchen will. 1.800 Jobs sollen wegfallen, darunter 400 Triebfahrzeugführerstellen. So klappt das natürlich mit der Verkehrswende nicht. Selbst wenn flächendeckend die Schrauben- durch automatische Kupplungen ersetzt werden würden (was sinnvoll wäre!), würde der Einzelwagenverkehr in der Konkurrenz gegen die Straße kaum mithalten können. Die privaten EVU im Gütersektor konzentrieren sich entsprechend fast ausschließlich auf das Ganzzuggeschäft.

Wo bleiben da die Gewerkschaften, nicht nur in Worten dagegen zu sein, sondern dagegen zu kämpfen? Warum machten und machen sie den Erhalt von Cargo nicht zum Teil ihrer Tarifrunde? „Keine Stellenstreichung“ müsste die Parole lauten! Der Kampf um eine einzige staatliche Bahn mit guten Arbeitsbedingungen, finanziert aus massiver Besteuerung privater Profite und unter Kontrolle der Beschäftigten, wäre die Alternative. Damit wäre ein großer Pool an Lokpersonal vorhanden, was nicht erst per Taxi nach Rotterdam gefahren werden muss, um da einen Zug zu holen, der nicht fertig vorbereitet ist. Die sinnlosen und Trassen blockierenden Leerfahrten wären somit auch Geschichte.

Durchsetzen, zusammen kämpfen!

Aber zurück zur GDL-Runde. Dass eine rasche Urabstimmung angestrebt wird, ist ein gutes Zeichen und das richtige Vorgehen angesichts der Blockade durch Martin Seiler. Es gibt der GDL-Spitze jedoch auch freies Geleit. Umso wichtiger ist es, für öffentliche Verhandlungen, tägliche Streikversammlungen und eine wähl- und abwählbare Streikdelegation einzutreten – Forderungen, die angesichts der Popularität Weselskys einer Debatte bedürfen. Was soll die Selbstermächtigung, wenn es wen gibt, der das schon alles für eine/n macht?

Die Diskussion sollte vor dem Hintergrund geführt werden, warum eigentlich von Anfang an bereits hinter den Kulissen gesagt wird, dass das Geforderte nicht erreicht werden wird.

Die Tarifrunde der GDL geht aber nicht nur diese an. Die EVG darf nicht ihrerseits die Politik der Entsolidarisierung betreiben, die die GDL-Spitze während der EVG-Tarifverhandlungen führte, sie muss vielmehr jeden Streikbruch ablehnen und den Streik der GDL unterstützen. Ein Erfolg der GDL wäre schließlich einer für alle – und Solidaritätsbekundungen durch die EVG und, falls die Führung das verweigert, durch kämpferische Kolleg:innen wären ein wirklicher Schritt, die reale Entsolidarisierung bei der Bahn zu verhindern. So könnte auch die Grundlage für gemeinsame Kämpfe für höhere Einkommen, bessere Arbeitsbedingungen und kürzere Arbeitszeiten geschaffen werden – und für den kommenden Großkonflikt, nämlich gegen die Zerschlagung der Bahn.

Schließlich ist die Tarifrunde auch eine, die alle Lohnabhängigen betrifft und die wir offensiv mit der Forderung nach einem kostenlosen Nahverkehr für alle verbinden müssen, für einen ersten Schritt zu einer realen Verkehrswende im Sinne der gesamten Arbeiter:innenklasse. Die Bildung von Solidaritätskomitees mit einem GDL-Streik wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Um eine solche Perspektive bei der Bahn, EVG und GDL gegen die Vorstände, alle Bürokrat:innen, die farblosen wie die schillernden, durchzusetzen, brauchen wir Organisierung der kämpferischen und klassenbewussten Basis.

Daher: Unterstützt die Vernetzung für kämpferische Eisenbahner:innen! Tretet mit ihr in Kontakt, beteiligt Euch an deren Aufbau!




EVG-Urabstimmung: Ablehnung des Schlichtungsergebnisses!

Bahnvernetzung. Vernetzung klassenkämpferischer Eisenbahner:innen, Infomail 1229, 4. August 2023

Nach einem Monat hinter verschlossenen Türen liegt uns nun das Ergebnis des Schlichtung vor, das BuVo und Zentrale Tarifkommission uns nun zur Annahme empfehlen.

Warum wir dafür eintreten mit NEIN zu stimmen:

Viel zu lange Laufzeit!

25 Monate statt der geforderten 12—denken wir alleine daran, was in den

letzten 25 Monaten auf der Welt passierte, zeigt sich, wie fatal diese Laufzeit sein kann

Zu wenig Geld

  • erste Lohnerhöhung erst im Dezember 2023 und nur 200€

  • zweite Lohnerhöhung im August 2024 (210€)

  • dritte Lohnerhöhung schafft Spaltung nicht ab, sondern vergrößert sie teilweise

  • inflationsbereinigt ist der Abschluss noch immer ein Reallohnverlust

  • Gas: 2019-2023: +600% Lebensmittel: 2022-2023: +11%

  • gefordert waren 650 Euro— warum wird immer davon ausgegangen, das nicht zu kriegen?

Kröten, die nicht sein müssen

  • besondere Altersteilzeit von 59 auf 61

  • UBK-Wäsche ins Private ausgelagert

Viel Wind hat die EVG-Verhandlungsführung uns selbst aus den Segeln genommen, insbesondere seitdem das Frankfurter Arbeitsgericht den Warnstreik kassiert hat (was als Sieg im Thema Mindestlohn umgedeutet wurde). Viele sind unzufrieden. Damit, wie es lief, damit, was jetzt rauskam. Eine Ablehnung von – undemokratischen – 75 % kann uns den Wind zurückgeben. Zudem steht die Tarifrunde der GDL vor der Tür, viele ihrer Forderungen – z.B. eine 35 Stunden Woche – würden auch uns etwas bringen, aber die DB wird durch das Tarifeinheitsgesetz dafür sorgen, dass EVG Mitglieder nicht unter den EVG-Tarif fallen, GDL Mitglieder nicht unter den der GDL.

