Eine neue Friedensbewegung?

Susanne Kühn, Infomail 1412, 27. Februar 2023

Den Beginn einer neuen „Friedensbewegung“ verkündeten Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer bei der Kundgebung „Aufstand für den Frieden“ am 25. Februar. 50.000 Menschen wollen Ordner:innen gezählt haben. Die Polizei wiederum konnte nur 13.000 ausmachen. Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte bei 25.000 liegen.

Zweifellos ein Achtungserfolg, zumal die regierungsoffiziellen Ukrainesolidaritätsdemos nach offiziellen Berichte weniger Menschen – rund 10.000  – auf die Straße gebracht haben dürften.

Vorweg: Die Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, mit den lohnabhängigen Massen, den Hauptopfern des imperialistischen Angriffskriegs Russlands, blieb letztlich bei beiden vor allem eine Beschwörungsformel, ein Lippenbekenntnis. Für die NATO, für die USA und auch für den deutschen Imperialismus bedeutet die „Solidarität“ mit den Ukrainer:innen nur einen Vorwand für die Verfolgung ihrer eigenen ökonomischen und geostrategischen Interessen in der Konkurrenz mit Russland.

Wagenknecht, Schwarzer und Co. vermögen den Ukrainer:innen auch nicht mehr zu bieten  als einen von den Großmächten ausgehandelten Frieden. Kein Wunder also, dass sie der ukrainischen Bevölkerung letztlich nicht viel mehr zu sagen haben, als dass ein halbkoloniales Land eben die „Sicherheitsinteressen“ der Großmächte zu akzeptieren habe.

Teilnehmer:innen

Nichtsdestotrotz verdeutlichen über 600.000 Unterzeichner:innen des „Manifest für den Frieden“ und der Mobilisierungserfolg der Kundgebung, dass sich die öffentliche Stimmung in Deutschland dreht. Der Kurs der Bundesregierung wird zu Recht für seine „unklare“ Zielrichtung, für sein widersprüchliches Schwanken zwischen offener Kriegstreiberei durch FPD und Grüne im Gleichklang mit den Unionsparteien und einer hinhaltenden SPD, die letztlich immer einknickt, kritisiert. Zu Recht wird bemängelt, dass der Westen selbst den Konflikt befeuert hat und natürlich versucht, Russland in die Schranken zu weisen.

Die 600.000 Unterzeichner:innen und rund 25.000 Teilnehmer:innen an der Kundgebung bringen berechtigte Sorgen zum Ausdruck. Zweifellos finden sich unter diesen auch Anhänger:innen der rechtspopulistischen AfD und neurechter Gruppierungen wie der Querdenker:innen. Doch diese machten sicher nicht das Gros der Kundgebung aus, von der offen faschistische Kräfte wie die Leute vom Compactmagazin auch lautstark verwiesen wurden.

Die deutliche Mehrzahl der Teilnehmer:innen kam allerdings aus den Reihen frustrierter oder ehemaliger Anhänger:innen von SPD, Grünen und Linkspartei, also jenen Kräften, die einst den Kern der Friedensbewegung ausmachten oder die Wagenknecht und Schwarzer zu einer neuen Friedensbewegung formieren wollen.

Neue Friedensbewegung

Ihr Ziel besteht darin, eine solche Friedensbewegung wieder aufzubauen. Als Bündnispartner:innen schweben ihnen dabei nicht die Rechte, auch nicht die AfD vor. Vielmehr zielen Wagenknecht und Schwarzer auf „respektable“ Bürgerliche wie den ehemaligen Brigadegeneral und Merkelberater Vad, der auch als einer der Hauptredner:innen der Kundgebung fungierte. Auch einer der Architekten der Schocktherapie der Restauration des Kapitalismus in Russland und Osteuropa, Jeffrey Sachs, kam als Redner zu Wort. Schließlich will der etwas moderater gewordene Neoliberale auch „Frieden“ für eine Ukraine, deren ökonomische Krise in den 1990er Jahren seine Politik massiv verschärft hatte.

Eine solche klassenübergreifende Friedensbewegung erinnert an die der 1980er Jahre. Sie hat auch dieselben Schwächen. Den russischen und US-amerikanischen Imperialismus benennen Wagenknecht und Schwarzer durchaus. Vom deutschen wollen sie aber nichts wissen. Schließlich werfen sie der Bundesregierung ja nicht die Verfolgung der nationalen, kapitalistischen Interessen vor, sondern dass sie dies viel zu wenig täte.

Daraus erklärt sich auch das Paradox ihrer Ausrichtung. Einerseits werden die Kriegstreiberin Baerbock und der „Panzer“-Toni Hofreiter ebenso wie der „Zauderer“ Scholz heftig kritisiert. Niemand dürfe ihnen vertrauen, wurden wir auf der Kundgebung ermahnt. Andererseits wird von derselben Regierung die Bildung „einer Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen“ gefordert – am besten in Zusammenarbeit mit Frankreich und der EU-Kommission, mit China und Brasilien. Am deutschen Verhandlungswesen soll die Welt genesen. Scholz, dem eine vollständige Unfähigkeit und Unzuverlässigkeit attestiert wird, soll federführend einen „Frieden“ herbeiführen, der alle Großmächte zufriedenstellt.

Dieses Konzept läuft letztlich bloß auf eine alternative, sozialpazifistische Ausrichtung des deutschen Imperialismus hinaus. Die ukrainische Bevölkerung und die russische Antikriegsbewegung dürfen nur als Verhandlungsmasse zu ihrem vermeintlich Besseren zusehen. Aber auch für die Arbeiter:innenklasse der imperialistischen Ländern sind nur Plätze auf den Zuschauerrängen vorgesehen. Als Akteur:innen, geschweige denn als prägende Subjekte einer Antikriegsbewegung sind die Lohnabhängigen bei Schwarzer und Wagenknecht nicht vorgesehen. Bei aller Kritik an der gegenwärtigen Politik der Regierungen soll die internationale Politik auch weiter von Großmächten unter Wahrung von deren Interessen bestimmt werden,

Eine solche Politik ist nicht nur rein bürgerlich. Sie ist auch vollkommen utopisch. Der Konflikt zwischen den alten, westlichen Mächten wie der USA oder auch Deutschland mit den „neuen“ wie Russland und China liegt in der Krise des Kapitalismus begründet, im Niedergang der US-Hegemonie und im Aufstieg Chinas. Zur Zeit wird er um die Ukraine ausgefochten, doch selbst ein imperialistischer Frieden wäre nicht nur reaktionär, weil er auf dem Rücken der ukrainischen Massen vereinbart werden würde, sondern auch nur von begrenzter Dauer, nur eine Zwischenstation zu einer weiteren Verschärfung der imperialistischen Konkurrenz.

Auf der Kundgebung haben die Gruppe Arbeiter:innenmacht und Genoss:innen der Jugendorganisation Revolution gemeinsam eine internationalistische, klassenkämpferische Perspektive vertreten und ein gemeinsames Flugblatt verteilt. Dessen letzten Abschnitt wollen wir hier noch einmal darlegen:

Welcher Frieden? Welche Bewegung?

