Finanzialisierung des Wohnungsmarktes

Veronika Schulz, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Rasante Preissteigerungen am Wohnungsmarkt, stetig wachsende Gewinne privater Immobilienkonzerne, satte Renditen für deren AktionärInnen – seit über einem Jahrzehnt wird auch in Deutschland verstärkt mit der Ware und Kapitalanlage Wohnen spekuliert. Für Millionen MieterInnen bedeutet dieses Monopoly durch steigende Mieten bei stagnierendem oder gar sinkendem Lohnniveau ein Armutsrisiko. Auch Luxussanierung, gezieltes Rausekeln mit Hilfe verschleppter Instandhaltung („Entmietung“) und schlussendlich Zwangsräumung bei Mietschulden, oftmals in die Obdachlosigkeit, sind probate Mittel, um durch die Neuvermietung der auf diese Weise frei gewordenen Wohnungen höhere Einnahmen zu erzielen.

Wie es überhaupt dazu kam, dass Wohnungen als Anlageobjekte für das Finanzkapital in den Fokus rückten, welche politischen Entscheidungen dies nicht nur begünstigt, sondern erst in diesem Ausmaß ermöglicht haben und warum von einer „Finanzialisierung“ des Wohnungsmarktes gesprochen werden muss, wollen wir hier kurz nachzeichnen.

„Sozialer“ Wohnungsbau = bezahlbares Wohnen für alle?

Westdeutschland, soziale Marktwirtschaft, Wohlstand für alle – glaubt man diesem Dogma, muss auch bezahlbares Wohnen für alle ausdrücklich erwünschtes Staatsziel und süße Realität gewesen sein. Auch in der aktuell angespannten Situation auf dem Mietwohnungsmarkt ist die Forderung nach „mehr“ und „schneller“ gebauten Sozialwohnungen allgegenwärtig, auch von Linkspartei und der Interventionistischen Linken (IL). Der „soziale“ Wohnungsbau war jedoch für die ArbeiterInnenklasse zu keiner Zeit eine Errungenschaft auf Dauer.

Ab den 1950er Jahren wurden zehn Millionen Sozialwohnungen, u. a. auch als Dienstwohnungen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst sowie von Staatsbetrieben wie Post und Bahn, gebaut. Auch Unternehmen setzten zu dieser Zeit auf Werkswohnungen. In beiden Fällen, beim Bau von Sozial- wie auch Werkswohnungen, subventionierte der Staat entweder direkt oder durch Verzicht auf Steuereinnahmen indirekt diese Maßnahmen.

Der Bundesgerichtshof hat mehr als einmal geurteilt, dass Immobilienunternehmen eine zeitlich unbegrenzte Sozialbindung selbst bei Vergabe von Krediten oder Bauland durch die öffentliche Hand nicht verpflichtend auferlegt werden darf. Temporäre Sozialbindung ermöglicht für die massenhaft aus selbiger fallenden Wohnungen erst die enormen Anschlussmietpreissteigerungen. Allein zwischen 2016 und 2018 sind pro Jahr knapp 85.000 Wohnungen aus der Preis- und Belegungsbindung gefallen. Alle 6 Minuten wird also eine Wohnung dem „freien Markt“ überlassen. In München sind nicht einmal mehr 10 % der Wohnungen Sozialwohnungen, in Berlin 13 %. Der Anteil der Personen bzw. Haushalte mit Anspruch auf einen Berechtigungsschein für Sozialwohnungen (WBS) liegt in beiden Städten bei um die 50 %. Der sogenannte „soziale“ Wohnungsbau erwies sich bisher also nicht als Lösung auf dem Weg zu ausreichendem und bezahlbarem Wohnraum.

Subvention von Eigentum durch die Hintertür

Gerade im Bereich der Bau- und Wohnungswirtschaft greift der Staat durch eine Vielzahl an Steuervergünstigungen, Abschreibungsmöglichkeiten und Finanzhilfen massiv in das Wirtschaftsgeschehen ein – aus dieser Sicht kann also keine Rede vom „freien Markt“ sein, der der Immobilienlobby bei Mieterhöhungen sonst so heilig ist. Im Jahr 2018 wurde die Immobilienwirtschaft direkt oder indirekt mit etwa 25 Mrd. Euro subventioniert. Abgesehen von der Agrarindustrie ist kaum ein Wirtschaftsbereich dermaßen stark bezuschusst.

Somit spielt der Staat auch beim Bau sogenannter „frei finanzierter“ Wohnungen eine nicht unerhebliche Rolle. Immobilienfirmen leihen sich für Boden und Bau zunächst Geld bei Banken. Durch Vermietung verdienen die Firmen als Eigentümerinnen, zahlen Steuern an den Staat und bedienen zudem die Kredite bei den Banken. Im Gegenzug zur Verschuldung der Firmen gewährt der Staat Steuererleichterungen und Abschreibungsmöglichkeiten und verzichtet somit auf Einnahmen, was auf lange Sicht zugunsten dieser aufgeht, die Banken verdienen allemal gut daran. Zwischen 1980 und 2014 flossen auf diese Weise knapp 100 Mrd. Euro in den Wohnungsbau, davon 80 % für die Bildung von Wohneigentum! Privateigentum wird somit auf Kosten von SteuerzahlerInnen und MieterInnen aufgebaut.

Von der Liberalisierung des Wohnungsmarktes …

Betrachten wir die Situation in den Gebieten der ehemaligen DDR, so waren diese nach der Wiedervereinigung in besonderem Maße von Mietpreissteigerungen betroffen.

In den 1990er Jahren wurden in der DDR mehr als 1,2 Millionen bzw. ein Drittel der ehemals kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungen privatisiert. Das entsprach 20 % des gesamten ostdeutschen Wohnungsbestandes (1). Die DDR hatte seit ihrem Bestehen die Mietpreise auf den Stand von 1936 eingefroren. Die durchschnittliche Mietbelastung lag bei nur drei Prozent des Einkommens. Die Restauration kapitalistischer Eigentumsverhältnisse ebnete den Weg für die Aufhebung der existierenden Mietpreisfestsetzung. Anschließend sorgten politisch verordnete Mietsteigerungen um durchschnittlich (!) 600 % dafür, dass im Osten fortan Mieten auf Westniveau erzielt werden konnten (während die Löhne nie so weit angeglichen wurden). An diesem Beispiel werden die historische Tragweite der vollzogenen Vermögensumverteilung und gewissermaßen auch eine Enteignung der Ostdeutschen deutlich (2).

Für private InvestorInnen bedeutete dieser gänzlich neu zu erschließende Markt paradiesische Zustände für ihre Kapitalanlagen. In der Folge kauften sich in den 1990er Jahren Kapitalbeteiligungsgesellschaften (Private Equity Funds) in großem Stil besonders auf dem ostdeutschen Wohnungsmarkt ein.

Bereits im Laufe der gesamtwirtschaftlichen Welle von Privatisierung und Liberalisierung in den Jahrzehnten seit 1980 überließ der deutsche Staat auch im Westen den Wohnungsbau dem Kapitalmarkt und privaten InvestorInnen. Bundesweit wurde 1990 die Wohnungsgemeinnützigkeit ersatzlos abgeschafft und 2001 die Wohnungsbauförderung faktisch beendet. Hinzu kam die allgemeine Deregulierung der Finanzmärkte, in deren Zug die Koalition aus SPD und Grünen unter Kanzler Schröder zu Beginn des Jahrtausends den Wohnungsmarkt generell für Hedgefonds öffnete. Auch die gesetzlichen Grundlagen sowie Zuständigkeiten wurden in dieser Phase neu geregelt. Bei der Föderalismusreform von 2006 wurde die Wohnraumförderung den Ländern übertragen, wodurch eine vollständige Unterwerfung der Mieten unter Marktmechanismen erfolgte, denn die bisher geltenden Kostenmieten für Sozialwohnungen waren durch Bundesrecht und –gesetzgebung festgelegt, was durch die Neuregelung der Zuständigkeit ausgehebelt wurde. Auch die Mieten für Sozialwohnungen orientieren sich seitdem an den örtlichen Mietspiegeln und somit Marktmieten für Neubauten, was regelmäßige Erhöhungen zulässt.

 … zur Finanzialisierung

Der Begriff „Finanzialisierung“ beschreibt einerseits den Trend zunehmender privater Finanzanlagen im Immobiliensektor, andererseits auch den verstärkten Einfluss des Finanzsektors und seiner Erwartungen auf die Wohnungswirtschaft (3).

Dadurch, dass dauerhaft mehr Wohnungen aus der Sozialbindung fallen, als neue gebaut werden, wird aktuell ein große Anteil an Wohnungen über den „freien Markt“ angeboten und vermietet. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Finanzialisierung des Wohnungsmarktes sind die historisch niedrigen Zinsen, mit denen die Zentralbanken (sowohl die amerikanische Federal Reserve als auch die Europäische Zentralbank) billiges Geld bereitstellen.

Diese Ausgangssituation begünstigt den Renditeboom auch auf dem deutschen Immobilien- und Mietmarkt, den wir seit knapp zehn Jahren erleben. Dabei ist bemerkenswert, dass er hierzulande erst einsetzte und richtig Fahrt aufnahm, als die Immobilienpreise in anderen Ländern fast ins Bodenlose fielen. Die globale Wirtschaftskrise ab 2007/2008 ist Folge der Banken- und Finanzkrise, die durch das Platzen der Blase auf dem spekulativ aufgeblähten US-Immobilienmarkt losgetreten wurde. Die zusätzlichen Kapitalströme, die seither in den deutschen Wohnungsmarkt fließen, sind u. a. das Ergebnis mangelnder Renditesteigerungsmöglichkeiten durch Investitionen im produzierenden Sektor infolge der Überakkumulation von Kapital. Angesichts stagnierender Profitraten in Industrie und Gewerbe wird auf sichere Verzinsung und Rentengewinne gesetzt. In diesem Zusammenhang ist wieder vermehrt die Rede von „Betongold“, also Immobilien als „sicherer“ Investitionsmöglichkeit.

Die oben erwähnte Niedrigzinspolitik der Zentralbanken ist zwar ebenfalls eine Reaktion auf die Wirtschaftskrise, fördert ihrerseits aber erst die verstärkten Finanzanlagen im hiesigen Immobilienbereich. Die Systemkrise bildet also den spezifischen Hintergrund für die aberwitzig gestiegenen Immobilienpreise und Mieten.

Finanzindustrielle Wohnungskonzerne statt Wohnungsbaugesellschaften

Bei Investitionen in Immobilien geht es also vorrangig um die Konstruktion global konkurrenzfähiger Finanzanlageprodukte. Diese bilden das Kerngeschäft der neuen finanzindustriellen Wohnungskonzerne wie Vonovia SE, Deutsche Wohnen SE, TAG Immobilien AG oder LEG Immobilien AG. Neben individueller, privater Kleinvermietung, selbst genutztem Wohneigentum sowie staatlichen, genossenschaftlichen und gemeinnützigen WohnungsversorgerInnen bilden die genannten „großen Vier“ („Big 4“) eines der vier Hauptsegmente des deutschen Wohnungsmarkts.

Es handelt sich bei ihnen nicht um klassische Wohnungsbaugesellschaften. Vielmehr bilden diese neu entstandenen finanzindustriellen Konzerne eine Sonderform privater Wohnungsbauunternehmen, weil bei ihnen die Kalküle der Konstruktion und Vermarktung von Finanzanlageprodukten die wohnungswirtschaftlichen Aktivitäten dominieren. Heute gehören ihnen in Deutschland etwa 1,2 Millionen Wohnungen, davon sind rund 750.000 im Besitz der „Big 4“. Sie weisen markante Überschneidungen im Hinblick auf ihre größten AktionärInnen (z. B. BlackRock) auf und sind zudem intern stark verflochten.

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der vier Konzerne ist ihre strategische Ausrichtung auf die untere und mittlere Preiskategorie und deren „Modernisierung“, also Investitionen in den Bestand: „Kredite werden nicht mehr aufgenommen und gewährt, um Finanzierungslücken bei der Produktion oder Erneuerung von Wohnungen zu schließen. Vielmehr werden Wohnungen erworben, um diese mit Zinsen und Dividenden ,belasten’ zu können. Ziel ist nicht mehr die Tilgung der auf den Wohnungen lastenden Kredite, sondern die Bedienung einer im Grunde endlosen Reihe von Schulden durch das Immobilienvermögen. Diese Schulden bestehen nur noch zum Teil bei externen Banken, sondern überwiegend aus Anleihen und Verbriefungen, die von dem Immobilienkonzern selbst als Wertpapiere ausgegeben werden.“ (4)

Dieses Vorgehen kann als betrügerische, ja räuberische Formation bezeichnet werden. Die finanzindustrielle Unterwerfung hat die sofortige, teilweise nur kurzfristige Erzielung eines „Cashflow“ zur systemisch zwanghaften Voraussetzung: Mietsteigerungen („Modernisierung“, Verdrängung von AltmieterInnen, Wohnungsaufteilung, Nachverdichtung), Kostensenkung (Auslagerung und Zentralisierung des Gebäudemanagements sowie Aufbau eigener Instandhaltungsflotten zum Minimaltarif), Standardisierung der Wohnungsverwaltung (z. B. über anonyme Callcenter), transnationale Expansion, freilich nicht zu vergessen Zusammenarbeit mit dem Staatsapparat in Form von Lobbyismus sind ihre dabei angewandten, teils drastischen Mittel.

Spekulation den Boden entziehen

Dass es dementsprechend nicht vorrangig um langfristige Verwertung von Wohnungsbaukapital in Form von Neubau, sondern um schnelle Rendite und Profit geht, lässt sich leicht durch Zahlen belegen. In Deutschland beruhten 2016 nur 32,4 % der Wohnungsbauaktivitäten auf Neubauten, fast doppelt so viele auf sogenannten Bestandsleistungen. Ein Viertel aller Immobilientransaktionen erfolgte in den sieben größten deutschen Städten (Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf). Dabei wohnen dort nur 12 % der deutschen Bevölkerung.

Doch nicht nur in den Metropolen, auch in deren „Speckgürteln“ verschärft sich die Situation. Zusätzlich zu den Mieten für Wohnungen in den Vorstädten haben auch die Bodenpreise massiv angezogen. Seit 2009 bleibt der Quotient aus Kauf- zu Bodenpreis weitgehend konstant. Da die Anzahl der Transaktionen nahezu unverändert blieb, steigen die Baulandpreise in derselben Geschwindigkeit wie die der Gesamtimmobilien. Die Preiszuwächse bei Eigenheim- und Mehrfamilienhäuserbauplätzen sind exorbitant.

Um dies zu unterbinden, bedarf es einer offensiven Bodenpolitik, die Bauland in kommunaler Hand belässt und nur zu bestimmten Konditionen verpachtet. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Frage schon 1967 geurteilt, dass das Allgemeinwohl höher zu gewichten ist als das Eigentumsrecht an Grundstücken: „Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen. Eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern.“

Kampfperspektive

Bürgerliche Wohnungs- und Bodenreformpolitik richtet sich allenfalls gegen „spekulative Auswüchse“, also nicht gegen das private Grund- und Immobilieneigentum an sich. Unions-Parteien, FDP und AfD springen den ProfiteurInnen der Wohnungsmisere bei und fordern noch mehr Privatisierung und einen noch „freieren“ Markt. Die SPD „bremst“ mit leeren Worten und halbherzigen Maßnahmen, die wie die unwirksame Mietpreisbremse noch zusätzlich verwässert werden.

Wie aber das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Mietendeckel ebenfalls zeigt, dürfen wir nicht auf eine institutionell bzw. juristisch verordnete Umkehr in all diesen Fragen hoffen. Der Umgang von Verwaltungen und Gerichten mit Volksentscheiden und Bürgerbegehren hat in der Vergangenheit gezeigt, dass die Privatisierungspolitik der vergangenen Jahrzehnte und somit das Dogma eines selbstregelnden Marktes nicht auf dem Rechtsweg abgeschafft und zurückgenommen werden können, da dieser Rechtsweg durch den bürgerlichen Staat führt, der dem Privateigentum verpflichtet ist.

Vielmehr brauchen wir eine Bewegung, die den MieterInnenkampf als Klassenkampf versteht. Und das bedeutet nicht nur die entschädigungslose Enteignung großer Immobilienkonzerne. Es bedeutet in letzter Konsequenz, den Kapitalismus überhaupt als Wurzel exzessiver Profite und Spekulation zu überwinden.

Quellenangaben

(1) Vgl. Wohnungsregulierung zwischen Staatsregulierung und Marktwirtschaft, in: Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. (isw): Report Nr. 116/117 (2018), S. 13

(2) Gesellschaft zum Schutz der Menschenrechte 1999: Weissbuch. Enteignung der Ostdeutschen. Unfrieden in Deutschland; Dahn, Daniela 1994: Wir bleiben hier oder Wem gehört der Osten? Vom Kampf um die Häuser und Wohnungen in den neuen Bundesländern.

(3) Vgl. Internationale Investoren und börsennotierte Anleger auf dem Wohnungsmarkt, in: Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e.V. (isw): Report Nr. 116/117 (2018), S. 25

(4) Unger, Knut: Mieterhöhungsmaschinen. Zur Finanzialisierung und Industrialisierung der unternehmerischen Wohnungswirtschaft, in: PROKLA 191, 48. Jahrgang, Nr. 2, Juni 2018, S. 211.




