Die Inflation und wie wir sie bekämpfen können

Martin Suchanek, Infomail 1185, 15. April 2022

Die Preissteigerungen fressen ein tiefes Loch in unsere Geldbeutel oder Konten. Längst können die geringen Lohnzuwächse und Rentenerhöhungen die Einkommensverluste nicht mehr auffangen. Betraf hohe Inflation bis vor der Pandemie und der globalen Rezession vor allem die Menschen in den Ländern des „globalen Südens“, also den von den führenden kapitalistischen Mächten und deren Kapitalen beherrschten Staaten, so ist sie längst zum Alltag für die gesamte Arbeiter:innenklasse auch in den imperialistischen Ländern geworden.

Der Krieg um die Ukraine wirkt dabei als Brandbeschleuniger.

Zahlen

Die Pressemitteilung 160 des statischen Bundesamts vom 12. April (https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/04/PD22_160_611.html) gibt einen Überblick über die Dimension der Inflation in Deutschland.

So stieg der Verbraucherpreisindex im März im Vergleich zum Vorjahresmonat (März 2021) um + 7,3 %. Der harmonisierte Index, also jener, der einen direkten Vergleich aller EU-Staaten erlaubt, liegt sogar bei 7,6 %. Tendenz steigend. So hatte die Steigerung gegenüber dem Vorjahresmonat im Februar noch 5,1 % betragen.

Damit wurde der Höchststand vom Herbst 1981, ein Jahr nach dem Beginn des ersten Golfkriegs zwischen Iran und Irak, erreicht.

Die entscheidenden Preistreiber bilden in der aktuellen Lage die gestiegenen Energiekosten:

„Die Preise für Waren insgesamt erhöhten sich von März 2021 bis März 2022 um 12,3 %. (Anmerkung: höher als der Verbraucherpreisindex!) Besonders stark stiegen die Preise für Energieprodukte, die im März 2022 um 39,5 % über dem Niveau des Vorjahresmonats lagen (Februar 2022: +22,5 %). Mit +144,0 % haben sich die Preise für leichtes Heizöl mehr als verdoppelt. Auch Kraftstoffe (+47,4 %) und Erdgas (+41,8 %) verteuerten sich merklich. Die Preiserhöhungen für die anderen Energieprodukte lagen ebenfalls deutlich über der Gesamtteuerung, zum Beispiel für feste Brennstoffe (+19,3 %) und für Strom (+17,7 %). Der Preisauftrieb bei den Energieprodukten wurde von mehreren Faktoren beeinflusst: Neben den krisenbedingten Effekten wirkte sich auch die zu Jahresbeginn gestiegene CO2-Abgabe von 25 Euro auf 30 Euro pro Tonne CO2 aus.“

Den zweiten Faktor, der zur aktuellen Inflation beiträgt, sind die Preise für Nahrungsmittel. Sie erhöhten sich im März 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat um 6,2 %. Besonders betroffen sind folgende Produkte:

„Mehr bezahlen mussten die Verbraucherinnen und Verbraucher vor allem für Speisefette und Speiseöle (+17,2 %, darunter Sonnenblumenöl, Rapsöl oder Ähnliches: +30,0 %) sowie frisches Gemüse (+14,8 %). Erheblich teurer wurden neben Energie und Nahrungsmitteln auch andere Waren, zum Beispiel Kaffeeprodukte (+8,9 %) und Fahrzeuge (+8,2 %, darunter gebrauchte Pkw: +23,9 %). Insgesamt verteuerten sich Verbrauchsgüter um 16,7 % und Gebrauchsgüter um 4,3 %.“

Diese beiden Sparten tragen in Deutschland und auch weltweit entscheidend zur Inflation bei. Die Preissteigerung würde lt. statischem Bundesamt ohne Energie „nur“ 3,6 % betragen, ohne Energie und Nahrungsmittel 3,4 %.

Noch vergleichsweise gering fallen die erhöhten Kosten für Dienstleistungen aus. Insgesamt lagen sie im März 2022 um 2,8 % über dem Niveau des Vorjahresmonats.

Woher kommt Inflation?

In dem Artikel „Rückkehr der Inflation“ haben wir uns ausführlicher mit ihren Ursachen beschäftigt. Wir haben dabei auch gezeigt, dass während der sog. Globalisierungsphase, vor allem im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, trotz massiver Überakkumulation von Kapital die Inflation in den imperialistischen Zentren niedrig gehalten werden konnte – und zwar selbst nach der Krise 2009/10 und trotz der Politik des „billigen Geldes“, also einer massiven Ausweitung der Geldmenge.