Ein dauerhafter Frieden, der diesen Namen verdient, kann nicht durch diplomatische Manöver von Großmächten erzielt werden. Dazu müssten diese selbst ihre eigenen ökonomischen, politischen und militärischen Interessen zurückstellen, was angesichts des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt und der schärfer werdenden globalen Konkurrenz einfach unmöglich ist. Der Imperialismus kann nicht friedlich gestaltet werden – weder in Russland, noch in den USA, aber auch nicht in Deutschland oder der EU.

Wir können uns daher nur auf uns selbst verlassen. Ein echter Frieden, eine gerechte Lösung für die Ukraine müsste die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Landes bei gleichzeitiger Wahrung der Selbstbestimmung der Volksrepubliken im Donbass und auf der Krim beinhalten.

Um aber überhaupt dorthin zu kommen, müssen wir eine internationale Bewegung gegen den Krieg und dessen Auswirkungen aufbauen; eine Bewegung der gemeinsamen Aktion der deutschen, der europäischen, der US-amerikanischen, der ukrainischen und russischen Arbeiter:innenklasse, der Gewerkschaften, der Linken und Arbeiter:innenparteien. Eine solche Bewegung muss sich um bestimmte, gemeinsame Forderungen formieren. Dazu schlagen wir vor:

  • Nein zu Putins Angriffskrieg! Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!

  • Solidarität mit der Antikriegsbewegung und der Arbeiter:innenklasse in Russland; Verbreitung der Aktionen gegen den Krieg; Freilassung aller Festgenommenen!

  • Aufnahme aller Geflüchteten, Bleibe- und Staatsbürger:innenrechte für alle – finanziert durch den Staat; Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, Aufnahme in die Gewerkschaften!

  • Nein zu jeder NATO-Intervention! Gegen jede Aufrüstung, NATO-Truppenverlagerungen und Waffenlieferungen! Gegen NATO-Ausweitung, sofortiger Austritt aus der NATO!

  • Keinen Cent für die Bundeswehr! Nein zum 100-Milliarden-Programm der Ampelkoalition! Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und Konversion unter Arbeiter:innenkontrolle!

  • Nein zu allen Sanktionen! Streichung der Schulden der Länder der sog. Dritten Welt, die durch die Sanktionen in wirtschaftliche Not geraten sind!

  • Die Kosten für die Preissteigerung müssen die Herrschenden zahlen! Enteignung des Energiesektors und anderer Preistreiber:innen unter Arbeiter:innenkontrolle!

  • Unterstützung der Tarifkämpfe der Gewerkschaften! Für eine automatische Anpassung der Löhne und Einkommen an die Preissteigerung für alle Beschäftigten, Rentner:innen, von Erwerbslosen und Studierenden!“



Schwarze Zeiten? Die Berliner Wahlen und ihr Ausgang

Wilhelm Schulz/Martin Suchanek, Infomail 1213, 15. Februar 2023

Die CDU geht als klare Siegerin aus der Berliner Abgeordnetenhauswahl vom 12. Februar hervor. Erstmals seit 1999 wurde sie zur stärksten Partei in der Stadt und konnte ihren Stimmenanteil deutlich auf 28,2 % steigern, was ein Plus vom 10,2 % gegenüber 2021 bzw. von 10,6 % verglichen mit 2016 bedeutet. Die einzige andere Partei, die einen leichten Stimmengewinn verbuchen kann, ist die AfD mit 9,1 % und einer Steigerung um 1,1 % zu 2021.

Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Linken hat geschlossen verloren und kommt auf 49 %, ein Verlust um 5,4 % zu 2021 (SPD bei 18,4 % und -3 %, Grüne ebenfalls bei 18,4 % und -0,5 %, LINKE bei 12,2 % und -1,9 % zu 2021). Die FDP fällt unter die undemokratische 5 %-Hürde, verliert 2,5 % und kommt nur noch auf 4,6 %. Sie muss somit das Abgeordnetenhaus verlassen – also wenigstens eine erfreuliche Nachricht.

Der Wahlgewinn der Union war zwar im Vorfeld abzusehen, ist aber dennoch deutlicher als von vielen erwartet. Vor allem aus zwei Parteien erhielt sie dabei Stimmengewinne (https://www.tagesschau.de/inland/waehlerwanderung-berlin-113.html): 60.000 von der SPD und 37.000 von der FDP. Auch interessant sind die Zahlen von jeweils 21.000 Stimmenwanderungen von den sog. Kleinstparteien und Nichtwähler:innen. Daneben gewann sie 17.000 Stimmen von den Grünen, 12.000 von der AfD und 11.000 von der LINKEN. Bei den Erststimmen konnte die Union ihre gewonnenen Wahlkreise mehr als verdoppeln. Sie gewann 48 von 78, 2021 waren es 21. Die SPD stürzte von 25 auf 4 Wahlkreise ab. Daneben: Die Stimmendifferenz zwischen SPD und Grünen beläuft sich anscheinend auf 105, weshalb eine Neuauszählung wahrscheinlich ist.

Der Erfolg der CDU ist darauf zurückzuführen, dass sie gleich mehrere Stimmungen auf sich fokussieren konnte. Außerdem hat er auch sehr wichtige bundesweite Implikationen bzw. setzt Trends fort. Vergleichbar sieht es um die FDP aus, wenn auch unter umgekehrtem Vorzeichen. Die Wahlniederlage reiht sich in den Trend der vergangenen Landtagswahlen ein. Die Union konnte sich gegen die rot-grün-rote Landeskoalition als Alternative präsentieren und den Unmut gegen den Senat kanalisieren.

Der Löwenanteil der Berliner:innen ist jedoch nicht zur Wahl gegangen oder durfte es nicht. Die Wahlbeteiligung lag bei 63 %. Gegenüber 2021 ist das ein massiver Rückgang. Damals lag die Beteiligung aber mit 75,4 % überaus hoch, weil sie gemeinsam mit der Bundestagswahl durchgeführt wurde. Die 63 % entsprechen hingegen dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Knapp 22 % der Bevölkerung hat überhaupt kein Wahlrecht, weitere 13 % haben das Wahlalter noch nicht erreicht. Am Dienstag, dem 14.2, tauchten auch in Lichtenberg noch mehr als 400 Briefwahlumschläge auf. Das endgültige amtliche Wahlergebnis ist nicht vor dem 17. Februar zu erwarten.

Ein Schritt nach rechts

Das „Es kann kein Weiter so geben“, das aus allen Fanfaren der Parteien klingt, drückt die Stimmung der Wahl aus. Mit der CDU und den Grünen haben sich zwei bürgerliche Parteien in Berlin weiter etablieren bzw. ein sehr gutes Ergebnis von 2021 weitgehend stabilisieren können, während die bürgerlichen Arbeiter:innenparteien SPD und LINKE weiter an Stimmen und Prozenten verlieren.

