Frauenbewegung in den USA und die Abtreibungsfrage

Jan Hektik, Leonie Schmidt, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung 12, März 2024

Seit Jahrzehnten stehen die Abtreibungsrechte im Fokus der Frauenbewegung in den USA – nicht erst seit dem 24.06.2022, als der Supreme Court (Oberster Bundesgerichtshof) die Grundsatzentscheidung „Roe vs. Wade” kippte (Entscheidung Dobbs vs. Women’s Health Organization). Dabei stellen sie nicht nur die Frage der Selbstbestimmung über den eigenen Körpers, des Lebens und der Gesundheit von Frauen auf die Tagesordnung. Der Stand der Bewegung zeigt auch auf, welchen Problemen die Frauenbewegung sich im Kampf gegen die (meist fanatisch christliche) Rechte gegenübersieht.

Rechtliche Situation

„Roe vs. Wade” wurde 1973 gefällt und garantierte seitdem Frauen grundsätzlich das Recht, über den Abbruch von Schwangerschaften selbst zu bestimmen – bis zum Juni 2022. In den Monaten nach dem Urteilsspruch  wurde der Zugang zu Abtreibungs- und Reproduktionsdienstleistungen in fast der Hälfte des Landes drastisch eingeschränkt oder verboten. Viele Kliniken bieten in den betroffenen Bundesstaaten keine Dienstleistungen mehr an, da die Rechtslage unberechenbar geworden ist, mit einer breiten Palette an staatlichen Maßnahmen, die nach dem Urteil eingeführt wurden – einschließlich Verboten, die vor Roe galten (einige davon stammen aus den 1800er Jahren), neuen Gesetzen und mehreren laufenden Gerichtsverfahren. Diese Unvorhersehbarkeit hat in vielen Staaten zu einer abschreckenden Wirkung geführt, so dass Anbieter:innen von Abtreibungen aus Angst vor rechtlichen Schritten ihre Dienste vorsorglich eingestellt haben. Die Lage gestaltet sich nun wie folgt:

In 14 Bundesstaaten ist Abtreibung bis auf wenige Ausnahmen illegal (Alabama, Arkansas, Idaho, Indiana, Kentucky, Louisiana, Mississippi, Missouri, North Dakota, Oklahoma, South Dakota, Tennessee, Texas, West Virginia). Dies bedeutet, auch bei sexualisierter Gewalt, psychischen Folgen oder unmittelbarer Gefahr für die Gesundheit der Mutter und unabhängig von den Überlebenschancen des Kindes ist ein Abbruch der Schwangerschaft in diesen Staaten nicht erlaubt. So verbot jüngst ein texanisches Gericht einer 31-jährigen die Abtreibung ihres höchstwahrscheinlich nicht lebensfähigen Fötusses, die einen Notfallschwangerschaftsabbruch beantragt hatte. Weitere 13 stehen Abtreibung generell feindlich gegenüber und planen entweder die Illegalisierung oder starke Einschränkungen. In 11 wurden der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen vereinfacht und besonders geschützt (Kalifornien, Connecticut, Hawaii, Illinois, Maryland, Minnesota, New York, Oregon, Vermont, Washington).

In den restlichen Staaten ist die Frage nicht so einfach zu beantworten. Beispielsweise versucht die Legislative in Florida, immer wieder Angriffe auf das Abtreibungsrecht durchzuführen, das oberste Gericht Floridas verhindert dies jedoch regelmäßig. Dabei ist herauszustellen: Die rechtliche Lage alleine gibt nicht wieder, wie der Zugang zu Kliniken, die Finanzierung des Eingriffs oder die Informationen über Abtreibungsmöglichkeiten aussehen. Das heißt, selbst keine oder lediglich partielle Einschränkungen bedeuten nicht automatisch, dass Selbstbestimmung über den eigenen Körper so einfach möglich ist.

Seit dem Urteil des Supreme Court hat rund die Hälfte der Gesetzgeber:innen in den Vereinigten Staaten insgesamt mehr als 500 neue Gesetze zu Abtreibungen erlassen, die zu einer Verschärfung oder einem absoluten Verbot von Abtreibungen geführt haben, drohen allen, die Frauen helfen einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, hohe Haft- und empfindliche Geldstrafen und als Arzt/Ärztin auch der Entzug der Berufslizenz. Die krassesten Forderungen der Abtreibungsgegner:innen sind die nach Verhängung der Todesstrafe (South Carolina), Verbot der Zulassung für die Abtreibungspille Mifepriston  und Streichung der Ausnahmen bei Vergewaltigung und Inzest (Texas).

Auswirkung

Schon vor Einschränkung der Selbstbestimmung war in keiner Industrienation die Müttersterblichkeit so hoch wie in den USA. Die Tendenz nimmt aktuell zu. Dabei zeigt die Realität, dass die Auswirkungen der Einschränkungen je nach Klassenlage unterschiedlich ausfallen: Der  Flickenteppich aus verschiedenen Regelungen, der eingeschränkte Zugang zu Krankenversicherungen sowie allgemein schlechte medizinische Versorgung in den USA führen dazu, dass vor allem proletarische Schichten ungleich stärker getroffen werden. Die emotionale Belastung, ungewollt schwanger zu sein, sowie die Ablehnung durch das Umfeld treffen zwar alle, es macht jedoch einen massiven Unterschied, ob man es sich leisten kann, nach Kalifornien zu fliegen, um dort eine Abtreibung durchzuführen, oder dies schlichtweg nicht bezahlen kann. Diesen bleibt dann nur übrig, Abtreibung illegal oder durch Freund:Innen vornehmen zu lassen – oder das Kind zu bekommen.

Dabei weisen viele der Bundesstaaten mit Abtreibungsverbot bereits jetzt die schlechtesten wirtschaftlichen und gesundheitlichen Bedingungen für Frauen und Familien in den USA auf wie keinen garantierten, bezahlten Urlaub aus familiären und medizinischen Gründen, keine Ausweitung der MedicAid-Deckung auf 12 Monate nach der Geburt und schon jetzt höhere Armutsquoten von Frauen und Kindern als im Landesdurchschnitt. Diese Entscheidung sorgt letzten Endes dafür, dass die wirtschaftliche Stellung von Frauen sich weiter verschlechtert, und drängt sie in die Abhängigkeit von Beziehungen – und setzt sie auch der Situation aus, partnerschaftliche Gewalt aushalten zu müssen. Ebenso ist herauszustellen, dass nicht-weiße Frauen, insbesondere Schwarze, besonders davon getroffen werden, da sie schon jetzt überproportional in Gegenden mit schlechter medizinischer Infrastruktur leben, im Kindbett sterben und von rassistischen Übergriffen und Benachteiligungen im Gesundheitssystem betroffen sind.

Und der Widerstand?

Immer wieder kommt es zu größeren Protesten, zumeist angeführt von den Demokrat:innen wie zum 50. Jahrestag der „Roe vs. Wade”-Entscheidung, bei der Tausende auf die Straße gingen. Jedoch hat der Widerstand mehrere Probleme: Die sporadischen Proteste sind kaum miteinander koordiniert, was ihre Ausweitung erschwert. Vor allem ist jedoch die Strategie der Führung der Proteste – der bürgerlichen Demokratischen Partei – fehlerhaft. Hier zeigt sich sehr anschaulich, welche Probleme mit dem klassenübergreifenden Kampf für Unterdrückte verbunden sind.

Das Motto der Demokrat:innen lautet: wählen, bilden und überzeugen. Ganz nach dem Motto: „Wir müssen nur gut genug darlegen, warum es wissenschaftlich und gesundheitlich richtig ist, Menschen, die die das Recht auf Abtreibung anerkennen, in Positionen wählen, wo sie Entscheidungen treffen können, dann werden sich Gesetze und Gerichte danach richten. Schließlich haben doch auch die Rechten über Gesetzgebung und den Supreme Court diese Änderung bewirkt.“

Diese Überlegung krankt jedoch an zwei Denkfehlern: Zum einen vertauscht sie Ursache und Wirkung. Die US-amerikanische Rechte stellt eine Bewegung dar, welche durch Demonstrationen, Verbreiten von Propaganda und Angriffen ihre Ziele durchsetzt, damit die Republikanische Partei vor sich hertreibt und ihre Ziele umsetzt. Die Gesetzgeber:innen und Richter:innen im Supreme Court sind nämlich dabei nicht das Mittel, sondern Ergebnis einer kämpfenden Bewegung, welche auch nicht davor zurückschreckt, faschistoide Elemente zu verwenden. Dass sie Teile der Bevölkerung ansprechen kann, liegt auch nicht an mangelnder Aufklärung dieser, sondern entweder daran, dass diese ihre gesellschaftliche Stellung halten wollen oder sich bereits in einer schlechten ökonomischen Situation befinden und keine andere Alternative aufgezeigt bekommen, außer gegen marginalisierte Gruppen zu kämpfen.

Gerade deswegen ist zum anderen der Weg der Überzeugung fehlerhaft. Über 2/3 der US-Bevölkerung stehen dem Abtreibungsrecht grundsätzlich positiv gegenüber. Es gilt nicht, das letzte Drittel zu überzeugen, sondern sich zu fragen, weshalb 1/3 über 2/3 entscheiden kann und wie dies zu beheben ist. Wenn 70 % Mehrheit nicht reichen, warum sollten es 80 % tun? Wenn die Demokrat:innen seit den 1970er Jahren keine ihrer Mehrheiten genutzt haben, um Abtreibungsrechte gesetzlich zu verankern, warum sollten sie es in Zukunft tun?

Warum eigentlich?

Die Republikaner:innen und Rechten mit der gesellschaftlichen Dynamik über ein Werkzeug, ihre Position durchzusetzen. Die Ablehnung des Rechts auf Selbstbestimmung über weibliche Körper zementiert die Herrschaft von Männern über Frauen in Beziehungen, stärkt die Abhängigkeit von der bürgerlichen Familie und bietet Männern eine Ablenkung von der Krise (und individuell ein Gefühl ihrer Abschwächung), während es gleichzeitig Frauen bindet und daran hindert, dagegen zu kämpfen. Natürlich gibt es nicht irgendwo eine geheime Verschwörung rechter Köpfe, die einen Masterplan über die Stärkung der bürgerlichen Familie ausgeheckt haben, sondern es sind gesellschaftliche Kräfte und Tendenzen, die bestimmte Verhaltensweisen, Organisationen und Bewegungen stärken und andere schwächen.

Die Republikaner:innen und die Rechte profitieren gewissermaßen davon, dass ihre Ziele weniger widersprüchlich sind. Wer sich auf das religiös motivierte Verbot von Abtreibungen, Enthaltsamkeit als Verhütungsmethode und den Segen der bürgerlichen Familie beruft, kommt nicht nur gut bei religiösen Fundamentalist:Innen und konservativen Traditionalist:Innen an, sondern fördert auch nebenbei ein Umfeld, in welchem Frauen noch einfacher entlassen, unterbezahlt, teilzeitbeschäftigt und in die Reproduktionsarbeit getrieben werden können. Dies ist ein großes Plus für Unternehmer:innen – insbesondere in Krisenzeiten –,  welche Lohn- und Reproduktionskosten senken und nebenbei einen psychologischen Effekt der Überlegenheit bei ihren Arbeitern erzielen können, welcher sie ruhigstellt.

Die Demokrat:innen können sie sich in manchen Fragen zwar liberaler positionieren, kämpfen gegen offenen Sexismus, die Wurzel der Unterdrückung (die bürgerliche Familie) wollen sie jedoch nicht angreifen. Denn das würde bedeuten, dass sie mit ihrer Politik zugunsten der Profite der Unternehmen brechen müssten.

Wie kann die Bewegung Erfolg haben?

Um eine erfolgreiche Bewegung für Selbstbestimmung über den eigenen Körper auf die Beine zu stellen, bedarf es mehrerer Schritte:

Gemeinsame Forderungen, Slogans und koordinierte Proteste bilden einen ersten Schritt, um den bestehenden Aktivitäten einen gemeinsamen Deckel zu geben sowie mehr Ausstrahlung zu erreichen. Dies kann Ergebnis von Absprachen zwischen Organisationen sein, jedoch braucht es eine Strategiekonferenz, bei der Aktivist:innen zusammenkommen können und verbindliche Beschlüsse und Aktivitäten verabschieden. Dort muss diskutiert werden, wie die Bewegung aufgebaut werden kann – und wie ihr Weg verlaufen soll, ihre Forderungen zu erreichen. Unserer Meinung nach hat die Vergangenheit gezeigt, dass die Demokrat:innen sich zwar gerne an den Protesten beteiligen dürfen, ihre Strategie ist jedoch unzureichend und kann nicht als Grundlage genommen werden.

Wenn eine Bewegung Erfolg haben will, darf sie nicht nur Massendemonstrationen organisieren, sondern muss sich an Schulen, Universitäten sowie in Betrieben verankern und vor Ort präsent sein. Um das zu erreichen, ist es nicht nur wichtig, Aktivitäten vor Ort zu organisieren. Es ist auch notwendig, nicht nur gegen das Abtreibungsverbot zu kämpfen, sondern für konkrete Verbesserungen. Die Realität zeigt: Arme Schichten sowie insbesondere Nicht-Weiße sind besonders von den Abtreibungsverboten betroffen. Es müssen also Forderungen entworfen werden, die den Kampf um Selbstbestimmung mit dem für breitere Verbesserungen der Arbeiter:innenklasse insgesamt verbinden helfen. Ziel muss es sein, Druck auf die Gewerkschaften auszuüben, sodass diese sich aktiv an den Protesten beteiligen, selber mobilisieren und gemeinsam mit der Bewegung den politischen Streik als Waffe zur Durchsetzung der Forderungen lancieren können:

  • Reproduktive Gerechtigkeit jetzt: Aufhebung aller Abtreibungsverbote! Uneingeschränktes Recht auf Schwangerschaftsabbruch als Teil der öffentlichen Gesundheitsversorgung!
  • Menschen statt Profite: Für ein staatliches Gesundheitssystem, in das alle einzahlen und welches alle Gesundheitsleistungen inklusive Verhütung, Schwangerschaftsabbruch und Geburten ohne Zusatzleistungen abdeckt (Single Payer HealthCare System)!
  • Schluss mit Abhängigkeit: Mindesteinkommen für alle, angepasst an die Inflation! Flächendeckender Ausbau von Schutzräumen für Betroffene von sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter, sowie LGBTIA+!
  • Für Aufklärungskampagnen an Schulen, Universitäten und in Betrieben durch Gewerkschaften zu Sexismus, sexuellem Konsens und Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

In so einer Bewegung ist es wichtig, dass Sozialist:innen eine revolutionäre Perspektive hereintragen. Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass diese Probleme einer systematischen Umwälzung mindestens des US-Gesundheits-, Justiz-, Regierungs- und Polizeisystems bedürfen. Solange es einen Flickenteppich aus privaten Krankenkassen und Gesundheitseinrichtungen gibt, wird die Gesundheit (und werden damit sichere Abtreibungen, Schwangerschaften und Geburten) ein Privileg der Reichen sein! Das heißt: Wir unterstützen den Kampf für Reformen und Verbesserungen. Gleichzeitig muss dieser damit verbunden werden, dass Elemente von Arbeiter:innenkontrolle in die Forderungen mit eingebunden werden, um sicherzustellen, dass diese im Interesse der Klasse umgesetzt werden und aufzeigen, wie der Kapitalismus überwunden werden kann. Das kann beispielsweise so aussehen:

  • Versorgung garantieren: Verstaatlichung des Gesundheitssektors unter Kontrolle der Arbeiter:innen! Flächendeckender Ausbau von Kliniken, insbesondere in ländlichen Regionen, sowie massive Aufstockung des Personals!
  •  Schluss mit Diskriminierung in der Medizin: Für Sensibilisierungskampagnen gegen sexistische und rassistische Vorurteile!
  • Armut stoppen: Anhebung des Mindestlohns auf 15 USD/Stunde und Mindesteinkommen für alle, angepasst an die Inflation! Finanzierung durch die Besteuerung der Reichen und verbindliche Offenlegung der Geschäftskonten gegenüber den Gewerkschaften!

Bewegung alleine reicht nicht

Das zeigt die Richtung, in die es gehen muss. Die Aufgabe von Revolutionär:innen in den USA ist letzten Endes eine dreifache: a) der Aufbau einer Bewegung für reproduktive Gerechtigkeit; b) Bildung eines Pols in dieser Bewegung, der eine revolutionäre Perspektive aufzeigt; und c) der Aufbau einer revolutionären Arbeiter:innenpartei, die es schafft, unterschiedliche Bewegungen zu sammeln und mit einer Perspektive, einem realen Programm zum Erfolg zu führen – also das kapitalistische System zu zerschlagen. Ihre Aufgabe besteht  somit nicht primär darin, zu Wahlen anzutreten, sondern die Kämpfe zu organisieren, planen und aktiv zuzuspitzen. Dabei muss sie als Bindeglied zwischen den verschiedenen kämpfenden Gruppen (People of Colour, Frauen, Gewerkschaften, LGBTIA+, Umweltbewegung) fungieren und den offenen Kampf gegen die Politik der Mitverwaltung des Kapitalismus seitens Demokrat:innen und Gewerkschaftsführung in diese tragen. Nur so kann letzten Endes gesichert werden, dass reproduktive Gerechtigkeit nicht nur als Wahlkampfslogan benutzt, sondern aktiv umgesetzt wird. Dabei ist essentiell, dass in Gewerkschaften oder politischen Organisation der Arbeiter:innenbewegung gesellschaftlich unterdrückte Gruppen das Recht haben, einen Caucus zu bilden, sich gesondert nur unter sich zu treffen, um die eigene Unterdrückung in einem Schutzraum diskutieren zu können!




USA: Automobilarbeiter:innen gegen die 3 Autoriesen

Andy Yorke, Infomail 1234, 16. Oktober 2023

Am 14. September 2023 liefen die Vertragsverhandlungen zwischen der Gewerkschaft der Vereinigten Automobilarbeiter:innen (UAW) und den traditionellen großen drei amerikanischen Automobilherstellern (General Motors, Stellantis und Ford Motor Company) aus. Dreizehntausend Arbeiter:innen aus drei großen Fabriken, jeweils eine von den Großen Drei, legten die Arbeit nieder – das GM-Montagewerk in Wentzville, Missouri, das Ford-Montagewerk in Michigan außerhalb der alten „Motor City“ Detroit und der Montagekomplex von Stellantis in Toledo (Ohio) wurden bestreikt. Am 22. September schlossen sich weitere 5.600 Beschäftigte in 38 Vertriebszentren für Ersatzteile von Stellantis und General Motors in 20 Bundesstaaten an.

UAW-Präsident Shawn Fain, der sein Amt im März dieses Jahres antrat, schwor den Beschäftigten, dass „die UAW vor keinem Kampf zurückschreckt und wir bereit sind, alles zu tun, was nötig ist, um mit allen Mitteln für Gerechtigkeit zu sorgen“. Bei den auf Bundesebene angeordneten Direktwahlen kam eine von Fains Reformbewegung UAW Members United unterstützte Liste in den ersten demokratischen Wahlen seit Jahrzehnten an die Spitze und verdrängte den früheren Präsidenten Ray Curry und die alte korrupte Führung, die den Kampf der Automobilarbeiter:innen im Laufe der Jahrzehnte wiederholt verraten (oder unter Wert verkauft) hatte.

Die Kehrtwende in der Streikstrategie beweist, wie stark die Gewerkschaftsbürokratie den Kampf behindern und dass selbst eine begrenzte Demokratisierung dazu beitragen kann, den Gewerkschaften die Hände zu befreien. Um den Kampf aufrechtzuerhalten, müssen die Arbeiter:innen jedoch sicherstellen, dass diese Demokratisierung viel weiter und tiefer geht.

Lage in der US-Autoindustrie

Die Situation in der US-Automobilindustrie ist eine bekannte Geschichte. In den zehn Jahren von 2013 – 2022 haben sich die Gewinne der Großen Drei auf 250 Milliarden US-Dollar summiert, rund doppelt so viel wie in den 10 Jahren zuvor. Die Bosse sagen, dass sie es sich nicht leisten können, den Arbeiter:innen eine Lohnerhöhung von 40 % zu geben, weil sie massiv in den Übergang zu Elektrofahrzeugen investieren müssen. Aber das hat sie nicht davon abgehalten, fast ein Drittel ihres Gewinns als Dividenden für reiche Aktionär:innen, Aktienrückkäufe für Wall-Street-Investor:innen und millionenschwere Jahresgehälter für die Vorstandsvorsitzenden auszuschütten.

Die Gehälter der Vorstandsvorsitzenden der Großen Drei stiegen zwischen 2013 und 2022 um 40 %. Letztes Jahr verdiente GM-Chefin Mary Barra fast 29 Millionen US-Dollar, das 362-fache eines/r typischen GM-Arbeiter:in. Ford-Boss Jim Farley erhielt insgesamt 21 Millionen US-Dollar und Stellantis-Chef Carlos Tavares 24,8 Millionen US-Dollar, also das 281- bzw. 365-Fache des entsprechenden Durchschnittslohns eines/r Arbeiters/in. Diese Leute haben die Frechheit, den Arbeiter:innen zu sagen, dass sie für ihre Expansionspläne Opfer bringen sollen!

Die Lohnabhängigen haben den Preis für diese Gier der Unternehmen mit ihren Löhnen und Arbeitsbedingungen bezahlt, denn die Löhne der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe sind seit 2008 um fast 20 % gesunken. Laut Fain stiegen die Autopreise in den letzten vier Jahren um 34 %, während die Löhne der Beschäftigten nur um 6 % zulegten. Um die Verluste der Vergangenheit auszugleichen, fordert die UAW allgemeine Lohnerhöhungen von 40 % über einen Zeitraum von vier Jahren, die Wiederherstellung des Lebenshaltungskostenanstiegs, Rentenerhöhungen für Rentner:innen, die seit einem Jahrzehnt keine erhalten haben, eine/n bessere/n Gesundheitsversorgung und Urlaub sowie ein Gewinnbeteiligungssystem.

Die Gewerkschaft fordert auch das Recht, gegen Werksschließungen zu streiken, da Stellantis vor dem Streik angedroht hatte, bis zu 20 Werke zu schließen und Umstrukturierungen aufgrund der Produktion von Elektrofahrzeugen vorzunehmen. Daher ist es wichtig, dass es keine Zugeständnisse bei den Streikverbotsbestimmungen gibt.

Strategie

Die „Stand Up (Aufstehen)“-Streikstrategie der Fain-Führung hat jedoch bisher den Großteil der 146.000 UAW-Mitglieder in Bereitschaft gehalten und damit sowohl den Streik als auch das Ausmaß seines möglichen Erfolgs begrenzt. Als am 29. September nach einer Woche Verhandlungen die Zeit für eine erneute Eskalation gekommen war, kündigte Fain an, dass nur zwei weitere Werke bestreikt würden: das Ford-Montagewerk in Chicago und das GM-Montagewerk in Lansing (Michigan) Delta Township, womit die Zahl der Streikenden auf 25.000 anstieg, was einem/r von sechs Beschäftigten entspricht.

Am 6. Oktober wurde dann die Eskalation in zwei weiteren Werken, darunter das riesige und äußerst profitable GM-Werk in Arlington (Texas) in letzter Minute zurückgezogen, weil die Bosse sich bereiterklärten, die Elektrofahrzeug-Beschäftigten in Tarifverhandlungen einzubeziehen und einige Zugeständnisse bei Zeitarbeit und Lohntarifen zu machen. Fain behauptet, dies beweise, dass seine Strategie funktioniere – „Es geht nicht immer darum, die große Panzerfaust zu zücken“ –, aber in Wirklichkeit begräbt er die Lohnforderung, bei der es keine Bewegung gegeben hat.

Fain bezeichnet dies als eine „intelligente Streikstrategie“, bei der Streikmittel (die für drei Monate Dauer angespart wurden) geschont und die großen Automobilhersteller gegeneinander ausgespielt werden: Ausgewählte Gewerkschaftsgliederungen (Ortsgruppen) streiken in ausgewählten Werken, bis zum 6. Oktober sich ausweitend mit jeder Frist für Vertragsverhandlungen, die überschritten wird, und argumentieren gleichzeitig für ein Überstundenverbot: „8 Stunden und Skaten!“

„Ich sehe, dass die Leute sofort streiken wollen“, sagte Fain, „das ist immer noch eine Option … Wir könnten alle drei großen Unternehmen auf einmal bestreiken“. Aber ein solcher flächendeckender Streik scheint weiter entfernt denn je, da das Aufstehen zum Stillstand gekommen ist. Ein ernsthafter, eskalierender Streik braucht einen starken Impuls, sonst verfehlt er, wie in Großbritannien, sein Ziel.

Es gibt noch andere, weniger sichtbare, aber dennoch gefährliche Grenzen dieser Strategie. Sie zielt darauf ab, dass der Streik die Profite der Automonopole so wenig wie möglich schmälert, wobei diese als Grenzen für die bestmögliche Lösung akzeptiert werden. Fain ist auch darauf aus, die liberale Presse zumindest neutral zu halten und Präsident Biden im Countdown zu den Parlamentswahlen 2024 keinen Schaden zuzufügen. Obwohl die UAW Biden noch nicht unterstützt hat, traf Fain ihn am Flughafen und reiste mit ihm zu einer sorgfältig inszenierten Streikpostenkundgebung.

Fain behauptet: „Der Stand Up-Streik ist die Antwort unserer Generation auf die Bewegung, die unsere Gewerkschaft aufgebaut hat, die Sitzstreiks von 1937“. Aber in Wirklichkeit hat diese vorsichtige Strategie nichts mit dieser von linken Aktivist:innen von unten geführten Aktion gemein. Wie er zugibt, geht es darum, „unseren nationalen Verhandlungsführer:innen ein Maximum an Einfluss und Flexibilität zu geben, um einen Rekordvertrag zu erzielen“, anstatt die Bosse durch die Bedrohung ihres Reichtums zum Einlenken zu zwingen.