Anstatt uns Gegeneinander aufzustacheln und spalten zu lassen treten wir für die Zusammenarbeit zwischen EVG- und GDL-Kolleg:innen ein, wie wir das im Betrieb sowieso jeden Tag tun. Es braucht den unmittelbaren gemeinsamen Streik von beiden Gewerkschaften, dass kann nur von uns Bahner:innen selbst kommen, weder Burkert, noch Weselsky wollen das.

Auch wenn es diesmal transparenter läuft als 2020 ist das trotzdem nicht genug. Tarifkommission und zu bildende Streikkomitees müssen direkt wähl- und abwählbar sowie rechenschaftspflichtig sein, auf Betriebsversammlungen muss abgestimmt werden, wie gekämpft wird. Annahme / Ablehnung des Ergebnisses nach einfacher Mehrheit! Volle Transparenz: Wir wollen Einsicht in aller Verträge und Verhandlungsstände mit allen Unternehmen und Gewerkschaften.

Nächstes Treffen: 23.08.23 18:00 Uhr im Café Styles (Str. der Pariser Kommune 11)

Anmeldung unter: info@Bahnvernetzung.de




Nein zur Schlichtungsempfehlung

Martin Suchanek, Infomail 1229, 28. Juli 2023

„Einigung im Tarifstreit bei der Bahn absehbar“, verkündet die Tagesschau am 26. Juli. Nach mehreren Verhandlungswochen hinter verschlossenen Türen haben die Vorsitzenden der Schlichtungskommission, Prof. Heide Pfarr (SPD, von der EVG benannt) und Dr. Thomas de Maizière (CDU, von der Bahn AG ernannt), eine Empfehlung veröffentlicht. Diese sieht lt. EVG folgende fünf Punkte vor:

„1. Entgelt-Erhöhung in fast allen Bereichen um 410 Euro. Umgesetzt wird in zwei Stufen mit jeweiligem Festbetrag: Stufe eins 200 Euro im Dezember 2023 und Stufe zwei im August 2024 um 210 Euro.

2. Einmalzahlung, damit unsere Kolleginnen und Kollegen schnell Geld kriegen. Auszahlung von 2.850 Euro als steuerfreie Inflationsausgleichsprämie im Oktober 2023.

3. Strukturelle Entgelterhöhung kommt für fast 70.000 Kolleginnen und Kollegen. Verschiedene Funktions-/Berufsgruppen bekommen durchschnittlich nochmal 100 Euro monatlich dazu.

4. Keine Spaltung, alle Berufsgruppen sind im Tarifabschluss einbezogen. Wir konnten Spaltung durch Ausgrenzung verhindern.

5. Verkürzung der Laufzeit von 27 auf 25 Monate. Das bedeutet, dass die neue Tarifrunde bereits in 20 Monaten startet.“

Dass es bei der Schlichtung selbst zu keiner Einigung kam, lag wohl nicht an der Gewerkschaft EVG. Auf ihrer Homepage redet und rechnet sie das Ergebnis schön, ihre Schlichtungskommission empfiehlt dem Bundesvorstand die Annahme. Das letzte Wort, so heißt es weiter, hätten die Mitglieder, die bis Ende August über das Ergebnis in einer Urabstimmung entscheiden könnten.

Hört sich demokratisch an, ist es aber nicht, wie wir noch sehen werden. Doch zuerst kurz zur Einschätzung des Abschlusses.

Stärken?

Natürlich gebe es lt. EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch auch negative Aspekte der Empfehlung, diese würden aber durch die positiven Seiten eines guten Kompromisses weit überwogen.

„Für uns als EVG sehe ich in der Schlichtungsschlussempfehlung klare Stärken. Hervorzuheben ist, dass in der Laufzeit eine dauerhafte wirksame Entgelterhöhung erreicht wird. Das bedeutet für die allergrößte Zahl unserer Mitgliedschaft ein dauerhaftes Lohnplus im zweistelligen Bereich. Das ist eine Erhöhung, die es in dieser Größenordnung in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gab – das haben unsere Kolleginnen und Kollegen mehr als verdient.“ (https://www.evg-online.org/meldungen/details/news/10862/)

Über die grassierende Rekordinflation, die Einkommenserhöhungen innerhalb von zwei Jahren wieder auffrisst, verliert Loroch kein Wort. Auch die ursprüngliche Forderungen – tabellenwirksame (!) 12 %, mindestens aber 650 Euro bei einem Jahr Laufzeit – werden nicht mehr erwähnt. Warum auch? Für die Schlichtungskommission waren schließlich längst nicht mehr die ursprünglichen Forderungen Verhandlungsziel, sondern die bei Privatunternehmen wie Transdev erzielten Abschlüsse (siehe dazu: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/07/06/tarifkampf-der-evg-schlichtung-ablehnen/).

Nur so ist zu erklären, warum die EVG eine Laufzeit von 25 Monaten, die damit gerade zwei Monate unter der Forderung der Bahn AG bleibt, als „Erfolg“ verkauft.

Wie viele andere Gewerkschaftsapparate übt sich auch die EVG darin, das Ergebnis erst gar nicht mit den Forderungen direkt zu vergleichen, für die Zehntausende Kolleg:innen in den Warnstreik traten. Wozu auch? Damit würde es ja nur leichter durchschaubar und transparenter. Statt dessen rechnet die EVG die Entgelterhöhungen unzulässig hoch. So verkündet ihre Homepage folgende Zuwächse für ausgewählte Berufsgruppen:

„- Fahrdienstleiter*innen (307) bekommen bis zu 900 Euro mehr // das entspricht ca. 30 Prozent Lohnplus

– Zugbegleiter*innen (508) bekommen bis zu 840 Euro mehr // das entspricht ca. 22 Prozent Lohnplus

– Werkstattmitarbeiter*innen & Instandhalter*innen (107) bekommen bis zu 860 Euro mehr // das entspricht ca. 24 Prozent Lohnplus“.

