DWE, der Umgang mit sexuellen Übergriffen und die bürgerliche Presse

Tomasz Jaroslaw, Infomail 1162, 13. September 2021

Der Wahlkampf läuft auf Hochtouren – jedenfalls jener der Kampagne Deutsche Wohnen und Co.  enteignen (DWE). Kiezteams konzentrieren sich auf einen Häuserkampf, vor allem in den Außenbezirken, um die Menschen auch zur Abstimmung zu bringen und eine Mehrheit zu erringen.

Die Chancen am 26. September stehen trotz Millionen, die die Immobilienlobby in Gegenkampagnen steckt, nicht schlecht. Nach aktuellen Umfragen stehen 47 % der BerlinerInnen hinter der Forderung nach Enteignung, 43 % lehnen sie ab. Die jüngsten Erhebungen zeigen außerdem, dass mittlerweile auch eine Mehrheit der SPD-AnhängerInnen beim Volksentscheid mit Ja stimmen will.

Wie mit Vorwürfen sexueller Übergriffe umgehen?

Zugleich durchzog und durchzieht die Kampagne seit Ende Juni ein heftiger innerer Konflikt. Zu diesem Zeitpunkt wurde von einer Aktiven gegen einen Sprecher der Kampagne der Vorwurf der sexuellen Nötigung erhoben.

Dieser Vorwurf und der Umgang damit zogen weite Kreise, nicht nur in der Kampagne und deren Umfeld selbst, sondern erreichten auch die Medien. Neben dem Neuen Deutschland berichteten auch Tagesspiegel und Die Welt. Weitere werden wahrscheinlich folgen. Letzteren beiden – das wird schon bei einer oberflächlichen Lektüre deutlich – geht es natürlich nicht um die Sache. Vielmehr versuchen sie, den Vorwurf und den Umgang damit zu nutzen, um die gesamte Kampagne und die Vergesellschaftung an sich politisch zu delegitimieren. Doch bevor wir darauf näher eingehen, kurz zum Hergang der Auseinandersetzung in DWE selbst.

Der mutmaßliche Übergriff soll am 21. Juni am Rande einer öffentlichen Kundgebung der Linkspartei auf dem Rosa-Luxemburg-Platz stattgefunden haben, wo diese etwa 30.000 Unterschriften zum Volksbegehren an DWE übergeben hatte. Es gibt die Aussagen der beschuldigenden Person, was vorgefallen war. Der Beschuldigte dementiert diese Vorwürfe. Bis heute gibt es viele Gerüchte, die sicherlich keiner Aufklärung dienlich sind.

Richtigerweise nahm die Kampagne die Vorwürfe von Beginn an sehr ernst, der Umgang damit erwies sich jedoch aus verschiedenen Gründen als schwierig.

Erstens hatte DWE selbst zu diesem Zeitpunkt kein gemeinsames, anerkanntes Verfahren, wie mit einem Vorwurf eines sexuellen Übergriffs umzugehen ist. Das kann der Kampagne sicher nur bedingt vorgeworfen werden, zumal es ja auch keine allgemein anerkannte Sicht in der ArbeiterInnenbewegung oder der Linken gibt.

Zweitens und damit verbunden prallten von Beginn zwei miteinander unvereinbare Vorstellungen aufeinander.

Ein Teil der Kampagne, der sich letztlich durchsetzte, vertrat die Konzepte von „Definitionsmacht“ und „absoluter Parteilichkeit“. Diese besagen, dass nicht nur der Vorwurf ernst zu nehmen und der Betroffenen möglichst große Unterstützung zu geben sei, sondern auch, dass die Behauptung  der beschuldigenden Person selbst als Beweis für die Tat gilt. Dem Konzept der Definitionsmacht zufolge steht es nämlich nur der betroffenen Person zu, zu definieren, ob ein sexueller Übergriff oder eine Grenzüberschreitung vorlag. Alles andere gilt als Täterschutz. Letztlich ist dabei nur die subjektive Empfindung der beschuldigenden Person ausschlaggebend. Selbst die Frage danach, was „tatsächlich“ vorgefallen ist, gilt schon als Relativierung des Vorwurf und der Tat.

Diese Position wurde vor allem von Menschen aus postautonomen und kleinbürgerlich-akademischen Milieus vertreten. Insbesondere die stärkste politische Organisation in der Kampagne, die Interventionistische Linke (IL), die vor allem in diesen Milieus verankert ist und eine dominante Rolle im Ko-Kreis spielt, machte von Anfang an diese Ideologie zum Referenzpunkt des Umgangs innerhalb der Kampagne und versuchte, dieser zu Beginn einfach ihre Methode aufzuzwingen.

Probleme der Defintionsmacht

Das wurde richtigerweise kritisiert. Nachdem Transparenz und ein geregeltes demokratisch-legitimiertes Verfahren eingefordert worden waren, legte der Koordinierungskreis einen Verfahrensvorschlag zur Abstimmung vor, der weiterhin deutlich von Definitionsmacht und Parteilichkeit geprägt war.

Der Strömung um die IL trat eine durchaus heterogene Reihe von GenossInnen entgegen, die die Definitionsmacht zu Recht und grundsätzlich ablehnten, da diese Ideologie dem Beschuldigten kategorisch jedes Recht auf Verteidigung und Beibringen von Beweisen oder Indizien für seine Unschuld abspricht. Ein solcher Umgang in einer breiten Massenkampagne würde somit hinter Errungenschaften des bürgerlichen Rechts (v. a. das auf Verteidigung) zurückfallen.

GenossInnen der Gruppe ArbeiterInnenmacht brachten wie auch andere KritikerInnen des Konzepts der Definitionsmacht Änderungsvorschläge zum Entwurf des Ko-Kreises ein, die in der Substanz alle von der Mehrheit um die IL abgelehnt wurden. Wir und andere KritikerInnen traten dafür ein, dass eine Untersuchungskommission gebildet werden solle, die, so weit dies möglich ist, den Vorwürfen auf den Grund geht und eine Empfehlung für das weitere Vorgehen der Kampagne ausarbeitet. Darüber hinaus war es Konsens, dass der Beschuldigte für die Zeit der Untersuchung nicht öffentlich für die Kampagne in Erscheinung treten sollte und sein Ämter ruhen würden.

Während am Beginn versucht wurde, das Konzept der Definitionsmacht einfach durchzusetzen, so müssen  wir – wenn auch in der Abstimmung unterlegen – festhalten, dass die Entscheidung nach mehreren Diskussionen demokratisch zustande kam.

Selbst wenn wir das Konzept der Definitionsmacht und seine identitätspolitischen Grundlagen grundsätzlich ablehnen, so müssen wir festhalten, dass sich auch die Gegenseite mit einigen Argumenten keinen Gefallen erwiesen, sondern durch Ton und Inhalt ihrer Argumente schwankende Personen eher verprellt hat. Als Argument gegen die Vorverurteilung wurde oft vorgebracht, dass der Beschuldigte ein verdienter Genosse und tragendes Mitglied der Kampagne sei und über Fähigkeiten und Kontakte verfüge, die wir weiterhin dringend bräuchten. Auch wenn alle positiven Beschreibungen zutreffen, kann das kein Freispruch sein und muss gerade angesichts einer Korrelation zwischen Machtposition und Missbrauchsmöglichkeit die Beschuldigung genau untersucht werden. In gewisser Weise haben damit leider die GegnerInnen der Definitionsmacht die Gegenposition bekräftigt. Auch Vorwürfe der Manipulation oder des Machtmissbrauchs gegen IL und Ko-Kreis wurden gegen Ende zu scharf und zu lange erhoben. Am Anfang haben Ko-Kreis bzw. IL in der Tat Entscheidungen getroffen, die nicht legitimiert waren, wie den Ausschluss des Beschuldigten und die Verlegung des DWE-Büros. Im weiteren Verfahren wurde sich aber um ein formal korrektes und demokratisches Vorgehen bemüht, auch wenn das Ergebnis am Ende inhaltlich falsch war.

Mit der Definitionsmacht und Parteilichkeit fällt DWE nicht nur hinter die Errungenschaften der Aufklärung und bürgerlichen Gesellschaft zurück, sondern bietet keine Perspektive für einen Umgang mit sexuellen Übergriffen für eine linke, proletarische Bewegung. Diese Ideologie bildet auch politisch keineswegs die Breite und Heterogenität ab, die DWE ausmachen und auch für den Erfolg verantwortlich sind. Durch die Entscheidung wurde diese Stärke aufs Spiel gesetzt.

Es ist grundsätzlich legitim von IL & Co., ihre programmatischen und ideologischen Vorstellungen in die Kampagne einzubringen und ihre Position dahingehend auszunutzen. Das heißt jedoch keineswegs, dass dies strategisch gesehen für sie selbst oder die Kampagne klug war. Viele AktivistInnen haben ihr Engagement sofort runtergefahren oder sind nicht mehr für DWE tätig. Damit gehen nicht nur personelle Ressourcen in Zeiten schwerer Wahlkämpfe und nach dem Volksbegehren verloren, sondern auch Netzwerke in Richtung MieterInneninitiativen, -verein und Gewerkschaften. Die VertreterIn der IG Metall Berlin hatte ein Statement vorgelesen, das eindeutig das Missfallen der IGM kundtat, wie DWE mit dem Vorfall umgegangen ist. Reiner Wild, Vorsitzender des MieterInnenvereins hat DWE ebenfalls dafür kritisiert. Alles wichtige BündnispartnerInnen! Wie die anderen Gewerkschaften und die SPD-Linke damit umgehen, bleibt abzuwarten. Es ist jedoch kein Zufall, dass Organisationen und AktivistInnen, die strukturell oder politisch der ArbeiterInnenklasse nahestehen, dieses Ergebnis kritisiert haben. Fakt ist, dass man sie und alle BündnispartnerInnen für den Sieg an der Urne, aber auch für den tatsächlichen Kampf für die Vergesellschaftung danach braucht. Der Umgang mit dem Verfahren schwächte aber dieses gemeinsame Ringen, nicht nur weil es dem/r GegnerIn „Futter“ gibt, sondern die eigene Kampagne schwächt. Dieser politischen Verantwortung müssen sich die IL  und ihre UnterstützerInnen stellen. Zugleich müssen wir aber auch sagen: Ein Rückzug aus DWE, ein Fallenlassen der Kampagne ist der falsche Schritt. Er nützt letztlich nur jenen, die immer schon gegen die Enteignung der Immobilienhaie eintraten.

Bürgerliche Hetze

Die Artikel in Der Tagesspiegel und Die Welt belegen das. Sie haben den Konflikt und das Rechtsverständnis der Definitionsmacht aufgegriffen – nicht weil es ihnen um die Sache geht, sondern um die Kampagne selbst madig zu machen.

So wird eine anonyme Gewerkschafterin bemüht, die die „Interventionistische Linke“ als „wohlstandsverwahrloste Narzissten-Truppe“ und deren Aktivisten und Aktivistinnen als „eitle Berufsquatscher“ denunziert. In Wirklichkeit soll mit solcher Rhetorik die gesamte Initiative diskreditier werden – frei nach dem Motto, nur Verrückte Linksradikale und „Sekten“ wollen Unternehmen enteignen. So weiß der Tagesspiegel auch von rechtschaffenen Leuten zu berichten, die es bereuen, an der Kampagne teilgenommen zu haben: „Zumindest in ver.di sagen einzelne nun, man hätte sich auf die in der Kampagne aktiven ‚Sekten’ nie einlassen sollen.“

Die Stimmungsmache verfolgt einen Zweck. „Noch ist es Zeit zur Umkehr!“, legen Tagesspiegel und Die Welt im Subtext nahe. Die MieterInnenvereine, die Gewerkschaften, DIE LINKE, die allesamt DWE unterstützen, sollen sich am besten laut und vor dem 26. September zurückziehen. Bisher hat ihnen noch niemand den Gefallen getan.

So erklärt die ver.di-Sekretärin Jana Seppelt gegenüber dem Neuen Deutschland vom 1. September richtigerweise, dass dem Vorwurf des sexuellen Übergriffs natürlich nachgegangen werden müsse. Vor allem aber stellt sie klar: „Gleichzeitig gibt es für mich keinen Anlass, die Ziele der Initiative nicht zu unterstützen. Wir haben dazu klare Beschlüsse in der Organisation: Die Mieten fressen die Löhne auf und die Kampagne hat überzeugende Konzepte.“

Das ist die richtige Antwort auf alle jene Bürgerlichen, die jetzt versuchen, politisches Kleingeld aus einem politischen Fehler der Kampagne zu schlagen und die Kampagne und ihre UnterstützerInnen zu spalten. Der gemeinsame Kampf gegen Mietwucher, für Enteignung und für niedrige Mieten kann und muss trotz ideologischer Differenzen weiter gemeinsam geführt werden. Daher: Gewerkschaften, MieterInnenvereine, Linkspartei, linke SPD-lerInnen – tretet weiter für ein Ja beim Volksentscheid ein! Es geht letztlich um eine klassenpolitische Konfrontation, nicht um durchaus schwere, aufzuarbeitende und zu korrigierende Fehler der Kampagne. Daher noch einmal: Unterstützung die Kampagne! JA zur Enteignung, stimmt JA beim Volksentscheid!




Deutsche Wohnen und Co. Enteignen: Ja zum Volksentscheid, Ja zur Enteignung!

Tomasz Jaroslaw/Veronika Schulz, Neue Internationale 258, September 2021

Mit ca. 250.000 gültigen Unterschriften hat die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ (DWE) im Juni das historisch beste Ergebnis für ein Berliner Volksbegehren eingefahren. Dieses wäre ohne Tausende Aktive und die großen BündnispartnerInnen wie die Linkspartei, die Gewerkschaften und den Mieterverein nicht möglich gewesen. Umfragen deuten darauf hin, dass die Zustimmung zur Vergesellschaftung großer privater und gewinnorientierter Wohnkonzerne nicht nur mit linken politischen Meinungen korreliert, sondern auch mit niedrigen Einkommen. Das alles zeigt einen enormen Zuspruch und auch eine gewisse Verankerung in der ArbeiterInnenklasse.

Damit wird am 26. September nicht nur über die Zusammensetzung von Bundestag, Abgeordnetenhaus und Bezirksvertretungen entschieden, sondern auch über den Volksentscheid zur Vergesellschaftung. Auch wenn ein Sieg an der Wahlurne rechtlich nicht bindend wäre, würde dieser nach Jahrzehnten der Privatisierung und des Generalangriffs auf soziale Standards ein starkes Signal in die richtige Richtung senden und einen gewissen Druck auf den nächsten Senat (Berliner Landesregierung) ausüben, insbesondere auf Grüne, SPD und Linkspartei, deren Parteibasis und WählerInnen gewisse Sympathien für das Mittel der Vergesellschaftung hegen.

DIE LINKE, Grüne und SPD: Versprechen und Taten

Jedoch wäre mit einem erfolgreichen Volksentscheid der Kampf keineswegs vorbei: Ungeachtet der positiven Verlautbarungen bei den Grünen sind diese eine offen bürgerliche Partei, die Vergesellschaftung offiziell nur als „letztes Mittel“ anwenden will, es praktisch jedoch eher vermeiden möchte. So favorisieren sie Sanktionen für „schlechte“ VermieterInnen bei Beibehaltung des privaten Eigentums und markwirtschaftlicher Dogmen. Die SPD wiederum hat sich auf ihrem Berliner Landesparteitag 2019 für Gespräche mit DWE, aber gegen eine praktische Umsetzung der Vergesellschaftung ausgesprochen. Entsprechend versuchte sie es stattdessen mit anderen Optionen wie „Bauen, Kaufen, Deckeln“. Dass diese Konzepte zu teuer waren oder allesamt gescheitert sind, sei nur am Rande erwähnt. SPD und Grüne orientieren ingesamt auf zeitlich begrenzte, „gemeinwohlorientierte“, freiwillige Abmachungen mit privaten Immobilienkonzernen, beispielsweise den kurzlebigen und bereits gegenstandslosen „Zukunfts- und Sozialpakt“ mit dem Vonovia-Konzern oder einen bundesweiten Mietendeckel.

SPD und Grüne vertreten freilich eine sehr verwässerte Vorstellung von einem Mietendeckel, der eher einem Mietensieb entspricht. Außerdem sind sie allzeit bereit, in möglichen Koalitionsverhandlungen mit der konservativen CDU und/oder der marktliberalen FDP diese ohnehin unzureichenden Forderungen weiter aufzuweichen oder ganz über Bord zu werfen. Zu guter Letzt kann bezweifelt werden, wie energisch SPD und Grüne trotz aller Versprechungen derartige Projekte bundesweit durchsetzen werden, ohne dass eine starke, bundesweit agierende mietenpolitische Bewegung beide Parteien politisch herausfordert und derart unter Druck setzt, wie es DWE in Berlin getan hat.

Dass die SPD-Führung um Müller und Giffey gegen Vergesellschaftung eintritt, hat diese mehrfach betont. Zuspruch erhalten solche Aussagen nicht nur von der Immobilienlobby, sondern auch von CDU, FDP und AfD. Damit plagiiert Giffey neben Teilen ihrer Abschlussarbeit auch neoliberale Mietenpolitik. Wenn man bedenkt, dass die meisten SPD-WählerInnen und ihre Mitgliederbasis für Vergesellschaftung votieren und das Ziel von DWE politisch nichts weiter als klassischer Reformismus ist, dann stellen sich Giffey und Müller damit nicht nur den Interessen der Berliner MieterInnen und Lohnabhängigen entgegen, sondern auch der Mehrheit ihrer eigenen Partei.

Die SPD-Linke und die Linkspartei müssen in der nächsten Koalitionsverhandlung ein Vergesellschaftungs- und AöR-Gesetz (AöR: Anstalt des öffentlichen Rechts als Verwaltung des Gemeineigentums), das sich nach den Vorgaben von DWE richtet, als Bedingung definieren. Wenn Müller und Giffey sagen, das ginge nicht mit ihnen, müssen die WählerInnen und MieterInnen sagen: Sehr gerne!

