Die Green New Deals. Programm zur Rettung des Klimas oder des Kapitalismus?

Martin Suchanek, Revolutionärer Marxismus 54, Dezember 2021

In der Not verspricht auch die bürgerliche Politik Rettung für die Menschheit und den Planeten. Längst können selbst große Teile der herrschenden Klassen die Krise des Kapitalismus und die drohende ökologische Katastrophe nicht mehr ignorieren. Zu augenscheinlich mehren sich jährlich die Auswirkungen der Umweltkrise, vor allem des Klimawandels, in Form von Extremwetterlagen. Die wichtigsten kapitalistischen Mächte,  ob nun die USA unter Biden, die EU unter der Kommissionsvorsitzenden von der Leyen oder das aufstrebende China, bekennen sich zum Klimaschutz. Alle wollen erklärtermaßen nicht nur die Welt retten, sondern beanspruchen auch noch eine führende Rolle bei der ökologischen Runderneuerung des Kapitals.

Die Realität straft diese Behauptungen Lügen. Bei den Weltklimagipfeln kommt regelmäßig wenig mehr als heiße Luft heraus. Nichts gewesen außer Spesen und viel Blabla. Die Gipfel dienen mittlerweile allenfalls als Foren dafür, die eigenen Anstrengungen schönzureden, eine Reihe unverbindlicher Erklärungen abzugeben und ansonsten die Schuld für das weitere Voranschreiten der Katastrophe bei der Konkurrenz im Kampf um die Neuaufteilung der Welt zu suchen. Wie unlängst im November 2021 in Glasgow besteht der gemeinsame Nenner dieser Umweltpolitik darin, Meeting für Meeting dieselben Ziele und Absichten zu formulieren – und ansonsten möglichst keine konkreten Verpflichtungen einzugehen.

Zugleich konstatieren die Berichte des Weltklimarates IPCC regelmäßig die Verschlechterung der Lage und ein Zurückbleiben hinter den selbst gestellten, ohnehin moderaten Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens aus dem Jahr 2015. Nachdem die Emissionen 2020 infolge von Corona und globaler Rezession zeitweilig zurückgingen, werden sie 2021 wieder das Vorkrisenniveau erreichen. 2022 droht, einen neuen Höchstwert des CO2-Ausstoßes mit sich zu bringen. Eine Zusammenfassung des IPCC-Berichts aus dem Jahr 2021 bringt das folgendermaßen auf den Punkt:

„Die globale Oberflächentemperatur wird bei allen betrachteten Emissionsszenarien bis mindestens Mitte des Jahrhunderts weiter ansteigen. Eine globale Erwärmung von 1,5 °C und 2 °C wird im Laufe des 21. Jahrhunderts überschritten werden, es sei denn, es erfolgen in den kommenden Jahrzehnten drastische Reduktionen der CO2– und anderer Treibhausgasemissionen.“[i]

Diese und ähnliche Schlussfolgerungen werden mittlerweile durch beachtliche Fortschritte der Klimaforschung und durch Untersuchungen weiterer ökologischer Krisenprozesse so gut untermauert, dass sie über jeden ernst zu nehmenden Zweifel erhaben sind. Betrachtet man darüber hinaus nicht nur den Klimawandel, auf den sich die bürgerliche Umweltpolitik konzentriert, sondern weitere ökologische Krisenprozesse, so kann die aktuelle Gefahr kaum überschätzt werden. Parallel zum Klimawandel nehmen auch die Versauerung der Ozeane, die sinkende biologische Vielfalt, der Eintrag von Stickstoff und Phosphor in die Biosphäre, die Gefährdung der Ozonschicht, die Übernutzung von Land und Trinkwasser sowie die Verschmutzung durch Nanomaterialien und Mikroplastik kritische Ausmaße an. In der 2009 veröffentlichen Studie über die „Belastungsgrenzen des Erdsystems“ untersuchte der Agrarwissenschafter Johan Rockström diese verschiedenen Subsysteme und ihren Zusammenhang.

„Laut dieser Bestandsaufnahme der ökologischen Krise sind nur zwei von sieben Belastungsgrenzen noch nicht überschritten (nämlich die Süßwasser-Regeneration und Aufnahmefähigkeit der Ozeane für Kohlendioxid). Die Probleme sind zudem miteinander verbunden.“[ii]

Die wechselseitige Verbundenheit der oben benannten Phänomene erfordert nicht nur rasches, sondern vor allem auch planmäßiges, vorausschauendes Handeln, um den Stoffwechsel von Mensch und Natur und die Reproduktion des Erdsystems so zu organisieren, dass die Reproduktion der Menschheit dauerhaft und nachhaltig möglich ist. Das Fortschreiten nicht nur des Klimawandels, sondern auch aller anderen ökologischen Krisenphänomene droht letztlich, die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit selbst zu zerstören.

Auf einen rationalen, vernünftigen Umgang durch die herrschende Klasse kann jedoch keinesfalls gerechnet werden, weil der eigentliche Zweck kapitalistischen Wirtschaftens, nämlich möglichst hohe Profite zu erzielen, nicht in Frage gestellt wird und von Kapitalseite auch nicht in Frage gestellt werden kann. Unabhängig davon, was einzelne UnternehmerInnen, AktionärInnen, ManagerInnen oder deren politische SprecherInnen auch wollen, sorgen die Zwangsgesetze der Konkurrenz dafür, dass sie bei Strafe des eigenen Zurückbleibens und Untergangs gezwungen sind, eben diesen Folge zu leisten, sich als Personifikationen des Kapitals zu verhalten.

Während zur Zeit die meisten Regierungen der Erde die Gefahr als solche durchaus anerkennen, ist das keineswegs bei allen der Fall. Die Leugnung des Klimawandels oder anderer ökologische Gefahren durch die Trumps und Bolsonaros dieser Welt ist zwar irrsinnig, hat aber nachvollziehbare systemische Ursachen. Angesichts der aktuellen strukturellen Krise des Kapitalismus, der verschärften Konkurrenz und des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen den Großmächten stellen sie eine mögliche Rechtfertigung dafür dar, sich der Kosten des Klimawandels zumindest kurzfristig zu entziehen. Die aktuelle Weltlage bringt solche Formen des Irrationalismus durchaus folgerichtig hervor, sowohl bei einem Flügel des Kapitals als auch in Form reaktionärer kleinbürgerlich-populistischer Parteien und Bewegungen.

Vom Standpunkt der Konzerne und Nationalökonomien, die um ihre Stellung auf dem Weltmarkt fürchten, oder der Kleinunternehmen, die im Konkurrenzkampf zu unterliegen drohen, erscheint der Klimawandel als Ursache für ihren drohenden Niedergang oder Ruin. Sobald dieser oder der menschliche Einfluss auf ihn geleugnet wird, erscheint jede Anstrengung zur Abwendung der drohenden ökologischen Katastrophe als das  eigentliche Problem. Selbst die unzureichenden Pläne der Klimakonferenzen werden dann zum Anschlag, zur regelrechten Verschwörung gegen die „eigene“ Wirtschaft, Nation, den kleinen Laden oder den Arbeitsplatz verkehrt. Gerade weil sich die vorherrschende bürgerliche Klimapolitik als unfähig erweist und erweisen wird, auch nur eines der großen ökologischen Probleme zu lösen, werden früher oder später weitere reaktionäre bürgerliche und kleinbürgerliche Bewegungen auf den Plan treten, die die drohenden Katastrophen leugnen und mit nationalistischen, chauvinistischen und populistischen Lösungen reaktionär verknüpfen.

Das Versprechen des Green (New) Deal

Zur Zeit erkennen jedoch die vorherrschenden politischen Kräfte das Problem als solches an. Die EU-Kommission und alle Parteien, die sie tragen (Konservative, Liberale, Grüne und Sozialdemokratie), vertreten ein Programm des Green Deal. Biden verspricht das größte Klimaschutzprogramm der Geschichte im Umfang von zwei Billionen US-Dollar. Sowohl die EU als auch die USA, also die beiden (noch) größten Wirtschaftsregionen der Welt, haben sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein. China will dies 2060 erreichen, Indien 2070. Eine Klimapolitik, die ökologisch und ökonomisch nachhaltig sein will, versprechen heutzutage unter dem Titel Green Deal, Green New Deal oder einem ähnlichen Öko-Label fast alle.

Sicherlich sind die EU-Mächte wie Deutschland und Frankreich oder die USA nicht aus reinen Vernunftgründen zu dieser Einsicht gelangt, sondern wegen der kaum zu leugnenden Auswirkungen der ökologischen Krisen, vor allem aber aufgrund des politischen und gesellschaftlichen Drucks von Massenbewegungen und linker VertreterInnen einer sozialökologischen Transformation.

Es bedurfte langer, erbitterter Kämpfe vor allem jugendlicher und lohnabhängiger AktivistInnen der Umweltbewegung in den imperialistischen Metropolen, von Bauern und Bäuerinnen, von Landlosen, von GewerkschafterInnen und Indigenen in den halbkolonialen Ländern, um die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, die „ökologische Frage“ überhaupt ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zu rücken. Über Jahrzehnte bekämpften viele, die heute den Green Deal versprechen, diese Bewegungen und in zahlreichen Ländern werden Bauern und Bäuerinnen und indigene Völker, die sich gegen Landraub und Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen wehren, weiter mit brutaler Gewalt unterdrückt, vertrieben oder gar ermordet.

Selbst die Ideen des Green Deal (GD) und der ökologischen Modernisierung der Wirtschaft, der sich USA und EU mit milliardenschweren Programmen verschrieben haben, gehen ursprünglich auf radikalere Programme aus dem kleinbürgerlichen oder reformistischen Flügel der Umweltbewegung zurück. So wurden erste Vorschläge für einen Green New Deal (GND) 2007/2008 in Britannien von der Green New Deal Group veröffentlicht, der VertreterInnen von NGOs, eine grüne Abgeordnete und später auch einige der Labour Party angehörten. Ähnliche Vorstellungen wurden auch in anderen grünen Parteien in Europa entwickelt und zur Klimakonferenz in Dänemark 2009 einer größeren Öffentlichkeit präsentiert.

In den letzten Jahren wurde der GND von zahlreichen linken Kräften aufgegriffen und popularisiert. Die britische Labour Party machte ihn 2019 zu einem Bestandteil des Wahlprogramms. Linke demokratische US-amerikanischen PolitikerInnen wie Bernie Sanders und Alexandra Ocasio-Cortez (AOC) griffen ihn ebenfalls auf. Schließlich fordern auch die Parteien der europäischen Linkspartei einen Green New Deal, der sich durch eine stärkere Betonung der sozialen Frage und globaler Klimagerechtigkeit vom Green Deal der EU-Kommission abheben soll.

Im folgenden Artikel wollen wir uns mit verschiedenen Konzepten des GD und GND auseinandersetzen und diese einer Kritik unterziehen. Auch wenn die verschiedenen Ansätze selbst noch eine bunte Bandbreite unterschiedlicher Theorien, AutorInnen und Schwerpunkte inkludieren, so werden wir uns mit drei Hauptströmungen befassen bzw. mit AutorInnen, die für diese stehen. Zwischen ihnen existiert natürlich eine Reihe von Überschneidungen, Übergängen und Zwischenstufen. Dennoch macht unserer Meinung nach eine Unterscheidung Sinn, weil sie auf verschiedene soziale Kräfte zur Umsetzung des Green (New) Deal verweist.

1. Großkapitalistischer Green Deal

Hier handelt es sich um das Programm und die politische Strategie von Kräften der herrschenden Klassen wie der EU-Kommission, der Biden-Administration oder den Grünen. Auch die Versprechen ökologischer Erneuerung, wie sie der chinesische Imperialismus proklamiert, gehören letztlich zu dieser Form von Umweltpolitik.

Darüber hinaus steht auch der Mainstream der europäischen Sozialdemokratie sowie der Gewerkschaften in den imperialistischen Zentren auf dem Boden dieses Programms, ebenso wie die etablierten, bürgerlichen Umweltverbände, also BUND oder NABU in Deutschland, Oxfam oder Greenpeace auf internationaler Bühne.

Als AgentInnen des ökologischen Wandels fungieren beim GD Regierung und bürgerlicher Staat, die mithilfe von Konjunkturprogrammen, Steuerpolitik und Bepreisung (Emissionshandel, CO2-Bepreisung) ökologisch schädlicher Technik, Produkte oder Verhaltens eine Veränderung der Lebensweise der Menschen und eine stoffliche Erneuerung des Kapitals anstreben. Letzteres stellt ein zentrales Ziel dar, weil das ökologisch modernisierte Kapital auch konkurrenzfähiger sein soll als die fossile Abteilung.

Die Programme der EU oder USA (aber auch Chinas) sind daher wesentlich solche zur Erneuerung des Gesamtkapitals einer imperialistischen Nation oder eines imperialistischen Blocks.

2. Linksbürgerlicher und radikal kleinbürgerlicher GND

Zur Linken des Programms des Großkapitals finden sich VertreterInnen aus bürgerlichen Parteien wie  US-DemokratInnen (z. B. Sanders, AOC), AnführerInnen von politisch kleinbürgerlichen Massenbewegungen wie Fridays for Future (Greta Thunberg) oder AutorInnen wie Naomi Klein.

Sie betrachten soziale Bewegungen als notwendigen Bestandteil zur Durchsetzung eines GND, der nicht nur ökologisch nachhaltiges Wirtschaften gewährleisten, sondern auch soziale Gerechtigkeit herbeiführen soll. Das schließt auch eine diffus antikapitalistische Zielsetzung ihrer Politik ein, die jedoch nicht wirklich an die Wurzeln des Systems geht, sondern Antikapitalismus auf einen Bruch mit dem Neoliberalismus reduziert. Die Zielsetzung dieser Spielart des GND besteht darin, den Staat darauf zu verpflichten, eine regulierte, sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Marktwirtschaft weltweit durchzusetzen.

Als zentrale Akteurin des GND gilt dieser Strömung eine Bewegung, die sich auf verschiedene Communities (Gemeinschaften) stützt, auf Gewerkschaften, Bauern-/Bäuerinnenschaft, aber auch „aufgeklärte“ bürgerliche Schichten und die eine andere, soziale und demokratische staatliche Politik durchsetzt.

Der GND soll also von eine Allianz scheinbar gleichberechtigter Klassenkräfte verwirklicht werden, die sich gegen das „fossile Kapital“ zusammenschließen, Druck auf die Staaten und Regierungen ausüben und ihrerseits ökologisch orientierte Regierungen an die Macht bringen. Die Triebkraft diese Politik sind daher nicht Klassen – und somit natürlich auch nicht die Lohnabhängigen –, sondern „das Volk“, „die“ Community oder „die“ Menschen. Daher trägt diese Politik einen (links)populistischen Charakter, der die gegensätzlichen Klasseninteressen diese Allianz verschleiern soll – und somit auch den eigentlich bürgerlichen Charakter dieses Programms.

3. Reformistische Transformationsstrategie

Der kleinbürgerlich-radikale GND weist viele Gemeinsamkeiten mit der reformistischen Strategie bürgerlicher ArbeiterInnenparteien auf. Dennoch unterscheidet er sich davon, auch wenn sich eine ganze Reihe der erhobenen Forderungen deckt. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch im Verhältnis eines Green New Deal zur organisierten ArbeiterInnenbewegung. Organisationen wie Labour unter Corbyn, die Democratic Socialists of America (DSA) oder die Europäische Linkspartei verknüpfen den GND mit einer sog. Transformationsstrategie, also einem Konzept des graduellen Übergangs zu einer „anderen“ Gesellschaft.

Das zentrale gesellschaftliche Subjekt der Veränderung bildet für diese Strömung die Klasse der Lohnabhängigen. Sie setzt auf eine Politik der Mobilisierung der Gewerkschaften und der ArbeiterInnenklasse, um eine Reformregierung durchzusetzen, die, gestützt auf diese Kräfte und im Bündnis mit den Mittelschichten, ein linkskeynesianisches Programm, einschließlich einer Reihe von Verstaatlichungen in Kernsektoren (Energie, Transport/Verkehr, Gesundheit, … ) durchsetzt, um so eine sozialökologische Transformation zu einer anderen Wirtschaftsordnung in Gang zu bringen.

Wir sehen also, dass der GD bzw. der GND zum Programm verschiedener Klassenkräfte geworden sind. Grundlegend gehen jedoch alle von der Vorstellung aus, dass auch unter kapitalistischen Bedingungen eine staatliche Politik möglich sei, die ein ökologisch nachhaltiges Wirtschaften erzwingen könne. Offen oder implizit beziehen sich der GD und noch mehr der GND auf die Politik F. D. Roosevelts in den 1930er Jahren und dessen New Deal, weil sie als Beweis für die Machbarkeit einer solchen Reformpolitik auch unter kapitalistischen Bedingungen gilt.

Der New Deal

Bevor wir uns mit der Interpretation der Politik Roosevelts und des New Deal beschäftigen, wollen wir deren Ursachen, Verlauf und Durchsetzung betrachten.

Der Börsencrash von 1929, die darauf folgende tiefe Rezession der US- und Weltwirtschaft hatten den US-Kapitalismus erschüttert wie keine andere ökonomische Krise davor und danach. Von 1929 bis 1933 halbierte sich das BIP der USA nahezu, von 103,6 Mrd. US-Dollar auf 56,4 Mrd. Selbst wenn wir eine inflationsbereinigte Rechnung zugrunde legen, so brach es um von 1929 auf 1933 um rund 25 % ein.[iii]

Infolge der Finanzkrise mussten 9 490 Banken – 40 % des gesamten Sektors – Insolvenz anmelden und schließen. Die Industrieproduktion halbierte sich in diesem Zeitraum und die Landwirtschaft erfasste ebenfalls eine tiefe Krise, Export und Investitionen brachen ein.

Die sozialen Auswirkungen waren verheerend. Die Einkommen der FarmerInnen sanken um rund 70 %, Millionen Betriebe mussten aufgeben. Die Massenarbeitslosigkeit traf die Lohnabhängigen mit voller Wucht. Die Arbeitslosenrate stieg von 3 % 1929 auf 24,9 % 1933 – und das ohne öffentliche Arbeitslosen-, Rentenversicherung und soziale Absicherung. Nur ein Prozent der ArbeiterInnen und Angestellten hatte eine private Versicherung abgeschlossen. Aufgrund des Zusammenbruchs der Banken verloren viele obendrein noch ihre restlichen Ersparnisse.

Auch die Organisationen der ArbeiterInnenklasse wurden Ende der 1920er Jahre und während der großen Depression in eine tiefe Krise gestürzt . Die Gewerkschaften organisierten Ende der 1920er Jahre nur noch rund 2 Millionen Lohnabhängige (gegenüber rund 4 Millionen nach der großen Streikwelle 1919), was nur rund 6 % der Beschäftigten entsprach. Zu diesem Zeitpunkt hatte die AFL-Bürokratie ihre Kontrolle über die gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen sogar noch ausgebaut und hielt hartnäckig an ihren reaktionären, berufsständischen Prinzipien fest. Auch deshalb trafen die sozialen Auswirkungen die Lohnabhängigen mit voller Wucht.

Auch wenn es schon 1932 zu wichtigen gewerkschaftlichen Kämpfen kam, so drückten sich Frustration, Wut und Empörung, aber auch die Desillusionierung von Millionen bis 1933 weniger in ArbeiterInnenkämpfen als vielmehr in lokalen Unruhen und einer Abwendung vom etablierten System aus.

Die Politik des amtierenden US-Präsidenten Herbert C. Hoover hatte sich nicht nur als vollkommen unfähig erwiesen, die Lohnabhängigen und die kleinbürgerlichen Massen vor Not, Elend und Ruin, vor Armut und Hunger zu bewahren, sondern konnte auch die herrschende Klasse nicht zufriedenstellen.

Dem Wahlsieg Roosevelts 1933 lagen also  eine grundlegende politisch-ökonomische Krise und die Unzufriedenheit aller Klassen zugrunde. Anders als Hoover erblickten er und seine BeraterInnen im Brain Trust, einer Gruppe von Wirtschafts- und RechtswissenschaftlerInnen, die maßgeblich den New Deal und seine Ausrichtung beeinflussten, die Ursachen für die Depression nicht in den Verhältnissen außerhalb der USA, sondern in inneren Problemen und Ungleichgewichten.

Die Monopolisierung der US-Wirtschaft und stagnierende Löhne hätten in den 1920er Jahren ein ökonomisches Ungleichgewicht – eine Art chronischer Unterkonsumtion – geschaffen, die durch staatliches Handeln ausgeglichen werden müsse. Der New Deal sollte Abhilfe schaffen. Erstmals verwandte Roosevelt diesen Begriff am 2. Juli 1932 in seiner Nominierungsrede: „Aus der ganzen Nation schauen Männer und Frauen auf uns, die von der politischen Philosophie der Regierung vergessen wurden, um Führung und eine gerechtere Chance auf einen Anteil am nationalen Wohlstand zu bekommen. Ich verpflichte mich zu einer Neuverteilung der Karten für das amerikanische Volk. Das ist mehr als eine politische Kampagne. Das ist ein Ruf zu den Waffen.“[iv]

Der New Deal selbst durchlief mehrere Phasen. Nach der Wahl zur ersten Präsidentschaft war Roosevelts Politik vor allem auf eine unmittelbare Stabilisierung der Wirtschaft und der sozialen Lage gerichtet. Dies umfasste eine Banken- und Finanzreform und die Abwertung des US-Dollar sowie Maßnahmen zur Stabilisierung der Agrarproduktion. Zur Bekämpfung der Deflation und Stabilisierung der Kaufkraft diente vor allem die National Recovery Administration (NRA), ein korporatistisches Projekt, das die Unternehmen auf einen Verhaltenscode verpflichten und Arbeit und Kapital zur Zusammenarbeit bringen sollte. Zu dem Maßnahmenkatalog der NRA gehörten außerdem auch Reformen, die die Rechte der LohnarbeiterInnen erweiterten – Mindestpreise und Mindestlöhne, gewerkschaftliche Organisationsrechte, die 40-Stunden-Woche und Ähnliches. Diese gingen naturgemäß vielen Unternehmen zu weit und wurde auf verschiedene Weise bekämpft. 1935 wurde die NRA vom Verfassungsgericht kassiert.

In den ersten Monaten erfreuten sich die Präsidentschaft Roosevelts und der New Deal unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise zwar einer breiten Zustimmung. Dies änderte sich jedoch bald. Einerseits betrachteten Teile der herrschenden Klasse den GND als Angriff auf ihre Privilegien, andererseits ermutigte die Politik Roosevelts auch die ArbeiterInnenklasse. Teils durch den Präsidenten und die mit ihm verbündeten Gewerkschaften vorangetrieben, vor allem durch den neu entstandenen Congress of Industrial Organizations (CIO), teils durch Bewegung von unten stiegen sowohl der Organisationsgrad wie auch die Zahl der Streiks und Arbeitskämpfe massiv. In den Jahren 1933 – 37 vervielfachte sich die Mitgliedschaft der Gewerkschaften von 2 auf 7 Millionen.

Dieses Wachstum war selbst ein Resultat der neuen Gesetze, die die Organisierung der Beschäftigten erleichterten, als auch von Arbeitskämpfen zu deren Durchsetzung auf betrieblicher Ebene. Allein 1934 traten 1,5 Millionen Lohnabhängige in den Streik, oft um ihre neue gewonnenen, legalen Möglichkeiten gegen den Widerstand von UnternehmerInnen, StreikbrecherInnen, bewaffnete Schlägergruppen und Polizeikräfte durchzusetzen. In Städten wie San Francisco, Minneapolis und Toledo kam es zu lokalen Generalstreiks.

Der Widerstand des Kapitals gegen den New Deal und die Aufhebung des NRA durch das Verfassungsgericht entfachten den Kampfeswillen der Lohnabhängigen. In den Jahren 1935 – 37 ergriffen die Kämpfe weitere zentrale Industriesektoren, und der Sitzstreik (Sit In) geriet zu einer besonders effektiven und dynamischen Kampfform.