Unterschlagen wird dabei nicht nur die Laufzeit von 25 Monaten. Würden wir die Zuwächse von 410 Euro auf ein Jahr beziehen, so kämen wir auf 196,80 Euro tabellenwirksame Lohnerhöhung pro Jahr – also nur weniger als ein Drittel der ursprünglich geforderten 650 Euro. Hinzu kommt, dass bei der Berechnung des Lohnplus die Einmalzahlung von 2.850 Euro munter mit den tabellenwirksamen Lohnerhöhungen in einen Topf geworfen wird. Schließlich beziehen sich die drei Beispiele auf Berufsgruppen, die eine über die 410 Euro hinausgehende zusätzliche Einkommenserhöhung erhalten sollen. Das betrifft rund 70.000 Bahnbeschäftigte in Jobs, die nicht nur für die EVG und ihre Verhandlungsmacht strategisch wichtig sind (insbes. Fahrdienstleiter:innen), sondern wo auch Personalmangel herrscht. Für Zehntausende andere Beschäftigte gibt es diesen Zusatzbonus nicht – eine klare Spaltungslinie, die die EVG-Schlichtungskommission stillschweigend akzeptiert.

Nein zur Schlichtungsempfehlung!

Ein solches Ergebnis stellt keinen „guten Kompromiss“, sondern einen frechen und schlechten Ausverkauf dar. Daher rufen nicht nur wir, sondern viele kritische Bahner:innen wie z. B. die „Vernetzung klassenkämpferischer Eisenbahner:innen“ dazu auf, bei der Urabstimmung gegen die Schlichtung und für einen Streik für die ursprünglichen Forderungen zu stimmen.

Dass dabei, wie die EVG-Spitze verkündet, die Mitglieder das letzte Wort hätten, ist auch eine Lüge. Erstens wurden sie nie gefragt, ob sie überhaupt in die Schlichtung gehen wollten. Das entschied der bürokratische Apparat ganz alleine. Er beschloss ohne Befragung, geschweige denn Diskussion der Basis, nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen eine „Zwischenrunde“ einzuschieben, in der die Kolleg:innen über Wochen nur eines tun konnten – warten. Diese erzwungene Passivität nützt tragischerweise auch noch der Gewerkschaftsbürokratie. Nach Monaten von langgezogenen, fruchtlosen Verhandlungen, zwei Halbtagswarnstreiks, einem gerichtlich faktisch untersagten Warnstreik (was in einem Vergleich zu einem Sieg umgedeutet wurde) und wochenlangen Schlichtungsgesprächen hinter verschlossenen Türen sind viele unmotiviert, frustriert und teilweise auch nur froh, dass das alles endlich vorbei ist.

Hinzu kommt, dass in der schönen bürokratisch organisierten Veranstaltung namens Gewerkschaftsdemokratie für die Ablehnung der Schlichtung und die Durchführung von Streiks 75 % der Stimmen notwendig sind. Eine einfache Mehrheit reicht nicht – eine Minderheit aber sehr wohl zur Annahme der Schlichtung!

Zudem verfügt der Gewerkschaftsapparat über das Informationsmonopol. Nur er kann alle Mitglieder erreichen, er bestimmt die öffentlichen Verlautbarungen und den Inhalt der „Tarifinformationen“, die mit mehr oder weniger gleicher Einschätzung auch von den bürgerlichen Medien verbreitet werden.

Dass der Apparat und die Führung der EVG die Annahme der Schlichtung empfehlen, sollte aber niemand wundern. Als getreue Sozialpartner:innen wollten sie nie einen Vollstreik für die Forderungen, der Monate dauern und sich womöglich mit der Tarifrunde der GDL überschneiden könnte. Dabei wäre das für alle kämpferischen Beschäftigten – in der EVG und in der GDL – eine Chance, die unsägliche Spaltung, die zuerst den Apparaten, vor allem aber der Bahn AG und den Bahnzerschlager:innen in der Regierung und bei den Unionsparteien nutzt, zu beenden. Ein drohender Ausverkauf und eine zweijährige Laufzeit werden auch diesen anstehenden, entscheidenden Kampf massiv erschweren.

Daher:

  • Nein zur Schlichtung! Erzwingungsstreik für 12 %, mindestens aber 650 Euro bei einem Jahr Laufzeit!

  • Vollversammlungen in den Betrieben, Werkstätten, Abteilungen und Betriebsgruppen zur Diskussion über die Schlichtung und Abstimmung über die Empfehlung!

  • Erstellung von Informationsmaterial für die Beschäftigten, das erklärt, warum die Ergebnisse der Schlichtung abzulehnen sind!

  • Aufbau einer klassenkämpferischen Opposition in EVG und GDL! Aufbau der Vernetzung klassenkämpferischer Eisenbahner:innen!



GDL – Genossenschaft Deutscher Lokomotivführer?

Leo Drais, Infomail 1226, 12. Juni 2023

Die Führung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL, Eigenschreibweise nicht gegendert) hat am 5. Juni an einem selbstverkündeten „Großen Tag“ ihre Forderungen für die Tarifrunde mit allen Unternehmen für 2023 präsentiert.

Mit viel Applaus wurden die „Fünf für Fünf“ aufgenommen: 555 Euro mehr in der Tabelle, darunter deutliche Entgelterhöhung für Azubis; Zulagen + 25 %; 35 Stunden-Woche für Schichtarbeitende (inkl. Wahlrecht für Beschäftigte zwischen 40- und 35- Stundenwoche); Inflationsausgleichsprämie 3.000 Euro; 5-Schichten-Woche, 5 % Arbeit„geber“:innenanteil für die betriebliche Altersversorgung; nach 5 Schichten, spätestens nach 120 Stunden muss der nächste Ruhetag beginnen (Mindestfrei: 48 Stunden); 12 Monate Laufzeit.

Neben diesen Forderungen gab es dann noch eine Überraschung. Die GDL hat zum Juni 2023 eine eigene Genossenschaft eintragen lassen, die als Leiharbeitsfirma zunächst Triebfahrzeugführer:innen für den Eisenbahnmarkt stellen will. Mitglied werden kann nur, wer in der GDL ist. Die Konditionen sollen dabei den Forderungen der GDL entsprechen.