Streiken, um zu gewinnen

Die Streikstrategie sollten die Beschäftigten nicht nur den Gewerkschaftsführer:innen überlassen, sondern an den Streikposten, auf Massenversammlungen der Streikenden und in den Kantinen der meisten noch arbeitenden Betriebe diskutieren. Sie müssen rote Linien festlegen (z. B. die vollständige Abschaffung der Zweiklassenbelegschaft) und eine härtere Strategie organisieren, um den Streik schnell zu steigern bis hin zu einem Vollstreik, wenn die Unternehmen nicht einlenken, um alle ihre Forderungen durchzusetzen.

Diese Hinwendung sogar nur zu einem begrenzten Streik ist zwar zu begrüßen, aber die Rentabilität der Großen Drei und die Regierung Biden als notwendige Unterstützung für höhere Löhne zu akzeptieren, würde bedeuten, dass dem Streik reale Grenzen gesetzt und daher wahrscheinlich nicht alle Forderungen der Streikenden erreicht werden. Die Arbeiter:innen sollten sich auf ihre eigene Kraft verlassen. Ihre Forderungen zielen nur auf die Wiederherstellung dessen ab, was verlorengegangen ist, und alle sind absolut notwendig. Den UAW-Beschäftigten steht ein noch größerer Kampf bevor, um die andere, wachsende Hälfte ihrer Branche zu organisieren und sicherzustellen, dass der dringend benötigte Übergang zum emissionsfreien Verkehr von der Arbeiter:innenklasse und nicht von den Bossen inszeniert wird.

Die US-Branchenriesen stehen auf dem Markt für Elektroautos unter starkem Druck von wendigeren Unternehmen wie dem schnell expandierenden Tesla und ausländischen Wettbewerber:innen, insbesondere aus China. Während sie mit Fain sprechen, verlagern sie die Produktion weiter in den nicht gewerkschaftlich organisierten Süden, wo 51 % der Elektroautoinvestitionen seit 2020 getätigt wurden, während nur 31 % in den alten Produktionskern im Mittleren Westen flossen – und damit in den der UAW-Mitgliedschaft. Die Umstellung auf Elektrofahrzeuge birgt eine zweite, organische Bedrohung, da für die Montage eines Autos nur halb so viele Arbeiter:innen benötigt werden wie für die alten Verbrennungsfahrzeuge.

Daher können keine dauerhaften Erfolge erzielt werden, es sei denn, die Gewerkschaft kämpft um die Kontrolle über diese Elektroumstellung und organisiert die Beschäftigten in den südlichen Bundesstaaten mit „Recht auf Arbeit“ und in den nicht organisierten Werken ausländischer Autofirmen, indem sie die Anerkennung der Gewerkschaft durch Streiks, einschließlich fliegender Streikposten und Mitgliederwerbung, durchsetzt. Darüber hinaus sollten die Gewerkschaften das stark gewerkschaftsfeindliche, aber schnell expandierende Unternehmen Tesla in Kalifornien und Nevada ins Visier nehmen. Das wird einen viel härteren Kampf erfordern.

Netto null

Angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise liegt die Verringerung der Kohlendioxidemissionen im Interesse aller arbeitenden Menschen. Ein entscheidender Teil davon ist der Kampf für einen gerechten Übergang für die Arbeiter:innenschaft in den umweltverschmutzenden Industrien. Die Beschäftigten in der Automobilindustrie sollten eine kostenlose Umschulung in ähnlich qualifizierte Positionen erhalten, zusammen mit Garantien, dass keine Arbeitsplätze oder Anlagen abgebaut werden und die Wochenarbeitszeit, falls erforderlich, verkürzt wird. Dies muss mit der Abschaffung des Zweiklassensystems und der geforderten Lohnerhöhung von 40 % einhergehen.

Wenn die Bosse behaupten, dass sie sich das nicht leisten können, sollten die Arbeiter:innen verlangen, dass sie ihre Geschäftsunterlagen zur Überprüfung durch die Gewerkschaften öffnen. Wenn diese hochprofitablen Unternehmen versuchen, ihnen weiszumachen, sie seien zahlungsunfähig, müssen die Arbeiter:innen für eine Übernahme des gesamten Sektors unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten und Verbraucher:innen kämpfen. Sie müssen sich allen Versuchen widersetzen, die Bosse zu retten, wie es 2009 geschehen ist.

Auch wenn Bidens Versprechen, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, angesichts des Ausmaßes der Krise völlig unzureichend ist, besteht in Wirklichkeit die einzige Möglichkeit, selbst dieses begrenzte Ziel zu erreichen, darin, den Flaschenhals des Profits zu beseitigen und die Industrie unter die Kontrolle der Arbeiter:innen und Konsument:innen zu stellen. Die Verstaatlichung der Automobilindustrie unter der Arbeiter:innenkontrolle  und ohne jegliche Entschädigung der Kapitalist:innen mit dem Ziel, die Klimakatastrophe zu verhindern, würde einen massiven Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und jede Menge Arbeit als Ersatz für die niedergehende Autoproduktion ermöglichen.

Für den Aufbau eines solchen politischen Kampfes ist mehr erforderlich als eine weitere reformorientierte Gewerkschaftsführung mit 160.000 US-Dollar im Jahr. Es braucht eine starke betriebliche Organisation mit regelmäßigen Massenversammlungen und gewählten Streikkomitees sowie eine Basisbewegung, die die Kämpfer :innen und Aktivist:innen unabhängig von der Bürokratie organisiert. In jedem Betrieb sollten Streikausschüsse eingerichtet werden.

Für die Streikenden sollten solche Ausschüsse organisiert werden, um Streikbruch zu verhindern und sie vor Angriffen und Einschüchterung zu schützen. Sie sollten die lokale Gewerkschaftsbewegung und Gemeinde auffordern, die notwendige Unterstützung und Solidarität zu leisten. Für diejenigen, die sich noch nicht im Streik befinden, können diese Ausschüsse Solidarität mit den Betrieben organisieren, die sich im Streik befinden, und Provokationen der Unternehmensleitungen mit Arbeitsniederlegungen oder Sitzstreiks entgegentreten.

Eine solche Bewegung sollte jede positive Initiative ihrer Führung unterstützen, aber auch bereit sein, die Initiative zu ergreifen, wenn sie wirksame Maßnahmen zurückhalten oder behindern – keine Aussetzung von Streiks mehr. Das bedeutet, jeden Fortschritt von Fain und der UAW-Bürokratie zu unterstützen und gleichzeitig die Basisorganisation aufzubauen, die notwendig ist, um sie zu zwingen, weiter zu gehen, als sie wollen. Sie sollte auch das Ziel erörtern, die überbezahlten und übermächtigen hauptamtlichen Funktionär:innen durch eine Führung zu ersetzen, die von den einfachen Mitgliedern gewählt und abwählbar ist.

Um erfolgreich zu sein, müssen Gewerkschaftsaktivist:innen eine klassenbasierte Analyse und ein sozialistisches politisches Ziel für die Gewerkschaften annehmen und dafür kämpfen, sie aus der Unterwerfung unter eine der beiden Parteien der Bosse zu lösen. Wenn diese Strategie erfolgreich ist, kann sie letztlich zu einer neuen, klassenkämpferischen Führung der Gewerkschaften führen, die auf Arbeiter:innendemokratie basiert. Das bedeutet, dass die weitsichtigsten politischen Aktivist:innen, die für diesen Streik mobilisiert haben, mit ihren kämpferischen Kolleginnen und Kollegen in den Teamsters, in den Eisenbahn- und Pflegegewerkschaften zusammenarbeiten müssen, um eine Bewegung für eine neue Arbeiter:innenpartei zu entwickeln, die sich entschieden von der Demokratischen Partei löst.




DSA: unabhängige Arbeiter:innenorganisation oder Schoßhund der Demokratischen Partei?

Stephie Murcatto, Neue Internationale 277, Oktober 2023

Die Entwicklung der US-Arbeiter:innenbewegung und vor allem der Democratic Socialists of America (DSA) hat international viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Besonders groß war die Unterstützung, die Bernie Sanders’ Kampagne als Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei erfuhr. Er bezeichnete sich offen als Sozialist und erhielt dennoch Zuspruch von Millionen. Auch wenn Sanders nie mit der Demokratischen Partei, einer der beiden zentralen politischen Stützen des US-Kapitals, brechen wollte, so offenbarte seine Kampagne, dass „Sozialismus“ keineswegs alle Wähler:innen abschreckt.

Katalysator

Seine Kandidatur beunruhigte nicht nur das Establishment der Demokratischen Partei um Clinton (2016) und Biden (2020), sondern fungierte als Katalysator für den massiven Zulauf und eine Linksentwicklung der Democratic Socialists of Amerika (DSA), einer Organisation, die auf eine, wenn auch nicht gerade glorreiche, Geschichte zurückblickt. Sie war über Jahrzehnte eine sozialdemokratische Minipartei. Sie trug als Mitglied der Sozialistischen Internationale deren proimperialistische Politik voll mit und fungierte als pseudolinkes Anhängsel der Demokratischen Partei und unterstützte fast jede Schweinerei der US-Außenpolitik, so auch den Vietnamkrieg.

2015 zählte die DSA 6.200 Mitglieder. Danach wuchs sie rapide an auf bis zu ungefähr 83.000 im Jahre 2022, wobei die Zahl im Jahre 2023 wieder leicht auf 78.000 gesunken ist. Dies ging zugleich mit einer Linksentwicklung der Organisation einher. 2017 trat die DSA aus der II. Internationale wegen deren neoliberaler Politik aus.

Trotz Stagnation und Rückgangs im letzten Jahr umfasst die DSA eine beträchtliche Anzahl an Mitgliedern, die relativ neu politisch organisiert sind und ein Interesse an sozialistischer Politik aufweisen. Dieser Aufschwung hat die Organisation deutlich nach links gerückt, sodass auch offen davon geredet wurde, nicht weiter der linke Flügel der Demokratischen Partei zu bleiben, sondern auch eine eigene Arbeiter:innenpartei zu gründen.

Das Verhältnis zur Demokratischen Partei bildet daher seit fast einem Jahrzehnte eine, wenn nicht die, Schlüsselfrage für die weitere Entwicklung der DSA. Dies zeigt sich nicht nur bei den Conventions (Kongressen) der Partei, sondern auch daran, dass die 6 DSA-Mitglieder über die Liste der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus, einer der beiden Kammern des US-Kongresses, vertreten sind. Das wahrscheinlich bekannteste Mitglied ist Alexandria Ocasio-Cortez, kurz AOC. Auch wenn diese 6 auf dem linken Flügel der Demokratischen Partei stehen, so ist von einem Bruch nichts zu spüren. Im Gegenteil: Mit der Zeit hat sich die alte Politik wieder starkgemacht. So stimmten in der aktuellen Legislaturperiode 4 ihrer Kongressmitglieder, allen voran AOC, für die Illegalisierung eines potenziellen Streikes von 100.000 Eisenbahnarbeiter:innen.

Wie ist die DSA eigentlich aufgebaut?

Es gibt verschiedene Basisorganisationen, bekannt als Chapters, die abhängig von ihrer Größe Delegierte zu der DSA-Convention (Parteitag) wählen. Die Tagung findet alle 2 Jahre statt, die letzte vom 4. bis 6. August 2023. Die Convention wählt die nationale Leitung, das National Political Committee (NPC). Dieses besteht aus 16 Menschen, die unter sich noch einen fünfköpfigen Ausschuss wählen, das Steering Committee (SC). Die nationale Leitung bestimmt die politischen Linien der Organisationen z. B. in ihren verschiedenen Publikationen und soll die Entscheidungen der Convention umsetzen. Dazu verfügt die DSA über einen größeren Apparat von festangestellten Organizer:innen, Buchhalter:innen und anderen Beschäftigten in New York. Das NPC kann auch verschiedene Arbeitsgruppen und Komitees ins Leben rufen, um an verschiedenen Fragen zu arbeiten und Politik zu bestimmten Themen anzuleiten.

Außerhalb der NPC gibt es verschiedene Caucuses, die effektiv die verschiedenen politischen Fraktionen innerhalb der DSA verkörpern. In diesen können sich unabhängig von Wahlen alle DSA-Mitglieder organisieren und für verschiedene politische Programme kämpfen. Dabei sind verschiedene Caucuses relevanter als andere. So gibt es z. B. den Bread and Roses Caucus, der rund um die Zeitschrift Jacobin organisiert ist und eine Linie des „schmutzigen Bruches“ mit der Demokratischen Partei vertritt. Darunter wird ein kompromisslerischer „Mittelweg“ zwischen einem klaren Austritt aus der Demokratischen Partei und einer Strategie von deren Reform verstanden. Der Reform and Revolution Caucus repräsentiert einen eher linken Flügel der DSA. Schließlich gibt es noch den Socialist Majority Caucus, der die historische Führung und die traditionellen Strategien der DSA repräsentiert. Dieser bildet auch eine der stärkeren Fraktionen.

Die Fragen, wie man zur Demokratischen Partei steht, ob und wie man eine unabhängige Arbeiter:innenpartei aufbauen soll, stand dabei auch im Zentrum der letzten Parteitage.

Vorlauf zur Convention 2023

2021 fand die Convention noch online statt. Diese stellte letzten Endes eine Niederlage für die linkeren Teile der DSA dar, da sich die Ausrichtung auf die Demokratische Partei und auf reine Wahlpolitik verfestigte. Eine weitere Frage, die im Sinne der Rechten beantwortet wurde, war die der Wahlunterstützung für demokratische Kandidat:innen. Außerdem gibt es seither keine Rechenschaftspflicht mehr für die Mitglieder der DSA, die in verschiedenen Parlamenten oder gar exekutiven Funktionen sitzen.

Dass diese Wende nach rechts fortgesetzt werden soll, zeigte sich auch im Vorlauf für die diesjährige Convention. Der Vorsitzende des NPC, Hernandez, erklärte in einem interview zur zukünftigen Strategie der DSA: „Dort, wo wir jetzt sind, müssen wir verankert bleiben und den Umständen Rechnung tragen, mit denen wir uns auseinandersetzen.” Im Klartext: Wir müssen fortfahren mit der jetzigen Strategie bezüglich der Demokratischen Partei. Er empört sich in demselben Interview auch über die linken Teile der DSA und behauptet, dass es sich gezeigt habe, dass die Demokratische Partei keine „Sackgasse“ für die DSA und sozialistische Politik sei.

Entscheidungen

Die Convention selbst war effektiv ein großer Schlag ins Gesicht der linken Teile der DSA. Die erste Kontroverse entzündete sich schon um den Vorschlag der Leitung zu ihrem Ablauf selbst. Dieser sah vor, dass über die Anträge für eine Opposition zur imperialistischen Politik in Bezug auf den Ukrainekrieg nicht diskutiert wird. Dies wurde damit begründet, dass es keine Zeit für die Diskussion rund um den Antrag gäbe. Gleichzeitig war aber mehr als genug Zeit dafür eingeplant, darüber zu debattieren, ob eine Rose, die ein „Vote“-Schild hält, das offizielle Maskottchen der DSA werden solle. Dieser Vorschlag wurde zwar mit einer knappen Mehrheit abgelehnt, dafür fielen aber die Resolutionen über die israelische Okkupation von Palästina sowie die zum Ukrainekrieg durch.

Dafür markierten die Beschlüsse zu den Wahlen jedoch einen weiteren Schritt nach rechts zur Anpassung an die Demokratische Partei. So sprachen sich 704 Delegierte bei 184 Gegenstimmen gegen Schritte zur Bildung einer unabhängigen Partei mit eigenen Kandidat:innen aus. So heißt es: „Es ist in der jetzigen Situation für uns nicht empfehlenswert, eine politische Partei mit eigenen Wahllisten zu gründen.“

Mit diesem Beschluss der Convention wird der Fokus der DSA über die nächsten zwei Jahre nicht einfach auf die Wahlen gelegt, die tatsächlich mehr und mehr ins Zentrum der US-Politik rücken werden, sondern vor allem auf die Zusammenarbeit mit der Demokratischen Partei. Die DSA will auch mehr ihrer Mitglieder dabei unterstützen, sich selbst auf der Liste der Demokrat:innen aufstellen zu lassen und sich so faktisch politisch unterzuordnen.

Aber auch zur Frage der Rechenschaft hat der rechte Flügel die Mehrheit behalten können – und das, obwohl die Rechenschaftspflicht der verschiedenen DSA-Abgeordneten eine riesige Frage ist. So verrieten AOC und andere den möglichen Eisenbahner:innenstreik, so stimmte der DSA-Kongressabgeordnete Jamaal Bowman für die Bewaffnung des israelischen Militärs.

Trotzdem stimmten 60 % der Delegierten sogar gegen eine Rechenschaftspflicht in nur vage formulierter Form: „Die DSA, erwartet, dass sich Sozialist:innen in gewählten Ämtern in Übereinstimmung mit den Grundprinzipien der sozialistischen Bewegung verhalten.“

Man kann also zusammenfassen, dass der rechte Flügel, der Socialist Majority Caucus, gestärkt aus dem Parteitag hervorging. Starker Fokus auf die Demokratische Partei, keine Rechenschaft der Abgeordneten und eine Unterbindung der wichtigen inhaltlichen Diskussionen durch das NPC sind seine Früchte.

Aufgabe von Revolutionär:innen

Trotz der Niederlage des linken Flügels der DSA ist die Organisation eine, die viele linke Kräfte an sich zieht und immer noch in sich eine Dynamik trägt. Trotz der erheblichen Hürden wäre die DSA auch in der Lage, eine Partei zu gründen. Diese Partei wäre auch eine, die die USA schon sehr lange nötig haben, denn die Wahl zwischen Republikaner:innen und Demokrat:innen ist eine zwischen zwei Übeln, die das Interesse der arbeitenden Menschen gar nicht im Sinne haben. Beide sind die historischen Parteien des US-Kapitals, des US-Imperialismus. Sie stellen letztlich nur zwei seiner konkurrierenden Flügel dar.

Deswegen ist es die Aufgabe von allen Revolutionär:innen, sich in erster Linie für den Aufbau einer Partei einzusetzen, die auch das Interesse der Arbeiter:innen als Klasse vertritt. Die Strategie des Socialist Majority Caucus, den linken Flügel der Demokratischen Partei zu bilden, ist nicht nur perspektivlos, sie stellt vor allem eine direkte Kampfansage an alle Versuche dar, die Lohnabhängigen und die Gewerkschaften aus ihre Bindung an die Demokratische Partei zu lösen. Der Parteitag zeigt, dass eine Arbeiter:innenpartei nur aus dem politischen Kampf gegen diese Fraktion und im Bruch mit ihr entstehen kann.

Auch die Strategie des schmutzigen Bruches des Bread und Roses Caucus ist auf dem Parteitag gescheitert. Im Grunde hat sie dem rechtsreformistischen Mehrheitsflügel zugearbeitet, indem sie anstelle eines klaren Bruchs im Hier und Jetzt ihn auf eine ferne Zukunft vertagt, derweil jedoch eine „Realpolitik“ betreibt, die auf eine Unterstützung der Demokratischen Partei hinausläuft.

Es braucht innerhalb der DSA eine Fraktion, die für die Führung der Organisation kämpft, mit dem Ziel, die Zehntausende von Arbeiter:innen und Jugendlichen, die in die DSA eingetreten sind, für einen Bruch mit der Demokratischen Partei zu gewinnen. Auf dieser Basis müssten die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen zu einem Bruch mit den Demokrat:innen und zum Aufbau eine Arbeiter:innenpartei aufgefordert werden. Doch eine solche Kraft müsste eigenständig in die Kämpfe eingreifen und die Wahlen nutzen, um eigene Kandidat:innen aufzustellen. Dieser Prozess müsste einhergehen mit der Diskussion und Ausarbeitung des Programms einer solchen Partei, wobei Revolutionär:innen von Beginn an für ein revolutionäres Aktionsprogramm eintreten müssten.




USA: Angriffe auf Frauen und LGBTIAQs

Resa Ludivien, Neue Internationale 275, Juli/August 2023

Danke, Trump! Doch auch unter Biden wird’s nicht besser. Ganz im Gegenteil. Das Urteil Roe vs. Wade letztes Jahr wurde unter der Biden-Regierung außer Kraft gesetzt, dank der durch Trump nominierten Richter:innen der Obersten Gerichtshofs. Doch auch überall im Land gibt es nicht nur betroffene Frauen, die bangen, sondern auch eine reaktionäre Basis, die das Urteil als Erfolg feierte.

Derzeit läuft der Wahlkampf für die nächste Präsidentschaftswahl wieder heiß an. Donald Trumps republikanischer Mitbewerber Ron DeSantis, Gouverneur von Florida, will mit einer noch radikaleren Abtreibungspolitik punkten. Erst kürzlich unterzeichnete er einen „sex weeks abortion ban“ – eine Zeitspanne, in der Frauen vielleicht noch nicht einmal gemerkt haben, dass sie schwanger sind, geschweige denn eine gut durchdachte Entscheidung hätten treffen und eine/n der wenigen Ärzt:innen, die Abbrüche durchführen, finden können.

My body, my choice

Keine Frauenkörper heißt keine Kinder. Wer außer „der Frau“, wer außer gebärfähigen Menschen, sollte dann über Schwangerschaft oder einen Abbruch entscheiden? Laut der US-Rechten alle – Männer und der bürgerliche Staat – alle außer sie selbst. Im Bundesstaat Arkansas können Ehemänner und Lebenspartner sogar gegen die schwangere Frau rechtliche Schritte einleiten, wenn sie eine Abtreibung plant.

Wer keine Kinder möchte oder sich nicht in der Lage fühlt, sie zu bekommen und großzuziehen, hat hierfür mannigfaltige Gründe: Krankheit, Suchtprobleme, eine Gewaltbeziehung und … und … und. So lange Frauen von der Zeugung an – denken wir an Vergewaltigungen, Babytrap oder Druck – über die Entscheidung bis hin in die (un)gewollte Mutterschaft bevormundet und diskriminiert werden, werden sie wie Menschen zweiter Klasse behandelt.

Während selbsternannte „Lebensschützer:innen“ die Rechte des Ungeborenen beschwören, erlöschen diese in einer Gesellschaft, in der Kinderziehung wesentlich Privatsache ist, mit der Geburt. Selbst wenn formale Gleichheit herrscht, macht sich die Ungleichheit von Klasse und Herkunft umso deutlicher bemerkbar.

Auch hier zeigt sich die Doppelmoral. Kinder sind kein Statussymbol oder Objekt und haben ein Recht darauf, geliebt und gut behandelt zu werden. Warum also eine Frau zwingen, ein Kind in die Welt zu setzen, wenn sie sich nicht sicher ist, ob sie das kann und möchte? So viel zum moralischen Gebrabbel.

Doch dieser Angriff hat System. Antifeministische Akteur:innen – vor allem männlichen Geschlechts – sind in den letzten Jahren auf dem Vormarsch. Der Krisenmodus, der seit 2008 anhält, hat soziale und politische Unsicherheit mit sich gebracht – auch für die Mittelschichten –, die Rechtsströmungen zu einer politischen Agenda verdichten und so davon profitieren. In ihren extremsten Ausformungen sehen wir das bei rechtspopulistischen oder gar protofaschistischen Regierungen, aber auch antifeministischen, queerfeindlichen und rechtsextremen Anschlägen.

Angriffsziel Flintas

Parallel zu dem massiven Angriff auf Frauenrechte stehen queere Menschen in den USA unter Beschuss. Die Devise „My body, my choice“ (Mein Körper, meine Entscheidung) wird hier ebenso mit Füßen getreten, wenn wir an die Möglichkeiten von trans Personen denken in einem System, welches sie von der Schule bis ins Krankenhaus bekämpft.

Zusätzlich sind es die enormen Gesundheitskosten, die eine Extrahürde darstellen. Arbeiter:innen sind hiervon im Allgemeinen betroffen, doch Frauen und queere Menschen im Besonderen. Durch die ökonomische Diskriminierung und gesellschaftliche Marginalisierung gepaart mit einer fundamentalistischen Ablehnung, die in den USA besonders stark ist, ist ihre ökonomische Beschränktheit in den USA noch viel stärker ausgeprägt als in anderen imperialistischen Ländern, z. B. in Europa.

Wer sind denn nun die Träger:innen an der Basis?

Jede dumme Idee braucht noch „Dümmere“, die sie tatsächlich umsetzen. Oder besser gesagt diejenigen, die das Leben für Frauen jetzt immer weiter zur Hölle machen, sind die radikalen Bauernopfer einer populistischen, letztlich nicht minder kapitalistischen Politik.

Sicherlich gibt es auch den Typ „klassischer“ Frauenschläger, der seinen Frust an ihnen rundum auslässt und, ohne groß darüber nachzudenken, sexistische Sprüche klopft. Allerdings hat es in den letzten Jahren einen weltweiten Backlash gegeben, der zu einer starken Politisierung des Frauenhasses geführt hat. Sicherlich ist geschlechtliche Diskriminierung der Frau dem Kapitalismus inhärent. Das hängt, wie Engels es einst beschrieb, mit patriarchalen Strukturen und der bürgerlichen Familie zusammen. Derzeit jedoch spitzt sich dieses Phänomen zu und wird unter dem Sammelbegriff „Antifeminismus“ gefasst. Hierbei geht es nicht nur gegen Vertreter:innen einer bürgerlichen oder radikal-kleinbürgerlichen Frauenbewegung, sondern gegen sämtliche Errungenschaften der Frauenrechte und Frauen per se.