Zum wohnungspolitischen Programm der Interventionistischen Linken (IL): Das Rote Berlin als blinder Fleck

Michael Eff, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Angesichts der sich zuspitzenden Wohnungsmisere in Berlin hat die IL ein wohnungspolitisches Programm vorgelegt. Der Titel der Broschüre lautet: „Das Rote Berlin (Strategien für eine sozialistische Stadt)“. Ein solches Programm vorgelegt zu haben, das erkennen wir an, ist an sich bereits verdienstvoll. Die Broschüre ist durchaus gut aufgebaut. Es werden, in sprachlich ansprechender Form, weite Themenfelder der Wohnungsfrage abgedeckt, und dabei werden zutreffende Beschreibungen der Berliner Wohnungssituation vorgenommen. Es gibt informative Zusatzinformationen, z. B. über die Geschichte des Berliner Baufilzes, und die wohnungspolitischen Forderungen können wir zu einem großen Teil durchaus unterschreiben.

Auch orientiert man sich an basisdemokratischen Entscheidungsstrukturen (hier der MieterInnen), allerdings, und hier kommt unser erster Einwand, durchgehend nur in einem vorgegebenen gesetzlich-institutionellen Rahmen. Rätestrukturen sehen anders aus und kommen auch anders zustande. Und auch bei der, zunächst durchaus positiv zu sehenden, Ausrichtung auf außerparlamentarische Kämpfe der Betroffenen kommt die Parlamentsfixierung, wie wir später sehen werden, durch die Hintertür wieder herein.

Trotzdem bleibt positiv festzuhalten, dass die IL sich nicht damit begnügt, begründete Forderungen zur Lösung der Wohnungsmisere zu formulieren, sondern das Ganze eingebettet ist in eine strategische Orientierung, nämlich in „Strategien für eine sozialistische Stadt“. Aber spätestens hier, bei der strategischen Orientierung, beginnen auch die Probleme.

Staatstreue

Während die IL in einem Selbstverständnispapier betont, dass ihre Politik „grundsätzlich antagonistisch zum Staat“ stehe, ist die Strategie in der Wohnungsbroschüre der IL durchweg anders ausgerichtet. Der Weg zum Sozialismus führt hier über die Reformierung und Demokratisierung der vorhandenen staatlichen Einrichtungen. (S. 8) Und das alles natürlich durch Gesetze. So fordert man z. B. den Umbau der BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) zu einer „Vergesellschaftungsagentur“. Oder auch, dass börsennotierte Unternehmen in öffentliches Eigentum „überführt“ werden sollen, und ihre Neubildung soll „durch gesetzliche Regelungen unterbunden werden.“ (S. 20)

Das Ganze atmet den Geist gesetzlich-bürokratischer (die IL würde sagen „demokratischer“) Neuregelungen innerhalb des bestehenden Staates.

Selbst wenn die IL von „Mieter*innen-Räte“ spricht, meint sie damit nicht Organe demokratischer Selbstermächtigung in notwendiger Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat und kapitalistischem Eigentum, sondern Formen von Selbstverwaltung innerhalb vorgegebener Institutionen.

So ist es denn auch kein Wunder, dass die IL zufrieden feststellt: „Die meisten dieser Ziele (des rot-rot-grünen Berliner Koalitionsvertrages, d. V.) stimmen ohnehin eins zu eins mit langjährigen Forderungen der stadtpolitischen Bewegung überein.“ (S. 39) Allerdings fehlt ihr im Koalitionsvertrag „die Vision für ein anderes Berlin“ (??) (S. 10). Alles klar?

Die IL fasst ihre Kampfausrichtung für den Sozialismus folgendermaßen zusammen: „…der Charakter des Ganzen (Kampfes, d. V.) muss außerparlamentarisch sein. Dennoch muss mit Parteien diskutiert werden. Parteien sind Teil des Staates, und wenn wir Teilziele umsetzen wollen, müssen sich Parteien und Abgeordnete dafür einsetzen.“ (S. 39)

Hier also, gewissermaßen durch die Hintertür, kommt die Parlamentsfixierung wieder herein, denn der Gesetzgeber ist bei uns das Parlament. Nicht dass es per se illegitim wäre, das Parlament von außen unter Druck zu setzen, um Forderungen durchzusetzen, aber als strategische Orientierung so den Sozialismus erkämpfen zu wollen („Strategien für eine sozialistische Stadt“!!), ist doch reichlich illusorisch.

Auch kommt es einem in diesem Zusammenhang schon merkwürdig vor, dass in einer Broschüre von 43 Seiten die Wohnungsprivatisierungspolitik des rot-roten Senats 2002 bis 2011 in ganzen dreieinhalb Zeilen abgehandelt wird.

Die IL entpuppt sich somit immer mehr, zumindest in wohnungspolitischer Hinsicht, als außerparlamentarischer Arm der Linkspartei.

„Das Rote Wien“ als Leit(d)bild

Vieles an der Wohnungspolitik der österreichischen Sozialdemokratie in den zwanziger Jahren in Wien war, gemessen am übrigen kapitalistischen Europa, sicherlich beeindruckend, aber Wien war keineswegs eine „sozialistische Stadt“, sondern der reformistische Versuch, eingegrenzt auf das Feld der öffentlichen Versorgung (insbes. Wohnen), den Kapitalismus lediglich einzudämmen. Wien war eben keine „sozialistische Insel“ in einem kapitalistischen Land, sondern (bei aller Sympathie für die Wohnungspolitik) eine kapitalistische Hauptstadt eines kapitalistischen Landes!

Und eines zeigt sich an diesem Beispiel ganz klar: Ein wie auch immer geartetes „antikapitalistisches Wohnungsprogramm“ kann nur funktionieren, wenn es eingebettet ist in ein Gesamtprogramm der sozialistischen Revolution bzw. eine Strategie der Machtergreifung und Zerschlagung der bürgerlichen Staatsmacht. Solange die Staatsmacht nicht zerschlagen ist, ist keine einzige Errungenschaft gesichert.

Bei der IL dagegen heißt es: Vergesellschaftung „ gelingt nur durch eine Ausweitung von Ansätzen kollektiver Selbstverwaltung und durch die radikale Demokratisierung der bestehenden (!!!, d. V.) staatlichen Institutionen.“ (S. 8).

Es war aber genau diese reformistische Sichtweise der Sozialdemokratie auf die Gesellschaft, die die Zerschlagung des „Roten Wiens“ ermöglicht hat und die Machtergreifung des „Austrofaschismus“ 1934 nach sich zog.

Diese Schlussfolgerung zieht die IL aber nicht, ihre Kritik bleibt halbherzig und verkürzt.

Bei der IL sieht die Bilanz dieser „reformistisch-antikapitalistischen Kommunalpolitik“ Wiens wie folgt aus: „Das ,Rote Wien‘ war damals und ist heute ein beeindruckendes Symbol, dass auch unter politisch und wirtschaftlich schwierigen Bedingungen die Lösung der Wohnungsfrage möglich ist. Die SDAPÖ kam allerdings über ein konsequentes Umverteilungs- und Wohlfahrtsprogramm nicht hinaus. Die Auswirkungen des zugrunde liegenden Interessensgegensatz der Klassen (!, welche?, d. V.) und der kapitalistischen Produktionsweise insgesamt wurden abgemildert und durch nicht-kapitalistische soziale Infrastruktur ergänzt. Die abwartende Haltung der Sozialdemokratie wurde ihr dabei zum Verhängnis. Dennoch ist bis heute ihr Vermächtnis eine Inspirationsquelle mit internationaler Ausstrahlung.“ (S. 12)

Dass die „abwartende Haltung“ (inwiefern?, womit?) integraler Bestandteil jeder „reformistisch-antikapitalistischen“ Strategie ist, kommt der IL nicht in den Sinn.

Nebenbei, auch die Wohnungspolitik der Sozialdemokratie im Berlin der zwanziger Jahre wird als „Vorgriff auf eine sozialistische Gesellschaft“ (S. 28) gesehen. Aber leider, leider, beklagt die IL: „Vieles ging nicht weit genug, die Aufbrüche wurden 1933/34 (in Berlin und Wien, d. V.) abgebrochen (!!, d. V.).“ (S. 10)

Das Ende der „reformistisch-antikapitalistischen Kommunalpolitik“ in den Katastrophen von 1933 und 1934 theoretisch derartig zu verharmlosen und zu verkürzen, ist kaum zu fassen, ist aber angesichts der eigenen strategischen Ausrichtung nur folgerichtig.

Auf reformistischem Schleichweg zum Sozialismus

Es handelt sich beim IL-Wohnungsprogramm um eine Reformstrategie mit der „Perspektive der Vergesellschaftung. Wohnraum darf keine Ware am Markt sein, sondern Gemeingut in demokratischer Verwaltung.“ (S. 6) Die IL macht aus ihrer gradualistisch-kleinschrittigen (Reform-) Strategie auch gar kein Hehl. Zur Verdeutlichung seien ein paar Aussagen zitiert,

da heißt es z. B.:

„Abschaffung des privaten Wohnungsmarktes… durch eine Reihe von Reformen…Schritt für Schritt“ (S. 7);

„ Ausweitung von Ansätzen kollektiver Selbstverwaltung“ (S. 8);

„…weiter treibende Reformen, die schrittweise den Handlungsspielraum des Immobilienkapitals einschränken, die Spielräume für öffentliches und kollektives Eigentum erweitern“ (S. 12);

 „Daher muss erst mal kräftig Sand ins Getriebe der privaten Immobilienspekulation, bevor (!,d. V.) wir über Rekommunalisierung reden können.“ (S. 19);

„…schrittweise Zurückdrängung von privatem Wohnungseigentum“ (S. 33).

Es wird natürlich auch positiv Bezug auf das Grundgesetz genommen, das ja Enteignung zulässt, die vorgeschriebene Entschädigung wird dabei prinzipiell akzeptiert (S. 34).

Dazwischen, völlig unvermittelt und nicht weiter erklärt, heißt es an einer Stelle: „Die sozialistische Stadt wird nicht konfliktfrei und als reine Reform durchgeführt werden können.“ (S. 34) Aber dann geht’s gleich munter weiter mit den Reformen:

„Demokratisierung“ als „langer Prozess“ und „Nach und nach muss der Aufbau von lokal verankerten Strukturen, die Punkte des Widerstands schaffen…“ (S. 36) Usw. usf., die Liste ist beileibe nicht vollständig.

Zusammengefasst kann man sagen: Die IL hat die Vorstellung/Strategie von einer allmählichen Ausweitung nichtkapitalistischer Freiräume, die sich zunehmend vernetzen, die bestehenden staatlichen Strukturen demokratisieren, alles natürlich „kämpferisch“ und „von unten“, was dann irgendwie (hier gibt es nicht zufällig eine absolute Leerstelle) die „sozialistische Stadt“ (was immer das auch sei) ergeben soll.

Aber: So verläuft Klassenkampf nicht, und so ist er auch noch nie verlaufen. Teilerfolge sind zwar durchaus möglich, sind aber keine sicheren „Stützpunkte“, von denen ausgehend dann „Schritt für Schritt“ eine weitere Ausdehnung erfolgen könnte.

Solange die kapitalistische Staatsmacht besteht, sind Teilerfolge immer gefährdet. Das Hin und Her im Klassenkampf verläuft nie geradlinig – und schon gar nicht immer in eine Richtung. Hier gibt es tiefe Brüche, Erfolge und Rückschläge. Dass man der herrschenden Klasse die Macht stückweise bzw. allmählich entreißen könnte, ist naiv und eine klassische Vorstellung jeder reformistischen Strategie.

Klassenkampf?

Wer kämpft eigentlich? Die Betroffenen natürlich, – die MieterInnen! Richtig, aber niemand ist nur MieterIn, schon gar nicht in der kapitalistischen Gesellschaft. Bei der IL ist etwas dubios die Rede von „Schmieden von breiten Bündnissen“, „breiter Bewegung mit verschiedenen Formen des Widerstands“, „Hineinwirken in die Gesellschaft“, von „Kultur des zivilen Ungehorsams“ etc.

Klassenkampf und ArbeiterInnenklasse gibt es nicht. Gewerkschaften auch nicht. Nun verlangen wir von der IL nicht, dass sie unseren Klassenbegriff teilt, aber etwas genauere Ausführungen darüber, wer aufgrund welcher Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft BündnispartnerIn sein kann und wer nicht, und – wenn ja – wie und wohin „Kampfzonen“ über den Wohnungsbereich hinaus ausgeweitet werden können oder auch nicht, das kann man von einer Broschüre, die eine strategische Orientierung bieten will, erwarten.

Hier passt auch ins Bild, dass offensichtlich niemand verschreckt werden soll. Während es an anderer Stelle in einem Selbstverständnispapier bei der IL erfreulich klar heißt, dass die IL „das staatliche Gewaltmonopol bestreitet“, wird in der Broschüre kirchentagskompatibel versichert: „Jede Gewalt gegen Personen verbietet sich daher,…“ (S. 43) Wie man dieses Prinzip, z. B. bei dem Versuch, eine Zwangsräumung zu verhindern, durchhalten will, ist uns schleierhaft.

Auch ist es vermutlich in diesem Zusammenhang kein Zufall, was in der Broschüre fehlt. Z. B. die Forderung nach Beschlagnahme von untergenutztem Wohnraum. Als die Flüchtlingszahlen hoch gingen und die Flüchtlinge in unwürdige Massenquartiere gepfercht wurden, hätte es sich doch angeboten, durch Berlins Villenviertel zu ziehen mit der Forderung „Hier ist Wohnraum genug – Beschlagnahme!“ Man hätte auf diese Weise dem rassistischen Diskurs „Innen gegen Außen“ den revolutionären Diskurs „Oben gegen Unten“ entgegengesetzt. Aber damit lässt sich gegenwärtig natürlich kein „breites Bündnis“ aufbauen.

Nun ist die Wohnungsfrage besonders dafür geeignet, die Klassenfrage auszuklammern, denn ArbeiterInnenklasse und Kleinbürgertum sind beide von der Wohnungsmisere betroffen. Es ist daher kein Zufall und typisch für kleinbürgerliche Bewegungen, in einem Bereich außerhalb der unmittelbaren kapitalistischen Produktionssphäre (Schaffung von Mehrwert) die „soziale Frage“ („Strategien für eine sozialistische Stadt“!!); lösen zu wollen. Darauf hat schon Engels in seiner Schrift „Zur Wohnungsfrage“ hingewiesen.

Die IL bleibt aber auch hier nebulös. Unter „nicht-kapitalistischer Organisation von Wohnen“ kann man sich ja vielleicht noch einiges vorstellen, aber was „nicht-kapitalistische“ Organisation „von Stadt“ sein soll, (S. 8) müsste man schon erklären. Die Arbeitswelt gehört aber offensichtlich nicht dazu.

Überhaupt wird die Wohnungswirtschaft gewissermaßen rein sektoral betrachtet, als ein von der übrigen Gesellschaft streng abgrenzbarer Bereich und auch als eigenständiges Kampffeld. Das hat in gewissen Grenzen auch seine Berechtigung, aber es muss zumindest angedeutet werden, wo diese Grenzen überschritten werden (müssen).

Und es fehlen hier kurze Erklärungen zur polit-ökonomischen Herleitung und Verortung des Wohnungskapitals, z. B. die Punkte: Was ist Miete überhaupt?, Grundrente, Verschmelzung der Wohnungswirtschaft mit Finanz- und Industriekapital, Verhältnis zur Mehrwertproduktion, Aufteilung des Profits, Bedeutung der Miete für die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft, und damit gesamtkapitalistische Interessen an der Wohnungsfrage und dabei die Rolle des Staates etc.

Fazit: Das alles muss man nicht immer, wenn man sich zur Wohnungsfrage äußert, oberlehrerhaft ausbreiten und man kann sich hier auch kurz halten. Aber in einer Broschüre, die den Anspruch stellt, eine strategische Orientierung zu geben, gehören Ausführungen darüber schon dazu.

Ja! Ein revolutionäres Programm!

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch RevolutionärInnen haben nichts gegen reformistische Forderungen, aber sie müssen eingebettet sein in ein wohnungspolitisches Programm, das folgende drei Prinzipien berücksichtigt:

1. Ökonomisch-gesellschaftlich muss der Wohnungssektor in den Forderungen ansatzweise überschritten werden (z. B. entschädigungslose Enteignung von Banken, Finanzierungsgesellschaften, der Bauindustrie usw.). Es gibt nämlich kein isoliertes Wohnungskapital, das Kapital insgesamt ist der Feind.

2. Klassenorientierung (z. B. durch Einbeziehung der Gewerkschaften, denn schließlich beeinflussen die Mieten die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft und damit Lohnkämpfe).

3. Organisierung der MieterInnen in räteähnlichen Strukturen und nicht in bürokratisch-gesetzlich vorgegebenen Gremien (was einzelne Verbesserungen in gesetzlichen gegebenen Gremien nicht prinzipiell ausschließt, aber das sollte man nicht als Schritt zum Sozialismus verkaufen). Der bürgerliche Staat ist nicht die freundliche Spielwiese, sondern der Feind.

Fazit

Wenn die IL vertritt, dass der herrschenden Klasse die Macht stückweise, „Schritt für Schritt“ zu nehmen sei, so trägt sie dazu bei, reformistische Illusionen zu wecken und zu verbreiten.