Fair Train e. G.

Die Gründung der Genossenschaft Fair Train kommt nicht ungefähr. Sie ist eine versuchte doppelte Kampfansage: Sowohl an gewisse Eisenbahnunternehmen –  allen voran den „roten Riesen“ DB – aber auch in Richtung der Konkurrenzgewerkschaft EVG.

Bereits im Vorfeld sollen Gespräche über Fair Train gelaufen sein – natürlich nicht mit der Mitgliedschaft, die mehr oder weniger vor den Kopf gestoßen war, sondern mit den sogenannten Wettbewerbsbahnen, also Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), die nicht im Eigentum des Bundes sind (sog. NE-Bahnen). Man muss ja als gute, als bessere Sozialpartnerin erstmal abchecken, ob der Sozialpartner Kapital überhaupt Interesse an den verliehenen Kolleg:innen hat.

Anscheinend gibt es dieses Interesse – und warum auch nicht. Insbesondere im Güterverkehr würde über Leiharbeit für die Unternehmen ein Risiko genommen werden, nämlich wenn man z. B. im Falle einer Wirtschaftskrise und abbestellter Güterzüge das lästige Personal an der Backe hat. Neben dem rollenden Material (das auch oft genug geleast ist oder gemietet) wäre man dann einen anderen laufenden Kostenfaktor los und man könnte sich ganz aufs Kerngeschäft, also Geld Verdienen, konzentrieren.

Den begünstigenden Rahmen für Fair Train stellen dabei im Gegensatz zum Fernverkehr auf der Straße zwei Faktoren da. Erstens ist, auch wenn der Eisenbahnmarkt europaweit liberalisiert ist, das Bahngeschäft nach wie vor ein vor allem nationales Ding. Während auf deutschen Autobahnen als Folge der EU-Osterweiterung sehr viele Fahrer:innen aus osteuropäischen Ländern unterwegs sind und es einen gnadenlosen Preiskampf nach unten gibt (ausgetragen u. a. über Lohnkosten, schlechte Arbeitsbedingungen usw.), fahren auf deutschen Gleisen in den allermeisten Fällen nach wie vor deutsche Lokführer:innen. Denn während die Sprache für das Fahren eines LKW quasi egal ist und die Straßenverkehrsregeln auch weitestgehend gleich sind, ist der Bahnbetrieb etwas, das zwingend die Landessprache voraussetzt sowie eine besondere Qualifikation, im jeweiligen Land Züge bewegen zu dürfen. Das begrenzt von vornherein natürlich den Arbeitskräftemarkt enorm, der – und das ist der zweite Aspekt – weitgehend leergefegt ist.

Das führt uns zum Kalkül der GDL-Chef:innen. Wenn ausreichend viele Lokführer:innen zu Fair Train wechseln, dann könnte sich die GDL zumindest für das Lokpersonal die Tarifverhandlungen sparen, sondern dem Markt einfach die eigenen Konditionen aufdrücken. Weit davon entfernt, diese Größe zu haben, werden die nächsten ein, zwei Jahre zeigen, ob die e. G. by GDL ein Experiment oder mehr ist.

Politisch falsch und fatal ist sie schon jetzt.

Kampf statt Markt

Die Idee, sich durch den Zusammenschluss zu einer Genossenschaft dem Gewitter des Marktes, also dem Druck der Kapitalist:innen zu entziehen, ist nicht neu. Gewisse Überbleibsel gibt es davon bis heute, etwa in Form von Wohnungsbaugenossenschaften, Volksbanken oder der Raiffeisensparkasse. Auch Produktionsgenossenschaften oder eine Art Arbeiter:innenselbstverwaltung sind nicht neu.

Für die Arbeiter:innenklasse birgt diese Strategie, Wettbewerb durch Wettbewerb zu ersetzen, mehrere problematische Aspekte:

  • Das Geschäftsrisiko der Kapitalist:innen wird automatisch zu unserem. Haben wir als Beschäftigte z. B. der Deutschen Bahn in Krisensituationen immer noch die Möglichkeit, die Kosten der Krise dem Konzern aufzudrücken (im Endeffekt kommt unser Lohn selbst in dem maroden Cargo-Laden immer noch pünktlich), gibt es diese Möglichkeit für Beschäftigte einer Leiharbeitsgenossenschaft nicht. Der Kunde bestellt die Dienstleistung ab und fertig.
  • Sollte Fair Train keine marktrelevante Stellung einnehmen, kann es sehr schnell in einen Preiskampf mit anderen Personaldienstleister:innen geraten. Die Mitglieder der Genossenschaft werden zu Selbstausbeuter:innen. Ökonomisch exakt betrachtet, sind sie es von vorneherein. Im Endeffekt muss hier auf einen Nachfrageüberhang für Arbeitskräfte spekuliert werden.
  • Nicht zuletzt bedeutet der Schwenk von der Gewerkschaft zur Genossenschaft auch nicht, einer Arbeiter:innenselbstverwaltung näherzukommen. Im Gegenteil wird hier wie in allen Genossenschaften zwar einmal im Jahr zur regulären Mitgliederversammlung geladen werden, die wirtschaftlichen Geschicke der Firma liegen aber ganz in den Händen einer intransparenten und nicht wählbaren Führung.
  • Die Genossenschaft wird also nicht nur einem Zentralisierungs- und Bürokratisierungsprozess unterzogen, sie fungiert vor allem als Kapital. Die GDL wandelt sich, je nach Erfolg der Unternehmung, von einer Gewerkschaft zu einer weiteren Zeitarbeitsfirma. Die Genossenschafter:innen mit einem hohen Anteil entwickeln sich entweder selbst zu Leuten, die vom Gewinn ihrer Unternehmung leben wollen. Die Genossenschafter:innen mit geringen Anteilen, die weiter als Lokführer:innen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, geraten in eine widersprüchliche Klassenposition – und das umso mehr, je höher ihr Anteil an der Genossenschaft ist.