Die Linkspartei ist hier zu zaghaft. Sie muss klarstellen, dass sie sich voll und ganz hinter die Vergesellschaftung stellt. Die Gewerkschaften unterstützen DWE zwar politisch, aber bis jetzt war das nicht verbunden mit der Aktivierung und Mobilisierung ihrer Basis, um weiter Druck auszuüben. Hoffnung machen hingegen beispielhafte Kooperationen mit der Krankenhausbewegung. Denn eines ist klar: Nicht nur Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Viele mittlerweile privatisierte Bereiche der Daseinsvorsorge, wie z. B. auch der Gesundheitsbereich, müssen rekommunalisiert und von NutzerInnen und Beschäftigten demokratisch kontrolliert, verwaltet und so ansatzweise der Markt- und Profitlogik entzogen werden.

Nach dem Volksentscheid ist vor dem Kampf

Wird das Volksbegehren erfolgreich sein, ist der Kampf für Vergesellschaftung nicht beendet, sondern fängt gerade erst an. Es ist zu erwarten, dass die Hetzkampagne gegen Vergesellschaftung weiter Fahrt aufnehmen wird. Seit Beginn der Kampagne arbeitet die Gegenseite bereits mit Falschbehauptungen (siehe Infokasten).

Und auch jeder Senat wird versuchen, sich der Verantwortung und dem Wählerwillen je nach Parteikonstellation in unterschiedlichen Ausprägungen zu entziehen. Daher wird es in erster Linie wichtig sein, nicht (nur) mit dem Senat über ein entsprechendes Gesetz zu verhandeln, sondern vor allem durch eine Vielzahl von Maßnahmen Druck auf diesen zu erzeugen. Dazu gehört die Forderung, dass Vergesellschaftung für die Linkspartei Koalitionsbedingung sein muss. Dazu gehört, die Parteilinke von Grünen und SPD gegen ihre Parteiführung und ihre VertreterInnen im Senat zu stärken und entsprechende Bezirks- und Landesparteitagsbeschlüsse herbeizuführen. Dazu gehört, die MieterInnenbewegung und den Mieterverein für eine Massenmobilisierung und Mietboykotte aufzubauen und zu stärken. Dazu gehört, die Gewerkschaften für politische Streiks zu gewinnen.

Denn ein Erfolg der Kampagne hätte nicht nur praktische Vorteile für etwa 300.000 MieterInnen in Berlin. Das politische Signal selbst wäre in Berlin und weit darüber hinaus von weitaus größerer Relevanz. Er wäre nicht nur ein Schlag gegen das Finanzkapital, sondern stellte eine Ermutigung für Enteignungen und Wiederverstaatlichung z. B. im Gesundheits- und Transportwesen und in der Energiewirtschaft dar.

Der Ausschluss von Menschen ohne deutschen Pass von der Abstimmung und die Medienhoheit des Kapitals mit dementsprechend wirksamer Demagogie verfälschen zudem das wahre Kräfteverhältnis, das in einem bürgerlich-demokratischem Verfahren wie dem Volksentscheid nicht zum Ausdruck kommen kann.

Wie weiter?

Allein, aber nicht nur aus diesem Grund muss der Kampf auch nach einer gewonnenen Volksabstimmung weitergeführt werden. Er braucht eine Umwandlung der Kampagne, deren Aufbau in den Wohnvierteln, Betrieben, an Schulen und Unis und den Kampf um ArbeiterInnen- und MieterInnenkontrolle über den Wohnraum. Dabei müssen wir für die vollständige Enteignung der großen privaten Immobilienkonzerne eintreten, um eine so gering wie mögliche Entschädigungszahlung herauszuholen und die Kontrolle über Sanierungen, Neubau und Mietpreise diesen Komitees und den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung wie den Gewerkschaften anzuvertrauen. Mietboykotts, Mietendeckel und politische Solidaritätsstreiks durch die Gewerkschaften können im ersten Schritt Druck auf die zukünftige Landesregierung ausüben, ein entsprechendes Enteignungs- und Mietengesetz umzusetzen. Schließlich brauchen wir eine Ausweitung, eine bundesweite MieterInnenbewegung für die Lösung der Probleme im Wohnungssektor und Enteignung.

Für eine bundesweite MieterInnenbewegung, gestützt auf die Massenorganisationen der ArbeiterInnenbewegung! Treten wir im ersten Schritt für eine bundesweite mietenpolitische Aktionskonferenz ein, die Vorschläge zur Behebung der Wohnungskrise diskutiert und einen Aktionsplan zu deren Bekämpfung und ihrem eigenen Aufbau, ihrer eigenen Organisationsstruktur beschließt!

Dafür schlagen wir folgende Forderungen vor:

  • Entschädigungslose Enteignung der großen Immobilienkonzerne unter ArbeiterInnen- und MieterInnenkontrolle! Offenlegung ihrer Bilanzen unter Hinzuziehung von ExpertInnen, die das Vertrauen der MieterInnen- und ArbeiterInnenbewegung besitzen!
  • Mietpreisbindung/Mietendeckel, kontrolliert durch MieterInnen und Gewerkschaften!
  • Weg mit Rassismus und Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt: Kontrolle und Offenlegung der Wohnungsvergabe!
  • Soziales Wohnungsbau- und -sanierungsprogramm unter Berücksichtigung ökologischer Aspekte (Baumaterial, Nutzung von Solarenergie, vernünftige Wärmedämmung statt Styroporplatten, Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, Infrastruktur) unter ArbeiterInnen- und MieterInnenkontrolle im Zusammenhang mit einer Transformation von Enteignung (Verstaatlichung) in eine wirkliche, umfassende Vergesellschaftung, in der Gesellschaftseigentum keine Insel inmitten eines Wohnungsmarktmeeres bleibt!

Holen wir uns ehemaliges Gemeineigentum zurück, um es kostendeckend und gemeinnützig zu bewirtschaften! Am 26. September für die Enteignung großer Immobilienkonzerne stimmen!




Archiv: Das Siedlungs-, Bau- und Wohnungsprogramm der Kommunistischen Partei Deutschlands (1922)

Programm-Entwurf der KPD (1), Infomail 1158, 5. August 2021

1. Die Grundlage aller Kommunalpolitik ist die Ansiedlung von Menschen. Im kapitalistischen Zeitalter vollzieht sich die Siedlung planlos; im wesentlichen folgt sie den Zufallsbedürfnissen der Industrie; sie nimmt keine Rücksicht auf die natürlichen Siedlungsmöglichkeiten, auf industrielle Standortsökonomie, keine Rücksicht auf Sicherstellung der Ernährung, auf Tauschmöglichkeit, Hygiene, Verkehr, keine Rücksicht auf den proletarischen Menschen.

In der kommunistischen Wirtschaft wird die Industrie von ihrem Zufallsstandort gelöst, nach natürlichen Standorten umgepflanzt und gegliedert, und die Siedlung der Menschen zu der Industrie  in eine planmäßige Beziehung gebracht, die sowohl den Notwendigkeiten der industriellen und agrarischen Produktion wie den verkehrstechnischen, hygienischen und ästhetischen Erfordernissen gerecht wird. In der kommunistischen Wirtschaft entscheidet über jede Siedlungsfrage ausschließlich das Interesse der werktätigen Menschen.

Da die Frage des natürlichen industriellen Standorts nicht im Grenzrahmen der kapitalistischen Staatengebilde gelöst werden kann, wird sich die endgültige Planregelung der menschlichen Siedlung erst in der internationalen kommunistischen Weltwirtschaft vollziehen.

2. Innerhalb der planlos erstandenen kapitalistischen Siedlungsorte wird planlos gebaut. Erst in den letzten Jahrzehnten vor dem Weltkriege entstand eine Wissenschaft vom Städtebau, wurde der Städtebau durch Vorschriften der Bebauungspläne, der Baupolizei, der Veranstaltungsgesetze usw. in einigen Städten planmäßig geregelt, ansatzweise sogar in interlokalem Umfange, doch diente diese Regelung fast restlos den Interessen des behaglichen Wohnens der Bourgeoisie; selbst diese Ansätze zur Planmäßigkeit sind mit dem Zusammenbruch des kapitalistischen Systems durch den Weltkrieg fast restlos zunichte gemacht.

Die kommunistische Gemeinde macht sich alle Erkenntnisse der Städtebauwissenschaft zu eigen, verwendet sie aber ausschließlich im Interesse des Proletariats, insbesondere in Abkehr vom Massenmietkasernenbau zur Gartenstadtsiedlung, in der Anlage von Spiel- und Erholungsplätzen für Arbeiter und Arbeiterkinder, und ordnet ihre Baupläne sorgsam den allgemeinen interlokalen Siedlungsplänen unter.

3. Innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft und der kapitalistischen Siedlung ist die Beschaffung des Baugrunds und die Erstellung von Wohnungen der privaten Willkür als Geschäft überlassen. Der Kapitalist betreibt den Hausbau und das Vermieten von Wohnungen wie eine Schnapsfabrik  und eine Destille, den Grundstückshandel wie einen Handel mit Aktien oder Altmetall. Bringt der Hausbau und das Vermieten von Wohnungen nicht den genügenden Profit, so wird das Geld in anderen Geschäften angelegt, der Bau von Häusern eingestellt, die obdachlose Familie dem Elend überlassen. Der Bodenwucher hat seine Grenzen.

In der kommunistischen Gemeinde ist der Wohnungsbau kein Geschäft, sondern eine  Aufgabe der Gemeinwirtschaft. Die Zahl der Häuser und Wohnungen ergibt sich lediglich aus dem Bedarf  der Menschen und den technischen Möglichkeiten. Bodenspekulation ist in der kommunistischen Gesellschaft nicht möglich.

4. Schon im kapitalistischen Staat der Vorkriegszeit lebte das Proletariat in bitterster Wohnungsnot. Nur kam es ihm nicht sonderlich zum Bewusstsein. Während die reichen Bourgeois in luxuriösen Villen mit Parks, Autogaragen und allem „Komfort“ ein Leben in Luxus führen konnten, während selbst das Kleinbürgertum in bescheidenen Räumen sein behagliches Spießbürgeridyll zu leben vermochte, hauste das Proletariat in seinen elenden Höhlen der Keller- und Dachgeschosse, der Hinterhäuser, der Massenmietkasernen, der Landarbeiterställe,  bis zu 15 Personen, Männer, Frauen, Kinder, Tuberkulöse, Schlafgänger, Prostituierte, Sterbende, Gebärende in einem Raume, auf einem Strohsack, oft ohne Luft, ohne Licht – fiel es jeder Seuche und dauernd der Tuberkulose zum Opfer.

5. Seit dem Weltkriege hat sich die Lage des Proletariats dahin verschlechtert,  dass Hunderttausende nicht einmal mehr diese Elendshöhlen haben. Die Militärgewalt verbot das Bauen, wenn es nicht militärischen Zwecken diente, die Zivilgewalt glaubte die Frontsoldaten damit beruhigen zu können, dass sie daheim die Mieten niedrig hielt: die Folge war, dass so gut wie keine neuen Wohnungen erstellt wurden. Weil auch die „Demokratie“ die Niedrighaltung der Mieten als Beruhigungsmittel nicht entbehren konnte, legte der Kapitalist auch nach der Revolution kein Geld im Miethausbau an. Versuche, mit Reichs-, Staats-, Gemeindegeld Wohnungen zu erstellen, blieben belanglos, weil der kapitalistische Staat seien Einnahmen zur Erfüllung  der Reparationsverpflichtungen und zur Niederhaltung der infolge der Erfüllungspolitik in Hunger und Verzweiflung geratenen Proletariermassen durch Militär, Schupo, Justiz und Polizei verbrauchte.

Die Wohnungsnot wuchs aber nicht nur durch den Ausfall von Neubauten bei gleichzeitiger starker Vermehrung der Familienzahl, sondern auch durch den baulichen  und hygienischen Verfall der vorhandenen Wohnungen. Der Hausbesitzer stellte die Reparaturen ein.

Das Ergebnis dieser Entwicklung sind die furchtbaren Erscheinungen in fast allen Städten und Dörfern: den Proletariern fallen die Wohnungen über dem Kopfe zusammen, die Tuberkulose fordert Woche um Woche größere Opfer, mehr und mehr gehen Obdachlose freiwillig ins Gefängnis, noch häufiger mit ihren Kindern in letzter Verzweiflung in die Fluten oder vor den geöffneten Gasschlauch. Vor den Wohnungsämtern aber stauen sich Tausende auf Tausende und heischen immer energischer, immer drohender Obdach.

6. In dieser gefährlichen Situation kam der kapitalistische Staat auf den Ausweg, den er schon bei der Bezahlung von Militär, Schupo, Polizei und Justiz gegangen war: die Kosten der Mörder und Mordmaschinen vom Opfer selbst tragen zu lassen. Die ruchlose Politik des 10prozentigen Lohnabzugs und der indirekten Massensteuern bei nahezu völliger tatsächlicher Steuerfreiheit der Besitzenden wurde wiederholt. In zwei großen Gesetzen wälzte der kapitalistische Staat die  gesamten Lasten der Wohnungserstellung auf die schwachen Schultern der Proletarier: durch das Reichsmietengesetz wurden die Kosten aller Wiedereinstandsetzung der zerfallenen Häuser sowie aller künftigen Reparaturen restlos den Mietern auferlegt; durch das Gesetz einer Abgabe zur Förderung des Wohnungsbaus (Mietsteuergesetz) aber auch die Kosten der Erbauung aller neuen Wohnhäuser.

7. Die Wohnungsnot lässt sich mit Reichsmietengesetz und Mietsteuergesetz jedoch nicht beseitigen. Der Mieter ist völlig außerstande, die ungeheure Milliardenlast der Wiederherstellung der alten und der Erbauung der neuen Wohnungen zu ertragen.

Die Notlage der Mieter ist umso schlimmer, als in Deutschland schon die Miete im Frieden für das Quadratmeter Wohnfläche umso höher war, je kleiner die Wohnung und der Wohnraum, je ärmer und kinderreicher der Mieter. Da sowohl das Reichsmietengesetz wie auch die Reichswohnungsbauabgabe den Mietern die Steuerlast in Anteilszuschlägen zur Friedensmiete auferlegt, bedeuten beide Gesetze eine besonders furchtbare Belastung gerade der kinderreichen Proletarierfamilien.

In allen Ländern und Gemeinden haben die Kommunisten gegen die Versuche, aufgrund dieser Gesetze den Mietern Lasten aufzubürden, den schärfsten Kampf zu führen, in dem sie von den in immer tiefere Not und Verzweiflung geratenden proletarischen Mietermassen von Monat zu Monat  kräftigere Unterstützung finden werden.

8. Wird durch diesen Kampf auch der Ausweg einer Abwälzung aller Lasten auf die Mieter ungangbar, so verbleibt im Rahmen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung überhaupt kein Weg mehr zum Bau von ausreichenden Wohnungen, zur Behebung der Wohnungsnot. Immer mehr wird diese Erkenntnis steigen; immer mehr auch die Erkenntnis, dass die Wohnungsnot erst in der sozialistisch-kommunistischen Gemeinschaft behoben werden kann. Die Wohnungsnot wird selber so eine der Haupttriebkräfte zum Sturz der kapitalistischen und der Herbeiführung der  sozialistisch-kommunistischen Wirtschaftsordnung.

9. Im kapitalistischen Staat kann aber wohl eine Milderung der Wohnungsnot erkämpft werden.  Doch auch dieser Kampf ist nicht in den Parlamenten auszufechten, sondern erfordert die Anteilnahme der gesamten proletarischen und halbproletarischen Mietermassen, die sich gegen das Hausagrariertum und seinen Schirmherrn, den kapitalistischen Staat, in Bewegung setzen müssen. Auch der Kampf um Milderungen der Wohnungsnot im kapitalistischen Staat kann nur in einen Kampf zur Zertrümmerung des kapitalistischen Staates ausmünden.

In diesem Kampfe sind die Forderungen der Kommunisten folgende:

A. Wohnungsstatistik.

1. Die statistischen Ämter des Reiches, der Länder, der Kommunalverbände und Kommunen haben sorgfältige Kataster der vorhandenen Wohnungen und des Wohnungsbedarfs mit besonderer Rücksichtnahme auf Rauminhalt und Familiengröße einzurichten.

2. Daneben haben die statistischen Ämter der Kommunen und Kommunalverbände zunächst laufend wohnungsstatistische Untersuchungen insbesondere über die Preisgestaltung der Grundstücke und Häuser, über das Verhältnis zwischen Einkommen und Miete, über die Beschaffenheit der Wohnungseinrichtungen, über das Verhältnis zwischen Wohnungslage, Krankheit und Sterblichkeit anzustellen und zu veröffentlichen.

B. Beschlagnahme der vorhandenen Wohnungen.

1. Das Recht des Vermietens und Mietens von Wohnungen, Eigenhäusern und möblierten Zimmern wird der Privatwirtschaft entzogen und der Gemeinwirtschaft überantwortet.

2. In jeder Gemeinde wird ein Gemeindebeauftragter mit der Durchführung der Gemeinwirtschaft des Wohnungswesens betraut, in allen größeren Gemeinden werden zu diesem Zweck Wohnungsämter eingerichtet.

3. Den Wohnungsämtern werden Wohnungsnachweise eingegliedert.

4. Alle privaten Wohnungsnachweise und Wohnungstauschbüros werden geschlossen.

5. Keine Wohnung darf ohne den gemeindlichen Wohnungsnachweis vermietet, getauscht oder sonstwie veräußert oder bezogen werden. Eigenhäuser und möblierte Zimmer sind dabei den Mietwohnungen gleichzustellen.

6. Die Wohnungsnachweise der Gemeinden werden nach Wirtschaftsgebieten zu einem Gebietswohnungsnachweis mit Meldeaustausch aufgegliedert, die Gebietswohnungsnachweise zu einem Reichswohnungsnachweis zusammengefasst.

7. Der Wohnungsnachweis ist unentgeltlich. Soweit noch Gebühren erhoben werden, sind sie nach Einkommen und Familienstärke unter Freilassung der kleinen Einkommen zu staffeln.

8. Die Verwaltung der Wohnungsämter wird in die Hände von Beamten gelegt, welche von den Mieterorganisationen gewählt werden.

9. Die Wohnungsämter haben nicht wie bisher nur überschüssige Räumlichkeiten zu beschlagnahmen, sondern grundsätzlich sämtliche Mieter nach Maßgabe der Familienstärke und der  wirtschaftlichen Notwendigkeiten umzusiedeln, dergestalt, daß die kinderreichen Familien in die  Großvillen, die Kleinfamilien (auch die wohlhabenderen) in die Mietskasernenkleinwohnungen   umgesiedelt werden. Als Hauptgrundsatz bei der Umsiedlung gilt: große Wohnungen für die kinderreichen Familien, kleine Wohnungen für kinderarme und kinderlose Mieter. Die Kosten der  Umsiedlung tragen die Gemeinden.