Auch wenn die Wahl von keinem großen Rechtsruck begleitet wurde, so stabilisiert sie die Rechtsentwicklung im Abgeordnetenhaus. In diesem Licht muss das „Es kann kein Weiter so geben“ gewertet werden, egal ob es eine Fortsetzung von RGR, Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün wird.

Diese Verschiebung zeigt sich auch in den Wahlkampfthemen. So haben CDU, AfD und FDP einen thematisch vergleichbaren Wahlkampf geführt, wenn auch im Ton verschieden. Sie haben das Berliner Verwaltungsversagen auch über die gescheiterte Wahl von 2021 hinaus ins Zentrum gestellt und andererseits den Ruf nach Recht und Ordnung im Lichte der rassistischen Diffamierungen rund um die Silvesternacht oder um das „Chaos“ in den „linken“ Stadtteilen erklingen lassen. Alles klassisch rechte oder rechtspopulistische Themen.

Die Senatsparteien hatten dem im Grunde nichts entgegenzusetzen. Die SPD versuchte sich sogar, wenn auch ohne großen Erfolg, selbst als Law-and-Order-Partei mit Augenmaß zu inszenieren. In jedem Fall können wir davon ausgehen, dass der nächste Senat – egal wie er zusammengesetzt sein wird – die Polizei, deren Mittel und Befugnisse unter dem Vorwand der Bekämpfung von „Clankriminalität“ und „linken Chaot:innen“ massiv stärken wird. Wir können annehmen, dass die ohnedies oft eher symbolischen und letztlich zweitrangigen Reformen unter RGR faktisch kassiert werden sollen.

Daneben stand Mobilität im Zentrum, wobei die drei Parteien sich für die Aufrechterhaltung Berlins als Autostadt mitsamt der Fortsetzung des Baus der A100 ausgesprochen haben. Insgesamt wurde die Koalition als handlungsunfähig beschrieben und das trotz einer LINKEN, die bei den Koalitionsverhandlungen ihre Beteiligung an der Regierung über ihr Programm stellte.

Im Jahr 2021 war die Wohnungsfrage noch das zentrale Thema der Wahl. Das aktuelle Ergebnis könnte vermutlich der letzte parlamentarische Todesstoß für den Volksentscheid von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ sein, solange dessen strategische Orientierung weiterhin auf parlamentarische Mehrheiten ausgerichtet ist statt des Aufbaus einer klassenkämpferischen Mieter:innenbewegung in den Häusern, auf den Straßen und in den Betrieben. Inwiefern die möglichen Handlungsempfehlungen der Verschleppungskommission (offiziell: Expert:innenkommission) noch im Senat Zustimmung finden werden, steht in selbigem fragwürdigen Licht. Und das obwohl Kai Wegner (CDU-Spitzenkandidat) deutlich als Feind der Mieter:innen hätte demaskiert werden können. Er war damals im Bundestag einer von denen, die gegen den Berliner Mietendeckel geklagt haben. Die Berliner CDU wurde in den vergangenen Jahren massiv durch Parteispenden von der Immobilienlobby unterstützt.

Doch, wie es in der Presse so oft heißt, bleibt unklar, ob Wegner nicht ein „König ohne Land“ bleibt, also keine/n Koalitionspartner:in finden könnte, da sowohl SPD als auch Grüne sich für die Fortsetzung von Rot-Grün-Rot ausgesprochen haben. Außerdem fürchten diese zu Recht, dass sie unter CDU-Führung zum Anhängsel der Konservativen würden.

Die Sondierungsgespräche, die SPD und Grüne nun mit der Union führen werden, könnten beide zur Durchsetzung ihrer Ziele in einer Drei-Parteien-Koalition verwendet werden. Eine schwarz-grüne Koalition scheint zwar am unwahrscheinlichsten, wenn man sich die konträren Wahlkampfthemen und die beidseitige Rhetorik anschaut, hätte aber eine starke Wirkung auf die Bundespolitik und könnte ein etwaiges Scheitern der Ampel vorbereiten, in der sich die Grünen und nicht die FDP als verlässlichere Partnerinnen für eine etwaige CDU-geführte Regierung präsentieren.

Und die LINKE?

Auch sie hat verloren. Einerseits zwei von sechs Direktmandaten, die jeweils an die CDU verlorengingen. Generell hat die CDU bis auf zwei Wahlkreise der AfD alle Außenbezirke gewonnen, während die Innenstadt grün ist (Zweitstimmen). Vergleichbar ist es auch bei der Altersstruktur. Die Grünen sind die stärkste Kraft unter 35 Jahren und die CDU bei den über 45-Jährigen. Die Lützerath-Räumung, die die Grünen mitverantworten, hat hier also keinen signifikanten Einfluss auf das Wahlergebnis genommen. Die LINKE sieht sich somit einer Verringerung ihres Einflusses gegenüber. Auch wenn sie in allen Bezirken verloren hat, lässt sich ein deutlicherer Stimmrückgang in ihren alten Ostberliner Stimmbezirken verbuchen, während sie sich im Stadtzentrum relativ gefestigt hat. Am deutlichsten zeigt sich dies im sonst so roten Köpenick, das nun tiefschwarz überzogen ist. Im Verhältnis zum Bundestrend bleibt Berlin jedoch eine Hochburg der LINKEN. Dass die verschiedenen brennenden sozialen Fragen wenig im Zentrum standen und die LINKE dies nicht auffangen konnte, wird deutlich, wenn wir sehen, dass die Partei seit 2001 an der Landesregierung ist, mit einer Ausnahme von 2011 bis 2016.

Katja Kipping warb bereits wenige Minuten nach den ersten amtlichen Hochrechnungen für eine Fortführung von Rot-Grün-Rot und war damit vermutlich die erste öffentliche Fürsprecherin. Es bleibt abzuschätzen, wie stark das Lager gegen die Regierungsbeteiligung sein wird. Angesichts dessen, dass beispielsweise die oppositionelleren Bezirke wie Neukölln und Mitte verhältnismäßig gute Ergebnisse erzielten, sind die Möglichkeiten dafür verbessert, wie die Basis für die Nebelkerze des „rebellischen Regierens“ sichtbar geschwächt ist. Andererseits konnte dieses Doppelspiel, einerseits Teil der Regierung zu sein, sich andererseits auf die Seite des Sozialprotests zu stellen, in keiner gesteigerten Unterstützung münden – zwei Wege, die sich offensichtlich entgegenstehen.

Nach der Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2021 war das größte Schreckgespenst in den Reihen der LINKEN die Möglichkeit einer Ampelkoalition auf Berliner Ebene. Mit diesem Argument wurden weite Teile des Programms in den Koalitionsverhandlungen aufgegeben. Es droht, dass mit selbigem erneut in Koalitionsverhandlungen eingestiegen werden soll.