Roosevelt selbst beunruhigten diese Entwicklungen. Nachdem das NRA aufgehoben worden war, versuchten er und seine Administration durch eine Reihe weiterer Reformen, der wachsenden Militanz der ArbeiterInnenklasse und auch der Entstehung populistischer Strömungen Rechnung zu tragen.

Eine Schlüsselrolle spielte dabei der Wagner Act von 1935. Mit ihm wurde den ArbeiterInnen erneut das Recht zugestanden, Gewerkschaften zu bilden und Löhne und Arbeitsbedingungen kollektiv zu verhandeln. Das Streikrecht wurde anerkannt und Lohnabhängige durften nicht mehr wegen einer Gewerkschaftsmitgliedschaft entlassen werden.

Doch auch nach der Verabschiedung des Gesetzes gingen die Kämpfe weiter, teilweise in brutaler und blutiger Form, bei der etliche ArbeiterInnen von der Polizei getötet wurden. Doch der Wagner Act umfasste nicht nur eine Reihe von Garantien für die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten. Mit ihm wurde auch das National Labour Relations Board eingeführt, das bei Arbeitskämpfen vermitteln sollte und diese Funktion auch immer mehr ausübte, nachdem sich die Einzelunternehmen mit der neuen Gesetzeslage abgefunden hatten.

Ab 1935 wurde zudem eine Reihe weiterer Gesetze eingeführt, die die Lage der ArbeiterInnenklasse verbessern sollten – so eine Sozial- und Rentenversicherung, ein Mindestlohn und das Verbot der Kinderarbeit für alle unter 16, das allerdings nicht für die schwarze Bevölkerung der Südstaaten galt.

Dass die Verbesserungen des New Deal Stückwerk blieben, verdeutlichen jedoch gerade dessen Beschränkungen und Grenzen. Der Social Security Act blieb selbst hinter den meisten damals bereits bestehenden europäischen Regelungen zurück, was unter anderem auf die Intervention des damaligen Finanzministers Hans J. Morgenthau zurückzuführen ist. So blieben LandwirtInnen, Hausangestellte und Selbstständige von der Renten- und Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen. Dies bedeutete, dass gerade die ärmsten und unterdrücktesten Schichten der Lohnabhängigen nichts von den Segnungen des New Deal abbekamen. Diese Exklusion trug darüber hinaus einen eindeutig rassistischen Charakter. 65 % aller Schwarzen waren von der Sozialversicherung faktisch ausgeschlossen, in den Südstaaten sogar 70 – 80 %.

Neben diesen beinhaltete der New Deal der 1930er Jahre auch eine Reihe von Infrastruktur- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Diese waren ursprünglich eigentlich eine Antwort darauf, dass die Arbeitslosigkeit trotz BIP-Wachstums weiter sehr hoch blieb. In den 1930er Jahren sank sie nie unter 14 % und nie unter die absolute Zahl von 10 Millionen. Roosevelt und die Mitglieder des Brain Trusts machten aus dieser Not eine Tugend.

1935 wurden mit der Emergency Relief Appropriation Bill erstmals Milliarden US-Dollar für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verwandt. Die Projekte wurden dabei auf Anweisung Roosevelts so konzipiert, dass sie arbeitsintensiv und langfristig sinnvoll sein sollten. Innerhalb weniger Jahre wurden so wichtige Infrastrukturprojekte in Gang gebracht, darunter eine Million Kilometer Autobahnen und Straßen, 77.000 Brücken, Bewässerungssysteme, die Elektrifizierung ländlicher Regionen und öffentliche Gebäude und Erholungseinrichtungen wie Schwimmbäder oder Parks.

Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren weit davon entfernt, ein Wohlfahrtsprogramm für die Lohnabhängigen darzustellen. Roosevelt persönlich bestand vielmehr darauf, dass die ArbeiterInnen bei diesen Projekten schlechter bezahlt werden mussten als jene in der Privatwirtschaft.

Auch wenn die Infrastrukturprojekte gegen den Widerstand einzelner Kapitalgruppen durchgesetzt wurden, entsprachen sie insgesamt den längerfristigen Interessen der besitzenden Klasse. Der Staat agierte als ideeller Gesamtkapitalist und leistete einen massiven Anschub zur Erneuerung der allgemeinen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen in den USA, also essentieller Voraussetzungen für eine anhaltende erweiterte Reproduktion des nationalen Gesamtkapitals.

Dennoch führte der New Deal während der 1930er Jahre keineswegs zu einer Wiederherstellung eines dynamischen, expansiven Gleichgewichts der US-Ökonomie. Nicht nur die Arbeitslosigkeit blieb chronisch hoch. Die Maßnahmen des New Deal wurden durch eine Erhöhung der Staatsverschuldung erkauft. Wie sehr die US-Wirtschaft auf die staatliche Nachfrage angewiesen war, verdeutlicht die reale Entwicklung. Nachdem Roosevelt 1936 das Haushaltsdefizit etwas senken konnte, schlitterte die Wirtschaft 1937 in eine Krise.

Der Grund dafür liegt im Charakter des New Deal selbst begründet. Damit er als Programm funktionieren konnte, bedurfte es nicht nur der Erneuerung der Infrastruktur des US-Kapitalismus. Um ein neues Akkumulationsregime samt höherer Profitraten und einer Neujustierung des Verhältnisses zwischen den Klasse etablieren zu können, mussten nicht nur innere, sondern vor allem äußere Bedingungen geschaffen werden, die eine Überwindung der strukturellen Krise des US-Kapitalismus erlaubten: Der New Deal hatte letztlich nur Aussicht auf Erfolg als Bestandteil eines umfassenderen Programms zur Neuordnung der Welt.

In seiner Schrift „Marxismus in unserer Zeit“[v] unterzieht Trotzki den New Deal einer Analyse. Er verweist dabei auf den aristokratischen Charakter dieser Politik, die im Grunde nur für reiche, imperialistische Nationen möglich ist.

„Die Politik des New Deal, die die imperialistische Demokratie durch Bestechung der Arbeiter- und Farmer-Aristokratie zu retten sucht, steht im großen Stil nur den sehr reichen Nationen offen; in diesem Sinn ist sie die amerikanische Politik par excellence. Die amerikanische Regierung hat versucht, einen Teil der Kosten dieser Politik auf die Schultern der Monopolisten abzuladen, indem sie diese ermahnte, die Löhne zu erhöhen und die Arbeitszeit zu verkürzen und so die Kaufkraft der Bevölkerung zu heben und die Produktion zu erweitern.“[vi]

Trotzki berührt hier einen entscheidenden Punkt bezüglich des Klassencharakters des New Deal, der versucht, die oberen aristokratischen Schichten der ArbeiterInnenklasse zu integrieren, nicht jedoch die Gesamtheit der Lohnabhängigen. Auch ließ der New Deal die Jim-Crow-Gesetze, also die Politik der sog. Rassentrennung, unberührt. Der Ausschluss der schwarzen Massen stellte den politischen Preis für die Unterstützung des New Deal durch die demokratischen Abgeordneten aus den Südstaaten dar. Doch die Bedeutung dieses Ausschlusses ist weit grundlegender.

Die Politik der Klassenzusammenarbeit, des Korporatismus, wie sie der New Deal einleitet und wie sie den westlichen Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg prägen wird, entspricht einer Politik der Integration der ArbeiterInnenaristokratie in den imperialistischen Staat. Sie kann ihrer eigenen Natur nach nicht auf die gesamte Klasse der Lohnabhängigen ausgedehnt werden, sondern setzt vielmehr eine imperiale und rassistische Spaltung der Arbeitskraft im Inneren wie erst recht auf globaler Ebene voraus und reproduziert diese, wenn auch in unterschiedlichen Formen.

Auch auf diesen Zusammenhang verweist Trotzki schon 1939: „Natürlich sind die sich auftürmenden Staatsschulden eine Hypothek für die Nachwelt. Aber der New Deal selbst war nur möglich auf Grund des von den früheren Generationen aufgehäuften Reichtums. Nur eine sehr reiche Nation kann sich eine solche Politik der Verschwendung erlauben. Aber auch eine derartige Nation kann nicht unbegrenzt fortfahren, auf Kosten vergangener Generationen zu leben. Die New Deal-Politik mit ihren eingebildeten Großtaten und ihrem sehr realen Steigen der Staatsschulden ist unvermeidlich dazu verurteilt, in wilder kapitalistischer Reaktion und in einer verheerenden Explosion des Imperialismus zu gipfeln.“[vii]

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, also durch den Sieg über die imperialistischen RivalInnen, die Vernichtung überschüssigen Kapitals, die Etablierung hoher Ausbeutungs- und Profitraten, die Neuordnung des Weltmarktes und des Weltwirtschaftssystems unter Vorherrschaft der USA, des US-Dollar und des Bretton-Woods-Systems, können die Maßnahmen des New Deal Teil eines Ganzen werden, das eine dynamische Expansion des Kapitalismus über mehrere Zyklen erlaubt – und somit auch eine stabile Integration der ArbeiterInnenaristokratie und sogar breiterer Schichten der ArbeiterInnenklasse in den imperialistischen Zentren. Hier wird deutlich, dass der New Deal eine Politik im Interesse der herrschenden Klasse war, die jedoch einzelnen konkurrierenden Kapitalen selbst aufgezwungen werden musste:

„Die artikulierte Mehrheit der amerikanischen Großbürger schrie Zeter und Mordio über Roosevelts ,New Deal’; sogar Trumans ‚Fair Deal’ wurde mit nicht wenig Geschrei über ‚schleichenden Sozialismus’ beantwortet. Aber kein objektiver Beobachter der Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft der letzten 35 Jahre könnte heute bestreiten, daß sich in dieser Epoche die Akkumulation des Kapitals erweitert und nicht eingeschränkt hat; daß die amerikanischen Großkonzerne unvergleichbar reicher und mächtiger geworden sind, als sie in den zwanziger Jahren waren; daß die Bereitschaft anderer Gesellschaftsklassen – hauptsächlich der Industriearbeiterschaft – die Herrschaft dieser Konzerne unmittelbar gesellschaftlich und politisch in Frage zu stellen, geringer geworden ist, als sie während und sofort nach der großen Wirtschaftskrise war.“[viii]

Vom Klassencharakter des New Deal wie auch von seinen historischen Voraussetzungen wollen die heutigen ParteigängerInnen dieser Politik aus verschiedenen Lagern – vom bürgerlichen Linksliberalismus bis zu den „demokratischen SozialistInnen“ in den USA oder in der europäischen Linkspartei – nichts wissen.

Vielmehr negieren die VertreterInnen des GND dessen Klassencharakter und stellen ihn vielmehr als Politik im Interesse der gesamten Gesellschaft oder gar der ArbeiterInnenklasse dar, an die es heute anzuknüpfen gelte.

Sie abstrahieren dabei nicht nur von den Krisen und Kämpfen der 1930er Jahre und vom imperialistischen Charakter der US-Politik im Zweiten Weltkrieg. Sie abstrahieren auch  davon, dass der Einbindung von Elementen des New Deal in die US-geführte Nachkriegsordnung  eine historisch einzigartige Kapitalvernichtung vorausgehen musste und ein Weltkrieg, der überhaupt erst eine neue Periode der Kapitalakkumulation im Weltmaßstab möglich machte.

Das überschüssige US-Kapital hätte ohne Krieg und Neuordnung der Welt auf Kosten der geschlagenen imperialistischen und verbündeten RivalInnen, ohne Sieg über den deutschen und japanischen Imperialismus und ohne Aufbrechen der britischen und französischen Kolonialreiche nie die erforderlichen Anlagegebiete gefunden. Nur durch Errichtung der US-Hegemonie im Krieg und in der unmittelbaren Nachkriegsperiode bis Ende der 1940er Jahre konnten die realen Bedingungen für die Expansion des Kapitalismus geschaffen werden.

Die VertreterInnen des GND müssen jedoch von diesen Voraussetzungen absehen, weil sie mit dem Bezug auf den New Deal zeigen wollen, dass eine solche Politik voraussetzungslos sei, dass sie unabhängig von der Akkumulationsdynamik des Kapitals und der internationalen Ordnung gewissermaßen jederzeit durchgeführt werden könnte, wenn nur der politische Wille vorhanden wäre.

Die ApologetInnen des New Deal in der heutigen reformistischen und kleinbürgerlich-radikalen Linken interpretieren ihn darüber hinaus als eine quasi antikapitalistische Politik, weil sie sich auch gegen wichtige Monopole und Konzerne wandte. Sie übersehen dabei, dass der Widerspruch zwischen den kurzfristigen Profitinteressen der Einzelkapitale und den langfristigen des Gesamtkapitals selbst ein notwendiges Element der Kapitalbewegung darstellt, der in Krisenperioden offen und sichtbar als politische Krise der Bourgeoisie und der Gesellschaft, als innerer Konflikt des Kapitals hervortritt. Genau das meint beispielsweise Lenin, wenn er davon spricht, dass eine revolutionäre Krise davon gekennzeichnet sei, dass die Herrschenden nicht mehr so regieren könnten wie bisher.

Diese Lage führte überhaupt erst dazu, dass das Programm Roosevelts und des Brain Trusts zu einer staatlichen Politik werden konnte. Diese musste jedoch in langjährigen Kämpfen gegen den Widerstand von Einzelkapitalen durchgesetzt werden.

Aufgrund der Verelendung breiter Massen und der Lage der ArbeiterInnenklasse konnte sich Roosevelt dabei auf ein Bündnis mit den Gewerkschaften, genauer mit Teilen der Gewerkschaften und ihres Apparates stützen. Die ökonomische Lage erforderte drastische Maßnahmen, um überhaupt die Reproduktion der Lohnabhängigen zu sichern und somit auch eine ausreichend qualifizierte und arbeitsfähige ausgebeutete Klasse dem Kapital zur Verfügung zu stellen. Die Verringerung der Arbeitszeit und die Erhöhung der Löhne sollten letztlich durch andere Mittel zur Erhöhung der Profitrate (Produktivitätssteigerung, Verringerung der Kosten für Transport, Infrastruktur, Extraprofite auf dem Weltmarkt) ausglichen werden.

Insofern trugen die Klassenkämpfe der 1930er Jahre auch einen zwiespältigen Charakter. Einerseits drückten sie eine potentiell revolutionäre Erschütterung des US-Kapitalismus aus, eine Zunahme des Klassenkampfes, der deutlich machte, dass auch die „unten“ nicht mehr so leben wollten wie bisher.

Zugleich ordneten sich die Gewerkschaftsführungen in diesen Jahren faktisch immer der Führung Roosevelts und der Demokratischen Partei unter. Ihre teilweise überaus militant geführten Kämpfe bargen zweifellos das Potential, über die Grenzen des New Deal und einer Modernisierung des US-Kapitals hinauszugehen. Dies hätte aber eine Überwindung des vornehmlich nurgewerkschaftlichen Kampfes erfordert – und somit einen politischen Bruch mit den US-DemokratInnen und mit Roosevelt, den Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei, die sich auf die gewerkschaftliche und betriebliche Militanz stützt. Doch hätte eine solche Partei  nicht nur auf gewerkschaftlicher Ebene die US-Bourgeoisie bekämpfen müssen, sondern beispielsweise auch  den dem New Deal  inhärenten Rassismus. Sie hätte den New Deal als das betrachten müssen, was er war  – ein Programm zur Rettung des US-Imperialismus. Daher hätte eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei vor allem auch die US-amerikanische imperialistische Politik bekämpfen müssen. Genau dies taten die Gewerkschaften und vor allem ihre Führungen nicht. Spätestens mit dem Kriegseintritt wurden sie zu patriotischen Verteidigerinnen des demokratischen Imperialismus und seiner Weltmachtambitionen.

Und die heutigen ParteigängerInnen des ND wollen von all dem nicht nur nichts wissen. Sie stellen vielmehr die politische Unterstützung Roosevelts als vorbildlich hin. Sie behaupten nämlich, dass es möglich wäre, den bürgerlichen Staat zu Reformen für die ArbeiterInnenklasse zu nutzen und den Einfluss des Kapitals zurückzudrängen.

So wird der damalige Opportunismus auch heute gefeiert, während die Kritik am New Deal als „Sektierertum“ gebrandmarkt wird. Dafür reicht schon, den New Deal als bürgerliches Programm zur Rettung des Kapitalismus zu charakterisieren, wie es die TrotzkistInnen und RätekommunistInnen und sogar die stalinisierte KP in den 1930er Jahren taten.

Das Abfeiern des New Deal soll vor allem darauf einstimmen, dass seine grüne Neuauflage, sollte sie je verwirklicht werden, ähnliche Bündniskonstellationen erfordern wird.

Der bürgerliche GD/GND

Staats- und Regierungschefs wie Biden, von der Leyen, Scholz, Macron oder Xi eignen sich allerdings nicht gut als zeitgenössische Roosevelts. Das ficht die VertreterInnen des GND aber nicht oder nur bedingt an. Schließlich schwankte auch die US-Regierung in den 1930er Jahren und musste durch Gewerkschaften und Druck von unten zum Handeln gezwungen werden. Von den US-DemokratInnen, von der europäischen Sozialdemokratie oder den Grünen mag zwar keine konsequente sozialökologische Transformation erwartet werden. Aber wenn es eine linke Partei oder Bewegungen gäbe, die genügend gesellschaftlichen Druck entfalteten, könnten sie zum „vernünftigen“ Handeln gedrängt werden und der bürgerliche Staat zu einem Instrument sozialer und ökologischer Transformation mutieren.

Schließlich erkennen mittlerweile fast alle Regierungen und auch zahlreiche führende UnternehmensvertreterInnen die Realität der ökologischen Probleme an – und damit scheinbar auch die Notwendigkeit des Handelns. Vor diesem Hintergrund, so die Kalkulation der AnhängerInnen eines „echten“ Green New Deal, könnten auch die EU-Kommission, die Regierungen Deutschlands und der USA vom fossilen Saulus zum nachhaltigen Paulus mutieren. Wer lieber auf den chinesischen Imperialismus als alternatives Modell staatsinterventionistischer Politik setzt, kann seine Hoffnungen auf die Erneuerungspläne Pekings projizieren, auch wenn diese zur Zeit noch in den Kohlegruben des Landes lagern.

In diesem Abschnitt wollen wir daher kurz die proklamierten Klimaziele und Strategie der wichtigsten imperialistischen Regierungen oder Staatenbündnisse wie der EU sowie der Grünen skizzieren, um deren wesentliche Aspekte herauszuarbeiten.

USA

Zuerst betrachten wir das Programm der USA. Nach seiner Wahl zum Präsidenten verkündete Joe Biden bekanntlich eine Wende in der Klimapolitik. Auch auf diesem Gebiet wolle das Land nach den Jahren unter Trump wieder zum Vorreiter werden.

So verkündete er ein massives zwei Billionen US-Dollar schweres Programm, das  verschiedene Bereiche der US-Wirtschaft stimulieren und die Beschäftigung erhöhen soll. Einen damit verbundenen Teil bildet auch der „Clean-Energy Plan“. Insgesamt sah das Biden-Programm ursprünglich vor:

  • Die US-Infrastruktur soll massiv aufgebaut werden: Straßen und Brücken, Wasserversorgungssysteme, Strom- und Breitbandnetze sollen saniert oder verbessert werden.
  • Eine Million Jobs sollen in der Autoindustrie und bei ihren ZuliefererInnen geschaffen werden, dabei liegt der Schwerpunkt auf Elektroautos.
  • Alle Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern sollen mit emissionsfreien öffentlichen Transportmitteln ausgestattet werden.
  • Millionen Arbeitsplätze sollen auch durch Investitonen in den Energiesektor geschaffen werden, der bis 2035 saubere Energie „made in America“ ohne Emissionen erreichen soll.
  • Investitionen in die energetische Sanierung von vier Millionen Gebäuden und der Bau von 1,5 „Millionen nachhaltigen“ Häusern und Wohnungen sollen zur Jobmaschine werden.[ix]

Auf den ersten Blick erscheint das ursprünglich geplante Programm Bidens sehr umfangreich. Rund die Hälfte der im sog. Recovery Act anvisierten 2 – 2,7 Billionen US-Dollar sollten zur Umrüstung der US-Wirtschaft auf Klimaneutralität verwendet werden. Die Summe erscheint jedoch schon deutlich geringer, wenn man bedenkt, dass die Ausgaben über 8 Jahre verteilt werden. Aufgrund des Widerstandes der RepublikanerInnen und der Konzession der neuen Administration ist mittlerweile die Hälfte schon kassiert, aus über zwei Billionen wurde eine. Ähnliches gilt, nebenbei bemerkt, für die Sozial- und Arbeitsbeschaffungsprogramme.

Vergessen wird zudem, dass der Umfang des Umweltprogramms weit hinter dem zurückbleibt, was ÖkonomInnen für notwendig halten, um eine Volkswirtschaft von der Größe der USA bis 2050 umzurüsten, nämlich rund 5 – 7 % des BIP pro Jahr. Das Biden-Programm kommt hier dem Topfen auf den heißen Stein gleich:

„Großzügig geschätzt, ist etwa die Hälfte der zwei bis 2,7 Bill. für die Bewältigung der Klimakrise bestimmt. Verteilt man eine bis 1,3 Bill. über acht Jahre, kommt man auf etwa 0,5 Prozent des derzeitigen Bruttoinlandsprodukts jährlich. Das liegt weit unter jeder vernünftigen Schätzung des für die Dekarbonisierung benötigten Investitionsvolumens. Das Lager von Bernie Sanders verlangte, unterstützt von der 350.org-Kampagne des Aktivisten Bill McKibben, 16,3 Bill. Dollar. Die Thrive-Act-Initiative, die von Gruppen aus dem Umfeld des Green New Deal unterstützt wird, fordert zehn Bill. Dollar, von denen achtzig Prozent vor allem der Klimapolitik zufließen sollen.“[x]

Vergleicht man außerdem die konkreten Reformvorhaben der US-Regierung, so fällt auf, dass sie auf vielen Gebieten weit hinter ihren imperialistischen RivalInnen zurückliegen und wohl auch weiter zurückfallen werden – selbst wenn Bidens Pläne umgesetzt würden. Dazu 2 Beispiele:

  • China verfügt über ein Hochgeschwindigkeitsnetz für Züge in der Länge von 19 000 Kilometern, die USA über eines von – 500 Kilometern! Selbst wenn das gesamte Biden-Programm für den Ausbau der Schiene verwendet würde, würde das nicht reichen, um China einzuholen.
  • Für die Umstellung auf E-Autos plant die US-Regierung, bis Ende 2030 im ganzen Land 500 000 Ladestationen zu errichten. Das scheint viel, ist aber wenig im Vergleich zu China (3 Millionen) oder Deutschland (eine Million). Lassen wir einmal den problematischen Charakter der E-Mobilität als „Lösung“ der Verkehrsproblematik beiseite, so lässt sich anhand solcher Zahlen ermessen, wie ernst es der US-Regierung mit dem Ausstieg aus den fossilen Energieträgern wirklich ist.

Da sich die Regierung Biden nicht einmal im begrenzten Maße wie einst Roosevelt mit US-Unternehmen anlegen will und sie fürchten muss, die Mehrheiten im Kongress und Senat bei den Wahlen 2022 zu verlieren, sind große Taten auf diesem Gebiet wie bei anderen Reformvorhaben nicht zu erwarten.

Die „Lösung“ des Problems? Ganz einfach: Die staatlichen Ausgaben sollen nur einen Bruchteil der Summen ausmachen, die in „grüne“ Anlagen fließen. Sie sollen gewissermaßen nur als Funke wirken, der ein regelrechtes Investitionsfeuerwerk entfachen soll. Die staatlichen Ausgaben würden so als Multiplikatorinnen wirken – und schon löst sich das ganze Problem. Wer braucht schon Staatsintervention, wenn Kredite und Finanzmärkte für die notwendigen Investitionen zur Entwicklung neuer, grüner Märkte sorgen sollen?

Es bleibt also entweder die Hoffnung darauf, dass es ausgerechnet die Finanzmärkte richten. Damit diese nicht zuerst stirbt, muss die Regierung allerdings nachhelfen. Sie muss garantieren, dass die nachhaltige Investition vor allem profitabel, genauer profitabler ist als jene in traditionelle, auf fossilen Trägern basierende Produktion.