Dass die Führung der Unternehmung intrasparent, nicht wählbar sein und gemäß dem Diktat des Marktes agieren wird müssen, bringt uns zurück zur aktuellen Situation. Einerseits befindet sich die GDL dank Tarifeinheitsgesetz z. B. bei der Deutschen Bahn AG in Konkurrenz zur Gewerkschaft EVG (über die man am „Großen Tag“ in populistischer Manier gepfeffert herzog, als sei sie die eigentliche Feindin, und wenn man sich den Eisenbahnbossen schon mit einer Leiharbeitsfirma andient, ist an dieser Vermutung vielleicht auch was dran – kampfstarke Streikgewerkschaft hin oder her), die bei der DB abgesehen vom Zugpersonal die Mitgliedermehrheiten innehat. Daher auch das Eintreten der GDL-Führung und Claus Weselskys für die Zerschlagung der DB. Für eine weitere Liberalisierung des Eisenbahnmarktes stünde die GDL dann schon mit Fair Train in den Startlöchern, ganz nach dem Motto: Egal, welches Unternehmen den Zug besitzen, mieten oder fahren lassen will: Wir stellen das Personal.

Dem was wir, auch aus Sicht einer Verkehrswende, brauchen, bringt uns das nicht näher. Anstatt einer Genossenschaft, wo sich die Eisenbahner:innen zusammenfinden sollen gegen einen durchliberalisierten Markt oder einen Managementselbstbedienungsladen DB, braucht es eine einzige staatliche Bahn, die wir als Eisenbahner:innen in Verbindung mit den lohnabhängigen Kund:innen demokratisch kontrollieren. Denn Eisenbahn können wir besser als „die da oben“ – sitzen sie im Bahntower, auf der Bühne oder uns gegenüber. Sie wollen alle nur das Beste für uns, Herr Seiler, Herr Weselsky und Herr Burkert – und doch sind sie die Fortsetzung einer eisenbahnzerstörenden Geschichte.




Gericht erzwingt Absage des Bahnstreiks – EVG-Führung knickt ein

Martin Suchanek, Infomail 1222, 14. Mai 2023

Der Vorstand der Deutsche Bahn AG kann auf deutsche Gerichte zählen. Nachdem das Unternehmen die Gewerkschaft EVG und die Beschäftigten weiter mit Scheinangeboten hinhalten wollte, hatte die EVG einen 50-stündigen Warnstreik, beginnend am 14. Mai, beschlossen. So sollte der Druck auf den Konzern und andere Unternehmen im Kampf um die Tarifforderungen – 12 %, mindestens aber 650 Euro monatlich mehr für alle bei einem Jahr Laufzeit – erhöht werden.

Daraus wird nun nichts. Die Bahn AG versuchte am 13. Mai, den Warnstreik per Einlassung vor dem Arbeitsgericht Frankfurt/Main zu verhindern. Mit Erfolg: Die Richterin hatte laut Medienberichten in der Verhandlung mehrfach erklärt, dass sie den Streik für rechtlich problematisch halte. Mit dieser Verbotsdrohung im Raum verband das Gericht den „Vorschlag“ eines verpflichtenden Vergleichs zwischen Bahn AG und EVG. Die Bahn AG müsse, so der Vergleich, auf die Forderung nach Umsetzung des gesetzlichen Mindestlohns für rund 2.000 Beschäftigte eingehen – dafür müsse der Streik vom Tisch und eine intensive Verhandlungsrunde über die „restlichen“ Forderungen starten.

Von diesen Forderungen der EVG ist keine zugesagt. Die Gewerkschaftsführung gab angesichts eines drohenden Streikverbots und der vom Gericht in den Raum gestellten zusätzlichen Drohung, dass im Falle eines Verbots auch Schadenersatzzahlungen für die anderen Warnstreiks in Millionenhöhe auf sie zukommen könnten, klein bei. Sie ließ sich schlichtweg erpressen.

Es gibt nichts zu beschönigen

Die Bahn AG errang einen klaren Sieg, was sie triumphierend auch selbst betont. Für sie hat sich der Gang vor Gericht gelohnt – zahlen sollen dafür die Beschäftigten.

Und die EVG-Spitze? Sie knickt ein. Ein Streik, der ohnedies abgeblasen wird, braucht schließlich nicht verboten zu werden. Sie verzichtet darauf, selbst vor Gericht für das Streikrecht zu kämpfen, sie lässt sich von dessen Drohszenarien einschüchtern – und sie verzichtet erst recht darauf, dessen unverhohlene Parteinahme für die Bahn AG, diesen klaren Akt von Klassenjustiz anzuprangern.

Da die EVG nicht wie eine vorgeführte Papiertigerin dastehen will, macht sie auch noch gute Miene zum bösen Spiel – und es damit noch schlimmer. In einer eigenen Presseerklärung entblödet sie sich nicht, die Niederlage als Erfolg auszugeben. So erklärt ihr Verhandlungsführer Loroch: „Schon die Androhung des Warnstreiks hatte Erfolg. Der Arbeitgeber hatte vor Gericht unmissverständlich erklärt, dass er unsere Forderungen zum Mindestlohn erfüllt. Auf Anraten des Gerichts haben der Arbeitgeber und wir einen Vergleich geschlossen.“

Der/Die Arbeit„geber“:in gibt einer Forderung nach und hält an der Ablehnung aller anderen fest. Dieser „Erfolg“ reicht – und die EVG setzt den Streik „vorerst“ aus.

Für die Beschäftigten bei der Bahn bedeutet das einen herben Rückschlag. Statt ihre eigenen Kräfte für die Tarifrunde und den Kampf gegen die drohende „Reform“ der Bahn zu stärken, knickt die Gewerkschaftsführung ein. Bei den kommenden Verhandlungen droht ein Ausverkauf durch den Apparat. Dazu müssen alle klassenkämpferischen Kolleg:innen jetzt klar und deutlich NEIN sagen. Vor Gerichten und in Mauschelrunden mit der Bahn AG wird nichts zu holen sein. Statt den schrittweisen Rückzug anzutreten und diesen schönzureden, muss von der EVG gefordert werden, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären und die Urabstimmung zur Durchsetzung der Forderungen möglichst rasch einzuleiten.