Die Erosion und Krise der bürgerlichen Kernfamilie – selbst Resultat der Entwicklung des Kapitalismus – unterminiert natürlich auch die scheinbar natürliche Vorherrschaft des (weißen) Mannes. Ideologisch wird dieser Zusammenhang gleich mehrfach auf den Kopf gestellt. Erstens wird die bürgerliche Kleinfamilie selbst als überhistorisches Phänomen idealisiert. Damit werden auch gleich die Stellung des Mannes, die reaktionären Geschlechterrollen und binäre Geschlechtsidentitäten naturalisiert. Zweitens wird daraus gefolgt, dass jeder „Angriff“, jede Reform im Interesse von Frauen, trans Personen, aber im Grunde auch aller unterdrückten Klassen ein Anschlag auf eine natürliche Ordnung wäre, an deren Spitze der weiße Cismann stünde. Auch wenn dieser im globalen Kapitalismus gegenüber den wirklich Herrschenden nicht viel zu melden hat, so kann er wenigstens noch „privat“ nach unten treten.

Gruppierungen des radikalen Antifeminismus

Diese ohnmächtige, aber umso rabiatere und brutalere Wut zeigen auch die Hauptströmungen dieses Antifeminismus in den USA: Extreme Rechte, religiöse Fundamentalist:innen und Incels. Als rechte Populist:innen bis hin zu Faschist:innen sind erstere die radikalste Ausprägung des Kleinbürger:innentums. Eine Schicht, die ständig in der Angst lebt abzurutschen, in der Konkurrenz an die Wand gedrückt zu werden, zugleich aber besonders starr am Privateigentum klebt. Die dazugehörige Ideologie ist dementsprechend radikal frauenfeindlich, gepaart mit einer rassistischen und völkischen Konnotation.

Dabei wird die „Marginalisierung“ und angebliche „Diskriminierung“ der weißen Bevölkerung durch Afroamerikaner:innen, Latinas und Menschen aus Asien herbeiphantasiert. Dies fällt in den USA aufgrund der Sklaverei und Migration auf fruchtbaren Boden, wobei die Geschichte der weißen europäischen Kolonisation ausgeblendet wird. Die rassistische Vorstellung des „großen Austausches“, die sich vor allem gegen Muslime/a richtet – bildet das „europäische“ Gegenstück zu den Vorstellungen der US-Rechten.

Damit erscheinen Antidiskriminierungsgesetze in den USA als Mittel zur Zurückdrängung der „weißen Rasse“. Wie wirkmächtig diese Vorstellung mittlerweile ist, zeigen die jüngsten Urteile des Obersten Gerichts in den USA.

Eine andere radikale, männliche Ausprägung sind sog. Incels (ungewollt zölibatär lebende Männer), die sich in den letzten Jahren u. a. in Internetforen radikalisiert haben. Sie sehen es als ihr Recht an, Sex mit Frauen zu haben, inszenieren sich als Opfer von Frauenrechten und schrecken auch vor Gewalt nicht zurück. Attentate wie das in Atlanta haben das gezeigt. Auch der Trend hin zu Femiziden und die Glorifizierung von sog. „Pickup-Artists“ macht das (Über-)Leben von Frauen und Queers immer schwieriger.

Diese Entwicklungen verbinden sich mit dem wachsenden Einfluss von fundamentalistischen evangelikalen Gruppierungen. Ideologisch begründen sie ihren reaktionären Wahn mit einer biblisch vorgeschriebenen Unterordnung der Frau und faseln vom „Schutz ungeborenen Lebens“. Der Einfluss dieser Gruppe in den USA ist viel zu groß, als dass man sie unterschätzen könnte. An ihnen hängen Kapital und Infrastruktur vom Krankenhaus bis zur Universität und enormer politischer Einfluss.

Das Thema Abtreibung zeichnet in diesen Kreisen eine besonders bittere Note. Von jungen Menschen bzw. allen, die unverheiratet sind, wird oft erwartet, keusch bis zur Ehe zu leben. Gelingt das doch nicht, muss vorher muss geheiratet werden, um den Schein aufrechtzuerhalten. Doch auch ohne dass bereits ein Kind unterwegs ist, ist Sex ein Grund zur Heirat. Kein Wunder also, dass die Menschen früh heiraten und das, ohne wahrscheinlich je aufgeklärt worden zu sein über konsensualen Sex.

Nicht in allen US-Staaten gilt eine Altersgrenze fürs Heiraten. So ist es möglich, dass Mädchen mit Einwilligung der Eltern bereits verheiratet werden. UNICEF hat zwischen 2000 und 2015 mindestens 200.000 Kinderehen in den USA gezählt. Noch schlimmer für die Mädchen ist, dass Gesundheitsrechte in fundamentalistischen Kreisen oft noch eingeschränkter sind oder ihnen ganz verwehrt werden. Der Einfluss der evangelikalen Gruppierungen ist besonders stark im sog. Bible Belt, dessen Kern die ehemaligen Südstaaten bilden.

Der Sturm auf das Kapitol 2021 hat gezeigt, wie präsent, laut und gewaltbereit die US-amerikanische Rechte ist, wie gut vernetzt und wie breit ihr Spektrum. Es ist wahrscheinlich schwer auszumachen, wer genau zu welcher dieser drei Hauptgruppen gehört, da die Überschneidung der Ideologie zu einer Mainstreambewegung geführt hat, v. a. in den USA.

Warum es erstmal schlimmer wird, bevor es vielleicht besser werden kann

Der bürgerliche Liberalismus und die Demokratische Partei Bidens wollen die bürgerliche Familie durch Reform „modernisieren“ und geben sich so als Verteidiger:innen der Frauenrechte, ohne jedoch die gesellschaftlichen Grundlagen ihrer Unterdrückung anzutasten.

Die US-amerikanische Rechte will hingegen das Rad der Geschichte zurückdrehen. Der Kampf gegen das Recht auf Abtreibung und andere Frauenrechte erscheint als „Kulturkampf“, hinter dem sich ein Erzwingungs- und Überlebenskampf des Patriarchats in extremer Ausprägung verbirgt.

Erzwingung insofern, als es den radikalsten Männern schon lange egal ist, ob eine Frau wirklich Interesse an ihnen zeigt oder nicht. Desinteresse wird als Niederlage angesehen – eine, die der weiße Cismann nicht ertragen kann und die es daher eigentlich gar nicht gibt. Kein Wunder also, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur weit verbreitet ist, sondern diese auch zunehmend – in Deutschland jüngst von einem Drittel der befragten Männer – gerechtfertigt wird.

Der Kampf um das Recht auf Abtreibung wird gleichzeitig zum Überlebenskampf von Frauen. Es geht um Selbstbestimmung und ihren Platz in der Gesellschaft. Der Kampf um Abtreibung bildet dabei auch einen zur Verteidigung bzw. Rückeroberung weiblicher Selbstbestimmung.

Zum Kampf gegen Angriffe auf Frauenrechte braucht es allerdings eine Massenbewegung von Frauenorganisationen, der LGBTIAQ- und antirassistischen Bewegung, von Linken und Gewerkschaften. Um konservativen, rechtspopulistischen oder protofaschistischen Kräften das Handwerk zu legen, müssen wir Mittel des Klassenkampfes einsetzen, die notwendigerweise die Machtfrage selbst aufwerfen. Einmal mehr zeigt sich, dass der Kampf gegen Frauenunterdrückung in all ihren Formen untrennbar mit dem gegen den Kapitalismus verbunden ist.

Zur Abwehr weiterer Angriffe auf Abtreibungsrechte, aber auch zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Körper, welches selbst in Staaten mit liberaler Gesetzgebung bisher eingeschränkt ist, haben wir einige Forderungen aufgestellt, die es zu erkämpfen gilt – national und international.

  • Schluss mit den Angriffen auf Flintas!

  • Für die Aufhebung aller Abtreibungsverbote! Uneingeschränktes Recht auf Schwangerschaftsabbruch als Teil der öffentlichen Gesundheitsversorgung! Abtreibungen müssen sicher und von den Krankenkassen/öffentlichen Gesundheitsdiensten finanziert werden!

  • Schluss mit der internationalen Stigmatisierung von abtreibenden Frauen! Raus mit jedweder Religion und „Moral“ aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung!

  • Vollständige Übernahme aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat bzw. die Krankenversicherung!

  • Für den Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!



Dirty Talk. Democratic Socialists of America hängen weiter an Demokratischer Partei

Andy Yorke, Revolutionärer Marxismus 55, Juni 2023

Das Wachstum der Democratic Socialists of America (DSA, Demokratische Sozialist:innen Amerikas) auf fast 95.000 Mitglieder in den letzten Jahren der Massenkämpfe und politischen Mobilisierungen spiegelte sich in ihrem alle zwei Jahre stattfindenden nationalen Kongress in der ersten Augustwoche 2021 wider, als über 1.000 Menschen tatsächlich zusammenkamen, um über Entschließungen zu debattieren, die den weiteren Weg betreffen. Dabei zeigte sich auch eine Polarisierung innerhalb der Organisation und ein deutlicher Rechtsruck der Führung.

Während der Parteitag ein radikal-reformistisches Programm verabschiedete, wurde die Konzentration auf die Kandidatur als oder Unterstützung linke/r Kandidat:innen als Teil der Demokratischen Partei, die genauso wie die Republikanische eine Partei des Großkapitals ist, bekräftigt. Diese Ausrichtung entspricht jedoch immer weniger den Bedürfnissen der radikalen Kämpfe und Bewegungen, die in den krisengeschüttelten USA entstanden sind.

Der linke Flügel der DSA, der diese Taktik des so genannten „schmutzigen Bruchs“ ablehnt, muss die Einheitsfront nutzen, um seine eigene Uneinigkeit zu überwinden und eine koordinierte Kampagne gegen die Kandidatur oder Unterstützung demokratischer Kandidat:innen bei Wahlen zu starten und stattdessen die DSA für die Schaffung einer neuen Arbeiter:innenpartei zu gewinnen.

Ein polarisiertes Amerika

Der Zeitpunkt des Kongresses hätte nicht besser gewählt werden können, um die bisherige Arbeit der DSA und ihre zukünftigen Pläne zu untersuchen, angesichts der bedeutsamen Entwicklungen seit dem letzten Kongress. Die amerikanische Linke steht vor stürmischen Jahren unter einer wackeligen Präsidentschaft Bidens und mit einer bösartigen rechtsgerichteten Republikanischen Partei, die von ihren Hochburgen innerhalb des us-amerikanischen Gemeinwesens, der Polizei, der Justiz und dem Kongress, Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse, Frauen und Farbige startet. Der lange Niedergang der USA als imperialistische Supermacht ist durch den demütigenden Rückzug aus Afghanistan deutlich geworden. Wirtschaftlich stehen sie seit 2008 im Zentrum der historischen Depression des Kapitalismus. Politische und ökonomische Entwicklungen haben die Klassengegensätze im In- und Ausland verschärft und zu einer historischen Polarisierung geführt.

Selbst unter der relativ populären Präsidentschaft Obamas, die diesen Niedergang bis zu einem gewissen Grad kaschierte, zeigten Umfragen, dass eine Mehrheit der jungen Amerikaner:innen Bänker:innen, den  amerikanischen Großunternehmen und dem Kapitalismus feindlich gegenübersteht. [1] Dies führte dazu, dass der „unabhängige Sozialist“ Senator Bernie Sanders zum ersten sozialistischen Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei gewählt wurde, und zwar 2015/16, als er bei den Vorwahlen dreizehn Millionen Stimmen für die Nominierung erhielt, und dann weit weniger erfolgreich 2019 – 20. Beide Male blockierte ihn das mächtige Democratic National Committee (Nationales Komitee der Demokratischen Partei). Diese Klassenwidersprüche wurden mit dem Wahlsieg von Trump 2016 zur Weißglut getrieben, als sich eine offen faschistische Bewegung mit der triumphierenden populistischen Rechten der Republikanischen Partei vermischte.

Im Jahr 2018 stürzte DSA-Mitglied Alexandria Ocasio-Cortez, (AOC), einen der mächtigsten Amtsinhaber der Demokratischen Partei und wurde die erste Sozialistin, die in den Kongress einzog (als Mitglied der Demokratischen Partei), was landesweit für Aufsehen sorgte. In ihrem Windschatten kandidierte eine Reihe von DSA-Kandidat:innen für den Kongress, fast alle unter dem Firmenschild der Demokratischen Partei. Darüber hinaus gibt es viele weitere von der DSA unterstützte „fortschrittliche“ Demokrat:innen, die (wenn überhaupt) noch weniger von sich behaupten, Sozialist:innen zu sein, so dass inzwischen 150 DSA-Mitglieder oder von ihnen befürwortete Politiker:innen in Stadträten, Landesparlamenten und anderen staatlichen Gremien vertreten sind. Mit der Wahl des DSA-Mitglieds Cori Bush in den Kongress im vergangenen Jahr sitzen nun fünf DSA-Mitglieder im Repräsentantenhaus.

In der Zwischenzeit vertiefte sich die epochale Krise des Kapitalismus, als die Feuer der Klimakatastrophe von Australien bis nach Amerika loderten, und dann, bevor eine vielfach vorhergesagte Rezession im Stil von 2008 eintreten konnte, erfasste eine Pandemie das System. Historische Massenkämpfe erschütterten die letzten Jahre von Trumps Amtszeit, von der Lehrer:innenrevolte 2018, die sich über mehrere republikanisch dominierte Bundesstaaten ausbreitete, bis hin zur Black-Lives-Rebellion 2020 nach dem Polizeimord an George Floyd.

Seit ihrem Parteitag 2019 behauptet die DSA, für den Aufbau einer „unabhängigen Arbeiter:innenpartei“ zu stehen. Diese Großereignisse warfen selbst die Frage auf, wie sie aufgebaut werden soll: in erster Linie durch Massenbewegungen oder durch Wahlkampagnen, die sich an der Demokratischen Partei orientieren und diejenigen, die im Amt sind, wie Sanders und AOC, unter Druck setzen, links zu bleiben?

Welche Art von Partei?

Die DSA wuchs durch die beiden Nominierungskampagnen von Sanders, den Sieg von Trump und den viel beachteten Sieg von AOC von einer alternden Gruppe von 6.500 Mitgliedern zu der heutigen dynamischen Organisation mit einem Durchschnittsalter von 33 Jahren

und von 148 Ortsgruppen im Jahr 2019 auf 240 (und 130 Jugend-DSA-Ortsgruppen) heute. Mit einer landesweiten Präsenz in allen Bundesstaaten und Großstädten ist die DSA die größte sozialistische Organisation in den USA in den letzten hundert Jahren und hegemonial in der Linken. [2] Allein in den acht Wochen nach Beginn der Covid-Krise im März 2020 traten zehntausende Mitglieder bei, als sie sich der Organisation gegenseitiger Hilfe in der Gemeinde zuwandte. [3] Die dazugehörige Webseite und die Zeitschrift Jacobin haben die sozialistische Tradition in den Vereinigten Staaten wiederbelebt, sie buchstäblich wieder auf die Landkarte gebracht und das Interesse an den Ideen von Marx verbreitet.

Doch trotz aller Diskussionen über marxistische Persönlichkeiten, verschiedene Revolutionen und Massenstreiks in Jacobin stehen bei der DSA die Wahlen im Vordergrund. Während ihre Gewerkschaftsmitglieder und die von der Sanders-Kampagne inspirierten Aktivist:innen eine wichtige Rolle bei den Lehrkräftestreiks spielten, ist der Aufbau der Linken in den Gewerkschaften nach wie vor mit relativ wenig Ressourcen ausgestattet. Nach allem, was man hört, wurde die DSA von der Radikalität des Aufstands nach dem Tode von George von Floyd überrascht und spielte im Allgemeinen kaum eine Rolle bei der Organisation, geschweige denn bei der politischen Gestaltung der Erhebung. Die DSA-Führung, die für ihre Passivität angesichts dieser radikalen Ereignisse kritisiert wurde, rechtfertigte dies sogar mit dem Argument, dass es falsch wäre, eine Führungsrolle zu beanspruchen, und plädierte stattdessen dafür, dass ihre Abteilungen „respektvoll“ sein und versuchen sollten, Koalitionen mit bestehenden Protestführer:innen aufzubauen. Damit verzichtet sie auf den vollen Einsatz für Klassenpolitik und sozialistische Führung, fügt sich aber nahtlos in ihre Wahlstrategie ein.

Angesichts des seit Jahren ungebremsten Wachstums der DSA in alle Richtungen war es für alle ein Schock, als die nationale Direktorin Maria Svart auf dem Kongress die „ernüchternde Tatsache“ verkündete, dass „der Zuwachs an neuen Mitgliedern auf ein Rinnsal gesunken ist“ [4). Es ist eine offene Frage, ob dies eine Taktik war, um in Panik geratene Stimmen dazu zu bringen, den wahlpolitischen Status quo der DSA zu unterstützen, oder das Ergebnis von Bidens 7 Billionen US-Dollar schweren Plänen für Wohlfahrts- und Infrastrukturausgaben, die die Peripherie der DSA wieder zur Demokratischen Partei hinwenden und den Wachstumshahn für die DSA zudrehen sollten.

Die Angelegenheit des Wahlverhältnisses zur Demokratischen Partei verdeckt oft existenzielle Fragen der Partei und des Programms: Wird die DSA eine von Aktivist:innen kontrollierte Partei sein oder eine, die um gewählte Funktionär:innen herum aufgebaut ist? Sind Wahlen eine Taktik im Klassenkampf oder das zentrale Element der sozialistischen Strategie? Historisch gesehen gibt es zwei Möglichkeiten, eine Massenpartei aus der Arbeiter:innenklasse aufzubauen. Die erste konzentriert sich auf den Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung, Krieg, Imperialismus und Klimakatastrophe und fördert eine sozialistische Strategie zur Entwicklung von Kadern aus radikalen Aktivist:innen, die sich an Streiks und Massenprotesten beteiligen. Die zweite konzentriert sich darauf, mit einer Reformplattform politische Ämter zu gewinnen, indem sie einen soliden und zwangsläufig bürokratischen Wahlapparat auf der Grundlage von Politiker:innen und Parteifunktionär:innen aufbaut.

Auch wenn sich beide Parteien als sozialistisch bezeichnen, wie Rosa Luxemburg betonte, handelt es sich nicht nur um unterschiedliche Wege, um dasselbe Ziel zu erreichen. Für die erste Partei ist der Sozialismus eine Gesellschaft, in der die Wirtschaft von den eigenen Organisationen der Arbeiter:innen kontrolliert wird, die im Zuge des Klassenkampfes aufgebaut wurden. Für die zweite ist der Sozialismus durch eine gewählte Regierung einzuführen, die mit Hilfe der bestehenden staatlichen Institutionen arbeitet.

Die derzeitige DSA-Führung behauptet, sie könne beide Strategien mit dem, was sie „Klassenkampfwahlen“ nennt, verfolgen, aber das letzte Jahr, seit dem zweiten Scheitern von Sanders, hat immer deutlicher gezeigt, dass ihre Strukturen und ihr Ansatz immer mehr zu einem Wahlkampf nach Schema F tendieren, und der Parteitag 2021 hat dies zementiert. Darüber hinaus hat die wachsende Erfahrung mit „ihren“ Politiker:innen im Amt, die für kapitalistische Haushalte (sogar für Polizeibudgets) stimmen und sich dem Druck von Unternehmen, Entwickler:innen oder dem demokratischen Establishment beugen, gezeigt, dass die DSA keine Möglichkeit hat, ihre Kandidat:innen zur Rechenschaft zu ziehen, selbst wenn sie Mitglieder sind.

Der Grund dafür ist ganz einfach. Echte Marxist:innen haben nichts dagegen, bei Wahlen zu kandidieren und sich energisch dafür einzusetzen, so viele Stimmen wie möglich für ein sozialistisches Programm zu erhalten und so viele Wähler:innen wie möglich zu Aktivist:innen für die gesamte Bandbreite der Politik und der Kampagnen der Partei zu machen. Ihr Programm und ihre Politik werden jedoch nicht davon bestimmt, was die meisten Stimmen bringt, und sie glauben nicht, dass die Macht (im Gegensatz zu einem Amt) durch Wahlen errungen werden kann. Die Reformist:innen hingegen richten ihr Programm danach aus, was ihrer Meinung nach Wahlen gewinnen kann.

In Europa und einigen anderen Teilen der Welt gründete die Arbeiter:innenbewegung unabhängige Parteien. In den USA begnügten sich die Reformsozialist:innen nach mehreren gescheiterten Versuchen mit der Aussicht, die Demokratische Partei unter Druck zu setzen oder sogar selbst als Demokrat:innen aufzutreten. Auf diesem Weg gelang es selbst einem blassrosa demokratischen Sozialismus nicht, auch nur einen Wohlfahrtsstaat nach schwedischem Vorbild zu schaffen. Heute scheint der Kompromiss zwischen einer unabhängigen sozialistischen Partei und Sozialist:innen, die als Demokrat:innen auftreten oder sogar solche Mitglieder der Demokratischen Partei unterstützen, die bereit sind, sich bei schönem Wetter als Sozialist:innen zu präsentieren, in der Hoffnung auf progressive Reformen unter Biden ad acta gelegt worden zu sein.

Konsens an der Spitze

Einige bezeichneten diesen Parteitag als „Konsenskongress“, weil sich die Debatten um die Demokratische Partei stabilisiert haben. Es wurden weniger Anträge eingebracht, und für das Nationale Politische Komitee (NPC) kandidierte ein viel kleineres Feld von Bewerber:innen, das keine wirkliche Alternative zu den wichtigsten prodemokratischen Caucuses, wie die Fraktionen und Tendenzen in der DSA genannt werden, bot. [5] Ein neues, undemokratisches Verfahren, bei dem vor der Konferenz darüber abgestimmt wurde, welche Anträge als „Konsens“ angenommen werden sollten, schaltete viele aus. Der Onlinecharakter der Konferenz bedeutete, dass sie schwer zu managen und chaotisch war, aber er machte auch die Arbeit der Oppositionellen noch schwieriger. Zusammen genommen bedeuteten diese Faktoren, dass wichtige politische Veränderungen wie die neue Plattform, die Wahlstrategie und der Antiimperialismus mit fast minimaler Debatte verabschiedet wurden.

Der Rechtsruck erstreckte sich nicht nur auf die Plattform und die Wahlen. Anträge auf eine teilweise Demokratisierung der DSA, die eine Abberufung der in das NPC, das DSA-Führungsgremium, Gewählten und Wahlen für den hochrangigen Posten des/r Nationaldirektors/in vorsahen, scheiterten. Das Kräfteverhältnis im NPC verschob sich weiter in Richtung Wahlreformismus, wobei die neue „Green New Deal“-Liste das Kräftegleichgewicht hielt.

Die linken Fraktionen haben die Verabschiedung der Entschließung 8 „Auf dem Weg zu einer Massenpartei in den Vereinigten Staaten (Wahlpriorität)“ beklagt. Darin wurden die Wahlen als „einzigartige Priorität“, „ vor allen anderen Prioritäten, eingestuft. Sie verpflichtete sich, „ihren erfolgreichen Ansatz des taktischen Antritts zu Parteiwahlen auf dem Wahlzettel der Demokratischen Partei fortzusetzen“, ein Rechtsruck gegenüber dem Parteitag von 2019, der lediglich feststellte, dass „dies nicht ausschließt, dass von der DSA unterstützte Kandidat:innen taktisch auf dem Wahlzettel der Demokratischen Partei kandidieren“, um das Ziel zu erreichen, „eine unabhängige Partei der Arbeiter:innenklasse zu bilden“. [6] Dies war natürlich die offene Stalltür, durch die das prodemokratische Pferd davonlief.

In Wirklichkeit spiegelt diese offene Formel lediglich die tatsächliche Praxis der DSA wider, die sich auf Wahlen und „Machtgewinn“ konzentriert, den kapitalistischen Staat für seine wahren Herr:innen führt, indem sie Kandidat:innen als Demokrat:innen aufstellt oder, was noch üblicher ist, „progressive“ demokratische Kandidat:innen unterstützt. Im Gegensatz zur Ära vor Sanders sind fast alle Kandidat:innen, die die DSA bei Wahlen aufstellt oder unterstützt, Mitglieder der Demokratischen Partei (und nicht etwa Unabhängige, Grüne oder andere Strömungen).

Das ist nicht überraschend, denn die Orientierung auf die Demokratische Partei ist tief in der DNA der DSA verankert, und zwar seit ihrer Gründung im Jahr 1982 bis heute. Der Vater der US-Sozialdemokratie, Michael Harrington, Amerikas bekanntester Sozialist in den sechziger und siebziger Jahren, berühmt für seinen politischen Bestseller „Das andere Amerika“ von 1962, der dazu beitrug, den „Krieg gegen die Armut“ auszulösen und die Reformen der „Großen Gesellschaft“ in den sechziger Jahren beeinflusste, war in der Demokratischen Partei verwurzelt.

Er argumentierte, dass demokratische Sozialist:innen das Ziel haben sollten, der „linke Flügel des Möglichen“ zu sein und sich in der Demokratischen Partei zu beteiligen, um sie neu auszurichten, die Rechte zu besiegen und die Gewerkschaften aufzubauen, um eine sozialdemokratische Partei nach europäischem Vorbild zu schaffen. Harrington starb 1989 und mit ihm jede Aussicht auf eine Neuausrichtung. Die Demokrat:innen beschleunigten ihren Weg nach rechts, von Jimmy Carters Monetarismus und Austerität in den 1970er Jahren bis hin zu Bill Clintons offen neoliberalen, auf Recht und Ordnung ausgerichteten Regierungen mit ausgeglichenem Haushalt zwischen 1993 und 2001. Dies vervollständigte die Marginalisierung des bereits untergeordneten Flügels der Partei, der für Sozialstaat und Förderung der Unterdrückten eintrat, sich auf die Gewerkschaftsbürokratie konzentrierte und die Führer:innen der sozialen Bewegungen einbezog. Das letzte Aufbäumen der Partei war Jesse Jacksons Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur für die Demokratische Partei mit der „Regenbogenkoalition“ 1984.