Das ist nicht nur von ökologischer Nachhaltigkeit weit entfernt. Es stößt auch beständig an die Grenzen der aktuellen Akkumulationsdynamik des Kapitalismus. Die chronische Überakkumulation von Kapital ist es ja gerade, die Investitionen in spekulative Anlagen, in Finanzgeschäfte fließen lässt. Die InvestorInnen und großen Player auf diesen Anlagemärkten vergleichen Gewinnerwartungen zwischen den einzelnen Sphären, um eine möglichst hohe und möglichst sichere Rendite einzufahren. Damit das Kapital also in ökologische Modernisierung fließt, müsste diese daher, wie bei jeder anderen Anlagesphäre, mit überdurchschnittlichen Gewinnerwartungen aufwarten. Dies wiederum erfordert Expansion, wachsenden Markt und hohe Ausbeutungsraten in der sog. Zukunftsbranche.

Gigantische Investitionen in erneuerbare Energien, in Infrastruktur usw., die über den Finanzmarkt vorfinanziert werden, werden zudem logischerweise zum spekulativen Markt, der alles Mögliche bewerkstelligen mag – aber sicher keine gezielte, effektive und ressourcensparende ökologische Umrüstung, weil die stoffliche Seite der Investition wie im Kapitalismus allgemein, so auf den Finanzmärkten in besonders drastischer Form, nur Mittel zum Zweck ist.

Hinzu kommt außerdem, dass eine Umrüstung der gesamten US-Wirtschaft auf „Nachhaltigkeit“ notwendigerweise das Ende oder wenigstens die Reduktion ganzer Produktionszweige (Öl, Gas, Bergbau) bzw. die Umstellung ganzer Sektoren usw. erfordern würde. Unter privatkapitalistischen Bedingungen schließt das die Vernichtung von bestehendem Kapital ein. Und das will die Regierung Biden nicht, jedenfalls nicht in den USA. Ökologische Erneuerung ist gut, aber sie darf die Profite der großen US-Kapitale – und das heißt natürlich auch der Ölmultis, der Autoindustrie usw. – nicht beschneiden. Ebenso wenig soll die internationale Konkurrenz die US-Konzerne auf dem Gebiet neuer, grüner Technologien ausstechen. Daher führt eine ökologische „Runderneuerung“ der KonkurrentInnen auf dem Weltmarkt gerade unter den aktuellen Bedingungen unvermeidlich zu einem ruinösen Wettbewerb zwischen den verschiedenen nationalen Kapitalen darum, wer bei der Neuorganisation des Weltmarktes die Nase vorn hat. Dieser muss nicht nur früher oder später zur Vernichtung der auf dem Markt unterlegenen Konkurrenz oder zur Austragung ebendieser mit außerökonomischen Mitteln führen, sondern resultiert logischerweise in einer Überakkumulation in diesen Sektoren samt Überproduktion, da unter Bedingungen der kapitalistischen Konkurrenz nicht in das ökologisch sinnvollste oder nachhaltigste Produkt, sondern in das mit den größten Profiterwartungen investiert wird.

Selbst wenn das Biden-Programm zum Klimaschutz voll umgesetzt würde, würde es am anarchischen Charakter des Kapitalismus nichts ändern, würde es in vielfacher Hinsicht das Problem verschärfen und den Output der US-Wirtschaft weiter erhöhen – also die ökologischen Folgewirkungen weiter verschärfen.

EU

So wie die US-Regierung ihren Green Deal hat, so auch ihre Konkurrenz. Unter der Kommissionspräsidentin von der Leyen erklärte die Europäische Union den Green Deal zur eigenen Kernstrategie. Getragen wird er von einer ganz großen Koalition aus Konservativen, Liberalen, Grünen und Sozialdemokratie. Folgen wir der Selbstdarstellung der Kommission, so liest sich das folgendermaßen:

„Klimawandel und Umweltzerstörung sind existenzielle Bedrohungen für Europa und die Welt. Mit dem europäischen Grünen Deal wollen wir daher den Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft schaffen, die

  • bis 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr ausstößt,
  • ihr Wachstum von der Ressourcennutzung abkoppelt,
  • niemanden, weder Mensch noch Region, im Stich lässt.

Der europäische Grüne Deal führt uns auch aus der Corona-Krise: Ein Drittel der Investitionen aus dem Aufbaupaket NextGenerationEU und dem Siebenjahreshaushalt der EU mit einem Umfang von insgesamt 1,8 Billionen EUR fließt in den Grünen Deal.“[xi]

Wie alle grünen Wirtschaftsprogramme fehlt es auch bei jenem der EU nicht an philanthropischen Beschwörungsformeln. Niemand soll im Stich gelassen werden: Davon können nicht nur die Geflüchteten  an den EU-Außengrenzen ein Lied singen, sondern auch Millionen Arbeitslose und prekär Beschäftigte.

Wie die US-Regierung setzt auch die EU auf die Hebelwirkung ihres Förderprogramms, um Investitionen in den Umweltsektor zu fördern. Mit der Taxonomie-Verordnung vom 18. Juni 2020 wurde die weltweit erste „grüne Liste“ für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten geschaffen, gewissermaßen ein offizielles Gütesiegel für Anlagen mit wirklichen oder jedenfalls behaupteten positiven Klima- und Umweltauswirkungen. Darüber hinaus hat die EU auch einen Fonds von 150 Milliarden Euro aufgelegt, um Regionen mit überdurchschnittlich hohem Verbrauch fossiler Energie den Übergang zu nachhaltigen zu subventionieren.

Anders als das aktuelle Biden-Programm setzt die EU auf die CO2-Bepreisung, um über diesen Mechanismus Konsum und Investitionen in grüne Produkte und Wirtschaftszweige zu stimulieren.

Ähnlich wie die USA – und alle anderen imperialistischen Staaten mit einem riesigen Kapitalstock – steht freilich auch die EU vor dem gigantischen Problem, die eigenen industriellen Konzerne und die Infrastruktur auf „Nachhaltigkeit“ umzurüsten. Dabei sollen die bestehenden Kapitalien nicht nur erhalten, sondern möglichst auch noch zu WeltmarktführerInnen in den neuen, grünen Branchen entwickelt werden.

Fazit

Alle Programme zur Erreichung der Klimaziele (Green Deal … ) der Großmächte – und das gilt auch für China, Japan oder andere imperialistische Konkurrenz von USA und EU – sind wesentlich solche zur Erneuerung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals der jeweiligen Nationen oder Blöcke. Sie unterscheiden sich natürlich angesichts der verschiedenen Herrschaftsformen, inneren Kräftekonstellationen und historischen Voraussetzungen, der Zusammensetzung der jeweiligen Kapitale wie auch ihrer Stellung in der globalen Konkurrenz.

Bei der grünen Erneuerung geht es daher vor allem darum, das eigene nationale Kapital so umzustrukturieren, dass es sich als produktiver und konkurrenzfähiger als die anderen erweist, es seine Stellung auf den internationalen Märkten ausbaut – und das notwendigerweise auf Kosten der anderen.

Daher sind alle Programme des Green Deal wesentlich nationale Wirtschaftsprogramme – nicht bloß in dem Sinne, dass ein Nationalstaat die Rahmenbedingungen( gesetzlichen Rahmen und Regularien für eine Umstrukturierung der Wirtschaft) setzt, überwacht oder  ökologisches Handeln mit wirtschaftlichen Anreizen oder Sanktionen herbeizuführen trachtet. Vor allem geht es darum, dass sich die jeweiligen Großkapitale als führende, als Champions auf dem Weltmarkt bewähren, also die Konkurrenz aus den anderen Blöcken übertreffen.

Die Aufgabe des imperialistischen Staates (oder eines Staatenbundes) besteht darin, genau diese überlegende Konkurrenzfähigkeit herzustellen und das Zurückbleiben der eigenen großen Konzerne zu verhindern. Solange die Aussicht auf eigene Überlegenheit besteht, erscheint der Green Deal als Zukunftskonzept für das Gesamtkapital. Doch genau aus denselben Gründen muss früher oder später auch auf die Bremse getreten werden. Die Rettung der Erde soll schließlich nicht auf Kosten des eigenen Kapitals oder der eigenen imperialen Ambitionen gehen. Besser ist es, in der fossilen Hölle zu herrschen, als im nachhaltigen Himmel zu dienen.

Vor dem Hintergrund struktureller Überakkumulation, einer verschärften Konkurrenz auf dem Weltmarkt und eines Kampfes um die Neuaufteilung der Welt kann von einem ausgewogenen, geplanten Umbau der Ökonomie im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit erst recht nicht die Rede sein.

Im Gegenteil. Die Fragen der Dominanz der Ökonomie und des Weltmarktes sowie der Halbkolonien durch das Großkapital (neuer Formen des Finanzkapitals, Großindustrie, Multis, Agrarkonzerne) taucht im kapitalistischen ökologischen Diskurs selbst als Aspekt imperialistischer Politik, der Sicherung grüner Rohstoffe und als Investitionsprojekt auf. Die Verpreisung der Umweltpolitik, der Zertifikathandel, ist dafür nur ein Beispiel.

Die Hilfen für die ärmsten Länder, die eigentlich 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr betragen sollen, existieren bis heute nur auf dem Papier. Wo es welche auf bilateraler Ebene gibt, nehmen sie die Form von Almosen oder Exportförderung für InvestorInnen aus den finanzstarken Ländern an.

Alle Ideologien bürgerlicher Umweltpolitik kennzeichnet eine Abstraktion von den grundlegenden gesellschaftlichen Widersprüchen des Kapitalismus. Dessen innerer Zwang zur immer größeren Aneignung fremder Arbeit zur Vermehrung des Profits, der daraus resultierenden stetigen Ausdehnung des Kapitals und damit auch der Produktionsmittel und des Outputs spielt nicht nur keine Rolle. Er muss notwendigerweise negiert werden, beispielsweise in Phantasien von einem kapitalistischen Wachstum ohne Ausdehnung der Produktion und Ausbeutung. Dies mag zwar für einige Zeit in Form der Ausweitung fiktiven Kapitals möglich sein. Grundsätzlich ist das auf dem Boden des Kapitalismus aber ausgeschlossen. Da der ganze Zweck der Produktion und jeder anderen wirtschaftlichen Tätigkeit für das Kapital darin besteht, sich Mehrwert in Form von Profit anzueignen, dessen Rate und Masse zu erhöhen, bedarf es notwendigerweise auch der stetigen Suche nach neuen Feldern zur Ausbeutung der Lohnarbeit. Da mehr Lohnarbeit aber ohne mehr und neue Produktionsmittel nicht in Bewegung gesetzt werden kann, müsste das Kapital dem eigentlichen Zweck seiner Betätigung entsagen, müsste aufhören, Kapital zu sein.

Die IdeologInnen des Green Deal müssen daher notwendigerweise nicht nur das Wesen des Kapitalismus negieren. Sie müssen die Frage der Nachhaltigkeit letztlich als technische begreifen, als Frage der Innovation, der „richtigen“ Lenkung von Angebot und Nachfrage. Rezessionen, Einbrüche, ja selbst die Umweltzerstörung gelten allenfalls als Exzesse, als Betriebsunfälle der Marktwirtschaft, der es mit etwas staatlicher Unterstützung und richtigem Konsumverhalten auf die Sprünge zu helfen gelte. Der Kapitalismus gilt einfach als die natürliche und beste Ordnung der Welt, die nur noch besser und so nachhaltig gemacht werden soll, dass sie ewig hält.

Allenfalls braucht es ergänzende Maßnahmen der Steuerpolitik, der sozialen Abfederung, um die Ärzte und Ärztinnen am Krankenbett des Kapitalismus, die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften, an Bord zu halten.

Wie auch der New Deal stellt der Green Deal ein Programm zur Rettung des Kapitals dar. Wie der New Deal stellt er ein nationales Programm dar. Internationale Zusammenstöße und der Kampf um die Kosten der Klimakatastrophe bilden dabei einen integralen Bestandteil der imperialistischen Dominanz der ärmeren Länder wie auch der imperialistischen Konkurrenz.

Anders als der New Deal vermag der Green Deal wie jedes kapitalistische Umweltprogramm jedoch eines nicht: Das Problem, das er zu lösen vorgibt, irgendwo zu meistern. Der New Deal bzw. das Akkumulationsmodell, auf das er sich bezog, konnten nach der Etablierung des Nachkriegsordnung zu für mehrere Weltmarktzyklen dominierenden Modellen werden (Sozialstaat), weil es mit den Akkumulationsbedingungen des Kapitals nicht nur vereinbar war, sondern für eine bestimmte Periode sogar ermöglichte, die kapitalistische Expansion auf der Basis des relativen Mehrwerts mit einer Ausdehnung des Konsums der ArbeiterInnenklasse zu vereinbaren. Unter bestimmten, historischen Voraussetzungen erwies sich dieses Akkumulationsregime sogar als das günstigste für das Gesamtkapital der wichtigen imperialistischen Länder. Mit dem Ende des sog. langen Booms und mit der Krise der frühen 1970er Jahre ist diese Phase jedoch unwiederbringlich vorbei.

Der New Deal erwies sich für eine bestimmte Periode vor allem als ein Instrument, die Akkumulationsbedingungen des Kapitals zu verbessern. Diese Komponente inkludiert auch der Green Deal.

Sie steht aber in einem unauflösbaren Widerspruch zum eigentlich proklamierten Ziel ökologischer Nachhaltigkeit. Diese ist, wie oben kurz skizziert, auf der Basis einer kapitalistischen Marktwirtschaft grundsätzlich unmöglich. Die kann nicht einfach besser reguliert werden. Sie muss vielmehr durch eine demokratische Planwirtschaft ersetzt werden. Nur so können eine globale Wirtschaftsweise gemäß den Bedürfnissen der Menschen und eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft reorganisiert werden. Ziele und Umfang der gesellschaftlichen Gesamtarbeit müssen und können unter diesen Voraussetzungen bewusst bestimmt, das Was und Wie von Produktion und Reproduktion so festgelegt werden, dass die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit reproduziert werden können. Dazu ist der Kapitalismus grundsätzlich nicht in der Lage.

Das Programm der Grünen

Als Beispiel der ideologischen Verkleisterung wollen wir nicht liberale, konservative Umweltpolitik heranziehen, sondern das Wahlprogramm der deutschen Grünen.

Unter dem Titel „Deutschland. Alles ist drin.“[xii] versprechen sie nicht nur eine Klimaregierung und eine Kanzlerin, sondern auch allen Klassen und Schichten das Blaue vom Himmel.

Das erste Kapitel „Lebensgrundlagen schützen“ stellt uns einen klimagerechten Wohlstand, Versorgungssicherheit mit Erneuerbaren, nachhaltige Mobilität, ein gutes Leben für alle sowie eine Stärkung von Bauern, Bäuerinnen und deren Tieren in Aussicht. Diese Versprechungen werden in weiteren Abschnitten auf allen möglichen Ebenen ergänzt. So wollen die Grünen für faire Löhne und Gehälter sorgen, Kinder, Jugendliche und Familien fördern, Gerechtigkeit zwischen  Geschlechtern schaffen und soziale Netzwerke sichern.

Gleichzeitig wollen sie Unternehmensgeist, Wettbewerb und Ideen stimulieren, dem Markt einen sozialökologischen Rahmen verleihen, die Digitalisierung voranbringen, die Finanzmärkte stabiler und nachhaltiger gestalten sowie die Wirtschafts- und Währungsunion vollenden.

Mehr als alle anderen stehen die Grünen für ein Konzept zur Überwindung der gegenwärtigen Krise: den Green New Deal. Diese „sozialökologische Transformation“ soll nicht weniger leisten als die Lösung der wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und demokratischen Herausforderungen unserer Zeit. Dazu müssten nur alle anpacken und von den Grünen lernen: „Als Gesellschaft haben wir den Schlüssel für so vieles schon in der Hand. Wir wissen, wie man eine Industriegesellschaft sicher ins Zeitalter der Klimaneutralität führt. Wie man dafür den Kohleausstieg beschleunigt und Versorgungssicherheit gewährleistet, wie viel mehr Strom aus Wind und Sonne gewonnen werden kann. Wir wissen, wie man eine sozialökologische Marktwirtschaft entwickelt, die zukunftsfähige Jobs, sozialen Schutz und fairen Wettbewerb in Deutschland und Europa zusammenbringt, wie man der Globalisierung klare Regeln setzt und Tech-Konzerne angemessen besteuert. ( … ) Wir sind in der Lage und fest entschlossen, Europa als Wertegemeinschaft demokratisch zu stärken und im globalen Systemwettbewerb gerechter und handlungsfähiger zu machen.“[xiii]

Die Frage, ob eine sozialökologische Umgestaltung im Kapitalismus an Systemgrenzen stößt, stellt sich für die Grünen im Unterschied zu linkeren Versionen des Green New Deal erst gar nicht. Kein Wunder also, dass die Umverteilungsvorschläge, also die soziale Komponente des Deals, auf den 137 Seiten des Programms dünn und vage ausfallen.

So versprechen die Abschnitte zu Arbeit, Löhnen und sozialen Netzen wenig mehr, als dass alles „sozialer werden“ solle. Hartz IV soll zwar durch eine „Grundsicherung“ ersetzt werden, über deren Höhe schweigen sich die Grünen aber aus. Das Rentenniveau soll auf gerade 48 % gehalten werden, das Renteneintrittsalter bei 67 Jahren festgeschrieben bleiben, also beim erreichten Stand an Verschlechterungen der Großen Koalition. Der Mindestlohn soll auf gerade mal 12 Euro angehoben werden. Armut verhindert das Programm der Grünen trotz gegenteiliger Beteuerung also längst nicht.

Statt einer generellen Arbeitszeitverkürzung soll Vollbeschäftigung durch einen flexiblen Arbeitszeitkorridor von 30 – 40 Stunden pro Woche erreicht werden, ohne Lohnausgleich natürlich. Damit das alles auch weiter friedlich und reguliert über die Bühne geht, soll die SozialpartnerInnenschaft gestärkt werden. Schließlich versprechen die Grünen zur Milderung der Wohnungsnot neben einer Zügelung der Wohnungsspekulation und „fairen Mieten“, ganz wie alle tradierten bürgerlichen Parteien, die Erleichterung des Erwerbs von Wohneigentum.

Betrachten wir die sozialen Versprechungen, entpuppen sich jene der Grünen als bescheidener als jene des sogenannten ArbeitnehmerInnenflügels von CDU/CSU. Die Armen sollen etwas weniger arm werden – darin erschöpft sich die grüne Transformation. Andere Forderungen nach sozialer Absicherung oder nach Ausbau des Bildungswesens, Verbesserung der Digitalisierung usw. sind vor allem Versprechungen gegenüber bessergestellten Teilen der Lohnabhängigen und den bildungsbürgerlichen Mittelschichten, also der Kernklientel der Grünen, und natürlich auch dem Kapital, das besser qualifizierte Arbeitskräfte braucht.

Noch unbestimmter und zahmer erweisen sich die Umverteilungsforderungen gegenüber Kapital und VermögensbesitzerInnen. Neben allgemeinen Beschränkungen von Exzessen der Spekulation und Profitmacherei geht es vor allem darum, dass die Reichen einen gerechten, wenn auch nicht übertrieben hohen Anteil an der sozialökologischen Umgestaltung leisten.

So soll klimaschädliches Verhalten von ProduzentInnen und KonsumentInnen nicht weiter subventioniert werden, was in einem ersten Schritt die Staatsausgaben um jährlich 10 Milliarden Euro reduzieren soll. Des Weiteren sollen mit Steuergeldern umsichtig umgegangen und die Vergabe von öffentlich-privaten Partnerschaften transparenter gestaltet werden.

Die Schuldenbremse soll reformiert werden, um den Spielraum für Staatsausgaben zur Steigerung von Konsum und Zukunftsinvestitionen in Ökologie, Bildung und Digitalisierung zu erleichtern. Der Spitzensteuersatz soll außerdem auf bis zu 48 % angehoben werden, würde also noch immer deutlich geringer als unter Helmut Kohl liegen. Außerdem soll für alle Vermögen von über 2 Millionen Euro eine Vermögensteuer von jährlich 1 % erhoben werden. Selbst davon ist bei den Koalitionsverhandlungen nichts geblieben. Zittern muss das Kapital also nicht, zumal auch Begünstigungen für Betriebsvermögen im verfassungsrechtlich erlaubten und wirtschaftlich gebotenen Umfang eingeführt werden sollen. Fazit des Ganzen: Die Reichen sollen etwas weniger reich werden.

Die Klassenspaltung der Gesellschaft kommt im Programm wie generell bei den Grünen überhaupt nicht vor. Sie erscheint erst gar nicht als Realität, daher auch nicht als Problem. Auch die Kluft zwischen Arm und Reich wird als solche nicht Frage gestellt. Die Grünen stört nur, dass sie mittlerweile zu groß wird – so groß, dass sie den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ gefährde. Dadurch würden nämlich die Demokratie, der soziale Frieden und die Möglichkeit eines „vernünftigen“, von allen akzeptierten Ausgleichs der verschiedenen gesellschaftlichen Interessen untergraben. Doch genau ein solches Mindestmaß an Harmonie scheint der Partei notwendig, um auch den ökologischen Umbau „vernünftig“ zu gestalten und „alle mitzunehmen“.

An mehreren Stellen des Wahlprogramms wird der Green New Deal als neue Wirtschaftsweise verkauft. Jedoch Kritik am Kapitalismus oder an der Warenproduktion ist damit nicht gemeint.

Die neue Wirtschaftsweise soll allerdings klimaneutral sein. Erreicht werden soll das im Wesentlichen durch eine endlich konsequente Umsetzung der internationalen Vereinbarungen zum Klimaschutz und des Grünen Deals, den die EU-Kommission zu implementieren versucht. Während linkere Spielarten des Green New Deal – z. B. das Wahlprogramm der britischen Labour Party unter Corbyn – auch die Verstaatlichung strategischer Wirtschaftsbereiche inkludieren und anerkennen, dass ein ernsthafter ökologischer Umbau nur gegen mächtige Kapitalinteressen durchsetzbar wäre, wollen die Grünen den Konzernen und Banken vermitteln, dass eine ökologische Umgestaltung der Wirtschaft auch in ihrem längerfristigen ökonomischen Interesse läge. Sie präsentieren sich dabei als bessere, weitsichtigere SachwalterInnen der Gesamtinteressen des deutschen und europäischen Kapitals.

Diesem soll die Investition in die sozialökologische Transformation schmackhaft gemacht werden. Da das Kapital aber noch nicht nach Wunsch in diese Branchen strömt, müsse dem freien Spiel der Marktkräfte auf die Sprünge geholfen werden. Auf technologischer Ebene erscheint den Grünen dabei das Problem im Grunde schon als gelöst. Die Unternehmen müssten bloß dazu ermutigt werden, in enger Kooperation mit einer Regierung zu handeln, die sich dem Green New Deal verschrieben hat.

In dieser Politik finden sich Elemente des Keynesianismus wieder: Einerseits sollen Produktion und Konsum von ökologisch schädlichen Gütern durch den Abbau von Subventionen und durch Preissteigerungen (Ökosteuern; CO2-Preis) verteuert werden, so dass nicht nur die Unternehmen solcher Branchen Gewinneinbußen hinnehmen, sondern auch die KäuferInnen ihrer Produkte (also bei Konsumgütern vor allem die Lohnabhängigen) höhere Preise zahlen müssten.