Darüber hinaus rächt sich die über Jahre von der EVG-Führung besonders intensiv betriebene Politik der Klassenzusammenarbeit mit Unternehmen und Regierung. 2015 unterstützte die EVG gegen andere Gewerkschaften und die Interessen der Arbeiter:innenklasse das Gesetz zur Tarifeinheit, also eine weitere massive Einschränkung des Streikrechts. Jetzt wenden sich genau jene Gerichte gegen die EVG, die ihre Spitze dereinst gegen andere in Stellung bringen wollte. Vertrauen in die Bürokratie ist also fehl am Platz.

Folgerungen

Für die Beschäftigen gilt es, zwei zentrale Schlussfolgerungen zu ziehen, gerade wenn es darum geht, wie der Kampf gegen den Konzern und die Klassenjustiz erfolgreich geführt werden kann:

1. Die bürgerlichen Gerichte stehen auf Seiten des Kapitals. Die gesamte Gewerkschaftsbewegung muss die Erpressung durch das Arbeitsgericht Frankfurt/Main verurteilen und eine Kampagne gegen jede Einschränkung des Streikrechts starten. Am 13. Mai traf es die EVG, morgen kann es jede andere treffen.

2. Müssen sich die kämpferischen Gewerkschafter:innen in der EVG (und auch in der GDL) organisieren und dafür eintreten, dass die Tarifrunde unter Kontrolle der Basis, von gewählten, abwählbaren und rechenschaftspflichtigen Tarifkommissionen und Streikleitungen geführt wird. Die gute Nachricht zum Schluss: Dazu gibt es einen ersten Ansatz: die Bahnvernetzung von Kolleg:innen aus EVG und GDL. Unterstützt die Kolleg:innen oder, noch besser, wenn ihr Bahner:innen seid, schließt Euch ihr an!




Fahrplanwechsel: 0,1 % Verkehrswende und ein halbes Stuttgart 21

Leo Drais, Infomail 1206, 11. Dezember 2022

Alle Jahre wieder treten zum zweiten Dezembersonntag neue Netzfahrpläne für Busse und Bahnen in Kraft. Wohin geht die Reise? Etwa in Richtung Verkehrswende? Ein Eisenbahner skizziert.

Mehr und teuerere Züge

Natürlich ist hier nicht der Raum, auf jede Regionalbahn, jeden Bus einzugehen (das merkt mensch ja auch selbst bei der täglichen Fahrt). Vielmehr geht es darum, einen allgemeineren Blick zu werfen, konkret: Gibt es mehr oder weniger ÖPNV (Öffentlichen Personennahverkehr) und SPFV (Schienenpersonenfernverkehr)? Was sollen sie kosten und wo liegen deren Probleme?

Im Fernverkehr werden einzelne Verbindungen verlängert, die Vergrößerung der Flotte wird fortgesetzt. Zwischen Stuttgart und Ulm wird eine Schnellfahrstrecke in Betrieb genommen, dazu unten mehr. Die Preise werden im Schnitt um 5 Prozent erhöht – bei 10 % Inflation kann das eigentlich niemanden überraschen.

Im Nahverkehr, der Sache von Verkehrsverbünden, sprich Ländern und Kommunen einerseits sowie Verkehrsunternehmen andererseits, ändert sich lokal unterschiedlich viel. In Berlin und Brandenburg tauschen beispielsweise ODEG und DB Regio verschiedene Linien. Erfahrungsgemäß können solche Umstellungen glattgehen oder wochenlang knirschen.

Egal, wie gut es laufen wird: Die Vergabe von Strecken an unterschiedliche Eisenbahnverkehrsunternehmen im Wettbewerb ist und bleibt eine Sinnlosigkeit, die einem Gesamtsystem Bahn schadet, und damit auch Reisenden. Es spricht kaum was gegen die Anschaffung neuer Züge (außer, dass es die bisher eingesetzten Fahrzeuge auch oft noch sehr gut tun), mit denen das Ganze oft garniert wird. Wohl aber sprechen viele gesamtgesellschaftliche Argumente gegen Wettbewerb im ÖPNV. Entgegen neoliberaler Fantasien bringt er keinen günstigeren Verkehr. Als Beispiel sei hier Abellio in Baden-Württemberg erwähnt, das mit einem unterfinanzierten Angebot Ausschreibungen gewonnen hatte – und dann insolvent ging. Der Staat sprang ein und half mit Steuergeldern. Ein anderes Beispiel aus den letzten Jahren ist das der S-Bahn Hannover: Weil DB-Regio hier die lukrative Ausschreibung verlor, wurde durch alle Instanzen geklagt – auch wieder auf Kosten von Steuergeldern. Zu guter Letzt bedeuten solche Umstellungen immer auch eine Belastung für Beschäftigte – bis hin zum Jobverlust oder Arbeitsortswechsel.

Überhaupt ist der Nahverkehr in Deutschland ein Zahlungsgerangel sondergleichen.

Die eine Hälfte sollen Fahrscheine einbringen, die andere Subventionen, also auch wieder: Steuergelder! Aus wessen Tasche die vor allem kommen? Immerhin sind Mehrwert- und Lohn-/Einkommensteuer, also Massensteuern, die größten Einnahmequellen. Bei all dem ist der Nahverkehr chronisch unterfinanziert, was auch alle Kolleg:innen in Bus, Tram und Zug in der eigenen Tasche spüren genauso wie die Bewohner:innen von Kleinkleckersdorf, die mit jedem neuen Verkehrsvertrag bangen, ob Zug oder Bus demnächst noch bei ihnen halten.

Jetzt soll das 49-Euro-Ticket als schlechter Ersatz fürs 9-Euro-Ticket kommen – nicht zum Fahrplanwechsel, sondern mit Glück vielleicht im Mai, dafür aber dauerhaft.