Spulen wir drei Jahrzehnte zurück, und der jüngste Aufstieg der DSA spiegelt sich im Aufstieg der 2010 gegründeten Zeitschrift Jacobin wider, die eine Auflage von 75.000 Exemplaren hat und deren Webseite jeden Monat von Millionen Menschen besucht wird. Sie steht in Verbindung mit den dominierenden selbsternannten „Marxist:innen“ des Bread and Roses Caucus, B&R. (Brot-und-Rosen-Caucus) [7] Die Autor:innen von Jacobin haben die Ausrichtung der DSA auf die Demokratische Partei überarbeitet und ihr mit einer neuen „Schmutziger Bruch“-Strategie einen radikalen Anstrich gegeben. Damit wird Harringtons alte Strategie, die Demokratische Patei in eine sozialdemokratische Partei „umzuwandeln“, als unrealistisch zurückgewiesen, aber auch ein sofortiger, „sauberer“ Bruch durch die Aufstellung unabhängiger sozialistischer Kandidat:innen oder das entschiedene Eintreten für eine neue Partei jetzt.

Stattdessen sieht ihre „Klassenkampfwahl“-Strategie, der „schmutzige Bruch“, vor, dass demokratisch-sozialistische Kandidat:innen Stimmen der Demokratischen Partei in den Vorwahlen im Stil von Sanders in einem „Guerillaaufstand“ übernehmen. Ziel ist es, die zugegebenermaßen großen rechtlichen Hindernisse für Wahlanfechtungen durch Dritte zu überwinden und so ins Rennen zu kommen und Wahlerfolge zu erzielen. Sie glauben, dass der Kampf für „revolutionäre Reformen“, große strukturelle Veränderungen wie „Medicare for All“ (Gesundheitsfürsorge für alle) und den „Green New Deal“ (grüner neuer Plan), sie in die Lage versetzen wird, die für den Wiederaufbau der Arbeiter:innenbewegung erforderliche Linkskoalition aufzubauen. Erst dann sollten sie sich von der Demokratischen Partei abspalten und den Weg für eine demokratische sozialistische Regierung und den „Bruch“ mit dem Kapitalismus öffnen. Dieses linke Schema, das das Traditionsritual der Demokratischen Partei rechtfertigt, ist zur Orthodoxie der neuen jungen Massenmitglieder der DSA geworden.

Für beide Flügel der DSA, von der alten „Neuausrichtungs“-Rechten (die sich heute auf den Socialist Majority Caucus [Sozialistischer Mehrheitscaucus] konzentriert) bis hin zur schmutzigen Mitte-Links-Fraktion um Brot und Rosen, wird dies mit einer Reihe falscher Argumente begründet. Erstens behaupten sie, die Demokrat:innen seien keine echte Partei, wie auf dem Parteitag bekräftigt wurde:

„ … das US-amerikanische Parteiensystem erlaubt derzeit keine traditionellen politischen Parteien, private Organisationen mit Kontrolle über ihre Mitgliederlisten und Stimmzettel, sondern besteht vielmehr aus Koalitionen von nationalen, bundesstaatlichen und lokalen Parteikomitees, angeschlossenen Organisationen, Spender:innen, Anwält:innen, Berater:innen und anderen Agent:innen.“ [8]

Ihr zweites Hauptargument ist, dass das US-amerikanische Wahlsystem manipuliert ist, dass die Republikanische und Demokratische Partei das Mehrheitswahlrecht mit staatlichen Gesetzen blockiert haben, die es Unabhängigen und Drittparteien unmöglich machen, überhaupt auf den Wahlzettel zu kommen. Diese Hindernisse sind zwar real, aber außer für kleine Propagandagruppen nicht unüberwindbar. Diese Ausrede hat sich mit dem Wachstum der DSA als immer hohler erwiesen, denn eine Partei mit einer großen Anzahl von Mitgliedern in den Städten kann diese Hindernisse umgehen. Die Frage ist nicht, welche Möglichkeiten der DSA offenstehen, sondern die prodemokratische Politik der führenden Kräfte der DSA, von Sozialistischer Mehrheit, Brot und Rosen und des neuen Akteurs, des Green New Deal Caucus.

Der schmutzige Bruch auf Nimmerwiedersehen

Die Strategie des schmutzigen Bruchs wurde entwickelt, um die Ausrichtung auf die Demokratische Partei nach der Niederlage von Sanders im Jahr 2016 zu rechtfertigen, aber nach dem AOC-Erdbeben diente sie als Deckmantel für die enorm ausgeweitete Nutzung der Demokratischen Partei, entgegen dem ultimativen erklärten Ziel der DSA, mit der Partei zu brechen, um eine Arbeiter:innenmassenpartei zu gründen, das auf ihrem Parteitag 2019 verabschiedet wurde. Selbst hier hält die DSA-Linke eine einstudierte Zweideutigkeit aufrecht, wobei der Widerspruch durch ausweichende Formeln überdeckt wird. Der Erfinder des Begriffs „schmutziger Bruch“, Eric Blanc, plädierte am Beispiel der Minnesota Farmer Labor Party in den frühen 1920er Jahren für einen zweistufigen Ansatz, bei dem die Sozialist:innen als Demokrat:innen auftreten, bis die Partei gezwungen ist, sich zu verteidigen, und die Gesetzgeber:innen der Bundesstaaten die Wahlgesetze weiter einschränken, die Aufständischen rausschmeißen und sie in eine unabhängige Existenz zwingen. Die einflussreichste (und erste) Formulierung dieser Strategie (Seth Ackermans Artikel „A Blueprint for a New Party“ (Blaupause für eine neue Partei) von 2016) besteht jedoch darauf, dass eine neue Arbeiter:innenpartei die Wahlkampflinie immer noch als „zweitrangige Frage“ betrachten würde und ihre Kandidat:innen immer noch als Demokrat:innen aufstellen könnte – kaum eine überzeugend klingende Erklärung der Unabhängigkeit! [9]

Neben dem Hin und Her der Debatten innerhalb von Jacobin und der linken Fraktionen darüber, wie, wann und wo Schritte in Richtung eines schmutzigen Bruchs unternommen werden sollten, ist der rechte Flügel in aller Stille mit der Post-AOC-Flut weitergeschwommen, hat die Wahlarbeit vorangetrieben und die Unterstützung für Demokrat:innen, ob progressiv oder nicht, auf lokaler und nationaler Ebene verteidigt. Wie der rechtsgerichtete deutsche sozialdemokratische Politiker Ignaz Auer bekanntlich feststellte, „sagt man solche Dinge nicht, man tut sie einfach“. Die Zahl der Kandidat:innen, die als Demokrat:innen in das Wahlrennen gehen oder unterstützt werden, hat sich zur Norm ausgeweitet, und es gibt nur sehr wenige Unabhängige, ebenso wie die Zahl von 150, die in ein Amt gewählt wurden – warum sollte man also das Ruder herumreißen? Nur in entscheidenden Momenten sah sich die Rechte gezwungen, sich einer Politik zu widersetzen, die sie als schädlich für ihre Ausrichtung auf die Demokratische Partei ansieht, z. B. wenn die mangelnde Rechenschaftspflicht der neu gewählten DSA- oder progressiven Demokrat:innen zu Gegenreaktionen in Anbetracht  ihrer Abstimmungen gegen die DSA-Politik geführt hat.

Dies geschah erstmals, nachdem der DSA-Kongress 2019 dafür gestimmt hatte, bei den Präsidentschaftswahlen 2020 keine/n demokratischen Kandidat:innen außer Sanders zu unterstützen. Nachdem Joe Biden nominiert wurde und Trump seine Wiederwahlkandidatur einleitete, veröffentlichten Hunderte prominenter DSA-Führer:innen und lokaler Organisator:innen einen offenen Brief, in dem sie erklärten, sie würden sich dafür einsetzen, ihn zu besiegen, mit anderen Worten, sie würden sich für Biden einsetzen, und rieten anderen, dasselbe zu tun. [10]

Anfang 2020 wurden AOC und andere von der DSA unterstützte Kongressabgeordnete im Rahmen der Kampagne #ForceTheVote (Stimmen erzwingen) zu Medicare for All (Gesundheitsvorsorge für alle), einer der wichtigsten Strukturreformforderungen der DSA, unter Druck gesetzt, ihre Unterstützung für Nancy Pelosi als Sprecherin des Repräsentantenhauses zurückzuhalten, bis eine Abstimmung garantiert sei. AOC und die DSA-Führung wiesen diesen Druck in einer offiziellen Erklärung zurück und beriefen sich dabei auf technische Schwierigkeiten. [11]

Nun hat eine Welle der Empörung darüber, dass DSA-Mitglied und Kongressabgeordneter Jamaal Bowman für Militärhilfe an Israel gestimmt und an einer offiziellen, von der israelischen Regierung organisierten Reise nach Israel teilgenommen hat, entgegen der klaren DSA-Politik, die die palästinensische Kampagne für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) gegen Israel unterstützt, eine neue Krise ausgelöst. Vorhersehbar hat der rechte Flügel eine Erklärung gegen die Forderung nach seinem Ausschluss veröffentlicht, in der er sich für „Einigkeit, nicht Einstimmigkeit“ ausspricht. Diese Rückkehr zu Harringtons Sichtweise der DSA als „linker Flügel des Möglichen“, der innerhalb der Demokratischen Partei dahinvegetiert, zeigt, dass all die radikalen Denkanstöße, Debatten und die Geschichte des Klassenkampfes in Jacobin, so wertvoll sie auch sind, kaum mehr als ein Deckmantel für das „Weiter so“ waren.

Der Parteitag 2021 war also eher eine Formalisierung der DSA-Praxis als eine dramatische Verschiebung nach rechts. Wenn überhaupt, dann verbarg der Antrag von 2019 den zunehmenden Einsatz der Demokrat:innen, und die wichtigere Veränderung liegt wohl eher in der Organisation als in der Sprache. Das Nationale Wahlkomitee stellt bereits sicher, dass die Wahlarbeit die einzige ist, die eine maßgebliche, gut ausgestattete nationale Leitung hat, und stellt damit die ohnehin schwache Demokratisch-Sozialistische Laborkommission in den Schatten (Arbeit in Arbeiter:innenorganisationen ist auch eine Priorität der DSA, wenn auch nicht als „einzigartig“ deklariert). [12] Resolution 8 fügt eine weitere Organisationsebene mit landesweiten Gremien zur Unterstützung der Wahlarbeit hinzu. In einer zersplitterten DSA, die nur auf Ortsgruppen- und Wohnviertelebene organisiert ist, wird die DSA dadurch noch stärker auf diesen opportunistischen Wahlkampf ausgerichtet (und zentralisiert).

Die Linke unterlag auf dem Parteitag auf ganzer Linie, indem sie Entschließungen oder Änderungsanträge verlor, die auf eine Stärkung oder Beschleunigung der Schritte zum „schmutzigen Bruch“ abzielten. Die prodemokratische Ausrichtung spiegelt zweifellos die Ansichten der Mehrheit der DSA-Mitglieder wider, zu denen Zehntausende von relativ neuen, unerfahrenen und oft inaktiven Mitgliedern gehören, die im Rahmen dieser Taktik angeworben wurden. Die Zahl der DSA-Mitglieder hat sich seit Beginn der Coronapandemie fast verdoppelt, aber nur 10 – 15 Prozent nehmen regelmäßig an Aktivitäten teil.

In einer neuen Wendung schließt sich die DSA mit Entschließung 14 dem Forum von São Paulo an und erklärt sich unkritisch mit dessen sozialdemokratischen und linkspopulistischen Parteien und Regierungen solidarisch, einschließlich des autoritären Regimes von Maduro in Venezuela, obwohl dies mit 35 Prozent abgelehnt wurde. Die zunehmende antiimperialistische Politik, die sich innerhalb der DSA entwickelt, ist zu begrüßen, aber dies ist ein Rückschritt und bis zu einem gewissen Grad ein Zurückrudern hinter die Entscheidung des Parteitags von 2017, die reformistische, weitgehend neoliberalisierte Zweite Internationale zu verlassen, und sagt gleichzeitig viel darüber aus, welche Art von Partei die DSA aufbauen will. Sozialistinnen und Sozialisten müssen eine bedingungslose Verteidigung dieser Parteien vor der Rechten, national und international, mit praktischer Solidarität und Unterstützung für den linken Flügel, die Arbeiter:innenklasse oder unterdrückte Gruppen verbinden, die sich ihren Kürzungen und Kompromissen an der Macht widersetzen. Sie sind die einzige Kraft, die diese Regierungen wirklich von unten verteidigen, weitere Reformen von ihnen erzwingen und schließlich über ihre Grenzen hinausgehen kann, um den Weg zum Sozialismus zu öffnen, durch Massenkampf und Revolution.

Trotz des scheinbaren Konsenses zeichnet sich innerhalb der DSA eine Polarisierung ab, wie die Abstimmungen zu wichtigen Resolutionen zeigen. Die Plattform selbst wurde nur mit einer knappen Mehrheit von 43 Prozent angenommen, und 23 Prozent stimmten gegen die Resolution R8 zu den Wahlen. Neue Fraktionen und Tendenzen haben sich auf dem linken Flügel der DSA ausgebreitet, am dramatischsten mit dem Beitritt der Sozialistischen Alternative (SAlt), der größten verbliebenen Organisation, die sich in den USA als trotzkistisch bezeichnet, die einen Teil ihrer Mitglieder entsandt hat, darunter das prominente Mitglied und Abgeordnete des Stadtrats von Seattle Kshama Sawant, die 2014 gegen die Demokrat:innen gewählt wurde. Der dominierende Brot-und-Rosen-Caucus, der sich in der Mitte der DSA befindet, spaltete sich in seiner Unterstützung für Änderungsanträge zur Beibehaltung der 2019 eingegangenen Verpflichtung, eine unabhängige Partei zu gründen, mit 45 Prozent dagegen, was die Möglichkeit einer politischen Neuzusammensetzung zeigt, die die B&R-Linke befreien würde.

Die große Zahl der oppositionellen Stimmen zeigt das Potenzial für eine Organisierung, die sich von der Demokratischen Partei löst. Die Teilnahme an Streiks und Kämpfen in den kommenden zwei Jahren ist neben der politischen Debatte von entscheidender Bedeutung, um die vielen neuen Mitglieder als Aktivist:innen und ihr Verständnis für sozialistische Strategien zu entwickeln. Die Frage bleibt, ob ein bedeutender Teil der DSA-Linken seine eigene Verwirrung über den schmutzigen Bruch aufklären, ihn als „Taktik“ zurückweisen und sich zusammenschließen kann, um für einen sauberen Bruch mit den Demokrat:innen und eine neue Arbeiter:innenpartei entschlossen aufzutreten.

Marxismus und die DSA

Neben der Position zu den Wahlen und der Demokratischen Partei stellt sich die Frage nach der sozialistischen Strategie der DSA, die mit ihrem Anspruch verbunden ist, die Ideen von Marx zu vertreten. Es bleibt die Frage, wie dieses Ziel erreicht werden soll: durch Massenkämpfe der Arbeiter:innenklasse, die durch eine Revolution eine alternative, demokratische Macht zum kapitalistischen Staat schaffen, oder dadurch, dass eine sozialistische Mehrheit in die Regierung gewählt wird und über Jahre oder Jahrzehnte hinweg der Staat und der Kapitalismus in den Sozialismus umgewandelt werden, friedlich, wie sie hoffen. Der springende Punkt ist, ob die DSA für die Selbstermächtigung der Arbeiter:innenklasse und ihre politische Unabhängigkeit steht, das Herzstück der Marx’schen Politik, oder für eine Version des Sozialismus „von oben“, die in Wirklichkeit den sozialistischen Übergang blockiert und es dem Kapitalismus ermöglicht fortzufahren oder, schlimmer noch, sich an der Bewegung zu rächen.

Der linke Flügel der DSA um die Zeitschrift Jacobin würde empört gegen die Bezeichnung „Sozialismus von oben“ protestieren. Doch das gesamte Meinungsspektrum ist sich über diese grundlegenden Punkte einig. Der der Sozialdemokratie nahestehende Jacobin-Gründer Bhaskar Sunkara legt seine Version des demokratischen sozialistischen Schemas oder der Strategie in seinem 2019 erschienenen Buch The Socialist Manifesto (Das sozialistische Manifest) vor, das weithin als die wichtigste Fibel für demokratisch-sozialistisches Denken gilt:

„Demokratische Sozialist:innen müssen sich entscheidende Mehrheiten in den Parlamenten sichern und die Vorherrschaft in den Gewerkschaften gewinnen. Dann müssen unsere Organisationen bereit sein, unsere soziale Macht in Form von Massenmobilisierungen und politischen Streiks einzusetzen, um der strukturellen Macht des Kapitals entgegenzuwirken und sicherzustellen, dass unsere Führer:innen die Konfrontation der Anpassung an die Eliten vorziehen. Nur so können wir nicht nur unsere Reformen dauerhaft machen, sondern mit dem Kapitalismus ganz brechen und eine Welt schaffen, in der der Mensch vor dem Profit steht.“ [13]

In dem radikaleren, populären Jacobin-Buch über die DSA-Strategie, Bigger than Bernie (Größer als Bernie Sanders), sehen die Autor:innen eine gewählte demokratische sozialistische Regierung voraus, „die die Staatsmacht ausübt, um den Weg für diese Bewegungen freizumachen, während sie sich ihren Klassenfeind:innen stellen“, obwohl sie zugeben, dass es kein „Kinderspiel sein wird, den Kapitalismus zu beseitigen, selbst mit unseren Leuten an der Macht“! [14] Eric Blanc, der in Bigger than Bernie zitiert wird und der radikalste der B&R/Jacobin-Führer ist, erkennt an:

„Sozialist:innen müssen damit rechnen, dass ernsthafte antikapitalistische Veränderungen notwendigerweise außerparlamentarische Massenaktionen wie einen Generalstreik und eine Revolution erfordern, um die unvermeidliche Sabotage und den Widerstand der herrschenden Klasse zu besiegen.“ [15]

Wie alle demokratischen Sozialist:innen lehnt er jedoch jede Strategie der Doppelherrschaft und des Aufstands zugunsten einer gewählten demokratischen sozialistischen Regierung, die den sozialistischen Übergang überwacht, entschieden ab. Jede Strategie, die Doppelherrschaft und Aufstand ablehnt, in welcher Form auch immer, d. h. die Machtergreifung gegen den alten Staat, ist ein Bruch mit Marx und der Selbstermächtigung der Arbeiter:innenklasse.

Der Begriff „Doppelherrschaft“ wurde erstmals von Lenin verwendet, um die Situation in Russland nach der ersten demokratischen Revolution im Februar 1917 zu beschreiben, als Arbeiter:innenräte (oder, auf Russisch, Arbeiter:innensowjets), unterstützt durch die Waffen revolutionärer Soldat:innen und Betriebs- und Parteimilizen, neben einer bürgerlichen Regierung existierten. Die Bolschewiki führten den erbitterten Kampf gegen die Unterdrückung dieser Räte, die die bürgerlichen Regierung schließlich in der Oktoberrevolution stürzten, und setzten eine Räteregierung ein, um die Revolution zu vertiefen, zu verteidigen und im Ausland zu verbreiten. Sie verstanden ihre Revolution als die erste von vielen in ganz Europa, die gemeinsam den Weg zum Ziel des Sozialismus, ihrem Ziel des Sozialismus, sichern würden. Andere revolutionäre Bewegungen, vor allem die in Deutschland, wurden jedoch besiegt und ließen Sowjetrussland isoliert zurück. Obwohl es einen schrecklichen Bürger:innenkrieg überlebte, führte diese Isolation dazu, dass sich innerhalb des Parteistaats eine mächtige Bürokratie entwickelte, die Jahre später, 1928, unter Stalin die Macht übernahm. [16]

Doppelherrschaft ist ein Merkmal jeder größeren Herausforderung des Kapitalismus, von Russland 1917 über Spanien in den dreißiger Jahren bis zu Chile in den siebziger Jahren. Sowjetähnliche Einrichtungen entstanden in Krisenzeiten aus verschärften Klassenkämpfen, die um Kontrolle über die Produktion rangen und schließlich die Macht des kapitalistischen Staates herausforderten. Das bedeutet in erster Linie, die Bewegung gegen Polizei und faschistische Banden zu verteidigen und schließlich die Armee zu spalten, um einen Teil auf ihre Seite zu bringen. Nur eine mächtige Massenbewegung der Arbeiter:innenklasse hat die soziale Macht und vor allem die politische Autorität, um einen solchen Appell auszusprechen, die Soldat:innen zu gewinnen und den Einsatz der Armee durch die Kapitalist:innen zu verhindern, wie neuere Beispiele aus Argentinien, Bolivien und Venezuela aus den frühen 2000er Jahren zeigen.

Nur wenn solche Bewegungen Arbeiter:innenräte hervorbringen, können sie die Macht als „Kommune“staat übernehmen, der auf Arbeiter:innendemokratie und bewaffneter Macht beruht. Marx nannte dies die Diktatur des Proletariats, weil die Arbeiter:innenklasse durch ihre demokratischen Räte die herrschende Klasse sein würde, die die alten Ausbeuter:innenklassen und ihre Konterrevolution in Schach hält, bis sie im sozialistischen Übergang entscheidend absterben.

Die revolutionäre Dritte Internationale einte die Vorstellung, es sei möglich, wenn auch sehr unwahrscheinlich, dass eine echte Arbeiter:innenregierung, die sich der Abschaffung des Kapitalismus verschrieben hat, durch Wahlen an die Macht kommen kann. Sie könne sich aber nur dann halten und mit dem Kapitalismus brechen, wenn sie sich auf Arbeiter:innenräte und Milizen stützt, wenn sie eine andere, die Doppelmacht entwickelt, die letztlich an die Stelle von Polizei und Militär tritt. [17]

Die erste Frage, die sich den „Jacobins“ stellt, lautet, wie sie die Entwicklung der Doppelherrschaft in den radikalen Massenkämpfen, die ihrer Meinung nach notwendig sind, verhindern würden. Durch Demobilisierung der Arbeiter:innenklasse über die Gewerkschaftsbürokratie? Oder durch die gewalttätigeren Methoden der Polizei, wie es die deutsche Sozialdemokratie in der Revolution von 1918 tat? Welche andere Kraft könnte sie aufhalten? Noch grundlegender ist, dass, wenn Arbeiter:innenräte ausgeschlossen werden, nur eine Macht übrig bleibt: die Regierung der demokratischen Sozialist:innen, und diese ist die Agentur für den Aufbau des Sozialismus. Die Ablehnung der Doppelherrschaft bedeutet also nicht die Ablehnung eines revolutionären Weges zum Sozialismus zugunsten eines demokratisch-sozialistischen Weges. Es bedeutet, dass nicht die Arbeiter:innenklasse durch ihre eigenen Organisationen, sondern die demokratisch-sozialistische Regierung die Trägerin der Emanzipation ist. Dies ist eindeutig eine Version des „Sozialismus von oben“, und alles Gerede über parallele Bewegungen und Volksinstitutionen dient nur dazu, die Tatsache zu verschleiern, dass Erstere in diesem Schema keine Macht haben.

Eine solche Regierung würde nämlich selbst mit dem Rest des Staatsapparats konfrontiert werden, der immer noch verfassungstreu ist und zweifellos regierungsfeindliche Mobilisierungen fördert. Unabhängig davon, wie links die Führer:innen der Regierung auch sein mögen, ist dies nicht ein fataler Fehler in dem Modell? Sicherlich lassen die Erfahrungen von Sanders, AOC und anderen wie Bowman einen Übergang zum Sozialismus mit ihnen am Ruder unwahrscheinlich erscheinen. Das linke DSA-Schema für eine gewählte Regierung ist ein Rezept für das Scheitern und in Wirklichkeit ein Bruch mit dem Marxismus, zu dem sich Sunkara, Blanc, Jacobin und die DSA selbst alle bekennen.

Marx und Engels vertraten „von Anfang an“ den Grundsatz, dass „die Emanzipation der Arbeiter:innenklasse das Werk der Arbeiter:innenklasse selbst sein“ muss. (18) Zweitens hielten sie die politische Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse für grundlegend, um sie zu einer „herrschaftsfähigen“ Klasse zu machen, die über die Organisation, die Erfahrung und das Bewusstsein verfügt, die notwendig sind, um die Macht durch Revolution zu erringen, ihren Arbeiter:innenstaat und ihre Regierung zu verteidigen und den Sozialismus aufzubauen. Dies war die wichtigste Lehre, die sie unmittelbar aus der Niederlage der Revolution von 1848 zogen. [19] Statt der demokratisch-sozialistischen Strategie der „Umwandlung“ des Staates in einen sozialistischen, schrieb Marx, dass der kapitalistische Staat „zerschlagen“ werden müsse. Wie dies genau geschehen konnte, zeigte 1871 die Pariser Kommune, deren Herrschaft durch abrufbare Delegierte Marx als „Diktatur des Proletariats“ bezeichnete. Dieses Konzept war so wichtig, dass Marx und Engels sagten, es sei die einzige größere Änderung, die sie am Kommunistischen Manifest von 1848 vorgenommen hätten, wenn es nicht bereits ein historisches Dokument gewesen wäre, das sie nicht ändern durften. [20]

Insbesondere betonten sie zustimmend, dass die Kommune „kein parlamentarisches, sondern ein arbeitendes Organ“ sei, das legislative und exekutive Funktionen verbinde, das auf abrufbaren Delegierten auf der Grundlage des Durchschnittslohns der Arbeiter:innen beruhe, die aus den Arbeiter:innenbezirken und Basisorganisationen gewählt würden, was die Erfahrungen der Sowjets in Russland vorwegnahm. Und natürlich kam die Pariser Kommune durch einen erfolgreichen Aufstand der plebejischen Nationalgarde gegen die offizielle Armee an die Macht, was die DSA-Mitglieder vergessen, wenn sie versuchen, sie der bolschewistischen Erfahrung gegenüberzustellen.