10. Solange der Hausbesitz noch nicht enteignet ist, ist die Miete im Gemeindebezirk zwangsweise nach Kinderzahl und Einkommen abzustufen, dergestalt, daß die Familien mit mehreren Kindern und geringerem Einkommen geringere Miete zu zahlen haben, ohne Rücksicht auf die Zahl der ihnen zugewiesenen Räume. Soweit durch höhere Mieten der Familien mit geringerer Kinderzahl und höherem Einkommen ein Ausgleich des so entstandenen Mietausfalles  nicht erreicht werden kann, geht die Differenz zu Lasten der Gemeinde. Die Verrechnung und Verteilung des Ausgleichs auf die einzelnen Hausbesitzer erfolgt durch das Wohnungsamt.

11. Solange die Forderung der Umsiedlung sich noch nicht durchsetzen lässt, werden die Wohnungen kontigentiert. Wieviel Räume dabei den einzelnen Familien in den Großwohnungen verbleiben, richtet sich nach den örtlichen Verhältnissen. Für die Großstadt kann dabei  etwa folgendes Schema Richtlinie sein:

Eine Familie ohne Kinder behält Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Zubehör und je nach Tätigkeit des Ehemannes oder der Ehefrau noch ein Arbeitszimmer. Für je zwei Kinder unter 10 Jahren oder für zwei gleichgeschlechtliche Kinder über 10 Jahren oder je ein Kind über 10 Jahren bei verschiedenen Geschlechtern wird ein weiteres Schlafzimmer zugestanden. Für Hauspersonal ist ein besonderes Zimmer im Wohngeschoss zu belassen, jedoch zu kontrollieren, ob dieses Zimmer auch tatsächlich dem Hauspersonal zur Verfügung steht. Für mehr als einen Dienstboten werden nur in ganz besonderen Ausnahmefällen (besondere Krankheitsverhältnisse) Räume genehmigt.

12. Die überschüssigen Räume sind den Wohnungssuchenden zur Verfügung zu stellen, die in einer Dringlichkeitsliste aufgeordnet werden.

13. Die Aufstellung der Dringlichkeitsliste obliegt den Mieterorganisationen oder den Ausschüssen der Wohnungslosen; zumindest haben die Mieterorganisationen an der Aufteilung und Kontrolle der Dringlichkeitsliste mitzuwirken. Die bisherige Bevorzugung entlassener Heeresangehöriger, aus Oberschlesien usw. vertriebener Chauvinisten usw. wird sofort beseitigt.   Entscheidend für die Höhe in der Dringlichkeitsliste muss vielmehr sein: Dauer der Wohnungslosigkeit und Zahl der Kinder, ferner Schwangerschaft und Krankheit. Schwerkriegsbeschädigte sind zu bevorzugen.

14. Die überschüssigen Räume sind zu Notwohnungen auszubauen. Diese müssen mindestens Kochgelegenheit, Wasserentnahme und Abort enthalten, in Ausnahmefällen ist Abortbenutzung mit einer zweiten Familie zulässig. Die Kosten des Ausbaues der Notwohnungen trägt die Gemeinde,  welche sie je nach den örtlichen Verhältnissen und der Vermögenslage des Hausbesitzers auf diesen ganz oder teilweise abwälzen kann. Die Mieten der Notwohnungen sind nach Einkommen und Kinderzahl abzustufen.

15. Der Ausbau von Kellerräumen zu Notwohnungen ist strikt zu verwerfen; ebenso der Ausbau von Dachgeschossen, Bodenkammern und ähnlichen Räumen, sofern die so entstandenen Wohnräume nicht massive Wände erhalten und gegen die Hitze und Kälteeinflüsse des Daches unbedingt geschützt sind.

16. Die privaten Neubauten, ebenso die Gebäude des Reichs, der Länder und der Kommunalverbände sind in das Beschlagnahmerecht der Gemeinden einzubeziehen.

17. Alle Anträge der Großwohnungsbesitzer auf Befreiung von der Wohnungsbeschlagnahme  durch freiwillige Hergabe von Geld oder durch anderweitige Wohnungserstellung sind abzulehnen.   Wo aus technischen Gründen Großwohnungen nicht aufgeteilt werden können und die Umsiedlung noch nicht durchführbar ist, sind in die überzähligen Räume solcher Großwohnungen Einzelmieter (Untermieter) einzuquartieren.

18. Neben den Großwohnungen müssen in erster Linie für Wohnzwecke beschlagnahmt werden:  alle Kasernen, Klöster und Schlösser (soweit nicht höhere Kunstzwecke gefährdet sind), ehemalige Lazarette usw. Weiter sind alle Bars, Kabaretts, Animierkneipen, Likörstuben, Bordelle und ähnliche Vergnügungsstätten zu schließen und zu Wohnungen umzubauen, soweit das technisch unzweckmäßig ist, jedoch mindestens mit solchen Geschäfts- und Gewerbebetrieben zu belegen, die ihrerseits Wohnräumen Platz machen können. Schulen dürfen dagegen nicht zu Wohnräumen ausgebaut werden.

19. Gebäude wie Kasernen usw., die nur schwierig zu Kleinwohnungen aufgeteilt werden können,  sind nach Möglichkeit  zu Asylen, Ledigenheimen, Zentralküchenhäusern usw. umzubauen.

20. Der Umbau von Wohnungen zu Gewerbezwecken oder die Benutzung von Wohnungen zu gewerblicher Tätigkeit, welche die bisherige Wohnmöglichkeit ausschließt, wird verboten.

21. Die unhygienischen Viertel der großen Städte (Altstadt) sind zu sanieren. Bis zur Durchführung der Sanierung sind auch in diesen älteren schon bebauten Stadtteilen so zahlreich  wie möglich Grünflächen, Kinderspielplätze und Sandbecken anzulegen.

22. Alle Wohnungen sind einer strengen Wohnungsaufsicht zu unterstellen.

23. Vorhandene Kellerwohnungen sind zu beseitigen.

24. Räume, in denen Lebensmittel verarbeitet werden, dürfen nicht als Schlafräume benutzt werden.

25. Überall ist für ausreichende Belüftung und Belichtung zu sorgen, die Zahl der Abortanlagen zu vermehren, die Kanalisation mit Spülklosetts aufs Schnellste zu fördern.

26. Das Schlafstellenunwesen ist durch Einquartierung von Einzelmietern in überschüssige Einzelzimmer der Großwohnungen zu beseitigen.

27. In allen Städten sind aus den Reihen der Baugenossenschaften, der Bauarbeiter usw. Arbeiter und Arbeiterinnen in größerer Zahl zu Wohnungsaufsichtsbeamten und Wohnungspflegerinnen auszubilden und mit der Aufsicht über die vorhandenen Wohnungen zu beauftragen. In den ländlichen Gemeinden sind neben den Vertretern ländlicher Wohnungsbaugenossenschaften insbesondere Beauftragte der Landarbeiterorganisationen mit der Wohnungsaufsicht zu betrauen.

28. Die Wohnungsaufsicht wird den Wohnungsämtern eingegliedert.

29. Die Wohnungsaufsichtsinstanzen erhalten das Recht der Anordnung von Um- und Neubauten zu Lasten des Hausbesitzers.

30. In den Arbeitermassenquartieren auf dem Lande ist unbedingt für getrennte Wohnmöglichkeit der einzelnen Familien und für Schaffung menschenwürdiger Wohnverhältnisse Sorge zu tragen.

31. Die Wohnungsämter sind in ihrem Gesamtaufgabenkomplex interlokal zu Gebietswohnungsämtern zusammenzufassen, die ihrerseits zu einem Reichswohnungsamt aufgegliedert werden. Aufgaben der Gebietswohnämter sind:

31.1. Interlokale Umsiedlung nach wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten, z.B. von Altersrentnern, nicht an bestimmte Orte gebundenen Erwerbstätigen usw. aus Orten mit großer Wohnungsnot in abseitige Gemeinden mit geringerer Wohnungsnot, in bisherige Landhausgemeinden, Kurorte, Badeorte usw.

31.2. Beschlagnahme und Ausbau von ländlichen Schlössern, Klöstern, Kurhäusern, Hotels, Landsitzen, Villen usw. zu Zwecken der Aufnahme von Kinderheimen, Pflegeheimen, Blindenanstalten usw., die jetzt in Städten untergebracht sind und nach der Umsiedlung  hrerseits in den Städten für Wohnungsgelegenheit Raum schaffen können.

C. Beschaffung neuer Wohnungen.

1. Die gesamte Neubautätigkeit wird in Gemeinwirtschaft überführt. Träger der Gemeinwirtschaft können sowohl Reich, Länder und Gemeinden wie auch Bau- und Produktivgenossenschaften sozialen Charakters sein. Die Gemeinwirtschaft hat bei den Urstoffen für die Bautätigkeit zu beginnen. In erster Linie sind daher zu vergesellschaften: Steinbrüche, Ziegeleien, Zement- und Glasfabriken, Kohlen- und Eisenindustrie, Forsten, Sägewerke und der Baumaterialienhandel. Zumindest ist ein Verbot des Stilllegens, des Abbruchs oder der Produktionsbeschränkung in diesen Gewerken sofort zu erwirken.

2. Der zur Siedlung benötigte Grund und Boden wird zugunsten der gemeinwirtschaftlichen Siedlung kostenlos enteignet. Bis zur Durchführung der Enteignung haben die Gemeinden einen möglichst umfangreichen gemeindeeignen Grundbesitz durch Kauf zu erwerben. Jeden Verkauf gemeindlichen Grundbesitzes an Private, Betriebe, Handelsgesellschaften usw. lehnen die Kommunisten ab. Grundstücksaustausch mit Privaten usw. ist zulässig, Grundstücksverpachtung jedoch nur, wenn die Gemeinde am Erträgnis des auf dem Grundstücke anzulegenden Betriebes ausreichend prozentual beteiligt wird. Wegen Erbpacht s.n.I. Nr. 26.

3. Die Bautätigkeit selbst wird ebenfalls der privaten Willkür entzogen und nach städtebaulichen, volkswirtschaftlichen, hygienischen und verkehrstechnischen Gesichtspunkten gemeindeweise konzentriert. Träger dieser Aufgabe sind die gemeindlichen Bauämter. Wo Baubetriebe für einzelne Gemeinden unrationell sind, schließen sich mehrere Gemeinden zum Betrieb eines gemeinwirtschaftlichen Bauunternehmens zusammen.

4. Reich, Staat und Kommunen haben möglichst hohe Summen für die Neubautätigkeit zur Verfügung zu stellen. An private Bauunternehmer sowie für private Werkswohnungen dürfen jedoch Zuschüsse in keiner Form gewährt werden.

5. Kasernen- und Kirchenbauten sind abzulehnen.

6. Die Neubauten sind dem gegenwärtigen Stande des Baumaterials anzupassen; sie dürfen aber in keiner Weise den sozialhygienisch und ästhetisch notwendigen städtebaulichen Gesichtspunkten , insbesondere dem allmählichen Übergang vom Massenmietskasernenbau zur Gartenstadtsiedlung entgegenstehen.

7. In kleineren Gemeinden und großstädtischen Außenvierteln ist für ausreichende Stallung zu sorgen.

8. Die bestehenden Bauvorschriften sind auf das technisch und hygienisch Notwendige zu mildern. Ausreichende Besonnung, Straßenbreite und Raumhöhe sind jedoch unumgänglich.  Wellblechbaracken und ähnliche primitive Bauten sind für Wohnzwecke abzulehnen.

9. Die Wohnfläche der einzelnen Wohnung soll möglichst nie weniger als 70 bis 80 qm betragen. Die vielfach üblichen Zwergwohnungen („Vogelkäfige“) sind zu verwerfen.

10. Wo im bebauten Gelände zwischen Hochhäusern Baulücken klaffen, können diese durch Hochhäuser ausgefüllt werden; höhere als dreigeschossige Häuser sind jedoch auch in diesen Fällen nicht zu genehmigen.

11. Außerhalb des bereits bebauten Geländes sind stets nur freistehende Einzelhäuser oder Häuser  in Reihenflachbau zu bewilligen.

12. Neue Wohnungssiedlungen sind möglichst an der Herkunftsseite, industrielle Neuanlagen, ebenso Schlachthöfe, Müllabfuhrhaufen, Klärbecken usw. möglichst an der Abzugsseite der vorherrschenden Winde anzulegen, so dass die Wohngebiete von der industriellen Rauch- und  Geruchsbelästigung möglichst verschont bleiben. Soweit angängig sind alle industriellen Anlagen in besonderen von den Wohngebieten abgetrennten Industrievierteln zusammenzufassen.

13. Alle Neusiedlungen sind zu kanalisieren und mit Gas und Elektrizität zu versorgen, die Entwicklung zur Zentralbewirtschaftung (Zentralküchen, Zentrallesezimmern usw.) zu fördern. Voraussetzung dafür ist die Beseitigung der jetzigen völlig planlosen und willkürlichen Zersplitterung der Neusiedlungen und die Einordnung sämtlicher Neusiedlungen in eine streng planmäßige lokale und interlokale Bebauung.

14. Soweit planmäßige Siedlungstätigkeit auf Hemmungen durch Orts- und Kreisgrenzen stößt, sind Umgemeindungen, Eingemeindungen, Siedlungsverbände usw. zu Zwecken einheitlicherer Bautätigkeit schnellstens zu erwirken.

15. Das Reich, mindestens die Länder und Provinzen, haben einheitliche Versuchsbauten nach neuen Bauweisen auszuführen, damit den einzelnen Gemeinden die jetzigen kostspieligen Versuche  beim Erproben neuer Bauweisen erspart bleiben. Die Baubestandteile sind zu normalisieren und typisieren. Für die einzelnen Landesteile sind bodenständige Einheitsbauweisen und Einheitsbaupläne aufzustellen.

16. Alle Straßenbaukosten sowie die Kosten der Leitungen für Elektrizität, Gas und Wasser zu den Siedlungen trägt die Gemeinde. Die Verkehrsstraßen sind zu hoher Leistungsfähigkeit auszubauen, die Wohnstraßen weit mehr als bisher zu vereinfachen.

17. Bei allen Neubauten ist ist für genügende Freifläche und Gartenanlage, für Spiel- und Erholungsplätze, Sand- und Planschbecken der Arbeiter- und Arbeiterkinder Raum zu schaffen.

18. Die Aufteilung von Stadtwäldern oder Teilen von Stadtwäldern zur Anlage von bourgeoisen Villenkolonien ist abzulehnen, die Anlage von Spiel- und Erholungsplätzen, Unterkunftsräumen, alkoholfreien Wirtschaften und Milchschankhäuschen in den Stadtwäldern dagegen zu fördern. Aus Spazierparks für Müßiggänger sind die Waldungen zu Volksparks umzugestalten, die den freien Aufenthalt, das Lagern und Spielen außerhalb der Wege ermöglichen.

19. Wälder, Parks, Friedhöfe, Wiesen und Gartenanlagen sind durch breite Grünstraßen miteinander zu verbinden, rings um die Siedlungen zusammenhängende Grüngürtel zu belassen, Seen, Teiche, Fluss- und Kanalläufe in die Grünanlagen einzubeziehen. Wo irgend angängig, sind öffentliche Luft- und Wasserbäder einzuschalten. Die Ufer der Wasserflächen dürfen nicht besiedelt oder an Privateigentümer verpachtet werden.

20. Die Anlage von Plätzen, Straßenerweiterungen, künstlerischen Raum- und Straßenfluchtwirkungen ist Sorgfalt zu widmen.

21. Die Arbeitersiedlungen als ganzes sind ihres jetzigen leblosen Aussehens zu entkleiden und städtebaulich zu reizvoller Gesamtwirkung zusammenzufassen.

22. Die Ausgestaltung des Verkehrswesens ist besondere Sorgfalt zu widmen durch Anlagen von Straßen, Hoch- und Untergrundbahnen sowie durch Ausgestaltung des Eisenbahnwesens in Hinsicht auf möglichst schnelle Verbindung zwischen Arbeits- und Wohnstätte. Aus hygienischen, technischen und wirtschaftlichen Gründen sind alle Dampfbahnen zu elektrifizieren.

23. Die Beförderung zwischen Arbeits- und Wohnstätte muss grundsätzlich unentgeltlich erfolgen. Wo diese Forderung nicht durchführbar ist, sind als Mindestanforderungen zu erwirken: unentgeltliche Beförderung der Arbeitslosen vom und zum Arbeitsnachweis, erhebliche Preisermäßigungen für Arbeiter, Angestellte, Beamte, Schulkinder, Fortbildungsschüler,  Besucher von Mütter- und Säuglingsberatungsstellen, Außensiedler und Laubenkolonisten.

24. Die Kommunen und Kommunalverbände haben bei allen Bauämtern Auskunftsstellen für Siedler einzurichten.

25. Sämtliche Bauarbeiten sind in Eigenregie auszuführen. Der private Bauunternehmer ist bei allen Bauarbeiten auszuschalten.

26. Die Veräußerung von Bauten an Private ist verboten. Die gemeinnützig erbauten Wohnungen bleiben im Eigentum des Reichs, der Länder, der Gemeinden oder Baugenossenschaften. Ausnahmsweise, z.B. an Genossenschaften der Arbeiter, Beamten und Kleinbauern kann Erbpacht zugestanden werden. Die völlige Überlassung der Bautätigkeit und Bauten an Genossenschaften ist unzulässig, weil dadurch oft die ärmsten, kinderreichsten Proletarierfamilien, die nicht imstande  sind, die Genossenschaftsbeiträge aufzubringen, ohne Wohnung bleiben.

27. Den Baugenossenschaften sind die Zuschüsse stets in voller Höhe der Überteuerung auszuzahlen. Reich, Staat und Gemeinde haben ihnen zinslose Baugelder zur Verfügung zu stellen. Die Baupläne sind ihnen von den städtischen Bauämtern oder den Bauberatungsstellen der Länder und Provinzen unentgeltlich zu liefern.