Auch hier gab‘s das übliche Finanzierungsgerangel zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Sollten letztere auf Finanzierungslücken sitzen bleiben, wird das Ticket zum Gegenteil aller Absichtsbekundungen führen: Dann werden Linien und Leistungen abbestellt, die Kleinkleckersdörfer:innen fahren Auto oder laufen.

Trotzdem: Zunächst mal ist das 49-Euro-Ticket im Vergleich zum tariflichen Flickenteppich, der seit dem Auslaufen des 9-Euro-Tickets wieder herrscht, sicher ein Fortschritt, auch wenn es für Geringverdiener:innen viel zu teuer und von einer preislichen Verkehrswende weit weg ist. Einen wirklichen Fortschritt hätte eine Fortführung des 9-Euro-Tickets darstellen können oder noch besser: ein kostenloser Nahverkehr (das hätte übrigens auch viel gespart: Fahrkartenautomaten z. B.).

Wendlingen – Ulm: im Betonrausch

Die größte Änderung im deutschen Schienennetz stellt die Inbetriebnahme der Schnellfahrstrecke zwischen Wendlingen und Ulm dar. Für Reisende verkürzt sich damit die Fahrzeit zwischen Stuttgart und Ulm um 15 Minuten – vorausgesetzt sie sitzen in einem Zug mit passender Zugsicherung. Weil auf der Strecke das Zugbeeinflussungssystem ETCS (European Train Control System) verbaut ist, kann der TGV Paris – München hier z. B. noch nicht fahren – seine Software passt nicht zu der der Strecke.

Lichthauptsignale hat man hier gespart genauso wie auf den Strecken Leipzig/Halle – Erfurt – Nürnberg vor einigen Jahren bereits. Solange ETCS funktioniert – kein Problem. Wenn es ausfällt, gibt es kein technisches Alternativsystem, es bleiben nur betriebliche Rückfallebenen.

Die Rennstrecke durch die Schwäbische Alb („durch“ im wahrsten Sinne) ist beispielhaft für die Art und Weise, wie Schienennetzausbau in Deutschland läuft. Während er ermöglicht, dass Fernzüge die enge, steile und langsame Geislinger Steige umgehen können, trifft das für Güterzüge nicht zu – die neue Strecke ist noch steiler als die alte. Das hat Tradition und ist zugegeben kein rein deutsches Phänomen. Sowohl die ICE-Neubaustrecken Köln – Frankfurt, Nürnberg – Ingolstadt wie auch Ulm – Wendlingen weisen eine zu große Längsneigung für Güterzüge auf. Zwischen Nürnberg und Leipzig wird es je nach Zuglast ziemlich früh auch eng.

Dabei stellt sich grundsätzlich die Frage, wie gesamtgesellschaftlich und ökologisch sinnvoll der milliardenschwere Schnellfahrstreckenbau überhaupt ist, vor allem, da er der einzige Neubau ist, den die Deutsche Bahn kennt.

Um 74 km wächst das deutsche Schienennetz in diesem Jahr – darunter die 60 km Wendlingen – Ulm. Letztes Jahr wuchs das Schienennetz gerade mal um 4,2 km, zwei kleine Nadelöhre in Frankfurt und Berlin wurden beseitigt. Im selben Jahr wuchs das Straßennetz um 10.000 km (Neu- und Ausbau).

Das Schienennetz ist seit der Bahnreform deutlich geschrumpft. Dem schleppenden Halbausbau des Kernnetzes steht der rapide Rückzug aus der Fläche gegenüber. Während die Güterverkehrsleistung seit 1994 auf der Schiene um 83 Prozent zunahm, schrumpfte das Netz um 15 %. Gleichzeitig wuchsen die Tunnelkilometer – allein seit 2015 um 70 km auf über 500 km im deutschen Netz.

Mitunter sind Tunnel natürlich unvermeidbar, besonders im Bahnbetrieb und hier besonders im Schnellverkehr. Zur Betrachtung gehören aber auch noch zwei andere Größen: Tunnelbau ist beton- und damit CO2-intensiv; und – mit jedem weiteren Kilometer steigt das statistische Risiko von Unfällen und Bränden in deren Röhren, dem Alptraum schlechthin. Bei vergangenen Unfällen war bereits viel Glück im Unglück dabei. Auch die neue Strecke ist tunnelreich.

Wem diese Art des Streckenbaus natürlich besonders viel bringt, ist der Bauindustrie. Im Ländle Baden-Württemberg sitzt mit Herrenknecht einer der Weltmarktführer im Geschäft mit Tunnelvortriebsmaschinen. Er war und ist einer der größten Fans von und Verdiener am tunnelintensiven Stuttgart 21. Das ist zwar offiziell ein eigenständiges Projekt, aber nur damit macht die Führung der neuen Strecke über Wendlingen überhaupt erst richtig Sinn. Eine Beseitigung der Geislinger Steige wäre mit deutlich weniger Tunnelstrecke und sogar für schwere Güterzüge einfacher möglich gewesen.

Blick in die Röhre: S21

Überhaupt, S21. 2025 soll es tatsächlich in Betrieb gehen. Der Bau mag ingenieurtechnisch noch so spektakulär (und pannenhaft) sein, bahnbetrieblich bleibt er problematisch bis schwachsinnig (Kapazitätsverringerung, Bahnsteigeigung, Gleisneigung in den Tunneln, ETCS ohne Lichthauptsignale als Rückfallebene, schwieriger Brandschutz, noch mehr schwer zu evakuierende Tunnel, Kappung der Gäubahn, Entfremdung des Reiseerlebnisses in der Unterwelt, kaum Ausweichmöglichkeiten im Störungsfall, so gut wie keine bahnbetriebliche Flexibilität, … ).

Von dem Projekt haben mittlerweile alle Verantwortlichen gesagt, dass sie es heute nicht mehr bauen würden. Gebaut wird‘s trotzdem! Man kann nicht anders, denn wo kämen wir hin, brächen wir laufende Verträge?