Aber immerhin, dass die IL in ihrer Einleitung zu ihrem Selbstverständnis schreibt: „Wir sagen, was wir tun – und wir tun, was wir sagen.“ (S. 6) ist berechtigt. Ihr Reformismus in der Wohnungsfrage wird offen und ehrlich dargelegt.




Die DWE-Broschüre „Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft“ – Würdigung und Kritik

Tomasz Jaroslaw, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Im Dezember 2019 hat die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ (DWE) eine Broschüre mit dem Titel „Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft – Lösungen für die Berliner Wohnungskrise“ veröffentlicht. In dieser Publikation werden in den ersten beiden Kapiteln die Begriffe Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft beschrieben, in Kapitel 3 und 4 die Vorteile der Vergesellschaftung von Wohnraum und wird im letzten Kapitel abschließend die angedachte Verwaltungs- und Mitbestimmungsstruktur dargestellt.

1. Aktionseinheit und Freiheit der Kritik

Vorab muss festgestellt werden, dass das Motiv, Grundbegriffe einem breiteren Publikum vorzustellen, verständlich ist. Gleichzeitig ist es schwierig für eine Kampagne, deren gemeinsames Ziel einzig und allein in der erfolgreichen Durchführung eines Volksentscheids zur Vergesellschaftung großer Wohnkonzerne liegt, politische Aussagen zu treffen, die die gesamte Breite der UnterstützerInnen teilt. Daher ist es für politisch breite Aktionseinheiten, wie die Kampagne sie darstellt, empfehlenswert, sich nur auf konkrete praktische Ziele zu verständigen, aber möglichst wenig politisch-programmatische Aussagen zu tätigen, die alle TeilnehmerInnen zu unterstützen verpflichtet sind. Programmatischer und ideologischer Kampf sollte vor allem politischen Gruppen vorbehalten sein.

Bei den internen politischen Diskussionen im Vorfeld zur Broschüre wurden der freien Diskussion und demokratischen Entscheidungen im Plenum Steine in den Weg gelegt. Anfänglich wurde beschlossen, den Broschürenentwurf offen zu diskutieren. Später versuchten Teile der Kampagne (vor allem die Interventionistische Linke; IL), den Entwurfstext der Arbeitsgruppe ohne weitere politische Diskussionen im Plenum zu bestätigen. Dabei wurde jede alternative Meinung scharf angegriffen – darunter Anträge von Mitgliedern der Gruppe ArbeiterInnenmacht, aber auch Kommentare der Akelius-MieterInnenvernetzung. Wer eine breite städtische Partizipation und demokratische Beteiligung bei der Verwaltung vergesellschafteter Wohnungen verspricht, sollte dies zuerst in der Kampagne selbst realisieren, um glaubwürdig zu sein.

Wir unterlagen bei der abschließenden Plenarbesprechung im Januar 2020 mit unseren Änderungsanträgen in den zentralen Punkten. Trotzdem unterstützen wir die Sammelaktion und das Enteignungsziel mit all unseren Kräften, denn wie bei jeder Einheitsfront muss das Motto lauten: Einheit der Aktion, Freiheit der Kritik – Letztere auch an den PartnerInnen der Initiative.

Bei aller Solidarität mit Aktionen und Ziel der DWE halten wir es für notwendig, mit unserer Kritik auf die strategische Schwachstellen der Broschüre aufmerksam zu machen.

2. „Stadtgesellschaft“ oder Klasse?

Die Broschüre trägt insgesamt die politische Handschrift der IL, mit deren wohnungspolitischem Programm, das mehrere Aspekte als das Heftchen der DWE umfasst, wir uns an anderer Stelle unserer Broschüre auseinandersetzen. Durch die gesamte Broschüre wird ohne jede Erläuterung der ominöse Begriff Stadtgesellschaft verwendet.

Mit Stadtgesellschaft soll möglicherweise die Gesamtheit der Berliner Bevölkerung gemeint sein. Hier einen Interessenkonflikt zwischen Wohnenden, Regierenden und den VertreterInnen des Kapitals zu suggerieren, ist erst einmal in der Tendenz begrüßenswert und sachlich gerechtfertigt. In der Tat ist der Hauptgrund für Mietpreissteigerung das internationale, mit dem Finanz- und Bankensektor verbundene Kapital, das durch langfristige Renditeerwartungen Mieten hochtreibt. Der bürgerliche Staat in Form des rot-roten Senats hatte durch die Privatisierung der 2000er Jahre diesen Prozess ermöglicht oder zumindest beschleunigt. Offen bürgerliche Regierungskoalitionen haben noch größeren Schaden in der Mietenpolitik angerichtet. Die Einbeziehung von SenatsvertreterInnen in den Verwaltungsrat ist daher kontraproduktiv. Ebenfalls problematisch und irreführend ist der fehlende Hinweis, dass die sog. Stadtgesellschaft analog zum Volksbegriff aus verschiedenen Klassen mit teilweise abweichenden und auch gegensätzlichen ökonomischen und politischen Interessen besteht. Als ob die besitzende Klasse ihre Interessen und ihre Feindschaft zur Vergesellschaftung einfach mal vergisst, nur weil sie wie alle zur Zivilgesellschaft gehört und DWE das Klasseninteresse der ArbeiterInnen nicht anspricht und die Besitzenden begriffstechnisch wie strukturell einbindet. Diese klassenübergreifende Einheit ist natürlich strategisch auf Sand gebaut.

Eine Einheit im politischen Kampf muss sich in erster Linie aus den Gruppen und Schichten zusammensetzen, die ein gemeinsames objektives Interesse haben. Die Zahl der ArbeiterInnen und lohnabhängigen Mittelschichten reicht zum Sieg des Volksbegehrens. Der Klassenbegriff würde hier für Klarheit sorgen. Das Verhältnis MieterIn–VermieterIn ist zwar kein auf der Ausbeutung von Lohnarbeit in der Produktion beruhendes, sondern die Immobilienkonzerne eigenen sich Monopolrenten an. Doch die überwältigende Mehrheit der Mieterinnen sind ProletarierInnen, die weder Eigentum an Produktionsmitteln, Wohnungen noch Grund und Boden besitzen, was sie deutlich von den Klassen mit großem und kleinem Besitz unterscheidet.

Da MieterInnen meist Lohnabhängige sind und deren Lebenserhaltungskosten tarifliche Erfolge und leichte Lohnsteigerungen auffressen, ist der Kampf für Vergesellschaftung, Gemeinwirtschaft und Demokratisierung über das Wohnungswesen hinauszutreiben, also in alle Bereiche der Wirtschaft. Für dieses Gesamtinteresse der Lohnabhängigen wäre die Integration von VertreterInnen der Gewerkschaften notwendig anstelle der Stadtgesellschaft oder des Senats. Dieser Vorschlag wurde jedoch leider abgelehnt.

Dies ist umso bedauerlicher, weil sich die ArbeiterInnenbewegung mächtige Organisationen geschaffen hat wie die Gewerkschaften, die mittels einheitlicher Aktionen – wirtschaftliche wie politische Streiks, Besetzungen, Mietpreiskontroll- und Mietsteigerungsboykottkomitees – wesentlich mehr Druck aufs Großkapital ausüben können als eine auf Volksabstimmungen fixierte BürgerInneninititative.

So sehr BürgerInnenbewegungen außerparlamentarischen Druck auf Kapital und Staat erzeugen können, so wenig sind sie alleine als Transformationsvehikel zur Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise geeignet. Ohne Einbindung in eine bewusste, revolutionäre Klassenpolitik enden selbst Initiativen oder Bewegungen mit Massenanhang als außerparlamentarische Anhängsel des parlamentarischen Reformismus oder werden – wie im Falle der Grünen – selbst zu einer bürgerlichen Partei.

3. Historische Bezüge: Grundgesetz oder ArbeiterInnenbewegung?

a) Zum Begriff der Vergesellschaftung

In Kapitel 1 wird konstatiert, dass Vergesellschaftung die Wohnungskrise lösen kann. Es sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt, dass dieser Begriff historisch unterschiedlich definiert wird. Im marxistischen Kontext beschreibt er eine Situation, wo die Konsumentinnen und Produzentinnen in einer befreiten, sozialistischen Gesellschaft über das erwirtschaftete Gesamtprodukt einschließlich eines Überschussfonds, der nicht in den unmittelbaren Verbrauch eingeht, als Kollektiv verfügen können. Nach Artikel 15 Grundgesetz liegt eine Vergesellschaftung vor, wenn Grund, Boden, Naturschätze oder Produktionsmittel durch Gesetz ihren Eigentumstitel zugunsten der Überführung in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft ändern. Die folgende Verwendung dieses Begriffs erfolgt in einem breiteren Sinn, den auch die bürgerliche Gesellschaft anerkennt.

Die Verwaltung des vergesellschafteten Wohnraums durch ein System von sog. „MieterInnenräten“ und einer demokratisch kontrollierten Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) stellt zweifelsohne einen Fortschritt nicht nur gegenüber der gemeinwohlorientierten Regulierung privaten Eigentums, sondern auch der Überführung in eine städtische Wohnungsgesellschaft nach dem Vorbild der existierenden dar. Auch ist das Festhalten an einem einheitlichen (kollektiven, staatlichen) Gemeineigentum sinnvoller als mögliche Szenarien des Aufteilens der Wohnbestände auf Individualbesitz oder kleinere Besitzgemeinschaften zur Realisierung einer kleindimensionierten Selbstverwaltung. Auch eine Wohnungsgenossenschaft wäre möglich, die gemeinwirtschaftlich arbeitet und eine interne demokratische Verfassung präsentiert.

Die AöR soll via Gesetz eingerichtet werden. Es ist positiv, dass DWE hier Druck auf die Senatsparteien ausüben will. Eine Schwäche ist jedoch, dass wenn die AöR durch ein Gesetz des Abgeordnetenhauses eingerichtet wird, dieses auch von ihm je nach Mehrheitsverhältnissen und Senatszusammensetzung wieder, zu Ungunsten der MieterInnen, reorganisiert werden könnte.

Nach dem aktuellen DWE-Modell sollen die Entschädigungen per Schuldscheine über einen Zeitraum eines halben Jahrhunderts abbezahlt werden. Damit entfällt die Abhängigkeit von Bankkrediten, jedoch nicht von der Kursentwicklung langfristiger Anleihen, und wird deren Verzinsung auch auf die Mieten umgelegt, was einen Negativpunkt darstellt. Wer wird diese kaufen können mit entsprechenden Erwartungen an langfristige Verzinsung? Große VermögensbesitzerInnen wie Banken, Investmentfonds, Versicherungen? Was passiert zudem mit den Überschüssen nach der Entschädigung? Fließen die in den Haushalt, wird der Überschuss in Sozialneubau investiert oder werden die Mieten gesenkt? In jedem Fall muss die Entscheidung durch die MieterInnen getroffen werden und nicht vom Senat oder dem Gesetzgeber. Hier sollten die sog. MieterInnenräte eine entscheidende Rolle spielen.

b) Zum Begriff der „Räte“

Positiv ist die Idee einer gewissen Autonomie einzelner Häuser (Hausplenum) und von MieterInnengremien als Kontrollorganen auf verschiedenen lokalen Ebenen (Siedlung-, Gebiets- und Berliner GesamtmieterInnenrat). Dadurch wird es möglich werden, die Basis einzubeziehen, bessere Ansprechbarkeit der Verwaltungs- und Servicestruktur zu garantieren und gewisse Aufgaben lokal zu entscheiden (Subsidiaritätsprinzip). Nur Aufgaben, die die Gesamtheit betreffen, sollen zentral in der AöR entschieden werden, die durch einen Verwaltungsrat und eine Geschäftsführung geleitet wird. Der GesamtmieterInnenrat setzt hier die VertreterInnen der MieterInnen ein. Zusammen mit den VertreterInnen der Beschäftigten bilden diese eine Mehrheit im Verwaltungsrat. Das ist positiv. Mit den VertreterInnen auch der Stadtgesellschaft, davon zweien des Senats, hat der Verwaltungsrat aber auch einen bürgerlichen Charakter – zusätzlich zu den vollständig bürgerlichen Besitzverhältnissen auf dem gesamten Wohnungssektor und erinnert leicht an einen Staatskapitalismus im Unterschied zu einer wirklichen Vergesellschaftung. Die Anstalt des öffentlichen (!) Rechts ist Staatseigentum.

Zwar werden die Kontrollstrukturen „Räte“ genannt (Siedlungs-, Gebiets-, GesamtmieterInnenrat), jedoch werden diese ohne jederzeitige Abwählbarkeit und Rechenschaftspflicht der gewählten VertreterInnen statt zu Institutionen der direkten oder ArbeiterInnendemokratie auf bürgerlich-repräsentative Organe reduziert. Also statt richtiger Räten werden Miniparlamente vorgeschlagen. Der Begriff des Rates wird nicht aus den Doppelmachtorganen der ArbeiterInnenbewegung der Jahre 1918 bis 1921 abgeleitet oder aus dem ursprünglichen Begriff der Betriebsräte als Organ der Betriebsbelegschaftskontrolle über die Industrie, sondern aus dem Betriebs- bzw. Personalrat als Vertretungs- und Mitbestimmungsorgan des sozialpartnerschaftlichen Betriebsverfassungs- bzw. Personalvertretungsgesetzes der BRD. Die Betriebs- und Personalräte sind hier alles andere als vollständige Interessenorgane der Beschäftigten.

Personal- und Betriebsräte bilden eine der wichtigsten Stützen des Reformismus in der ArbeiterInnenklasse und damit von SPD und Linkspartei. Die politische Handschrift des Verständnisses von Vergesellschaftung und Räten im DWE-Pamphlet liegt mit dem Ankerpunkt Art. 15 Grundgesetz und dem Betriebsverfassungsgesetz eindeutig im Sozialdemokratismus und sperrt sich damit gegenüber einer realen Vergesellschaftung im Sinne einer Kollektivierung und der wirkungsvollen Kontrolle wie in einer Rätedemokratie. Dies sieht man nicht nur am parlamentarischen Verständnis von den Organisationsstrukturen der AöR, sondern v. a., indem der Unterschied zwischen Integration ins System und ArbeiterInnenkontrolle verwischt wird.

Natürlich muss jeder Kampf für direkte Demokratie auf Basis einer gesamtgesellschaftlichen Gemeinwirtschaft (Sozialismus) mit konkreten Auseinandersetzungen beginnen. Und die Kampagne macht hier einen guten Anfang, weil sie auch grundlegende Fragen des Eigentums und der Kontrolle in der öffentlichen Auseinandersetzung aufwirft.

Jedoch muss das strategische Ziel – eine grundlegende, ihrem Wesen nach sozialistische Transformation – in den Rahmen einer Übergangsmethode eingebunden werden, wo tagespolitische Aufgaben verbunden werden mit dem Aufbau von Gegenmachtstrukturen, die von der bürgerlichen Klasse und ihren Institutionen unabhängig agieren und letztlich auf den Bruch mit der Staatsmacht und dem Kapitalismus orientieren. Diese Methode liegt in der Broschüre jedoch nicht vor, sondern der reformistische Ansatz, soziale, klassenübergreifende Zonen zu schaffen, als Teil des bürgerlichen Staates, und den Kapitalismus von innen her zu reformieren. Diese Strategie mag sich zwar aufdrängen, hat historisch jedoch immer versagt.

c) Historie und Perspektive der Gemeinwirtschaft

In Kapitel 2 wird der Begriff der Gemeinwirtschaft historisch skizziert. Es war die Perspektive einer neuen politischen Ordnung und in den Jahren 1918–1919, Mietstreiks, Aufstände, bewaffnete Milizen und die ArbeiterInnen- und SoldatInnenräte, die die Regierenden zu Zugeständnissen bewegt haben. Ein erwähnenswerter Bezugspunkt für DWE wäre der Berliner Mietstreik 1919, wo Arbeitslosenräte Versammlungen mit 200.000 Teilnehmenden durchführten und Forderungen nach Enteignung der HausbesitzerInnen und Mietpreiskontrolle aufgestellt haben. Hier zeigt sich zentral der Klassenkampf als Ursache für Reformen jeder Art (Gesetze, Verfassungen) und nicht die umgekehrte, falsche Sichtweise, das Grundgesetz als Motor für Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft zu betrachten.

Es reicht für die AutorInnen dagegen die reine Existenz eines nie zuvor verwendeten Grundgesetzartikels aus, um eine „lange Tradition“ zwischen Gemeinwirtschaft und Grundgesetz zu konstruieren. In Artikel 14 steht, dass Eigentum verpflichtet und der Allgemeinheit diesen soll. Diese beiden Aussagen haben die besitzende Klasse nie davon abgehalten, ihren Reichtum auf Kosten der Massen zu vermehren, öffentliche Güter und Profite mehr und mehr zu privatisieren und dabei Kosten zu sozialisieren. Der Art. 15, der „Sozialstaats“gedanke in Form der sozialen Marktwirtschaft, ist auf Basis einer breiten antikapitalistischen Stimmung und in Konkurrenz zu einer Forderung nach Elementen einer sozialistischen Wirtschaftsordnung, wie der Verstaatlichung der Grundstoffindustrie, entstanden. Es ist natürlich opportun, sich in der Kampagne rechtlich auf den Artikel 15 GG zu berufen. Man muss jedoch auch gleichzeitig feststellen, dass die historische Alternative von vornherein zu vergesellschafteten, gemeinwirtschaftlichen Wohnbeständen geführt hätte und es damit keinen Boden für die Mietpreisspirale gäbe. Diese Aussagen sind also, diplomatisch ausgedrückt, sehr optimistisch und einseitig und greifen Rechtspraxis und Natur des bürgerlichen Staates inklusive Grundgesetz in keinster Weise an. Ferner fehlt jeder Verweis auf Erfolge, die mittels dieser Paragraphen erreicht wurden. Warum wohl? Die Verstaatlichung des Grund und Bodens sowie der Grundstoffindustrie wurde außer auf dem Gebiet der späteren DDR trotz überwältigender Zustimmung im hessischen Volksentscheid nicht durchgesetzt. Um Flächen für Autostraßen, AKWs und Braunkohletagebaue zu enteignen, hat sich das GG dagegen bestens bewährt. Sprach sich ein Volksentscheid dagegen mit überwältigender Mehrheit gegen die Schließung eines Krankenhauses aus wie in Hamburg, schloss der dortige Senat es trotzdem. Wir erinnern an dieser Stelle auch an die zahlreichen Anläufe für Volksabstimmungen für mehr Klinikpersonal, die von etlichen Landesverfassungsgerichten (Bayern, Hamburg) für unzulässig erklärt wurden.