Die DSA und die Jacobin-Anhänger:innen erheben keine dieser Maßnahmen zur Kontrolle und Rechenschaftspflicht. Sie klammern sich an das Schema einer normal gewählten Regierung, die sich auf eine parlamentarische Mehrheit stützt und den Sozialismus im Laufe vieler Legislaturperioden und sogar Jahrzehnte einführt, ohne auch nur einen Grad der Mobilisierung der Arbeiter:innenklasse zu erreichen, der einer Doppelherrschaft gleichkäme.

Marx und die Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse

Als Marx gegen den Verrat der „kleinbürgerlichen Demokrat:innen“ in den Revolutionen von 1848 in Europa argumentierte, wies er sogar ausdrücklich das Argument des „kleineren Übels“ zurück, das in der einen oder anderen Form vorgebracht wird, um die Wahl der Demokratischen Partei heute in den USA zu rechtfertigen, und demontierte jedes seiner Argumente:

„Selbst dort, wo es keine Aussicht auf eine Wahl gibt, müssen die Arbeiter:innen ihre eigenen Kandidat:innen aufstellen, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren, um ihre eigene Stärke zu messen und um ihre revolutionäre Position und ihren Parteistandpunkt in der Öffentlichkeit bekanntzumachen. Sie dürfen sich nicht von den leeren Phrasen der Demokrat;innen in die Irre führen lassen, die behaupten werden, dass die Arbeiterkandidat:innen die demokratische Partei spalten und den reaktionären Kräften die Chance auf einen Sieg bieten würden. All dieses Gerede bedeutet im Endeffekt, dass das Proletariat betrogen werden soll. Der Fortschritt, den die proletarische Partei durch eine solche unabhängige Arbeit machen wird, ist unendlich wichtiger als die Nachteile, die sich aus der Anwesenheit einiger weniger Reaktionär:innen in der Vertretungskörperschaft ergeben.“ [21]

Bei allen schrecklichen Folgen des Trump-Siegs 2016 erwies sich diese Einschätzung von Vorteil und Nachteil als richtig, was durch den Sieg Bidens unterstrichen wurde, dessen magere Sozialmaßnahmen, so willkommen sie auch waren, bevor sie vom demokratischen Kongress ausgeweidet wurden, einfach in eine Kluft der sozialen Not gefallen wären, die sich in den letzten Jahrzehnten in den neoliberalen USA entwickelt hat. Marx und Engels waren unerbittlich gegen britische Gewerkschaftsführer:innen, die als Liberale auftraten, entgegen der lächerlichen Behauptung von Blanc, dass dies die Kräfte für die Gründung der Labour Party stärkte. Sie tat dies nur negativ, als Ablehnung und Reaktion auf diesen groben Opportunismus, der die Entwicklung zu einer Arbeiter:innenpartei jahrzehntelang blockierte. Die Sozialistische Partei von Eugene Debs, auf die sich Sanders und die DSA berufen, sowie Karl Kautsky, der marxistische Theoretiker der Zweiten Internationale, der in DSA-Kreisen immer beliebter wird, bestanden unbeirrt auf politischer Unabhängigkeit von den Parteien der Bourgeoisie und waren keines Sinnes, die Demokrat:innen zu unterstützen, geschweige denn als solche aufzutreten! [22]

All diese Zitate und Positionen sind der DSA-Linken wohlbekannt, ebenso wie die Formel, die den Opportunismus als das Ausnutzen kurzfristiger Vorteile auf Kosten von Prinzipien definiert. Das gilt auch für die nichtjakobinische Linke in der SAlt, den Reform und Revolution Caucus, die Tempest (Sturm)-Webseite oder marx21, die sich ihr anschließen: Keine von ihnen war in der Lage, der Anziehungskraft in Richtung Demokratische Partei zu widerstehen, die mit Sanders begann. Alle diese „revolutionären“ Alternativen zum B&R-Caucus akzeptieren, wenn auch widerwillig, die „Taktik“ der Wahlkampflinie der Demokratischen Partei, zumindest für den Moment. Ja, es ist eine Taktik, eine opportunistische Taktik. Die Taktik sollte sich aus der Strategie ergeben, und die Priorität der sozialistischen Linken in den USA sollte darin bestehen, sich mit allen Mitteln des Klassenkampfes, einschließlich Wahlen, für eine unabhängige Partei der Arbeiter:innenklasse zu engagieren. Das hindert Sozialist:innen nicht daran, bei Wahlen anzutreten, wo dies sinnvoll ist, aber es bedeutet, sich von den Demokrat:innen zu lösen und die Kandidatur von Arbeiter:innen in Groß- und Industriestädten mit der Agitation für eine neue Partei zu verbinden, die sich an die Linke in den Gewerkschaften, die radikalen Flügel der sozialen Bewegungen und Jugendorganisationen wie die DSA-Jugendverbände richtet.

In diesem Sinne hat der von Schwarzen angeführte Aufstand gegen die Polizei im Jahr 2020 mehr Reformen angestoßen und mehr dazu beigetragen, die Legitimität und den Handlungsspielraum der Polizei zu untergraben, als jede noch so große Anzahl von DSA-unterstützten Progressiven oder Strukturreformkommissionen, die sich mit Medicare for All oder dem Green New Deal beschäftigen. Lenin unterstrich die zentrale Bedeutung des Klassenkampfes für die Entwicklung des Klassenbewusstseins mit Worten, die speziell für dieses historische Ereignis hätten geschrieben werden können, dessen Folgen noch nicht vollständig abzusehen sind:

„Die wirkliche Erziehung der Massen kann niemals von ihrem selbstständigen politischen und vor allem revolutionären Kampf getrennt werden. Nur der Kampf erzieht die ausgebeutete Klasse. Nur der Kampf offenbart ihr das Ausmaß ihrer eigenen Macht, erweitert ihren Horizont, steigert ihre Fähigkeiten, klärt ihren Verstand, schmiedet ihren Willen.“ [23]

Der Beweis dafür, dass das Eintreten für die Demokratische Partei auf deren Wahlzetteln nicht nur eine Taktik, sondern eine Strategie ist, wird durch die Entwicklung der Intervention der DSA bei den Demokrat:innen selbst erbracht. Anstelle des alten sozialdemokratischen Slogans „keinen Mann, keinen Pfennig“ für dieses verrottete System, folgen DSA-Politiker:innen der Parteidisziplin, wenn sie für den Haushalt stimmen oder sich enthalten. DSA-Mitglieder im Amt haben sogar (direkt gegen die DSA-Politik) als Teil der Demokratischen Partei für Polizeibudgets gestimmt, während drei DSA-Kongressabgeordnete (AOC, Jamaal Bowman und Rashida Tlaib) sich eher der Stimme enthielten, als gegen die Erhöhung der Mittel für die Kapitolspolizei im Zuge des Trump-Putsches zu stimmen. Diese Kräfte werden hauptsächlich gegen Proteste der Linken, der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten eingesetzt. [24] AOC lehnt wie die anderen DSA-Politiker:innen eine Stimme für rechte Demokrat:innen nicht ab und rief beispielsweise 2018 dazu auf, sich „hinter alle  Kandidat:innen der Demokratischen Partei zu stellen“, einschließlich Andrew Cuomo, dem rechtsgerichteten Ex-Gouverneur von New York. [25] Das sind keine Sozialist:innen im Kongress, sondern linke Demokrat:innen, die zum „progressiven“ Flügel gehören. Sie haben nicht die Absicht, sich von der Demokratischen Partei zu trennen, es sei denn, sie werden ausgeschlossen. Im März 2021 erreichte die Ausrichtung auf die Demokratische Partei eine weitere Stufe, als fünf von der DSA unterstützte Kandidat:innen, vier davon Mitglieder, tatsächlich die Führung der DP von Nevada gewannen und die Partei nicht mehr nur „benutzten“, sondern leiteten! Die Schlussfolgerung ist klar: Die Demokratische Partei gehört nicht zum Taktikarsenal der DSA, die DSA ist der linke Flügel dieser Partei!

Das fast völlige Fehlen von Mechanismen oder einer Debatte über die Rechenschaftspflicht, selbst in der DSA-Linken, ist der konkreteste Beweis für das oberflächliche Engagement für eine weit entfernte sozialistische Transformation zugunsten von kurzfristigem Erfolg und Wachstum. In der offiziellen Wahlstrategie der DSA, die sich über vierzehn detaillierte Seiten erstreckt, wird die Frage der Rechenschaftspflicht für ihre Kandidat:innen nicht einmal erwähnt, ebenso wenig wie in der Resolution 8 des Konvents, während die Änderungsanträge, die zumindest versuchten, den Kandidat:innen einige Kriterien aufzuerlegen, abgelehnt wurden. [26] Jacobin seinerseits enthält nur wenige Artikel, wenn überhaupt, die sich mit der Frage der Rechenschaftspflicht befassen. Bigger than Bernie, das sich als großes Buch über die Strategie der demokratischen Sozialist:innen darauf konzentrierte, den Erfolg des DSA-Wahlkampfs und der Unterstützung für die Demokratische Partei zu rechtfertigen (und zu übertreiben), ist an mehreren Stellen gezwungen, das Thema anzusprechen. Doch am Ende kann es nur die lahme Schlussfolgerung ziehen, dass die DSA „keine vollständig durchdachte Methode zur Disziplinierung ihrer Wahlkandidat:innen hat“. Ihre unzureichende Lösung besteht darin, mehr Kader zu „prägen“ und sie als Kandidat:innen aufzustellen, „die organisch aus der DSA selbst hervorgegangen sind … echte DSA-Kandidat:innen, die vom politischen Programm der Organisation durchdrungen sind und sich als engagierte sozialistische Organisator:innen erwiesen haben“. (27)

Doch die Geschichte ist voll von Linken, die unter den undemokratischen Strukturen der Gewerkschaften zu Bürokrat:innen wurden, oder von reformorientierten Politiker:innen, die im Amt dem Druck durch übertrieben komplizierte Beschränkungen und Vorschriften, Unternehmenslobbyist:innen und anderen mächtigen Interessen erlagen. AOC selbst hat diesen enormen Druck eingeräumt, und er erklärt viele ihrer Zugeständnisse. Nur Sozialist:innen, für die Wahlen eine Taktik sind, nicht der Königsweg zu sozialistischem Wandel, und die sich der Parteidisziplin unterordnen, könnten einem solchen Druck standhalten oder zumindest auf Linie gehalten werden.

Das „Big-Tent“-(Großes Zelt)-Parteimodell der DSA ist in Verbindung mit dem Wahlsystem nur ein Rezept dafür, dass die Amtsinhaber:innen ein nicht rechenschaftspflichtiger, aber immer mächtigerer Kern über der Demokratie der Partei bleiben. Der Pluralismus, der gegen die vermeintlich „monolithische“ revolutionäre Linke gefeiert wird, ist letztlich nur für sie. [28] Der heuchlerische, in sich widersprüchliche Ruf der Rechten nach „Einheit, nicht Einstimmigkeit“ in der Bowman-Kontroverse unterstreicht dies: Sein Recht, seine eigene politische Linie zu bestimmen, bricht in Wirklichkeit die Einheit mit den Mitgliedern und ihren demokratischen Entscheidungen. Dieser Stab von Politiker:innen und der Wahlapparat der DSA werden auf Kosten der Demokratie, der Radikalität und letztendlich der Stabilität der DSA wachsen. Die Linke tut gut daran, einen Blick auf die griechische Linkspartei Syriza zu werfen, die ebenfalls auf Wahlen fokussiert ist, und wie sie sich parallel zu ihren Wahlerfolgen in Richtung Bürokratie entwickelt hat, wobei die neuen Strukturen die Linke zunehmend marginalisieren. [29]

Dieser Flügel der Partei will eine DSA, die sich stark von den Mitgliedern unterscheidet, die in vielen Städten den Wunsch geäußert haben, über den Wahlkampf hinauszugehen und sich im Klassenkampf zu engagieren. Wenn er Erfolg hat, würde das alle Probleme der alten Sozialistischen Partei von Debs wieder aufleben lassen, in der die 1.000 gewählten Mandatsträger:innen rechts von den Mitgliedern standen, in der Praxis reformistisch waren und oft andere bürgerliche Vorurteile wie Rassismus an den Tag legten und sich jeder echten Kontrolle entzogen, und letztlich die Linke besiegten und vertrieben. Doch diese Lektion in Sachen Rechenschaftspflicht wird nicht nur von der Rechten, sondern auch Linken in der DSA ignoriert. [30] Stattdessen ist eine Übertreibung des Radikalismus der linken Demokrat:innen, ob DSA-Mitglieder oder nicht, zwangsläufig Teil der DSA-Orientierung und notwendig, um sie zu rechtfertigen. Dies ist auch ein schwerwiegender Fehler in der gesamten Arbeit von Jacobin.

Die Kontroverse, die über Jamaal Bowman ausgebrochen ist, ist nicht die erste, sondern nur die eklatanteste Zerrüttung der DSA-Politik im Amt. DSA-Mitglieder und -Aktivist:innen müssen auf seinen Ausschluss drängen, als ersten Schritt zur Neuausrichtung der Partei weg von den Demokrat:innen und zum Aufbau von Verantwortlichkeit für Führungskräfte und gewählte Amtsträger:innen, ohne die es keine sinnvolle Demokratie gibt.

Die Linke debattiert über den schmutzigen Bruch

Die weit verbreitete Begeisterung für die Idee des „schmutzigen Bruchs“ hat dazu geführt, dass sie unter den jungen radikalen Aktivist:innen der DSA zu einer neuen Orthodoxie geworden ist, die durch die Wahlerfolge nur noch gefestigt wurde. Die DSA-Linke ist gegen diesen Druck nicht immun, ein Teil bewegt sich nach rechts mit einer eher unschlüssigen Annäherung an die Frage der „Neuausrichtung“, während die Fraktionen der „revolutionären“ Linken die Taktik des schmutzigen Bruchs prinzipiell akzeptiert oder es vermieden haben, sie im Fall von SAlt direkt anzugreifen, und lediglich darüber debattiert haben, wie man sich von ihr entfernen kann.

Die wichtigste linke Fraktion, Brot und Rosen, lehnt eine Neuausrichtung der Demokrat:innen ab und steht für den endgültigen Aufbau einer Massenpartei der Arbeiter:innen. In einer Diskussion über die Unterstützung eines Änderungsantrags zu Resolution 8, in dem die Notwendigkeit eines schmutzigen Bruchs bekräftigt wird, spaltete sich die Fraktion jedoch mit 55 % Ja- und 45 % Nein-Stimmen. Aufgrund der knappen Abstimmung beschloss die Fraktionsführung undemokratisch, den Änderungsantrag nicht zu unterstützen. Eric Blanc, das prominente DSA- und Brot-und-Rosen-Mitglied, das die radikale „Schmutziger Bruch“-Linie geprägt hat, argumentierte nun gegen die Durchsetzung dieser Linie als schädliche „Propaganda“. Er übertrieb die Bilanz von Sanders und AOC und behauptete, sie würden etwas Neues tun, weil sie versuchten, eine „unabhängige sozialistische Organisation und ein unabhängiges Profil“ aufzubauen. In Wirklichkeit tun sie nur sehr wenig, um die DSA aufzubauen, aber er argumentierte, dass es für das „demokratische Establishment eine wichtige Propagandawaffe gegen uns bedeutet“, wenn man die Organisation für den schmutzigen Bruch in den Vordergrund stellt, indem man als Unabhängige kandidiert oder sogar offen als Anti-Demokrat:innen auf dem Wahlzettel der Demokratischen Partei erscheint, als ob sie nicht schon alle von der DSA unterstützten aufständischen Kandidat:innen verleumden und versuchen würden, sie zu besiegen.

Es kommt noch schlimmer. In seinem ursprünglichen Artikel aus dem Jahr 2017, in dem er die Idee des schmutzigen Bruchs vorstellte, wies er Versuche, die Demokratische Partei neu auszurichten, als „Illusion“ zurück, aber jetzt hat er dies umgekehrt und stellt jede Annahme in Frage, dass die „Demokratische Partei keine Arbeiter:innenpartei sein wird“:

„Wir klingen wie Dogmatiker:innen, wenn wir die Möglichkeit ausschließen, dass Linke den nationalen Parteigipfel der Demokrat:innen durch eine feindliche Übernahme mittels klassenkämpferischer Vorwahlen erobern, die sowohl die Präsident:innenschaft als auch die Führung des Kongresses gewinnen. Bisher hat noch niemand überzeugend dargelegt, warum dieser Ansatz garantiert scheitern wird.“

Unterstützt wurde dies durch verzerrte Argumente, dass frühere Versuche in den 1930er und 1960er Jahren gescheitert seien, weil sie „auf die Arbeit innerhalb der offiziellen demokratischen Strukturen angewiesen waren“. Doch so verhängnisvoll es auch war, die Unterstützung der Kommunistischen Partei für Roosevelt in den 1930er Jahren war kaum eine Arbeit innerhalb der Demokrat:innen. Die Katastrophe bestand darin, dass sie statt für den Zusammenschluss der lokalen Arbeiter:innenparteien zu einer neuen, nationalen Partei, die die Linke und die Arbeiter:innenklasse auf eine neue Ebene gebracht hätte, zu kämpfen, diese Bewegung deckelte und in ihren politischen Verfall förderte. [31]

Weitere Brüche in Brot und Rosen haben sich abgezeichnet. Die Fraktion Reform und Revolution, eine frühere Abspaltung von SAlt, die sich als revolutionär-marxistischer Flügel der DSA ausgibt, organisierte im März 2021 eine Diskussion über den schmutzigen Bruch mit Redner:innen aus den wichtigsten linken Fraktionen. Darunter waren Referent:innen aus der gesamten Linken: Jeremy Gong, Co-Vorsitzender von Brot und Rosen und Mitglied der Arbeiter:innenpartei-Linken, die „revolutionären“ Marxist:innen der Tempest-Webseite (Ex-ISO) und Reform und Revolution selbst sowie Aktivist:innen der größten lokalen linken Fraktionen Emerge (Empor, New York Stadt) und Red Star (Roter Stern, San Francisco). [32) Alle waren sich einig, dass es vorerst keine Alternative zur Wahl der Demokrat:innen gab, aber die Diskussion drehte sich darum, wie man den schmutzigen Bruch für eine neue Arbeiter:innenpartei vorantreiben könnte.

Mit erfrischender Offenheit nahm Gong die üblichen Begründungen zum Einsatz für die Demokratische Partei auseinander. Er wies das (in Resolution 8 wiederholte) Argument zurück, dass die Demokrat:innen nicht wirklich eine Partei sind, sondern eine diffuse Koalition von Kräften mit einer leeren, neutralen Wahlliste, die es auszufüllen gilt, das Feigenblatt für die Taktik:

„Sie sieht aus wie eine Partei, sie redet wie eine Partei, die Leute denken, dass sie eine Partei ist, sie muss eine Partei im US-amerikanischen Kontext sein … in unserer Zeit ist die Demokratische Partei eine Partei, und ich denke, eine Wahlliste ist ein wesentlicher Aspekt dessen, was eine Partei zu sein hat … [und das ist der Grund, warum] es wichtig ist, dass wir uns formell trennen und eine neue Partei gründen.“ [33]

Einen weiteren Mythos spießte er auf, indem er argumentierte, dass die gesetzlichen Wahlrechtsbeschränkungen in den Bundesstaaten nicht so entscheidend seien. In Kalifornien, „größer als Spanien“, gebe es keine, außer bei den Präsident:innenschaftswahlen, und in New York City sei „der Ortsverband stark genug, mit 10.000 DSA-Mitgliedern und der fortschrittlichsten Organisation und Erfahrung, um diese Hindernisse zu überwinden und unabhängige Kandidat:innen aufzustellen“. Andere merkten an, dass ein Kandidat auf der von der DSA unterstützten Liste der in den Stadtrat von Chicago gewählten Delegierten ein Unabhängiger war – was wäre, wenn alle sieben unabhängig gewesen wären? Der Vorsitzende von Labor Notes, Kim Moody, wies in seinem 2018 erschienenen Buch On New Terrain (Auf neuem Gebiet) (geschrieben vor dem Sieg von AOC) darauf hin, dass gewerkschaftlich unterstützte Kandidat:innen in „mittelgroßen industriellen oder ehemals industriellen Stadtzentren mit einer großen Arbeiter:innenbevölkerung“, in denen die Demokrat:innen so hegemonial sind, dass ihre übliche Erpressung, die Republikaner:innen ins Rennen zu schicken, nicht funktioniert, allmählich Fuß fassen.“ [34]

Gong wies darauf hin, dass die Aufstellung unabhängiger Kandidat:innen im Grunde „ein politisches Problem“ sei:

„Ich würde sagen, es wird viel darüber geredet, dass es so schwer ist, eine unabhängige Wahlliste zu haben. Die Gesetze sind schwierig, aber ich denke, das ist ein Ablenkungsmanöver. Es ist eigentlich gar nicht so schwer. Man muss nur den Willen haben, es zu tun. Und im Moment ist dieser Wille bei einer sehr kleinen Anzahl von Leuten vorhanden, das ist das eigentliche Problem … Ich würde einen analogen Punkt anbringen, wie wir uns zu DSA verhalten, es gibt ein geringes Maß an Kampf und Erfahrung für DSA-Mitglieder in vielen dieser Fragen.“

Er argumentierte, dass die Bedingungen für eine unabhängige Partei heute nicht gegeben sind, da das Niveau des Klassenkampfes im Gegensatz zu den 1930er und 1940er Jahren niedrig ist, aber trotzdem „konnten sie damals keine Arbeiter:innenpartei gewinnen“. Er nimmt die Führungskrise in der Arbeiter:innenbewegung mit dem Verrat der KP an dieser Bewegung nicht zur Kenntnis, aber die gleiche Frage stellt sich heute, wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt aus: Wie blockiert die Linke die Entwicklung einer solchen Bewegung? Und ist der Klassenkampf wirklich so niedrig? Zeigen die explosiven Kämpfe von 2018 und 2020 nicht, dass eine DSA, die sich bei jedem Streik, jeder Protestbewegung und jedem Aufstand für die Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse einsetzt, Fortschritte machen könnte, was das Bewusstsein, die Organisation und, ja, die Kandidat:innen angeht?

Die Konzentration von Mitgliedern und Erfahrungen in den großen städtischen Zentren, New York, Chicago und einigen anderen, würde zumindest den Versuch erlauben, unabhängige gewerkschaftliche oder sozialistische Kandidat:innen aufzustellen, auch wenn dies in kleineren Gebieten schwierig wäre. Gong wies auf diese hin und erklärte: „Einige müssen führen“. In seinem Artikel forderte Eric Blanc die Linke auf, es irgendwo zu versuchen. Dies würde eine starke linke Organisation in der DSA voraussetzen, aber selbst dann sollte die Linke nicht einfach „alternativ“ experimentieren, während sie den Rest der DSA ignoriert, wenn dieser damit fortfährt, demokratische Kandidat:innen zu unterstützen, sondern sie sollte dies ablehnen.

Ironischerweise halten die zentristischen Sozialist:innen, die in Tempest und Brot und Rosen in die DSA eingetreten sind, an der Mehrheitslinie fest, obwohl aus ihren Argumenten klar hervorgeht, dass sie nicht wirklich dafür sind, auf der demokratischen Liste zu stehen, während Blanc den „schmutzigen Bruch“ abstellen oder sogar aufgeben will und die DSA sich in der Praxis davon weg entwickelt. Anstatt den Brot-und-Rosen-Linken entgegenzukommen, die immer noch an der DSA festhalten, und sich im Kreis zu drehen, wie und wann man mit der Demokratischen Partei brechen oder sich darauf vorbereiten sollte, sollte die marxistische Linke die Schlussfolgerungen aus der Entwicklung der DSA und der Bilanz ihrer Mitglieder in den Ämtern ziehen und jetzt für den „sauberen Bruch“ agitieren, indem sie sich für eine neue Arbeiter:innenpartei einsetzt.

In den Groß- und Industriestädten könnten die Fraktionen aller Sozialist:innen, die für den Bruch sind, für unabhängige Arbeiterkandidat:innen werben und sich kollektiv weigern, Kandidat:innen zu wählen, die auf dem Wahlzettel der Demokratischen Partei stehen oder von ihnen unterstützt werden. Wenn die Rechte sich 2020 gegen die „Niemand außer Bernie“-Linie auflehnen kann, warum kann die Linke dann nicht offen die Unterstützung für demokratische Kandidat:innen ablehnen? Sie sollten Druck auf Brot-und-Rosen-Linke wie Gong (mit 45 Prozent der stimmberechtigten Mitglieder vor dem Kongress) ausüben, um den Caucus dazu zu bringen, ihn zu unterstützen oder sich von ihm abzuspalten. Dies erfordert nicht, dass irgendeine der Tendenzen oder Fraktionen, seien sie „revolutionär“ oder demokratisch-sozialistisch, ihre eigene Organisation oder ihre Programme aufgibt, sondern dass sie die Einheitsfront nutzen, um die Forderung nach einer neuen Partei innerhalb und außerhalb der DSA voranzutreiben. In der Zwischenzeit könnten sie auch darauf drängen, dass die Sektionen Streiks unterstützen und Aktionskomitees für soziale Kämpfe aufbauen, um sie zu demokratisieren, ihr Wachstum zu fördern und Siege zu erringen, während sie gleichzeitig über die Politik debattieren, die die DSA mit kämpferischen Klassenkampftaktiken in sie einbringen möchte.

Wohin weiter?