Natürlich wäre es leichfertig, ja albern zu sagen, dass eine CDU-geführte Regierung überhaupt keinen Unterschied für die Bevölkerung ausmachen würde. Zweifellos würden Wegner und Co. eine solche Situation nutzen, um ihr Law-and-Order-Programm durchzuziehen, wenn auch vielleicht mit etwas grüner oder sozialer Tünche für eine jeweilige Koalitionspartnerin.

Doch das würde nur einen weiteren Zerfallsprozess befördern. DIE LINKE würde sich an einer solchen Regierung ebenso wie die Restbestände des linken SPD-Flügels einfach selbst überflüssig machen und eine CDU-Regierungsübernahme bloß hinauszögern.

Zudem zeigt die Erfahrung mit dem RGR-Senat (wie vordem mit den rot-roten Senaten), dass diese selbst zur Verschleppung und Sabotage demokratischer Entscheidungen wie der Enteignung der großen Immobilienhaie bereit sind. Nachdem DIE LINKE den Volksentscheid schon in der letzten Koalition nicht durchsetzen konnte, ist natürlich kindisch zu denken, dass eine geschwächte Partei und ein geschwächter Senat ausgerechnet jetzt die Konfrontation mit dem Kapital suchen werden.

Daher müssen aber auch die Gegner:innen eine Regierungsbeteiligung in der LINKEN jetzt aufstehen. Schließlich haben sie sich in der letzten Legislaturperiode auch nicht mit Ruhm  bekleckert, sondern nur so getan, als hätten sie mit dem Senat nichts zu tun – und haben doch umgekehrt „ihrer“ Partei keine Steine beim Regieren in den Weg gelegt.

Gerade die linken Bezirke wie Neukölln und Mitte sowie alle anderen Gegner:innen einer weiteren Regierungsbeteiligung müssen sich jetzt offen gegen die Regierungssozialist:innen, gegen die Giffey-Freund:innen um Schubert, Lederer und Kipping formieren. Ein erster Ausgangspunkt dessen könnte eine Einberufung einer öffentlichen Konferenz des linken Flügels der Partei sein. Bereits als Folge der letzten Sondierungen gab es erste Ansätze zum Aufbau einer solchen Opposition, jedoch verpuffte die Organisierung dieser Ansammlung von Parteimitgliedern, sobald die Abstimmung für die Beteiligung an der Koalition innerhalb der LINKEN vorüberging.

Die Linken in der LINKEN stehen vor der Aufgabe, den Widerstand gegen die Fortsetzung von Rot-Grün-Rot zu organisieren und um die Ausrichtung der Partei zu kämpfen. Angesichts ihrer bundesweiten Krise dürfen sie dabei vor einem organisierten Kampf nicht weiter zurückschrecken – und das heißt auch nicht vor einem kommenden, im Grunde unvermeidlichen organisierten Bruch mit ihr.




Vom Hoffen auf den heißen Herbst: Ey Linkspartei, was machst du?

Jaqueline Katharina Singh, Neue Internationale 269, November 2022

In England gingen Hunderttausende auf die Straße, in Frankreich werden Betriebe bestreikt und Besetzungen diskutiert. Und auch in Deutschland wurde im Sommer noch von der Linkspartei ein heißer Herbst angekündigt. Groß sollte er werden, kämpferisch. Der größte Aktionstag brachte bundesweit gerade 24.000 Menschen auf die Straße. Dahinter reihen sich wenige lokale Demonstrationen mit Tausenden in Berlin und Leipzig und zahlreiche kleine Aktionen von mehreren hundert Menschen ein. In der Realität ist der heiße Herbst bisher leider nicht mehr als ein lauwarmes Lüftchen. Die Gründe dafür sind zahlreich, doch einer sticht heraus: der Scherbenhaufen mit dem Namen Linkspartei. Was sind die Probleme? Und was müsste getan werden? Ein Debattenbeitrag für alle, die ernsthaft gegen die Inflation kämpfen wollen.

Lage

Potenzial, auf die Straße zu gehen, wird genügend geliefert. Meistens direkt in unsere Briefkästen in Form von Gasabschlägen von mehreren Hundert Euro oder in Form von Kassenbons, die einem nach dem Einkauf in die Hand gedrückt werden.

Zeitgleich versucht natürlich auch die Bundesregierung, die Kosten abzufangen. Auch wenn die Entlastungspakete weit hinter dem zurückbleiben, was die Lohnabhängigen – und vor allem die Armen – brauchen, können sie einen Teil des Unmuts abfangen. (Genauso wie die 20 Grad im Oktober helfen, die Heizung erstmal runterzustellen, Klimawandel sei Dank.)

Doch vergessen wir nicht. Diese Zugeständnisse der Regierenden sind selbst eine Reaktion auf die Wut und Empörung von Millionen. Unmöglich machen sie Proteste sicher nicht. Denn die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung ist angespannt, wenn sich bei vielen auch Frustration und Hoffnungslosigkeit breitzumachen beginnen.

Kämpfen lohnt sich nicht?

Anders als in Frankreich kann man in Deutschland nicht auf eine Tradition von einigermaßen erfolgreichen Abwehrkämpfen blicken. Vielmehr wurden Niederlagen eingesackt, ob nun vor Jahren bei den Protesten gegen die Hartzgesetze, ob von der antirassistischen Bewegung. Von kämpferischen Streiks will man gar nicht erst reden. Kämpfe wie jene der Krankenhausbewegung in Berlin und Nordrhein-Westfalen stellen die Ausnahme dar. Es herrschen sozialpartnerschaftliche Regulierung, ritualisierte Tarifrunden vor – im Extremfall der nationale Schulterschluss oder die Konzertierte Aktion zwischen Gewerkschaften, Unternehmerverbänden und Regierung.

Die Erfahrung, die allgemein hängenblieb, lautet: Politischer Streik geht nicht. Doch gerade in einer Krise ist es nicht unmöglich, diese bürgerlichen Ideologien aus den Köpfen der Bevölkerung zu fegen. Doch dazu bräuchte es eine Organisation, die sich den Interessen der Beschäftigten verschreibt, in Opposition zur Regierung, eine Organisation, die den Kampf gegen die Preissteigerungen mit dem gegen Krieg, Umweltkatastrophe, Rassismus und Imperialismus verbindet. Eine Organisation, die Druck auf Gewerkschaften ausübt, die aktiv vorantreibt.

Dabei verspricht die Linkspartei auf Parteitagen und in Sonntagsreden eine Politik im Interesse der Mehrheit, verkündet einen heißen Herbst und manche schreiben gar eine „verbindende Klassenpolitik“ auf ihre Fahnen. Zu sehen ist davon nichts. Bevor wir jedoch zu den öffentlich einsehbaren Machtspielchen der Partei kommen, wollen wir einen Blick auf die inhaltliche Antwort der Linkspartei auf die aktuelle Situation werfen.