Im zweiten Kapitel werden die historischen Ursprünge der Gemeinwirtschaft in Form von Genossenschaften und Kooperativen auf sozialistische wie liberale WirtschaftsreformerInnen zurückgeführt. Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts existierten vielfältige Zusammenschlüsse wie Darlehenskassenvereine, Handwerks-, ArbeiterInnen- und Gewerksvereine, Produktions- und Konsumgenossenschaften, von denen heute nur die Raiffeisen- bzw. Volksbanken auf der einen Seite und Gewerkschaften und Wohnungsgenossenschaften auf der anderen Seite überlebt haben.

Zunächst muss man zwischen den kleinbürgerlichen und proletarischen Organisationen unterscheiden. Ständische Gewerks- oder Wohnvereine, die sich um Meister, leitende Angestellte, BeamtInnen und Intellektuelle gruppierten, hatten zwar den Anspruch, ihren Mitgliedern das Leben zu vereinfachen, jedoch bestand nie der, Gesellen und ArbeiterInnen aus dem ausbeuterischen Lohnverhältnis und der Preisdiktatur zu befreien.

Anders stellt sich das mit den proletarischen Organisationen in der Tradition der jungen, teilweise noch revolutionären Sozialdemokratie dar, die den Anspruch auf Umwandlung in eine sozialistische Wirtschaft und proletarische Demokratie aufgriffen. Aber auch die sozialistischen Organisationen haben im 20. Jahrhundert praktisch und politisch den Anspruch aufgegeben, ihr Prinzip der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Gemeinwirtschaft zu verallgemeinern und eine alternative, sozialistische Ökonomie aufzubauen. Dafür wäre der Bruch mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und den bürgerlichen Institutionen eine Bedingung gewesen. Was passiert, wenn man dies nicht tut, sieht man gerade an den Konsequenzen: zahlreiche Vereinigungen sind zusammengebrochen, der Rest passte sich den ihn umgebenden politischen Institutionen und „wirtschaftlichen Sachzwängen“ an. Von den ArbeiterInnenkooperativen (Neue Heimat, Bank für Gemeinwirtschaft, Konsumgenossenschaften, … ) existiert heute noch genauso viel wie von der sonstigen sozialdemokratischen Gegengesellschaft (Presse, Sport-, Gesangs- und Bildungsvereine) – nämlich nichts! ArbeiterInnengenossenschaften werden entweder Schulen des Sozialismus und integraler Teil einer internationalen demokratischen Planwirtschaft oder sie enden als stinknormale Läden wie andere auch.

Der Apparat der Wohnungsgenossenschaften lässt sich personell und politisch kaum von dem der privaten Konzerne unterscheiden. Die Führung der Wohngenossenschaften wetterte gegen den Mietendeckel und kämpft mit Falschbehauptungen auch gegen DWE und ihre Vergesellschaftungspläne. Damit enthält sie 300.000 BerlinerInnen das vor, was sie ihren Mitgliedern bietet: gewisse Selbstbestimmung, moderate Mieten und kostendeckendes Wirtschaften. Die politische Union zwischen zahlreichen Berliner Wohnungsgenossenschaften und finanzindustriellen Wohnkonzernen wie Deutsche Wohnen, Vonovia und Covivio wird dadurch treffend symbolisiert, dass sie alle in derselben Immobilienlobby Mitglied sind (Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e. V.; BBU).

Hier liegt das Grundproblem der AöR: Entweder deren Verwaltung konstituiert sich als Organisation der MieterInnen, Beschäftigten und ArbeiterInnenklasse, wird ein Motor des Klassenkampfes und schafft es, als Teil einer Massenbewegung zusammen mit Gewerkschaften, oppositionellen Betriebsgruppen, der MieterInnenbewegung, sowie sozialistischen und revolutionären Gruppen den Kapitalismus zu stürzen, oder sie wird dasselbe Schicksal erleiden wie die Prototypen, auf die sie sich beruft. Und der besteht dann nur noch im wirtschaftlichen (siehe Neue Heimat) oder politischen Verfall (siehe SPD und kommunale Wohnungsgenossenschaften). Die aktuelle Strategie der DWE-Mehrheit schließt den Brückenschlag zu einer wirklichen Vergesellschaftung politisch aus. Entweder es wird in einer offenen, geduldigen und demokratischen Auseinandersetzung um Taktik, Strategie und Programm zu neuen demokratischen Mehrheiten und einer politischen Kehrtwende führen, oder der Weg, den die Wohnungsgenossenschaften bereits beschritten haben, wird leider wieder beschritten.

4) Vorteile der Vergesellschaftung

a) Kleinkapitalismus oder Gemeinwirtschaft?

Im Abschnitt „Perspektiven fürs Kleingewerbe“ (Kapitel 3) wird beschrieben, dass kleine Gewerbetreibende ebenfalls von steigenden Mieten und Verdrängung bedroht sind. Diese würden auch von günstigen Mieten durch Vergesellschaftung profitieren und ihre Mehrkosten nicht auf die KonsumentInnen abwälzen. Es existiert jedoch hier kein Automatismus, dass niedrige Kosten sich immer in günstigen Preisen für den/die DurchschnittsarbeiterIn auswirken. Es ist korrekt, das Kleinbürgertum und kleine Gewerbetreibende, die mehrheitlich auch von steigenden Mieten betroffen sind, von der Richtigkeit und dem Nutzen vergesellschafteten Wohnraums zu überzeugen. Was jedoch übersehen wird, ist dass die Hauptadressatin der Vergesellschaftung die ArbeiterInnenklasse ist, die Notwendigkeit der Preiskontrolle als wichtige politische Forderung aus dem Kreis der proletarischen MieterInnenbewegung integriert werden müsste, damit sich die Kostenersparnis in niedrigen Warenpreise niederschlägt und das Ziel von Gemeinwirtschaft nicht in der Stärkung des Kleinkapitalismus endet.

Es wurde von uns ein alternativer Antrag unter dem Titel „Perspektiven für Klein- und Gemeingewerbe“ eingebracht:

„Wo Gewerberäume leer stehen oder Kleingewerbetreibende ihre Unternehmung einstellen, sollen diese ausschließlich durch gemeinnützige Träger und Vereine, gemeinschaftlich und demokratisch organisierte und rein kostenfinanzierte DienstleisterInnen und ProduzentInnen ersetzt werden. Wir nutzen vergesellschafteten Wohnraum vorsätzlich im Interesse und für die Bedürfnisse der Allgemeinheit und streben den systematischen Ausbau gemeinwirtschaftlicher Einheiten an. (…)“

Auch dieser Kompromissvorschlag wurde abgelehnt. Das steht natürlich im Widerspruch zum Titel der Broschüre, wo es gerade um Gemeinwirtschaft und Demokratisierung gehen sollte.

Auch an diesem Punkt halten Broschüre und Initiative eindeutig nicht das, was sie versprechen. Des Weiteren wird die Bereitschaft ersichtlich, das zentrale und strategische Interesse der Kampagne zugunsten der Hinwendung zur (klein)bürgerlichen Mitte und neuer zeitweiliger SymphatisantInnen und TrittbrettfahrerInnen zu opfern. Die Ablehnung dieses Vorschlages, jeder politischer Ansatz, der der ArbeiterInnenklasse gemeinsame strategische Interessen mit anderen Klassen suggeriert, betreiben Augenwischerei und ordnen die politischen Interessen und Perspektiven der große Masse der Bevölkerung einer kleineren Schicht unter. Während Kleingewerbetreibende und Kleinunternehmen Verbündete auf Zeit sein könnten, sind die besitzlosen Lohnabhängigen der strategische Kern für Vergesellschaftung. Auch wenn sich gemeinwirtschaftliche Unternehmungen langfristig im Kapitalismus nicht halten können, würden diese nicht nur ein viel loyaleres und politisches Umfeld bilden, sondern auch die Frage der Wirtschaftsordnung stellen.

b) Neubau

Positiv ist zu bemerken, dass die Broschüre die Frage des Neubaus aufgreift und beantwortet. Im Absatz „Neubau für die wachsende Stadt“ (Kapitel 3) und „Die Bauhütte“ (Kapitel 4) wird festgestellt, dass der Privatsektor wenig und unerschwinglich baut und durch die Vergesellschaftung von Grund und Boden neue Flächen zur Verfügung stünden. Der Bezug auf die gemeinwirtschaftliche Bauhütte der 1920er Jahre ist positiv. Ergänzend müsste man vorschlagen, dass die Bauhütte, ähnlich der AöR, auch einer demokratischen Kontrolle unterliegt und die Sozialbindung von deren Wohneinheiten entweder unbefristet ist oder die Mietpreise durch demokratische Kontrollorgane festgesetzt werden sollen.

c) Spezielle Gruppen

Einen weiteren Vorteil der Vergesellschaftung verkörpert die Forderung, Räume für marginalisierte gesellschaftliche Gruppen (Kitas, Jugendliche, Schutzräume gegen Gewalt, barrierefreies Wohnen, Geflüchtete, Wohnungslose/Verbot von Zwangsräumungen, Kunst- und Kulturschaffende) anzubieten und eine diskriminierungsfreie Vermietung sicherzustellen.

5. Entschädigung ist eine politische Frage

Unser Antrag auf entschädigungslose Enteignung – 1 Euro symbolische Entschädigung, um formal im Rahmen des GG zu bleiben – wurde abgelehnt. Inhaltlich wurde nicht begründet, warum den Immobilienkonzernen die Verwandlung ihres fiktiven Kapitals (Titel auf zu realisierende Gewinne) vergoldet werden soll. Formal könnte man denken, dass eine „gerechte Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten“ (Art. 14 GG) notwendig sei. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel zeigt jedoch eindrücklich, dass im bürgerlichen Rechtssystem auch im einseitigen Interesse entschieden werden kann – leider im Interesse der Immobilienkonzerne. Es zeigt aber auch, dass es nicht um gerechte Abwägung geht, sondern um im Klassenkrieg schlicht und einfach zu siegen.

Die grundsätzliche Anerkennung einer Entschädigung bei Enteignung impliziert logisch auch, dass ein Gewinn aus dem Immobiliengeschäft selbst als grundlegend berechtigt anerkannt,  also das Recht auf Profite im Voraus akzeptiert wird. Daraus folgt logischerweise, dass auch ein Volksentscheid vor die Frage gestellt wird, was es denn zu bieten hat für zu entschädigenden EigentümerInnen.

Mit Beginn des Volksbegehrens, der 2. Stufe im Volksentscheid, präsentierte DWE eine Höhe, die es für angemessen hält. Diese bewegt sich zwischen 7,3 Mrd. und 13,7 Mrd. Euro. Das bedeutet pro Kopf jeden/r EinwohnerIn Berlins eine Steigerung der Landesschuld zwischen 2.000 und 4.000 Euro oder – auf Basis der Staatsschuld vom 31.12.2019 von 14.700 Euro – um ca. 14 bis knapp 27 %.

Die von DWE in Aussicht gestellte Hauhaltsneutralität könnte nur dann gewährleistet werden, wenn die Entschädigung weit unter Marktwert liegt oder es zu einer steuerlichen Umverteilung kommt. Das von DWE favorisierte Faire-Mieten-Modell (FFM) versucht dabei, die Interessen der MieterInnen zum Ausgangspunkt für die Berechnung der Entschädigung zu nehmen, indem nicht die Werte der Immobilien als Berechnungsgrundlage herangezogen werden, sondern leistbare Mieten. Doch selbst die Verwirklichung dieser guten Absicht erfordert letztlich einen politischen Kampf und eine soziale Mobilisierung, um für 300.000 Menschen eine spürbare Entlastung sicherzustellen. Darüber hinaus entkommt auch das FFM einem grundsätzlichen Problem nicht.

Die Anerkennung einer „gerechten“ Entschädigung impliziert nämlich auch, dass diese letztlich über bürgerliche Parlamente und Gerichte ausgehandelt wird. So geht z. B. die amtliche Kostenschätzung unter dem rot-rot-grünen Senat von Kosten zwischen 28,8 und 26 Milliarden Euro aus. Die Immobilienlobby wird hier sicher noch weit höhere Forderungen präsentieren.

In jedem Fall eröffnet sich damit den Kapitalinteressen ein weites Feld für zukünftige Auseinandersetzungen, um eine Enteignung durch extreme Rückzahlungsforderungen für die Steuern zahlenden Lohnabhängigen unattraktiv und teuer zu machen. Damit wollen sie nicht nur maximale Profite sichern, sondern können auch einen Spaltkeil zwischen einen Teil der MieterInnen und die Mehrheit der Klasse treiben. Die einzige Möglichkeit, dem grundsätzlich entgegenzuwirken, besteht darin, die Legitimität von Entschädigungen grundsätzlich zu bestreiten und dafür zu kämpfen, alle Kosten den ProfiteurInnen der Wohnungsmisere aufzuzwingen.

Die entschädigungslose Enteignung – und eine symbolische von einem Euro ist im Grunde nur eine Sonderform davon – zeigt deutlicher und besser, wie wir diesen Kampf führen sollten: Nicht durch Verhandlungen um die Entschädigung, sondern indem wir – wie die Gegenseite – unsere einseitigen Interessen als Basis des politischen Handelns betrachten und unsere Instrumente verwenden, um zu gewinnen oder zumindest das Kräfteverhältnis zu unseren Gunsten zu verschieben. Man sollte neben den Unterschriftensammlungen auch Massenmobilisierung, politische Streiks und Mietboykotte einbeziehen, anstatt die bürgerlichen Kreise (nur) mit vernünftigen oder seriösen Kalkulationen zu überzeugen.

6. Ausblick

Die Broschüre „Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft“ stellt zentrale Modelle einer breiten Öffentlichkeit vor. Es werden dadurch Alternativen zu Privateigentum, Profitwirtschaft und der bürokratischen Führung aufgeworfen. Wichtige politische Instrumente (demokratische Kontrolle, Reprivatisierungsverbot), Schnittpunkte (Bauhütte) und auch die Vorteile für marginalisierte soziale Gruppen (Kinder/Jugendliche, FLINT, Gehinderte, Wohnungslose, Geflüchtete) werden positiver Weise dargestellt.

Auch wenn „rechtssichere“ Gesetzesentwürfe vorteilhaft sind, sieht man jedoch an dem Fokus darauf, dass es mehr darum geht, als „ExpertInnen“ intellektuelle Mittelschichten und die politische „Mitte“ zu überzeugen, anstatt eine Strategie zu entwickeln, die die Interessen der Masse der ArbeiterInnenklasse in den Mittelpunkt stellt. Diese stellt einerseits die deutliche gesellschaftliche Mehrheit und hat andererseits als einzige Klasse ein objektives und strategisches Interesse daran, Vergesellschaftung, Gemeinwirtschaft und Demokratisierung konsequent, also über die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse hinaus durchzusetzen, zu verteidigen und auszuweiten. Die politische Orientierung auf bürgerliche Institutionen (Grundgesetz, Abgeordnetenhaus) wie die der Broschüre und der Kampagne zugrundeliegende politische Programmatik schränken die Weiterentwicklung dieser positiven Ansätze ein.

Anstatt Modelle der direkten Demokratie für die MieterInnenkontrolle vorzuschlagen, werden die sog. MieterInnenräte auf einen Miniparlamentarismus reduziert, politische Zugeständnisse an den Staat (SenatsvertreterInnen), das Kleinbürgertum (Kleingewerbetreibende) und der Bourgeoisie (via Stadtgesellschaft) gemacht. Das gefährdet das Projekt, erhöht die Angriffsfläche für Staat und Kapital, die AöR entweder zu verbürokratisieren (Neue Heimat) oder wie in der Privatwirtschaft zu reorganisieren (Wohnungsgenossenschaften). Die historischen Fehler der sozialdemokratischen Wohnungsgenossenschaften werden in der Broschüre  wiederholt. Entsprechend kann festgestellt werden, dass sie viele gute Ansätze beinhaltet, jedoch am Ende nicht hält, was sie verspricht.

Auch wenn die Broschüre auf halben Weg stehen bleibt, ist die Kampagne zu unterstützen, da sie einen positiven Referenzpunkt einer Mietenpolitik im Interesse von Lohnabhängigen darstellt. Trotz ihrer inneren Widersprüche beinhaltet sie auch ein Potenzial, diese positiv aufzulösen und eine neue MieterInnenbewegung auf eine neue klassenkämpferische Grundlage zu stellen.