Andererseits sollen steuerfinanzierte Programme zur ökologischen Erneuerung der Wirtschaft das Kapital in die gewünschten Sphären lenken. Dabei setzen die Grünen auf eine Stärkung der europäischen Kooperation und ein großes Investitionsprogramm, um „etwa gemeinsame europäische Energienetze oder ein Schnellbahnnetz“ zu finanzieren. Außerdem soll der Euro als internationale Leitwährung gestärkt werden, auch um zusätzliche InvestorInnen anzuziehen. Wie sehr dabei die Politik der Grünen von den Interessen des deutschen Großkapitals durchdrungen ist, verdeutlichen zwei Passagen:

„Jetzt braucht es Entschlossenheit und Zusammenarbeit, damit unsere Autobauer in Zukunft wieder die Nase vorn haben. Klar ist: Der fossile Verbrennungsmotor hat keine Zukunft. Wir wollen ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zulassen. Wir unterstützen bei Forschung und Innovation und sichern einen schnellen Aufbau der Ladesäuleninfrastruktur und eine weitere Förderung des Markthochlaufs von emissionsfreien Fahrzeugen zu. Aktuell haben Deutschland und Europa den Anschluss bei der Batteriezellenproduktion und damit viel Wertschöpfung verloren. Das darf sich bei den Batterien der nächsten Generation, die günstiger und ressourcensparender sind, nicht wiederholen. Wir wollen Europa zum Weltmarktführer einer ökologischen Batteriezellenproduktion machen.“[xiv]

Und weiter: „Um kritische Abhängigkeiten zu verringern, soll die EU-Kapazität im Bereich der Halbleitertechnologie wie von der EU-Kommission vorgeschlagen auf 20 Prozent der weltweiten Produktion ausgebaut werden. Das gilt vor allem für die Bereiche, in denen wir bei der Halbleitertechnologie für industrielle Anwendungen bereits eine starke europäische Stellung haben oder in denen eine besonders dynamische zukünftige Entwicklung zu erwarten ist.“[xv]

Bei allem kleinbürgerlichen Gedöns über Menschlichkeit, Zusammenhalt, Gerechtigkeit und sonstigen Phrasen präsentieren die Grünen hier ein Programm für den deutschen Imperialismus und eine in seinem Interesse vollendete EU. Diese soll zu einem Bollwerk im Kampf bei der Neuaufteilung der Welt werden, die in der grünen Ideologie zur sozialökologischen Vorreiterrolle Europas verbrämt wird.

Anders als rein neoliberale DoktrinärInnen erkennen die Grünen dabei an, dass es staatlicher Intervention bedarf, wenn ein solches Programm Wirklichkeit werden soll, dass der deutsche Staat und die EU im längerfristigen Interesse des Gesamtkapital als GeburtshelferInnen der Transformation der technischen Basis des Kapitals wirken müssen. Der soziale Anstrich dieser Politik erscheint darüber hinaus rational, weil eine zu große Vertiefung der sozialen Kluft der Gesellschaft das Projekt noch zusätzlich erschweren würde. Daher sollen die ärgsten Auswüchse des Neoliberalismus auch abgemildert werden. Schließlich lässt sich das Programm der kapitalistischen Ökotransformation auch besser verkaufen und gegen andere bürgerliche Kräfte und gesellschaftliche Opposition durchsetzen, wenn man es mit viel sozialer und demokratischer Tünche lackiert.

So wie die Interessen der deutschen Autoindustrie und anderer Konzerne offen benannt werden, so erinnert der Abschnitt „Klimaaußenpolitik“ sehr an klassischen, verlogenen Imperialismus:

„Sie bedeutet zum einen, dass wir Europäer*innen unseren Bedarf an grüner Energie durch Klimapartnerschaften decken helfen: grüner Wasserstoff statt Öl- und Gasimporte. Andererseits werden wir so endlich unserer historischen Verantwortung gerecht, indem wir Elektrifizierung und Technologietransfers insbesondere in afrikanischen Ländern vorantreiben und den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien in diesen Ländern unterstützen. Nur so können wir es schaffen, global auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen.“[xvi] Am deutschen (und europäischen) Kapitalexport soll also die Welt genesen. Der Imperialismus wird so endlich wieder seiner Verantwortung gerecht. In der Vergangenheit mag er Afrika geplündert haben, jetzt macht er es nachhaltig. Die imperialistische Ausbeutung wird bei der sozialökologischen Transformation mit neuen Phrasen beschönigt. Die Realität dieser Politik zeigt der EU-Afrika-Pakt, der seit Jahren im Interesse der europäischen Konzerne vorangetrieben wird, um sich Zugang zu strategisch wichtigen Rohstoffen, Investitionen und Märkten zu sichern. Zugleich bildet er einen Teil der europäischen Strategie, um im neuen Wettlauf um Afrika den USA und China Paroli bieten zu können. In der grünen Ideologie hingegen erscheint diese klassisch imperialistische Politik des europäischen Finanzkapitals als „Win-win“-Situation, ganz so wie die bürgerliche Wirtschaftstheorie immer gerne die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Metropolen und Peripherie als Vorteil für alle verklärt hat.

Die sozialökologische Transformation der Grünen erweist sich weder als sozial noch als ökologisch. Sie entpuppt sich vielmehr als Programm zur Umstrukturierung des deutschen Kapitals. Wie ökologisch das Ganze ist, zeigt der Schulterschluss mit der deutschen Autoindustrie. Die Grünen setzen auf E-Mobilität im privaten, vorgeblich klimaneutralen Pkw. Wenn notwendig, werden dafür auch Wälder gerodet und unsinnige, aber höchst profitable Autobahnbauten durchgesetzt wie zur Zeit im Dannenröder Wald. Was die Grünen für Deutschland und Europa versprechen, führt schon jetzt Kretschmann in Baden-Württemberg vor.

An der kapitalkonformen Ausrichtung lässt das Programm der Grünen keinen Zweifel übrig. Es wird aber nicht nur den ökologischen, geschweige denn den sozialen Fragen unserer Zeit nicht gerecht. Die Grünen skizzieren auch ein alternatives, imperialistisches Programm. Damit werden sie zu einer Option für die deutsche Bourgeoisie. Die Ampel schaltet auf Grün – freie Ökofahrt für das deutsche Kapital.

Linksbürgerliche, populistische und kleinbürgerliche Kritik

Vom bürgerlichen Green (New) Deal heben sich deutlich all jene Spielarten des GND ab, die ihn in ein Gesamtkonzept sozialer und globaler ökologischer und sozialer Transformation einbetten. Oft wird dieses Plädoyer mit einer teilweise recht beißenden und treffenden Kritik bürgerlicher Umweltpolitik und einer engagiert vorgetragenen am neoliberalen Kapitalismus verbunden.

Für diesen Flügel der Umweltbewegung steht u. a. Naomi Klein, eine der meistgelesenen AutorInnen dieser Richtung mit den Büchern wie „Kapitalismus vs Klima“[xvii] (2015) und „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“[xviii](2019). Kernthesen dieser Publikation wollen wir im Folgenden einer Kritik unterziehen, weil darin grundlegende Konzepte dieser politisch kleinbürgerlichen Strömung der Umweltbewegung deutlich werden.

Das Buch „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“ basiert zu einem bedeutenden Teil auf Artikeln und Reportagen der Autorin, die für die Veröffentlichung überarbeitet wurden. Wie bei anderen Texten Kleins liegt deren Stärke und Kraft in der  plastischen und engagierten Darstellung von Beispielen ökologischer Verheerungen, ihrer Verbindung zur Profitmacherei sowie ihren Auswirkungen auf Mensch und Natur. Die Betroffenen werden dabei nicht nur als Opfer, sondern auch als Subjekte von Widerstand, als Kämpfende dargestellt. Die Formen von Selbstorganisation, die sie dabei, ob nun als indigene Gemeinden, als Lohnabhängige oder als KlimaaktivistInnen entwickelt haben, nehmen einen wichtigen Platz in Kleins Artikeln und Büchern ein. Kein Wunder, dass sie viele junge AktivistInnen inspiriert und ermutigt haben.

Eine weitere, für vieler LeserInnen zweifellos mitreißende Seite solcher Texte besteht darin, den Blick auf die VerursacherInnen von Umweltzerstörung und deren soziale Folgen zur richten. Klein tut dies seit Jahren auf zweierlei Art. Erstens, indem sie konkrete ProfiteurInnen, also einzelne Konzerne, AkteurInnen auf den Finanzmärkten, Medien und staatliche Organe (Regierungen, Gerichte, Repressionskräfte) benennt und anprangert, die diese offen und gezielt unterstützen.

Zweitens richtet sie ihre Aufmerksamkeit auch auf die systemischen Ursachen der drohenden Umweltkatastrophe.

Welcher Antikapitalismus?

In dem Buch „Kapitalismus vs. Klima“ stellt Klein 2015 diesen Gegensatz folgendermaßen dar: „Wir haben nicht die notwendigen Dinge getan, um die Emissionen zu reduzieren, weil diese Dinge in fundamentalem Widerspruch zum deregulierten Kapitalismus stehen, der herrschenden Ideologie, seit wir uns um einen Weg aus der Krise bemühen. Wir kommen nicht weiter, weil die Maßnahmen, die am besten geeignet wären, die Katastrophe zu verhindern – und die dem Großteil der Menschheit zugute kommen würden –, eine extreme Bedrohung für eine elitäre Minderheit darstellen, die unsere Wirtschaft, unseren politischen Prozess und unsere wichtigsten Medien im Würgegriff hält.“[xix]

Entscheidend für die Konzeption von Naomi Klein und einer sehr viel breiteren Strömung der Umweltbewegung, deren Positionen sie artikuliert, ist hier Folgendes. Das fundamentale gesellschaftliche Verhältnis, der grundlegende Widerspruch, der den ökologischen Katastrophen zugrunde liegt, wird nicht in der kapitalistischen Produktionsweise ausgemacht, sondern im „deregulierten Kapitalismus“ oder Neoliberalismus. Dieser erscheint darüber hinaus selbst gar nicht als Periode einer Produktionsweise, sondern als vorherrschende Ideologie und Politik.

Dieser Gedanke durchdringt sämtliche ihrer Arbeiten und auch ihre Konzeption des Green New Deal. Mit der neoliberalen Wende unter Thatcher und Reagan hätte es auch einen Bruch mit jenen Institutionen und Formen gegeben, die eine gewisse demokratische Regulierung des Kapitalismus ermöglicht hätten.

In „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“ betont Klein immer wieder diesen Bruchpunkt in der kapitalistischen Entwicklung selbst. So heißt es:

„Und es stimmt absolut, dass die weltweite Entfesselung des unregulierten Kapitalismus, also der Neoliberalismus, in den achtziger und neunziger Jahren den bei weitem größten Beitrag zu einer katastrophalen Emissionsspitze in der jüngsten Zeit geleistet hat und das bei weitem größte Hindernis für wissenschaftsbasierte Klimamaßnahmen darstellt, … “[xx] Doch nicht nur der deregulierte Kapitalismus erwies sich als Desaster. Auch der „autokratische, industrialisierte Sozialismus“ war „eine Katastrophe für die Umwelt“ [xxi]. Zweifellos kann niemand ernsthaft die verheerenden ökologischen Folgen der Herrschaft der Bürokratie in den degenerierten ArbeiterInnenstaaten[xxii] bestreiten wollen. Indem Klein jedoch die bürokratischen Planwirtschaften mit Sozialismus gleichsetzt, verwirft sie zugleich die Möglichkeit und Notwendigkeit einer wirklich antikapitalistischen, demokratischen Planung, die auf der Enteignung des Kapitalismus und der Ersetzung des bürgerlichen Staatsapparates durch Organe der ArbeiterInnendemokratie und -herrschaft wie Räten beruht.

Kleins Antikapitalismus will von einem revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus nichts wissen. Vielmehr stellt sie diesem einen dritten, „demokratisch-sozialistischen“ Weg entgegen:

„Dem (Scheitern des autokratischen, industrialisierten Sozialismus und des Petropopulismus in Venezuela; Anm. d. Red.) müssen wir uns stellen, aber wir können auch darauf verweisen, dass Länder mit einer starken demokratisch-sozialistischen Tradition (wie Dänemark, Schweden und Uruguay) eine Umweltpolitik verfolgen, die zu den visionärsten der Welt gehört. Daraus können wir den Schluss ziehen, dass Sozialismus nicht unbedingt ökologisch ist, aber ein demokratischer Öko-Sozialismus – der die Demut besitzt, die Lehren der indigenen Völker über die Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen und die Verbundenheit aller Lebensformen zu befolgen – die beste Chance für ein kollektives Überleben der Menschheit bietet.“[xxiii]

Hier zeigt sich auch die Brücke zum New Deal Roosevelts. So wie die Beispiele Schwedens, Dänemarks oder Uruguays beweisen sollen, dass auf Basis eines regulierten Kapitalismus eine „visionäre“ Umweltpolitik und eine fast schon sozialistische Gleichheit möglich wären, so soll der New Deal der 1930er Jahre belegen, dass in Krisensituation auch auf Basis der Marktwirtschaft große gesellschaftliche Fortschritte erzielt werden können, wenn nur die richtigen gesellschaftlichen und politischen Weichen gestellt werden.

„Im Hinblick auf die Dimension, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, bezieht das Konzept des Green New Deal seine Inspiration aus Franklin D. Roosevelts New Deal, der mit einem bunten Strauß politischer Maßnahmen und öffentlicher Investitionen auf das Elend und den Zusammenbruch während der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre reagierte.[xxiv]

Natürlich, so Klein, war auch dieser nicht perfekt und enthielt einige offenkundige Schwächen wie die Reproduktion des Rassismus und den Ausschluss der indigenen Bevölkerung der USA. Darüber hinaus basierte er bekanntlich auf dem Ausbau fossiler Energieträger.

Naomi Klein und die ParteigängerInnen eines radikalen Green New Deal begegnen diesem Problem einfach, indem sie darauf verweisen, dass ein solches Programm heute mit Investitionen in erneuerbare Energien sowie einer entsprechenden Umgestaltung anderer Bereiche des Lebens (z. B. Umrüstung auf 100 % energiesparenden Wohnungsbau usw.) kombiniert werden könne. Die Forderungen indigener Gemeinden und rassistisch Unterdrückter müssten eben einfach nur aufgenommen werden – dann wäre ein großer Reformentwurf perfekt.

Was die globale Dimension betrifft, haben sie und verschiedene AnhängerInnen des GND auch ein simples, der Neugestaltung des Weltkapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg entlehntes, mit dem historischen New Deal verbundenes Konzept parat – einen neuen Marshallplan (European Recovery Program) für die Erde.

Das Fehlen eines tieferen Verständnisses der kapitalistischen Produktionsweise erlaubt es Klein und anderen VertreterInnen des linksbürgerlichen oder kleinbürgerlichen GND ironischer Weise, eine radikale, scheinbar gegen den Kapitalismus gerichtete Kritik an großen Konzernen und dem politischen Establishment mit einem Reformprogramm zu verbinden, das Marktwirtschaft und Privateigentum an den Produktionsmitteln nirgendwo grundlegend in Frage stellt. Wenn die eigentlichen Gegner, der Neoliberalismus und der deregulierte Kapitalismus, als eine herrschende Ideologie und Politik bestimmt werden, drängt sich geradezu die Schlussfolgerung auf, dass es genügen würde, dieser Politik einfach eine andere, inkludierende bürgerliche Reformpolitik entgegenzusetzen.

Klassenübergreifende Allianz

Neben diesen globalen und institutionellen Aspekten umfasst der Green New Deal Kleins außerdem auch die Ausweitung vorhandener,  widerständiger Erneuerungsbewegungen der kleinbürgerlich-bäuerlichen Selbstorganisation wie in Chiapas, populistischer wie der MAS in Bolivien, der indigenen Bauern und Bäuerinnen im selben Land oder der reformistischen Regierung wie im indischen Bundesstaat Kerala.

Damit sind für Klein auch schon die Kräfte gefunden, die im Rahmen einer globalen Allianz unterschiedlicher Klassen einen Green New Deal durchsetzen sollen:

  • Bürgerliche Kräfte wie z. B. vom linken Flügel der Demokratischen Partei in den USA. Deren bekannteste und auch linkeste VertreterInnen wie AOC und Bernie Sanders gelten Klein, nebenbei bemerkt, auch als SchlüsselautorInnen ihres Programms eines Green New Deal. In ihrem Buch verweist sie auf insgesamt 105 Mitglieder des US-Kongresses und des Senats, die sich vor den Wahlen öffentlich zur Green-New-Deal-Resolution von AOC bekannt hatten – darunter Politikerinnen wie Elizabeth Warren und selbst die nunmehrige US-Vizepräsidentin Kamala Harris.
  • Linke, in den Augen von Klein, demokratisch-sozialistische Regierungen in den imperialistischen wie auch in den halbkolonialen Staaten (Schweden, Dänemark, Uruguay), Parteien wie ein Teil der Grünen oder Bewegungen wie DiEM25 (Democracy in Europe Movement 2025).
  • Aktivistische und kampagnenorientierte Teile der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung wie das Sunrise Movement in den USA, Extinction Rebellion (XR) in Europa oder Fridays for Future. Diese Gruppierungen verfügen selbst nur über sehr rudimentäre Programme. Faktisch greifen sie nicht nur die Losung des Green New Deal auf, sondern übernehmen weite Teile des Programms von linken Grünen und linken DemokratInnen, betonen in Aktionen deren Dringlichkeit.
  • Bewegungen der indigenen und bäuerlichen Gemeinden in den Halbkolonien, einschließlich von linken kleinbürgerlichen Kräften wie den Zapatistas, die auf Basis genossenschaftlichen und kleinbürgerlichen Eigentums eine Form lokaler nachhaltiger Kommunen aufzubauen versprechen.
  • Reformistische Kräfte aus dem linken Flügel der ArbeiterInnenbewegung (Europäische Linkspartei, DSA in den USA, Corbyn-Flügel in Labour).

Für die AnhängerInnen eines linksbürgerlichen Green New Deals wie Naomi Klein stellt die ArbeiterInnenklasse dabei keinesfalls das entscheidende Subjekt der Veränderung dar. Sie ist vielmehr bloß Bestandteil einer breiten, klassenübergreifenden Allianz, die vom „linken“ Flügel des Kapitals über wichtige Teile der lohnabhängigen Mittelschichten und des KleinbürgerInnentums bis hin zu Teilen der ArbeiterInnenbewegung reicht.

Folgerichtig beschränkt sich der Antikapitalismus dieser Strömungen auf eine bestimmte Erscheinungsform und Ideologie der bestehenden Gesellschaftsordnung, den Neoliberalismus. An deren Stelle soll eine regulierte, nachhaltige ökosoziale Marktwirtschaft treten, deren Gehalt jedoch ideologisch überhöht wird, ja werden muss.

Programm des kleinbürgerlichen GND

Das beschränkte Ziel spiegelt sich deutlich in den Programmen des kleinbürgerlichen GND wider. Unbenommen der Tatsache, dass sich die verschiedenen Konzepte in etlichen Aspekten unterscheiden, arbeitet Naomi Klein im Anschluss an die GND-Resolution von AOC in ihren Büchern Eckpunkte dieser Strategie heraus.

Erstens verspricht der GND nicht nur ökologische Erneuerung und das Erreichen der Klimaziele. Er soll sich auch als wahres Jobwunder erweisen, als echte Win-Win-Situation für Klima, Kapital und Arbeit, für kleine und große ProduzentInnen.

Die Frage, welche inneren Hindernisse dem im Wege stehen, warum sich zentrale Teile des gesellschaftlichen Gesamtkapitals entweder gegen eine ökologische Transformation wenden oder sich diese wie die Kohleindustrie dreifach vergolden lassen, wird nicht oder nur oberflächlich betrachtet. Letztlich erscheint der Widerstand gegen den GND als Mischung aus Mangel an Vernunft, übermäßiger Profitgier, fehlenden finanziellen Mitteln und Ängsten von Lohnabhängigen, Jobs und Einkommen zu verlieren.

Dem könne aber leicht abgeholfen werden durch Erhöhung staatlicher Ausgaben und massive Konjunkturprogramme, die sich, so die frohe Botschaft, rasch refinanzieren würden. Zustimmend zitiert Klein den US-amerikanischen Thinktank New Consensus. Diesem zufolge „werden durch den Green New Deal neue Arbeit von Waren und Dienstleistungen entstehen, die die zusätzlichen Ausgaben ausgleichen. Von daher besteht kein Grund zu Bedenken, es könnte durch dessen Finanzierung ein wirtschaftlicher Stillstand eingeleitet werden, ebenso wenig, wie dies bei der Finanzierung von Kriegen oder Steuererhöhungen der Fall war.“[xxv]

Laut AOC sollten alle Erfordernisse für den GND wie Notstandsmaßnahmen finanziert werden. Der Kongress solle einfach die notwendigen Mittel bewilligen, die ihrerseits vom Weltwährungsfonds abgesichert werden. Auf ähnlichem Wege sollte dieser auch die Programme anderer Länder und vor allem des globalen Südens absichern.

Die damit einhergehende Zunahme der Staatsverschuldung stelle kein Problem dar. Letztlich würde diese durch zukünftige Einnahmen infolge einer Expansion der Wirtschaftsleistung und Gewinne gedeckt werden. Die Schulden wären somit nur vorübergehender Natur. Die Austeritätspolitik, die von den neoliberalen und monetaristischen bürgerlichen WissenschaftlerInnen vertreten wird, kritisieren sie und andere VerfechterInnen des GND als „Vernichtungspolitik“. Ihr müsse eine konterzyklische, vom Keynesianismus inspirierte Konjunkturpolitik zur Stimulierung und Finanzierung einer ökosozialen Transformation entgegengesetzt werden.

Zusätzliche ideologische Schützenhilfe erhält diese Strömung durch die dem Neokeynesianismus zuzurechnende Modern Monetary Theory (MMT). Grundsätzlich gehen die AutorInnen der MMT, die dem GND nahestehen, davon aus, dass es ein Finanzierungsproblem eigentlich gar nicht gebe:

„Bezahlbarkeit ist für eine souveräne Regierung nie eine wichtige Frage – die relevante Frage betrifft die Ressourcenverfügbarkeit und ihre Aneignung. Es besteht daher eine natürliche Allianz zwischen der MMT und dem GND. Wenn es uns gelingt, technologisch machbare Projekte zu identifizieren, mit denen die Ziele des GND erreicht werden können ( … ), dann können wir die Finanzierung der Programme ermöglichen.“[xxvi]

Dazu müsse man letztlich nur den Staat und die mit ihm verbundene Zentralbank der Kontrolle des Kapitals, genauer seiner „fossilen“ Fraktion, entreißen und die nationale Souveränität – ganz wie es der Linkspopulismus proklamiert – für die „Linke“ einräumen.

Diese recht optimistischen Annahmen versucht die MMT, damit zu untermauern, dass der Staat über das Monopol der Geldpolitik verfügt, also Geld selbst emittieren kann. Die Gefahr der Staatspleite oder dauerhaften Inflation sei dabei gering, ja ausgeschlossen, wenn mit den quasi schon vorhandenen Mitteln produktive Investitionen getätigt würden.

Ganz in diesem Stil verspricht Naomi Klein daher, dass der GND auch krisenfest wäre. Denn: „Wenn die Weltwirtschaft in einen neuerlichen Abschwung oder eine weitere Krise gerät, was zweifellos der Fall sein wird, wird die Unterstützung für einen Green New Deal nicht abnehmen wie bei früheren größeren ökologischen Initiativen als Gegenmittel gegen eine Rezession. Da er die Wirtschaft in großem Stil stimulieren wird, bietet er die größten Hoffnungen auf ein Ende der wirtschaftlichen Not der Menschen und wird deshalb umso mehr Unterstützung finden.“[xxvii]

Kombiniert werden soll das mit einer Besteuerung der Reichen, einer Art Öko- und Sozial-Solidaritätszuschlag, und einer Mindestsicherung für die Armen, so dass es keine Rückschläge durch GND-VerliererInnen aus den Unterschichten und –klassen geben könne.

Den kleinbürgerlichen und linksbürgerlichen VertreterInnen des GND ist durchaus klar, dass sie mit ihrem Programm auf den entschlossenen Widerstand der Großkonzerne, vor allem des fossilen Kapitals stoßen werden. Diese – jedoch keineswegs alle Unternehmen – werden als Gegner ausgemacht. Die Konzerne sollen, so Klein, „gebändigt“ werden. Wie? Indem Subventionen gestrichen und höhere Steuern erhoben, staatliche Infrastrukturprogramme und Ausgaben für Nahverkehr, Stadterneuerung, Wohnungsbau auf den Weg gebracht werden. Darüber hinaus bedürfte es einer Rückkehr zur öffentlichen Raum-, Industrie- und Flächennutzungsplanung, wie sie in vielen kapitalistischen Ländern noch vor der neoliberalen Wende existierte.