28. Die Verwaltung aller erstellten Neubauten obliegt den Mieterausschüssen (Mieterräten).

29. Aus Mitteln des Reiches, der Länder und der Gemeinden sind allen Unbemittelten Möbel,  und sonstige Hausgerätschaften zur Wohnungseinrichtung unentgeltlich zu liefern. Soweit sich dieses nicht erreichen läßt, ist zu fordern, dass Reich, Staat, Kommunalverbände und Kommunen Möbel und Hausgerätschaften nach Normaltypen herstellen oder doch aufkaufen und diese Minderbemittelten zu ermäßigten Preisen übereignen.

30. Aller unbebaute Grundbesitz einschließlich der Pferderennbahnen ist acker- oder gartenmäßig zu bestellen. Soweit die Bestellung nicht durch die Gemeindeverwaltung selber erfolgt, ist der Grundbesitz an Vereinigungen von Laubenkolonisten, Baugenossenschaften und ähnliche proletarische Organisationen pachtweise zur Bestellung zu überlassen. Sollen die bestellten Grundstücke bebaut werden, so sind die Pächter mindestens ein Jahr zuvor davon zu benachrichtigen und zu kündigen. Soweit irgend möglich, ist ihnen rechtzeitig anderes Pachtland zur Verfügung zu stellen. Die Pachtpreise sind nach Einkommen und Kinderzahl der Pächter zu staffeln und soweit wie möglich in Naturalform zu entrichten. Erwerbslose bleiben von der Pacht befreit. Die Straßenbahnen, Hoch- und Vorortbahnen haben den Kleinpächtern Tarifermäßigungen zu gewähren.

31. Die Kommunisten haben die Pächterorganisationen zu fördern und in ihnen wie in den Mieterorganisationen (s. Absatz in D.) zu wirken.

D. Mieterschutz

1. Der wirksamste Mieterschutz ist die völlige Enteignung des Haus- und Grundbesitzes und die Überführung der Eigentums- und Besitzrechte auf Reich, Staat, Gemeinde unter Mitbestimmungsrecht und Selbstverwaltungsrecht der Mieterorganisationen und Mieter. Soweit diese Forderung noch nicht durchführbar ist, muss wenigstens der Grund und Boden in Gemeineigentum überführt werden. Die Enteignung des Grund und Bodens erfolgt erfolgt ohne Entschädigung. Bei der Enteignung der Gebäude ist jedoch allen Minderbemittelten eine Entschädigung zu gewähren.

2. Bis zur Durchführung der Enteignung ist darauf hinzuwirken, daß der Häuserhandel verboten und die Gesetzgebung zugunsten der Mieter und Pächter ausgebaut wird. Die gesamte Mieterschutzgesetzgebung ist dabei zu vereinheitlichen. Die Pachten sowie das Mieten möblierter Zimmer und die Hauswirtverträge sind in die Mieterschutzgesetzgebung einzubeziehen.

3. Für die Mieteinigungsämter ist insbesondere zu fordern: Wahl der Beisitzer durch die Mieterorganisationen; Verbot der Veränderung jeglicher Miet- oder Pachtverhältnisse zuungunsten der Mieter oder Pächter ohne Genehmigung des Mieteinigungsamtes; Verbot jeglicher Räumungsvollstreckung ohne Genehmigung des Mieteinigungsamtes und ohne ausreichende Bereitstellung anderer Unterkunftsmöglichkeiten.

4. Die kommunistischen Beisitzer der Mieteinigungsämter haben stets die Interessen der unter der allgemeinen Wohnungsnot und unter den Verhältnissen des besonderen Streitfalles am meisten Leidenden wahrzunehmen, nach Maßgabe des kommunistischen Siedlungs-, Bau- und Wohnungsprogrammes stets den Schwachen gegen den Kapitalkräftigen zu schützen.

5. Sämtlicher Reparaturarbeiten werden unter städtischer Regie zu Lasten der Hausbesitzer oder, soweit diese Minderbemittelte sind, zu Lasten der Gemeinde ausgeführt. Die Reparaturen erfolgen lediglich nach Zweckmäßigkeit und nach den Wünschen der Mieter unter Begutachtung der städtischen Bauämter.

6. Die im Reichsmietengesetz vorgesehenen Zuschläge für Reparaturen zugunsten der Hausbesitzer sind abzulehnen.

7. Die Gemeinden haben die Mieten in ihren eigenen Häusern nicht nach der Zahl und Größe der Räume, sondern nach der Kinderzahl und dem Einkommen der Mieter zu staffeln, dergestalt, daß die Familien mit größerer Kinderzahl und kleineren Einkommen die kleineren Mieten zu zahlen haben.

8. Die Gemeinden und Mieteinigungsämter dürfen keinerlei Anträgen der Hausbesitzer auf Erhöhung der Mieten über die Friedensmiete hinaus oder auf Neufestsetzung der Friedensmiete über den tatsächlichen Stand der Friedensmiete hinaus ihre Zustimmung erteilen.

9. Die Gemeinden haben alle Anträge auf Sonderberechnung öffentlicher Steuern, Gebühren und Beiträge, von Abgaben, Versicherungen, Hypothekenzinsteigerungen sowie von Verwaltungskosten  der Hausbesitzer für ihre Mieter abzulehnen.

10. Die Kommunisten dürfen nur dann für einen von irgendwelcher Seite eingebrachten niedrigeren Zuschlagsantrag stimmen, wenn vorher ihre Anträge auf Ablehnung jeglichen Zuschlages und jeglicher Sonderberechnung abgelehnt sind und höhere Zuschläge nur durch ihre Zustimmung zum niedrigeren Zuschlage verhindert werden können.

11. Durch Reichsgesetzgebung ist zu bestimmen, dass die Verwaltung der Häuser den Hausbesitzern genommen und Mieterausschüssen (Mieterräten) des einzelnen Hauses oder der einzelnen Häuserblöcke übertragen wird.

12. Auch über die gesetzlichen Rechte der Mieterschutzbestimmungen hinaus haben die Mieter einzelner Häuser oder Häuserblocks von sich aus Mieterräte zu bilden und diesen Mieterräten möglichst weitgehende Rechte gegenüber dem Hauseigentümer zu erkämpfen. Die Kommunisten in den Gemeindeverwaltungen haben diese Kämpfe in jeder Hinsicht (Übertragung von Befugnissen, Zuziehung zu einschlägigen Tagesordnungspunkten usw.) zu unterstützen.

13. Möglichst oft rufen die Mieterräte die Hausbewohner zu „Hausversammlungen“ zusammen. Die Kommunisten haben sich in den Hausversammlungen das Vertrauen der Mitbewohner zu erwerben und für das kommunistische Wohnungs- und Allgemeinprogramm zu wirken.

14. Dem Schutz der Untermieter und Schlafgänger gegen Mietwucher haben die Kommunisten in den Gemeindeverwaltungen, Mietseinigungsämtern und Mieterorganisationen besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

E. Mieterorganisation

1. Eine wesentliche Förderung kann den Forderungen der KPD zur Wohnungsfrage durch die Mieterorganisationen zuteil werden.

2. Überall, wo bei Behörden, Schiedsinstanzen usw. Wohnungsfragen und Mieterfragen behandelt werden, haben unsere Genossen zu beantragen, dass Vertreter der Mieterorganisationen neben den von der Behörde bestimmten mit entscheidender Stimme zugezogen werden.

3. Die örtlichen Parteivorstände haben der Mieterbewegung besondere Aufmerksamkeit zu widmen und einen oder mehrere besondere Beauftragte für die Arbeit der Kommunisten in der Mieterbewegung zu bestimmen.

4. Es ist nicht Aufgabe der örtlichen Parteileitung, etwa alle Mitglieder der KPD zum Eintritt in die Mieterorganisationen zu veranlassen; es ist nur erforderlich, dass die für dieses Gebiet besonders interessierten Genossen zum Eintritt in die Mieterorganisationen angehalten werden, daß diese in ihnen geschlossene und zielklare Fraktionen bilden, dass diese Fraktionen in engster Fühlung mit der Parteiorganisation vorgehen, dass überall die kommunistischen Forderungen vertreten und zur Anerkennung gebracht werden, dass also nicht durch einfache Abstimmungsmehrheit, sondern durch den Wert der programmatischen Forderungen und praktischen Bestätigung ihrer Mitglieder in den Mieterorganisationen die kommunistische Partei die Mieterorganisationen entscheidend beeinflusst.

5. Die als Mieterräte sowie die in den Mieteinigungs- und Wohnungsämtern tätigen Genossen sdin zum Eintritt in eine Mieterorganisation verpflichtet.

6. Bestimmte Mieterorganisationen werden von den Kommunisten nicht bevorzugt. Die Kommunisten treten vielmehr in alle Mieterorganisationen ein. In diesen sorgen sie in organisatorischer Hinsicht für einen möglichst schnellen Zusammenschluss aller bestehenden Mieterorganisationen sowohl örtlich wie auch in den Bezirken und im ganzen Reich mit dem Ziele, einer einzigen einheitlichen großen Mieterorganisation, die sich einheitlich nach Wirtschaftsbezirken und Ortsgruppen gliedert.

7. Neugründungen von Mieterorganisationen, auch von „reingewerkschaftlichen“, neben den bestehenden Organisationen, werden von den Kommunisten bekämpft. Kommen solche Neugründungen trotzdem zustande, treten die Kommunisten in sie ein und arbeiten in ihnen für eine Verschmelzung mit den bestehenden Verbänden.

8. Zu Kongressen, Verbandstagen usw. der Mieterverbände sind überall Kommunisten in Vorschlag zu bringen. Auf die Verbandspresse ist entscheidender Einfluss zu erstreben.

9. Die Fraktionen der verschiedenen Mieterorganisationen eines Ortes treten von Zeit zu Zeit zu gemeinsamen Besprechungen zusammen, um ein einheitliches Vorgehen in den Einzelfragen zu gewährleisten und ihre Erfahrungen auszutauschen.

10. Die Organisation der Fraktionen ist bezirksweise und darüber hinaus länderweise und schließlich für das ganze Reich aufzugliedern. Die Zentrale der Partei beruft zu gegebener Zeit einen Reichskongress der kommunistischen Mieterfraktionen.

11. Die Hauptaufgabe der Kommunisten in den Mieterorganisationen beruht in der Verbreitung der Erkenntnis, dass eine Lösung der Wohnungsfrage im rahmen des kapitalistischen Staates unmöglich, sondern nur nach Maßgabe der kommunistischen Forderungen in der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft durchführbar ist, und die aufgrund dieser Erkenntnis vollziehende Einreihung der Mieterschaft in die Kampffront des revolutionären Proletariats.

Endnote

(1) Dieser Text wurde veröffentlicht in „Die Internationale, Zeitschrift für Theorie und Praxis des Marxismus“, Jahrgang 4, Heft 18, 20. April 1922, herausgegeben von der Zentrale der KPD. Reprint: Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main 1971




Gegen Mietenwahnsinn und Immobilienspekulation! Enteignung – was sonst?!

Gruppe ArbeiterInnenmacht, Infomail 1154, 27. Juni 2021

343.000 Unterschriften in der 2. Sammelphase sind ein riesiger politischer Erfolg der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen (DWE), tausender UnterstützerInnen und der gesamten Protestbewegung gegen Mietenwahnsinn, Immobilienspekulation und Zwangsräumungen. Grund zum Feiern!

Der Erfolg ist aber auch Anlass zur Diskussion über die weiteren Perspektiven der Bewegung. Da wir Euch nicht allzu viel von der wohlverdienten Erholung rauben wollen, stellen wir unsere Einschätzung und Perspektive der Bewegung thesenhaft vor. Wir freuen uns auf Rückmeldungen und einen weiteren erfolgreichen Kampf!

1. An der Enteignung von Deutsche Wohnen/Vonovia und zahlreicher anderer Konzerne führt kein Weg vorbei. Das hat die Entwicklung der letzten Jahre gezeigt. Mietpreisbremse und Mietendeckel erwiesen sich zwar als begrenzte Verbesserungen. Die grundsätzlichen Ursachen für steigende Mieten und Verdrängung hätten sie aber auch nur abmildern, nicht aufheben können, selbst wenn der Deckel nicht gekippt worden wäre. Die notwendigen Neubauten von sozialem Wohnraum werden allein auch keine Abhilfe gegen die Spekulation mit ebendiesem schaffen.

Die Enteignung der großen Wohnungskapitale und andere Maßnahmen im Interesse der MieterInnen dürfen nicht alternativ, sondern müssen als Gesamtpaket gedacht werden.

2. Wenn wir die Misere am Wohnungsmarkt bekämpfen wollen, braucht es ein Maßnahmenpaket, das der Profitmacherei den Boden entzieht. Ansonsten drohen praktisch alle anderen zeitweiligen Verbesserungen nur Flickwerk zu bleiben. An der Enteignung von Grund und Boden und der großen Wohnungskonzerne führt kein Weg vorbei.

Unabhängig vom Ausgang des Volksentscheides besteht das große Verdienst von DWE darin, die Eigentumsfrage ins Zentrum politischer Auseinandersetzung, des Klassenkampfes gestellt zu haben.

3. Bei der Frage der Enteignung zeichnen sich soziale Lager ab: MieterInneninitiativen, MieterInnenverein, Gewerkschaften, AnhängerInnen der Partei, die sich auf die ArbeiterInnenklasse berufen, auf der einen Seite und bürgerliche Parteien, Mietlobby und Boulevardblätter auf der anderen. Die Frage besteht, ob man diesen Gegensatz nicht als den bezeichnet, der er ist: ein Klassenkampf. Daher sollten wir den Wahlkampf, die Mobilisierung der kommenden Monate auch als solchen begreifen. Wir müssen mit einer Hetzkampagne der Immobilienlobby, der rechten und bürgerlichen Parteien, von AfD, FPD und CDU, aber auch von den KapitalfreundInnen des rechten Parteiflügels von SPD und Grünen rechnen. Gleichzeitig müssen wir Druck auf die UnterstützerInnen in SPD und Grünen sowie auf die Linkspartei aufbauen, den Vorschlag von DWE zur Vergesellschaftung zu unterstützen.

Die Mobilisierung zum Volksentscheid muss daher vor allem als Klassenkampfmobilisierung geführt werden, auf der Straße, aber auch in den Betrieben, an Schulen und Unis.

4. Wir müssen uns darauf einstellen, dass der Kampf am 26. September nicht aufhört, auch wenn wir eine deutliche Mehrheit beim Volksentscheid erreichen. Das Kapital wird wie schon beim Mietendeckel seine Gerichte in Stellung bringen; es wird um die Rechtmäßigkeit der Enteignung und um jeden Cent bei der Höhe der Entscheidung kämpfen. Wie auch immer der Senat zusammengesetzt sein wird: eine Umsetzung im Interesse der MieterInnen ist nicht zu erwarten. Vielmehr wird er versuchen, eine Enteignung zu umgehen, zu verschleppen, zu verzögern, zu verwässern.

Wir müssen daher eine Bewegung aufbauen, die den Kampf nach dem 26. September mit anderen Mitteln in Berlin und bundesweit fortsetzen kann!

5. Die riesige Zustimmung für DWE, die Gewinnung vieler Massenorganisationen wie der Gewerkschaften, die breite Unterstützung durch die Linkspartei, durch MieterInnenvereinigungen, der Aufbau von Sammel- und Kiezteams verdeutlichen, dass wir eine Bewegung aufbauen können, die in den Stadtteilen, aber auch in den Betrieben verankert ist. Diese Basis müssen wir stärken und ausbauen. Wir müssen in den Gewerkschaften und Betrieben dafür eintreten, dass die Kampagne nicht nur durch Beschlüsse der Vorstände formal unterstützt wird, sondern auch wirklich betriebliche Strukturen aufgebaut werden, die als Kampforgane agieren können.

Die Kiez- und Sammelteams, aber auch Strukturen in Betrieben, im öffentlichen Dienst, an Schulen und Unis sollen zu Aktionskomitees der Kampagne und darüber hinaus werden!

6. Im Herbst 2021 stehen nicht nur Wahlen, sondern auch wichtige Tarifrunden im öffentlichen Dienst sowie Auseinandersetzungen an den Krankenhäusern und Klinken an. Ohne Kampf, ohne Streikbewegung wird den KollegInnen dort nichts geschenkt werden – weder von der zukünftigen Bundesregierung noch vom zukünftigen Senat und erst recht nicht in den privaten Unternehmen. Das gilt natürlich auch für den Kampf um die Enteignung bzw. deren Durchsetzung, wenn wir den Volksentscheid gewinnen.

Wir müssen von den Gewerkschaften, in den Betrieben politische Streiks einfordern, um die Umsetzung der Enteignung zu erzwingen. Wir müssen uns bei den zu enteignenden Wohnungsunternehmen auf einen organisierten Mietboykott und ähnliche Kampfmaßnahmen vorbereiten, um eine zügige Enteignung von unten zu erzwingen!

7. Wir müssen davon ausgehen, dass sich der Kampf vor und nach dem 26. September weiter zuspitzt. Das heißt auch, dass wir ihn ausweiten, politisieren und radikalisieren müssen. Das betrifft zum einen die bundesweite Ebene wie überhaupt den Kampf um Enteignung und die Verbindung mit dem Kampf gegen die Kosten der Krise und Pandemie.

Wir treten daher dafür ein, nach den Wahlen eine bundesweite Aktionskonferenz zu organisieren, bei der der Kampf gegen überhöhte Mieten und Wohnungsnot eine zentrale Rolle spielen sollte, um so eine massenhafte Antikrisenbewegung aufzubauen.

8. Die Auseinandersetzungen der letzten Monate zeigen, welche Bedeutung der Wohnungsfrage zukommt. Dass Millionen die Enteignung der Konzerne unterstützen, zeigt aber auch, dass sie die kapitalistische Profitmacherei nicht einfach dulden wollen. Die Enteignung wird daher auch in anderen Bereichen von grundlegender Bedeutung werden. Dies bedeutet aber auch, dass wir an die Grenzen des Kampfes stoßen werden, wenn er im Rahmen des Grundgesetzes und der Entschädigung des Privateigentums bleibt. Wir müssen daher auch die Frage aufwerfen, wie, durch welche Mittel perspektivisch eine entschädigungslose Enteignung durchgesetzt werden kann. Welche gesellschaftliche Kraft, welche Klasse kann das erreichen und wie kann sie kontrollieren, dass enteignete, verstaatlichte oder kommunalisierte Betriebe oder Genossenschaften unter ihrer Kontrolle stehen und nicht nur der einer den MieterInnen nicht verantwortlichen Bürokratie?