Forderungen

Gesammelt auf einer Themenseite (https://www.die-linke.de/themen/preissteigerungen/) findet man die Forderungen der Linkspartei. So heißt es: Die Gaskrise verschärft sich und die Bundesregierung agiert hilflos. Die Linkspartei fordert dagegen folgende Sofortmaßnahmen:

a) Ein drittes Entlastungspaket, einen „sozialen Klimabonus“ von 125 Euro im Monat für jeden Haushalt. Weitere 50 Euro sollen für Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen ausgezahlt werden. Ebenso fordert sie eine sofortige Erhöhung der Sozialleistungen um 200 Euro pro Monat und eine Verlängerung des 9-Euro-Tickets bis zum Jahresende.

b) Einen sofortigen Gaspreisdeckel sowie ein Verbot von Strom- und Gassperren, verbunden mit einem bezahlbares Grundkontingent für Strom und Gas für alle.

c) Eine Übergewinnsteuer und den Ausbau von erneuerbaren Energien.

Viel könnte man an dieser Stelle ergänzen, wir wollen es aber bei den wesentlichen Punkten belassen. Zum einen stellt sich einem/r die Frage, warum das 9-Euro-Ticket nur bis zum Jahresende verlängert werden soll. Die geforderten Summen stellen sicher ein Verbesserung gegenüber den Einmalzahlungen der Regierung da, aber letztlich bleiben sie auch hinter dem, was notwendig ist: einer Erhöhung der Renten und Arbeitslosengelder auf 1.600 Euro pro Monat mit automatischer Inflationsanpassung.

Zum anderen ist gerade der Punkt mit der Übergewinnsteuer sehr verklausuliert. Die Forderung an sich ist richtig, im Absatz des Forderungskatalogs findet man jedoch auch Aussagen wie „Es ist richtig, Unternehmen zu retten, um einen Kollaps der Versorgung zu verhindern. Der Bund sollte dauerhaft Eigentümer bleiben, um Bürger entlasten zu können.“

Die Verstaatlichung von Unternehmen ist sicher ein Schritt zur Verhinderung von Entlassungen. Doch DIE LINKE drückt sich hier nicht nur darum herum, dass sie ohne Entschädigung erfolgen soll. Es fragt sich auch, warum eigentlich Profiteur:innen von der Krise, die selbst die Preise nach oben treiben, nicht enteignet werden sollen, zumal wenn es nicht nur darum geht, die Versorgung zu sichern, sondern auch, die Energieversorgung ökologisch umzurüsten.

Schließlich wird die Frage, wer die Produktion in solchen verstaatlichten Unternehmen kontrollieren soll – das Management oder die Beschäftigten – erst gar nicht aufgeworfen. Im Grunde geht das Sofortprogramm der Linkspartei nicht über das hinaus, was auch die Bundesregierung tut. Sie will nur, dass das „dauerhaft“ bleibt.

Vor allem aber muss man in einem Land, in dem die Kampferfahrung gering ist, aufzeigen, wie man die eigenen Forderungen umsetzen will. Als Gruppe Arbeiter:innenmacht unterstützen wir beispielsweise Forderungen wie die nach einem Gaspreisdeckel, glauben aber, dass diese nur unter direkter Kontrolle von Beschäftigten sinnvoll ist. Praktisch bedeutet es, ein Gremium aus deren Vertreter:innen zu wählen, das rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar ist. Doch wie kann so eine scheinbare Utopie zur Wirklichkeit werden? Wie können die Forderungen nicht nur hübsch auf Flyer gedruckt, sondern in der Praxis umgesetzt werden?

Eine Antwort auf diese Frage findet man nicht auf der Homepage. Auch nicht im FAQ, welches sonst recht gut kurz und knapp Sachen erklärt.

Über Terminankündigungen hinaus finden wir auch nichts, wie eine Bewegung aufgebaut werden kann oder soll, und schon gar nichts, wie diese in die Betriebe zu tragen ist.

Würde die Linkspartei (bzw. jede ihrer Strömungen) ihren eigenen Anspruch, ihre eigenen Versprechen ernst nehmen, müsste/n sie aktiv daran arbeiten, ein breites Aktionsbündnis, eine Einheitsfront aller Akteur:innen der Arbeiter:innenbewegung aufzubauen. Sie müsste/n dazu vor allem die Gewerkschaften zum gemeinsamen Kampf und Bruch mit Sozialpartner:innenschaft und Konzertierter Aktion auffordern.

Doch DIE LINKE schafft es nicht einmal, konkrete Forderungen für die Tarifabschlüsse mit in die Kampagne aufzunehmen. Nicht nur Sozialleistungen, sondern auch Löhne müssen an die Inflation angepasst werden und die kommende Metallrunde sowie die Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst sind kein Nebenschauplatz des Kampfes gegen Preissteigerungen, sondern müssen vielmehr als konkrete Möglichkeit begriffen werden, diesen mit betrieblichen Aktionen zu bestzen. Dass dies nicht thematisiert wird, ist kein Zufall.

Strategische Schwäche

Wie oben bereits erwähnt, unterminiert und fesselt die Sozialpartner:innenschaft der Gewerkschaftsbürokratie die Kampfkraft der Arbeitenden. Der Schulterschluss mit dem Kapital bringt mit sich, dass man aus Sorge um den lokalen Standort zu beschwichtigen versucht. In der Praxis bedeutet das oft genug, dass Arbeitsplätze vernichtet und die Beschäftigten mit Sozialplänen abgespeist werden oder Tarifabschlüsse hinter der aktuellen Inflationsrate zurückbleiben.

Aber warum muss sich eine linke Partei dazu verhalten? Die sogenannte soziale Frage, die nach Verbesserung des Lebensstandards ist nicht nur Kerninteresse von Linken, weil man ein reiner Gutmensch ist. Die 5 Millionen Mitglieder des DGB bilden die stärkste Kraft, wenn es darum geht, Forderungen durchzusetzen. Denn Streik ist eines der effektivsten Mittel, um Druck auf Unternehmen sowie Regierung aufzubauen. Wer also Einfluss in den Gewerkschaften ausübt, kann Kämpfe ganz anders führen. Oder anders herum: Wenn es nicht gelingt, die Gewerkschaften und ihre Millionen Mitglieder für den Kampf gegen Preissteigerungen und die Rezession auf der Straße und in politischen Massenstreiks zu mobilisieren, werden wir die Angriffe von Kapital und Regierung nicht stoppen können.

Doch es stellt seit Jahren eine strategische Schwäche der Linkspartei dar, sich in diesem Bereich nicht als klare Opposition zur SPD und zur Gewerkschaftsbürokratie aufgestellt zu haben. Nicht dass die Linkspartei komplett ohne Einfluss wäre, das zeigen Figuren wie Bernd Riexinger. Aber DIE LINKE will keine antibürokratische Opposition, sondern den Apparat ideologisch nach links verschieben. Diese Politik führt aber dazu, dass ihre gewerkschaftlich Aktiven und vor allem die Funktionär:innen letztlich als Anhängsel der sozialdemokratischen dominierten Bürokratie agieren, ob sie das nun wollen oder nicht.