Bemerkenswert an all diesen Reformvorschlägen ist weniger, welche Wünsche noch vorgetragen werden, sondern welche Forderung nirgendwo erhoben wird: die nach Enteignung der großen Kapitale oder auch nur der größten UmweltverschmutzerInnen!

Der ganze Antikapitalismus des GND macht vor dem Privateigentum an Produktionsmitteln aus mehreren miteinander verbundenen Gründe halt.

Erstens entspricht – und das ist auch der entscheidende Grund –  dies der klassenübergreifenden Zusammensetzung der GND-Allianz, die ihrerseits  die Begrenzung der Kritik auf den Neoliberalismus, d. h. einen beschränkten Antikapitalismus, widerspiegelt. Es erscheint, wie wir oben gezeigt haben, als systemische Ursache der aktuellen Umweltkatastrophe, nicht der Kapitalismus als solcher, sondern seine deregulierte, neoliberale Spielart.

Als eigentliche politische Gegnerin wird folglich nicht die herrschende Klasse insgesamt betrachtet, sondern nur eine (neoliberale und fossile) Fraktion dieser. Die anderen gelten als Verbündete im Kampf für den Green New Deal.

Es entspricht daher der gesamten Konzeption dieser Richtung, den Charakter ihres Programms, die Frage, welche gesellschaftliche Kraft eigentlich bestimmen soll, mit Formeln zu übertünchen, hinter denen der Klassenstandpunkt der einzelnen Kräfte zurücktritt.

So erscheinen bei Klein die VertreterInnen der demokratischen Partei nicht als solche einer der beiden tradierten Hauptparteien des US-Kapitals, sondern vielmehr als Dutzende, wenn nicht Hunderte neuer Abgeordnete, die mit ihrer Community, mit ihren WählerInnen verbunden sind, als wohlmeinende, wenn auch vielleicht etwas privilegiertere Menschen, denen die Nöte und Sorgen ihrer Gemeinde noch immer ans Herz gehen, als philanthropische UnternehmerInnen und EigentümerInnen, die sich nicht nur um Profit, sondern auch um ihre Beschäftigten kümmern.

Der Widerstand der Konservativen wird, so Klein, durchaus zu brechen sein – und zwar durch die Resultate des GND selbst. Selbst jene, die den GND als sozialistisches Projekt verteufeln und so gegen ihn polarisieren wollten, würden schließlich eines Besseren belehrt, wenn neue Jobs und Unternehmen geschaffen würden. Schließlich würde das ja auch neue grüne Gewinne mit sich bringen.

„Natürlich werden die Republikaner in Washington den Green New Deal auch weiterhin als das beste Rezept hinstellen, die Vereinigten Staaten in ein zweites Venezuela zu verwandeln. Damit ignorieren sie einen der größten Vorteile unseres Modells, das den Klimanotstand als ein umfassendes Infrastruktur- und Bodensanierungsprojekt betrachtet: Nichts hebt ideologische Trennlinien so schnell auf wie ein konkretes Projekt, das leidenden Gemeinden Arbeitsplätze und Ressourcen verschafft.“[xxviii]

Schließlich, so können wir hinzufügen, söhnten sich auch die bürgerlichen GegnerInnen von Roosevelts New Deal mit diesem aus, nachdem sie erkannt hatten, dass er die Interessen des Kapitals bediente.

Betrachten wir das Programm des GND von AOC oder Klein wie überhaupt der GND-Allianz, so entpuppt es sich letztlich als eines zur ökologisch-sozialen Transformation des Kapitalismus, wenn auch mit mehr sozialen Abfederungen und radikalerer Rhetorik als jenes der großen bürgerlichen Kräfte. Es entspringt dem Bedürfnis, der gesellschaftlichen Stellung der dominierenden aktivistischen Kräfte und der kleinbürgerlichen IdeologInnen dieser Strömung, es als radikaleres und zugleich als „klassenübergreifendes“ darzustellen.

Sie geben zwar vor, die Welt grundlegend verändern zu wollen – freilich ohne ihre eigentlichen Grundlagen, das Privateigentum an den Produktionsmitteln und das System der Profitmacherei, selbst anzugreifen. Unbenommen ihrer vergleichsweise radikalen Aktionsformen ist ihr Ziel letztlich jenem des Bourgeoissozialismus aus dem Kommunistischen Manifest ähnlich: Sie wünschen „den sozialen Mißständen abzuhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern.“[xxix]

Es gehört daher zum notwendigen Erscheinungsbild dieser Richtung, das eigene Reformprogramm als radikaler zu verkaufen, als es seinem Inhalt nach ausfällt. So wird die klassenübergreifende Bewegung des GND, die vor der Enteignung haltmacht und am Standpunkt seiner linksbürgerlichen Elemente, also am Klassenstandpunkt der Bourgeoisie, ihre politische Grenze findet, noch zur „intersektionalen Massenbewegung“[xxx] (Klein, S. 327) verklärt.

Dahinter steckt – wie bei der gesamten Intersektionalitätstheorie – letztlich, dass man sich die Allianz zwischen bürgerlichen Kräften, aus dem KleinbürgerInnentum und den Mittelschichten stammenden UmweltaktivistInnen, kleinbürgerlich-bäuerlichen Communities in den Halbkolonien und Teilen der ArbeiterInnenklasse ähnlich wie bei der Volksfrontpolitik als Addition verschiedener Klassen vorstellt. In Wirklichkeit paralysieren sich jedoch die Kräfte, weil das Bündnis nur funktioniert, wenn die Lohnabhängigen entscheidende Klassenstandpunkte und Ziele ihren Verbündeten aus anderen Klassen, und das heißt vor allem aus der bürgerlichen, unterordnen. Der Verzicht auf die Enteignung auch zentraler Kapitalgruppen verdeutlicht das.

Es entspricht jedoch der inneren Logik solcher Bündnisse, dass das linksbürgerliche Programm – in diesem Fall der Green New Deal – mit scheinradikaler Rhetorik überhöht werden muss. Schließlich sollen die AktivistInnen, die eigentlich radikalere Absichten verfolgen, denen es jedoch an einer eigenen, revolutionären Strategie und einem Klassenstandpunkt fehlt, bei der Stange gehalten werden. Der proklamierte Antikapitalismus, das proklamierte „system change, not climate change“ bildete daher eine notwendige Ergänzung zum bürgerlichen Reformprogramm, das der GND letztlich darstellt.

Modern Monetary Theory

Klein und andere AnhängerInnen des GND propagieren diesen, wie wir oben gesehen haben, gern auch als wirtschaftliches Erfolgsprojekt. Dabei stützen sie sich einerseits auf die Kalkulation, dass ein Konjunkturprogramm allen Klassen der Gesellschaft helfen würde:  Die KapitalistInnen könnten Anlagen und Profite machen, die ArbeiterInnen hätten Jobs und Einkommen und könnten überdies neue grüne Produkte mit Öko-Siegel kaufen.

Finanziert werden soll dies durch eine vorübergehende Erhöhung der Staatsverschuldung, die früher oder später wieder eingespielt werden kann.

Doch selbst wenn dem nicht so wäre, so versichern die VertreterInnen der Modern Monetary Theory (MMT), die dem GND nahestehen, wäre das kein Problem. Wir haben schon oben gesehen, dass die praktischen Schlussfolgerungen dieser Theorie darauf hinauslaufen, dass Staatsschulden für einen  Staat eigentlich kein wirkliches Problem darstellen würden, dass also der Souverän nur Geld drucken müsse, um notwendige Infrastrukturprogramme anzuschieben. Das Finanzierungsproblem eines GND ist damit überhaupt kein ökonomisches, sondern ein rein politisches. Es ginge letztlich nur darum, dass der bestehende bürgerliche Staat für ein solches Programm eingesetzt, also dessen Souveränität gegenüber neoliberalen Gegenkräften behauptet oder wieder erkämpft wird.

Das fehlende Verständnis für den Klassencharakter des bürgerlichen Staates der MMT springt hier natürlich ins Auge. Darauf verweist auch Ingo Stützle in dem lesenswerten Aufsatz „Money makes the world go green?“[xxxi], in dem er die MMT einer grundlegenden Kritik unterzieht und auf den wir uns in den folgenden Ausführungen stützen. Die naive Sicht des bürgerlichen Staates, ja, das Fehlen einer Staatstheorie in der MMT bildet dabei letztlich nur die andere Seite einer falschen Geldtheorie und damit eines falschen Verständnisses des Kapitalismus selbst.

Der MMT zufolge sei eigentlich alles Geld seinem Wesen nach Kredit. Damit es als solches von den Gesellschaftsmitgliedern, also den Tauschenden, anerkannt wird, bedürfe es des Staates, der die Währung emittiert und ein Monopol darauf geltend machen könne, gewissermaßen die StaatsbürgerInnen zwingt, nur sein Geld zu verwenden und ihre Tauschgeschäfte nur mit diesem zu verrichten. Die Steuern erschienen daher nicht als zentrales Finanzierungsmittel des Staates, sondern als Mittel, die StaatsbürgerInnen zur Begleichung einer Schuld mit dem Geld zu zwingen, das der Staat selbst emittiert. Alle Tauschverhältnisse zwischen den Marktsubjekten, alle Steuern usw. werden als Schuldner-Gläubiger-, als Kreditverhältnisse begriffen.

Wie in anderen bürgerlichen Wirtschaftstheorien wird der Kredit nicht von den Geldfunktionen und dem Kapitalbegriff her entwickelt, sondern umgekehrt erscheint jedes Geld und jede Geldfunktion als Kredit. Mit dieser Setzung bedarf die MMT auch keiner werttheoretischen Fundierung. Geld wird nicht wie im Marx`schen Kapital aus der Wertform der Waren (allgemeines Äquivalent) entwickelt und daraus seine Funktionen herausgearbeitet (Maß der Werte, Zirkulationsmittel, Weltgeld usw.): Es wird vielmehr bloß als eine geniale Erfindung zur Erleichterung des Warentausches begriffen. Darüber hinaus bedarf die MMT auch keiner Klärung des Verhältnisses von kapitalistischer Akkumulation und staatlicher (Geld-)Politik und keiner Staatstheorie.

Der Staat bzw. die staatliche Notenbank, die in dieser Theorie einseitig auch bloß als Verlängerung der Regierung aufgefasst wird, setzten das Geld als Währung und zwängen damit  allen StaatsbürgerInnen oder Untertanen ihr Geld auf.

Der Staat steht dieser Theorie zufolge nicht erst vor der Notwendigkeit, Geld über Steuern einzunehmen. Er besitzt es bereits, da er über das Monopol verfügt, es zu drucken, also die Mittel zur Verfügung zu stellen, die notwendig sind, um z. B. die ökologische Umstellung der Wirtschaft zu finanzieren.

Dass der Staat zur Zeit nicht in diesem Sinne handelt, hat für die MMT letztlich zwei Ursachen. Einerseits folgt dies aus den mit dem Kredit selbst verbundenen Krisen- und Spekulationsphänomenen, die letztlich auch die eigentliche Ursache der kapitalistischen Krise ausmachen. Andererseits folgt das aus der falschen politischen Ausrichtung des Staates. Letzterer wird dabei nicht als Organ der Klassenherrschaft begriffen und auch nicht als Kampfterrain zwischen Klassen wie bei der reformistischen Konzeption von Poulantzas, sondern erscheint als eine Art Black Box, die prinzipiell verschiedenen gesellschaftlichen Kräften zur Verfügung stünde. Daher, so einige AutorInnen dieser Schule, müsse die politische Linke selbst zu einer Vorkämpferin der staatlichen Souveränität werden und ihre Distanz zu Begriffen wie „nationale Souveränität“ ablegen.

Da der Staat Geld als Mittel zur Allokation von Gütern und Arbeitskräften selbst in Umlauf bringen kann, kann er auch die negativen Ausformungen des Kredits (Spekulation, … ) politisch in den Griff kriegen. Die Warenproduktion selbst stellt für die MMT kein Problem dar. Um Krisen zu überwinden, genüge es letztlich, das Geld- und Kreditsystem für  bestimmte produktive Zwecke einzusetzen.

Bei den Schlussfolgerungen bezüglich des Staates springen nicht nur die grundlegenden Unterschiede zum Marxismus ins Auge. Die Differenzen beginnen schon bei der Frage, was eigentlich Geld und Kapitalismus sind. Für die MMT ist Geld letztlich nur ein Mittel zur Allokation von Ressourcen.

Der Fehler in der MMT beginnt schon damit, dass sie verkennt, dass eine bestimmte Ware überhaupt nur zur Geldware werden kann, wenn sie selbst vergegenständlichte menschliche Arbeit verkörpert:

„Die Waren werden nicht durch das Geld kommensurabel. Umgekehrt. Weil alle Waren als Werte vergegenständlichte menschliche Arbeit, daher an und für sich kommensurabel sind, können sie ihre Werte gemeinschaftlich in derselben spezifischen Ware messen und diese dadurch in ihr gemeinschaftliches Wertmaß oder Geld verwandeln. Geld als Wertmaß ist notwendige Erscheinungsform des immanenten Wertmaßes der Waren, der Arbeitzeit.“[xxxii] Damit eine bestimmte Warenart überhaupt zum Geld werden kann, muss sie selbst Produkt menschlicher Arbeit sein. Sobald diese jedoch einmal als solche als Geld etabliert ist, sie dauerhaft zur besonderen allgemeinen Äquivalentform aller Waren wird, verschwindet die Wertfundierung des Geldes in der Erscheinung.

„Eine Ware scheint nicht erst Geld zu werden, weil die andren Waren allseitig ihre Werte in ihr darstellen, sondern sie scheinen umgekehrt allgemein ihre Werte in ihr darzustellen, weil sie Geld ist. Die vermittelnde Bewegung verschwindet in ihrem eignen Resultat und läßt keine Spur zurück. Ohne ihr Zutun finden die Waren ihre eigne Wertgestalt fertig vor als einen außer und neben ihnen existierenden Warenkörper.“[xxxiii]

Marx nennt dies den Geldfetisch. Genau diesem sitzt die gesamte Geldtheorie der MMT auf.

Doch damit nicht genug. Marx arbeitet im „Kapital“ heraus, welchen grundlegenderen systemischen, mit der Warenproduktion untrennbar verbunden Charakter Geld hat. Dazu Stützle:

„Die im Kapitalismus nachträgliche vergesellschaftete Privatarbeit erschöpft sich nicht in der Produktion von Gütern, diese sind lediglich Mittel zur Verwertung des Werts, der im Geld seine selbstständige Gestalt hat – es ist Maßstab der Verwertung. Die voneinander getrennten Privatarbeiten sind als Kapitalverhältnis organisiert, Kapital beutet Arbeitskraft aus, um Profit zu machen. Investiertes Geld muss sich rentieren, aus G (Geld; Anm. d. Red.) muss G’ (mehr Geld; Anm. d. Red.) werden, und Produktion, die kein G’ macht, wird nicht als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit anerkannt. Diese Prozesse muss das Geld organisieren, sonst ist es kein Geld und wird nicht als Geld akzeptiert.“[xxxiv]

Anders als für die MMT fungiert Geld nicht als bloßes Hilfs- oder Schmiermittel des Warentausches, sondern stellt Ausgangs- und Endpunkt der Kapitalbewegung dar. Erst auf deren Basis lässt sich die Funktion des bürgerlichen Staates, seine historische Besonderheit gegenüber früheren Staatsformen verstehen. Sein Zweck besteht nämlich, unbenommen aller konkreten Unterschiede zwischen verschiedenen Staaten, darin, die allgemeinen Bedingungen der Kapitalakkumulation zu garantieren.

Formal hat der Staat (oder seine Notenbank) zwar das Recht, beliebig viel Geld zu emittieren. Die MMT  verwechselt aber hier diese formelle Souveränität damit, dass diese materiell keineswegs existiert, sondern vielmehr durch das Kapitalverhältnis, und zwar nicht bloß durch ein nationales, sondern den Weltmarkt und die internationale Arbeitsteilung  beschränkt, ja, bestimmt wird.

„Ob und inwieweit diese staatlichen Zahlungsmittel aber Geld sind, wie weit ihre Zugriffsmacht (,Kaufkraft’) reicht, was dieses Aneignungsrecht gilt, das bestimmt der Staat ebenso wenig wie die Frage, ob sie als Kapital fungieren. Eine Zentralbank kann zwar eine Währung herausgeben. Doch was diese Währung kann, welche Macht sie als Zugriffsmittel hat, das entscheidet sich in der kapitalistischen Privatwirtschaft – und letztlich kommt es darauf an, ob das Geld als Mittel der Verwertung fungieren kann oder nicht.“[xxxv]

Ob ein bestimmtes staatliches Konjunktur- und Investitionsprogramm die Akkumulation des Gesamtkapitals befördert oder es sich als Milliarden schweres Strohfeuer entpuppt, hängt daher nicht vom Willen und politischen Entscheidungen des Staates ab. Entscheidend sind vielmehr der Stand der Akkumulation des Gesamtkapitals, dessen organische Zusammensetzung, die Entwicklung der Profitrate etc.

Für die MMT ist Kapital letztlich bloß eine große Menge Geld, ein „Kredit“, der den Anspruch auch bestimmte Ressourcen (Arbeitskraft und Produktionsmittel) begründet. Ebenso verfüge auch der Staat (über Steuern, Aufnahme von Schulden und über Gelddruck) über eine Menge Geld.

Übersehen wird dabei jedoch, dass Kapital ein gesellschaftliches Verhältnis darstellt, dessen Zweck darin besteht, aus Kapital in Geldform noch mehr Geld, aus G  G’ zu machen. Der Staat ist für das Kapital notwendig, um allgemeine gesellschaftliche Voraussetzungen der Kapitalakkumulation zu sichern, das Konkurrenzverhältnis zwischen konkurrierenden Einzelkapitalen wie auch zwischen den Gesellschaftsmitgliedern zu regeln sowie das Kapitalverhältnis nach innen und außen abzusichern. Dazu bedarf es eines Staatsapparates, einer Bürokratie, eines Heeres, Gemeindiensten, Gerichten, FinanzbeamtInnen und auch staatlicher Investitionen in Bereichen, die einzelnen Kapitalen nicht lukrativ erscheinen.

Die einzelnen KapitalistInnen, ja, die gesamte Klasse nehmen zu diesen Ausgaben ein zwiespältiges Verhältnis ein. Einerseits sind sie unerlässlich, andererseits Abzüge vom Mehrwert. Daher soll der Staat möglichst nichts kosten, aus den Steuern der Masse der Gesellschaft, also vor allem denen der Lohnabhängigen, finanziert werden und zugleich die Interessen des Kapitals bedienen.

Da sich die bürgerliche Gesellschaft als eine unabhängiger PrivatproduzentInnen und voneinander unabhängiger, freier WarenbesitzerInnen konstituiert, muss ihnen der Staat notwendigerweise als eine scheinbar über der Gesellschaft stehende, von ihnen unabhängige Instanz gegenübertreten.

Nur so kann er überhaupt zwischen verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse vermitteln, das Interesse des Gesamtkapitals gegen widerstreitende Einzelkapitale durchsetzen. Nur so kann er den Schein wahren, das gesellschaftlich Allgemeine, also auch die unterdrückten Klassen und Schichten der Gesellschaft, zu repräsentieren. Wie sich diese widerstreitenden Interessen in staatlicher Politik ausdrücken, ist selbst eine Machtfrage im Kampf zwischen den Klassen. Dass die Lohnabhängigen dabei in der Lage sind, auch reale Verbesserungen durchzusetzen, nährt zusätzlich den Schein der Klassenneutralität des Staates.

Es ist diese formelle Unabhängigkeit des Staates, über die und hinter der sich jedoch dessen materieller Klassencharakter durchsetzt. Die MMT sitzt hier einmal mehr der Oberflächenerscheinung gesellschaftlicher Verhältnisse auf. Dass sie diesen Fehler mit der gesamten kleinbürgerlichen Umweltbewegung und dem Reformismus teilt, macht die Sache natürlich nicht besser. Betrachten wir die Programme von Sanders, AOC und anderen, können wir jedoch leicht erkennen, warum die MMT bei diesen VertreterInnen des GND so beliebt ist. Sie verspricht eine Finanzierung einer „radikalen“ Umweltpolitik aus dem Nichts. Wenn der Staat einfach Geld, also die notwendigen Mittel für ökologische Investitionen schöpfen kann, spielen Eingriffe in die Verfügungsgewalt des Kapitals über die Produktionsmittel nur eine Nebenrolle. Selbst partieller Verstaatlichungen z. B. des Energiesektors, des Transportwesens oder der Banken und Finanzinstitutionen bedarf es dann nicht. Die Eigentumsfrage spielt keine Rolle, weil der Staat die Realallokation von Ressourcen (Arbeitskraft, Produktionsmittel) auch selbst hervorbringen oder lenken könne, ohne zu verstaatlichen. Selbst die Frage der Besteuerung spielt eine untergeordnete Rolle, auch wenn die Programme des GND eine Umverteilung der Steuerlast in der Regel vorsehen.

Die MMT führt somit zu falschen Schlüssen, denen die reale Entwicklung entgegenschlägt. In Wirklichkeit ist der Zugriff des Kapitals auf den Staat nur zu brechen durch die Aufhebung des Kapitalverhältnisses selbst. In den letzten Jahrzehnten wurde das Kapital zudem nicht nur ideologisch, sondern auch materiell noch stärker gegenüber dem Staat,  sei es durch Privatisierungen, Umverteilung der Steuerlast, Ausweitung der Staatsschulden. Letztere bilden selbst einen mächtigen Hebel nicht nur des Einflusses des Kapitals auf den Staat. Für es bescheren diese gleich zwei Vorteile: Erstens müssen so weniger Steuern gezahlt, also weniger Gelder den Unternehmen entzogen werden. Zweitens bilden Staatsanleihen und Schulden imperialistischer Staaten einen sicheren Hafen für InvestorInnen in wirtschaftlich stürmischen Zeiten. Das zinstragende Kapital kann also mit einer sicheren Rendite rechnen. Drittens verschafft diese Abhängigkeit den privaten GläubigerInnen auch einen materiellen Hebel. Damit AnlegerInnen „Vertrauen“ in einen mit anderen konkurrierenden Staat als Schuldner haben, muss dieser auch glaubhaft machen, dass er die Kapitalinteressen bedient.

Schon diese Überlegungen verdeutlichen, wie naiv die Sicht ist, dass Staatsschulden kein Problem darstellen. Außerdem kann keineswegs jeder Staat beliebig Schulden bedienen. Deren Höhe ist vielmehr nur so lange ein handhabbares Problem, als Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen ihre Tilgung und Zinsen garantieren. Jede große globale Krise stellt genau diese Fähigkeit der schwächeren, vom Imperialismus beherrschten Länder in Frage. Die sog. Schwellenländer Argentinien oder Türkei sind nur zwei markante Beispiele für diese Entwicklung, die durch einen weiteren Faktor verschärft wird, für den MMT blind ist.

Den verschiedenen Nationalökonomien und den Staaten, die darauf basieren, weisen der Weltmarkt und die imperialistische Ordnung einen bestimmten Platz in der internationalen Arbeitsteilung, in den Wertschöpfungsketten bezüglich des Zugangs zu Finanzmitteln usw. zu. Dieser Hierarchie entspricht auch eine der nationalen Währungen.

Selbst die formelle Währungssouveränität existiert auf dem Weltmarkt letztlich nur für wenige imperialistische Staaten. Ganz oben stehen hier (noch) die USA. Der US-Dollar fungiert als Leitwährung, als Weltgeld, auch wenn China und die EU ihm diesen Platz streitig machen wollen. Für die meisten Länder der Welt existiert eine Währungssouveränität nicht wirklich, so wie die meisten halbkolonialen eben nur formell unabhängig, ökonomisch jedoch als untergeordnete, ausgebeutete Teile in den Weltmarkt integriert sind. Ihre Ökonomien werden vom imperialistischen Großkapital beherrscht – und die Unterordnung ihrer Landeswährungen ist selbst nur ein Ausdruck des Klassenverhältnisses auf imperialistischer Stufenleiter. Diese etablierte und durch das Weltwährungssystem reproduzierte Arbeitsteilung verfestigt logischerweise auch die ökologische Seite der imperialistischen Arbeitsteilung.