Wir sollten daher die aktuelle Kampagne als Sprungbrett zu einer größeren Bewegung für die  bundesweite Enteignung der Immobilienkonzerne, von Grund und Boden und die Kontrolle des Wohnungsbaus durch die MieterInnen begreifen.

9. Doch keine Perspektive ohne Mühen der Ebene. Die beste strategische Diskussion reicht nicht, wenn wir unsere Kräfte nicht für den Volksentscheid im September bündeln. Ein Sieg beim Entscheid wäre einer von uns allen und ein enormer Schub für jeden zukünftigen Widerstand gegen die Angriffe des Kapitals, der nächsten Bundesregierung und des nächsten Senats.

Die von DWE anvisierte Verbreiterung der Kiezteams und Aktionsgruppen durch regelmäßige Versammlungen in den Kiezen und Stadtteilen ist dazu ein wichtiger Schritt. Diese sollten nicht nur dazu dienen, die Menschen zur Abstimmung zu bringen, sondern auch neue AktivistInnen zu gewinnen und integrieren.

In diesem Sinn sollten auch Aktionsgruppen und Komitees in Betrieben, im öffentlichen Dienst und an den Schulen aufgebaut werden.

Außerdem schlagen wir das Erstellen einer kostenlosen Massenzeitung für die Kampagne neben anderen Werbematerialien vor und die Verbindung der Mobilisierung mit anderen sozialen Kämpfen wie der Krankenhausbewegung und dem gegen die Räumung besetzter Häuser!

  • Bereiten wir Deutsche Wohnen/Vonovia und Co. einen heißen Herbst!
  • Enteignet die EnteignerInnen!



Schweden: Regierung doch noch gestürzt

Arbetarmakt, schwedische Sektion der Liga für die 5. Internationale, Infomail 1153, 21. Juni 2021

Schwedens sozialdemokratisch-grüne Minderheitsregierung ist endgültig gestürzt, nachdem Ministerpräsident Stefan Löfven eine Vertrauensabstimmung im Parlament verloren hat. Nach der Wahl von 2018, die keine klare Mehrheit eines „Lagers“ mit sich brachte, trat die Koalition ihr Amt nur an, nachdem sie die neoliberalen Forderungen der Zentrumspartei und der Liberalen im „Januarabkommen“ akzeptiert hatte. Selbst mit deren Unterstützung war die Regierung immer noch von der Linkspartei, der Nachfolgerin der Kommunistischen Partei, abhängig, die sich bereit erklärte, nicht gegen sie zu opponieren, wenn sie zwei Schlüsselelemente des Abkommens nicht umsetzt: die Verwässerung des Rechte der Beschäftigten und die Preisgabe der Mieten für den freien Markt.

Die Angriffe auf die Arbeitsplatzsicherheit kamen, wie versprochen, aber die Vorsitzende der Linkspartei, Nooshi Dadgostar, sagte, dass sie nicht für ein Misstrauensvotum stimmen würde, falls die Gewerkschaften und die UnternehmerInnen von sich aus zu einer Einigung über das Arbeitsrecht kommen würden. Die SozialdemokratInnen übten daraufhin schnell Druck auf ihre Verbündeten in der Gewerkschaftsbürokratie aus, um genau solch eine Vereinbarung auszuarbeiten, und die Regierung blieb im Amt.

Mieten

Das war im Oktober des vergangenen Jahres. Das zweite Thema, die Freigabe der Mietpreise im öffentlichen Wohnungsbau, war nicht so leicht zu umgehen. Der Vorschlag lautete, dass das „schwedische Modell“, bei dem die Mieten durch Verhandlungen zwischen der MieterInnengewerkschaft Hyresgästföreningen und den VermieterInnen festgelegt werden, durch freie Hand für die VermieterInnenseite ersetzt werden sollte, damit diese die Mieten nach „Marktpreisen“ beliebig festlegen können. Um die Pille zu versüßen, würde dies zunächst nur für Neubauten gelten.

Wie wir bereits berichtet haben, würde eine Freigabe der Mietpreise in Schweden laut dem Bericht einer Beratungsfirma etwa 50 Prozent höhere Mieten in Stockholm und 30–50 Prozent landesweit bedeuten.

Letzte Woche gab Nooshi Dadgostar unter dem Druck ihrer eigenen Parteimitglieder und der massiven Kampagne im ganzen Land gegen diesen extremen Vorschlag zur Liberalisierung des Wohnungsmarktes, der laut Umfragen nicht einmal unter den rechten WählerInnen eine Mehrheit hat, der Regierung eine Frist von 48 Stunden, um entweder den Vorschlag zurückzuziehen oder neue Verhandlungen mit der MieterInnengewerkschaft einzuleiten.

Seine Chance sehend, kündigte Löfven an, dass der MieterInnenbund zwar verhandeln dürfe. Sollte es aber zu keiner Einigung mit den ImmobilieneigentümerInnen kommen, würde wie im Arbeitsrechtskonflikt der ursprüngliche Vorschlag der Freigabe der Mietpreise trotzdem verabschiedet werden.

Dieses Mal sind Dadgostar und die Linkspartei nicht umgefallen. Sie kündigten an, dass sie diese „Lösung“ nicht akzeptieren können, und dann initiierten die rassistischen SchwedendemokratInnen ein Misstrauensvotum. Die konservativen Parteien der Moderaten und der ChristdemokratInnen stimmten aus eigenen Motiven für den Antrag, und gestern, am 21. Juni um 11 Uhr, wurde Premierminister Löfven mit den Stimmen der Linkspartei, der SchwedendemokratInnen, der ChristdemokratInnen und der Moderaten zu Fall gebracht. Er hat nun sieben Tage Zeit, entweder zurückzutreten oder Neuwahlen auszurufen.

Wie Arbetarmakt am Sonntag vor der Abstimmung schrieb, müssen alle AktivistInnen der Wohnungs- und ArbeiterInnenbewegung, die gegen die drohende Freigabe der Mietpreise gekämpft haben, den Sturz der Regierung und des Januarabkommens begrüßen. Von Anfang an war es die Pflicht aller SozialistInnen, alles in unserer Macht stehende zu tun, um das Januarabkommen zu Fall zu bringen, gegen jeden Teil davon zu kämpfen, den Druck zu erhöhen und schließlich die Regierung zu stürzen.

Was nun?

Die öffentliche Aufmerksamkeit wendet sich nun den politischen Ränkespielen zu, da eine neue Regierung oder möglicherweise eine vorgezogene Neuwahl diskutiert wird. Wir können die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Linkspartei erneut ihre vermeintlich „roten Linien“ verrät und Verhandlungen unter dem Druck entweder eines Gesetzes oder des Schreckgespenstes einer reaktionären schwedendemokratisch-moderat-christdemokratischen Regierung akzeptiert. Es war zweifellos der Druck der Bewegung gegen die Preisgabe der Mieten auf der Straße, der die Führung der Linkspartei dazu gezwungen hat, das Misstrauensvotum, anders als beim letzten Mal über das Beschäftigungsgesetz, zu unterstützen.

Egal, was als Nächstes kommt, die Aufgabe der SozialistInnen besteht jetzt darin, die Kampagne gegen die Vermarktung der Mieten auf der Straße zu verstärken. Die politische Krise wird nicht durch weitere Intrigen, Verhandlungen hinter verschlossenen Türen oder eine weitere Pressekonferenz gelöst werden. AktivistInnen in der MieterInnengewerkschaft, der Kampagne gegen die Kommerzialisierung der Mieten, GewerkschafterInnen und organisierte SozialistInnen müssen kristallklar machen, dass, egal welche Regierung als Nächstes kommt, die Kommerzialisierung der Mieten für uns eine rote Linie darstellt. Wie die Kampagne, die von Arbetarmakt unterstützt wird, am Sonntagabend schrieb: „Wir wollen keine Scheinverhandlungen oder verräterische Deals auf dem Rücken der MieterInnen sehen. Wir wissen, dass sieben von zehn SchwedInnen, aus allen politischen Richtungen, gegen die Freigabe der Mietpreise sind. Hört auf das Volk!“

Der Protest vor dem Parlament, zu dem die Kampagne aufgerufen hatte, war ein guter Auftakt für einen heißen Sommer im Kampf gegen jegliche Angriffe auf den Wohnungsbau. Während die politische Situation in Schweden derzeit ungewiss ist, können wir uns einer Sache sicher sein: Die Intensivierung des Kampfes ist unsere einzige Garantie, um die Angriffe der kapitalistischen Rechten zurückzuschlagen, egal welche Regierung an der Macht ist.




Hände weg von der Rigaer Straße!

Martin Suchanek, Infomail 1153, 17. Juni 2021

Die Berliner Polizei räumt wieder einmal. Seit Jahren sind ihr die besetzten Häuser in der Rigaer Straße 94, in der Liebigstr. 34 und viele andere wie Wohn- und Kulturprojekte ein Dorn im Auge. Längst ist der rot-rot-grüne Senat von der Politik der faktischen Legalisierung und Befriedung von Besetzungen abgerückt, wie sie in den 1990er Jahren durchgeführt wurde.

Unter dem fadenscheinigen Vorwand einer Brandschutzprüfung konnten die HauseigentümerInnen der Rigaer –  die in London ansässige Lafone Investments Limited, die über weitere Firmen und Treuhandkonstruktionen zu einem Berliner Privateigentümer und Immobilienhai führt – einen massiven Polizeieinsatz erzwingen. Dass es sich bei der Prüfung um einen bloßen Vorwand handelt, war schon immer klar, wurde aber am 17. Juni noch einmal deutlich, als das Angebot der BewohnerInnen ausgeschlagen wurde, den Brandschutzprüfer ohne Polizei ins Haus zu lassen.

Das Ziel wird damit nur noch einmal unterstrichen: die Räumung des Hauses mit allen Mitteln. Genau aus diesem Grund wird die Rigaer Straße seit Monaten, ja Jahren regelmäßig zum polizeilichen Sperrgebiet erklärt. Demonstration und Versammlungen werden tagelang verboten – und diese faktische Militarisierung der Auseinandersetzung durch Polizei, Senat und Gerichte wird dann den BesetzerInnen und deren UnterstützerInnen in die Schuhe geschoben, die ihre Vertreibung nicht einfach hinnehmen wollen.

Widerstand ist berechtigt!

Die EinwohnerInnen wehren sich – wie die vieler anderer besetzter Häuser – seit Jahren. Ihr Widerstand ist zweifellos berechtigt und verdient die Unterstützung der gesamten Linken, der MieterInnenproteste und –bewegung, der Gewerkschaften und der ArbeiterInnenbewegung.

Die beabsichtigte Räumung praktisch aller besetzten Häuser und Projekte in Berlin und die Diffamierung ihre BewohnerInnen und VerteidigerInnen als „Kriminelle“ muss im Gesamtzusammenhang  der Privatisierungen, der zunehmenden Spekulation, der Immobilienblase an den Börsen und der Finanzialisierung des Wohnungsmarktes verstanden werden. Der Polizeieinsatz in der Rigaer Straße bildet einen Bestandteil dieser Entwicklung, die zu stetigen Mietpreissteigerungen und Verdrängung hunderttausender Menschen führt.

Die Hetze der bürgerlichen und rechten Oppositionsparteien im Abgeordnetenhaus, der PolizeivertreterInnen und natürlich der Immobilienwirtschaft bringt letztlich nur deren Klassenstandpunkt und -hass zum Ausdruck. Kriminell agieren nicht die BesetzerInnen, die verdrängt werden sollen und sich wehren, sondern diejenigen, die deren Verdrängung, Räumung und Kriminalisierung fordern.

Ob AfD, CDU oder FDP: Sie alle singen im Chor mit der Berliner Presse das Lied der Freiheit der Rendite, fordern ein immer härteres Durchgreifen. Der rot-rot-grüne Senat erweist sich dabei wieder einmal als treuer Erfüllungsgehilfe dieser Kapitale. Voraus marschiert dabei SPD-Innensenator Geisel. Als Mini-Noske gibt er den Einpeitscher und Taktgeber: Was die bürgerliche Opposition fordere, setze er ohnedies längst schon um. Solange der Mann der Polizeitruppe vorsteht, können die Reichen in Ruhe reicher werden. „Wer Autoreifen anzündet, kämpft nicht für linke Freiräume, sondern drangsaliert den eigenen Kiez“, lässt der Innensenator verlauten. Hier spricht einer, der sich auskennt mit dem Drangsalieren von AnwohnerInnen. Denn: Was sind schon brennende Reifen gegen die Räumung von Häusern, Verdrängung tausender MieterInnen durch die Spekulation? Was bedeutet es schon, einen Farbbeutel oder einen Stein auf die Straße zu werfen, wenn tausende MieterInnen aufs Pflaster geworfen werden?

Von dem Innensenator kann die grüne Bezirkbürgermeisterin Herrmann in Sachen Umkehrung von Tatsachen noch lernen. Sie ist bestürzt über Gewalt und Chaos einer Minderheit. Gemeint hat sie damit jedoch nicht die Polizei, die die Straßen besetzt hält, sondern die Menschen, die sich gegen die Räumung wehren.

Ansonsten gehen Jusos, die verbliebenen Linken bei den Grünen und die Linkspartei derweil auf politische Tauchstation. Sie agieren nach dem Pontius-Pilatus-Prinzip und waschen ihre Hände in Unschuld. Gegen Geisel, die Polizei und die Pressehetze wollen sie nichts sagen, um nicht die imaginäre „Mitte“ zu verprellen oder gar kurz vor den Wahlen einen Koalitionskrach so zu riskieren. Umgekehrt wollen sie die UnterstützerInnen und SympathisantInnen der Rigaer Straße nicht als WählerInnen verprellen. Diese feige Stillhaltepolitik ist selbst ein politischer Skandal. Sie macht es den Geisels leicht, den Einbruch der Polizei mit Kettensägen und Rammböcken als „normalste Sache der Welt“ hinzustellen.

Solidarität!

Damit Geisel, seine Polizei und Immobilienlobby, deren Profite sie sichern, nicht durchkommen, bedürfen die BewohnerInnen der Rigaer 94 und alle anderen von der Räumung bedrohter Häuser und Projekte unserer Solidarität.

Ohne Massenunterstützung wird es kaum möglich sein, dass der Widerstand gegen das paramilitärische Aufgebot der Polizei, gegen den vereinten Justiz- und Verwaltungsapparat auf Dauer siegen kann. Unterstützt daher die Solidaritätsaktionen, Kundgebungen und Demonstrationen mit der Rigaer 94 heute und an den kommenden Tagen!

Zugleich brauchen wir eine breite Solidaritätsbewegung, die alle MieterInnenbündnisse und Kampagnen wie Deutsche Wohnen & Co. enteignen und die Gewerkschaften umfasst. Vor allem aber sind die Linkspartei und alle Senatsparteien, die ständig vorgeben, sich für die Belange der MieterInnen einzusetzen, gefordert, den Geisels und Hermanns in den Arm zu fallen und aufzuhören, als verlängerter Arm von HauseigentümerInnen und Kapitalinteressen zu agieren.

Sofortiger Stopp der Räumung und Rückzug aller Polizeieinheiten! Aufhebung aller Demonstrations- und Versammlungsverbote!

  • Freilassung aller festgenommenen Protestierenden!
  • Entschädigungslose Enteignung der BesitzerInnen der Rigaer 94 und anderer von der Räumung bedrohter Häuser!
  • Überlassung der Wohnräume und Projekte an die BesetzerInnen und Hauskollektive!
  • Unterschreibt das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co. enteignen! Entschädigungslose Enteignung von Vonovia, Deutsche Wohnen und aller anderen Immobilienkonzerne!



Zweite Runde des Volksbegehrens erfolgreich abschließen! Und wie dann weiter?

Lucien Jaros, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Seit letzten Sommer hat es DWE nicht nur geschafft, eine große SammlerInnenstruktur mit ca. 1.600 Personen aufzubauen, was zahlreiche „Solidarische Orte“, lokale Kiez- und Hochschulgruppen einschließt, sondern auch die Zustimmung großer BündnispartnerInnen wie des Berliner Mietervereins und ver.dis, der GEW, IG Metall , IG-BAU- und DGB-Jugend sowie der Berliner Jusos gewonnen. Es gibt Gespräche mit verschiedenen linken Bezirksverbänden und Abgeordneten der Grünen und der SPD. Die Linkspartei unterstützt das Volksbegehren ebenso wie zahlreiche andere linke Initiativen, Vereine, Interessenvertretungen und politische Gruppierungen.

Zusätzlich wurde die Kampagne geographisch erweitert:

  • Eine bundesweite Enteignungsvernetzung hat begonnen mit UnterstützerInnen in Aachen, Aschaffenburg, Bremen, Darmstadt, Dortmund, Düsseldorf, Frankfurt, Freiburg, Göttingen, Halle, Hamburg, Hannover, Jena, Kiel, Köln, Leipzig, Mannheim, Marburg, Nürnberg, Potsdam, Stuttgart und Tübingen (bundesweit@dwenteignen.de).
  • Mit der (Unter-)Kampagne „Right to the City“ wurde das Sammeln rechtlich ungültiger, aber politisch unterstützender Unterschriften von Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft zusammen mit verschiedenen MigrantInnenorganisationen (wie bspw. DIDF, der kurdischen und arabischen Community) geplant, um auf den Umstand ungleicher Rechte aufmerksam zu machen. Dafür wurden Materialien in englischer, türkischer, arabischer und russischer Sprache produziert. Wir sind der Meinung: Wer Miete zahlt, dessen Unterschrift soll auch gezählt werden.
  • Damit hat die Kampagne nicht nur eine starke personelle Ausstattung, sondern eine bis dahin nicht bekannte gesellschaftliche Reichweite in stark unterschiedlichen Milieus und in der organisierten ArbeiterInnenklasse entwickelt.