Dies ist nichts Neues, sondern ein Merkmal reformistischer Parteien – ebenso wenig die Auftrennung zwischen politischen und ökonomischen Kämpfen. Die Linkspartei agiert demzufolge im Parlament und vielleicht auch auf der Straße. In den Betrieben und in den Gewerkschaften überlässt sie aber den ökonomischen Kampf bzw. dessen Verhinderung der Bürokratie (und der SPD). Doch genau dieses Prinzip wird in Krisenzeiten sichtbar aufgebrochen, denn  Inflation oder drohende Rezession zeigen, dass es keine unabhängigen Sphären sind, die voneinander existieren.

Statt also die Gewerkschaftsführungen offen aufzufordern, sich an den Mobilisierungen zu beteiligen, beispielsweise durch offene Briefe und eine Kampagne in den Betriebsgruppen und Vertrauensleutekörpern, schweigt man. Statt offen eine Positionierung in den Tarifkämpfen einzunehmen und die Beschäftigten in diesen Kämpfen zu unterstützen, ordnet man sich der Gewerkschaftsbürokratie unter und wird damit indirekt Unterstützerin der Sozialpartner:innenschaft.

Verquere Debatte

Das ist nicht die gleiche Debatte, die im Vorfeld zum Parteitag geführt wurde. Denn auch wenn die populäre Linke und Wagenknecht schnell dabei sind, das Bild vom Arbeiter im Blaumann herauszuholen und die Ausrichtung auf diesen zu fordern, so schweigen sie bei der Frage der Gewerkschaften, der Rolle der Bürokratie und dem Kampf, den man gegen diese führen muss. Ähnliches gilt jedoch auch für das Lager der Bewegungslinken, das Organizing als Antwort sieht, das aber der offenen Konfrontation mit der Bürokratie ausweicht. Von den Regierungssozialist:innen will man an der Stelle lieber nicht reden, denn sie haben gar kein wirkliches Interesse, auch nur partiell Druck aufzubauen – das schadet letztendlich nur den Chancen, in eine Regierung zu gelangen.

Hätte man jedoch eine klare Strategie in dem Bereich, wäre die Verbindung von ökonomischen Kämpfen mit jenen Bewegungen wie der gegen Umweltschäden kein großes Rätsel mehr. Denn im Endeffekt müssen diese beiden aktiv miteinander verbunden werden, um erfolgreich Errungenschaften für die gesamte Klasse zu erkämpfen wie beispielsweise ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket oder einen kostenlosen ÖPNV. Stattdessen verliert man sich im internen Richtungsstreit, der aktuell eine neue Ebene des Elends erreicht.

Flügelstreit statt Klassenkampf

Leipzig, 05. September 2022. Sören Pellmann, einer der drei Gründe, warum die Linksfraktion überhaupt im Bundestag sitzt, organisiert einen ersten Protest. Rund 5.000 Menschen versammeln sich auf dem Augustusplatz und beteiligen sich an der Demonstration der Linkspartei. 5 Wochen später wird die Linkspartei wieder einen Protest organisieren – diesmal als Bündnis unter der Führung von Juliane Nagel. Sie ist eine Vertreterin des Lagers der Regierungssozialistinnen und erklärt, dass weder Sahra Wagenknecht noch Sören Pellmann auf dieser Kundgebung sprechen dürfen. Kurzum: Man ist zwar in einer Partei, aber setzt alles daran, nicht gemeinsam zu arbeiten.

Ein Einzelfall, könnte man meinen. Aber nein, auch in Berlin im Bündnis „Heizung, Brot, Frieden“ gibt es ähnliche Querelen. Hieran ist unter anderen Aufstehen beteiligt. Nachdem am Anfang auch Gesichter der Bewegungslinken und marx21 anwesend waren, hätte man meinen können, dass es ein positives Beispiel sein könnte. Trotz Differenzen ist man in einem Bündnis, mobilisiert gemeinsam, während man inhaltlich streitet und versucht, die Partei insgesamt zum Handeln zu zwingen. Hätte, hätte, Fahrradkette! Dieses Verhalten ist ein Schlag ins Gesicht für alle Basismitglieder, die versuchen, aktiv gegen die Preissteigerungen zu kämpfen.

Feindbild Populismus

Dass es Teile der Partei gibt, die den Linkspopulismus von Sahra Wagenknecht ablehnen, ist gut. Doch erstens ist Kritik an ihr keineswegs immer eine fortschrittliche. Im Gegenteil, der jüngste Sturm der Empörung entbrannte, gerade weil Wagenknecht auch einmal etwas Richtiges gesagt hatte, nämlich dass Deutschland und seine Verbündeten einen Wirtschaftskrieg gegen Russland führen.

Der rechte Parteiflügel will es sich offenkundig mit der Regierung nicht verscherzen. Fast noch mehr scheint er von einem wahrhaften Abgrenzungswahn gegenüber Sahra Wagenknecht und Aufstehen, also dem linkspopulistischen, an Mélenchons Partei La France Insoumise orientierten Flügel, der Partei besessen zu sein.

Der Aufstehen-Flügel hingegen will eine linkspopulistische Massenmobilisierung, die auch Gewerkschaften und radikale Linke umfassen soll. Gegenüber einer realen Orientierung auf die Arbeiter:innenklasse, der Frage von Streiks und betrieblichen Kämpfen verhält er sich ignorant. Stattdessen wird das „Volk“ aufgerufen, eine Allianz bis hin zu den krisengeschüttelten Unternehmen angestrebt und der russische Imperialismus real verharmlost. Aber er beteiligt sich mit sehr viel Elan an den Aktionen, ja prägt diese in etlichen Städten. Dass Aufstehen versucht, den Mobilisierungen seinen politischen Stempel aufzudrücken, für seine Zwecke zu nutzen, um sich stärken zu wollen, kann ihm niemand ernsthaft vorwerfen. Das will schließlich jede politische Kraft, die in solchen Mobilisierungen aktiv ist.

Die Mehrheit der Linkspartei agiert demgegenüber einfach sektiererisch. Vom Standpunkt der Regierungssozialist:innen ergibt das durchaus Sinn. Ihnen sind Regierungsposten und Verbindungen und gutes Einvernehmen mit SPD, Grünen und Gewerkschaftsbürokratie allemal wichtiger als eine Bewegung, die diese in Schwierigkeiten bringen könnte. Die sog. Bewegungslinke – und in ihrem Schlepptau Strömungen wie marx21 – macht sich zunehmend zur politischen Gehilfin der Lederers, Nagels und Ramelows.

Hoffen auf Veränderung?

Die Spaltung der Linkspartei ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit. Die verschiedenen Flügel rüsten faktisch zum entscheidenden Kampf und warten vor allem auf eine günstige Gelegenheit. Dabei ist die Krise selbst nur Ausdruck der strategischen Perspektivlosigkeit einer kleinen reformistischen Partei. Zwischen Bewegungsspielerei und Regierungsbeteiligung lässt sich eine schlüssige Strategie schlecht ausarbeiten. Es ist also kein Wunder, dass die Partei ideologisch zwischen verschiedenen Spielarten von Populismus, Reformismus und Identitätspolitik hin und hergerissen wird. Der Krieg um die Ukraine hat die Flügel weiter polarisiert, treibt die einen mehr ins Putinlager, die anderen Richtung Regierung und westlichem Imperialismus.