Entgegen ihrer eigenen Proklamation, eine Theorie zur Rettung der Menschheit vor der Krise zu liefern, entpuppt sich die MMT eigentlich als Schönwetterideologie, die den  grundlegenden Charakter des Kapitalverhältnisses verkennt.

5. „Linker“, transformatorischer Green New Deal

Die linkeste Variante des Green New Deal, die sich in vielen Forderungen mit denen von Sanders oder AOC durchaus deckt, wurde in den letzten Jahren von reformistischen Parteien bzw. von deren VertreterInnen entwickelt. Im Folgenden wollen wir uns mit dem Wahlprogramm von Labour aus dem Jahr 2019 und mit dem Buch „System Change“ von Bernd Riexinger, dem ehemaligen Vorsitzenden der Linkspartei, beschäftigen, der darin versucht, das Konzept in eine strategische Perspektive einzuordnen.

Das Programm von Labour

Im September verabschiedeten die Delegierten des Labour-Parteitags das, was weithin als die radikalste Umweltpolitik einer großen politischen Partei in der Welt gefeiert wurde:

„Die Maßnahmen des Labour-Konzepts beinhalten die Installation eines Nationalen Transformationsfonds von 400 Milliarden Pfund zur Umsetzung der ‚Green Industrial Revolution’. Davon sollen 250 Milliarden Pfund direkt in den Ausbau erneuerbarer Energie, für den Umbau des Transportwesens, den Erhalt von Biodiversität und Umweltschutz fließen. Die ‚Green Industrial Revolution’ verspricht insgesamt die Schaffung von einer Million neuer Jobs.

Im britischen Energiesektor soll der Übergang zu netto-null Emissionen in den 2030er Jahren erfolgen. Dafür sollen bis 2030 bis zu 90 Prozent der Elektrizität und 50 Prozent der Wärme durch den Ausbau von Off- und Onshore Windenergie, Solar- und Kernenergie erzeugt und auf verbesserten Stromnetzen verteilt werden.

Der Energieverbrauch in Gebäuden verursacht 56 Prozent der britischen CO2-Emissionen; er soll durch den Ausbau und die Erforschung verschiedener Technologien wie Wärmepumpen, solare Warmwassererzeugung und Wasserstofftechnologien reduziert werden. Auch die britischen Haushalte könnten laut Labour profitieren und ab 2030 im Durchschnitt 417 Pfund pro Jahr sparen.

Wichtige Bausteine der ‚Green Industrial Revolution’ sind zudem die Förderung regionaler wirtschaftlicher Entwicklung, besonders in den deindustrialisierten und ökonomisch schlechter gestellten Regionen Großbritanniens, sowie der massive Ausbau öffentlichen Eigentums. Durch demokratische Selbstverwaltung sollen die Menschen bei Entscheidungen über die regionale Entwicklung der Energieversorgung und alle Investitionen mitbestimmen.

• Bus und Bahn sollen wieder verstaatlicht und ausgebaut werden. Der öffentliche Nahverkehr soll verbessert und Straßen für Fußgänger*innen sowie Radfahrer*innen sicherer und komfortabler werden. Zusätzlich ist eine Verbesserung der Infrastruktur für Elektroautos und die Förderung von E-Auto Carsharing Clubs vorgesehen. Bereits ab 2030 sollen in Großbritannien keine neuen Autos mit Verbrennungsmotoren mehr verkauft werden.“[xxxvi]

Der Beschluss, den mittlerweile der Nachfolger Corbyn’s kassiert hat, verpflichtet Labour zu „öffentlichem Eigentum an Energie“ und „öffentlichem Eigentum an den großen Sechs [Energieversorgern]“. Dies stellte zweifellos einen Fortschritt dar gegenüber der bisherigen Politik der Labour-Partei, die zwar das öffentliche Eigentum an den Stromnetzen befürwortete, die Energieverteilung aber in privater Hand belassen wollte. Aber die Grenzen dieses Vorhabens sollten nicht unerwähnt bleiben. Während ein von der Partei in Auftrag gegebener Bericht einräumte, dass erhebliche staatliche Subventionen notwendig sein würden, um Anreize für die Erzeugung von Wind- und Solarenergie zu schaffen, würde Labour der Privatwirtschaft die Freiheit lassen, die Gewinnung fossiler Brennstoffe und die Stromerzeugung aus Kernkraft fortzusetzen, solange sie rentabel seien.

Der Labour-GND sprach auch von einer Verstaatlichung der Verkehrsindustrie und massiven Investitionen in kostenlose oder erschwingliche öffentliche Verkehrsmittel. Die Partei hatte jedoch deutlich gemacht, dass sie bei Verstaatlichung der Eisenbahnen alle privaten Vermögenswerte zum Marktpreis zurückkaufen würde, finanziert durch staatliche Anleihen – ein gewaltiger Vermögenstransfer von den SteuerzahlerInnen zu den ProfiteurInnen. Ähnliches war für den Energiesektor vorgesehen.

Die Betonung technologischer Lösungen, die zu einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, einschließlich Elektroautos, führen sollten, kam außerdem einer unkritischen Unterstützung von Industrien gleich, die weiter schädliche Auswirkungen auf die Umwelt hätten. So werden für den Bau von Wind- und Solarparks Metalle aus seltenen Erden und nicht erneuerbaren Materialien benötigt, deren Herstellung zudem energieintensiv ist. Die Autoindustrie kompensiert geringere Gewinne bei der Produktion von Elektroautos durch den Verkauf von Luxusmodellen an weniger energiebewusste VerbraucherInnen oder durch die billigere Produktion von benzinbetriebenen Modellen in anderen Teilen der Welt.

Am wichtigsten ist jedoch, dass der Labour-Ansatz jeden privaten Industriezweig (Solar, Wind, Autos, Busse, Energieerzeugung) als einzelnes Puzzleteil betrachtete, das sich, wenn es nur mit genügend staatlichen Mitteln gefördert würde, in ein harmonisches Gesamtbild einer grünen Wirtschaft einfügen würde. So als ob die Anarchie des Marktes und das Motiv der Profitmaximierung aufgehoben würden, wenn alle privaten AkteurInnen gleich gefördert würden.

Damit sind wir bei der entscheidenden Frage der Eigentumsverhältnisse angelangt. Auch wenn sie wichtige Verstaatlichungen vorsah, räumt die Labour-Partei letztlich der Logik des Privatkapitals Vorrang ein. Sie betrachtet die Unternehmen als „Partner“ beim grünen Wandel, die vom Staat nur von Zeit zu Zeit an ihre ökologische und soziale Verantwortung erinnert werden müssten. Selbst wenn die versprochenen Summen an staatlichen Investitionen bereitgestellt würden, räumte selbst der Labour-GND ein, würden wesentliche Teile der „grünen“ Industrie in privater Hand bleiben.

Somit erweist sich selbst der relativ radikale „Green New Deal“ in Wirklichkeit als Subventionierung, um Anreize für die Ökologisierung von profitorientierten Unternehmen und Finanziers zu schaffen, von denen viele zu den größten VerursacherInnen der Umweltzerstörung gehören.

Ein radikales Verstaatlichungsprogramm müsste die entschädigungslose Enteignung vorsehen und den gesamten Sektor der Energie und Verkehrswirtschaft umfassen, um eine Planung wenigstens für diesen Bereich gemäß gesellschaftlichen Bedürfnissen sicherzustellen. Doch Labour verpflichtete sich, die Unantastbarkeit des Privateigentums grundsätzlich zu respektieren, indem den ehemaligen EigentümerInnen eine „faire“ (d. h. marktgerechte) Entschädigung angeboten und andere Unternehmen als „Partner“ begriffen werden sollen.

In Wirklichkeit hätten diese „Partner“ freilich auch Labours Programm als Kriegserklärung aufgefasst. Wenn die Partei z. B. bereit gewesen wäre, wesentlich radikalere Steuerpläne zur Finanzierung des GND durchzusetzen, hätte das eine Kapitalflucht in großem Umfang ausgelöst, um das Eigentum in Sicherheit zu bringen und eine Schuldenkrise auszulösen, um damit diese Labour-Regierung zu Fall zu bringen. Die Androhung von Enteignungen hätte zweifellos eine ähnliche Wirkung. In jedem Fall aber müsste Labour auf eine solche Sabotage mit strengen Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen reagieren und diese erzwingen, wobei die Gewerkschaften die ArbeiterInnenkontrolle und die Öffnung der Konten, Bücher und Finanzunterlagen der betroffenen Unternehmen hätten durchsetzen müssen.

All das hätte jedoch zu einer massiven Verschärfung des Klassenkampfes geführt, die ihrerseits die Systemfrage, also die der Enteignung der herrschenden Klasse, der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und Errichtung einer demokratischen Planwirtschaft aufgeworfen hätte.

Das wollte aber auch die linke Labour-Führung unter Corbyn nicht. Mehr noch. Da die Labour-Führung eine sozialistische Umwälzung gegenwärtig als nicht möglich, unrealistisch und utopisch zurückwies und eine Planwirtschaft prinzipiell ablehnte, blieb ihr letztlich nur eine mehr oder minder radikale Reformpolitik übrig.

Die Verhandlungen am Labour-Parteitag brachten jedoch nicht nur die Schwächen und Grenzen ihres New Deals hinsichtlich der herrschenden Klasse zum Ausdruck. Viele Abschnitte stellten auch einen Formelkompromiss mit jenen GewerkschaftsvertreterInnen dar, die vor allem um die Zukunft „ihrer“ Industrie fürchteten.

Die Spannungen zwischen eng definierten Gewerkschaftsinteressen (Erhalt bestehender Arbeitsplätze und Verbesserung der Arbeitsbedingungen) und der Umweltpolitik sind nicht neu. Wie die AktivistInnen zu Recht erkannt haben, ist eine breite Unterstützung der ArbeiterInnenklasse, einschließlich derjenigen, die derzeit z. B. in fossile Energieträger verbrauchenden Industrien arbeiten, für eine ökologische Transformation unerlässlich. Aber die Gegensätze lassen sich nicht dadurch lösen, dass man sie unter den Teppich kehrt, wie es die Labour-Partei z. B. bei der Frage des Flughafenausbaus getan hat. Die Bewegung muss offen zugeben, dass einige Produkte und Produktionsstätten verschwinden müssen – und zwar schnell.

Staatliche Unterstützung für Umschulungsprogramme kann zwar einen gewissen Beitrag leisten, die sozialen Folgen kapitalistischer Umstrukturierungen abzufedern. Sie wird aber niemals in der Lage sein, den anarchischen Marktkräften vollständig entgegenzuwirken, die – zumindest vorübergehend – LohnarbeiterInnen verdrängen und sie in schlechter bezahlte Arbeit zwingen werden.

Auch hier zeigt sich, dass eine grundlegende ökologische Umstrukturierung der Wirtschaft ein Gesamtprogramm der ArbeiterInnenklasse erfordert, das Arbeitskräfte aus Branchen, die geschlossen werden, ohne Einkommensverlust und zu gleichen Arbeitsbedingungen in andere überführt. Allein diese notwendige Neuverteilung der gesellschaftlichen Arbeit lässt sich viel leichter, reibungsloser durchführen, wenn die entsprechenden Unternehmen unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden.

Schließlich sprach der Green New Deal der Labour-Partei auch einige Folgen des Umweltimperialismus und dessen Dynamiken an. Doch blieb er, wie ein großer Teil der vorherrschenden Umweltpolitik, bei freiwilligen Lösungen und wohlklingenden Phrasen stehen, indem er sich auf die Förderung des internationalen Austauschs von Technologien und Ressourcen beruft, um anderen Ländern zu helfen, einen Green New Deal zu erreichen. Diese unverbindliche Erklärung verpflichtet zu nichts. Noch wichtiger ist jedoch, dass die Labour-Partei angesichts ihres Engagements für marktwirtschaftlich-keynesianische Lösungen im eigenen Land sicherlich nicht bereit gewesen wäre, die Zerschlagung aller Institutionen des globalen Imperialismus zu unterstützen, die notwendig wäre, um die Volkswirtschaften des globalen Südens aus den Fesseln zu befreien.

Der linke, reformistische GND – und nicht nur der von Labour – behandelt sowohl soziale Transformation, internationale Verhältnisse wie Umweltfrage als Verteilungsproblem.

Sofern eine Überwindung des Kapitalismus angestrebt wird, geht sie mit einer verengten, reformistischen Vorstellung von Sozialismus einher und einer Wiederbelegung utopischer, marktsozialistischer Konzeptionen. So heißt es z. B. bei Klaus Dörre:

„Neben kollektivem Selbsteigentum benötigt eine neue Wirtschaftsdemokratie drei weitere Säulen:

– eine induktive demokratische Rahmenplanung einschließlich der Abstimmung über Planalternativen im Rahmen allgemeiner, gleicher und freier Wahlen;

– ein Maximum an direkter Partizipation und Demokratie in Region, Kommune, Betrieb und Unternehmen;

– echte Marktwirtschaft und Märkte als wichtiger Allokationsmechanismus.

In einer solchen Wirtschaft könnten noch immer Unternehmen existieren, die Gewinne erwirtschaften. Aber eine gesamtwirtschaftliche Koordination würde sie einer social order unterwerfen, die keine kapitalistische wäre.“[xxxvii]

Was im Labour-Programm noch vergleichsweise altbacken, traditionsreformistisch daherkommt, hebt sich in Dörres Vorstellung von einer „großen Transformation“ letztlich nur durch eine anders geartete Verkennung der Zwangsgesetze der Kapitalakkumulation ab.

Die Vorstellung, dass eine Art „Rahmenplanung“ neben einer funktionierenden oder gar „echten“ Marktwirtschaft harmonisch zum Wohl aller existieren könnte und, ganz nebenbei, sich auch noch ein nachhaltiges Verhältnis von Mensch und Natur etablieren würde, ist kompletter Utopismus. Sie kommt dem Versuch gleich, die Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise unangetastet zu lassen und gleichzeitig alle ihre Missstände und Nachteile durch eine nebulöse, nichtkapitalistische „social order“ auszumerzen. Ebenso gut könnte man die Abschaffung des Kapitalismus auf Basis des Kapitalismus verlangen.

In Wirklichkeit greifen alle Formen eines Green New Deal zu kurz, weil sie das Privateigentum intakt lassen – und somit notwendigerweise auch die Grundstruktur der gesellschaftlichen Arbeitsteilung.

Riexinger

Nachdem wir das Programm der Labour-Partei unter Corbyn betrachtet haben, wollen wir uns dem ehemaligen Vorsitzenden der Linkspartei, Bernd Riexinger, zuwenden. Gegen Ende seine Funktionsperiode ging dieser unter die BuchautorInnen und versuchte sich als Stratege seiner Partei. Schon 2018 legte er mit „Neue Klassenpolitik“[xxxviii] einen Text vor, in dem er die Ausrichtung der Linkspartei zu begründen suchte. Mit seinem vor wenigen Monaten beim Hamburger VSA-Verlag erschienenen „System Change, Plädoyer für einen linken Green New Deal“[xxxix] versucht er, eine langfristige, strategische Antwort auf die derzeitige Krise vorzulegen.

Er will deshalb die herrschenden Zustände angreifen, den „Status quo in Frage stellen“. Auch wenn er den Kapitalismus nicht abschaffen will, so strebt er eine andere „Formation“ desselben an. Dass der Vorsitzende einer reformistischen Partei dem Reformismus treu bleibt, überrascht nicht weiter. Die Beschäftigung mit seinem Buch erweist sich dennoch als sinnvoll. Reformistische Parteien und ParteichefInnen begründen ihre „Realpolitik“ in der Regel erst gar nicht theoretisch, da sie diese ohnedies, ganz im Sinne ihres engen, pragmatischen Horizonts, für alternativlos erachten.

Riexinger hingegen hält eine theoretische Begründung für nötig, weil er einen „neuen“ Linksreformismus begründen will, dessen Vorstellung von Systemwandel (System Change) und Green New Deal sich nicht nur vom revolutionären Marxismus, sondern auch von den Konzepten der Sozialdemokratie und der Grünen unterscheiden und abgrenzen soll.

Dabei greift er reale Probleme auf: „Lange schon schwelen verschiedene Krisen des Kapitalismus: Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, Klimawandel, Grenzen des Wachstums, soziale Ungleichheit, Zusammenbruch der öffentlichen Daseinsvorsorge und das Gefühl von vielen, dass die Gesellschaft nicht mehr zusammenhält. Corona hat diese Vielfachkrise des Kapitalismus verschärft und zugespitzt.“[xl] Er beschreibt Erscheinungen und Probleme, die mit dem Kapitalismus zu tun haben bzw. von ihm produziert werden. Aber eine marxistische Krisenanalyse stellt dies nicht dar.

Eine theoretisch fundierte, konkrete Untersuchung des Kapitalismus findet nicht statt und auch nicht, wie diese „einzelnen Krisen“ zusammenhängen. Er beschreibt die Erscheinungen meist ganz treffend und belegt, dass die vorgeblichen Bemühungen von Bundesregierung oder EU-Kommission, bestimmte Probleme, z. B. die globale Erwärmung, anzugehen, hilflos sind, Einzelmaßnahmen darstellen und durch die generelle Ausrichtung der Politik konterkariert werden.

Ein Beispiel: „EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bereits Ende 2019 ein Konzept für einen Green Deal auf den Weg gebracht, der die Klima- und Wirtschaftspolitik stärker aufeinander abstimmen soll. Ziel sind massive Investitionen in neue Technologien zur effizienteren Ressourcennutzung und zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen. Das klingt gut, erweist sich aber bei näherem Hinsehen wie eine Mischung aus ,Greenwashing’ und Wettbewerbspolitik. Das Ziel, bis 2050 eine ,grüne Null’ zu erreichen, ist für die EU ein Fortschritt, reicht aber nicht aus, um die Klima-Katastrophe zu verhindern. Während aus einem Fonds Investitionen in den Klimaschutz finanziert werden sollen, fördern zahlreiche EU-Töpfe mit Milliarden Euro klimaschädliche Großprojekte.“[xli]

Aus all diesen Beispielen folgt für Riexinger, dass eine neue Politik nötig ist. Er beansprucht dabei nicht weniger, als alle genannten Probleme in ihrer Vielfältigkeit anzugehen. Sein Ziel ist es, alle Bewegungen, die gegen diese aktiv sind, zu einer einzigen zu vereinen, die dann alles für alle erreicht, was sozial und ökologisch ist, unabhängig von Geschlecht und Herkunft. Riexinger fasst das so zusammen: „Entscheidend ist, ein Bündnis sozialer Bewegungen für den sozialökologischen Umbau und unteilbare Solidarität aufzubauen. Dafür ist der Green New Deal kein Masterplan, sondern ein strategischer Vorschlag, wie wir eine bessere Welt gewinnen können.“[xlii]

Die Ziele, die er vorschlägt, basieren auf den bekannten Forderungen der Linkspartei:

  • Löhne, die zum Leben reichen; 13 Euro Mindestlohn; Leiharbeit verbieten: prekäre Arbeit abschaffen; Arbeitszeit um die 30-Stunden-Woche mit Lohnausgleich.
  • Rentenniveau auf 53 % anheben; Mindestrente von 1 200 Euro; AlG I auf 24 Monate verlängern; Elterngeld auf 24 Monate anheben.
  • Für die „Transformation der Autoindustrie“ stellt Riexinger sich unter anderem vor, Fahrzeuge für kollektive Mobilitätskonzepte herzustellen und einen Ausbau der Bahn zu forcieren.

Um diese Ziele zu erreichen, sollen die Bewegungen, die es schon gibt und die sich noch mehr verbinden müssen, soviel Druck auf den Staat ausüben, dass dieser die Konzerne und das Kapital dazu zwingt. Am Beispiel der Autoindustrie liest sich das so: „Der Staat muss die Auto-Konzerne auf einen sozial gerechten, ökologischen Transformationspfad verpflichten. Das wird nur gelingen, wenn Belegschaften, Gewerkschaften, Umweltverbände und Klimabewegung an einem Strang ziehen.“[xliii]

Er verweist darauf, dass es im Konjunkturpaket Gelder der Regierung für Transformation gebe.

Für die Zukunft will er außerdem die Wirtschaft demokratisieren. DAX-Unternehmen sollen mindestens zu 21 % in öffentlichem Eigentum stehen, 30 % Belegschaftseigentum, den Rest dürfen private AktionärInnen behalten.[xliv]. Was er nicht sagt, ist, wie den DAX-Konzernen 51 % ihres Kapitals genommen werden sollen. Darüber hinaus liegt seinem Buch die Vorstellung zugrunde, dass die VertreterInnen des Staates, des „öffentlichen Eigentums“ und die Belegschaften einen Block formen würden. Realistischer ist jedoch, dass der Staat mit dem Kapital zusammengeht. Hinzu kommt, dass das „Belegschaftseigentum“ letztlich auch eine Form des Privateigentums, nämlich Gruppeneigentum darstellt. Die Beschäftigten wären (Mit-)EigentümerInnen „ihres“ Betriebes und daher auch an dessen Konkurrenzfähigkeit interessiert. Was Riexinger als Schritt zu einer Vergesellschaftung ausgibt, könnte sich nur allzu leicht als weitere Fessel der Lohnabhängigen an „ihr“ Unternehmen erweisen.

Solche Utopien kann man nur schreiben, wenn man alles ignoriert, was MarxistInnen über Konkurrenz und den bürgerlichen Staat formuliert haben. Die Marx’sche Sichtweise erledigt Riexinger, indem er die Aussage, der „Staat sei nur ein Instrument in den Händen von Kapital und Konzernen“[xlv], so interpretiert, als würde sie bedeuten, dass Staat und Kapital als identisch betrachtet würden, dass sich der Kampf zwischen Lohnarbeit und Kapital nicht im Staat reflektieren würde, als könnten überhaupt keine politischen Reformen errungen werden. Zwar weist er die platte bürgerliche Idee, dass „der Staat ein neutrales Instrument sei“ zurück und erklärt stattdessen, „dass sich im Staat Kräfteverhältnisse verdichten. Er ist das Feld, auf dem die verschiedenen Interessen (Klasseninteressen) ausgetragen werden.“[xlvi]

Hinter diesen Ideen steckt zwar ein Körnchen Wahrheit, nämlich dass rein gewerkschaftliche oder soziale Kämpfe allein nicht ausreichen, um grundlegende Veränderungen zu erzielen, sondern ein politischer Kampf notwendig ist. Aber durch die Weigerung, den bürgerlichen Klassencharakter dieses Staates anzuerkennen, verkommt das Ganze nur zu einer komplexeren Begründung einer reformistischen, bürgerlichen Reformstrategie. Letztlich muss und kann die ArbeiterInnenklasse in Riexingers Augen den Staat in einem langwierigen gesellschaftlichen und institutionellen Kampf übernehmen und verändern.

Genau hier liegt der entscheidende Unterschied zur marxistischen Staatstheorie, die den bürgerlichen Staat als Herrschaftsinstrument des Kapitals begreift, das über tausende Fäden materieller Spitzenprivilegien die Armee, den Repressionsapparat, die Justiz- und Staatsbürokratie auf sich als herrschende Klasse verpflichtet, um die Interessen des Gesamtkapitals wahrzunehmen. Die Crux besteht gerade darin, dass der bürgerliche Staat als ideeller Gesamtkapitalist fungieren kann, weil er nicht mit einzelnen Kapitalen oder der ökonomischen Vertretungen der Bourgeoisie identisch ist. So kann er deren Gesamtinteresse auch gegen einzelne dieser Fraktionen durchsetzen – wie beim New Deal der 1930er Jahre.

Das ist auch der Grund, warum ein revolutionäres kommunistisches Programm immer auf die Zerschlagung des bürgerlichen Staates und seine Ersetzung durch einen Rätestaat der ArbeiterInnenklasse, die Diktatur des Proletariats, zielt.