Mobilmachung der Gegenseite

Aber auch die Gegenseite macht mobil: Eine Woche vor Start der zweiten Phase schikanierte die Polizei mehrere SammlerInnen, beschlagnahmte Material, erstattete Anzeigen wegen Plakatierens ohne Erlaubnis und Sachbeschädigung oder wurde in Treptow ertappt, wie sie selbst Plakate (bspw. in der Baumschulenstraße) entfernte. Innensenator Geisel berät weitere Schritte wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz. Derselbe Innensenator, der 441 Tage für die Freigabe des Volksbegehrens gebraucht hat, beeilt sich anscheinend, jetzt die Kampagne zu stören. Dabei ist politische Werbung zum Zwecke von Volksbegehren nach § 2 Abs. 5, Nr. 2 der Covid-Verordnung ausdrücklich erlaubt. Geisel ist dem rechten und der Immobilienlobby nahen Flügel der SPD zuzurechnen und bereits zuvor mit einer feindlichen Haltung gegenüber diversen Volksbegehren aufgefallen. Die Rate konservativer und neoliberaler Internettrolle steigt an und spammt die Kommentarspalten unter den Artikeln bürgerlicher Zeitungen zu. Und nicht zuletzt will der Immobilienlobbyverband GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen) 1,6 Millionen Euro für eine öffentliche Gegenkampagne bereitstellen, die durch Spenden der Mitgliedsverbände wie beispielsweise des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) und Sonderbeiträge der von der Vergesellschaftung betroffenen Immobilienkonzerne finanziert wird, und damit durch die Mieten der einfachen BerlinerInnen.

(Mehr zum Thema im Artikel „Wenn die Immobilienhaie rufen, kommt die Polizei“).

Das alles war zu erwarten und zeigt sehr gut, dass Vergesellschaftung zwar in Form des Volksbegehrens eine demokratische Frage ist, aber im Kern eine soziale mit klaren Klassenlinien und Lagern.

Stand des Volksbegehrens

Aktuell läuft das Volksbegehren zufriedenstellend. In der 10. von insgesamt 18 Wochen wurden ca. 100.000 gültige Unterschriften von 175.000 benötigten abgegeben. Eine leichte Steigerung der Unterschriften ist in den letzten Wochen wahrscheinlich, da Einzelpersonen und Organisationen ihre am Ende gesammelt abgeben. Jedoch ist der Erfolg nicht sicher und es kommt bis zum Ende auf jede Unterschrift an. Daher:

  • Installiert die DWE-App auf Euer Handy, wo Ihr über Sammelaktionen, Infoveranstaltungen und Kundgebungen sowie Orte informiert werdet, wo Ihr abstimmen könnt sowie Materialien und Unterschriften bekommt!
  • Werdet aktiv bei einem der vielen lokalen Kiezteams, der Hochschulvernetzung oder in der DWE-Gruppe Eurer Hochschule und tretet der entsprechenden Telegram-Gruppe bei (eine Liste findet Ihr unter www.dwenteignen.de/mitmachen/)!
  • Nehmt teil am zweiwöchigen Plenum der Kampagne! Schickt dazu eine Mail an mitmachen@dwenteignen.de!
  • Sprecht mit FreundInnen, KollegInnen und Familie über DWE, holt Euch Unterschriftenlisten von einem der „Solidarischen Orte“, reicht diese weiter und sammelt selbst! Das zentrale DWE-Büro befindet sich in der Graefestraße 14 in Kreuzberg. Eine Karte, wo Du unterschreiben oder Deine Unterschriftsbögen abgeben kannst, findest Du in der DWE-App.

Volksbegehren und Internationalismus

Die Quote der „ungültigen“ Unterschriften liegt bei ca. 25 %. Hauptgrund ist die fehlende deutsche Staatsbürgerschaft. Dieser Sachverhalt zeigt einerseits deutlich, dass sich das Interesse an einer sozialen Wohnpolitik und dem Volksbegehren über die nationalen Milieus hinaus und entlang den Klassenlinien ausbreitet und damit die Trennung der ArbeiterInnenklasse entlang Sprach- und Kulturbarrieren überwunden werden kann. Und das ist ein Fortschritt im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten.

Andererseits sind migrantische ArbeiterInnen ohne Staatsbürgerschaft trotz ihrer Bereitschaft, die Berliner Wohnpolitik mitzubestimmen, von der politischen Willensbildung ausgeschlossen. Daher ist die Right-to-the-City-Kampagne und die Zusammenarbeit mit migrantischen Milieus und ihren Kämpfen wichtig und auszubauen, um gemeinsam für gleiche Rechte für alle zu kämpfen. Im Gegensatz zu linksliberalen Intellektuellen sind MigrantInnen im Vergleich zu anderen mehr von Armut betroffen und stellen daher viel solidere und langfristige BündnispartnerInnen dar. Der Erste Mai hatte das Potenzial dieser Zusammenarbeit verstärkt. Dieses wurde aber leider bisher nicht genutzt. Ein Teil von DWE hofft nämlich, dem Druck der feindlichen bürgerlichen Medien und der Wohnungsbaulobby ausweichen zu können, indem eine klare Positionierung zu diesen Fragen umgangen wird. In Wirklichkeit wird durch diese Anpassung versäumt, sich an solchen strategischen Milieus zu orientieren.

Man muss migrantische ArbeiterInnen und Jugendliche hier unterstützen und zwar genau dort, wo sie ihre Kämpfe führen, sei es im Betrieb, aber auch auf der Straße und auch, wenn es der Erste Mai ist. Der Erste Mai ist schließlich der internationale Kampftag der gesamten ArbeiterInnenklasse und nicht nur der Tag der deutschen Gewerkschaftsbürokratie. Als breite Kampagne muss DWE alle linken politischen Spektren und alle sozialen Milieus der lohnabhängigen Mittelschichten und ArbeiterInnenklasse, insbesondere aber die am meisten ausgebeuteten Schichten, ansprechen und als aktive MitstreiterInnen gewinnen.

Volksbegehren und Klassenkampf

Bei allen guten Entwicklungen und optimistischen Aussichten ist das Ziel der Vergesellschaftung jedoch nicht sicher. Erstens weil das Volksbegehren letztlich alle Hoffnungen auf einen legalistischen Prozess setzt, der beim Gesetzgebungsverfahren eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus voraussetzt, also von der Unterstützung von Grünen, SPD und Linkspartei abhängt. Zweitens weil das Bündnis keine anderen Wege zur Vergesellschaftung aufzeigt, die im Falle einer Niederlage die Kampagne auffangen und umorientieren könnten. Die extrem einseitige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel im Interesse der Immobilienkonzerne zeigt trotz des Umstandes, dass ein Berliner Vergesellschaftungsgesetz formal rechtssicherer wäre, eine Bedrohung auf und beweist, dass man kein Vertrauen in bürgerliche Staatsorgane hegen darf.

Daher ist eine freie politische Diskussion über zusätzliche und alternative Wege und eine Strategie, vonnöten die mittels demokratischer Fragen Massen mobilisiert und organisiert. Das Volksbegehren ist erfolgreich, viele Menschen zu aktivieren, orientiert sie aber strategisch nicht über den institutionellen Rahmen hinaus. Sie müsste aber vielmehr ihre UnterstützerInnen nicht auf das Maß eines reinen Druckmittels auf die etablierte Politik reduzieren, sondern als entscheidendes Subjekt formieren, indem versucht wird, die Entscheidungsebene weg von Organen des bürgerlichen Staates (wie den Regierungsparteien, dem Abgeordnetenhaus und den Gerichten) auf eine (Klassen-)Ebene und auf das soziale Milieu der ArbeiterInnen und MieterInnen zu verschieben, wo DWE tatsächlich eine größere Hebelwirkung und Verankerung hat. Dieses Milieu muss sich durch Betriebsversammlungen, Gewerkschaften, lokale MieterInnenräte formieren und ihre Kämpfe auf  den Ebenen der Straße, des Mietboykotts und politischer Streiks führen.

Als Motor und demokratisches Vehikel ist das Volksbegehren sehr gut geeignet und die Unterstützung durch die Gewerkschaften zeigt das. Unabhängig davon, wie der Kampf ausgeht, hat die Strategie ihr Potential verdeutlicht, eine demokratische Frage in eine soziale Massenmobilisierung zu transformieren. Wie der weitere Weg aussehen soll und sich das Volksbegehren in eine Gesamtstrategie in der Wohnungsfrage einbettet, muss offen diskutiert werden. Trotz der Schwerpunktlegung auf das aktuelle Sammeln, muss diese Diskussion um Alternativen und mögliche Negativszenarien geführt werden, denn davon hängt der nachhaltige Erfolg der Vergesellschaftung ab.

Denn die erfolgreiche zweite Phase wäre nicht nur ein Sieg für 300.000 MieterInnen. Es gibt das Potenzial, Bündnisse um die Losung der Enteignung, Überführung in Gemeineigentum und demokratische Kontrolle über die Wohnungsfrage hinaus aufzubauen. Die Veranstaltung und anschließende gemeinsame Erklärung zu „Gemeinwirtschaft statt Marktradikalismus“ im September 2020, die Stadtversammlung und der Enteignungsblock im April 2021 sind gute Ansätze für größere breitere Bündnisse. Dies muss jedoch ausgebaut werden. Damit könnten die Linke und die ArbeiterInnenklasse nicht nur nach Jahrzehnten des politischen Rückzugs endlich wieder in die Offensive kommen, sondern auch in Zeiten von Corona, Klimawandel und der kommenden Wirtschaftskrise dringende Sofortmaßnahmen und ein langfristiges Programm auf eine Grundlage stellen, von der die Masse der Menschen profitiert und damit ihr Überleben sichert.

  • Volle Unterstützung für DWE! Sammelt Unterschriften und unterstützt die Kampagne bei der Abstimmung im September! Mobilisierung gegen jede Verwässerung und Hinhaltetaktik durch Senat, bürgerliche Opposition und Immobilienlobby!
  • Für eine AöR unter Kontrolle der MieterInnen und ArbeiterInnen! Mitbestimmung durch MieterInnen, Beschäftigte und Gewerkschaften statt durch reiche BerlinerInnen als Teil der Stadtgesellschaft und den bürgerlichen Staat!
  • Für unabhängige MieterInnenräte zur Kontrolle der Mietpreise, Gewährung von energetischen Sanierungen, Sicherung diskriminierungsfreier Wohnungsvergabe in der AöR!
  • Für echte MieterInnenräte auf Basis jederzeitigen Abwählbarkeit, Rechenschaftspflicht und imperativem Mandat statt Mietparlamentarismus!
  • Wiedereinsetzung der Wohngemeinnützigkeit und deren Anwendung auf AöR, kommunale Wohnungsunternehmen und Wohnungsgenossenschaften!
  • Für ein öffentlich gefördertes, demokratisch kontrolliertes und unbefristet sozialgebundenes Neubauprogramm und Verwaltung dieser Bestände durch die AöR.
  • Für die Vergesellschaftung aller freien privaten Bodenflächen und Vergabe dieser nur an kommunale, genossenschaftliche oder gemeinwirtschaftliche Bauinitiativen!
  • Verbot der Umlegung der Grundsteuer auf die MieterInnen und Besteuerung allen privaten Eigentums zwecks Finanzierung des sozialen Wohnungsneubaus!
  • Entzug des Eigentums bei Mietwucher und Überführung aller beschlagnahmten Wohnungen in die AöR!
  • Für einen bundesweiten Mietstopp und Kontrolle des Mietpreises durch unabhängige Organe von MieterInnen, Mietvereinen und Gewerkschaften!
  • Entschädigungslose Enteignung der Immobilienkonzerne unter Kontrolle der MieterInnen und Beschäftigten!

Perspektive

Bürgerliche Wohnungs- und Bodenreformpolitik richtet sich lediglich gegen „spekulative Auswüchse“, nicht gegen das auch der Wohnungsfrage zugrunde liegende Besitz- und Kapitalverhältnis. Die Stärke des DWE-Volksbegehren besteht hier darin, mit dieser Politik im Ansatz zu brechen und den markt- und preisbestimmenden Immobilienkonzernen und damit dem Markt Wohnungen zu entziehen und sie in Gemeineigentum umzuwandeln. Zusammen mit der demokratischen Kontrolle durch MieterInnenräte will DWE zentrale Ansätze einer proletarischen Wohnungspolitik verwirklichen, bleibt hier aber auf halbem Weg stecken, da die Nachhaltigkeit der Errungenschaft vergesellschafteten und demokratisierten Wohnraums von der Systemfrage abgekoppelt wird. Ob sich eine soziale Insel im Meer des Kapitalismus langfristig halten kann, ist nämlich fraglich.

Die Entwicklung der Wohnungsgenossenschaften und ihre heutige Politik bezüglich Mietendeckel und Vergesellschaftung ist ein Indikator dafür, was passiert, wenn man die Kampagne programmatisch sozialdemokratisch ausrichtet und demokratisches Gemeineigentum oder andere Formen der demokratischen Gemeinwirtschaft langfristig im Kapitalismus einrichten will. Daher muss für eine konsequente soziale Wohnpolitik und Nachhaltigkeit der DWE-Forderungen der unabhängige Klassencharakter weiterentwickelt  und der Anspruch erhoben werden, kommunales und öffentlich-rechtliches Eigentum und Demokratisierung über die eigenen Bestände und über Wohnpolitik hinaus auszudehnen. Denn auch wenn man für Reformen und Teilverbesserungen kämpfen muss, ist jeder Erfolg durch die Existenz des Marktes und des bürgerlichen Staates bedroht. Daher ist die Lösung der Wohnungsfrage untrennbar  mit der Ablösung der Marktwirtschaft verbunden.




Bundesverfassungsgericht kassiert Berliner Mietendeckel, aber der Kampf geht weiter

Karl-Heinz Hermann/Martin Suchanek, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Das Kapital weiß Siege zu feiern. Mit dem Urteil von Karlsruhe verbesserte sich nicht nur die Laue der ImmobilienbesitzerInnen, sondern auch der Aktienkurs von Deutsche Wohnen und Co. Mit einem satten Plus von 2,72 Prozent war der Konzern nicht nur Gewinner vor dem Verfassungsgericht, sondern auch an der Frankfurter Börse.

Kapital in Feierlaune

Der Präsident des Bundesverbands freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen jubelt ob der nunmehr erreichten „Rechtssicherheit“. Nun können Mieten wieder „marktgerecht“ erhöht, erhoben, nachgefordert werden, wie es sich in der freien Marktwirtschaft eben gehört. Die SiegerInnen feiern nicht nur das Verfassungsgericht, das endlich für Recht und Ordnung gesorgt habe, sondern geben den Besiegten vom Berliner Senat und den 1,5 Millionen MieterInnen, denen massive Nachzahlungen drohen, auch noch eine Gratis-Lehrstunde in Sachen Angebot und Nachfrage. Wer gegen dieses heilige, für kapitalistische Freiheit so grundlegende Gesetz verstoße, bräuchte sich über eine Niederlage vor Gericht nicht zu wundern. Diese wäre schließlich nur eine gerechte Strafe für den Versuch, eine zum Naturgesetz verklärte angebliche Spielregel des Marktes aushebeln zu wollen. So betrachtet, erscheint die gesamte Wohnungsnot nicht als Resultat des Wirkens der Gesetze des Kapitalismus, sondern eines Verstoßes gegen diese.

Großzügig stellen einige SiegerInnen von Karlsruhe sogar in Aussicht, auf die Nachzahlung der gedeckelten Miete ganz oder teilweise verzichten zu wollen. So erklärt die Vonovia, mit 42.000 Wohnungen immerhin zweigrößter privater Immobilienkonzern in Berlin, auf eine Nachzahlung der gedeckelten Miete großzügig verzichten zu wollen, dass den MieterInnen „keine finanziellen Nachteile aufgrund getroffener politischer Entscheidungen“ erwachsen sollen. Die „Kosten“ für die soziale Beruhigungspille und Werbemaßnahme in eigener Sache werden 10 Millionen Euro veranschlagt und sind wohl schon bei zukünftigen Mietpreiserhöhungen einkalkuliert. Weniger spendabel gibt sich der Berliner Marktführer Deutsche Wohnen, dem über 100.000 Wohnungen in der Stadt gehören. Auf eine Nachforderung könne man leider nicht verzichten – schließlich würde das „unseren Verpflichtungen gegenüber dem Unternehmen, seinen Mitarbeitern und Eigentümern nicht gerecht werden“.

Altehrwürdiges Gericht

Folgt man den Klagenden in Karlsruhe, so hätte also nicht nur ein Kapitalinteresse, sondern auch gleich die Gerechtigkeit an sich gesiegt.

Zurück geht der Entscheid des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auf eine Klage von 284 Abgeordneten der Bundestagsfraktionen von Union und FDP. Sie hatten vor geraumer Zeit eine Normenkontrollklage gegen das „Gesetz zur Mietbegrenzung im Wohnungswesen“ des Landes Berlin angestrengt. Die Karlsruher RichterInnen durften auch die formale Frage klären, ob Bundesländer überhaupt Mieten regulieren dürfen oder dies allein dem Bund vorbehalten ist – ein Punkt, der auf den Bundesbauminister Horst Seehofer zurückgeht.

Bemerkenswert war schon, dass über das wichtige sozialpolitische Projekt vom Gericht alles andere als üblich ohne Anhörung entschieden wurde. VerfahrensbeobachterInnen fragen sich außerdem, ob das Prozedere im Einklang mit dem Ersten Senat des Gerichts erfolgte, der als Erstes mit dem Thema befasst war, bevor der als konservativer geltende Zweite Senat übernahm. Auch dies verdeutlicht nur, dass es sich bei dem Verfahren auch um eine wichtige Klassenfrage handelte.

Das Urteil verkörpert eine krachende Niederlage für den Berliner Senat, aber v. a. für die MieterInnen von rund 1,5 Millionen Wohnungen in der Bundeshauptstadt, die unter das Gesetz fallen. Demnach ist der Mietendeckel grundsätzlich illegal, eine irgendwie geartete Mietpreisbremse alleinige Bundessache. Juristische Hoffnungen der AnhängerInnen des Gesetzes richteten sich zum einen auf einen Schiedsspruch des Verwaltungsgerichts Berlin, das den Eilantrag eines Vermieters zurückgewiesen hatte, dem das Bezirksamt Pankow eine Mieterhöhung untersagt hatte. Der Mietstopp liege einerseits durchaus in der Gesetzgebungskompetenz des Bundeslandes, andererseits sei eine politisch festgesetzte Preisgrenze eine Ausnahmeregelung, die zeitweilig die Vorschriften des bürgerlichen Rechts überlagere. Wegen ihrer zeitlichen Befristung sei sie aber mit dem Eigentumsgrundrecht vereinbar und den VermieterInnen zuzumuten.