Kein Wunder, dass immer mehr Aktivist:innen sich abwenden. Zweifellos stellt der kommende Untergang für die sozialistischen Kräfte in der Partei eine zentrale Frage dar. Es ist eigentlich höchste Zeit, offen dem Reformismus den Kampf anzusagen und einen revolutionären Bruch mit der Partei vorzubereiten, also die eigenen Kräfte als Alternative zu bestehenden reformistischen und populistischen Strömungen zu sammeln.

Eine solche Intervention in den Flügelstreik müssten sie zugleich mit dem Kampf für eine Einheitsfront aller Kräfte der Arbeiter:innenbewegung – also auch aller Teile der Linkspartei – verbinden. Das Fatale am inneren Flügelstreit ist ja nicht, dass sich dieser zuspitzt, sondern er vor allem von den Regierungssozialist:innen und der Bewegungslinken mit einer bewussten Sabotage gemeinsamer Aktionen gegen Inflation und Krise verbunden wird. Unglücklicherweise finden sich diese mit ihrem Sektierertum in der „radikalen Linken“ in guter Gesellschaft.

Es mangelt nicht an verschiedenen Bündnissen mit teilweise fast identischen Forderungskatalogen, die – anders als der „solidarische Herbst“ von Gewerkschaften, NGOs und Sozialverbänden – Kapital und Regierung als politischen Gegner:innen verorten und, zumindest verbal, die Notwendigkeit einer Massenmobilisierung proklamieren.

Doch wer diese wirklich will, muss auch danach trachten, aktionsfähige Bündnisstrukturen aufzubauen, Kräfte wie „Heizung, Brot, Frieden“, „Genug ist Genug“, „Nicht auf unserem Rücken“ oder „Umverteilen“ auf lokaler und bundesweiter Ebene zu einem Bündnis zusammenzuschließen. Ein erster Schritt dazu wäre es in jedem Fall, gemeinsame Demonstrationen und Aktionen zu organisieren.

Schon heute ist klar: Wie es ist, kann und darf es nicht bleiben. Wir wissen auch, dass wir im Kampf gegen Inflation, Rezession und Kosten des Krieges einen langen Atem brauchen werden. Umso dringender ist es freilich, die linken Bündnisse auf einer demokratischen und klassenkämpferischen Basis zusammenzuführen und dazu möglichst rasch lokale und bundesweite Aktionskonferenzen zu organisieren.




Linkspartei: Laue Luft statt heißer Herbst?

Susanne Kühn, Neue Internationale 268, Oktober 2022

Der 5. September fiel durchaus vielversprechend aus. 4.000 waren in Leipzig zu einer ersten großen Montagsdemonstration im Rahmen des von Parteichef Schirdewan verkündeten „heißen Herbsts gegen die soziale Kälte“ gekommen.

Doch seither: weitgehend Funkstille. Schon im Vorfeld wurde klar. Die Regierungssozialist:innen um Ramelow und verschiedene Landesregierungen und wichtige Teile des Parteiapparates wollten ihn ohnedies nicht. Auf gut gepolsterten Ministerposten friert man schließlich nicht.

Parteirechte und Aufstehen

Sozialproteste seien schon recht, so heißt es. Zusätzlich wird die „Abgrenzung nach rechts“ gefordert. An sich richtig, aber es geht dem rechten Flügel der Linkspartei dabei gar nicht um etwaige Nazis oder AfDler:innen, sondern darum, linke Mobilisierungen unter den Generalverdacht der „Rechtsoffenheit“ zu stellen, um so das eigene Fernbleiben zu entschuldigen. Vollends zur regierungstreuen Farce wird die Sache dann, wenn jede Kritik an den westlichen Sanktionen gegen Russland, ja selbst schon das Benennen eines Wirtschaftskriegs als solchen quasi als Unterstützung Putins denunziert wird.

Der rechte Parteiflügel will es sich offenkundig mit der Regierung nicht verscherzen. Fast noch mehr scheint er von einem wahrhaften Abgrenzungswahn gegenüber Sahra Wagenknecht und Aufstehen, also dem linkspopulistischen, an Mélenchons Partei La France Insoumise orientierten Flügel der Partei besessen zu sein.

Wir haben es daher mit der paradoxen Lage zu tun, dass jene Fraktion in der Linkspartei, die nicht im Vorstand vertreten ist, als einzige aktiv und auch mit viel Elan in den Bewegungen gegen die Preissteigerungen mobilisiert. Dabei agiert diese oft im Verbund mit der „Sozialistischen Linken“, der „populären Linken“ und mit DKP/SDAJ – nicht zuletzt auch, um den Boden für eine mögliche Abspaltung und Neuformierung zu den Europawahlen zu testen.

Die Parteirechte und der Aufstehen-Flügel vertreten in der aktuellen Lage eine durchaus klare Position zu einem heißen Herbst. Erstere will ihn verhindern, sie war schon gegen Schirdewan/Pellmann und die Montagsdemos. Ramelow und Co. wollen allenfalls von DGB und Sozialverbänden organisierte und kontrollierte, möglichst auf einen Tag beschränkte Aktionen.

Der Aufstehen-Flügel hingegen will eine linkspopulistische Massenmobilisierung, die auch Gewerkschaften und radikale Linke umfassen soll. Gegenüber einer realen Orientierung auf die Arbeiter:innenklasse, der Frage von Streiks und betrieblichen Kämpfen verhält er sich ignorant. Stattdessen wird das „Volk“ aufgerufen, eine Allianz bis hin zu den krisengeschüttelten Unternehmen angestrebt und der russische Imperialismus real verharmlost. Aber er beteiligt sich mit sehr viel Elan an den Aktionen, ja prägt diese in etlichen Städten. Dass Aufstehen versucht, den Mobilisierungen seinen politischen Stempel aufzudrücken, für seine Zwecke zu nutzen, um sich stärken zu wollen, kann ihm niemand ernsthaft vorwerfen. Das will schließlich jede politische Kraft, die in solchen Mobilisierungen aktiv ist.

Sowohl die Regierungssozialist:innen wie der Aufstehen-Flügel fürchten eine Spaltung der Linkspartei letztlich nicht, auch wenn beide das nicht unmittelbar anstreben. Sie lassen sich in jedem Fall ihr Handeln nicht von einer abstrakten „Einheit der Partei“ um fast jeden Preis diktieren.

Bewegungslinke

Die Bewegungslinke hingegen weicht dem Konflikt aus. Sie will zwar – allgemein und jenseits der Niederungen der Linkspartei wie überhaupt der politisch-fraktionellen Auseinandersetzungen in der Linken – eine Massenmobilisierung gegen die Regierung. Aber sie will zugleich keinen politischen Konflikt mit Aufstehen in der Bewegung. Denn das würde erfordern, in Bündnissen und einer entstehenden Bewegung offen um die Ausrichtung, die richtigen Forderungen und Methoden zu deren Aufbau zu streiten.