Es würde aber auch reichen, die politische Realität wahrzunehmen: Es ist ja kein Ausrutscher, wenn in den Konjunkturpaketen keine Auflagen für die Lufthansa oder die Autokonzerne enthalten sind, denn es geht diesem Staat, seiner Regierung und seinem Apparat dabei immer um das, was im Wortsinn „systemrelevant“ ist: den Erhalt der Profitmaschinen der deutschen Bourgeoisie im Konkurrenzkampf mit ihren internationalen KonkurrentInnen. Dem werden alle sozialen und ökologischen Fragen untergeordnet.

Es zeigt sich an dieser Stelle, dass die Schwammigkeit zu Beginn des Buches bei der Darstellung der vielfältigen „Krisen des Kapitalismus“ ihre Ergänzung und Fortsetzung findet, wenn es um den Staat im Kapitalismus geht. Die Utopie schließt auch ein, dass dieser sozial und ökologisch gebändigte Kapitalismus funktionieren und nicht weiter Krisen produzieren würde.

Riexinger hält seine Utopie für Realismus. Sein Credo ist, man müsse an die realen Bewegungen anknüpfen, weil nur Menschen in Bewegung etwas verändern können. Sein Irrtum besteht darin, dass er auch an den falschen Vorstellungen der Bewegungen festhält, ja sie zu seinen eigenen macht. Die Führung der Umweltbewegung beispielsweise glaubt, dass eine ökologische Wende in diesem System, ja sogar mit diesen Regierungen möglich sei.

RevolutionärInnen vertreten einen anderen Ansatz: Sie wollen, dass Menschen in der Bewegung lernen und ihre Ziele ändern. Dafür gilt es immer, Vorschläge zu unterbreiten, die realistisch sind, weil sie funktionieren können. Wir leugnen, dass der Staat der Bourgeoisie durch eine Bewegung zu einem anderen werden kann, selbst wenn es möglich ist, Maßnahmen im Interesse der Lohnabhängigen durchzusetzen.

Notwendig ist vielmehr, dass die ArbeiterInnenklasse diese Kämpfe für Reformen – einschließlich von Forderungen nach Verstaatlichung – mit dem Kampf um Kontrolle eben dieser Maßnahmen und den Aufbau ihrer eigenen Macht verbindet. Dass die Beschäftigten Betriebe besetzen, die geschlossen werden sollen. Dass sie für die Verstaatlichung, die Fortführung und Umstellung, Konversion der Produktion unter ihrer eigenen Kontrolle kämpfen und diese gegen Übergriffe des Staates verteidigen.

Eine solche Perspektive ist im revolutionären Sinne realistisch, weil sie von den realen gegensätzlichen Interessen der Klasse und der Rolle des Staates ausgeht und nicht selbst Luftschlösser produziert. Indem sie die Kämpfenden in den Bewegungen darauf vorbereitet, deren Illusionen und falschen Vorstellungen solidarisch kritisiert und darlegt, welche Aktionen und Forderungen notwendig sind, um kurz- und langfristige Ziele zu erreichen, tritt sie für einen revolutionären Realismus ein.

Für seine Vision muss sich Riexinger aber nicht nur den Kapitalismus und seinen Staat schönreden, sondern auch die AkteurInnen seiner Bewegungen. Das fängt an bei der Linkspartei, die sich „behauptet“ und die „stabil“ ist, aber auch in „ständiger Veränderung“[xlvii]. Dies würde wahrscheinlich auch Riexinger nach der Wahlniederlage 2021 anders formulieren. Blauäugig war es aber auch vorher schon. Schon damals musste man die Frage stellen, warum die Linke so gut wie nichts aus den Verlusten der SPD gewinnen konnte. Was ist mit der Politik der Linken an der Regierung? Martin Schulz sagt zu Recht: „Eine Regierung SPD-Grüne-Ramelow, zum Beispiel, vor der hat in Deutschland keiner Angst.“

In den Gewerkschaften sieht Riexinger völlig zu Recht eine entscheidende Kraft für jede Veränderung. Er erkennt auch, dass diese sich entscheiden müssen, „ob sie sich als mobilisierende, organisierende und konfliktorientierte Interessenvertretung stärken oder ob sie sich auf die korporatistische Zusammenarbeit mit (exportorientiertem) Kapital konzentrieren wollen.“[xlviii]  Dann lobt er das IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban, um anschließend festzustellen: „Selbstverständlich gibt es auch ganz andere Stimmen. Betriebsräte und GewerkschafterInnen, die Abwrackprämien auch für neue Dieselautos fordern.“[xlix]  Diese „anderen“ Stimmen stellen in der IG Metall die absolute Mehrheit! Auch Urban hat der Forderung nach Kaufanreizen für Verbrennerautos nicht widersprochen.

Aber die SozialpartnerInnenschaft floriert nicht nur in der Exportindustrie. Die maßgeblich von der Linkspartei und ihren FunktionärInnen in ver.di angestoßene Pflegekampagne wurde trotz breiter Wirkung von der ver.di-Bürokratie auf einzelne Betriebe beschränkt, eine Politisierung durch die Verbindung mit der Forderung nach Rekommunalisierung der Krankenhäuser bekämpft und die ganze Kampagne in die Sackgasse von BürgerInnenbegehren gelenkt.

Um die Gewerkschaften und ihre Millionen Mitglieder für antikapitalistische Kampagnen jeder Art zu gewinnen, ist also eine systematische Auseinandersetzung mit der SozialpartnerInnenschaft und ihrer Trägerin, der Gewerkschaftsbürokratie, nötig. Schon die Debatte darüber, wie diese aussehen könnte und sollte, wird in der Linken nicht geführt und auf den Streikkonferenzen der Luxemburg-Stiftung konsequent verhindert.

Die Idee eines sozial gebändigten Kapitalismus‘ ist nicht neu. Riexinger will dem Raubtier nur neue ökologische Fesseln anlegen. Dieser Traum ist immer wieder befeuert worden, weil es Phasen gab, in denen die Bourgeoisie Zugeständnisse an die ArbeiterInnenbewegung machen musste. Er wurde auch genährt, weil in Krisenperioden die gängigen bürgerlichen Ideologien selbst fraglich werden. Daher suchen auch viele nach radikalen Alternativen. Auch das versuchen Riexinger und die Linkspartei wie auch viele ähnliche Strömungen in Westeuropa, den USA und auf der gesamten Welt aufzugreifen, indem sie einen scheinbar radikaleren Reformismus als gangbare quasi revolutionäre, antikapitalistische Politik zu begründen versuchen.

Die Aufgabe für SozialistInnen und KommunistInnen bleibt beständig, in einer historischen Krise des kapitalistischen Systems nicht für eine neue sozialere Formation des Kapitalismus zu kämpfen, welche dieses verrottete System sofort wieder zerlegen würde, sobald es kann.

Fazit

Die reformistischen Spielarten des Green New Deal lösen weder die sozialen und politischen Probleme unserer Zeit noch die ökologischen Krisen. Ganz grundlegend behandelt dieser GND die soziale Transformation, nationale und internationale  Klassenverhältnisse als Verteilungsprobleme. Und in diesen Reigen fügt sich auch die Umweltfrage ein, die sich, ebenso wie Fragen der sozialen Gerechtigkeit, des Verhältnisses von Norden und Süden usw. angeblich durch eine stärkere Regulation der kapitalistischen Wirtschaft lösen ließen. Ob es nun Teilverstaatlichungen, eine „Rahmenplanung“ durch den bürgerlichen Staat oder Belegschaftseigentum an großen Unternehmen sein sollen, in jedem Fall bleiben die grundlegenden Mechanismen der Konkurrenz und der kapitalistischen Akkumulation intakt.

Was den reformistischen Green New Deal von anderen, vor allem vom linksbürgerlichen unterscheidet, ist nicht, dass er Bündnisse mit Teilen der herrschenden Klasse ablehnen würde. Er sieht nur im Unterschied zu anderen Spielarten des GND die Notwendigkeit, dass die ArbeiterInnenklasse, die gewerkschaftlich und in reformistischen Massenparteien organisiert ist, im Bündnis mit der Umweltbewegung ständig Druck auf den Staat, die Regierung und auf die KapitalistInnen ausüben muss, quasi als ständiger Reparaturbetrieb wirken muss, um die „Transformation“ voranzubringen, was, wie jede reformistische oder rein gewerkschaftliche Strategie, bestenfalls einer Sisyphusarbeit gleichkommt.

Bei günstigem Geschäftsgang des Kapitals kann sie noch eine gewisse Logik für sich beanspruchen, weil sich der Umverteilungsspielraum der rein gewerkschaftlichen und sozialreformerischen Aktivität bei Prosperität des Kapitals erweitert, dann die Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft günstiger sind. Krisenperioden jedoch  unterhöhlen die Basis dieser Sisyphusarbeit.

Was die Frage der ökologischen Transformation betrifft, stößt diese Reformpolitik jedoch auf ein zweites, grundlegendes Problem. Während die Prosperität des Kapitals den Spielraum für Sozialreformen erhöhen kann, so gilt dies keineswegs für die Lösung  ökologischer Probleme. Im Gegenteil, der freie Gang der Akkumulation verschärft und beschleunigt diese Krise. Daher greift eine Politik, die die Frage der gesellschaftlichen Transformation letztlich als Verteilungsproblem analog zum gewerkschaftlichen Kampf betrachtet, notwendigerweise immer zu kurz.

Die verschiedenen Formen der ökologischen Krise (in gewisser Weise auch die Corona-Pandemie) werfen vielmehr die Frage nach grundlegender bewusster Reorganisation der Gesellschaft auf: nach dem Was, Wie, Wieviel, Womit und Für wen produziert wird, nach bewusster gesellschaftlicher Planung.

Um die sieben, zu Beginn des Artikels dargestellten, großen ökologischen Krisenphänomene bewältigen zu können, sind grundlegende Eingriffe in die Bestimmung dessen, was wie produziert wird, notwendig. Diese sind untrennbar mit der Überwindung der globalen kapitalistischen Ausbeutungsordnung verbunden, also der internationalen Revolution. Nur so kann Produktion und Reproduktion vernünftig und ökologisch nachhaltig im Interesse der gesamten Menschheit bewusst reorganisiert werden.

Ein Aspekt dieses Gesamtkomplexes betrifft auch die Frage der Endlichkeit von Ressourcen. Sozialismus und Kommunismus können nicht einfach als ein Mehr an Produktion und eine Verallgemeinerung des Konsums der Bevölkerung auf dem Stand der ArbeiterInnenklasse der Industrieländer aufgefasst werden. Für diese wird vielmehr eine Beschränkung des aktuellen individuellen Konsumniveaus notwendig sein.

Dem stehen natürlich ein Gewinn an frei verfügbarer Zeit, weniger Arbeitsstunden, gemeinschaftlich statt nur persönlich nutzbare, wiederverwertbare und langlebige Güter und die Möglichkeit zur viel breiteren, umfassenderen individuellen Entfaltung entgegen, so dass eine sozialistische Umwälzung letztlich im Interesse der gesamten ArbeiterInnenklasse liegt.

Beim Green New Deal werden diese Fragen jedoch entweder grundsätzlich ignoriert oder bloße Scheinlösungen präsentiert, weil auch ein „reformierter“ oder „gebändigter“ Kapitalismus, der notwendigerweise auf einer erweiterten Reproduktion des Gesamtkapitals beruhen muss, mit einer planmäßigen, an den Bedürfnisse von Mensch und Natur ausgerichteten Produktion unvereinbar ist.

6. Zusammenfassende Kritik

a) Alle Spielarten des ND oder GND erkennen an, dass der „reine“ freie Markt nicht ausreicht zur ökologischen Transformation, sondern ein staatliches Eingreifen erforderlich ist. Insofern impliziert der GD oder der GND immer zumindest eine begrenzte Kritik am Neoliberalismus und das Aufgreifen einzelner keynesianischer Momente.

b) Alle unterstellen jedoch zugleich, dass kapitalistisches Wachstum mit ökologischem Umbau erfolgreich verbunden werden muss.

Dies impliziert also die Möglichkeit einer erfolgreichen Regulierung des Kapitalismus durch Regierungen – durch Preispolitik, Stimulation der Konkurrenz für ökologische Ziele, Investitionsprogramme oder, in den linksten Varianten, durch partielles Eingreifen in die Verfügungsgewalt des Privateigentums bis hin zu Verstaatlichungen in einzelnen Sektoren.

Grundsätzlich gehen alle Varianten des GD/GND davon aus, dass die kapitalistische Produktionsweise ökologisch nachhaltig gemacht werden könne, wenn nur eine dementsprechende Technologie verallgemeinert und ökologisch nachteilige Effekte durch staatliche Rahmenbedingungen oder Wirtschaftspolitik ausgeglichen würden.

c) Der bürgerliche Staat wird als Instrument zur Regulierung des Kapitalismus im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit (und bei den linkeren Konzeptionen auch sozialer Gleichheit) begriffen . Er muss gewissermaßen nur selbst reformiert und „richtig“ eingesetzt werden.

d) Staatliche Politik soll durch eine gesellschaftliche Mehrheit (Allianzen) oder Bewegungen gestützt werden. Gesellschaftliche Hegemonie soll hergestellt werden, um den GND (oder GD) gegen Widerstände durchzusetzen. Bei allen Unterschieden zielen sämtliche Konzepte auf eine Art korporatistische und zivilgesellschaftliche Einbindung verschiedener Klassen, auf eine „progressive Allianz“.

e) Alle Varianten des GND unterstellen, dass sich eine nachhaltige Ökonomie analog zur Einbeziehung von Teilen der ArbeiterInnenklasse in eine reformierte kapitalistische gestalten ließe. Das heißt, die ökologischen Fragen werden letztlich wie Umverteilungsfragen behandelt.

f) Alle sind letztlich nationale (oder allenfalls auf einen Staatenbund wie die EU bezogene) Programme, deren internationale Komponente nie über wechselseitige, völkerrechtliche Abmachungen bürgerlicher Staaten und nebulöse Bekenntnisse zu mehr „Fairness“ in den Wirtschaftsbeziehungen hinausgeht. Die bestehende imperialistische Ordnung und die ihr zugrunde liegende Arbeitsteilung werden faktisch vorausgesetzt und bleiben letztlich unangetastet.

7. Umwelt und sozialistische Transformation

Bei aller Kritik wirft der Green New Deal die Frage auf, wie die Produktion, wie Gesellschaft, wie das Verhältnis von Mensch und Natur in Zukunft organisiert werden sollen. Natürlich mussten sich Menschen immer schon zur Natur verhalten, haben immer in diese eingegriffen, diese verändert. Das trifft für alle menschlichen Gemeinschaften und damit natürlich auch alle vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen zu.

Das Verhältnis dieser Gemeinschaften zur Natur war natürlich nie ein naiv-harmonisches. Die äußere Natur tritt dem Menschen oft genug als unbeherrschter, noch wenig erkannter und verstandener Zusammenhang entgegen. Die Mittel zur eigenen Existenz werden teilweise vorgefunden oder als Mittel zur Befriedigung eigener Bedürfnisse entdeckt oder müssen einer oft übermächtigen Naturgewalt abgerungen werden. Die Natur, die natürliche Umwelt, tritt also selbst als sich durch menschlichen Eingriff, Arbeit verändernde Materie auf. Ein „harmonisches“ Mensch-Natur-Verhältnis existiert nicht. Dieses Bild entsteht vielmehr erst auf späteren Stufen der Entwicklung der Klassengesellschaft, insbesondere in verschiedenen Spielarten der Romantik und ihren Ausläufern, als immer schon verklärtes und ideologisiertes, seinem Wesen nach reaktionäres Naturbild.

Reaktionär ist es insbesondere deshalb, weil es den Blick auf das Mensch-Natur-Verhältnis selbst verstellt. Dieses ist immer schon durch die gesellschaftliche Arbeit vermittelt, ja, die menschliche Arbeit konstituiert überhaupt erst den Unterschied zwischen Mensch und Natur. Neben die natürliche Umwelt tritt eine zweite, mit dieser immer eng verbundene menschliche, gesellschaftliche Natur:

„Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur.“[l]

Mit der menschlichen Arbeit geht also immer schon ein zweckmäßiger Eingriff in Natur einher, und als Bildnerin von Gebrauchswert stellt sie, egal, ob nun als Arbeitsmittel oder zum individuellen Verbrauch, eine Grundbedingung jeder menschlichen Gesellschaft dar. Mit der menschlichen Arbeit geht aber auch ihre Zwecksetzung einher. Dies unterscheidet sie von den entwickeltsten anderen Spezies auf dem Planeten. Auch Primaten können z. B. Gegenstände als Hilfsmittel einsetzen, aber sie produzieren diese nicht. Bienen, Termiten oder Ameisen kooperieren instinktiv in riesigen Gemeinschaften, aber sie setzen sich diese Zwecke nicht selbst. Marx macht diesen Unterschied und damit auch ein Wesenselement der menschlichen Arbeit im 1. Band des Kapitals deutlich:

„Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seine Willen unterordnen muß. Und diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt.“[li]

Diese allgemeinen Bestimmungen der menschlichen Arbeit verweisen schon darauf, dass im Arbeitsprozess nicht nur ein unvermeidlicher Eingriff in die Natur stattfindet, sondern auch darauf, dass dieser auch die Möglichkeit einer rationalen, nachhaltigen Regelung dieses Stoffwechsels beinhaltet. Auf den ersten Blick erscheint das Verhältnis von Mensch und Natur dabei als recht einfaches, transparentes.

Nicht so jedoch im realen historischen Entwicklungsprozess. Die Menschen machen bekanntlich zwar ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie unter vorgefundenen, ihnen selbst als gegeben entgegentretenden Bedingungen, weder aus freien Stücken noch mit vollem Bewusstsein in Gestalt eines Gesellschaftsplans. Die von ihnen selbst geschaffenen Verhältnisse erscheinen ihnen wie Naturgewalten, als außerhalb ihres Willens und ihrer Kontrolle liegend. Die Produktionsweisen und Gesellschaftsformationen, die sie im Laufe ihrer Entwicklung hervorgebracht haben und die letztlich auf Entwicklungsstufen der menschlichen, und das heißt immer schon der gesellschaftlichen, Arbeit beruhen, erscheinen ihnen daher in ideologisierter Weise.

Auch frühere Produktionsweisen griffen teilweise massiv und extrem zerstörerisch in die Natur ein – bis hin zur Verwüstung ganzer Landstriche, der Ausrottung zahlreicher Tierarten oder auch der Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen lokaler oder regionaler menschlicher Gemeinschaften, die, wenn auch ungewollt, zum Untergang ganzer Kulturen führen konnten. Allerdings waren diese Prozesse letztlich lokal oder regional begrenzt.

Der Kapitalismus stellt das Verhältnis von Mensch und Natur auf eine nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ neue Grundlage. Anders als frühere Produktionsweisen greift er in globalem Maßstab und auf Grundlage der großen Industrie in dieses Verhältnis ein. Die Menschheit wird im Kapitalismus selbst zu einem bestimmenden Faktor der Entwicklungen globaler ökologischer Systeme. Der Klimawandel ist dafür nur ein Bespiel.

Dabei kommt zweierlei zum Ausdruck. Erstens stellt der Kapitalismus von Beginn an eine globale Produktionsweise dar. Zweitens prägt der Widerspruch zwischen gesellschaftlichem Charakter der Arbeit und privater Aneignung der Arbeitsprodukte diese Produktionsweise grundlegend.

Der nützliche Charakter der Arbeit erweist sich erst im Nachhinein über den Markt, also  hinter dem Rücken der ProduzentInnen. Ob ein Produkt das Bedürfnis eines/r Dritten befriedigt, ist dabei jedoch nur eine Bedingung für die erfolgreiche Vermittlung über Kauf und Verkauf. Die Ware muss nicht nur ein Bedürfnis befriedigen, der Bedürftige muss  seinerseits auch kaufkräftig sein.

Wesentlich für das über den Markt vermittelte Verhältnis ist jedoch, dass in der kapitalistischen Produktionsweise noch in einem viel grundlegenderen Sinn die Bedürfnisse Dritter nur Mittel zum eigentlichen Zweck der Produktion verkörpern. Die Metamorphosen (Umwandlung) der Waren stellen selbst ein dem Kapitalkreislauf und den Metamorphosen des Kapitals untergeordnetes Moment dar. Der eigentliche Zweck der Produktion besteht in der Verwertung des Werts, darin, aus Kapital C mehr Kapital C’ zu schlagen. Daher muss der kapitalistische Produktionsprozess ständig nach Expansion, nach Ausdehnung seiner Basis und nach Erweiterung der Akkumulation streben. Ein Kapitalismus ohne Wachstum wäre gleichbedeutend mit einem Kapitalismus ohne erweiterte Reproduktion des Kapitals, wie Sklaverei ohne Versklavung.

Akkumulation ist das Lebenselixier der bestehenden Produktionsweise; ohne diese keine Vermehrung von Profit. Historisch betrachtet, ging dies mit einem enormen Fortschritt gegenüber vorhergehenden Gesellschaftsformationen einher, nämlich der Umwälzung der technischen Grundlage der Produktion, der Einbeziehung von Wissenschaft und Technik in den Arbeitsprozess und damit auch der Schaffung der produktiven Grundlagen für eine bewusste Form der Vergesellschaftung. Doch solange das Kapitalverhältnis selbst besteht, geht der Widersprich zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung auf Kosten von Mensch und Natur. Er  besteht in der Ausbeutung und damit in der Zurichtung der Arbeitenden einerseits in der Ausnutzung der Naturbedingungen ohne Rücksicht auf langfristige Folgen, also der Unterminierung und tendenziellen Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit andererseits.

Die Stärke des Marxismus und seiner Kapitalanalyse besteht zweifellos darin, dass er im 19. Jahrhundert bereits diese grundlegende Tendenz erkannt hat:

„In der Agrikultur wie in der Manufaktur erscheint die kapitalistische Umwandlung des Produktionsprozesses zugleich als Martyrologie der Produzenten, das Arbeitsmittel als Unterjochungsmittel, Exploitationsmittel und Verarmungsmittel des Arbeiters, die gesellschaftliche Kombination der Arbeitsprozesse als organisierte Unterdrückung seiner individuellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbständigkeit. Die Zerstreuung der Landarbeiter über größre Flächen bricht zugleich ihre Widerstandskraft, während Konzentration die der städtischen Arbeiter steigert. Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z. B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“[lii]

In der imperialistischen Epoche wird dieser Widerspruch weiter auf die Spitze getrieben. Die Tendenzen zur Monopolisierung, die immer größere Konzentration und Zentralisation des Kapitals verstärken erstens den Umfang des Produktionsprozesses und der Warenzirkulation, zweitens aber auch die Tendenz zum Beharren auf bestehender (umweltschädlicher) Produktion.

Globale Konkurrenz, Aufteilung der Welt zwischen den großen Kapitalgruppen und die Beherrschung der sog. Dritten Welt bedeuten auch, die Kosten etwaiger ökologischer „Folgeschäden“ auf ärmere Regionen, deren ArbeiterInnenklasse und Bauern- und Bäuerinnenschaft abzuwälzen – allesamt Folgen einer Produktionsweise, die sich auf der Ebene des Mensch-Natur-Verhältnisses zu einem System des Umweltimperialismus’[liii] verdichtet hat.

Die krisenhafte, katastrophische Zuspitzung dieses Widerspruchs drängt in den letzten Jahrzehnten unwillkürlich ins Bewusstsein der Gesellschaft, in den öffentlichen Diskurs. Klimawandel, wachsende Kluft zwischen Stadt und Land, zwischen Nord und Süd, die Fragen der Zukunft der Landwirtschaft, der Energieversorgung, des Artensterbens, die Zunahme von Schadstoffen und Müll sind nur einige Problemfelder, die deutlich machen, dass sich die Gesellschaft in einer ökologischen Sackgasse befindet.