Zum anderen hatte der zuständige Berichterstatter des Zweiten Senats, Peter M. Huber, vor seiner Wahl zum Verfassungsrichter ein Jahr lang CDU-Innenminister in Thüringen, beim Deutschen Juristentag 2004 sich in der damaligen Föderalismusdebatte dafür ausgesprochen, den Ländern die Zuständigkeit fürs Wohnungswesen zu gewähren. Dies sei aufgrund regionaler Unterschiede in diesem Sektor geboten.

Zum Dritten hatte der Erste Senat im März 2020 einen Antrag auf vorläufige Außerkraftsetzung der Bußgeldvorschriften abgelehnt und zumindest keine grundsätzlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Landesgesetzes geäußert.

Diese auf juristische Spitzfindigkeiten gegründeten Hoffnungen sind nun so gründlich zerstoben wie das Laub im Herbststurm: April, April – das BVerfG macht, was es will!

Der Mietendeckel

Das Vertrauen in Justiz und Staat bei der Verteidigung von Reformen erwies sich einmal mehr als naiv und kurzsichtig. Einen Plan B zur Durchsetzung des Gesetzes haben der Berliner Senat und seine Parteien, ob SPD, Grüne oder Linkspartei allesamt nicht vorzuweisen, es sei denn, man hält die Forderung, dass nun „der Bund“ also die Bundesregierung oder eine Parlamentsmehrheit, die gerade die Klage in Karlsruhe unterstützt hatte, für einen Plan.

Wir haben schon im Artikel „Berliner Mietendeckel: Mietenbremse oder Trostpflaster?“ dargelegt, worin die Grenzen und Schwächen des gesamten Reformvorhabens bestanden.

Die Mieten in ca. 1,5 Millionen Wohnungen sind seit Ende Februar 2020 für 5 Jahre auf dem Stand vom 18. Juni 2019 eingefroren, dem Tag der Verabschiedung des Gesetzes. Bei Mietverträgen, die nach diesem Stichtag abgeschlossen wurden, darf höchstens die Vormiete derselben Wohnungen bzw. die niedrigere Mietobergrenze verlangt werden oder im Falle, dass die Vormiete darunter lag, die Obergrenze. Ab 2022 dürfen die VermieterInnen jährlich 1,3 % mehr kassieren. Das nennt sich „atmender“ Mietendeckel.

Ausgenommen vom Gesetz sind Neubauwohnungen, die nach dem Jahr 2014 gebaut wurden und Sozialwohnungen, die besonders bezuschusst werden. Seit vergangenem Herbst durften in einer 2. Stufe sogar überhöhte Mieten abgesenkt werden. Neben den o. a. Ausnahmen stellt das individuelle Antragsverfahren ein weiteres Loch im Deckel dar, denn natürlich erfolgt der Preisstopp nicht automatisch und von Amts wegen – das wäre ja für diesen BeamtInnenstaat zu einfach.

Bei allen Mängeln hat der Deckel natürlich eine, wenn auch viel zu geringe finanzielle Entlastung von immerhin 1,5 Millionen Menschen gebracht.

MieterInnen brauchen eine Perspektive – jetzt!

Diese MieterInnen müssen nun die Folgen des Schandurteils von Karlsruhe ausbaden. Sie müssen nicht nur wieder höhere Mieten zahlen, sondern evtl. auch noch Rückzahlungen in Höhe der Differenz leisten müssen, die den VermieterInnen durch das Berliner Gesetz entstanden sind. Die durchschnittliche Höhe dieser Nachzahlungen wird auf 1000,- Euro pro MieterIn geschätzt. Im schlimmsten Fall verlieren sie die eigene Wohnung aufgrund dieser Forderungen oder überhöhten Preisen. Schätzungen zufolge droht in den kommenden Monaten rund 40.000 Personen die Kündigung.

Der Berliner Senat verspricht zwar Hilfe für alle, die von Nachzahlungen betroffen sein werden. Doch selbst wenn diese unbürokratisch und in vollem Ausmaß erfolgen sollte, stellt sie bestenfalls ein zeitlich befristetes soziales Trostpflaster dar. Mieterhöhung und Preissteigerungen müssen die MieterInnen ab jetzt zu 100 % selbst zahlen.

Angesichts der massiven Wut, die Hunderttausende in Berlin verspüren, angesichts des sozialen Skandals werden wohl Zehntausende mehr die Forderung nach Enteignen von Deutsche Wohnen und Co. unterstützen. Ein Ja zum Volksentscheid im September wäre eine richtige Quittung für die Wohnungsbaulobby, für CDU, FDP und AfD, aber auch alle Volksbegehrens-BlockerInnen im Senat, allen voran die SPD-Rechte.

Die 1,5 Millionen MieterInnen können und sollen aber nicht bis zu den Bundestagswahlen warten. Sie können sich auch nicht auf die Rechtssicherheit einer etwaigen Mehrheit bei einer Volksabstimmung verlassen. Auch ein Volksentscheid in Berlin kann in Karlsruhe kassiert werden, auch wenn es tausende Rechtsgutachten gibt, die ihn für „verfassungssicher“ halten. Es braucht also, nebenbei bemerkt, auch DWE  einen Plan B, will es nicht dasselbe Schicksal wie der Senat erleiden.

Das Urteil von Karlsruhe zeigt nämlich eines. Letztlich sind Fragen wie die Durchsetzung des Mietendeckels oder der Enteignung keine bloß juristischen. Im Rechtsstreit treten soziale und Klassenfragen vielmehr selbst schon in einer für die bürgerliche Gesellschaft regulierten, im Rahmen der Marktwirtschaft verbleibenden Form auf.

Diese können, wie jede errungene soziale Reform verdeutlicht, zeitweilig durchaus zugunsten der Lohnabhängigen, der Masse der MieterInnen verschoben werden. Aber die juristische Auseinandersetzung ist dabei letztlich nur Beiwerk.

Entscheidend ist es, den Konflikt mit den Mitteln des Klassenkampfes auszutragen. Die riesige Demonstration nur wenige Stunden nach dem Urteil von Karlruhe, als sich in Berlin gut 25.000 Menschen versammelten, verdeutlicht, dass das Potential und die Wut für einen solchen Kampf vorhanden sind. Doch um daraus eine Bewegung zu machen, braucht es jetzt klare Schritte im Kampf und zur Organisierung.

Verteidigt den Mietendeckel!

Karlsruhe hat den Mietendeckel zwar kassiert, er sollte aber nicht kampflos aufgegeben werden. Wir schlagen vielmehr vor:

  • Alle MieterInneninitiativen wie Mietenwahnsinn stoppen, Deutsche Wohnen und Co. enteignen, die Berliner MieterInnenverbände, Bündnisse wie Hände Weg vom Wedding, aber auch die Gewerkschaften, Linkspartei und SPD-Verbände fordern wir auf, sich zu einem Aktionsbündnis zur Verteidigung des Mietendeckels und dessen Durchsetzung zusammenzuschließen.
  • Ein solches Aktionsbündnis darf nicht auf Vereinbarungen von SpitzenvertreterInnen der verschiedenen Parteien und Organisationen beschränkt sein, es muss sich vielmehr auf deren Basis, die Masse der MieterInnen in Betrieben, an Unis, Schulen und vor allem auch in den Wohnhäusern stützen. Erst recht  darf die Bildung eines solchen Bündnisses davon abhängig gemacht werden, ob auch die lahmsten Senatsmitglieder oder VertreterInnen der Senatparteien mitmachen oder ob ihnen die Aktionsformen eines solchen Bündnisse harm- und wirkungslos genug erscheinen.
  • Dazu müssen Massenversammlungen in den Stadtteilen und Betrieben organisiert, örtliche oder betriebliche Aktionsbündnissen und Strukturen gebildet, die auf Landesebene gebündelt und koordiniert werden. Daher sollte auch rasch eine Aktionskonferenz einberufen werden, um diese Vorschläge zu diskutieren, lokale Initiativen sowie stadtweite Bündnisse zu koordinieren und zusammenzufassen.
  • Ein Aktionsbündnis sollte um die einfache Forderung gegründet werden: Verteidigt den Mietendeckel! Keinen Cent mehr für die WohnungsbesitzerInnen!
  • Die Nachzahlung und Erhöhungen der Mieten sollten verweigert werden durch einen kollektiven und organisierten Boykott. Von den Senatsparteien ist einzufordern, dass sie eine solche Bewegung für ihren Mietendeckel verteidigen und gegen sie nicht repressiv vorgehen.
  • Auch wenn von SPD, Linkspartei, Grünen gefordert werden muss, dass sie keine Zwangsräumungen durchführen und gegen eine solche Bewegung nicht vorgehen, so dürfen wir uns nicht darauf verlassen. Die Bewegung muss Strukturen und Mobilisierungen gegen Zwangsräumungen, Pfändungen von MieterInnen usw. aufbauen.
  • Dazu muss sie sich auf eigene Strukturen und Aktionen wie Massendemonstrationen stützen. Von den Gewerkschaften im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft muss sie die Organisierung politischer Streiks zur Verteidigung des Mietendeckels und im Kampf gegen jede Repression einfordern.

Eine solche Perspektive ist ohne eine Radikalisierung der Bewegung und den Aufbau von Kampforganen ebendieser nicht zu haben. Wir sind uns im Klaren, dass nicht nur die bürgerlichen Grünen, die rechtssozialdemokratische SPD oder die Gewerkschaftsapparate alles tun werden, um die Entstehung einer solchen Bewegung zu blockieren oder ihr die Spitze zu nehmen. Das trifft letztlich auch auf die Führungen der Linkspartei oder vieler MieterInnenverbände zu.

Aber um eine Massenbewegung aufzubauen, ist es unerlässlich, diese Organisationen und ihre Mitglieder, WählerInnen und AnhängerInnen in Bewegung zu bringen – und das schließt auch ein, Forderungen an sie und ihre Führungen zu stellen, um sie dem Praxistest auch in den Augen ihrer UnterstützerInnen zu unterziehen. Nur im Rahmen realer Kämpfe und deren Radikalisierung wird es möglich sein, diese Bewegung selbst so weit zu treiben, dass sie in der Praxis über die Hoffnung auf Gerichte und bürgerliches Recht hinausgeht. So kann die Verteidigung des Mietendeckels zu einem Schritt werden im Kampf um die entschädigungslose Enteignung der Wohnbaugesellschaften und Immobilienhaie unter Kontrolle der MieterInnen und der ArbeiterInnenklasse!




Gesetze zur Mietenbegrenzung: Von löchrigen Deckeln und zaghaften Bremsen

Lucien Jaros/Jürgen Roth, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Egal ob Mietpreisbremse, Milieuschutz, Wohnraumversorgungsgesetz oder Mietendeckel: Die Mieten in der Hauptstadt sind in den letzten Jahren trotzdem explodiert. Dass die Idee eines Mietendeckels konkrete Formen annahm, war sicher erstmal ein Erfolg, weniger einer sozialen Politik der Regierungsparteien (SPD, Linke, Grüne), sondern des Druckes der MieterInnenbewegung und Projekte wie des Volksbegehrens zur Vergesellschaftung der größten Wohnkonzerne in Berlin (Deutsche Wohnen & Co. Enteignen) auf diese Parteien.

Bevor der jüngst vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kassierte Landesmietendeckel überhaupt in Kraft trat, hatte der Bund im April 2015 durch das landläufig als Mietpreisbremse bezeichnete Mietrechtsnovellierungsgesetz 3 neue Paragraphen (556d, e und f) in das BGB eingefügt.

Mietpreisbremse, Kappungsgrenze, Wohnraumoffensive

Demnach konnten die Landesregierungen bis 2020 „Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten“ für die Dauer von höchstens 5 Jahren festlegen. Dort darf bei Abschluss eines neuen Vertrags der Mietpreis die ortsübliche Vergleichsmiete um max. 10 % übersteigen, falls nicht mit dem/r VormieterIn ein Jahr vor Ende des Mietvertrags eine höhere Miete vereinbart war, die dann die Obergrenze markiert. Die Mietpreisbremse gilt in ca. 300 Gemeinden bzw. Teilen davon, jedoch nicht in allen Bundesländern. MieterInnen müssen gegen eine überhöhte Miete zur Not klagen und eine Senkung beantragen. Oft fehlen ihnen aber schon die Informationen über die Höhe der Vor- oder ortsüblichen Vergleichsmiete. Mehrere Studien belegen, dass die Bremswirkung schwach ist. In Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten wurde bei 60 bis über 90 % der Neuvermietungen der Richtsatz überschritten. Neubauten (ab Oktober 2014) und Modernisierungen blieben zudem ausgenommen.

Am 1.1.2019 trat ein neues Mietrechtsanpassungsgesetz in Kraft mit geringfügigen Verbesserungen: Die Mietpreisbremse wurde bis 2025 verlängert; VermieterInnen müssen Auskunft geben, wenn die Vergleichsmiete um mehr als 10 % überschritten wird; die Modernisierungsumlage wurde auf 8 % (statt 11 %) pro Jahr gesenkt; nach Modernisierung darf die Miete binnen 6 Jahren um max. 3 Euro/m2 erhöht werden; MieterInnen können auf Antrag zu viel gezahlte Miete zurückfordern; in die ortsübliche Vergleichsmiete fließen die letzten 6 (statt 4) Jahre ein.

Die Bundesländer haben mit der Kappungsgrenze ein weiteres schwaches Mittel in der Hand. Sie können Gebiete benennen, in denen Mieterhöhungen binnen 3 Jahren nicht mehr als 15 % betragen dürfen (das BGB erlaubt 20 %). Auch dieses Instrument wird nur in wenigen Bundesländern angewandt und die Gemeinden dürfen es nicht selbstständig beschließen. Es soll zudem in NRW und Schleswig-Holstein wieder abgeschafft werden. Auch hier müssen MieterInnen Anträge stellen. Darüber hinaus gilt die Kappungsgrenze wie die Mietpreisbremse auch nur für Bestandsmieten und diese müssen schon deutlich unter der Vergleichsmiete liegen, weil diese eh nicht überschritten werden darf.

2018 wiederum startete die Bundesregierung eine Wohnraumoffensive mit den Zielen: Fertigstellung von 1,5 Millionen Wohnungen im Lauf dieser Legislaturperiode; Maßnahmen zur altersgerechten und energetischen Sanierung; neue Sozialwohnungen; Stärkung der MieterInnenrechte. Die Gewerkschaft BAU rechnet mit max. 1,2 Millionen Neubauwohnungen bis Ende 2021. Die Zahlen würden außerdem durch einen statistischen Trick aufgehübscht, weil Baugenehmigungen und unfertige Bauten mitzählten. Mit den in der Legislaturperiode ausgegebenen 5 Milliarden Euro für Baukindergeld, von dem nur EigenheimbesitzerInnen profitieren, könnten eigentlich 115.000 Sozialwohnungen errichtet werden. Sozialverband VdK und BAU beklagen außerdem völlig zu Recht, dass Bauen allein nicht reicht. Die Mieten gingen durch die Decke, während alle 12 Minuten eine Sozialwohnung durch Fristablauf aus der staatlich begrenzten Mietpreisbindung herausfiele (60.000 pro Jahr). Zwischen 2002 und 2019 seien 1,2 Millionen Sozialwohnungen verloren gegangen, also die Hälfte des Bestandes seit Anfang des Jahrtausends.

In Memoriam: Berliner Mietendeckel

Die Mieten in ca. 1,5 Millionen Wohnungen waren während der Gültigkeit des Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin – vom Volksmund Mietendeckel getauft – seit Ende Februar 2020 für 5 Jahre auf dem Stand vom 18. Juni 2019 eingefroren, dem Tag der Verabschiedung des Gesetzes. Bei Mietverträgen, die nach diesem Stichtag abgeschlossen wurden, durfte höchstens die Vormiete derselben Wohnungen bzw. die niedrigere Mietobergrenze verlangt werden oder im Falle, dass die Vormiete darunter lag, die Obergrenze. Ab 2022 hätten die VermieterInnen jährlich 1,3 % mehr kassieren dürfen. Das nannte sich dann „atmender“ Mietendeckel.

Kern des Gesetzes war entsprechend eine Tabelle mit Obergrenzen, die sich von Baujahr und Ausstattungsmerkmalen ableiteten und deren Basis der Mietspiegel von 2013 war, als die Mieten schon deutlich anzogen. Die Obergrenzen umfassten dabei lediglich Neuvermietungen in vor 2014 bezugsfertigen Häusern und ließen auch immer noch gewisse Erhöhungen zu. Ein genereller Mietenstopp war der Deckel also nie.

Ausgenommen vom Gesetz waren Neubauwohnungen, die nach dem Jahr 2014 gebaut wurden und Sozialwohnungen, die besonders bezuschusst werden. Seit vergangenem Herbst durften in einer 2. Stufe sogar überhöhte Mieten abgesenkt werden. Ein weiteres klaffendes Loch im Deckel stellte das individuelle Antragsverfahren bei zu hoher Miete dar, denn natürlich erfolgte der Preisstopp nicht automatisch und von Amts wegen.

Das im Gesetz enthaltene Verbot von Möblierungszuschlägen wurde von manchen VermieterInnen umgangen, indem sie die Einrichtung an das Start-up mbly über eine monatliche Ratenzahlung verkauften, das wiederum einen Vertrag mit dem/r MieterIn über das Mobiliar abschloss. Die Berliner Stadtentwicklungsverwaltung beschloss eine neue Ausführungsverordnung im Februar 2021, die solche Praktiken unterbinden sollte.

Dass die Begrenzung der Modernisierungszulage nichts brachte, zeigte die Praxis Vonovias, als diese z.B. den Ersatz 30 bis 50 Jahre alter Fenster, die ohnehin ausgetauscht werden müssten, also eine nicht umlagefähige Instandhaltung, als Modernisierung mit entsprechendem Aufschlag berechneten.

Was dem Deckel völlig fehlte war, dass Obdachlosigkeit durch Verlust des Wohnraums in Folge von Mietpreissteigerung ausgeschlossen wird. Eine Pflicht, einen Teil der Wohnungen für besonders Bedürftige (Obdachlose, Geflüchtete, sexuell Unterdrückte und Jugendliche) bereitzustellen und leicht zugänglich zu machen, fehlte ebenso.

Vergangenheit

Bei allen Mängeln stellte der Deckel natürlich eine deutliche Verbesserung ggü. den bisherigen und immer noch in Kraft stehenden Bundesregelungen dar und hat eine, wenn auch viel zu geringe finanzielle Entlassung von immerhin 1,5 Millionen Menschen gebracht.