Dabei ist das Projekt weder zwangsläufig noch alternativlos. Bis heute werden von Ausbaugegner:innen sogar solche formuliert, die am Baustand ansetzen. Aber das ist alles längst gesagt im Autoland Deutschland. Geht S21 in Betrieb und wird der jetzige Bahnhof abgerissen, darf sich Stuttgart über den Status einer im Stadtbild eisenbahnfreien Großstadt freuen – insbesondere im Hause Daimler und Porsche wird das so sein.

Kleine und große Baustellen

Das allermeiste bleibt nach dem Fahrplanwechsel, wie es ist: gestört, verbaut und verspätet. Der Bahnbetrieb wie überhaupt der Nahverkehr sind unterfinanziert, und wo Geld ausgegeben wird, wird es im schwäbischen Boden vergraben.

All das ist eine politische Frage, denn das Geld ist da. Es müsste nur der Autoindustrie weggenommen werden, deren Enteignung nach wie vor eine Voraussetzung für eine echte Verkehrswende darstellt. Mit der FDP im Verkehrsministerium ist das natürlich unmöglich.

Bezeichnenderweise stellte VW (Volker Wissing) neulich die Finanzierung des zweigleisigen Ausbaus der Weddeler Schleife zwischen Braunschweig und Wolfsburg inmitten der Arbeiten daran (!) in Frage. Ist halt keine Autobahn …

Die aktuellen Probleme sind in Wirklichkeit dauerhafte, die eher noch größer werden. Bei der Bahn gehen in den nächsten 10 Jahren etwa 70 % der Betriebspersonale in Rente. Das aufzufüllen, wird der Staatskonzern DB mit seiner Vergütung und Personalpolitik nicht schaffen. Warum soll ich zur Bahn in den Schichtdienst, wenn ich bei BMW in der Fabrik das Doppelte kriege?

Gäbe es bei der Bahn nicht so extrem viele Schienennerds und Herzbluteisenbahner:innen, den Karren würde keine:r mehr aus dem Dreck ziehen.

Daneben lahmt der Netzausbau oder wird weiter nur in Projekten gedacht, die jenem unter der Alb ähneln (tunnelintensive Schnellfahrstrecke Hanau – Fulda – Gerstungen (vielleicht entsteht hier der längste Tunnel Deutschlands); Hannover – Bielefeld; Fernbahntunnel Frankfurt … ).

Dazu kommen planungsrechtliche Bremsen. Wenn z. B. das von der Bundesregierung formulierte und unzureichende Ziel einer 75 %igen Elektrifizierung im Schienennetz bis 2030 erfüllt werden soll, bedeutet das, 500 km Strecke jährlich mit Oberleitung zu versehen. Davon sind wir ewig weit entfernt. Das Problem geht hier bereits damit los, dass eine elektrische Aufrüstung rechtlich als Neubau gilt, ergo das komplette, langwierige Planfeststellungsverfahren durchlaufen werden muss. Wäre diese Regierung ernsthaft eine klimafreundliche, würde sie hier sofort ansetzen, das Planungsrecht für Elektrifizierungen entsprechend vereinfachen.

Aber sie ist keine Klimaregierung, wie der Kapitalismus auch kein klimafreundliches System ist.

System Bahn, in der Tat eine Systemfrage

Das Netz ist voll und kollabiert eigentlich täglich irgendwo. Eine Verkehrswende ist mit diesem Schienennetz nicht möglich. Zugleich ist die Vorstellung einer Verkehrswende auf Seiten der Konzernbosse und Regierung auch eine falsche.

Es muss nämlich nicht darum gehen, die heutigen Pendlerströme und Verkehrsmassen einfach auf die Schiene zu packen – zuerst bedeutet Verkehrswende Verkehrsvermeidung. Das aber kann nur eine demokratische Planwirtschaft leisten, eine Reorganisierung von Stadt, Land und Industrie. Alles andere bedeutet, dass ein Netz morgen immer zu klein ist. Das kapitalistische Wachstum lässt grüßen.

Der Verkehr, der dann noch bleibt, sollte die Schiene als Herzstück haben. Den Ausbau müssen Reisende, Pendler:innen und vor allem Beschäftigte demokratisch kontrollieren.

Das ist nicht so utopisch, wie es vielleicht scheint. Vorrangig braucht es nicht unbedingt Rennbahnen, sondern Knoten- und Flächenausbau. Für hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten und Pünktlichkeitswerte in einem europäischen Netz sind entflochtene Knoten letztlich sogar entscheidender. Weniger Tunnel braucht es ebenfalls, auch wenn hier und da eine Schnellfahrstrecke Sinn machen kann, wobei sich die Frage stellt, welche Trassierungsparameter für das Gesamtsystem am sinnvollsten sind (Anbindung von Orten, Nutzung auch für Güterzüge, Vermeidung von aufwendigen Kunstbauten so weit wie möglich … ).

Die Organisierung von öffentlichen Verkehrsträgern steht näher an der Planwirtschaft als viele andere Bereiche, immerhin heißt es – Fahrplan.

Fahrdienstleiter:innen wissen genau, wo Weichen fehlen. Sie könnten Vorschläge erarbeiten, über die demokratisch entschieden wird, wo sie hingehören müssten, und dann das Ganze dem Bahnbau übergeben. Dafür braucht es keine langjährigen Planfeststellungsverfahren.

Genauso wissen Lokführer:innen, welche Umläufe und Fahrzeugbedarfe Sinn machen.

Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Das Ganze muss keine Wunschvorstellung bleiben, aber damit aus Träumen Realität wird. heißt es für alle Beschäftigten im Nah- und Fernverkehr heute, dass sie beginnen müssen, sich selbst in Betriebskomitees zu organisieren und nicht nur diese oder jene Wünsche und Beschwerden auszusprechen. Das nächste Jahr bietet dafür möglicherweise Gelegenheit: Sowohl EVG wie GDL haben ihre Tarifrunde und zeigen sich streikbereit. Die Gewerkschaften tun gut daran, die Verkehrswende mit der Bezahlung der Beschäftigten zu verbinden, damit das Fahrplanjahr 2023 vielleicht zu einem Startpunkt einer Bewegung für die Verkehrswende wird – Beschäftigte und Klimabewegung im Schulterschluss!