Dies hängt damit zusammen, dass mehrere Faktoren Preissteigerungen entgegenwirkten:

  • Senkung des Werts der Waren infolge von Produktivitätssteigerung, Ausdehnung des Welthandels und des Kapitalexportes.

  • Zur Senkung der Warenwerte und infolge dessen auch des Preises trug maßgeblich eine Verlagerung der industriellen Produktion in neue imperialistische (China) und halbkoloniale Länder bei.

  • Stagnation der Löhne und Einkommen während der „Antikrisenpolitik“ auch in den kapitalistischen Zentren.

  • Sicherung der Anlagen überschüssigen Finanzkapitals in den imperialistischen Zentren und damit schon vor der Krise Abfluss aus den sog. Schwellenländern.

Inflationäre Entwicklungen zeigten sich auch schon damals – jedoch konzentriert auf spekulative Finanzmärkte (was zeitweilig die Wirtschaft befeuerte) und auf die halbkolonialen Länder. Dass Inflation nicht mehr als ökonomisches Problem erschien, traf aber auch damals im Grunde nur auf die imperialistische Welt zu. Für die Halbkolonien waren Preissteigerungen und Währungskrisen schon lange vor der „Rückkehr“ der Inflation ein riesiges Problem.

Inflation is here to stay

Doch die der Inflation entgegenwirkenden Faktoren sind aus mehreren Gründen praktisch erschöpft. Erstens hat sich der Weltmarktzusammenhang weiter verändert. Die infolge von Corona synchronisierte globale Rezession hat nicht nur massive Finanzmittel erfordert und die Verschuldung von Staaten und Unternehmen dramatisch gesteigert. Das Ausbleiben eines raschen und deutlichen Aufschwungs führt nun dazu, dass die Verschuldung und auch Ausdehnung von Unternehmen, die ohne Finanzhilfen eigentlich längst pleite sein müssten, die gesamtwirtschaftliche Produktivität und damit auch die Profitraten und die Akkumulation drücken.

Hinzu kommt, dass infolge von Corona bis heute Zulieferketten unterbrochen sind, Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten zusätzlich die Produktion und damit die Profite dämpft.

Außerdem fällt China anders als nach 2010 als Motor der Weltwirtschaft aus.

Der Krieg um die Ukraine, der Kampf um die Neuaufteilung der Welt und die Tendenz zur Blockbildung (Deglobalisierung) wirken unmittelbar extrem verschärfend auf diese Entwicklung. Dies drückt sich besonders bei Energie- und Nahrungsmittelpreisen aus; aber auch die  Finanzmärkte (Handeln von Eigentumstiteln) wirken preistreibend (z. B. auf dem Wohnungsmarkt).

Ingesamt müssen wir mit einer Kombination von Stagnation und Inflation (Stagflation) für die kommenden Jahre rechnen. Die aktuellen Preissteigerungen stellen keine vorübergehende Erscheinung dar. Sie führen vielmehr zu einer dauerhaften Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Arbeiter:innenklasse, für die Bauern-/Bäuerinnenschaft und alle unterdrückten Schichten der Bevölkerung, ja selbst für große Teile der Mittelschichten, wenn es dagegen keinen organisierten und massenhaften Kampf gibt.

Die Halbkolonien, vom Imperialismus beherrschte Länder, sind von der aktuellen Entwicklung besonders betroffen. In Ländern wie Sri Lanka drohen Hyperinflation und der Zusammenbruch der Währung.

Doch auch in den imperialistischen Zentren wie Deutschland bedeutet die Inflation für die Arbeiter:innenklasse insgesamt eine Entwertung der Löhne, Einkommen (Renten, ALG, Unterstützungsleistungen wie Kindergeld) und Ersparnisse.

Für die Massen führt die sinkende Kaufkraft zu einer Einschränkung ihrer Konsummöglichkeiten. Die ärmeren, schlechter bezahlten und sozial unterdrückten Teile der Klasse sind hiervon besonders hart und rasch betroffen, also prekär und/oder Teilzeitbeschäftigte, Aufstocker:innen, Arbeitslose, Rentner:innen, Jugend, Frauen, Migrant:innen, Geflüchtete.

Grundsätzlich treffen Preiserhöhung essentieller Güter des täglichen Verbrauchs, von Energie oder Nahrungsmitteln die Menschen umso härter, über je weniger Einkommen sie verfügen. Sie können, weil sie ohnedies schon am Existenzminimum leben, nicht groß verzichten. Sie müssen weiter versuchen, die Mieten trotz erhöhter Nebenkosten zu bestreiten, sie müssen bei erhöhten Preisen beim Discounter einkaufen usw. usf.