Doch selbst dies ist nun Vergangenheit. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Nichtigkeit des Deckels ging dieser in die Geschichtsbücher über – Deckel auf den Deckel, Klappe zu, die Länder hätten im Mietrecht nichts zu entscheiden.

Und was lernen wir daraus? Dass es fatal ist, den Kampf der MieterInnenbewegung auf rein rechtlicher Ebene zu führen, um Gesetze und Parlamentsbeschlüsse, so wichtig diese in Teilen auch sein mögen. Aber ohne die direkte demokratische Kontrolle über den Wohnraum durch MieterInnen und die ArbeiterInnenklasse selbst, z.B. durch Wohnhauskomitees oder Stadtteilräte wird auch der dichteste Deckel durch Staat und Immobilienkonzerne mit Leichtigkeit vom Topf gehoben…

  • Mietenstopp mit absoluten Obergrenzen statt einen löchrigen Mietensieb!
  • Obergrenzen müssen für alle Mietwohnungsarten gelten (auch für öffentlich geförderte, Wohnheime, Sozialwohnungen, WBS-Mieten)!
  • Mietsenkung auf 30 % des Haushaltseinkommens, wenn diese Schwelle trotz Obergrenze überschritten wird!
  • Kontrolle der Mietpreise und diskriminierungfreie Mietvergabe durch Kontrolle durch unabhängige demokratische Organe der MieterInnen und Gewerkschaften!
  • Verwaltung vergesellschafteten Wohnraums und einer Anstalt des öffentlichen Rechts durch MieterInnenräte und VertreterInnen der Beschäftigten!
  • Anpassung der Löhne an die Mietpreiserhöhungen und steigende Lebenshaltungskosten!



Gegen das Berliner Mietenmonopoly!

Jürgen Roth/Christine Schneider, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Nachdem die erste Stufe in Richtung des geplanten Volksentscheids des Bündnisses (bzw. der Initiative) Deutsche Wohnen & Co. enteignen (DWE)  schon im vorletzten Jahr weit mehr als die erforderlichen Unterschriften erreicht hatte mit dem Ziel, der Berliner Senat möge ein Gesetz zur Enteignung der Deutsche Wohnen und anderer großer Immobilienkonzerne mit mind. 3.000 Mietwohnungen beschließen, prüfte der Berliner Senat über Gebühr lang dessen Rechtmäßigkeit. Seit Ende Februar 2021 sammelt das Bündnis die dafür in der zweiten Stufe (Volksbegehren) nötigen 170.000 gültigen Unterschriften.

Erwähnenswert ist, dass DWE auch separate Unterschriftenlisten führt, wo sich UnterstützerInnen eintragen können, die das Ziel des Volksbegehrens teilen, obwohl sie mangels Wohnsitzes in Berlin oder deutschen Passes über keine gültige Stimme verfügen. Völlig berechtigt ist das dahinter stehende Bestreben, die Meinung dieser zahlenmäßig nicht unbedeutenden Gemeinde zu dokumentieren, auch ihr eine Öffentlichkeit zu verleihen.

Wir unterstützen die Unterschriftenkampagne nach besten Kräften und wünschen ihr viel Erfolg. Um nichtsdestotrotz sowohl unsere solidarisch-kritische Haltung zum Kurs des DWE wie auch den Unterschied zum jetzigen Volksbegehren zu verstehen, müssen wir zunächst einen Blick zurück auf die Erfahrungen mit einem früheren Anlauf zum Mietenvolksentscheid werfen.

Volksentscheid

Im Jahr 2015 scheiterte die „Initiative für soziales Wohnen“ mit einem Berliner Mietenvolksentscheid über einen von ihr ausgearbeiteten Entwurf eines Wohnraumversorgungsgesetzes. Dieses hätte zeitgleich mit den Landtagswahlen im September 2016 zur Abstimmung stehen sollen, wurde jedoch juristisch gekippt. Der neue rot-rot-grüne Senat sah sich nun jedoch gezwungen, ein paar Brosamen aus dem gescheiterten Gesetzesentwurf aufzunehmen.

Der Wohnraumversorgungsgesetzentwurf sah vor: eine Umwandlung der Landeswohnungsunternehmen von bestehenden privaten Rechtsformen (AG, GmbH) in Anstalten öffentlichen Rechts (AöR); Senkung der Mieten in den öffentlich geförderten Wohnungsbeständen mittels Richtsätzen; Förderung von Wohnungsneubau, Wohnungsmodernisierung und Wohnungsankauf durch einen staatlichen Fonds zur Zweckbindung und Kontinuität im sozialen Wohnungsbau (Finanzierung der landeseigenen Gesellschaften, Mietkappungen in geförderten Wohnungen).

An der realen Verschärfung und Verschlechterung der Lage in Berlin haben diese halbherzigen Initiativen des Senats jedoch nichts zu verändern vermocht. Im Gegenteil: Die Mieten steigen in der Bundeshauptstadt im Rekordtempo. Die „sozialen Maßnahmen“ der Landesregierung bleiben demgegenüber Makulatur.

Weder die Maßnahmen zur Mietentlastung in bestehenden Sozialwohnungen noch die Einrichtung eines Wohnraumförderfonds eignen sich, das fortlaufende Abschmelzen des Sozialwohnungsbestands aufzufangen. Pro Jahr sollen 5.000 gebaut werden, davon 3.000 von 6.000 Neubauwohnungen bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Jährlich entfallen aber 8.000 aus der Sozialbindung. Die Erhöhung der Mietzahlungsfähigkeit durch Subjektförderung von SozialmieterInnen sichert zugleich unverändert die Renditen der Immobilienwirtschaft, anstatt sie zu beschränken.

Deutsche Wohnen & Co. enteignen!

Das Berliner mietpolitische Bündnis hat sich die Enteignung  der „Deutsche Wohnen & Co.“ (im Folgenden nur noch DW genannt) zum Ziel gesetzt und fordert dazu einen Volksentscheid. Das Bündnis setzt sich bisher aus Einzelpersonen, betroffenen MieterInnen sowie Mitgliedern linker Gruppierungen zusammen. Eine Erweiterung des Bündnisses wird angestrebt.

Es nimmt im Gegensatz zu 2015 die größten Immobilienkonzerne aufs Korn statt der landeseigenen Wohnungsgesellschaften – und damit die größten MietpreistreiberInnen. Ein weiterer Fortschritt besteht darin, dass die Losung der Enteignung wieder populär gemacht werden konnte. Außerdem bildet DWE auch so etwas wie einen Kristallisationspunkt für die bislang nach Kiezen zersplitterte Szene von MieterInneninitiativen. Schließlich muss man ihm zugutehalten, dass es auch eine aktive Rolle in der bundesweiten Vernetzung dieser Initiativen spielt.

Im Unterschied zu 2015 sollte kein eigener Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt werden, sondern der Senat wird aufgefordert, die bundes- wie landesverfassungsrechtlichen Mittel dazu auszuschöpfen. Laut Grundgesetz und Landesverfassung ist eine entschädigungslose Enteignung aber ausgeschlossen. Diese soll jedoch möglichst gering ausfallen. Das Bündnis sah sich aber gezwungen, in diesen sauren Apfel zu beißen, um die Möglichkeiten eines Volksentscheides überhaupt zur Mobilisierung nutzen zu können.

Warum die DW?

Der Konzern ist der größte private Vermieter mit rund 110.000 Wohnungen in Berlin und der zweitgrößte in der BRD. Die DW erzielte im Jahr 2017 einen Gewinn von 1,7 Milliarden Euro. Zu den größten InvestorInnen zählen das BlackRock-Assetmanagement und der staatliche norwegische Staatspensionsfonds.

Die Summe allein verrät schon, dass dieser große Gewinn und der Druck der AktionärInnen auf dem Rücken der MieterInnen erzielt und ausgetragen werden. Eine der besten Methoden zur Profitmaximierung heißt „energetische Modernisierung“ nach § 559 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Dieser Paragraf besagte, dass 11 % der Modernisierungskosten jährlich auf die Miete draufgeschlagen werden können. Nach 9 Jahren wäre die Modernisierung vom/von der MieterIn abbezahlt, aber die höhere Miete bleibt und das Unternehmen macht mit der Modernisierung zusätzlichen Gewinn. Ab 2019 wurde mit der Bundesmietpreisbremse die Umlage auf 8 % gesenkt und bei energetisch notwendigen Sanierungen in Berlin zur Zeit der Gültigkeit des Mietendeckels der Aufschlag auf 1–1,4 Euro/m2 gekappt. Damit geraten die VermieterInnen lediglich später in die Zusatzgewinnzone.

Ziel des Ganzen soll angeblich sein, dass MieterInnen die Mieterhöhung durch geringere Energiekosten wieder einsparen – was sich in der Praxis nicht beweisen lässt. In vielen Fällen erweist sich die Sanierung gar als schädlich für die Bausubstanz, da sie durch die außen angebrachten Dämmplatten nicht mehr richtig atmen (Schimmelbildung) und sich im Fall der Benutzung von Styropor als Material sogar die Brandgefahr erhöhen kann. Der ganze Spaß wird von der Bundesregierung durch die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) noch gefördert.

In der Praxis der DW sieht das so aus, dass oft jahrelang notwendige Reparaturen und Sanierungen nicht durchgeführt werden, für die eigentlich der/die VermieterIn aufkommen müsste. Beschwerden von MieterInnen werden ignoriert, auf lange Warteschlangen im Callcenter abgewälzt, oder es wird gar die Schuld an den Reparaturen auf die MieterInnen geschoben. Die notwendigen Reparaturen werden dann im Zuge der „energetischen Modernisierung“ mitgemacht und zu 100 % auf die MieterInnen abgewälzt. Eine weitere Methode der Profitmaximierung besteht darin, den Berliner Mietspiegel juristisch anzugreifen und somit die eigene Vorstellung von zulässigen Mietgrenzen per Gericht durchzusetzen. Ähnliche Machenschaften finden auch bei den nächst größten Konzernen am Berliner Wohnungsmarkt, Vonovia und Akelius, statt.

Das Bündnis hat sich zum Ziel gesetzt, einen Volksentscheid zur Enteignung der DW durchzuführen und diese in kommunales Eigentum in Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts überzuleiten, die ohne Gewinnabsichten und mit besonderem Mieterschutz betrieben werden soll. Diese Enteignung soll über die §§ 14 und 15 des Grundgesetzes und die §§ 23 und 24 der Berliner Landesverfassung erfolgen. Diese beinhalten eine Entschädigungszahlung nach Verfahrenswert. Die Idee des Bündnisses ist es nun, die Entschädigung über den Sachwert laufen zu lassen. Der Beschluss des Volksentscheides soll kein Gesetzesentwurf sein, sondern eine Handlungsanweisung mit Verpflichtungsklausel für den Senat. Neben der Enteignung soll sie Berlin verpflichten, dass es keine privaten WohnungseigentümerInnen mit mehr als 3.000 Wohnungen mehr geben darf.

Im Laufe der Kampagne ließ sich DWE jedoch dazu hinreißen, einen konkreten Gesetzentwurf auszuarbeiten. Das kann als Gradmesser für ein im Erfolgsfall zustande kommendes Landesgesetz durchaus richtig sein. Doch müsste dann das Bündnis der Öffentlichkeit erklären, dass es sich um einen solchen handelt, einen Prüfstein, ein Kontrollinstrument und nicht um eine juristische Hilfestellung für den (zukünftigen) Senat. DWE bleibt hier jedoch algebraisch. Dies passt zu ihrer grundlegend blauäugigen Herangehensweise an die Auswirkung eines Volksentscheids, selbst im Erfolgsfall. Dieser verpflichtet Abgeordnete und Parlament nämlich zu gar nichts. So wurde vor ca. 15 Jahren das Hamburger Hafenkrankenhaus geschlossen, obwohl sich über 75 % im Entscheid dagegen ausgesprochen hatten. Dieser lammfromme Legalismus setzte sich fort in der inhaltlichen Ablehnung unseres Antrags von Anfang 2020, die Entschädigungssumme auf den symbolischen Betrag von 1 Euro zu beziffern. Das war schon ein Zugeständnis, da laut Grundgesetz und Landesverfassung die Forderung nach entschädigungsloser Enteignung, die wir eigentlich vertreten, formalrechtlich ungültig ist. Die überwältigende Mehrheit lehnte dies als zu niedrig ab. In der Unterschriftsliste hält DWE eine Entschädigungssumme zwischen 7,3 und 13,7 Milliarden Euro für 200.000 Wohnungen für angemessen. 240.000 Wohnungen sollten aber von der Enteignung betroffen sein. Der Senat redet von deutlich höheren ca. 30 Milliarden Euro Entschädigung. Aber die vom Bündnis vorgeschlagene Zahl ist kein Pappenstiel: Pro Wohnung (berechnet auf 240.000) beliefe sie sich auf 31.000–57.000 Euro, pro EinwohnerIn Berlins auf 2.100–3.900 Euro.

Ein Pappenstiel stellte dagegen die Verschleuderung des Bestands öffentlicher Wohnungen in der Hauptstadt zwischen 1989 und 2010 dar: Seit dem Mauerfall wurden mehr als 310.000 Wohnungen durch den Verkauf von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften privatisiert, mehr als die Hälfte der ehemals 585.000 kommunalen Wohnungen, davon 150.000 ab 2002 unter dem rot-roten Senat (SPD/DIE LINKE). So wurde 2004 die GSW mit einem Bestand von 65.000 Wohnungen an ein internationales Konsortium zum Preis von 405 Millionen Euro verkauft, also für 6.230,77 Euro pro Wohnung!!! Wer enteignet(e) hier eigentlich wen?

Volksentscheid:  Realistisch? Illusorisch?

Wie sind die Erfolgsaussichten eines solchen Volksentscheids? Schwer zu sagen. Eine Erfolgsgarantie gibt es natürlich nicht. Die GegnerInnen sind ökonomisch mächtig und politisch einflussreich. Und es wird mit allen Mitteln gearbeitet werden: Einschüchterungen, Verleumdungen, Lächerlich–Machen,  Spaltungsversuche, Lockangebote, juristische Tricksereien usw. werden an der Tagesordnung sein, und die bürgerlichen Medien werden sicherlich „auf Linie“ gebracht  werden.

Schließlich warnen wir wie bei jedem Volksentscheid vor Illusionen in den bürgerlichen Staat. Ergebnisse von Volksentscheiden verpflichten die Regierung und den Staat ja zu nichts.

Aber dem steht ein gemeinsames Interesse hunderttausender Berliner MieterInnen gegenüber: Wohnraum darf keine Ware bzw. Kapitalanlage sein.

Bei allen grundsätzlichen Grenzen und Schwächen von Volksentscheiden hat die Initiative das Potenzial, eine Massenbewegung zu einem der entscheidenden politischen Themen in Berlin und zahlreichen anderen Städten zu entfachen, die außerdem die Wohnungs- mit der Eigentumsfrage direkt verknüpft. Wir unterstützen daher die Initiative und werden uns nach Kräften an ihr beteiligen.

Insbesondere ist es wichtig, die Gewerkschaften mit ins Boot zu holen. Schließlich hat die Miethöhe unmittelbaren Einfluss darauf, was einem/r vom Lohn bleibt, und damit auch auf  den Verlauf von Tarifkämpfen.

Sollte die MieterInnenbewegung sich zu einer organisierten Massenbewegung entwickeln, ergäben sich daraus auch die Mittel zur Kontrolle der Durchsetzung der Volksentscheidsforderung im Falle seiner Annahme. Im Falle seiner Ablehnung hätten wir noch eine Rechnung offen und sollten dann für deren Begleichung sorgen.

Mit Differenzen leben

Nur wenn wir die Kampagne in unserem Selbstverständnis als ein Aktionsbündnis führen, können wir auch mit inneren politischen Differenzen leben. Solche sollen nicht unter den Teppich gekehrt werden, aber sie brauchen das gemeinsame Aktionsziel nicht zu gefährden. Wir, und sicherlich auch andere, lehnen z. B. eine Entschädigung der enteigneten Immobilienkonzerne ab, sehen das aber nicht als Hindernis, die Kampagne mitzutragen.

Auch über die politische Reichweite des Mietenkampfes gibt es sicherlich unterschiedliche Sichtweisen. Während für die einen (z. B. für uns) der Kampf gegen Wohnraum als Kapital oder Ware langfristig nur erfolgreich  sein kann, wenn er ausgeweitet wird auf die Enteignung und Vergesellschaftung der Produktionsmittel der Großunternehmen, sehen andere ihr Ziel mit der Enteignung der Immobilienkonzerne als erreicht an. Darüber darf und muss gestritten werden, wenn wir unser gemeinsames Aktionsziel dabei nicht aus den Augen verlieren: „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“.

Unsere Haltung ist also sowohl solidarisch wie kritisch. Aus der Volksentscheidskampagne heraus streben wir an, eine Massenbewegung für Enteignung und Kontrolle über die Umsetzung des Ergebnisses aufzubauen, die Staat, Parlament und Gerichten grundsätzlich misstrauisch gegenüberstehen soll. Über die begrenzten Mittel einer BürgerInneninitiative in den 3 Stufen des Volksentscheids hinaus muss sich der proletarische Charakter – die überwältigende Mehrzahl der MieterInnen ist ja lohnabhängig – auch in Form der Anwendung von Mitteln des Klassenkampfes ausdrücken: politische Streiks für Enteignung, Lohntarifforderungen bei Mieterhöhungen, Mietpreiskontrollkomitees und MieterInnenvereinigungen für Mietstopps und -boykotte der Erhöhungen.

Nur solche Methoden und Organisationsformen können eine kontrollierende Gegenmacht auf dem Wohnungsmarkt ausüben und schließlich die Enteignung der Immobilienhaie zugunsten der ArbeiterInnenklasse bewerkstelligen, ohne hintenrum wieder aus eigener Tasche für sie aufzukommen. Letztlich hat das jüngste Inkasso des Berliner Mietendeckels, der schärfere Einschnitte in die Mietpreise als die gleichnamige Bremse der Bundesregierung vorsah und trotzdem noch genug Schlupflöcher enthielt, durch den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts gezeigt, dass DWE über seine Kampagne hinaus gebraucht wird, um den Startschuss zu dessen Wiederinkraftsetzung, Verteidigung zu inszenieren.