Des Weiteren strahlt die Kampagne mit ihren Losungen auf andere Teile der sozialen Bewegungen und Organisationen der ArbeiterInnenklasse (wie Mieterverein, SPD, Linkspartei, Gewerkschaften) aus. Der Kampf um Enteignung, Vergesellschaftung und Kontrolle durch die Beschäftigten und NutzerInnen könnte beispielsweise in Auseinandersetzungen gegen Schließungen und Entlassungen, für den Ausbau des Gesundheitswesens oder für ein ökologisch nachhaltiges Energie- und Verkehrssystem dem Trend der letzten Jahrzehnte entgegentreten, der in Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Schulden bestand. Ja, er könnte ihn sogar umkehren. Wenn wir das Potenzial aufgreifen und weitertreiben wollen, das DWE schon jetzt auch gezeigt hat, müssen wir jedoch auch eine kritische Auseinandersetzung um die Schwächen der Initiative bzw. ihre programmatische und strategische Ausrichtung führen. Zu dieser notwendigen Diskussion wollen wir mit unsere Kritik beitragen.




Vonovia übernimmt Deutsche Wohnen – Enteignung bleibt alternativlos

Jürgen Roth, Infomail 1151, 28. Mai 2021

Am Dienstag, den 25. Mai 2021, herrschte bei der Pressekonferenz im Berliner Roten Rathaus eitel Freude. „Gemeinsam nach vorne blicken“ wollten der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), sein Parteifreund und Finanzsenator, Matthias Kollatz, und die beiden Konzernchefs, Rolf Buch (Vonovia) und Michael Zahn (DW). Einhellig wünschten sich alle Beteiligten ein „Ende der Konfrontation“.

Neuer Anlauf

Zuvor waren Fusionsversuche der beiden Immobilienkonzerne gescheitert. Diesmal anders als bei vorherigen Angeboten waren sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat der DW in die Pläne einbezogen und begrüßten die Übernahme. Eine Grundsatzvereinbarung ist bereits unterzeichnet. Die Kartellbehörden müssen der Fusion vor Ablauf der Annahmefrist des Übernahmeangebots noch zustimmen. Außerdem gibt es den Vorbehalt einer Mindestannahmequote von 50 % aller ausstehenden DW-Aktien. Zuvor waren Vonovias Übernahmeangebote an der mangelnden Bereitschaft der AktionärInnen gescheitert, ihre Aktien anzubieten.

Vonovia, schon jetzt Nummer eins in Europa, will die Nummer zwei auf dem deutschen Wohnungsmarkt schlucken. Dieser Immobilienelefant käme auf einen Börsenwert von 48 Milliarden Euro und verfügte dann über einen Wohnungsbestand von 570.000 Einheiten. Das Angebot von 18 Mrd. Euro spiegele den „inneren Wert“ von DW wider.

Bundesweit käme der gewachsene Superkonzern auf einen Marktanteil von 2,4 %, seine dann rund 150.000 Wohnungen in der Hauptstadt entsprächen 10 %. Die Genehmigung durchs Bundeskartellamt gilt als Formsache.

Versprechen

Die Mieten im Bestand sollen bis 2024 nur um 1 % steigen, anschließend bis 2026 nur um die Inflationsrate. Da versprechen die Konzernchefs mehr, als nach dem Fall des Mietendeckels die landeseigenen Wohnungsgesellschaften halten, deren Bestandsmieten ab Oktober diesen Jahres um bis zu 2 % jährlich angehoben werden dürfen. Allerdings muss dieses Vorhaben nach Einspruch der Grünen und der Linkspartei am 1. Juni wieder im Senat vorgelegt werden.

Zudem plant die Stadt die weitere Übernahme von 20.000 Wohnungen von Vonovia und DW v. a. in sozialen Brennpunkten am Stadtrand (Falkenhagener Feld im Nordwesten, Thermometersiedlung im Süden), aber auch eine vierstellige Zahl in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Bei Letzteren dürfte es sich v. a. um Bestände am Kottbusser Tor handeln, wo die Initiative Kotti & Co aktiv ist, die mit Fug und Recht als Keimzelle des MieterInnenprotests der vergangenen Jahre in Berlin bezeichnet werden kann. Die Rekommunalisierung war ein Wahlkampfversprechen von Linke, SPD und Grünen aus dem Jahr 2016. Damit würden die städtischen Bestände durch Ankauf in 2021 genauso stark zunehmen wie seit Beginn der Legislaturperiode bis Ende 2020. Doch macht dieser den Verlust durch Privatisierungen ab den 1990er Jahren längst nicht wett. Einen Großteil der Verkäufe haben SPD und DIE LINKE/PDS zu verantworten.

Kollatz machte darauf aufmerksam, dass Basis der Käufe der Mietenertragswert sein müsse, nicht der spekulative Verkehrswert. Dann könnten die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften den Erwerb über Kredite finanzieren, die durch Mieteinnahmen getilgt werden könnten. Somit müssten keine Haushaltsgelder fließen. Nimmt man als Preisbasis die 920 Millionen Euro, die 2019 die landeseigene Gewobag für den Erwerb von 6.000 Wohnungen des Immobilienkonzerns Ado aufgewendet hat, käme der geplante Deal auf ca. 3 Mrd. Euro.

Bis Ende 2023 sollen auch betriebsbedingte Kündigungen der Beschäftigten infolge der Übernahme ausgeschlossen werden.

Einwände

Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen für die Landtagswahlen 2021, will sich mit Vonovia zusammensetzen, um über Mieterhöhungsstopp, bezahlbaren Neubau und stärker gemeinwohlorientierten Wohnungsmarkt zu reden. Kultursenator und Vizesenatschef Klaus Lederer (Linke) begrüßt die Zugeständnisse der Konzerne, doch diese änderten nichts Grundsätzliches am Geschäftsmodell der börsennotierten Immobilienunternehmen.

Rouzbeh Taheri, einer der SprecherInnen der Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen (DWE), führt die Zugeständnisse auf den Druck des Volksbegehrens zurück. Durch einen Namenswechsel würden sich die BerlinerInnen aber nicht täuschen lassen und das Abkommen als Mogelpackung entlarven. Initiativensprecher Michael Prütz kritisierte, Müller habe sich mit der gemeinsamen Pressekonferenz als „Genosse der Bosse“ präsentiert. Die DWE-Aktivistin Jenny Stupka verwies auf die Vermietungspraktiken Vonovias, insbesondere die überhöhten Nebenkostenabrechnungen durch Tochterfirmen ohne prüffähige Rechnungen.

Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB) nannte die Konzernankündigungen zu Mietpreisbegrenzungen eine „verbale Flucht nach vorn“ angesichts wachsender MieterInnenproteste und klagte eine bundesweite, wirksame, lückenlose Mietpreisbremse ein. Das Geschäftsmodell ändere sich schließlich nicht. Nach umfassenden Modernisierungen unterlägen Neuvertragsmieten keiner Preisregulierung. Die Zusagen, über gesetzliche Vorgaben hinaus Modernisierungskosten auf max. 2 Euro/m2 zu begrenzen, seien Augenwischerei. Bei Ausgangsmieten bis zu 7 Euro/m2, die viele Vonovia-Bestandswohnungen nicht überschritten, stünde diese Deckelung im Gesetz. Somit könne von einer freiwilligen sozialen Wohltat keine Rede sein.

Der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild, merkt an, dass durch die Refinanzierung des Kaufpreises von 18 Mrd. Euro der Druck auf die Mieten zunähme. Hierin erweist er sich als besserer ökonomischer Realist als die beschwichtigenden Aussagen dazu seitens des Finanzsenators. Der versprochene Zukunfts- und Sozialpakt sei weitgehend „heiße Luft“. Laut Vonovia-Geschäftsbericht lägen die jährlich generierten Mietsteigerungen bei unter 1 %. Durch den großen Anteil am Berliner Wohnungsmarkt würde zudem eine für die Stadtentwicklung problematische Marktmacht herauskristallisiert, zumindest in einzelnen Stadtteilen.

Immobilienbranche sattelt auf, SPD hält die Steigbügel

„Bauen, kaufen, deckeln“, so lautet der SPD-Dreiklang. Diesen Akkord stimmen jetzt auch die Chefs der Branchenriesen an und gerieren sich selbstgefällig. Ein gutes Signal an die BerlinerInnen und an „die Politik“ für eine andere Art der Zusammenarbeit sei das.

Doch dieser Musikantenstadel wird von in die Enge gedrängten AkteurInnen inszeniert. Offenbar hat das DWE-Volksbegehren Wirkung gezeigt, so dass DW unter den Rock des Vonovia-Kolosses flüchten und ein politisch günstiges Geschäft abwickeln will. Gleichwohl ist es übertrieben, damit zu prahlen, man habe „einen Dax-Konzern in die Knie gezwungen“ (Taheri). Schließlich stellt die Übernahme von DW durch Vonovia vor allem eine weitere Stärkung des größten Players auf dem Immobilienmarkt dar und eine dementsprechende weitere Konzentration des Kapitals in einer Hand.

Die Schönrednerin des Deals, die gute, alte Tante SPD, dümpelt derweil tief im Umfragekeller. Ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit bei den MieterInnen haben gelitten. Statt den vom Bundesverfassungsgericht abgeschafften Mietendeckel zu verteidigen, kam sie im Einklang mit ihren Koalitionspartnerinnen bisher nicht darüber hinaus, einen Ausgleichsfonds für Mietnachzahlungen infolge des Urteils zu versprechen und auf eine wirksamere Bundesmietpreisbremse zu vertrösten. Als weiterer Trumpf reichen ihr vage soziale Versprechen der Vonovia- und DW-Chefs von Mietpreisstopp, Verkauf von 20.000 Wohneinheiten und, jetzt auch ernsthaft in den Neubau einzusteigen. Dieser als „Sozialpakt“ verkaufte Schmusekurs, das Einläuten eines Endes der bisherigen Konfrontation sollten die MieterInnen nicht täuschen. De facto verbrämt die SPD ihre Zustimmung zur Bildung eines riesigen Betongoldkolosses und damit die Herausbildung eines Megamonopols mit immensem Druck auf den Mietwohnungssektor als Wohltat für die Massen. Das tapfere Sozialschneiderlein ist bei diesem Geschäft aber nur der nützliche Idiot, ein Steigbügelhalter für noch größere Konzernmacht. Sozialwohnungen mit Instandhaltungsrückstand werden an das Land verkauft. Mietzusagen gelten nicht für Neuvermietungen. Dafür soll der Kampf für mehr Gemeinwohlorientierung aufhören? Das ist nicht sozial, sondern Verrat!

  • Kein Vertrauen in die Allianz Vonovia/DW und SPD! Unterschreibt fürs Volksbegehren! Für entschädigungslose Enteignung der Großkonzerne mit über 3.000 Wohnungen beim Volksentscheid! Bildet Mietkontrollkomitees für Mietpreisstopp und Boykott der Mieterhöhungen/-nachzahlungen! Für einen bundesweiten Mietendeckel nach Berliner Vorbild, das es zu verteidigen gilt!



Enteignung, MieterInnenkomitees und ArbeiterInnenkontrolle

Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Dass private VermieterInnen ihr Eigeninteresse verfolgen, ist klar. Aus unserer Erfahrung wissen wir aber auch, dass die Kommunen oder andere staatliche AkteurInnen keineswegs die Interessen der MieterInnen und erst recht nicht der Lohnabhängigen vertreten. In ihren Händen fungieren Wohnungen als staatskapitalistisches Eigentum oder erscheinen für die herrschende Klasse als unnötige Kosten im Staatshaushalt, weshalb sie immer wieder auf Kürzungen der Wohnungsetats oder auf Privatisierungen drängen. Kurzum, der Klassenkampf um die Wohnungsfrage endet nicht mit der Enteignung, er nimmt nur eine andere Form an.

Daher treten wir in allen privaten, staatlichen und auch genossenschaftlichen Wohnungsgesellschaften für die Kontrolle durch gewählte Ausschüsse oder Komitees der MieterInnen ein. Diese müssen volle Einsicht in die Geschäftsunterlagen, Finanzen und Verträge bekommen sowie ein Vetorecht über alle Entscheidungen. Notwendige, größere Erweiterungsinvestitionen oder ökologische Erneuerungen müssen nicht von den MieterInnen bezahlt werden, sondern sollen aus der Besteuerung privater EigentümerInnen oder vom Staat bestritten werden. In oben genannte Ausschüsse oder Komitees müssen neben den MieterInnen auch die Beschäftigen einbezogen werden, die für Instandhaltung, Betreuung, Neubau usw. tätig sind.

Wie bei allen gesamtgesellschaftlich relevanten Bereichen kann sich die Kontrolle über das gesamte System des Wohnens und des Wohnbaus nicht auf MieterInnen und Beschäftigte beschränken. Die Prioritäten für Neubau z. B. müssen von der gesamten Gesellschaft, also der gesamten ArbeiterInnenklasse, vertreten durch ihre Gewerkschaften oder Stadtteilkomitees, gesetzt werden.

Die genauen Formen der Kontrolle werden sich logischerweise im Zuge der Entwicklung verändern. Es versteht sich von selbst, dass die VertreterInnen von MieterInnenvereinen, Gewerkschaften, migrantischen und linken Organisationen und Parteien der ArbeiterInnenbewegung einbezogen werden müssen.

Grundsätzlich muss aber der Kampf um Kontrolle von jenem um bloße Mitbestimmung unterschieden werden, also von Gremien, in denen Staat, Kommunen und private Unternehmen neben den Lohnabhängigen vertreten sind. Dabei kommt allenfalls eine etwas gemilderte bürgerliche Wohnungspolitik heraus, ein mehr oder weniger zufriedenstellender Kompromiss zwischen Lohnabhängigen, Staat und Unternehmen, aber keine Prioritätensetzung im Sinne der Masse der Bevölkerung.

MieterInnenvertretungen und MieterInnenräte, die direkt die Interessen der Masse vertreten, stellen daher Kontrollorgane dar, die Organen der ArbeiterInnenkontrolle in den Betrieben ähneln. Sie können nur in größeren Kämpfen entstehen und verallgemeinert werden und sie müssen sich auf direkt-demokratische Strukturen in den Wohnhäusern und Stadtteilen stützen, auf Versammlungen, von den sie gewählt und denen sie rechenschaftspflichtig sind. Nur durch diese Verankerung an der Basis können sie ihre Unabhängigkeit von Staat und bürgerlichen Institutionen überhaupt erreichen und behaupten. Diese bedeutet aber auch, dass sie – wie die ArbeiterInnenkontrolle in der gesamten Wirtschaft – entweder zum Sprungbrett für eine größere Umwandlung der Eigentumsverhältnisse und der Gesellschaft insgesamt oder wie einst die Betriebsräte inkorporiert oder zerschlagen werden.

In jedem Fall nimmt die Kontrolle durch die MieterInnen und die ArbeiterInnenklasse insgesamt eine zentrale Stellung ein, wenn der Kampf um Verbesserungen und Reformen mit dem strategischen Ziel der Enteignung und dem Sturz des Kapitalismus verbunden werden soll.




Wohnst du noch oder übersiedelst du schon?

Jürgen Roth/Martin Suchanek, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Programmatische Schlüsselfragen zur Wohnungsfrage

Wohnst Du noch oder übersiedelst Du schon? Für Millionen Menschen wird die Wohnungsfrage zunehmend zu einer des Überlebens.

Durchschnittlich betrugen die Wohnungskosten (Miete, Wasser, Heizung, Versicherungen etc.) Ende 2019 25,9 % der verfügbaren Haushaltseinkommen in Deutschland. Bei der sog. armutsgefährdeten Bevölkerung betrug ihr Anteil sogar 49 % – und das vor Rezession und Corona! In den städtischen Zentren ist der Anteil, sofern Menschen mit geringen oder mittleren Einkommen dort überhaupt noch wohnen, noch höher. Eine gigantische Verdrängung findet, wie wir in dieser Broschüre dargelegt haben, statt. Private InvestorInnen, Finanzkapital, GrundbesitzerInnen bereichern sich an der Masse der lohnabhängigen MieterInnen, die zugleich angesichts von Kurzarbeit, stagnierenden Löhnen, viel zu geringen Renten und Sozialleistungen noch mehr vor die Alternative Verarmung oder Umzug mit etwas weniger Verarmung gestellt werden.

Als Antwort darauf entwickelt sich seit Jahren eine MieterInnenbewegung, deren größte und zur Zeit wichtigste die Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen darstellt.

Damit die Bewegung weiter wächst, an Dynamik und Schlagkraft gewinnt, gilt es die Erfahrungen aus den einzelnen Städten und Regionen auszutauschen und zu bündeln sowie die verschiedenen Bündnisse, Initiativen, Kampagnen zu einer bundesweit koordinierten Bewegung zusammenzuführen. Dazu braucht es eine organisierte, gemeinsame Diskussion und auch einen Aktionsplan.

Zugleich müssen in diesem Zuge aber auch grundlegende, in der Bewegung durchaus umstrittene programmatische und perspektivische Fragen diskutiert und geklärt werden, insbesondere wenn die Wohnungsfrage als Teil des Klassenkampfes gegen den Kapitalismus begriffen werden soll und nicht nur als Forderung nach einem Ende der „spekulativen Auswüchse“ der Marktwirtschaft.

