„Nix bliev wie et wor“: Lützerath verteidigen!

Richard Vries, Infomail 1198, 5. September 2022

Am 27. August fand in Köln unter dem Aufruf „Enteignen statt Krise – eine klimagerechte Zukunft aufbauen! Lützerath verteidigen!“ eine Großdemo statt – wir waren zusammen mit REVOLUTION vor Ort!

Enteignung?!

Initiiert wurde die Aktion von RWE & Co enteignen, Fridays for Future, Ende Gelände sowie Lützerath lebt, 1.500 Demonstrant:innen sprachen sich gemeinsam für die Enteignung der krisenprofitierenden und klimazerstörenden Energiekonzerne aus.

Die Demo ist gegenüber früheren Mobilisierungen von EG und FFF sehr klein ausgefallen, und wohl Ausdruck davon, dass die Klimabewegung einerseits selbst in der Krise steckt, nachdem sich drei Jahre langes Druck auf die Regierung machen nur in der eigenen Bedrückung niedergeschlagen hat, anderseits zeigt es vermutlich auch, wie relevant die Rolle der NGOs und der Grünen für Großmobilisierungen nach wie vor ist. Mobilisieren sie nicht, fällt alles zwei Nummern kleiner aus.

Dass die Forderung nach Enteignung aufkommt, ist trotzdem ein qualitativer Fortschritt, auch wenn das noch nicht die Frage beantwortet, wie und durch wen das passieren soll.

Der Aufruf selbst erwähnte die Arbeiter:innenklasse mit keinem Wort, stattdessen wurde diffus von „Vergesellschaftung“ und „Alle müssen den nächsten Schritt gehen“ gesprochen.

Das passt zu den Illusionen, die auch der linke Flügel der Umweltbewegung in den bürgerlichen Staat hat. EG und FFF demonstrieren, der Staat macht dann schon.

Immerhin: Bei der Anfangskundgebung gab es Reden der Initiator:innen, in denen „Beschäftigte sollten selbst im Betrieb entscheiden!“ gefordert wurde. Aber auch das wirft noch tiefergreifende Fragen zur Umsetzung auf.

Wir beteiligten uns mit unserem Strategieflugblatt am antikapitalistischen Block, um Antworten darauf in die Diskussion zu tragen.

Berliner Lehren

RWE & Co enteignen möchte keinesfalls „einfach“ irgendwie verstaatlichen und Energiekonzerne jedweder Couleur erneut in „fremde“ Hände geben, sondern schreibt auf der eigenen Website: „Wir wollen selbst bestimmen, wo Strom herkommt und wie er verteilt wird“, also „vergesellschaften“. Ob damit eine demokratische Arbeiter:innenkontrolle über die Produktion oder etwas anders gemeint ist, wird dort nicht deutlich. Der Begriff der „Vergesellschaftung“ ist zumindest insofern problematisch, als dass er sich auf eine kapitalistische Vergesellschaftung bezieht – zugegeben, programmatisches Feintuning.

Dafür sollte die Enteignung dann schon definitiv entschädigungslos sein,  was bei der Kölner Großdemo allerdings kaum zum Ausdruck kam.

Es riecht nach einem „staatstreues“ Vorgehen wie in Berlin, wo sich Deutsche Wohnen & Co enteignen unter Verweis auf Grundgesetz Artikel 15 eine Enteignung für das Gemeinwohl stark machte. Jedoch: Trotz 59,1 prozentiger Befürwortung der volksentscheidenden Berliner:innen, wird dort eine Enteignung großer Immobilienkonzerne von der rot-rot-grünen Regierung kontinuierlich vertagt, die Bewegung lässt sich dabei über die Beteiligung an einer Expert:innenkommission über den Tisch ziehen.

Was bleibt, ist eine Desillusionierung der Berliner:innen.

Das gleichgesinnte Verharren auf Art. 15 GG auf der Homepage von RWE & Co enteignen führt in dieselbe Sackgasse.

Arbeiter:innenbewegung

Es klafft in der Klimabewegung weiterhin eine Lücke zwischen dem  Anspruch und Wirklichkeit.

Während der Strategie, einfach Druck gegenüber der Politik auszuüben der nie wirklich vorhandene Druck ausgeht, fehlt immer noch die Fokussierung darauf, die Arbeiter:innenklasse ins Boot zu holen, um direkten Einfluss auf die Produktion durch Streiks, Enteignung, Arbeiter:innenkontrolle und demokratischer Planwirtschaft zu bekommen.

Reine „anlasslose“ Gespräche mit Beschäftigten im Energiesektor, noch dazu nur mit Gewerkschaftsbüro:kratinnen, die selbst aufs intimste mit RWE verbunden sind, reichen da bei weitem nicht aus.

Verpasste Chancen, wie die, sich als Ende Gelände (EG) in Hamburg nicht direkt mit den streikenden Hafenarbeiter:innen zu verbünden, wiegen umso schwerer.

Es bleibt nicht mehr viel Zeit, die 1,5 Grad-Grenze verläuft vor Lützerath.

Es bleibt im Kampf gegen die Klimakrise die derzeit wesentlichste Aufgabe: Die Arbeiter:innenbewegung und Klimabewegung müssen durch ein Programm gegen Klimakatastrophe und Krise verbunden werden.

Die Chancen dafür bietet der Heiße Herbst definitiv: Demos gegen die  Energiepreisexplosion stehen vor der Tür, Tarifrunden fordern einen Inflationsausgleich, und am 23.09.22 ist mal wieder Klimastreik – damit nichts so bleibt, wie es mal war!

Weitere Infos und Diskussionen über unsere Strategie für die Umweltbewegung und gegen die Klimakrise gibt es bei unserer Hybridveranstaltung am Sonntag, den 25. September von 13:30-16:00 Uhr in Frankfurt/Main. Wir treffen uns dort im Internationalen Zentrum in der Koblenzer Straße 17. Bis bald!

RWE enteignen – Lützerath verteidigen!