In England folgte auf die stürmische Zeit des Chartismus der Arbeiter:innenklasse (1838 – 48) und die Beteiligung der Gewerkschaften an der Seite von Marx in der Ersten Internationale (1864 – 72) eine lange Periode der politischen Unterordnung der Arbeiter:innenklasse unter Gladstones Liberale Partei. Ihre materielle Grundlage bildete die Vorherrschaft des britischen Kapitalismus in der Weltwirtschaft und die Ausdehnung seines Kolonialreichs. In dieser Liberal-Labour-Periode saßen viele Gewerkschaftsführer:innen als liberale Abgeordnete im Unterhaus.

In den 1880er Jahren stellte Engels fest, dass der Verlust der Vorherrschaft des imperialen Britanniens im Welthandel zu Angriffen auf die eigenen Arbeiter:innen führen würde, dessen schwindende Position bedeuten würde, dass es „wieder Sozialismus in England geben wird“. [35] Der lange Niedergang der USA als imperialistische Supermacht ist durch ihren demütigenden Rückzug aus Afghanistan deutlich geworden, während sie wirtschaftlich seit 2008 im Zentrum der historischen Wirtschaftskrise des Kapitalismus stehen. Beide Entwicklungen haben die Klassengegensätze im In- und Ausland verschärft und eine historische Polarisierung vorangetrieben.

Der spektakuläre Aufstieg der DSA spiegelt nicht nur die Tiefe der Krise des amerikanischen Kapitalismus wider, sondern zeigt vor allem, dass sozialistische Massenstimmung in materielle Organisationsgewinne umgesetzt werden kann, dass Sozialismus und Klassenpolitik vorankommen können. Doch mit dem Anstieg an Mitgliederzahlen wachsen auch die Widersprüche der DSA. Vielleicht wird die Aushöhlung von Bidens Wohlfahrtsreformen die Stimmung gegen die Demokratische Partei und das Wachstum der DSA kurzfristig wiederbeleben, aber ihre zunehmende Absorption in die Demokratische Partei ist eine Sackgasse und zeigt, dass sie trotz ihrer formalen Position, eine Massenpartei der Arbeiter:innenklasse aufzubauen, dies nie ernst genommen hat und sich in Wirklichkeit in die andere Richtung bewegt, tiefer in die Demokratische Partei. Die Mehrheit der relativ neuen, oft inaktiven DSA-Mitglieder, die im Rahmen dieser Taktik rekrutiert wurden, könnten am Ende eine Basis für den rechten Flügel und die Führung abgeben, wenn dies nicht durch die Hinwendung der Sektionen zum Kampf überwunden wird.

Erhebliche Minderheiten gegen die rechtsgerichteten Anträge des Parteitags zeigen das Potenzial, eine Opposition aufzubauen, die sich auf die Neuausrichtung der DSA weg von den Demokrat:innen und hin zum Klassenkampf und den Streit für eine neue Partei der Arbeiter:innenklasse konzentriert. Ein Teil des Hindernisses für die Verwirklichung dieses Potenzials ist die DSA-Linke selbst, die zwar wächst, aber zersplittert ist und, was am schädlichsten ist, die „Taktik des schmutzigen Bruchs“ akzeptiert und die Demokratische Partei „vorerst“ unterstützt. Dies ist eine durch und durch opportunistische Taktik. Die Möglichkeit, diesen Weg freizumachen, besteht darin, zu Marx‘ Position der klassenpolitischen Unabhängigkeit zurückzukehren und die Methode aufzugreifen, die Trotzki für den Aufbau einer neuen Arbeiter:innenpartei im Amerika der 1930er Jahre befürwortete.

Wenn die Linke dies tut, wird sie sich letztlich einem Kampf mit dem Mitte-Rechts-Block in der Führung stellen müssen, der bisher noch keine ernsthafte Herausforderung für seine unausgesprochene Strategie zur Neuausrichtung der Demokratischen Partei erlebt, für die die Strategie des schmutzigen Bruchs als Deckung diente. Die stalinistischen Anti-Trotzki-Memos, die den Beitritt der Sozialistischen Alternative begleiteten, liefern einen kleinen Vorgeschmack auf diese Spannung. Letztendlich wird eine reformistische Führung niemals einen wirklich klassenkämpferischen, revolutionären Flügel dulden, sondern versuchen, ihn zu unterdrücken. Wenn die Linke es zulässt, eine zahme Opposition zu bleiben, die in einer platonischen Debatte darüber gefangen ist, wie und wann Schritte in Richtung des schmutzigen Bruchs unternommen werden sollen, wird sie nur ihre eigene Ohnmacht verlängern.

Die Sozialistische Alternative, die Brot-und-Rosen-Linke und die anderen Fraktionen wiederholen alle, dass es keine objektive Grundlage für eine neue Massenpartei gibt. Dennoch geben viele zu, dass die Politik der DSA selbst das größte unmittelbare Hindernis für Schritte in Richtung Klassenunabhängigkeit und einen schmutzigen Bruch verkörpert. Die Antwort darauf ist eine unermüdliche und konsequente Kampagne, um diese Führungskrise zu lösen, indem wir eine solche Anleitung geben. Die Linke kann sich um eine offene Kampagne für eine neue Arbeiter:innenpartei scharen, die jegliche Unterstützung für Kandidat:innen auf der demokratischen (oder grünen) Wahlliste klar ablehnt. Sie sollte Druck auf Brot und Rosen ausüben, damit es sich wieder dieser Linie widmet oder spaltet. Dies ist der Schlüssel, um die dissidenten Mitglieder über die Caucuses hinaus zu organisieren und die Masse der neuen Mitglieder zu entwickeln, um die Kluft zwischen ihnen und der Linken zu schließen. Die Hinwendung der Sektionen zum Klassenkampf würde nicht nur neue Mitglieder als Aktivist:innen und Kader hervorbringen, sondern auch Militante aus den Streiks und Kämpfen der nächsten zwei Jahre rekrutieren, die der Demokratischen Partei gegenüber misstrauischer sein werden.

Ein Einheitsfrontansatz im Eintreten für einen sauberen Bruch würde auch Debatten über andere Aspekte des Programms erleichtern, als Antwort auf neue Kämpfe wie die Lehrer:innenstreikwelle und die Black-lives-matter-Revolte. Ziel sollte es sein, ein alternatives, revolutionäres Programm zur neuen Plattform zu entwickeln, das deren beste politische Elemente aufgreift und sie mit Übergangsforderungen kombiniert, die die heutigen Massenkämpfe mit dem entschlossenen Vorgehen für den Sozialismus durch Selbstorganisation und Aktivität der Arbeiter:innenklasse verbinden. Dies würde nicht nur mehr Diskussionen zwischen den Gruppierungen ermöglichen, sondern auch ein neues Publikum von Tausenden von Menschen einbeziehen, die eine Rolle dabei spielen könnten, die Politik im Lichte der Geschichte und ihrer eigenen Erfahrungen mit dem Klassenkampf zu prüfen, indem sie sich daran beteiligen und veraltete oder opportunistische Ideen verwerfen.

Nur durch einen radikalen Richtungswechsel können Sozialist:innen sicherstellen, dass der nächste Parteitag eine echte Herausforderung für den prodemokratischen Konsens darstellt und den Weg für einen weiteren politischen Fortschritt hin zu einer klassenkämpferischen, internationalistischen und revolutionären DSA öffnet. Alle, die die Notwendigkeit einer solchen Neuausrichtung sehen, sollten mit uns Kontakt aufnehmen und gemeinsam daran arbeiten, die immensen Möglichkeiten für den Fortschritt der Arbeiter:inneklasse und eine sozialistische Zukunft zu nutzen, die zum Teil im Wachstum der DSA zum Ausdruck kommen.

Endnoten

1 „Top GOP Pollster: Young Americans Are Terrifyingly Liberal“, [https://theintercept.com/2016/02/24/top-gop-pollster-young-americans-are-terrifyingly-liberal/].

2 Nur Eugene Debs‘ Socialist Party of the USA war mit 113.000 Mitgliedern auf ihrem Höhepunkt im Jahr 1912 größer, allerdings bei einer Bevölkerung von 95 Millionen, weniger als ein Drittel der heutigen 333 Millionen.

3 Damit stieg die Mitgliederzahl auf 66.000. Fast 30.000 sind seitdem beigetreten.

4 „2020 DSA Convention Reports and Summaries“, [https://www.tempestmag.org/2021/08/2021-dsa-convention/].

5 Rückgang von 42 Kandidaten für sechzehn Positionen im Jahr 2017 auf 33 im Jahr 2019 und 20 im Jahr 2021: Nation, R&R.

6 2021: „Toward a Mass Party in the United States (Electoral Priority)“; 2019: „Class Struggle Elections“.

7 https://jacobinmag.com/about; https://breadandrosesdsa.org/. Der linke B&R Co-Vorsitzende Jeremy Gong sagt, dass B&R 2019 gegründet wurde, um „für eine marxistische DSA zu kämpfen“. Siehe unten: Debatte  über Reform und Revolution.

8 Siehe Resolution 8: „Bigger than Bernie“ von Micah Uetricht und Megan Day behauptet dasselbe, Kapitel 2: „Die beiden großen US-Parteien sind keine wirklichen Parteien im traditionellen Sinne (keine Mitgliedschaftskriterien, keine verbindliche demokratische Entscheidungsfindung, keine politische Bildung, keine Disziplinierung von Kandidat:innen, keine Rechenschaftspflicht gegenüber einer Plattform)“.

9 Oder die Partei könnte „theoretisch Kandidat:innen auf der eigenen Wahlkampflinie der Organisation aufstellen“. Seth Ackerman: „A Blueprint for a New Party“, Nov. 2016, https://www.jacobinmag.com/2016/11/bernie-sanders-democratic-labor-party-ackerman/; Eric Blanc: „The Ballot and the Break“, https://www.jacobinmag.com/2017/12/democratic-party-minnesota-farmer-labour-floyd-olson/.

10 Entschließung 15.

11 „Should House Progressives #ForceTheVote on Medicare for All?“, https://www.dsausa.org/statements/should-house-progressives-forcethevote-on-medicare-for-all/.

12 Weit davon entfernt, die Gewerkschaftsarbeit der DSA-Ortsgruppen und -Mitglieder zu leiten und zu koordinieren, wurden die beiden großen nationalen DSA-Laborinitiativen – das 2020 gegründete Emergency Worker Organising Committee und die 2021 gestartete Kampagne zur Lobbyarbeit bei der Bidenregierung zur Verabschiedung des PRO Act (Protect the Right to Organize) – beide vom NPC im Bündnis mit den Gewerkschaften initiiert.

13 Bhaskar Sunkara, The Socialist Manifesto, (London: Verso, 2019), S. 22; siehe: https://fifthinternational.org/content/bhaskar-sunkaras-socialist-manifesto.

14 Meagan Day und Micah Uetrecht, Bigger Than Bernie, (London: Verso, 2020), S. 102 f–

15 Eric Blanc hat sich als antibolschewistischer Theoretiker und Historiker der DSA etabliert, einflussreich, aber auch wie Sunkara eigenwillig – die Jacobin-Linke hat keine einheitliche, kohärente Vision des demokratisch-sozialistischen Übergangs, abgesehen von ein paar groben Punkten – die Demokrat:innen, Wahlen, eine Regierung, kein Aufstand, keine Doppelmacht. Bigger than Bernie hingegen zitiert Eric Blanc und nimmt dessen Position auf. Seine alternative „revolutionäre“ Strategie geht auf Karl Kautsky, den bekanntesten Theoretiker der Zweiten Internationale und Gegner Lenins und der Revolution von 1917 in Russland, zurück. Blanc argumentiert wie die Demokratischen Sozialist:innen im Allgemeinen, dass „das Doppelherrschafts-/Aufstandsmodell von Russland 1917“ für „kapitalistische Demokratien“ nicht relevant sei, und zwar mit dem üblichen liberalen Argument, dass „unter den arbeitenden Menschen die Unterstützung für die Ersetzung des allgemeinen Wahlrechts und der parlamentarischen Demokratie durch Arbeiter:innenräte oder andere Organe der Doppelherrschaft immer marginal geblieben ist.“ Das stimmt nur insofern, als keine andere Revolution des 20. Jahrhunderts auf eine Partei wie die Bolschewiki traf, die entschlossen war, sie über den Kapitalismus in Russland hinaus zu führen, und so eine Niederlage erlitt.

Blancs Alternative, die auf seiner fehlerhaften Analyse der Finnischen Revolution 1917 – 18 mit ihrer blutigen Niederlage beruht, hat ebenfalls keinen Erfolg gehabt. Das hält ihn nicht davon ab, darauf zu bestehen, dass der einzige Weg zum Sozialismus für Sozialist:innen darin besteht, „für eine allgemeine sozialistische Wahlmehrheit in der Regierung/im Parlament zu kämpfen, und (b) Sozialist:innen müssen damit rechnen, dass ernsthafte antikapitalistische Veränderungen notwendigerweise außerparlamentarische Massenaktionen wie Generalstreiks und Revolutionen erfordern, um die unvermeidliche Sabotage und den Widerstand der herrschenden Klasse zu besiegen.“

Diese defensive Revolution, die in der Realität manchmal notwendig ist (Spanien 1936), würde sich als Strategie als katastrophal erweisen, wie es in Finnland der Fall war.

Der Punkt ist, dass Blanc behauptet, dies müsse gelingen, ohne eine Doppelmacht zu schaffen. Dies ist jedoch ein Widerspruch – das Wesen jeder Revolution besteht darin, dass eine Macht eine andere besiegt und ersetzt, sie stürzt. In Wirklichkeit ist dies – wie der „schmutzige Bruch“ eine weitere Idee Blancs – eher rhetorisch als real, um die Konzentration der DSA auf Wahlen und Reformen gegen sozialistische Kritik zu verteidigen, allerdings mit größerer theoretischer Distanz. BTB 108, 103; Originalzitate von Blanc in „Why Kautsky Was Right (and Why You Should Care)“, Jacobin, und „The Democratic Road to Socialism: Reply to Mike Taber“, Cosmonaut.

16 Dieser Prozess und seine materiellen Wurzeln in der nationalen Isolation sind ausführlich dokumentiert in The Degenerated Revolution: The Rise and Fall of the Stalinist States, (London: Workers Power, 1983, 2012), siehe: https://fifthinternational.org/content/key-documents/degenerated-revolution.

17 „Die vorrangigen Aufgaben der Arbeiter:innenregierung müssen darin bestehen, das Proletariat zu bewaffnen, die bürgerlichen, konterrevolutionären Organisationen zu entwaffnen, die Kontrolle der Produktion einzuführen, die Hauptlast der Besteuerung auf die Reichen zu übertragen und den Widerstand der konterrevolutionären Bourgeoisie zu brechen. Eine solche Arbeiter:innenregierung ist nur möglich, wenn sie aus dem Kampf der Massen hervorgeht, von kampffähigen Arbeiter:innenorganen getragen wird, von Organen, die von den am meisten unterdrückten Teilen der arbeitenden Massen geschaffen wurden“, in: „Theses on Comintern Tactics“, Fourth Congress of the Communist International, Marxists Internet Archive (MIA), [https://www.marxists.org/history/international/comintern/4th-congress/tactics.htm].

18 Marx, „IWMA rules“, 1864; Engels, „1888 Preface to the Communist Manifesto“, beide: MIA.

19 „1850 Address to the Central Committee of the Communist League“, MIA.

20 Marx, „1872 Preface“, MIA.

21 Marx, „1850 Address to the Central Committee of the Communist League“, MIA.

22 Das Gleiche gilt für Ralph Miliband, den bevorzugten antileninistischen Marxisten von Bread and Roses, [https://breadandrosesdsa.org/where-we-stand/#democratic-road].

23 Wladimir Lenin, Lecture on the 1905, MIA.

24 „Demokrat:innen verabschieden nach chaotischer Verzögerung 1,9-Milliarden-Dollar-Gesetz für die Sicherheit im Kapitol mit einer Stimme Mehrheit“, [https://www.forbes.com/sites/andrewsolender/2021/05/20/democrats-pass-19-billion-capitol-security-bill-by-one-vote-after-chaotic-delay/].

25 „AOC warnt die Demokrat:innen, sich hinter dem/r Kandidat:in zu versammeln, egal wer es ist“ [https://uk.news.yahoo.com/aoc-warns-democrats-rally-behind-221155192.html].

26 „Nationale DSA-Wahlstrategie 2021-2022“, [https://electoral.dsausa.org/national-electoral-strategy/].

27 Day und Uetrecht, Bigger Than Bernie, S. 125 – 127.

28 A. a. O., S. 60 – 61, S. 99.

29 https://fifthinternational.org/content/greece-syriza-congress-eye-witness-report.

30 https://jacobinmag.com/2017/02/rise-and-fall-socialist-party-of-america.

31 https://fifthinternational.org/content/why-there-no-socialism-united-states%E2%80%9D.

32 „Putting the Break in the Dirty Break“, Podiumsdiskussion organisiert von Reform & Revolution. https://www.youtube.com/watch?v=yS8eW83NGEk&t=22s.

33 A. a. O., ab Minute 97.

34 Kim Moody, On New Terrain (Chicago, Haymarket, 2017), S. 162.

35 Engels, „England in 1845 and 1885“, MIA.




USA: Republikaner stoppen! Für queere Selbstbestimmung kämpfen!

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 273, Mai 2023

Schon im letzten Wahlkampf nahm die Frage nach trans Rechten eine verstärkte Rolle ein. Während Biden klar Stellung bezog und auf die Selbstbestimmung pochte, griffen die Republikaner:innen ihn dafür an. Eine der ersten Amtshandlungen des US-Präsidenten Biden war die Unterzeichnung der „Prävention und Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung“ im Jahr 2021.

Der Gegenwind der Konservativen ist seitdem stärker geworden. Denn während man seit Mitte April diesen Jahres Reisepässe mit der Möglichkeit, statt männlich/weiblich ein „X“ anzugeben, beantragen kann , zählt die Amerikanische Bürgerrechtsorganisation ACLU mittlerweile 467 Gesetzesentwürfe, die sich gegen die Rechte von LGBTIA+ richten. Somit sind in den ersten vier Monaten 2023 mehr Anti-LGBTIA+ Gesetzesentwürfe gestellt worden als in den letzten 5 Jahren.

Was genau passiert?

Die Gesetzesentwürfe beinhalten massive Einschränkungen und bestätigen die Worte des rechten Kommentators Michael Knowles, der auf der Bühne der Conservative Political Action Conference sagte „Trans muss aus dem öffentlichen Leben vollständig ausradiert werden.“ Da ist es nur ein kleiner Trost, dass von den über 400 Entwürfen 85 abgelehnt wurden. Denn auf der anderen Seite wurden 35 angenommen. Die meisten davon in Arkansas (7), Utah (6) und North Dakota (4). Der Großteil bezieht sich thematisch auf medizinische Behandlungen, aber auch weitere Bereiche werden versucht einzuschränken.

In Texas, Nebraska und über einem Dutzend weiterer Staaten soll jegliche medizinische Unterstützung für Kinder und Jugendliche verboten werden, die ihre Geschlechtsidentität infrage stellen. Eltern droht teils der Entzug des Sorgerechts, wenn sie die Behandlung ihrer Kinder nach gängigen psychotherapeutischen und medizinischen Standards ermöglichen, obwohl dies das Suizidrisiko von trans Jugendlichen um bis zu 70% senkt. Staaten wie Oklahoma wollen sogar noch weiter gehen wie das Neue Deutschland in dem Artikel „Trans-Rechte in den USA: Strikt normiert“ berichtet.

Hier ist ein Gesetz geplant, das einem Verbot der Behandlung aller Personen mit trans Identität, also selbst von Erwachsenen, nach anerkannten Standards nachkommen könnte. Sämtlichen öffentlichen Einrichtungen, die Gelder der Krankenkasse Medicaid für Menschen mit geringem Einkommen oder andere öffentliche Subventionen erhalten, soll dies verboten werden, von Apotheken bis zu Krankenhäusern. Damit würde es für trans Personen praktisch unmöglich, Zugang zu medizinischer Versorgung zu bekommen. Doch die Entwürfe bleiben nicht nur bei trans Personen stehen.

Es scheint fast wie eine Generalabrechnung mit allem, was auch nur wagt das binäre Geschlechtersystem infrage zu stellen. In 9 Bundesstaaten wie Arkansas, Kansas, Oklahoma oder Tennessee sollen Drag Performances und generell das Tragen »nicht geschlechtskonformer Kleidung« außerhalb von explizit an Erwachsene gerichtete Etablissements verboten werden. Das hat nicht nur zur Folge, dass Drag auf Pride-Paraden unterbunden wird, sondern dass Polizeirepression und Gewalt gegen trans Menschen und queere Community, die auf der Straße als solche erkannt werden, juristisch legitimiert werden. Darüber hinaus öffnet es auch die Debatte, was überhaupt „geschlechtskonforme“ Kleidung an dieser Stelle sein soll.

Situation von trans Menschen

Dabei ist die Situation von trans Menschen in den USA schon jetzt mehr als problematisch. Dies zeigte die „US Transgender Survey“ (USTS), die 2015 vom National Center for Transgender Equality (NCTE) durchgeführt wurde. Bei der Umfrage handelte sich um eine der umfangreichsten und umfassendsten  in den USA, bei der sich über 27.000 trans Personen beteiligten. Die Studie zeigt unter anderem auf, dass 2015 29% der trans Personen in Armut lebten, also wesentlich mehr verglichen mit den 14% der allgemeinen US-Bevölkerung. Ebenso ging aus der Umfrage hervor, dass 30% der befragten trans Personen in ihrem Leben mindestens einmal obdachlos waren, verglichen mit 6% der allgemeinen US-Bevölkerung. Ebenso besitzen 30% der Befragten ein Einkommen von weniger als $10,000, verglichen mit 12% der US-Bevölkerung.

Kurzum: Trans Personen leben überdurchschnittlich oft in Armut und erleben verstärkt Diskriminierungsowie Gewalt. So ist es kaum verwunderlich, dass ebenfalls die mentale Gesundheit wesentlich schlechter ist als beim Durchschnitt der US-Bevölkerung, denn 40% der befragten trans Personen gaben an, im Laufe ihres Lebens einen Suizidversuch unternommen zu haben, verglichen mit 4,6% der allgemeinen US-Bevölkerung. Besonders stark betroffen sind Jugendliche und People of Color. Letztere verdienen meist noch weniger und haben deswegen so gut wie keine Möglichkeit, in einen Bundesstaat zu ziehen der ihnen mehr Spielraum gibt. Jugendliche erleben durch ihre ökonomische und rechtliche Abhängigkeit von der Familie oftmals noch fundamentalere Einschnitte, was sich unter anderem auch darin ausdrückt, dass 20% der Befragten im Laufe ihres Lebens obdachlos gewesen sind – der Durchschnitt liegt bei cis-Jugendlichen bei 3%.

Es gilt dabei nicht zu vergessen, dass diese Daten vor der Pandemie erfasst wurden. In der Zwischenzeit gab es wenig gezielte Unterstützung, um diese Situation zu verbessern. Zu den wenigen Initiativen zählt der Affordable Care Act (ACA), der 2016 umgesetzt wurde und Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität im Gesundheitswesen verbietet. Dies bedeutet konkret, dass Versicherer medizinische Behandlungen für trans Personen abdecken müssen, ohne sie aufgrund ihrer Geschlechtsidentität abzulehnen oder höhere Prämien zu verlangen. Auch relevant ist die in der Einleitung erwähnte Executive Order von Präsident Biden. Diese formalisiert die rechtliche Gleichstellung auf Basis des Civil Right Acts von 1964 – aber nur in Bundesbehörden, nicht in der Privatwirtschaft und sollte darüber hinaus Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität verbieten. Das steht im Kontrast zur Realität der Gesetzesinitiativen seitens der Konservativen und den Erkenntnissen einer neuen Studie des Williams Institute an der UCLA School of Law aus dem Jahr 2022. Hieraus geht hervor, dass trans Personen mehr als viermal häufiger Opfer von Gewalttaten wie Vergewaltigung, sexueller Nötigung und einfacher bzw. schwerer Körperverletzung sind als cis-Personen.

Warum passiert das?

Ja, nicht alle Gesetze kommen durch. Doch es ist falsch das Ganze nur als Kampagne der Konservativen abzutun. Die Gesetzesverschärfungen gehen einher mit den Einschränkungen der Abtreibungsrechte 2022, sowie des Rechtsrucks in den USA der letzten Jahre. Auch wenn die  Republikaner:innen das Thema nutzen, um zu polarisieren und beispielsweise ihre evangelikalen Wähler:innen nicht zu verlieren, hat diese Kampagne reale Konsequenzen.  Denn auch wenn die Begründungen mehr als schlecht scheinen, so erzeugen sie vor allem Druck auf die queere Existenz an sich. LGBTIA+ Rechte – und insbesondere die Rechte von trans Personen – sind nichts, was sich Jahrzehnte lang etabliert hat*, sondern umkämpftes Feld innerhalb unserer Gesellschaft. Es scheint, dass sobald ein kleiner Platz im Rahmen der breiteren öffentlichen Wahrnehmung erkämpft wurde, wieder versucht wird ihn wegzustreichen und zwar mit aller Gewalt.

Somit ist das Ganze nicht nur die Ausgeburt des Schwachsinns christlicher Fundamentalist:innen, sondern auch Erbe Trumps populistischer Politik. Der selbsternante Anwalt „der kleinen Leute“ mit seinem Kabinett von Milliardär:innen und Manager:innen hat es während seiner Amtszeit geschafft, die Polarisierung in den USA voranzutreiben. Das bedeutet, dass weite Teile des Kleinbürger:innentums spürbar nach rechts gerückt sind und ihr Irrationalismus stärkt letztendlich den Flügel der Republikaner. Diese stecken massiv Geld in die Kampagne. So hat das American Principles Project vor den vergangenen Kongresswahlen fast 16 Millionen Dollar für Kampagnen gegen trans Themen im Gesundheits- und Bildungsbereich ausgegeben. Gut investiertes Geld, denn auf der einen Seite wird das tradierte Familienbild gewahrt, auf der anderen Seite sind die Verbote und Einschränkungen gegen trans Personen günstiger als Versprechungen, die die soziale Lage der Wähler:innenschaft verbessern würden.