Daher wollen wir im abschließenden Beitrag dieser Broschüre einige programmatische Grundfragen einer antikapitalistischen und revolutionären Politik in der Wohnungsfrage zur Diskussion stellen.

Ein Aktionsprogramm zur Wohnungsfrage muss dabei in der aktuellen Lage an den unmittelbaren und zentralen Problemen der MieterInnen anknüpfen. Daher werden wir uns im Folgenden mit sechs, miteinander verbundenen Themen beschäftigten.

1. Sofortmaßnahmen gegen Mietpreiserhöhungen und für Begrenzung der Miethöhe

2. Kampf gegen rassistische, geschlechtliche und soziale Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt

3. Programm für den Neubau von Sozialwohnungen und günstigen Wohnraum für die Masse der Lohnabhängigen

4. Kampf gegen Armut, für Mindestlohn und Anpassung der Löhne an die Steigerung der Mietpreise und anderer Lebenshaltungskosten

5. Enteignung von Grund und Boden, der privaten Immobilienkonzerne und des Wohnungsbaukapitals

6. Kontrolle durch MieterInnen und die lohnabhängige Bevölkerung

1. Sofortmaßnahmen gegen Mietpreiserhöhungen und für Begrenzung der Miethöhe

Angesichts der eklatanten Mietpreissteigerungen braucht die Dringlichkeit dieser Frage wohl nicht weiter betont zu werden. Grundsätzlich unterstützen wir jede Maßnahme, die zu einer Beschränkung der Mieten führt, mag sie auch für sich genommen unzulänglich und zu gering sein.

Wie die Aufhebung des Berliner Mietendeckels durch das Verfassungsgericht verdeutlicht hat, können wir uns auf die bürgerliche Justiz und Gesetzgebungsverfahren nicht verlassen. Um solche Reformen durchzusetzen, braucht es den gemeinsamen Druck, die gemeinsame Mobilisierung aller MieterInnenvereinigungen und -initiativen, der Gewerkschaften und aller linken Parteien, die vorgeben, die Interessen der MieterInnen zu vertreten. Schlüsselforderungen sollten dabei sein:

  • Sofortiger Mietstopp und Einführung einer reglementierten und kontrollierten Kostenmiete, wobei Kosten für Neubau, notwendige und sinnvolle Sanierungen auf den gesamten Wohnungsbestand umgelegt werden! Offenlegung der Kostenkalkulation aller VermieterInnen! Deckelung des Mietpreises auf höchsten 30 % des Nettoeinkommens!
  • Feststellung des Leerstandes von Wohnungen! Zweckentfremdungsverbot und  Beschlagnahme des spekulativen Leerstandes, um rasch Wohnraum für Obdachlose, Geflüchtete, Jugendliche, Studierende und Menschen mit geringen Einkommen zu schaffen!
  • Verbot aller Zwangsräumungen von MieterInnen! Legalisierung der Besetzung leerstehender Häuser und Wohnungen! Kein Abriss, keine Modernisierung, keine Stadtsanierung ohne Zustimmung der Betroffenen!
  • Rücknahme aller Verschlechterungen im Mietrecht! Wiederherstellung der Gemeinnützigkeit kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungsbauunternehmen, langfristiger Sozialbindung! Wiedereinführung des Mietendeckels!
  • Keine Abzocke mit den Nebenkosten! Schluss mit dem Outsourcing des Facility-Managements! Fest angestellte, tariflich bezahlte HausmeisterInnen, Reinigungskräfte, HandwerkerInnen, Verwaltungs- und Servicepersonal in Wohnungsgesellschaften statt Fremd- oder ausgelagerter Tochterfirmen!

2. Kampf gegen rassistische, geschlechtliche und soziale Diskriminierung am Wohnungsmarkt

Die Freiheit des Wohnungsmarkts reproduziert und verstärkt offen oder verdeckt gesellschaftliche Unterdrückung. Von Rassismus, Frauenunterdrückung, Unterdrückung aufgrund von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität Betroffene werden auf dem Wohnungsmarkt besonders benachteiligt. Das betrifft ebenso Menschen mit Behinderungen und insbesondere alle mit geringen Einkommen. Dass Diskriminierung offiziell verboten ist, ist eine Farce angesichts der Realität des Marktes. Wer sich für eine Wohnung bewirbt, muss seine Einkommensverhältnisse, seine Herkunft, familiäre Situation, ja selbst Lebensplanung offenlegen. Und wer dies verweigert, hat unter dutzenden oder hunderten Bewerbungen schon verloren. Diskriminierungsverbote müssen daher zwar verteidigt werden, angesichts der Konkurrenz unter den MieterInnen findet die Selektion jedoch verdeckt durch die blinde Macht des Marktes statt. Zugleich reproduzieren die verschiedenen Formen der Benachteiligung die Spaltung unter den lohnabhängigen MieterInnen. Auch deshalb ist der Kampf gegen diese für die gesamte Bewegung unerlässlich.

  • Geförderte, kostengünstige Wohnungsvergabe für gesellschaftlich Unterdrückte und sozial Benachteiligte!
  • Ausbau von barrierefreien Wohnungen, Frauenhäusern und anderen Schutzräumen für Opfer von Diskriminierung, häuslicher und sexueller Gewalt!
  • Kontrolle der Vergabe von Wohnraum durch MieterInnenkomitees und Antidiskriminierungsausschüsse, die von den sozialen Unterdrückten selbst gewählt werden!

3. Öffentliches Wohnungsbauprogramm!

Wohnungsmangel und Wohnungsnot resultieren nicht nur aus der spekulativen Bewegung des Anlage suchenden Finanzkapitals und ihrer Verschärfung durch rassistische und geschlechtliche Unterdrückung, Armut und geringe Einkommen. Sie werden ergänzt durch einen Rückgang des sozialen Wohnungsbaus und generell kostengünstiger Wohnungen. Unter dem Diktat des spekulierenden Großkapitals wird natürlich auch neu gebaut oder umgebaut – aber in erster Linie im Bereich höherpreisiger Marktsegmente oder infolge von Sanierung und Modernisierung, die den Bestand zwar kaum verbessern, aber kräftige Mietpreissteigerungen und infolge dieser höhere Aktionskurse und Renditen erlauben. Deshalb:

  • Der Bund muss den Kommunen ausreichend Finanzmittel für den Bau von mind. 250.000 Wohnungen bereitstellen, bezahlt aus Abgaben und progressiver Steuer auf Gewinn und Vermögen!
  • Schaffung von ausreichend geschützten bzw. betreuten Wohnformen für Menschen in Krisensituationen, Opfer von Gewalt und Geflüchtete! Förderung alternativer Projekte wie von Mehrgenerationenhäusern, zentralisierter Hauswirtschaft (Kantinen, Wäschereien, betriebs- bzw. wohnortnahe Betreuung von Säuglingen, Kleinkindern und SchülerInnen bei Hausaufgaben und Nachhilfe)!
  • Mitspracherecht der BewohnerInnen und MieterInnen bei allen Bau- und Modernisierungsmaßnahmen in den Stadtteilen!

4. Mieten runter – Löhne rauf!

Die Wohnungsnot trifft v. a. prekär Beschäftigte, Erwerbslose, alleinerziehende Frauen und MigrantInnen, weil sie zu den am meisten ausgebeuteten und am schlechtesten bezahlten Teilen der ArbeiterInnenklasse gehören. Selbst wenn alles ohne Diskriminierung durch VermieterInnen abginge, selbst wenn die Mietpreise weniger steigen würden, würden sie aufgrund von sinkenden oder stagnierenden Einkommen immer mehr unter Druck geraten.

Der Kampf gegen die Mietpreissteigerungen ist daher gerade für die Lohnabhängigen eng mit dem um höhere Löhne, einen ausreichende/n/s Mindestlohn, Arbeitslosengeld, Renten und Mindesteinkommen, die die Reproduktionskosten decken, eng verbunden.

  • Mindestlohn von 15 Euro/Stunde! Arbeitslosengeld, Renten, Mindesteinkommen, und -sicherung in derselben Höhe!
  • Elternunabhängige Grundsicherung für SchülerInnen ab 16 Jahren, Studierende und Mindesttariflohn für Berufsauszubildende!
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit unabhängig von Geschlecht, Nationalität, StaatsbürgerInnenschaft, Religion, sexueller Orientierung und Wohnort in Ost- oder Westdeutschland!
  • Anpassung der Löhne und Einkommen an die Mietpreissteigerung und Steigerung der Lebenshaltungskosten!

5. Enteignet die EnteignerInnen!

Um die Eigentumsfrage führt kein Weg herum. Solange Grund und Boden ihren EigentümerInnen horrende Gewinne bringen, solange der Wohnungsbau in privater Hand bleibt und vor allem den Unternehmen Profite bringt und vor allem solange der Wohnungsmarkt von Immobilienunternehmen dominiert wird, die auf rasche, spekulative  Gewinne an den Börsen setzen, werden die Preise weiter steigen und wird die Wohnungsfrage noch brisanter werden.

Die massiven Mieterhöhungen für die Lohnabhängigen gehen Hand in Hand mit  Privatisierungen und horrenden Gewinne der Immobilienhaie einher.

Diese Entwicklung führt übrigens auch zu erhöhten Kaufpreisen für persönlich genutztes Wohnungseigentum und damit zu höheren Schulden privater Haushalte wie auch zu einer extremen zusätzlichen Belastung für kleine Gewerbetreibende, die ebenfalls durch überhöhte Mieten verdrängt werden.

An der Enteignung der großen PlayerInnen am Wohnungsmarkt, von Grund und Boden wie der Baufirmen führt letztlich kein Weg vorbei. Wir treten für die Öffnung von deren Bilanzen, Verträgen sowie der Verstrickung von Tochterunternehmen und Beteiligungen ein, um ihre wirklichen Vermögen und ihre EigentümerInnenstrukturen offenzulegen.

Die Milliarden, die sie sich über Jahre bei den MieterInnen oder bei viel zu günstigen Wohnungsverkäufen angeeignet haben, sind selbst Resultat einer rücksichtslosen, ja räuberischen Geschäftspolitik. Die Gelder müssten für Neubau, ökologische und kostengünstige Erneuerung und Erhaltungskosten verwandt werden.

Daher sollten alle diese Konzerne entschädigungslos enteignet werden. Das betrifft auch ihre GroßaktionärInnen. Nur die kleinen AnlegerInnen sollten so weit entschädigt werden, dass sie ohne Verluste aus dem spekulativen Geschäft aussteigen können. Die entschädigungslose Enteignung bedeutet natürlich eine massive Konfrontation nicht nur mit dem Kapital im Wohnungssektor, sondern in allen Bereichen, weil eine Enteignung der großen Immobilienkonzerne und von Grund und Boden auch eine Beispielwirkung für die gesamte Ökonomie hätte.

Das trifft selbst zu, wenn Kampagnen wie Deutsche Wohnen und Co. enteignen eine Entschädigung in Aussicht stellen. Als RevolutionärInnen sind wir zwar gegen die Entschädigung, doch wir kämpfen ungeachtet ohne Wenn und Aber an der Seite dieser Initiative. Gerade weil die Eigentumsfrage so grundlegend für den Kapitalismus ist, müssen wir uns zugleich auf eine massive Konfrontation darum, auf eine Kontroverse um die Höhe von Entschädigungen vorbereiten, die nur mit den Mitteln des Klassenkampfes, also einer Massenmobilisierung, zu gewinnen sein wird.

  • Entschädigungslose Enteignung der Großkonzerne und aus spekulativen Gründen brachliegenden Bodens!
  • Wohnungsversorgung (zurück) in öffentliche Hand unter Kontrolle von MieterInnenräten und Organen der ArbeiterInnenbewegung!
  • Sofortige entschädigungslose Enteignung der ImmobilienspekulantInnen wie Vonovia und Deutsche Wohnen sowie der VermieterInnen, die Wuchermieten erheben bzw. ihrer Instandhaltungspflicht nicht nachkommen!
  • Überführung von Banken, Baukonzernen, HerstellerInnen von Baumaterial und -maschinen, Versicherungen und Bausparkassen in Staatseigentum unter ArbeiterInnen- und MieterInnenkontrolle!

6. Kontrolle durch MieterInnen und die lohnabhängige Bevölkerung

Selbst wenn die privaten Unternehmen enteignet würden, stellt sich unwillkürlich die Frage, wem diese gehören und wer die Kontrolle darüber ausübt. Im Kapitalismus bedeutet Enteignung von Unternehmen entweder deren Überführung in genossenschaftliches Eigentum oder Verstaatlichung – egal nun Bund, Länder oder Kommunen als EigentümerInnen fungieren oder es die Form einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) annimmt.

Genossenschaftliches Eigentum stellt im Grunde eine Form des Privateigentums dar, auch wenn sich mehrere Personen den Besitz teilen.

Auch in einer kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungsgesellschaft, ob nun als AöR oder sonst wie organisiert, herrscht immer noch das kapitalistische Wert- und Aneignungsgesetz. Staats- und Wohnungsschulden, Bodenpreise verschaffen sich letztlich immer wieder Geltung und verhindern eine Transformation staatskapitalistischen Eigentums in vergesellschaftetes. Kurzum, der Klassenkampf um die Wohnungsfrage endet nicht mit der Enteignung, er nimmt nur eine andere Form an.

Daher treten wir in allen privaten, staatlichen und auch genossenschaftlichen Wohnungsgesellschaften für die Kontrolle durch gewählte Ausschüsse/Komitees der MieterInnen ein. Die genauen Formen der Kontrolle werden sich logischerweise im Zuge der Entwicklung verändern. Es versteht sich von selbst, dass die VertreterInnen von MieterInnenvereinen, Gewerkschaften, migrantischen und linken Organisationen und Parteien der ArbeiterInnenbewegung darin einbezogen werden müssen.

Aber es gibt keine sozialistischen Inseln im Kapitalismus. Wirkliche Vergesellschaftung kann nur in Form der Assoziation der direkten ProduzentInnen umgesetzt werden, erfordert also letztlich den Sturz des Kapitalismus.




Schweden: Landesweite Demonstrationen gegen die von Sozialdemokratie und Grünen geplante Liberalisierung am Wohnungsmarkt

Arbetarmakt, schwedische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1146, 20. April 2021

Am 1. Juli will die sozialdemokratisch-grüne Regierung Schwedens eine Reform beschließen, die es ermöglicht, die Mieten von neu gebauten Sozialwohnungen dem Markt zu überlassen. Nachdem die Regierung zunächst versucht hatte, den Vorschlag in einem Ausschuss zu begraben, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass das Thema irgendwie verschwinden würde, hat sie sich nun von ihren rechteren Juniorpartnerinnen zum Handeln drängen lassen. (Sozialdemokratie und Grüne bilden eine Minderheitsregierung, die auf Unterstützung zweier Parteien aus dem Bürgerblock angewiesen ist; d. Red. Mehr über die Regierung und den Koalitionsvertrag, auch bekannt als „Januar-Vereinbarung“, unter Politische Krise in Schweden: Streikmaßnahmen weisen den Weg vorwärts)

Die Führung der 538.000 Mitglieder starken MieterInnenvereinigung, die bisher die Mieten kollektiv aushandelt, sah sich ihrerseits durch den Druck ihrer Mitglieder gezwungen, eine Kampagne gegen den Vorschlag zu starten, zu Demonstrationen aufzurufen und eine Petition dagegen zu starten. Vor allem in der Region Göteborg sind radikalere Kräfte zu Recht weiter gegangen und haben Proteste nicht nur gegen diesen Vorschlag im Besonderen, sondern gegen die gesamte, faule Januar-Vereinbarung an sich organisiert.

Sonntag, der 18. April, wurde als nationaler Protesttag gegen die Kommerzialisierung der Mieten ausgerufen. Landesweit wurden über 150 Proteste organisiert. In vielen Städten, wie z. B. Stockholm und Göteborg, gab es im Laufe des Tages auf fast jedem Platz in den Vororten oder an jeder ÖPNV-Haltestelle eine (kleine und coronakonforme) Protestaktion.

Im proletarisch geprägten Skärholmen, einem Vorort Stockholms, organisierten wir als Arbetarmakt einen der Proteste. Unsere GenossInnen hielten Reden, verteilten Flugblätter und sprachen mit den AnwohnerInnen über den geplanten Angriff auf die Rechte aller MieterInnen. Auch in Göteborg nahmen wir zusammen mit den dortigen MieterInnengemeinschaften und -aktivistInnen an den lokalen Protesten teil, wo wir ebenfalls unser Flugblatt verteilen konnten.

Darin heißt es unter anderem:

„Die Liberalisierung der Mieten für neu gebaute Sozialwohnungen wäre ein großer Schritt in Richtung einer vollständigen Kommerzialisierung aller Mieten. Laut dem Bericht einer BeraterInnenfirma würde eine solche Kommerzialisierung der Mieten in Schweden etwa 50 % höhere Mieten in Stockholm und 30–50 % landesweit bedeuten. Alle Schritte in Richtung Kommerzialisierung von Mieten müssen gestoppt werden. Wohnen ist ein Recht. Es sollte keine Ware sein, mit der VermieterInnen Gewinne machen können.