Im schlimmsten Fall droht ihnen die Verarmung und Verelendung. Verschärft wird das Problem noch dadurch, dass die Inflation mit der Knappheit an bestimmten Gütern einhergeht, so dass z. B. bei den Tafeln schon jetzt ein Engpass an gewissen Lebensmitteln herrscht.

Inflation treibt zwar auch Teile des Kleinbürger:innentums (v. a. untere Schichten) und sogar schwächere Kapitale in den Ruin und beschleunigt somit die Zentralisation und Konzentration des Kapitals – sie trifft aber in den imperialistischen Ländern besonders die Lohnarbeiter:innen.

Die Verlust an Kaufkraft, der Preisverlust Arbeitskraft führt auf Dauer auch zur Senkung ihres Werts, wird er nicht mittels steigender Löhne und Einkommen kompensiert. Dies betrifft nicht nur die Lohnabhängigen als Beschäftigte, sondern durch eine Senkung der Kaufkraft von Renten, Arbeitslosengeld und anderen Transferleistungen auch all jene Teile der Arbeiter:innenklasse, die ihre Arbeitskraft nicht verkaufen müssen oder können. Für das Kapital bietet die Inflation damit eine Chance zur Erhöhung der Ausbeutungsrate, ohne selbst direkt Lohnsenkungen durchsetzen zu müssen.

Die Frage der Preissteigerung stellt daher auch ein zentrales Problem des Klassenkampfes in der aktuellen Lage dar.

Gewerkschaften und ihre Antwort

Hier machen sich die geringen Abschlüsse – also faktisch Lohnverzicht – der letzten Jahre und in der Regel extrem lange Laufzeiten von 2 Jahren und mehr dramatisch bemerkbar.

Die meisten Abschlüsse der letzten Monate (https://www.dgb.de/aktuelle-nachrichten/tarifverhandlungen-tarifrunden-tarifrunde-streiks-warnstreiks) reproduzieren diese Politik des Verzichts und Zurückweichens. Hier nur einige Beispiele aus dem Jahr 2022:

  • Banken/Versicherungen: 5 % – aber über 2 Jahre plus eine Einmalzahlung von 500 Euro.

  • IG BCE: Brückenlösung für sieben Monate – Einmalzahlung pro Beschäftigter/m von 1400 Euro (1000 Euro für „notleidende Betriebe).

  • Druck: 3,5 % in zwei Schritten bei 25 Monaten Laufzeit!

Allein diese Beispiele verdeutlichen, dass die Entgelterhöhungen deutlich unter der aktuellen Preissteigerung liegen. Einmalzahlungen von 1000 Euro oder mehr wie in der chemischen Industrie mögen zwar auf den ersten Blick gut ausschauen, doch sie sind eben mehr oder weniger rasch verbraucht und fließen nicht in die Entgelttabellen ein.

Doch wenn die Anpassungen schon vollkommen unter jenen der Branchen blieben, die sich zur Zeit in Tarifauseinandersetzungen befinden, so trifft es jene, die vor dem massiven Anstieg der Inflation abgeschlossen haben, noch viel härter. Sie müssen, folgt man dem üblichen Tarifrundenritual, eben noch einige Monate oder mehr als ein Jahr warten. Oder sie müssen auf ein „Entgegenkommen“ von einzelnen Unternehmen hoffen – und das sicher nicht ohne Zugeständnisse in anderen Bereichen.

Un- oder gering organisierte Branchen, die ohnedies nicht oder kaum zum Tarif zahlen, spielen bei der Strategie der DGB-Gewerkschaften erst recht keine Rolle.

Noch dramatischer ist jedoch die Lage für alle Lohnabhängigen, die nicht beschäftigt sind:

  • So fällt die Erhöhung der Renten mit 5,5 % nach eine Nullrunde im Jahr 2021 viel zu gering aus. Und auch hier trifft die rein lineare Erhöhung vor allem diejenigen mit den geringsten Renten am härtesten.

  • Dasselbe trifft für Minijobber:innen, Erwerbslose, Hartz-IV-Empfänger:innen wie alle Bezieher:innen von Transferleistungen zu.

  • Schließlich wird auch der Effekt der Erhöhung des Mindestlohns rascher aufgehoben.