Die Wurzeln der Unterdrückung

Doch bei der Debatte sollte man sich nicht täuschen lassen: Die Frage der LGBTIA+ Diskriminierung ist nicht nur eine Entscheidung zwischen Republikaner:innen und Demokrat:innen, sondern ist fest im Kapitalismus verwurzelt. Somit löst sich das Problem auch nicht auf, wenn man alleinig gegen die Angriffe der Republikaner:innen kämpft. Doch wie kann ein effektiver Kampf aussehen? Bevor wir dazu kommen, wollen wir kurz den Ursprung der LGBTIA+ Unterdrückung skizzieren und dies führt uns wie nicht anders zu erwarten zur Familie. Das Bild der Familie, die glücklich in ihrem Eigenheim Zeit verbringt und wo der Mann arbeiten geht, die Frau tagtäglich und unermüdlich die Hausarbeit verrichtet, sowie sich um die Kinder kümmert, wurde jahrzehntelang propagiert und als Ideal verbreitet. Es ist aber nicht nur ein Ideal, weil es schön in Werbungen aussieht und sich auf Milchpackungen so gut macht, sondern weil die bürgerliche Familie für den Kapitalismus einen zentralen Standpfeiler darstellt. Die historische Entwicklung dahin sparen wir an dieser Stelle aus und konzentrieren uns auf das wesentliche: Für die herrschende Klasse regelt die Familie die Erbschaftsverhältnisse und spart ebenso extrem viele Kosten. Wie? Dadurch das Kindererziehung, kochen, Waschen, häusliche Pflege und andere Tätigkeiten nicht gesamtgesellschaftlich organisiert, sondern individuell pro Haushalt erledigt werden.  Denn für die Arbeiter:innenklasse ist die Familie der Ort, in dem im Privaten unbezahlte Reproduktionsarbeit stattfindet (oder eher stattfinden muss). Und das Ideal der Familie, was uns vermittelt wird, festigt eben genau diesen Zustand, zusätzlich zu der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung.

Somit stellen LGBTIA+ eine Gefahr für den ideologischen Unterbau der Familie da, denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie mehrere Punkte infrage: a) Sexualität dient nur der bloßen menschlichen Reproduktion  b) die geschlechtliche Arbeitsteilung innerhalb der Familie und ihre Unveränderbarkeit und c) das Konzept der Familie im klassischen Sinne selbst. Letztenendes könnte man zu dem Schluss kommen, dass die heterosexuelle, monogame Zweierbeziehung nicht das absolute Lebensziel eines jeden Individuums auf dieser Erde sein könnte und es Alternativen dazu gibt. Dazu soll angemerkt werden, dass diese Erklärung sehr zugespitzt ist. Denn die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass auch Liberalisierung möglich ist. Dennoch ist diese nicht bedingungslos und geht letztenendes nie besonders weit, wenn man bedenkt wie stark das „Recht auf Ehe“ und selbst die meisten Gesetze zur „Ehe für Alle“ in den imperialistischen Staaten verankert ist. Das führt uns zu dem nächsten Punkt:

Reine Sichtbarkeit reicht nicht

Auch wenn die Demokraten das Thema für sich entdeckt haben, so muss es klar sein, dass ihre Verbesserungen und ihr Schutz alleine nicht ausreichen. Ja, es ist ein Schritt nach vorne, dass trans Frauen wie Rachel Levine Staatssekretärin werden können. Doch es wird nicht helfen, die Lage von trans Menschen grundlegend zu verändern. Deswegen reicht es auch nicht aus, sich nur an den Angriffen der Republikaner:innen abzuarbeiten und Sichtbarkeit sowie rechtliche Gleichstellung zu verteidigen. Wer Erfolg haben will, muss in die Offensive gehen. Statt also um die reine Existenzberechtigung zu verhandeln, braucht es eine Bewegung, die auch aktiv Verbesserungen für trans Menschen erkämpft. Dabei ist es essentiell den Schulterschluss mit den Gewerkschaften, sowie anderen sozialen Bewegungen, zu suchen und sich nicht auf Spaltungsversuche seitens Rechts einzulassen. Das heißt in der Praxis, dass Aktivist:innen sozialer Bewegungen offen Gewerkschaften auffordern sollten, sich den Protesten anzuschließen, während Gewerkschafter:innen in den Gewerkschaften nicht nur für Solidaritätsstatements, sondern auch Mobilisierungen eintreten müssen. Dies ist wichtig herauszustreichen, denn der Protest kann letztenendes nur erfolgreich werden, wenn die Arbeiter:innenklasse diese mit Streiks unterstützt. Gleichzeitig kann es nicht alleinig die Aufgabe von Aktivist:innen sozialer Bewegungen sein, zu versuchen in den Strukturen Gehör zu finden. Dies ist jedoch keine Unmöglichkeit: Denn schaut man genauer hin, sind erstaunlich viele Fragen, die die Situation von trans Menschen verbessern, nicht explizit nur trans Personen betreffend:

  • Nein zu allen Angriffen auf LGBTIA+ Rechte! Aufhebung aller diskriminierenden Gesetze gegen Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz und im öffentlichen Leben!

  • Gesetzliche Krankenversicherung für Alle! Kostenlose medizinische Beratung und Geschlechtsangleichung, auch für Jugendliche!

  • Schluss mit Gewalt: Für demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomitees zusammen mit der Arbeiter:innenklasse! Nein zu allen Polizeikontrollen!

  • Für ein Mindesteinkommen für alle, angepasst an die Inflation, sowie einen höheren Mindestlohn!

  • Für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper: Für die Möglichkeit, das eigene Geschlecht in staatlichen Dokumenten anzupassen oder nicht angeben zu müssen!

  • Für den Ausbau von geschlechtsneutralen öffentlichen Sanitäranlagen, sowie flächendeckend vorhandenen Schutzhäusern für trans Menschen!

Es bietet sich an zentrale Aktionstage auszurufen, die sich auf die Gesetzesinitiativen beziehen. Im Rahmen dessen sollte an Schulen, Universitäten und Betrieben versucht werden, Vollversammlungen einzuberufen, um über die Situation und Lage von trans Rechten zu informieren. Zusätzlich sollten Aktionskomitees gebildet werden, die zu den Aktionstagen mobilisieren. Gleichzeitig müssen dabei Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden. Sowohl #blacklivesmatter, der Womens March oder die Proteste gegen die Abtreibungen haben gezeigt, dass eine Bewegung alleine zwar das Bewusstsein Vieler erreichen kann – aber auch immer wieder verebbt. Auf der anderen Seite zeigte der Zuspruch zu Bernie Sanders oder der DSA auch, dass es genügend Potenzial und Zulauf gäbe, eine Partei im Interesse der Arbeiter:innenklasse aufzubauen.

Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass man sich weder den Demokrat:innen unterordnen sollte, noch Hoffnungen in ihre Konsequenz zu setzen. Die Aktivist:innen in den USA stehen also vor mehreren Aufgaben gleichzeitig: zum einen eine Kampagne gegen die Angriffe auf die trans Rechte zu organisieren, anderseits dabei nicht stehen zu bleiben und den Kampf weiter zu tragen durch den Aufbau einer Partei, die es sich selbst zur Aufgabe setzt nicht nur für Verbesserungen im Hier und Jetzt zu kämpfen, sondern diese mit dem Kampf der Zerschlagung des kapitalistischen Systems zu verbinden. Dabei muss klar sein: eine solche Partei muss aus den Kämpfen der sozialen Bewegung und der Arbeiter:innenklasse entstehen und die Verbindung dieser beiden aktiv suchen.

Endnote

* Wie beispielsweise Frauenwahlrechte. Jedoch sollte man auch hier vorsichtig sein, diese als festgeschriebene Gesetze zu betrachten, die nicht rückgängig gemacht werden können. Nur wäre der Widerstand wahrscheinlich größer.




USA: Anstieg von Femiziden nach Verschärfung von Abtreibungsgesetzen

Veronika Schulz, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 11, März 2023

Die Angriffe auf hart erkämpfte Errungenschaften, Grund- und Bürgerrechte im Zuge des Aufstiegs von Rechtspopulist:innen weltweit gehen weiter – und erste Folgen sind jetzt schon spürbar. Trotz der Abwahl von Donald Trump und der neuen Bundesregierung unter Joe Biden erleben wir in den USA einen enormen Angriff auf Frauenrechte.

Insbesondere reproduktive und Selbstbestimmungsrechte von Frauen werden immer häufiger infrage gestellt. Damit wird Frauen der Zugang zu Beratung sowie Abtreibung im Falle ungewollter Schwangerschaften bewusst erschwert oder gleich gänzlich kriminalisiert, was neben finanziellen Belastungen und gesundheitlichen Risiken im Falle nun illegal durchgeführter Abbrüche weitere Auswirkungen mit sich führt: In den USA lässt sich bereits ein deutlicher Anstieg von Femiziden feststellen, insbesondere an schwangeren Frauen.

Hintergründe

Der Begriff Femizid (engl. femicide) wird seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Abgrenzung zum englischen Begriff „homicide“ (Mord, Totschlag) benutzt. Die feministische Soziologin Diana Russell definiert Femizid als einen Mord an einer weiblichen Person durch einen Mann auf Grund der Tatsache, dass sie weiblich ist. Diese Definition schließt auch die Tötung von Kindern mit ein. Dadurch wird die geschlechtsspezifische Motivation der Morde verdeutlicht, die Frauen durch Männer erleiden. Der Femizid stellt, noch vor der Vergewaltigung, die höchste Manifestation der Unterdrückung der Frau und eine extreme Form patriarchaler Gewalt dar.

Auch wenn Boulevardmedien mit reißerischen Schlagzeilen das Gegenteil suggerieren, so sind Femizide keine rein individuellen Tragödien. Während die Täter beim Frauenmord in familiärem oder partnerschaftlichem Kontext zwar einzelne Individuen oder kleine Gruppen sind, repräsentieren sie [beim Feminizid, dem organisierten, massenhaften Femizid] eine gesellschaftliche Kraft, in deren Interesse sie agieren – z. B. eine bestimmte Sorte von Unternehmen, eine reaktionäre Bewegung.

Die gesellschaftliche Dimension von Femiziden, also Morden an Frauen, weil sie Frauen sind, erfordert eine Betrachtung der Ursachen für die Zunahme dieser Gewalttaten.

Der von konservativen Richter:innen dominierte Supreme Court (Oberster Gerichtshof) der USA hatte im Juni 2022 das fast 50 Jahre geltende Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ aufgehoben. Dieses garantierte bisher das landesweite Grundrecht auf Abtreibung. Durch die Entscheidung des Supreme Court können Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche nun einschränken oder gänzlich verbieten, was mehrere konservativ regierte bereits getan haben. Das Urteil wurde deshalb nicht nur in den USA von Abtreibungsgegner:innen als Sieg gefeiert.

Betroffen sind rund 40 Millionen Frauen im gebärfähigen Alter, die in US-Bundesstaaten leben, in denen Abtreibungen entweder bereits verboten oder nur in eng gefassten Ausnahmefällen möglich sind bzw. in absehbarer Zeit verboten oder stark eingeschränkt werden.

Zunahme von Femizide an Schwangeren

Bereits Ende 2021, noch vor dem Urteil des Supreme Court und den darauffolgenden Restriktionen, gab es Bedenken bezüglich einer Zunahme von partnerschaftlicher Gewalt und Femiziden als mögliche Folgen: „Einige Experten befürchten, dass die Einschränkung des Zugangs zum Schwangerschaftsabbruch gefährdete Frauen noch mehr in Gefahr bringen könnte.“ So hatten Studien ohnehin belegt, dass partnerschaftliche Gewalt durch bzw. während Schwangerschaften zunimmt. Frauen war es oft nicht möglich, ihre Schwangerschaft fortzusetzen, und sie entschieden sich aufgrund häuslicher Gewalt zur Abtreibung. Die USA hatten demnach bereits eine sehr hohe Rate an Müttersterblichkeit: „Im Jahr 2018 kamen in den USA auf 100.000 Lebendgeburten 17 Müttersterblichkeitsfälle – mehr als doppelt so viele wie in den meisten anderen Ländern mit hohem Einkommen.“

Forscher:innen der Harvard School of Public Health kommen zu dem Ergebnis, dass es in den USA für Schwangere oder Frauen, die vor kurzem entbunden haben, wahrscheinlicher ist, ermordet zu werden, als durch schwangerschafts- oder geburtsbedingte Komplikationen zu sterben. Tötungsdelikte an Schwangeren sind somit häufiger als solche Todesfälle durch Bluthochdruck, Blutungen oder Sepsis, wie die Forscher:innen in einem Leitartikel beschreiben.

Die Verbreitung von Gewalt in der Partnerschaft ist in den USA ohnehin höher als in vergleichbaren Ländern. Die Gewalt endet oft tödlich und häufig sind Schusswaffen im Spiel. Eine weitere Studie der Tulane University bestätigt diesen Trend, wonach Tötungsdelikte eine der häufigsten Todesursachen bei Schwangeren und Wöchnerinnen in den USA sind.

Die genannten Studien können durch Zahlen belegen, dass neben schwangeren Jugendlichen insbesondere schwarze Schwangere ein wesentlich höheres Risiko hatten, getötet zu werden, als weiße oder hispanische. Dies verwundert nicht, da schwarze Arbeiter:innen in den USA auch heute noch strukturell benachteiligt sind, schlechter bezahlte Jobs haben, oft in beengten Wohnsituationen leben und seltener krankenversichert sind. Die ökonomischen Bedingungen wirken sich daher für diese Bevölkerungsgruppe besonders negativ aus.

Ähnliche Entwicklungen konnten auch in Deutschland im Zuge der Lockdowns der Coronapandemie beobachtet werden, wo aufgrund der schlechteren wirtschaftlichen Lage und der erzwungenen Nähe auf engstem Raum partnerschaftliche Gewalt um ein Vielfaches zugenommen hat.

Somit war bereits vor den Verschärfungen und Verboten, die auf das Grundsatzurteil des Supreme Court in einigen US-Bundesstaaten folgten, die Ausgangslage für Schwangere alles andere als sicher. Gesetze, die den Zugang von Frauen zu Abtreibung einschränken, können sie weiter gefährden, da die Kontrolle über die reproduktiven Entscheidungen einer Frau oft eine Rolle bei Gewalt in der Partnerschaft spielt. Die Autor:innen der Studie der Harvard School of Public Health weisen explizit darauf hin, dass schwangerschaftsbedingte Tötungsdelikte vermeidbar sind, z. B. indem im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen von Schwangeren gewaltgefährdete Frauen identifiziert und Hilfestellungen angeboten werden können.

Arbeiter:inneneinheitsfront für freie Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung

Doch wie kann, gemessen an diesen permanenten Angriffen und vielfältigen Problemen, eine erfolgreiche Pro-Choice-Bewegung aufgebaut werden? Statt nur auf Verschlechterungen zu reagieren, müssen wir selbst Verbesserungen erkämpfen. Wir dürfen nicht auf den Staat vertrauen oder Illusionen in die Demokratische Partei hegen. Diese konnte bzw. wollte die derzeitigen Angriffe auf bestehende Frauenrechte nicht verhindern. Daher müssen wir unabhängig von ihr gegen den Abbau von Frauenrechten kämpfen. Dabei kommt es auf den Kampf als Klasse an, was bedeutet, dass er durch die Arbeiter:innenklasse geführt und von ihren Organisationen unterstützt werden muss.

Wir fordern daher die Gewerkschaften auf, für eine gemeinsame Kampagne zu mobilisieren. Betriebsräte könnten beispielsweise Betriebsversammlungen einberufen, wo diese Themen und Fragen diskutiert werden. Darüber hinaus können Gewerkschaften mit Streik als Kampfmittel, anders als Einzelpersonen oder andere Gruppen, ökonomischen und politischen Druck auf Kapital und Regierung aufbauen.

Im Rahmen von Aktionstagen und für die Durchführung eines politischen Streiks wäre es außerdem wichtig, Streik- und Aktionskomitees zu gründen, die vor Ort mobilisieren, kollektive Erfahrungen ermöglichen und auf diese Weise auch zur Stärkung und Demokratisierung des gemeinsamen Kampfes beitragen. Ebenso sind Gewerkschaften personell und finanziell in der Lage, internationale Kooperation und Koordination zu gewährleisten, z. B. durch die Organisation zentraler, internationaler Aktionstage zum Thema Abtreibungsrechte und Selbstbestimmung. Dies ist wichtig, da die Unterdrückung nicht nur in einem Land existiert und zusammen mehr Druck aufgebaut werden kann.

Das alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Einbindung von Gewerkschaften auch einige Probleme mit sich bringt. Gerade im Dienstleistungsbereich, in dem hauptsächlich Frauen arbeiten, organisieren sich nur wenige Arbeiter:innen in ihnen. Ebenso agieren Gewerkschaften häufig reformistisch und beschränken sich auf die Besitzstandswahrung im eigenen Interesse, anstatt Fortschritte für die gesamte Klasse zu erkämpfen. Es existiert eine Gewerkschaftsbürokratie, die ihren Frieden mit dem jetzigen System geschlossen und ihre Rolle selbst auf das Feilschen um Lohn und Arbeitsbedingungen reduziert hat. Revolutionäre Kommunist:innen müssen sich deshalb für eine klassenkämpferische, antibürokratische Basisbewegung einsetzen, die sich der bürokratischen Spitze entgegenstellt, um die Gewerkschaften zu einem Glied in den Reihen des Kampfes für den Sozialismus umzugestalten.

Des Weiteren rufen wir alle bestehenden Pro-Choice-Bündnisse und -Bewegungen aktiv dazu auf, auch weiterhin gegen den bestehenden Abbau von Frauenrechten zu kämpfen und den Protest erneut auf die Straße zu tragen. Lasst uns die bisher bestehenden Bündnisse und Mobilisierungen bündeln und einen gemeinsamen Aktionstag für den Kampf für Frauenrechte ausrufen!

Gegenwehr

Zur Verhinderung von Femiziden ist der Aufbau von Organen der Gegenmacht erforderlich. Um die Verelendung der Klasse zu verhindern und rechtspopulistischen oder protofaschistischen Kräften das Handwerk zu legen, müssen wir Mittel des Klassenkampfes einsetzen, die notwendigerweise die Machtfrage selbst aufwerfen. Einmal mehr zeigt sich, dass der Kampf gegen Frauenunterdrückung in all ihren Formen untrennbar mit dem gegen den Kapitalismus verbunden ist.

Zur Abwehr weiterer Angriffe auf Abtreibungsrechte, aber auch zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Körper, welches selbst in Staaten mit liberaler Gesetzgebung bisher eingeschränkt ist, haben wir einige Forderungen aufgestellt, die es zu erkämpfen gilt – national und international:

  • Für die Aufhebung aller Abtreibungsverbote! Uneingeschränktes Recht auf Schwangerschaftsabbruch als Teil der öffentlichen Gesundheitsversorgung! Abtreibungen müssen sicher und von den Krankenkassen/öffentlichen Gesundheitsdiensten finanziert werden!

  • Für den flächendeckenden Ausbau an Beratungs- und Behandlungsstellen! Für uneingeschränkten und transparenten Zugang zu Informationen, Ärzt:innen und Kliniken!

  • Schluss mit der internationalen Stigmatisierung von abtreibenden Frauen! Raus mit jedweder Religion und „Moral“ aus Gesundheitssystem und Gesetzgebung! Das Leben einer Frau muss immer über dem eines ungeborenen Fötus stehen!

  • Vollständige Übernahme aller Kosten für Verhütungsmittel durch den Staat bzw. die Krankenversicherung!

  • Ausbau von Kitas und Kinder-/Jugendbetreuungsangeboten, um Eltern zu entlasten!

  • Für viel mehr finanzielle und gesellschaftliche Unterstützung von insbesondere (jungen) Frauen und Alleinerziehenden und dafür, dass minderjährige Frauen mit einer Schwangerschaft nicht alle Chancen auf eine gute Zukunft verlieren!

  • Langfristig: Für die Kollektivierung der Kindererziehung in der Gesellschaft!

  • Für den Ausbau von Schutzräumen für Opfer sexueller Gewalt, Schwangere und junge Mütter!

Ärzt:innen dürfen die Entscheidung zur Geburtshilfe (Entbindung) bei überlebensfähigen Föten treffen. Gegen leibliche Zwangselternschaft für so geborene Kinder! Der Staat soll für sie aufkommen und sich um sie kümmern bzw. zur Adoption freigeben! Adoptionsvorrang für leibliche/n Vater und/oder Mutter, falls sie das Kind später großziehen wollen und dieses zustimmt!

Quellen:

Baumgarten, Reinhard (2022): Weitere Rechte auf der Kippe?, online unter https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/abtreibung-usa-supremecourt-101.html

Chang, Leila (2020): Pro Choice: Für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper!, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, online unter https://arbeiterinnenmacht.de/2020/03/05/pro-choice-selbstbestimmung/

Chang, Leila (2022): Our bodies, our choice, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, online unter https://arbeiterinnenmacht.de/2022/03/14/our-bodies-our-choice/

Der Standard (2005): USA: Mord als eine der häufigsten Todesursachen für Schwangere, online unter https://www.derstandard.at/story/1962393/usa-mord-als-eine-der-haeufigsten-todesursachen-fuer-schwangere

Frühling, Jonathan (2020): Femizide – Frauenmorde international, Widerstand international, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, online unter https://arbeiterinnenmacht.de/2020/03/05/femizide-frauenmorde-international/

Harvard School of Public Health (2022): Homicide leading cause of death for pregnant women in U.S., online unter https://www.hsph.harvard.edu/news/hsph-in-the-news/homicide-leading-cause-of-death-for-pregnant-women-in-u-s/

Insider (2021): Homicide is the leading cause of death for pregnant women in the United States, a new study found, online unter https://www.insider.com/pregnant-women-in-the-us-homicide-leading-cause-of-death-report-says-2021-12

National Institute of Child Health and Human Development (2022): Science Update: Pregnancy-associated homicides on the rise in the United States, suggests NICHD-funded study, online unter https://www.nichd.nih.gov/newsroom/news/091622-pregnancy-associated-homicide

Sanctuary for Families (2022): The Silent Epidemic of Femicide in the United States, online unter https://sanctuaryforfamilies.org/femicide-epidemic/

Suchanek, Martin (2022): Femizide, Feminizide und kapitalistische Krise, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, online unter https://arbeiterinnenmacht.de/2022/03/17/femizide-feminizide-und-kapitalistische-krise/

The Guardian (2022): Estimated 45,000 women and girls killed by family member in 2021, UN says, online unter https://www.theguardian.com/global-development/2022/nov/23/un-femicide-report-women-girls-data




USA: Wie können US-Gewerkschaften das Streikverbot niederschlagen?

Dave Stockton, Infomail 1208, 22. Dezember 2022

Während die Eisenbahner:innen in Großbritannien mit den Drohungen der Tory-Regierung konfrontiert sind, ihre Streiks durch „Mindestdienst“-Gesetze unwirksam zu machen, wurde die Streikabstimmung von 115.000 US-Güterbahner:innen für menschenwürdige Arbeitsbedingungen gerade vom Kongress „beiseitegeschoben“. Und zwar nicht von den rechten Republikaner:innen, sondern von „Arbeiter Joe“ Biden und den Demokrat:innen, die sich als „Freund:innen der Arbeit,nehmer’:innen“ ausgeben und das Geld der Gewerkschaften und die Unterstützung der Mitglieder bei Wahlen annehmen.

Gesetz

Am 2. Dezember unterzeichnete US-Präsident Biden ein Gesetz, das die Eisenbahner:innen daran hinderte, einen landesweiten Streik für bessere Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen zu beginnen. Biden, der sich selbst als „arbeiter:innenfreundlichster Präsident in der amerikanischen Geschichte“ bezeichnet hat, hat den Beschäftigten, die seit drei Jahren keine Gehaltserhöhung erhalten haben, ganz einfach das Streikrecht genommen.

Sie kämpften für einen 15-tägigen bezahlten Krankenurlaub pro Jahr und für Änderungen bei der Zeit- und Personalplanung, damit die Arbeiter:innen nicht mehr gezwungen sind, zermürbende Arbeitszeiten zu leisten. Gegenwärtig erhalten die Beschäftigten keine Krankheitstage, und viele haben keine Zeit, sich mit ihrer Familie zu treffen oder sich ausreichend zu erholen.

Als im Sommer dieses Jahres eine landesweite Stilllegung der Eisenbahn möglich wurde, eilte die Regierung auf der Grundlage des arbeiter:innenfeindlichen Eisenbahnarbeitsgesetzes von 1926 … den Bossen zu Hilfe.

Biden setzte die Präsidiale Notstandsbehörde (PEB) ein, um die Verhandlungen zu verfolgen und eine Einigung zu erzielen. Die vorläufige Vereinbarung, die der Kongress nun wahrscheinlich durchsetzen wird, wurde von der Regierung Biden im September ausgehandelt.

Acht der 12 an den Verhandlungen beteiligten Gewerkschaften stimmten dem Vertrag zu, die anderen vier, die 55 Prozent der Beschäftigten vertreten, lehnten ihn jedoch ab. Da die vorgeschriebene Bedenkzeit abläuft, hätte ein Streik am 9. Dezember beginnen können. Die Gewerkschaftsführer:innen haben versucht, ihre Mitglieder von einem zwischen den Arbeit„geber“:innen und der Gewerkschaft unter direkter Vermittlung der Regierung ausgehandelten Vertrag zu überzeugen, aber eine Gruppe gewerkschaftsübergreifender Aktivist:innen, Railroad Workers United (Vereinigte Eisenbahnarbeiter:innen), hat sich für ein Nein eingesetzt.