So wie bei großen ökonomischen und gesellschaftlichen Krisen muss das Kapital auch bei der ökologischen Zuflucht beim Staat nehmen. Die Akkumulation und Konkurrenz führen an den Abgrund. Die ökologische Katastrophe bedroht nicht nur den ökonomischen Reproduktionsprozess, sondern die Lebensgrundlagen der Menschheit selbst. Daher ruft auch ein Teil der herrschenden Klasse nach Staatsintervention, ähnlich wie beim ökonomischen Krisenprozess.

So wie die gesellschaftlichen Formen des Kapitals (z. B. die Aktiengesellschaft) und das Staatseigentum ihre jeweilige Kapitaleigenschaft nicht abstreifen können, somit also keine Lösung seiner inneren Widersprüche darstellen können, sondern nur deren Austragungsform verändern, so kann auch kein noch so gut gemeinter Green New Deal, kein noch so ökologisch auftretender bürgerliche Staat ein nachhaltiges Verhältnis zu den natürlichen Grundlagen menschlicher Existenz herstellen.

Ähnlich wie bei Kapitalverhältnissen kann er zwar reformierend eingreifen, z. B. indem bestimmte Umweltauflagen für Unternehmen erlassen, bestimmte Technologien und damit verbundene Kapitalgruppen gefördert werden, indem versucht wird, durch Steuerpolitik einzugreifen usw.

Doch in Wirklichkeit sind die Möglichkeiten, den ökologischen Krisenprozessen mit staatlichen Reformen beizukommen, noch viel begrenzter, als der Verelendung der Lohnabhängigen durch den rein ökonomischen bzw. gewerkschaftlichen Kampf der ArbeiterInnenklasse zu begegnen.

Das liegt daran, dass der Lohnkampf bis zu einem gewissen Grad selbst notwendig ist, um das Wertgesetz im Kapitalismus überhaupt zur Geltung zu bringen. Ohne kollektive gewerkschaftliche Aktionen oder ohne staatliche Gesetze, also ohne Begrenzung des Arbeitstages oder Mindesteinkommen würde der Arbeitslohn für große Teile der Lohnabhängigen unter die Reproduktionskosten sinken, der Arbeitstag immer mehr ausgeweitet werden. Für die einzelnen Kapitale hätte dies natürlich unmittelbare Vorteile, weil es die Mehrwertrate deutlich erhöhen würde, aber für die Reproduktion des Gesamtkapitals würde es langfristig ein Problem darstellen, wenn sich die ArbeiterInnenklasse aufgrund zu geringer Löhne nicht ausreichend reproduzieren könnte. Ihr Gebrauchswert würde damit nämlich zerstört oder zumindest nicht in ausreichendem Maße hergestellt.

Allerdings kennt die herrschende Klasse Lösungswege auf dem Boden der Kapitalakkumulation und der imperialistischen Ordnung. Erstens können Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen oder eine Erhöhung des Soziallohns (Arbeitsschutzbestimmungen, Sozialversicherungen oder staatliche, über Steuern finanzierte Leistungen wie Schulbildung … ) durch eine Erhöhung des relativen Mehrwerts   so kompensiert werden, dass die Akkumulation sogar über mehrere Konjunkturzyklen hinweg weiter expansiv und dynamisch ausfallen kann. Zweitens erzwingt die imperialistische Arbeitsteilung auch, dass neben der Durchschnittsarbeit auch Lohnarbeitende in den Kolonien oder Halbkolonien bzw. rassistisch unterdrückte ihre Arbeitskraft unter ihrem Wert verkaufen müssen. Die Entlohnung der Arbeitskraft zu ihrem Wert findet daher auch im Normalbetrieb des Kapitalismus nur für einen Teil der globalen ArbeiterInnenklasse statt. In Krisenperioden wird auch dieses geschichtlich etablierte Niveau angegriffen.

Doch darüber hinaus muss noch ein weiterer grundlegender Unterschied in Betracht gezogen werden. Die Reproduktion von globalen ökologischen Systemen folgt einer anderen Logik als die des Kapitals. In letzter Instanz trifft das zwar auch auf die menschliche Arbeitskraft zu, aber in Phasen der Prosperität kann diese noch eher mit der Entwicklungsdynamik des Kapitals vermittelt werden.

Für den/die einzelne/n Lohnabhängige/n wie auch ganze Beschäftigtengruppen, ja, für eine gesamte ArbeiterInnenschaft, springt das Interesse an Löhnen, die die Reproduktionskosten auf Basis der kapitalistischen Verhältnisse decken, unmittelbar ins Auge und wird z. B. in der ideologisierten Forderung nach gerechtem Lohn erhoben.

Anders bei den ökologischen Folgekosten des Kapitalismus. Diese sind ohnedies oft externalisiert. Sie erscheinen darüber hinaus in einem Gegensatz zum eigentlichen Produktionsverhältnis. Indem die natürlichen Grundlagen der Produktion und des menschlichen Lebens gewissermaßen gratis vorgefunden werden, scheinen die zerstörerischen Folgen der kapitalistischen Produktion nur als „äußeres“ technisches Problem, nicht als Teil des Gesamtkomplexes gesellschaftlicher Arbeit.

Dies trifft ganz offenkundig auf die kapitalistische Umweltpolitik, aber auch auf linkere Varianten des Green New Deal zu. Alle unterstellen einen dauerhaft expandierenden, aber sozial regulierten Kapitalismus. Die ökologische Frage wird so allenfalls analog zu einem gewerkschaftlichen Problem betrachtet. Doch genau das bleibt unterhalb der eigentlichen Problematik.

In Wirklichkeit wirft die ökologische Krise dauerhaft die Frage auf, die auch jede Krise des Kapitalismus erhebt: die nach der Reorganisation des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs. Schon in der „Deutschen Ideologie“ begründen Marx und Engels die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution aus der Entwicklung der inneren Widersprüche des Kapitalismus und verweisen in diesem Zusammenhang auf den grundlegenden Unterschied der kommunistischen Umwälzung gegenüber der bürgerlichen:

„Der Kommunismus unterscheidet sich von allen bisherigen Bewegungen dadurch, daß er die Grundlage aller bisherigen Produktions- und Verkehrsverhältnisse umwälzt und alle naturwüchsigen Voraussetzungen zum ersten Mal mit Bewußtsein als Geschöpfe der bisherigen Menschen behandelt, ihrer Naturwüchsigkeit entkleidet und der Macht der vereinigten Individuen unterwirft. Seine Einrichtung ist daher wesentlich ökonomisch, die materielle Herstellung der Bedingungen dieser Vereinigung; sie macht die vorhandenen Bedingungen zu Bedingungen der Vereinigung. Das Bestehende, was der Kommunismus schafft, ist eben die wirkliche Basis zur Unmöglichmachung alles von den Individuen unabhängig Bestehenden, sofern dies Bestehende dennoch nichts als ein Produkt des bisherigen Verkehrs der Individuen selbst ist.“[liv]

Kurzum, die Aufgabe der sozialistischen Umwälzung besteht darin, die Verkehrsform der Gesellschaft selbst bewusst hervorzubringen und zu gestalten. Dies schließt zugleich ein, die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, also ökologische Nachhaltigkeit selbst zu sichern. Im „Kapital“, wo Marx auf den zunehmenden Riss von Landwirtschaft und Industrie, von Mensch und Natur verweist, deutet er auch allgemein auf die Mittel zur Lösung des Problems:

„Die Zerreißung des ursprünglichen Familienbandes von Agrikultur und Manufaktur, welches die kindlich unentwickelte Gestalt beider umschlang, wird durch die kapitalistische Produktionsweise vollendet. Sie schafft aber zugleich die materiellen Voraussetzungen einer neuen, höheren Synthese, des Vereins von Agrikultur und Industrie, auf Grundlage ihrer gegensätzlich ausgearbeiteten Gestalten.“[lv]

Die Verbindung von Industrie, Agrikultur und Wissenschaft bildet den Schlüssel für diese Produktion der Verkehrsform – aber eben nur unter der Voraussetzung der Enteignung der herrschenden Klasse und einer planwirtschaftlichen Reorganisation der gesamten Produktion und Reproduktion.

Die Entwicklung der Produktivkräfte schafft zwar die Bedingungen zur Lösung der gesellschaftlichen und ökologischen Probleme. Erstere darf aber nicht nur als rein technische  Entwicklung verstanden werden, also solche der Erfindung neuer nachhaltiger Energieträger, effizienterer, Ressourcen sparender Produktion und Technik.

Vielmehr müssen solche in zukünftige Planungen und auch bereits in ein Programm von Übergangsforderungen eingebunden werden, um auf diesem Weg von Beginn an Parameter und Gleichgewichtsbedingungen für den Erhalt (oder teilweise auch die Wiederherstellung) ökologischer Geosysteme zu installieren.. Eine gesellschaftliche Gesamtplanung muss daher nicht nur als Planung bestimmter menschlicher Bedürfnisse, effektiverer, arbeitszeitsparender Produktion und dazu notwendiger Verteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit auf verschiedene Bereiche von Produktion und Reproduktion verstanden werden. Es muss auch der Stoffwechsel mit der Natur in die Planung selbst einfließen, so dass die menschliche Produktion als Teil eines größeren, globalen Kreislaufes begriffen wird.

Die gesellschaftliche Produktionsweise muss und kann nicht nur als Gegensatz zur natürlichen Umwelt verstanden, sondern muss auch als ihr Bestandteil erfasst werden – nämlich weil sich die Menschheit zwar selbst eine eigene, zweite gesellschaftliche Natur schafft, zugleich aber immer auch Naturwesen bleibt.

Die Enteignung des Kapitals, die Eigentumsfrage, stellt wie generell im Übergang zum Sozialismus die Schlüsselfrage zur Reorganisation der Wirtschaft gemäß menschlichen Bedürfnissen und ökologischer Nachhaltigkeit dar. Jedes Programm von Übergangsforderungen muss in der „Expropriation der ExpropriateurInnen“ gipfeln und in der Errichtung einer umfassenden demokratischen Planung.

Auch wenn es möglich und notwendig ist, Umweltreformen auch vom bürgerlichen Staat zu fordern, so entspricht die ökologische Transformation keiner Addition solcher, sondern sie erfordert vielmehr einen grundlegenden Bruch mit der bestehenden Gesellschaftsordnung.

Daher nimmt schon im Hier und Jetzt die Frage der Kontrolle über solche Maßnahmen, über Gesetze, erkämpfte Verbesserungen usw. eine Schlüsselrolle ein. Die Reorganisation der Produktion erfordert die Kontrolle durch die Lohnabhängigen, und zwar nicht nur auf betrieblicher, sondern auf gesellschaftlicher Ebene. So darf die ArbeiterInnenkontrolle z. B. bei der Umstellung von Produktionsverfahren oder Produktion nicht nur auf betrieblicher Ebene gedacht werden. Die Kontrolle z. B. über die Prioritäten der Verkehrsplanung muss über die betriebliche Ebene hinaus erfolgen. Selbiges gilt für die Frage der Reorganisation des Verhältnisses von Stadt und Land, für die Veränderungen in der Agrarproduktion, die Schaffung von Verbindungen und Kontrollorganen nicht nur der ArbeiterInnenklasse, sondern auch mit Bauern und Bäuerinnen, insbesondere der Kleinbauern-/bäuerinnenschaft und den Landlosen, wenn wir an die halbkolonialen Länder denken.

Die ökologische Transformation muss in jedem Fall mit einer massiven Umverteilung der Ressourcen einhergehen, einschließlich einer gewaltigen Zentralisation ebendieser, um das Erreichen von bedrohlichen Kipppunkten bei globalen Erdsystemen wie dem Klima zu verhindern, aber auch um die Mittel für die Bekämpfung der Folgen ökologischer Veränderungen gerade in den ärmsten Ländern und Regionen massiv zu erhöhen.

Die ökologische Transformation ist daher untrennbar mit der Machtfrage verbunden, dem Kampf für ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenregierungen und seiner Verallgemeinerung zur globalen sozialistischen Revolution.

Damit die ArbeiterInnenklasse selbst zum Subjekt, zur entscheidenden Trägerin dieser Umwälzung werden kann, muss sie selbst aber grundlegend verändert werden. Nicht nur die Jahrzehnte der Vorherrschaft von Stalinismus und Sozialdemokratie haben Verheerendes im Bewusstsein der Klasse angerichtet. Auf dem Weg zu einer Revolutionierung der Klasse müssen auch Scheinlösungen wie der Green New Deal politisch überwunden werden. Erst recht trifft das auf  rein ökonomistische Sichtweisen in der Umweltfrage und im ArbeiterInnenbewusstsein zu.

So erfordert beispielsweise ein Übergangsprogramm, auch offen auszusprechen, dass bestimmte Produktionsfelder eingestellt werden müssen, wenn wir die ökologische Krise überwinden wollen. Natürlich können und sollen die Arbeitenden in diesen Sektoren weiter Beschäftigung finden, ja, ihr Wissen, ihre Expertise stellt selbst eine enorme Ressource für die Konversion in ökologische nachhaltige Produktion dar. Zugleich erlaubt eine solche Umverteilung der Arbeit auch eine Reduktion der Arbeitszeit oder eine Verlagerung von Arbeit auf Sektoren, die heute chronisch an Überbelastung leiden (z. B. im Gesundheitswesen). Die Überwindung des entfremdeten Charakters der Arbeit und der repressiven Grundstruktur der bürgerlichen Gesellschaft wird schließlich auch die Bedürfnismuster verändern und die Grundlagen für den vorherrschenden Konsumfetisch allmählich zum Verschwinden bringen.

Aber ein Gesamtprogramm ökologischer Transformation erfordert, auch deutlich zu machen, dass es reale Einschränkungen des Verbrauchs an Konsumgütern nicht nur für KapitalistInnen und Mittelschichten wird geben müssen, sondern auch für bedeutende Teile der ArbeiterInnenaristokratie in den imperialistischen Ländern, wenn nicht für die gesamte Klasse. Schon Lenin wies in der Diskussion über die sozialistische Umwälzung des 20. Jahrhunderts darauf hin, dass das kommunistische Programm den privilegierteren Schichten der ArbeiterInnenklasse – damals der ArbeiterInnenaristokratie in Westeuropa und den USA – nicht einfach den bestehenden Zugang zu Konsumgütern weiter garantieren könne. Schließlich muss die globale sozialistische Revolution zuerst die Lebensbedingungen der Masse der Lohnabhängigen und vor allem der ärmsten und unterdrücktesten Schichten in den halbkolonialen Ländern sichern.

Was die sozialistische Revolution und eine damit einhergehende ökologische Transformation jedoch der gesamten Klasse der Lohnabhängigen und insbesondere auch der oft hoch qualifizierten, für die planmäßige Umgestaltung der Gesellschaft in vielen Fällen überaus wichtigen ArbeiterInnenaristokratie garantieren kann, ist erstens die Überwindung der Entfremdung ihre Arbeit, ihrer knechtischen, vereinseitigenden Unterordnung unter das Kapital und zweitens eine Reduktion der Arbeits- und damit eine deutliches Mehr an disponibler Zeit, um sich selbst umfassend als menschliches Individuum zu entwickeln.

Natürlich muss auch heute eine sozialistische Revolution für die große Masse der weltweiten ArbeiterInnenklasse wie auch der Bauern und Bäuerinnen eine Zunahme an Gütern bedeuten – sei es an Konsumgütern, an Wohnraum, an Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, an Gesundheits- und Altersversorgung usw. Für die privilegierteren Teile der ArbeiterInnenklasse gerade in den imperialistischen Ländern können wir uns jedoch eine sozialistische Revolution nicht ökonomistisch als weitere Vermehrung von Konsumgütern vorstellen. Diese würde die klassenlose Gesellschaft zu einer Unmöglichkeit machen. Auch der Überfluss der kommunistischen Gesellschaft, von dem Marx spricht (z. B. in der Kritik des Gothaer Programms) darf nicht als unbegrenzter Zugang zu Gütern missverstanden werden. Der Überfluss, den die klassenlose Gesellschaft allerdings herbeiführen kann, besteht vielmehr in der Reduktion gesellschaftlich notwendiger Arbeits- und in der Ausdehnung disponibler, frei verfügbarer Zeit, die zur eigenen allseitigen Entwicklung verwendet werden kann. Eng damit verbunden ist die Tatsache, dass eine klassenlose Gesellschaft, eine Reorganisation von Produktion und Reproduktion im Interesse der Gesellschaft selbst und ökologischer Nachhaltigkeit auch dazu beitragen werden, die für den Kapitalismus typische Trennung von entfremdeter Arbeit und, oft nur auf andere Weise entfremdeter, Freizeit zu überwinden, so dass die gesellschaftliche Arbeit selbst zu einem Bedürfnis und Teil einer allseitigen menschlichen Entwicklung wird.

Eine solche Perspektive der sozialistischen Transformation wird jedoch nicht spontan in der ArbeiterInnenklasse entstehen, ja, nicht entstehen können. Grundsätzlich entwickeln die Lohnabhängigen revolutionäres Klassenbewusstsein nie spontan oder auch nur aus ihren ökonomischen Kämpfen heraus. Dieses muss vielmehr von außen in die Klasse getragen werden.

Die aktuelle ökologische Krise und deren Verschärfung führen zweifellos Millionen Lohnabhängige und vor allem Millionen Jugendlicher zur Suche nach einer Lösung für die großen ökologischen Probleme.  Aufgrund der Verhältnisse werden sie geradezu auf den Weg der Systemkritik, auf die Suche nach einer Alternative zum Kapitalismus  gestoßen. Worin der oft geforderte Systemwandel jedoch besteht, wie er erkämpft werden kann, welche gesellschaftliche Neuorganisation daher notwendig ist und wie diese erkämpft werden soll, ergibt sich daraus jedoch noch nicht. Das erfordert vielmehr die Verbindung von ArbeiterInnenklasse, ökologischer Kritik und wissenschaftlichem Sozialismus zu einer Einheit, zu einer revolutionären Partei und Internationale. Es erfordert ein internationales Programm von Übergangsforderungen, das den Kampf gegen die ökologische Krise als Teil der sozialistischen Weltrevolution begreift. Und es erfordert eine Rückbesinnung auf einen umfassenden Begriff von sozialer Umwälzung und Kommunismus. Nur die Umwerfung aller Verhältnisse, die den Menschen zu einem verächtlichen, ausgebeuteten, geknechteten, unterdrückten und vereinseitigten Wesen machen, stellt die notwendige, unerlässliche Voraussetzung dafür dar, dass die Menschen selbst ihre eigene gesellschaftliche Verkehrsform bewusst gestalten und hervorbringen – im Einklang mit ihren natürlichen Lebensbedingungen.

Endnoten

[i] https://www.de-ipcc.de/media/content/Hauptaussagen_AR6-WGI.pdf

[ii] Matthias Martin Becker, Klima, Chaos, Kapital, PapyRossa Verlag, Köln 2021, S. 78

[iii] http://pdwb.de/nd23_2011.htm

[iv] Roosevelt, Nominierungsrede 1932, Zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/New_Deal

[v] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1939/04/marxismus.htm

[vi] Leo Trotzki, Faschismus und New Deal. In: Ders., Denkzettel. Politische Erfahrungen im Zeitalter der permanenten Revolution [Hrsg.: Isaac Deutscher/George Novack/Helmut Dahmer], Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1981, S. 254)

[vii] Ebenda, S. 255

[viii] Ernest Mandel, Trotzkis Faschismustheorie, Einleitung zu Schriften über Deutschland, in: Leo Trotzki, Schriften über Deutschland, Band 1, EVA, Frankfurt/Main 1971, S. 14.)

[ix] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/boerse/biden-klimaschutz-billionenprogramm-101.html

[x] https://www.blaetter.de/ausgabe/2021/juni/bidenomics-klimawende-mit-angezogener-handbremse

[xi] https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de

[xii] https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm-DIE-GRUENEN-Bundestagswahl-2021_barrierefrei.pdf

[xiii] Ebenda, S. 6

[xiv] Ebenda, S. 34

[xv] Ebenda, S. 34

[xvi] Ebenda, S. 117

[xvii] Naomi Klein, Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2015

[xviii] Naomi Klein, Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann, Hoffmann und Campe, Hamburg 2019

[xix] Klein, zitiert nach: Ebenda, S. 280

[xx] Klein, ebenda,  S. 281

[xxi] Ebenda, S. 282

[xxii] Unter degenerierten ArbeiterInnenstaaten verstehen wir Staaten, in denen der Kapitalismus zwar abgeschafft wurde, jedoch die Bürokratie die politische Macht monopolisiert hat. Die Sowjetunion entwickelte sich nach einer genuinen proletarischen Revolution zu einem ArbeiterInnenstaat mit bürokratischen Auswüchsen, Deformationen aufgrund ihrer Isolation. Die Etablierung der stalinistischen Herrschaft bedeutete den Abschluss dieses Prozesses. China, Kuba, Nordkorea, Vietnam oder die Länder Osteuropas waren von Beginn an degenerierte ArbeiterInnenstaaten. Zur Analyse siehe: Revolutionärer Marxismus 52, Theoretisches Journal der Liga für die Fünfte Internationale, Stalinismus und der Untergang der DDR, global red, Berlin 2019

[xxiii] Klein, Warum nur ein … , a. a. O., S. 282

[xxiv] Ebenda, S. 38

[xxv] Ebenda, S. 320

[xxvi] Yeva Nersisyan/Randall L. Wray, How to Pay for the Green New Deal, in: Working Paper des Levy Insitute of Bard College, No 931, Mai 2019; zitiert nach: Ingo Stützle, Money makes the world go green, in: PROKLA 202, 51. Jg., Nr. 1, Bertz + Fischer, Berlin März 2021, S. 72

[xxvii] Klein, Warum nur ein … , a. a. O., S. 324

[xxviii] Ebenda, S. 328

[xxix] Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, in: MEW 4, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959, S. 488

[xxx] Klein, Warum nur ein … , a. a. O., S. 327

[xxxi] Ingo Stützle, Money makes the world go green? In: PROKLA 202, Bertz + Fischer, Berlin 2021, S. 71 – 94

[xxxii] Karl Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971, S. 109

[xxxiii] Ebenda, S. 107

[xxxiv] Ingo Stützle, Money makes … , a. a. O.,  S. 83

[xxxv] Ebenda

[xxxvi] Katharina Schramm, Radikal bis neoliberal – aktuelle Konzepte des Green New Deal, in: Z. Zeitschrift für marxistische Erneuerung 121 [Hrsg.: Forum Marxistische Erneuerung e. V./IMSF e. V.], Frankfurt(Main März 2020; [online]: https://www.linksnet.de/artikel/47932

[xxxvii] Dörre, Great Transformation: Die Zukunft moderner Gesellschaften (Vortrag, gehalten auf dem 30. ordentlichen Bundeskongress der NaturFreunde Deutschlands e. V., Nürnberg 31. März bis 2. April 2017); [nur online]:

http://www.intranet.naturfreunde.de/sites/default/files/attachments/nfdbk_vortrag-doerre_great-transformation.pdf

[xxxviii] Bernd Riexinger, Neue Klassenpolitik. Solidarität der Vielen statt Herrschaft der Wenigen, VSA Verlag, Hamburg 2018

[xxxix] Bernd Riexinger, System Change, Plädoyer für einen linken Green New Deal –
Wie wir den Kampf für eine sozial- und klimagerechte Zukunft gewinnen können.
Eine Flugschrift, VSA Verlag, Hamburg 2020

[xl] Ebenda, S. 9

[xli] Ebenda, S. 24

[xlii] Ebenda, S. 132 f.

[xliii] Ebenda, S. 59 f.

[xliv] Ebenda, S. 62

[xlv] Ebenda, S. 103

[xlvi] Ebenda, S. 103

[xlvii] Ebenda, S. 16

[xlviii] Ebenda, S. 96

[xlix] Ebenda, S. 97

[l] Marx, Das Kapital, Band 1, a. a. O., S. 192

[li] Ebenda, S. 193

[lii] Ebenda, S. 528 ff

[liii] Chris Kramer, Umwelt und Kapitalismus, Revolutionärer Marxismus 54, S. 7 – 40

[liv] Karl Marx/Friedrich Engels, Die Deutsche Ideologie, in: MEW 3, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1969, S. 70

[lv] Marx, Das Kapital, Band 1, a. a. O.,  S. 528