  • Stopp aller Schritte zur Kommerzialisierung von Mieten!
  • Stopp aller Umwandlungen von staatlich finanzierten Wohnungen in Privatwohnungen – stattdessen Rückführung bereits privatisierter Wohnungen in Sozialwohnungen!
  • Stopp aller gierigen, privaten VermieterInnen – Rückführung aller Wohnungen in öffentliches Eigentum!
  • Für die umfassende Renovierung aller Sozialwohnungen, wo dies nötig ist!
  • Für eine landesweite Inspektion aller Sozialwohnungen, durchgeführt von VertreterInnen der ArbeiterInnenbewegung und der MieterInnen!
  • Niedrigere Mieten!
  • Für ein umfangreiches Programm zum Bau neuer Sozialwohnungen mit gutem Standard und vernünftigen Mieten. Baut die Wohnungskrise weg!
  • Die ArbeiterInnenbewegung muss für diese Forderungen kämpfen, durch Massenkämpfe, und um die Regierung zu zwingen, von ihren Angriffen abzulassen.“

Unser Flugblatt und unsere Reden wurden in Stockholm und Göteborg gut angenommen. Die Bewegung gegen die Kommerzialisierung von Mieten wächst gerade in Schweden und stellt ein weiteres Problem für die sozialdemokratisch geführte Regierung dar, die beständig von ihren liberalen Verbündeten dazu gedrängt wird, die rechtsgerichtete Politik der Koalitionsvereinbarung umzusetzen. Die Mietenkampagne wird auf jeden Fall fortgesetzt, neue Proteste und Online-Treffen sind bereits geplant.




Bundesverfassungsgericht kassiert Berliner Mietendeckel, aber der Kampf geht weiter

Karl-Heinz Hermann/Martin Suchanek, Infomail 1146, 16. April 2021

Das Kapital weiß Siege zu feiern. Mit dem Urteil von Karlsruhe verbesserte sich nicht nur die Laune der ImmobilienbesitzerInnen, sondern auch der Aktienkurs von Deutsche Wohnen und Co. Mit einem satten Plus von 2,72 Prozent war der Konzern nicht nur Gewinner vor dem Verfassungsgericht, sondern auch an der Frankfurter Börse.

Der Präsident des Bundesverbands freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen jubelt ob der nunmehr erreichten „Rechtssicherheit“. Nun können Mieten wieder „marktgerecht“ erhöht, erhoben, nachgefordert werden, wie es sich in der freien Marktwirtschaft eben gehört. Die SiegerInnen feiern nicht nur das Verfassungsgericht, das endlich für Recht und Ordnung gesorgt habe, sondern geben den Besiegten vom Berliner Senat und den 1,5 Millionen MieterInnen, denen massive Nachzahlungen drohen, auch noch eine Gratislehrstunde in Sachen Angebot und Nachfrage. Wer gegen dieses heilige, für kapitalistische Freiheit so grundlegende Gesetz verstoße, bräuchte sich über eine Niederlage vor Gericht nicht zu wundern. Diese wäre schließlich nur eine gerechte Strafe für den Versuch, eine zum Naturgesetz verklärte angebliche Spielregel des Marktes aushebeln zu wollen. So betrachtet, erscheint die gesamte Wohnungsnot nicht als Resultat des Wirkens der Gesetze des Kapitalismus, sondern eines Verstoßes gegen dieses.

Großzügig stellen einige SiegerInnen von Karlsruhe sogar in Aussicht, auf die Nachzahlung der gedeckelten Miete ganz oder teilweise verzichten zu wollen. So erklärt Vonovia, mit 42.000 Wohnungen immerhin zweigrößter privater Immobilienkonzern in Berlin, auf eine Nachzahlung der gedeckelten Miete großzügig verzichten zu wollen, dass den MieterInnen „keine finanziellen Nachteile aufgrund getroffener politischer Entscheidungen“ erwachsen sollen. Die „Kosten“ für die soziale Beruhigungspille und Werbemaßnahme in eigener Sache werden auf 10 Millionen Euro veranschlagt und sind wohl schon bei zukünftigen Mietpreiserhöhungen einkalkuliert. Weniger spendabel gibt sich der Berliner Marktführer Deutsche Wohnen, dem über 100.000 Wohnungen in der Stadt gehören. Auf eine Nachforderung könne man leider nicht verzichten – schließlich würde das „unseren Verpflichtungen gegenüber dem Unternehmen, seinen Mitarbeitern und Eigentümern nicht gerecht werden“.

Altehrwürdiges Gericht

Folgt man den Klagenden in Karlsruhe, so hätte also nicht nur ein Kapitalinteresse, sondern auch gleich die Gerechtigkeit an sich gesiegt.

Zurück geht der Entscheid des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auf eine Klage von 284 Abgeordneten der Bundestagsfraktionen von Union und FDP. Sie hatten vor geraumer Zeit eine Normenkontrollklage gegen das „Gesetz zur Mietbegrenzung im Wohnungswesen“ des Landes Berlin (Mietendeckel) angestrengt. Die Karlsruher RichterInnen durften auch die formale Frage klären, ob Bundesländer überhaupt Mieten regulieren dürfen oder dies allein dem Bund vorbehalten ist – ein Punkt, der auf den Bundesbauminister Horst Seehofer zurückgeht.

Bemerkenswert war schon, dass über das wichtige sozialpolitische Projekt vom Gericht alles andere als üblich ohne Anhörung entschieden wurde. VerfahrensbeobachterInnen fragen sich außerdem, ob das Prozedere im Einklang mit dem Ersten Senat des Gerichts erfolgte, der als Erstes mit dem Thema befasst war, bevor der als konservativer geltende Zweite Senat übernahm. Auch dies verdeutlicht nur, dass es sich bei dem Verfahren auch um eine wichtige Klassenfrage handelte.

Das Urteil verkörpert eine krachende Niederlage für den Berliner Senat, aber v. a. für die MieterInnen von rund 1,5 Millionen Wohnungen in der Bundeshauptstadt, die unter das Gesetz fallen. Demnach ist der Mietendeckel grundsätzlich illegal, eine irgendwie geartete Mietpreisbremse alleinige Bundessache. Juristische Hoffnungen der AnhängerInnen des Gesetzes richteten sich zum einen auf einen Schiedsspruch des Verwaltungsgerichts Berlin, das den Eilantrag eines Vermieters zurückgewiesen hatte, dem das Bezirksamt Pankow eine Mieterhöhung untersagt hatte. Der Mietstopp liege einerseits durchaus in der Gesetzgebungskompetenz des Bundeslandes, andererseits sei eine politisch festgesetzte Preisgrenze eine Ausnahmeregelung, die zeitweilig die Vorschriften des bürgerlichen Rechts überlagere. Wegen ihrer zeitlichen Befristung sei sie aber mit dem Eigentumsgrundrecht vereinbar und den VermieterInnen zuzumuten.

Zum anderen hatte der zuständige Berichterstatter des Zweiten Senats, Peter M. Huber, vor seiner Wahl zum Verfassungsrichter ein Jahr lang CDU-Innenminister in Thüringen, beim Deutschen Juristentag 2004 sich in der damaligen Föderalismusdebatte dafür ausgesprochen, den Ländern die Zuständigkeit fürs Wohnungswesen zu gewähren. Dies sei aufgrund regionaler Unterschiede in diesem Sektor geboten.

Zum Dritten hatte der Erste Senat im März 2020 einen Antrag auf vorläufige Außerkraftsetzung der Bußgeldvorschriften abgelehnt und zumindest keine grundsätzlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Landesgesetzes geäußert.

Diese auf juristische Spitzfindigkeiten gegründeten Hoffnungen sind nun so gründlich zerstoben wie das Laub im Herbststurm: April, April – das BVerfG macht, was es will!

Der Mietendeckel

Das Vertrauen in Justiz und Staat bei der Verteidigung von Reformen erwies sich einmal mehr als naiv und kurzsichtig. Einen Plan B zur Durchsetzung des Gesetzes haben der Berliner Senat und seine Parteien, ob SPD, Grüne oder Linkspartei allesamt nicht vorzuweisen, es sei denn, man hält die Forderung, dass nun „der Bund“, also die Bundesregierung oder eine Parlamentsmehrheit, die gerade die Klage in Karlsruhe unterstützt hatte, für eine bundesweite Mietendeckelung eintreten solle, für einen Plan.

Wir haben schon im Artikel „Berliner Mietendeckel: Mietenbremse oder Trostpflaster?“ dargelegt, worin die Grenzen und Schwächen des gesamten Reformvorhabens bestanden.

Die Mieten in ca. 1,5 Millionen Wohnungen sind seit Ende Februar 2020 für 5 Jahre auf dem Stand vom 18. Juni 2019 eingefroren, dem Tag der Verabschiedung des Gesetzes. Bei Mietverträgen, die nach diesem Stichtag abgeschlossen wurden, darf höchstens die Vormiete derselben Wohnungen bzw. die niedrigere Mietobergrenze verlangt werden oder im Falle, dass die Vormiete darunter lag, die Obergrenze. Ab 2022 dürfen die VermieterInnen jährlich 1,3 % mehr kassieren. Das nennt sich „atmender“ Mietendeckel.

Ausgenommen vom Gesetz sind Neubauwohnungen, die nach dem Jahr 2014 gebaut wurden und Sozialwohnungen, die besonders bezuschusst werden. Seit vergangenem Herbst durften in einer 2. Stufe sogar überhöhte Mieten abgesenkt werden. Neben den o. a. Ausnahmen stellt das individuelle Antragsverfahren ein weiteres Loch im Deckel dar, denn natürlich erfolgt der Preisstopp nicht automatisch und von Amts wegen – das wäre ja für diesen BeamtInnenstaat zu einfach.

Bei allen Mängeln hat der Deckel natürlich eine, wenn auch viel zu geringe finanzielle Entlassung von immerhin 1,5 Millionen Menschen gebracht.

MieterInnen brauchen eine Perspektive – jetzt!

Diese MieterInnen müssen nun die Folgen des Schandurteils von Karlsruhe ausbaden. Sie müssen nicht nur wieder höhere Mieten zahlen, sondern evtl. auch noch Rückzahlungen in Höhe der Differenz leisten müssen, die den VermieterInnen durch das Berliner Gesetz entgangen ist. Im schlimmsten Fall verlieren sie die eigene Wohnung aufgrund von Nachzahlungen oder überhöhten Preisen.

Der Berliner Senat verspricht zwar Hilfe für alle, die von Nachzahlungen betroffen sein werden. Doch selbst wenn diese unbürokratisch und in vollem Ausmaß erfolgen sollte, stellt sie bestenfalls ein zeitlich befristetes soziales Trostpflaster dar. Mieterhöhung und Preissteigerungen müssen die MieterInnen ab jetzt zu 100 % selbst zahlen.

Angesichts der massiven Wut, die Hunderttausende in Berlin verspüren, angesichts des sozialen Skandals werden wohl Zehntausende mehr die Forderung nach Enteignen von Deutsche Wohnen und Co. unterstützen. Ein Ja zum Volksentscheid im September wäre eine richtige Quittung für die Wohnbaulobby, für CDU, FDP und AfD, aber auch alle Volksbegehrens-BlockerInnen im Senat, allen voran die SPD-Rechte.

Die 1,5 Millionen MieterInnen können und sollen aber nicht bis zu den Bundestagswahlen warten. Sie können sich auch nicht auf die Rechtssicherheit einer etwaigen Mehrheit bei einer Volksabstimmung verlassen. Auch ein Volksentscheid in Berlin kann in Karlsruhe kassiert werden, auch wenn es tausende Rechtsgutachten gibt, die ihn für „verfassungssicher“ halten. Es braucht also, nebenbei bemerkt, auch für das Bündnis „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ (DWE) einen Plan B, will es nicht dasselbe Schicksal wie der Senat erleiden.

Das Urteil von Karlsruhe zeigt nämlich eines. Letztlich sind Fragen wie die Durchsetzung des Mietendeckels oder der Enteignung keine bloß juristischen. Im Rechtsstreit treten soziale und Klassenfragen vielmehr selbst schon in einer für die bürgerliche Gesellschaft regulierten, im Rahmen der Marktwirtschaft verbleibenden Form auf.

Diese können, wie jede errungene soziale Reform verdeutlicht, durchaus zeitweilig zugunsten der Lohnabhängigen, der Masse der MieterInnen verschoben werden. Aber die juristische Auseinandersetzung ist dabei letztlich nur Beiwerk.

Entscheidend ist es, den Konflikt mit den Mitteln des Klassenkampfes auszutragen. Die riesige Demonstration nur wenige Stunden nach dem Urteil von Karlruhe, als sich in Berlin gut 25.000 Menschen versammelten, verdeutlicht, dass das Potential und die Wut für einen solchen Kampf vorhanden sind. Doch um daraus eine Bewegung zu machen, braucht es jetzt klare Schritte im Kampf und zur Organisierung.

Verteidigt den Mietendeckel!

Karlsruhe hat den Mietendeckel zwar kassiert, er sollte aber nicht kampflos aufgegeben werden. Wir schlagen vielmehr vor:

  • Alle MieterInneninitiativen wie „Mietenwahnsinn stoppen“, DWE, die Berliner MieterInnenverbände, Bündnisse wie „Hände Weg vom Wedding“, aber auch die Gewerkschaften, Linkspartei und SPD-Verbände fordern wir auch, sich zu einem Aktionsbündnis zur Verteidigung des Mietendeckels und dessen Durchsetzung zusammenzuschließen.
  • Ein solches Aktionsbündnis darf nicht auf Vereinbarungen von SpitzenvertreterInnen der verschiedenen Parteien und Organisationen beschränkt sein. Es muss sich vielmehr auf deren Basis, die Masse der MieterInnen in Betrieben, an Unis, Schulen und vor allem auch in den Wohnhäusern stützen. Erst recht darf die Bildung eines solchen Bündnisses nicht davon abhängig gemacht werden, ob auch die lahmsten Senatsmitglieder oder VertreterInnen der Senatsparteien mitmachen oder ob ihnen die Aktionsformen eines solchen Bündnisse harm- und wirkungslos genug erscheinen.
  • Dazu müssen Massenversammlungen in den Stadtteilen und Betrieben organisiert werden und örtliche oder betriebliche Aktionsbündnisse oder Strukturen gebildet werden, die auf Landesebene gebündelt und koordiniert werden. Daher sollte auch rasch eine Aktionskonferenz einberufen werden, um diese Vorschläge zu diskutieren, lokale Initiativen sowie stadtweite Bündnisse zu koordinieren und zusammenzufassen.
  • Ein Aktionsbündnis sollte um die einfache Forderung gegründet werden: Verteidigt den Mietendeckel! Keinen Cent mehr für die WohnungsbesitzerInnen!
  • Die Nachzahlung und Erhöhungen der Mieten sollten verweigert werden durch einen kollektiven und organisierten Boykott/Mietstopp. Von den Senatsparteien ist einzufordern, dass sie eine solche Bewegung für ihren Mietendeckel verteidigen und gegen sie nicht repressiv vorgehen.
  • Auch wenn von SPD, Linkspartei, Grünen gefordert werden muss, dass sie keine Zwangsräumungen durchführen und gegen eine solche Bewegung nicht vorgehen, so dürfen wir uns nicht darauf verlassen. Die Bewegung muss Strukturen und Mobilisierungen gegen Zwangsräumungen, Pfändungen von MieterInnen usw. aufbauen.
  • Dazu muss sie sich auf eigene Strukturen und Aktionen wie Massendemonstrationen stützen. Von den Gewerkschaften im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft muss sie die Organisierung politischer Streiks zur Verteidigung des Mietendeckels und im Kampf gegen jede Repression einfordern.

Eine solche Perspektive ist ohne eine Radikalisierung der Bewegung und den Aufbau von Kampforganen ebendieser nicht zu haben. Wir sind uns im Klaren, dass nicht nur die bürgerlichen Grünen, die rechtssozialdemokratische SPD oder die Gewerkschaftsapparate alles tun werden, um die Entstehung einer solchen Bewegung zu blockieren oder ihr die Spitze zu nehmen. Das trifft letztlich auch auf die Linkspartei, die MieterInnenverbände usw. zu. Aber um eine Massenbewegung aufzubauen, ist es unerlässlich, diese Organisationen und ihre Mitglieder, WählerInnen und AnhängerInnen in Bewegung zu bringen – und das schließt auch ein, Forderungen an sie und ihre Führungen zu stellen, um sie dem Praxistest auch in den Augen ihrer UnterstützerInnen zu unterziehen. Nur im Rahmen einer Bewegung, nur im Rahmen realer Kämpfe und deren Radikalisierung wird es möglich sein, diese Bewegung selbst so weit zu treiben, dass sie in der Praxis über die Hoffnung auf Gerichte und bürgerliches Recht hinausgeht. So kann die Verteidigung des Mietendeckels zu einem Schritt werden im Kampf um die entschädigungslose Enteignung der Wohnungsbaugesellschaften und Immobilienhaie unter Kontrolle der MieterInnen und der ArbeiterInnenklasse!




Nach Kassieren des Mietendeckels – weiter Hoffen auf Rechtssicherheit?