Die Gewerkschaftsbürokratie gibt ebenso wie die Spitzen von SPD und Linkspartei auf diese Entwicklung keine Antwort. Ihr ganzes politisches Repertoire besteht darin, leere Appelle an den Staat und die „Sozialpartner:innen“ zu richten. Vom Bruch mit der Routine des Tarifrundenrituals, selbst von der allgemeinen und koordinierten Aufkündigung der bestehenden Verträge, wollen sie nichts wissen – schon gar nicht von einem politischen Kampf und politischen Streiks für alle Lohnabhängigen. Und das, obwohl (oder weil?) die allgemeine Preissteigerung die Unzulänglichkeit und Untauglichkeit der sozialpartnerschaftlichen und rein tarifpolitischen Antwort des Gewerkschaftsapparates offenbart. Für die Masse der Arbeiter:innenklasse führt sie unwillkürlich zu Verzicht und massivem Verlust an Kaufkraft.

Welche Antwort?

Dabei käme den Gewerkschaften eigentlich eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die Preissteigerungen zu. Die Millionen organisierten Arbeiter:innen stellen jene unverzichtbare Kraft dar, die ein Programm durchsetzen kann, das verhindert, dass die Inflation auf die Lohnabhängigen abgewälzt wird. Umso wichtiger ist es, dass oppositionelle Strömungen wie die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) die Initiative ergreifen und sich andere klassenkämpferische Kräfte mit dieser koordinieren, um gemeinsam für eine Antwort auf die Preissteigerungen zu kämpfen. Dazu schlagen wir folgende Forderungen vor:

  • Automatische Anpassung der Löhne, Gehälter, Einkommen an die Preissteigerung. Diese muss von Kontrollausschüssen der Beschäftigten, Gewerkschaften, Rentner:innen und Erwerbslosen kontrolliert werden.

  • Bestimmung des Warenkorbs, der als Grundlage für die Anpassung der Einkommen herangezogen wird, durch solche Ausschüsse, da die Erhöhung der Lebenshaltungskosten oft höher liegt als der amtliche Verbraucherpreisindex.

  • Massive Anhebung von Mindestlöhnen und Einkommen (Arbeitslosengeld, Renten) gegen Armut auf 1600,- netto/Monat.

  • Preisstopps und -kontrolle in bestimmten Sektoren.

Die Verbraucher:innenpreise und Kosten von Waren, die v. a. Lohnabhängige für Wohnen, Energie, Lebensmittel bezahlen müssen, müssen offengelegt, kontrolliert und z. B. bei Mieten eingefroren werden. Die Kosten müssen durch den Staat oder das (Wohnungs-)Kapital übernommen werden.

  • Kostenlose Grundversorgung: ÖPNV, garantierter Zugang zum Gesundheitssystem und zur Bildung für alle.

  • Enteignung und Kontrolle des Agrarkapitals; direkte Verbindung zu landwirtschaftlichen Produzent:innen; Enteignung der Immobilienkonzerne.

  • Enteignung der Energiekonzerne und Fortführung unter Arbeiter:innenkontrolle.

Wenn Preissteigerungen v a. aus diesem Sektor herrühren, müssen wir diesen unter Kontrolle bringen.

  • Finanzierung durch massive Besteuerung von Vermögen und Unternehmensgewinnen. Alle Enteignungen müssen entschädigungslos und Arbeiter:innenkontrolle stattfinden zur Reorganisation der Produktion im Interesse der Massen und ökologischer Nachhaltigkeit.

Tarifkämpfe sollten als Mittel genutzt werden, um massive Entgelterhöhungen möglichst branchenübergreifend durchzusetzen und Kampforgane aufzubauen. Doch sie reichen nicht. Sie müssen als Mittel verstanden werden, alle Lohnabhängigen für einen gemeinsamen politischen Klassenkampf, letztlich für einen politischen Massenstreik zu sammeln. Diese Bewegung muss sich auf Aktionskomitees in den Betrieben, Büros, aber auch in den Stadtteilen und Gemeinden stützen, um auch Arbeitslose und Rentner:innen, Jugendliche und Studierende zu einer Kampfeinheit zu formieren.

Inflation, Stagnation und Krise gehen Hand in Hand. Ihre Lösung erfordert die Verbindung der Mobilisierung gegen Preissteigerungen mit der Eigentumsfrage und der sozialistischen Umwälzung. In diesem Rahmen erst ergeben Übergangsforderungen wie die gleitende Skala der Löhne (automatische Anpassung an die Inflation) und Arbeiter:innenkontrolle ihren eigentlichen Sinn – als Schritte im Kampf für eine zukünftige Gesellschaft.