Der Kongress hat den Arbeiter:innen nun einen Vertrag ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auferlegt, der weiterhin Wochenarbeitszeiten von bis zu 80 Stunden vorsieht. Mit der Behauptung, der aufgezwungene Vertrag enthalte „eine historische Lohnerhöhung von 24 % für die Bahnbeschäftigten“, verschwieg Bidens Büro die Tatsache, dass sich die Erhöhung über fünf Jahre erstrecken würde: weniger als 5 % pro Jahr in einer Zeit eskalierender Inflation.

Die Demokratische Partei beruft sich auf die Tatsache, dass ihre Abgeordneten und Senator:innen auch dafür gestimmt haben, dass Bahnmitarbeiter:innen sieben Tage bezahlten Krankenurlaub erhalten. Die Wahrheit wird durch Bidens eigene Aussage enthüllt, dass sie sie bekommen werden, „sobald ich die Republikaner:innen überzeugen kann, das Licht zu sehen“ – d. h. sie werden sie nicht bekommen. Das liegt daran, dass Biden und die Demokrat:innen im Kongress die sieben Tage in einen separaten Gesetzentwurf aufgenommen haben, der vom Verbot von Streiks und dem erzwungenen Vertrag getrennt ist.

Ursprünglich hatte sich das Weiße Haus gegen die Aufnahme von bezahlten Krankheitstagen in den von der Regierung auferlegten Vertrag ausgesprochen, doch der linke Flügel der Partei im Repräsentantenhaus (die so genannte Riege) und Senator Bernie Sanders hatten dagegen protestiert. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, tarnte den Verrat, indem sie getrennte Abstimmungen anberaumte: eine über den Vertragsentwurf und eine weitere über einen Vorschlag für sieben Tage bezahlten Krankenurlaub, was weniger als die Hälfte der Gewerkschaftsforderungen ausmachte.

Sie wusste genau, dass letzterer Vertrag im Senat niemals durchkommen würde. Er wurde mit acht Stimmen Mehrheit abgelehnt, während das Gesetz zur Durchsetzung des Vertrags den Senat mit 80 zu 15 Stimmen passierte. Auf diese Weise wurden die Eisenbahner:innen ihres Streikrechts beraubt, und es wurde ein für die Bosse vorteilhafter Vertrag durchgesetzt, „um einen möglicherweise lähmenden nationalen Stillstand des Schienenverkehrs abzuwenden“.

Da die wirtschaftliche Bedrohung durch einen landesweiten Bahnstreik die einzige Kraft war, die die Arbeiter:innen gegen ihre Milliardärsbosse wie Warren Buffett einsetzen konnten, hatten Biden und Pelosi sie entwaffnet. Die Partei und der Präsident, die für sich in Anspruch nehmen, „Freund:innen der Arbeit,nehmer’:innen“ zu sein, hatten die Frage des berühmten Pete-Seeger-Songs „Which Side Are You On“ (Auf welcher Seite stehst Du?) fair und ehrlich beantwortet – nicht auf ihrer!

„Sozialistische“ Streikbrecher:innen

Noch aufschlussreicher ist, dass die fünf Mitglieder der linken „Riege“ – die Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez (AOC), Cori Bush, Ilhan Omar und Jamaal Bowman – mit einer Ausnahme die Hand für die Annahme der Resolution gehoben  haben, mit der die Vereinbarung durchgesetzt wurde, ebenso wie der „sozialistische“ Senator Bernie Sanders, obwohl sie erkannt haben, dass sie schlecht für die Arbeiter:innen ist. Natürlich haben sie auch für die Entschließung gestimmt, die sieben Krankheitstage vorsah. Aber sie wussten bereits, dass dies ein Blindgänger war.

Die einzige Gegenstimme eines Mitglieds der „Riege“  kam von der Abgeordneten Rashida Tlaib. Bush, Omar und AOC sind ebenfalls Mitglieder der Democratic Socialists of America (DSA). Die Hauszeitschrift der Partei, Jacobin, versuchte, diesen Verrat zu vertuschen. Der Redakteur Branko Marcetic behauptete, dass die Abstimmung von Bernie Sanders und der „Truppe“ für sieben Tage Krankenstand „ein weiteres Zeichen für den bescheidenen, aber bedeutenden politischen Wandel im politischen Leben der USA ist, der dank der größeren Bekanntheit von Sanders und seinen progressiven Verbündeten im Kongress stattgefunden hat“.

Die Arbeiter:innen müssen die bittere Lektion lernen, dass die Demokratische Partei für die Kapitalist:innen und nicht für die Arbeiter:innenklasse kämpft. Und zu dem von der DSA-Mehrheitsführung befürworteten „schmutzigen Bruch“ gehört auch die Abstimmung über die Verweigerung des Streikrechts für Arbeiter:innen. DSA-Mitglieder sollten fordern, dass die Organisation die Mehrheit der Stimmen dieser „Riege“ verurteilt und den Prozess der Abspaltung von der zweiten Partei des US-Imperialismus einleitet, um eine unabhängige Partei für alle US-Arbeiter:innen und die sozial und rassisch Unterdrückten zu bilden – eine, die antirassistisch, antisexistisch und antikapitalistisch ist.




USA: Zwischenwahlen zeigen Notwendigkeit einer unabhängigen Arbeiter:innenpartei

Andy Yorke, Infomail 1205, 1. Dezember 2022

Die Zwischenwahlen in den USA am 8. November waren ein Schock für die Kommentator:innen, die Präsident Biden und der Demokratischen Partei eine Katastrophe voraussagten. Tatsächlich war der Umschwung gegen die etablierte Partei so gering wie seit vielen Jahren nicht mehr, obwohl Biden in den Meinungsumfragen rekordverdächtig unbeliebt ist.

Die von Ex-Präsident Trump vorhergesagte „rote Welle“ zugunsten der Republikanischen Partei blieb aus. In der Tat haben viele der von ihm unterstützten MAGA-Kandidat:innen (Make America Great Again) verloren oder deutlich unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielt. Vielmehr kam es in beiden Parteien zu einer Verschiebung in Richtung „Mitte“. Biden ist sicherlich in seiner Fähigkeit geschwächt, den Großteil seiner innenpolitischen Agenda durch das Repräsentantenhaus zu bringen, aber die Zwischenwahlen waren eine weitaus schwerwiegendere Niederlage für Donald Trump und den von ihm unterstützten rechtspopulistischen Flügel.

Seine Erklärung über seine Kandidatur für 2024 war dementsprechend schwach und schlecht gelaunt. Er drohte seinem republikanischen Mitstreiter Ron DeSantis, der einen Erdrutschsieg bei der Wahl zum Gouverneur von Florida erzielte, mit Enthüllungen, die seine Chancen irreparabel beeinträchtigen würden.

In der Republikanischen Partei zeichnet sich nun ein wahrer Bürger:innenkrieg ab. DeSantis lehnt Trump als Person ab, nicht aber seinen Rechtspopulismus, wie seine Reden zeigen. Dies wird durch sein Eintreten für ein Anti-Woke-Gesetz (soll Gutheißen oder Billigung bestimmter Unterrichtsinhalte durch staatliche Lehrkräfte verhindern) untermauert. Mit dem reaktionären Vorstoß soll das Gutheißen oder die Billigung bestimmter Unterrichtsinhalte durch staatliche Lehrkräfte verhindert werden, so zum Beispiel das Aufgreifen von Lehren der „Critical Race Theory“. Jedes Eingeständnis der rassistischen Vergangenheit und Gegenwart Amerikas soll faktisch aus dem Unterricht verbannt werden.

Auf der anderen Seite gingen Biden und die rechte und mittlere Seite der Demokrat:innen gestärkt aus der Wahl hervor und konnten sich gegen jede ernsthafte Herausforderung von links um Sanders oder Alexandria Ocasio-Cortez und neben dieser den anderen 3 Mitgliedern der „Squad“ (Truppe) – Ilhan Omar, Ayanna Pressley, Rashida Tlaib – behaupten. Sicherlich spielte das Thema Abtreibung der Demokratischen Partei in die Hände und ermöglichte es ihnen, den Vorteil zu überwinden, den die Republikanische Partei in Bezug auf die sich verschlechternde Wirtschaftslage (8 – 9 % Inflation) zu besitzen glaubte.

Jacobin, die Website der Demokratischen Sozialist:innen Amerikas (DSA), lobt in den höchsten Tönen den Sieg von John Fetterman in Pennsylvania als Ergebnis einer starken Wahlkampfunterstützung durch den Gewerkschaftsverband Change to Win und die Aktivist:innen der Lehrer:innengewerkschaft von Pennsylvania; ein Beweis für die immer noch aktiven Verbindungen zwischen den Gewerkschaften und der Demokratischen Partei. Fetterman vertritt in der Tat relativ progressive Ansichten zu Themen wie der Legalisierung von Cannabis, Abtreibung und einem Mindestlohn von 15 US-Dollar. Aber er prangerte auch den Slogan „Defund the police“ (Keine Finanzierung der Polizei) als „absurd“ an, er erklärte, er werde „hart gegen China“ vorgehen, und er sprach sich für Fracking aus. Er ist bestenfalls ein Mitte-Links-Populist.

Zwischen den kapitalistischen Parteien

Trotz alledem bleiben die amerikanischen Arbeiter:innen, insbesondere diejenigen, die sich an der anhaltenden Streikwelle und den gewerkschaftlichen Organisierungsbestrebungen beteiligen, in dem nicht enden wollenden Wahlzyklus zwischen den beiden kapitalistischen Parteien gefangen, mit einem weiteren zweijährigen Kampf, um Trump oder DeSantis aus dem Weißen Haus und die Konzerndemokrat:innen an der Macht zu halten. Sie können die Ausrede eines festgefahrenen republikanischen Repräsentantenhauses und rechter Demokrat:innen wie Joe Manchin im Senat nutzen, um all die eher arbeiter:innenfreundlichen Versprechen aus Bidens Manifest für 2020 über Bord zu werfen.

Sanders und der linkspopulistische/demokratische sozialistische Flügel drängten auf mehr „wirtschaftliche Botschaften“, die für die Arbeiter:innen attraktiv sein sollten, um die Wahlkampfspots zu ergänzen, die sich auf die Abtreibung konzentrierten – eine versteckte Kritik, dass Biden nicht radikal genug sei. Aber in Wirklichkeit wird die Wirtschaftspolitik der Demokratischen Partei immer die Interessen der Hochfinanz und des Großkapitals in den Vordergrund stellen. Das hat sie schon immer getan, selbst unter der stark mythologisierten Roosevelt-New-Deal-„Koalition“ mit Gewerkschaftsbürokrat:innen und Bürgerrechtsführer:innen. Nur ein unabhängiger Klassenkampf, das Gespenst der Revolution, könnten der herrschenden Klasse radikale Reformen abtrotzen, nicht das fein austarierte politische System und die Hoffnung auf kleine Fortschritte.

Doch die Mehrheit der reformistischen Linken in den USA, allen voran die DSA und die Zeitschrift Jacobin, wollen Arbeiter:innen, Frauen, ethnische Minderheiten und Jugendliche in der Tretmühle der Wahlpolitik halten, indem sie für die Demokratische Partei stimmen und in vielen Fällen auch für sie kandidieren, die zweite Partei des US-Kapitalismus, in der die Spenden der Unternehmen diejenigen der Gewerkschaften in den Schatten stellen, die nur einen weiteren Minderheitenstatus bekleiden.

Das Sanders-Experiment – das zweimal, 2016 und 2020, durchgeführt wurde – hat bewiesen, dass eine „politische Revolution gegen die Milliardär:innenklasse“ nicht durch die Demokratische Partei stattfinden kann, obwohl das Organisationsgremium, das Demokratische Nationalkomitee, die mächtigste und am besten platzierte Herausforderung für ihre Autorität seit Jahrzehnten enthält.

Ein Teil der Jakobiner:innen und einige kleine linke Fraktionen sagen, sie wollen einen „schmutzigen Bruch“ mit der Demokratischen Partei und schließlich eine Arbeiter:innenpartei aufbauen. Wahl für Wahl verzögern sie jedoch die tatsächliche Umsetzung dieser Strategie. Ihr jüngster Vorschlag besteht darin, Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez aufzurufen, diesen Bruch anzuführen, trotz der offensichtlichen Tatsache, dass sie jetzt mehr denn je in der DP integriert sind.

Eine Strategie des „sauberen“ Bruchs bedeutet andererseits, alle Befürworter:innen einer wirklichen Unabhängigkeit zugunsten der Arbeiter:innenklasse zu vereinen, um bei den kommenden Bundesstaats- oder Kommunalwahlen und im Jahr 2024 Arbeiter:innen- und/oder sozialistische Kandidat:innen zu unterstützen. Dies sollte innerhalb der DSA und in den Gewerkschaften verfolgt werden, aber auch die radikalen Aktivist:innen unter den Kämpfer:innen für die Rechte von Frauen, Farbigen, Klimagerechtigkeit usw. einbeziehen.

Es bedeutet, dies auf der Grundlage eines kämpferischen Aktionsprogramms zu tun, um eine unabhängige Arbeiter:innenpartei mit allen laufenden Auseinandersetzungen zu verbinden, einschließlich der Kämpfe gegen Rassismus und die populistische Rechte und ihre faschistischen Ränder. Das Ziel sollte sein, entweder einen DSA-Konvent 2023 zu gewinnen, um ein solches Programm zu verabschieden und einen sofortigen Bruch mit der Demokratischen Partei zu beschließen, oder einen Kongress all derer einzuberufen, die dazu bereit sind.




USA: „Unsere“ Demokratie retten!??

Christian Gebhardt, Infomail 1199, 20. September 2022

Die Republikanische Partei ist darauf aus, „unsere“ Demokratie zu stürzen. Die bevorstehenden midterm elections (Zwischenwahlen) werden eine Wahl zwischen einer extremistischen Autokratie und der „besten Demokratie“ sein, die wir je auf Erden gesehen haben. Zumindest versucht die Demokratische Partei, uns das drei Monate vor den Zwischenwahlen im November weiszumachen. Aus Angst, ihre hauchdünne Mehrheit zu verlieren, verweisen die Demokrat:innen auf die Tatsache, dass immer mehr republikanische Vorwahlen auf den von Trump unterstützten und nicht auf den „gemäßigten“ Kandidaten hinauslaufen. Diese radikalen Anhänger:innen Trumps würden nicht nur eine Bedrohung für die demokratischen Rechte (z. B. Abtreibungsrechte oder die Homo-Ehe), sondern auch für die Demokratie als Ganzes darstellen.

Und da ist ein Körnchen Wahrheit dran. Die Ergebnisse der Vorwahlen zugunsten der Hardcore-Trumpanhänger:innen bei den kommenden Zwischenwahlen sind nicht nur ein Zeichen für den anhaltenden Einfluss des Trumpismus innerhalb der Republikanischen Partei, sondern auch ein Zeichen für einen anhaltenden Einfluss auf Politik und Gesellschaft, selbst nachdem Trump sein Amt niedergelegt hat. Die Republikanische Partei befindet sich mitten in einem Rechtsruck, der von einer Basis von Wähler:innen angeheizt wird, die an die „große Lüge“ des Wahlbetrugs glauben und Druck auf „gemäßigte“ Republikaner:innen ausüben, damit diese sich entweder vorerst zurückhalten oder ihre Politik ändern. In jedem Fall spricht dies für einen Rechtsruck der Republikanischen Partei, der für Revolutionär:innen nicht allzu überraschend kommt. Unabhängig davon, ob dieser Rechtsruck aus echter Überzeugung oder Opportunismus erfolgt, stellt er dennoch eine reale Bedrohung für viele demokratische Rechte der US-Arbeiter:innenklasse insgesamt dar: z. B. Angriffe auf Abtreibungsrechte, die Homo-Ehe, das Wahlrecht usw.

Insgesamt lässt sich die derzeitige Situation in den USA als eine Polarisierung charakterisieren, in der die extreme Rechte in Zusammenarbeit mit der christlichen Rechten immer mehr Einfluss gewinnt und bestimmte Punkte ihrer Agenda durchsetzen kann.

Aber wer sind diese „Gemäßigten“?

Die Demokratische Partei fordert die gemäßigten republikanischen Teile auf, zur Vernunft zu kommen und die Realität der derzeitigen Republikanischen Partei zu erkennen. Eine Person, die in diesem so genannten moderaten Haufen am beliebtesten ist, ist Liz Cheney, eine Politikerin, die in 93 % der Fälle für die Politik von Donald Trump gestimmt hat und nicht als Teil des „progressiven Flügels“, was immer dieser Begriff auch bedeuten mag, innerhalb der Republikanischen Partei bekannt war. Mit ihrer Verteidigung der härtesten Formen des wirtschaftlichen Neoliberalismus gegen die Arbeiter:innenklasse und von Waterboarding (Kopf unter Wasser Drücken) und anderer Folter als legitime außenpolitische Optionen hätte sie noch vor zwei Jahren von keinem Mitglied der Demokratischen Partei als „gemäßigt“ bezeichnet werden können.

Was hat sich also geändert? Cheney hat sich in die Herzen der Demokrat:innen gespielt, indem sie gegen Trumps Verwicklung in den Angriff auf den Kongress am 6. Januar Stellung bezog, ihre Rolle im Ausschuss „6. Januar“ übernahm und für Trumps zweites Amtsenthebungsverfahren stimmte. Obwohl dies wichtige politische Positionen gegen Trumps Form des Autoritarismus waren, können sie ihr früheres politisches Leben als Hardcorepolitikerin des rechten Flügels, die politisch genauso ruchlos war wie ihr berüchtigter Vater, der ehemalige republikanische Vizepräsident Dick Cheney, nicht vergessen machen.

Wahlstrategie der Demokratischen Partei für die Zwischenwahlen

Es stellt sich also die Frage: Warum loben die Demokrat:innen jetzt Cheney? Zwar könnten wir ihnen zugute halten, dass sie glauben, Liz Cheneys Politik hätte sich grundlegend geändert und sie sei nun eine respektvolle Verbündete. Doch selbst wenn die Demokrat:innen dumm genug sind, das zu glauben, deutet das eher auf ihre übergreifende, fehlgeleitete Strategie für die Zwischenwahlen hin, ein Thema, das viel wichtiger ist.

Cheney als gemäßigt darzustellen und sie und ihre Anhänger:innen aufzufordern, nach Gemeinsamkeiten zu suchen und diese zu stärken, bedeutet, dass die Demokrat:innen einerseits versuchen, Druck auf republikanische Gesetzgeber:innen auszuüben, damit diese entweder in bestimmten Fragen mit ihnen stimmen oder aus der Reihe tanzen und die Partei ganz wechseln. Andererseits beschwören sie diese republikanischen „Gemäßigten“ sowie Unabhängige und unentschlossene Wähler:innen, für die Demokratie, und das bedeutet genauer gesagt, für die Demokratische Partei zu stimmen.

Für uns Revolutionär:innen ist es wichtig festzustellen, dass die Arbeiter:innenklasse – wenig überraschend – in dieser Strategie keine Rolle spielt. Statt sich an der Arbeiter:innenklasse zu orientieren, um den Aufstieg der extremen Rechten und des Trumpismus in den USA zu bekämpfen, versuchen die Demokrat:innen, uns davon zu überzeugen, sich mit Leuten zusammenzutun, die für den politischen Rechtsruck, mit dem wir es zu tun haben, mitverantwortlich sind. Das demokratische Establishment nimmt zudem eine Haltung ein, die den Interessen der Arbeiter:innenklasse zuwiderläuft, indem es diese Debatte derzeit nutzt, um den progressiven Flügel innerhalb der Demokratischen Partei anzugreifen, weil er „zu radikal“ und in Wirklichkeit nicht besser als die radikalen Republikaner:innen sei – eine widerliche Form der Gleichsetzung „beider Seiten“. Auch wenn wir die politische Strategie dieses progressiven Flügels ebenfalls grundlegend ablehnen, sehen wir es als notwendig an, auf diesen Angriff hinzuweisen und die Mitglieder dieses Flügels aufzufordern, die richtigen Schlüsse zu ziehen und mit der Demokratischen Partei zu brechen!

Die bürgerliche Demokratie – der Klebstoff, der sie zusammenhält

Die DemokratIsche Partei verkündet natürlich nicht offen, dass ihre Strategie eigentlich nicht darin besteht, den Trumpismus im Namen der Arbeiter:innen zu bekämpfen. Sie behauptet, dass der Kampf für Demokratie der wichtigste sei und sich alle um ihn scharen sollten. Wer sich gegen die Demokratische Partei stellt, auch wenn er/sie von links kommt, gehört zum falschen Lager und ist es daher nicht wert, mit jenen Kräften zusammenzuarbeiten. Dieser Aufruf, „unsere Demokratie“ zu verteidigen, ist der Klebstoff, der diese Strategie zusammenhalten und die Aktivist:innen der Arbeiter:innenbewegung an die Demokratische Partei binden soll, auch wenn  diese nicht auf der Seite der Arbeiter:innenklasse steht.

Doch niemand erwähnt den Charakter dieser „Demokratie“. Sie wird als abstraktes, natürliches Gesetz dargestellt statt als das, was sie wirklich ist: ein Form der Demokratie, die der herrschende Klasse, der Bourgeoisie nützt! Eine gesellschaftliche Struktur, die dazu da ist, den Kapitalismus und seine zerstörerischen Kräfte zu beherrschen und zu verteidigen. Eine „Demokratie“, die die Krisenlast auf die Schultern der Arbeiter:innenklasse legt, während sie dafür sorgt, dass die Profite für die Kapitalist:innen weiter fließen. Kurz gesagt, eine Demokratie, die wir als Revolutionär:innen überwinden und durch eine Arbeiter:innendemokratie und einen Arbeiter:innenstaat ersetzen wollen! Einen Staat, der wirklich vom Volk und für das Volk geführt wird und nicht durch ein Marionettenspiel, das die Kapitalist:innen vollständig begünstigt.

Wir brauchen eine Arbeiter:innenpartei!

Der Kampf für eine abstrakte Demokratie, in Wirklichkeit einer für eine bürgerliche Herrschaftsform, liefert keine Option für US-Arbeiter:innen. Anstatt innerhalb der Demokratischen Partei zu arbeiten und versuchen, für fortschrittlichere Positionen und Einfluss innerhalb einer Partei zu kämpfen, die sie nicht will – wie Bernie Sanders, die DSA oder Vertreter:innen wie die Squad uns glauben machen wollen –, brauchen wir einen offenen und sauberen Bruch mit der Demokratischen Partei. Dieser sollte zu einer Arbeiter:innenpartei führen, einer Partei, die wirklich die Perspektive der Arbeiter:innenklasse und ihre Kämpfe in den Vordergrund stellt, nicht nur, wenn es darum geht, mehr Einfluss oder Stimmen bei Wahlen zu gewinnen, sondern die auch die täglichen Kämpfe der arbeitenden Menschen in den USA führen kann. Eine Partei, die sich mit den laufenden Streikwellen, den Kämpfen gegen die Abschaffung der reproduktiven Rechte, der Wahlrechtsbeschränkungen, der Homo-Ehe und all den anderen Angriffen auf die demokratischen Rechte, die derzeit stattfinden, befasst. Eine Partei, die eine Koalition aus Vertreter:innen all unserer aktuellen Kämpfe für einen vereinten Gegenschlag bilden wird. Eine Partei, die den Arbeiter:innen endlich die Möglichkeit gibt, über ihre Politik und ihr politisches Programm selbst zu entscheiden.

Organisationen wie die Demokratischen Sozialist:innen Amerikas oder das Arbeiter:innennetzwerk Labor Notes sollten eine solche Initiative anführen und lokale Zweigstellen bilden, um eine Struktur für eine politische Debatte zu schaffen, die sich auf die Ausarbeitung eines Programms und eines Kampagnenplans konzentrieren sollte. Diese Debatten sollten nicht nur die Basisorganisationen der Arbeiter:innenklasse einbeziehen, sondern auch die Gewerkschaften auffordern, sich zu beteiligen, ihre Verbindungen zu der Demokratischen Partei zu lösen und sich einer solchen Initiative mit voller Kraft anzuschließen. Auch wenn wir wissen, dass sich die Gewerkschaftsführung nicht freiwillig an einer solchen Initiative beteiligen oder sie gegebenenfalls sabotieren wird, sollten wir zu ihrer Beteiligung aufrufen. Auf diese Weise wird  der Mitgliedschaft der faule Kern der Gewerkschaftsführung vor Augen geführt und liefert uns die perfekten Argumente, um mit ihr zu brechen und sich unserer Sache anzuschließen.

Wir Revolutionär:innen müssen uns in einer solchen Initiative engagieren und für eine revolutionäre Perspektive kämpfen. Wir sollten uns als revolutionäre Strömung innerhalb einer solchen Initiative organisieren, basierend auf einem revolutionären Aktionsprogramm. Wir argumentieren für dieses Programm und versuchen, so viele Mitglieder wie möglich zu sammeln, um für dieses Programm sowohl innerhalb als auch außerhalb der Partei zu kämpfen. Eine solche Taktik würde unweigerlich zu zwei möglichen Ergebnissen führen: Entweder wir gewinnen am Ende die Mehrheit der Partei für unser revolutionäres Programm und schaffen so eine revolutionäre Arbeiter:innenpartei, oder sie führt zu einer offenen Spaltung innerhalb der Initiative mit reformistischen und zentristischen Kräften. Eine Spaltung, die jedoch eine stärkere und gezieltere revolutionäre Organisation in den USA hervorbringen würde. Eine Organisation, die es uns Revolutionär:innen ermöglichen würde, in den aktuellen Kämpfen der Arbeiter:innenklasse mit einer stärkeren Stimme für unsere revolutionären Ideen zu streiten, z. B.: die Notwendigkeit der Überwindung der bürgerlichen Demokratie durch die Einführung der Arbeiter:innendemokratie und Bildung eines Arbeiter:innenstaates!