Karl-Heinz Hermann, Infomail 1146, 16. April 2021

Eine Anmerkung zur Pressemitteilung des Bündnisses „Deutsche Wohnen & Co enteignen – Spekulation bekämpfen“ (DWE) scheint uns notwendig. In einer ersten vom 15. April schreibt DWE:

„Das Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel (MietenWoG Bln) für ,insgesamt nichtig’ erklärt. Das Urteil fällt damit besonders drastisch aus. Als wesentliche Begründung führt es die abschließende Regelung des Mietrechts durch den Bund an.“

Und weiter:

„Das Scheitern des Mietendeckels ist eine Enttäuschung für alle Mieter:innen in Berlin. Der Deckel hatte der Stadt eine Atempause verschafft, die das Bundesverfassungsgericht jetzt jäh beendet hat. Dieses Scheitern verstehen wir zugleich als weiteren Ansporn: Nur die Enteignung und Vergesellschaftung von Wohnraum bieten die Perspektive für ein Berlin mit bezahlbaren Mieten – jetzt erst recht,“ ordnet Jenny Stupka, Sprecherin der Initiative, das Urteil ein.

„Wir sind wütend darüber, dass die Berliner:innen den explodierenden Mieten jetzt wieder schutzlos ausgesetzt sind. Die Empörung in der Stadt ist groß und wir sind überzeugt, dass sich nun noch sehr viel mehr Menschen unserer Initiative anschließen werden als ohnehin schon. Alle sind eingeladen, sich an unserer Kampagne zu beteiligen”, fügt Rouzbeh Taheri, Sprecher der Initiative, hinzu.“

Wir möchten die Richtigkeit von Jenny Stupkas Aussage unterstreichen, doch es sei angemerkt:

  • Der Mietendeckel betrifft knapp achtmal mehr Wohnungen als die, um die es im angestrebten Volksentscheid von DWE geht.
  • Die geforderte „Vergesellschaftung“ ist im Grunde eine Verstaatlichung, zudem noch keine entschädigungslose, in Form einer angestrebten Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR).
  • „Enteignung und Vergesellschaftung“, wie DWE sie fordert, ist auf einen kleinen Sektor des Wohnungsmarkts beschränkt.

Was tun?

So unterstützenswert die Initiative trotz ihre Grenzen und politischen Schwächen gerade in der Frage der Entschädigung ist, wirft das Skandalurteil von Karlsruhe auch die Frage auf, wie DWE auf möglich rechtliche Hürden reagieren wird. Wenn das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel kassiert, warum soll es dann nicht auch den weitergehenden Eingriff in das Eigentumsrecht zurückweisen?

DWE rief, wie die gesamte MieterInnenbewegung, zur Demonstration, am 15. April 2021 auf. Das war sehr gut und richtig – aber gerade angesichts möglicher rechtlicher Hürden, denen die Initiative selbst ausgesetzt sein wird, fragt sich: Das war’s nun? Wie weiter? Was soll der Senat nach Dafürhalten von DWE unternehmen?

In derselben Pressemitteilung heißt es dazu:

„Die Initiative betont gegenüber dem Mietendeckel-Gesetz die rechtliche Sicherheit ihres Vorschlags. Die gesamte juristische Kommentarliteratur, einschließlich Gutachten der wissenschaftlichen Dienste von Bundestag und Abgeordnetenhaus sowie der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, bestätigt die juristische Zulässigkeit des Enteignungs-Volksbegehrens. Einer unmittelbaren Umsetzung bereitet die Initiative mit der Vorlage eines eigenen Vergesellschaftungsgesetzes den Weg. Diese soll in der ersten Mai-Hälfte der Öffentlichkeit vorgestellt werden.“

Und weiter:

„Die Strategie des Senats, die Preisexplosion durch den Mietendeckel in den Griff zu bekommen, ist gescheitert. Wir erwarten, dass alle Senatsparteien diese Realität anerkennen und die rechtssichere und haushaltsneutrale Alternative unterstützen: die Enteignung und Vergesellschaftung großer Immobilien-Unternehmen.“

„Rechtliche Sicherheit“ seines Vorschlags? Wähnt sich DWE etwa auf dem Trockenen gegenüber der Justiz? Stärkt das Urteil seinen Belang vielleicht sogar? Soll der Berliner Senat „die Realität anerkennen“ und in sich gehen? Wollen sich ihm die juristisch kompetenten Fachkräfte des Bündnisses zukünftig als RechtsberaterInnen anbieten, damit es auch beim BVerfG klappt?

So richtig es ist, vom Senat die Enteignung der Immobilien-Unternehmen zu fordern, so richtig es ist, alle rechtlichen Möglichkeiten für die Enteignung auszuschöpfen, so problematisch ist die der Presserklärung zugrunde liegende Einschätzung des Urteils von Karlsruhe. Der Mietendeckel ist letztlich nicht daran gescheitert, dass er zu wenig „rechtssicher“ gewesen wäre. Vielmehr war es das blinde Vertrauen in die Gerichte, die, für bürgerliche Parteien nicht weiter verwunderliche Vorstellung, dass die Justiz über den Klassen stehe, dass sich in ihr kein bestimmter Klassenstandpunkt – in diesem Fall der Immobilien-Unternehmen und ihrer Parteien – durchsetzen würde.

Es soll daher auch nicht weiter verwundern, dass der Senat – einschließlich der reformistischen, bürgerlichen ArbeiterInnenparteien SPD und Linkspartei – über keinen Plan B zur Verteidigung des Mietendeckels verfügt, nachdem dieser höchstgerichtlich gekippt wurde.

Ein ähnliches Problem droht auch DWE, sollte der Volksentscheid erfolgreich sein. Selbst jene, die dies für unwahrscheinlich halten, können diese Gefahr nach dem jüngsten Urteil von Karlsruhe nicht einfach vom Tisch wischen.

Im Gegenteil. Wir können und müssen daraus lernen. Wir brauchen einen Plan B – und zwar nicht erst, falls es im September schiefgeht, falls Senat oder Bund die Verfassungsgerichtskeule auspacken. DWE braucht vielmehr jetzt einen Plan B, weil die UnterstützerInnen, die SammlerInnen und Kiezteams sowie generell die Berliner MieterInnen vorbereitet werden müssen, dass es notwendig werden kann, ja wahrscheinlich wird, dass eine Enteignung der großen Immobilienkonzerne mehr erfordert als jene Mittel, die das enge Korsett der bürgerlichen Rechtsordnung und Öffentlichkeit, also die Institutionen der herrschenden Klasse, zulassen.

Mehr zur aktuellen Perspektive: Bundesverfassungsgericht kassiert Berliner Mietendeckel, aber der Kampf geht weiter



Deutsche Wohnen und Co. enteignen! Auf zur zweiten Runde!

ArbeiterInnenmacht-Flugblatt, Infomail 1144, 27. März 2021

Seit letzten Sommer hat es DWE nicht nur geschafft, eine große SammlerInnenstruktur mit ca. 1600 Personen aufzubauen, was zahlreiche Solidarische Orte, lokale Kiez- und Hochschulgruppen einschließt, sondern auch die Zustimmung großer BündnispartnerInnen wie des Berliner Mietervereins und ver.dis, der GEW, IG Metall , IG-BAU- und DGB-Jugend gewonnen. Es gibt Gespräche mit verschiedenen linken Bezirksverbänden der Grünen und der SPD sowie dem Berliner Landesverband der Jusos. Die Linkspartei unterstützt das Volksbegehren ebenso sowie zahlreiche andere linke Initiativen, Vereine, Interessenvertretungen und politische Gruppierungen.

Zusätzlich wurde die Kampagne geographisch erweitert:

  • Eine bundesweite Enteignungsvernetzung hat begonnen mit UnterstützerInnen in Aachen, Aschaffenburg, Bremen, Darmstadt, Dortmund, Düsseldorf, Frankfurt, Freiburg, Göttingen, Halle, Hamburg, Hannover, Jena, Kiel, Köln, Leipzig, Mannheim, Marburg, Nürnberg, Potsdam, Stuttgart und Tübingen (bundesweit@dwenteignen.de).
  • Mit der (Unter-)Kampagne „Right to the City“ wurde das Sammeln rechtlich ungültiger, aber politisch unterstützender Unterschriften von Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft zusammen mit verschiedenen MigrantInnenorganisationen (wie bspw. DIDF, der kurdischen und arabischen Community) geplant, um auf den Umstand ungleicher Rechte aufmerksam zu machen. Dafür wurden Materialien in englischer, türkischer, arabischer und russischer Sprache produziert. Wir sind der Meinung: Wer Miete zahlt, dessen Unterschrift soll auch gezählt werden.

Damit hat die Kampagne nicht nur eine starke personelle Ausstattung, sondern eine bis dahin nicht bekannte gesellschaftliche Reichweite in stark unterschiedlichen Milieus und in der organisierten ArbeiterInnenklasse entwickelt.

Mobilmachung der Gegenseite

Aber auch die Gegenseite macht mobil: Eine Woche vor Start der zweiten Phase schikanierte die Polizei mehrere SammlerInnen, beschlagnahmte Material, erstattete Anzeigen wegen Plakatierens ohne Erlaubnis und Sachbeschädigung oder wurde in Treptow ertappt, wie sie selbst Plakate (bspw. in der Baumschulenstraße) entfernte. Innensenator Geisel berät weitere Schritte wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz. Derselbe Innensenator, der 441 Tage für die Freigabe des Volksbegehrens gebraucht hat, beeilt sich anscheinend, jetzt die Kampagne zu stören. Dabei ist politische Werbung zum Zwecke von Volksbegehren nach § 2 Abs. 5, Nr. 2 der Covid-Verordnung ausdrücklich erlaubt. Geisel ist dem rechten und der Immobilienlobby nahen Flügel der SPD zuzurechnen und bereits zuvor mit einer feindlichen Haltung gegenüber Volksbegehren aufgefallen. Die Rate konservativer und neoliberaler Internettrolle steigt an und spammt die Kommentarspalten unter den Artikeln bürgerlicher Zeitungen zu. Und nicht zuletzt will der Immobilienlobbyverband GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen) 1,6 Millionen Euro für eine öffentliche Gegenkampagne bereitstellen, die durch Spenden der Mitgliedsverbände wie beispielsweise des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) und Sonderbeiträge der von der Vergesellschaftung betroffenen Immobilienkonzerne finanziert wird, und damit mit den Mieten der einfachen BerlinerInnen.

Das alles war zu erwarten und zeigt sehr gut, dass Vergesellschaftung zwar in Form des Volksbegehrens eine demokratische Frage ist, aber im Kern eine soziale mit klaren Klassenlinien und Lagern.

Klassenkampf und Volksbegehren

Bei allen guten Entwicklungen und optimistischen Aussichten ist das Ziel der Vergesellschaftung jedoch nicht sicher. Erstens weil das Volksbegehren letztlich alle Hoffnungen auf einen legalistischen Prozess setzt, der beim Gesetzgebungsverfahren eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus voraussetzt, also von der Unterstützung von Grünen, SPD und Linkspartei abhängt. Zweitens weil es keine anderen Wege zur Vergesellschaftung aufzeigt, die im Falle einer Niederlage die Kampagne auffangen und umorientieren könnten. Dazu bedarf es einer freien politischen Diskussion über zusätzliche und alternative Wege und einer Strategie, die mittels demokratischer Fragen Massen mobilisiert und organisiert (wie das Volksbegehren es auch erfolgreich tut). Sie müsste dabei jedoch versuchen, die Entscheidungsebene weg von Organen des bürgerlichen Staates (wie den Regierungsparteien, dem Abgeordnetenhaus und den Gerichten) auf eine (Klassen-)Ebene oder ein (soziales) Milieu zu verschieben, wo DWE tatsächlich eine größere Hebelwirkung und Verankerung, hat wie Organe der ArbeiterInnenklasse: Betriebsversammlungen, Gewerkschaften, lokale MieterInnenräte und „die Straße“.

Als Motor und als demokratisches Vehikel ist das Volksbegehren sehr gut geeignet und die Unterstützung durch die Gewerkschaften zeigt das. Unabhängig davon, wie der Kampf ausgeht, hat die Strategie ihr Potential verdeutlicht, eine demokratische Frage in eine soziale Massenmobilisierung zu transformieren. Wie der weitere Weg aussehen soll und sich das Volksbegehren in eine Gesamtstrategie in der Wohnungsfrage einbettet, muss offen diskutiert werden. Warum diese Diskussion um Alternativen und mögliche Negativszenarien wichtig ist, zeigt die aktuelle Sammelphase. Diese ist mit einer Schwierigkeit konfrontiert, die für vorherige Volksbegehren unbekannt war: die Corona-Pandemie und das Sammeln unter Maßnahmen des Infektionsschutzes. Wie stark sich das auf die Unterschriftenzahl letztlich auswirkt, lässt sich aktuell nicht voraussagen. Aber angesichts des starken Starts und der relativ großen Zustimmung unter Lohnabhängigen und WählerInnen von Grünen, SPD und Linkspartei kann man vorsichtig optimistisch sein.

Es kommt aber bis zum Ende auf jede Unterschrift an. Daher:

  • Installiert die DWE-App auf Euer Handy, wo Ihr über Sammelaktionen, Infoveranstaltungen und Kundgebungen sowie Orte informiert werdet, wo Ihr abstimmen könnt sowie Materialien und Unterschriften bekommt!
  • Werdet aktiv bei einem der vielen lokalen Kiezteams, der Hochschulvernetzung oder in der DWE-Gruppe Eurer Hochschule und tretet der entsprechenden Telegram-Gruppe bei (eine Liste findet Ihr unter www.dwenteignen.de/mitmachen/)!
  • Nehmt teil am zweiwöchigem Plenum der Kampagne! Schickt dazu eine Mail an mitmachen@dwenteignen.de!
  • Bringt Euch ein in eine der vielen AGs und Untergruppen: www.dwenteignen.de/mitmachen/!
  • Sprecht mit FreundInnen, KollegInnen und Familie über DWE, holt Euch Unterschriftenlisten von einem der Solidarischen Orte, reicht diese weiter und sammelt selbst! Das zentrale DWE-Büro befindet sich in der Graefestraße 14 in Kreuzberg. Eine Karte, wo Du unterschreiben oder Deine Unterschriftenbögen abgeben kannst, findest Du in der DWE-App.

Denn die erfolgreiche zweite Phase wäre nicht nur ein Sieg für 300.000 MieterInnen. Es gibt Überlegungen, ein größeres Bündnis aufzubauen, was die Frage von Enteignung, Vergesellschaftung, Gemeinwirtschaft, Wirtschaftsdemokratie und demokratische Kontrolle auch in Bezug auf andere gesellschaftliche Bereiche zur Agenda macht. Damit könnten die Linke und die ArbeiterInnenklasse nicht nur nach Jahrzehnten des politischen Rückzugs endlich wieder in die Offensive kommen, sondern auch in Zeiten von Corona, Klimawandel und der kommenden Wirtschaftskrise dringende Sofortmaßnahmen und ein langfristiges Programm auf eine Grundlage stellen, von der die Masse der Menschen profitiert und damit ihr Überleben sichert.

Eckpunkte eines Programms zur Wohnungsfrage

Bürgerliche Wohnungs- und Bodenreformpolitik richtet sich lediglich gegen „spekulative Auswüchse“, nicht gegen das auch der Wohnungsfrage zugrunde liegende Kapitalverhältnis.

Ein Wohnungsprogramm kann nur entwickelt werden durch Teilnahme an den Erfahrungen und Kämpfen der MieterInnenbewegung. Deshalb wollen wir hier  einige Eckpunkte benennen, die solch ein revolutionäres Programm berücksichtigen müsste:

1. Jede Forderung zur Erleichterung und Verbesserung der Lage der MieterInnen und der Einschränkung der privaten Eigentümerverfügungsmacht über Immobilien ist zu unterstützen, auch wenn sie noch so begrenzt erscheint.

2. Dabei ist immer klarzustellen, dass, solange die bürgerliche Staatsmacht besteht, Teilerfolge immer gefährdet sind. Es gibt keine sozialistischen Inseln im Kapitalismus.

3. Der Wohnungssektor ist Teil des kapitalistischen Gesamtsystems. Der Kampf dort muss ausgeweitet werden zu einem Kampf gegen dieses System.

4. Der MieterInnenkampf muss als Klassenkampf geführt werden (z. B. durch Einbeziehung der Gewerkschaften und anderer Organisationen, die sich auf die ArbeiterInnenklasse beziehen).

5. Anzustreben ist die Organisation der Betroffenen (MieterInnen und Beschäftigte der Wohnungswirtschaft) in (räteähnlichen) Strukturen der direkten Demokratie.

6. Forderungen sind zentral, die den Kern des heutigen Wohnungsmarktes angreifen (z. B. entschädigungslose Enteignung und Vergesellschaftung von Grund und Boden, Banken, Finanz- und Baukonzernen unter Kontrolle von Organisationen der ArbeiterInnenbewegung und der NutzerInnen).

Wir schlagen auch ein Programm öffentlicher, nützlicher Wohnungsbau- und Sanierungsmaßnahmen zu Tariflöhnen und bezahlt aus Unternehmerprofiten vor.

Das bedeutet nicht nur Kommunalisierung des Grund und Bodens, sondern Baubetrieb in Staatshand zwecks Neubau wie Altbausanierung, bezahlt aus dem beschlagnahmten Vermögen des entschädigungslos enteigneten Wohnungs- und Baukapitals bzw. einer progressiven Steuer auf alle Unternehmensprofite. Auch macht die enge Verknüpfung des Wohnungskapitals mit dem Finanzkapital es nötig, ebenso bei den Finanzierungsgesellschaften entschädigungslose Enteignungen durchzuführen.

Erst auf dieser Grundlage kann eine echte Selbstverwaltung bzw. Mitsprache der MieterInnen stattfinden, begleitet von ArbeiterInnenkontrolle über das Wohnungsbauwesen.