Eine solche Politik würde die Bewegungslinke selbst mit der Notwendigkeit konfrontieren, sich diese Frage zu stellen und zu beantworten. Sie müsste selbst eine strategische und programmatische Debatte klären – nicht nur zu unmittelbaren Forderungen, sondern auch zur aktuellen Krise, zum Krieg, zu dessen Charakter und zu den Sanktionen.

Dies würde sie jedoch nicht nur in eine Auseinandersetzung mit Aufstehen in Bündnissen zwingen, sie müsste einen wahrscheinlich noch viel tieferen Konflikt mit den Regierungssozialist:innen austragen, mit dem eigentlich rechten Flügel der Partei DIE LINKE. Eine aktive Beteiligung am Berliner Bündnis „Brot, Heizung, Frieden“ oder an ähnlichen in anderen Städten würde nämlich auch eine gewisse Kooperation mit Aufstehen, Gewerkschafter:innen, kommunistischen und sozialistischen Organisationen gegen Regierungssozialist:innen in Berlin, Thüringen und anderswo bedeuten. Dies allein schon deshalb, weil alle im Bündnis für gemeinsame Forderungen mobilisieren würden.

Die inneren Konflikte in der Linkspartei würde das also natürlich weiter zuspitzen – aber ausnahmsweise um eine Frage, die zugespitzt zu werden gehört.

Das Aussitzen dieser Frontstellung – und das sei all jenen in der Bewegungslinken, die Abwarten, Stillhalten und Halbherzigkeit für eine besonders kluge Taktik halten, auf den Weg mitgegeben – wird die Linkspartei nicht retten. Die Bewegungslinke aber wird noch mehr zu dem, was sie seit Jahren schon ist – einem Anhängsel der Regierungssozialist:innen.




Nach dem Parteitag: Die Agonie der Linkspartei

Jaqueline Katharina Singh, Neue International 266, Juli/August 2022

Am Wochenende des 25./26. Juni tagten die G7 auf Schloss Elmau bei Garmisch-Partenkirchen im Zeichen von Ukrainekrieg und ökonomischer Krise. Zeitgleich wurde in Erfurt versucht, eine ganz andere Art der Krise einzudämmen – auf der Tagung des 8. Bundesparteitages der Linkspartei.

Allein die Tatsache, dass sich DIE LINKE schon vor Monaten entschlossen hatte, die eigene Veranstaltung auf dieses Wochenende zu legen, spricht Bände über die Prioritätensetzung einer Organisation, die sich nach wie vor gern als Bewegungs- und Friedenspartei geriert. Doch warum sollte ausgerechnet eine, dem Anspruch nach sozialistische Oppositionspartei der Mobilisierung gegen die imperialistischen Ausbeuter:innen dieser Welt und die „eigene“ Regierung Priorität zumessen?

Angesichts des Krisenzustandes der Partei, des katastrophalen Wahlergebnisses bei der Bundestagswahl und des Rücktritts des Parteivorstandes im Zusammenhang mit #linkemetoo hat man schließlich Wichtigeres zu tun. Die Terminfestlegung symbolisiert gewissermaßen den Zustand einer Partei, für die es kein Problem gewesen wäre, die eigene Tagung um eine Woche zu verschieben.

Doch wer sich vom Wochenende richtungweisende Entscheidungen, ein politisches Kräftemessen der Flügel oder wenigstens eine klärende Auseinandersetzung erwartet hatte, wurde enttäuscht. Die Konfrontation, die zumindest in etlichen Artikeln vor der Tagung durchklang, fand nicht oder allenfalls schemenhaft statt. Letztlich blieb die inhaltliche Debatte aus, oder um es mit den Worten von Thies Gleiss zu beschreiben: „Mit der bekannten durchgestylten, synthetischen und immer furchtbar übertrieben wirkenden Inszenierung des Profiparteitagorganisationsstabes der LINKEN fand am letzten Juni-Wochenende in Erfurt die ‚1. Tagung des 8. Parteitages’ statt. Wie immer war es teuer, unauthentisch und langweilig.“

Was hätte es gebraucht?

Statt der gespielter Einigkeit zwischen den Flügeln, dass es nach außen nicht einen weiteren Eklat braucht, hätte die inhaltliche Klärung in den Vordergrund gerückt werden müssen. Die SAV schreibt dazu: „Auf dem Parteitag waren aber nur zwei Stunden für eine Generaldebatte vorgesehen, und eine Stunde für eine Diskussion zum Kampf gegen patriarchale Machtstrukturen, Gewalt und Sexismus. Dass diese Zeit nicht ausreichen würde, hätte klar sein müssen. Über 70 Beiträge kamen in der Generaldebatte nicht zu Wort. Stattdessen nahmen Grußworte, Einspieler, Promi-Reden und Abstimmungsprozeduren großen Raum ein – in Anbetracht der Erwartungen an den Krisenparteitag eine unglückliche Parteitagsregie.“

Stattdessen hätte es in der Tagesordnung die bewusste Möglichkeit für die Delegierten geben sollen, die inhaltlichen Differenzen in Debatten und Anträgen offen auszudiskutieren. Warum? Ein Überspielen dieser Differenzen lässt sie nicht verschwinden.

Vielmehr ist der „Pluralismus“ der Partei eben einer der Gründe, warum das Außenbild so zerrüttet erscheint. Mit bloßen Ermahnungen oder erzwungener Nettigkeit können die Probleme nicht gelöst werden, da sie ihren Ursprung selten in der Form, sondern im Inhalt tragen. Stattdessen entschied sich der alte Parteivorstand, dessen Mehrheiten im neuen faktisch fortbestehen, die Krise der Linkspartei weiter zu verwalten.

Ursache der Krise

Was in den Medien als ewig währender Kleinkrieg zwischen Wagenknecht und dem Rest der Partei dargestellt wird, ist in der Realität facettenreicher. Dennoch kann man den Kern des Konfliktes recht gut zusammenfassen. So lautet die Hauptfrage letzten Endes, was Sozialismus ist und wie man dahin kommt, wobei insbesondere die Rolle des bürgerlichen Staates eine tragende Rolle spielt. Dabei kann man im Groben drei Flügel ausmachen: Während der der Regierungssozialist:innen wie beispielsweise um Bodo Ramelow zwar verbal ab und zu den demokratischen Sozialismus erwähnt, besteht seine Politik in nichts anderem als einer linken Spielart der Sozialdemokratie. Offen und praktisch strebt er die Beteiligung an bürgerlichen Regierungen an – und letztlich, ohne Widerstand von einem anderen Flügel in der Partei erwarten zum müssen.

Die linkspopulistische Strömung um Sahra Wagenknecht hat gegen Regierungsbeteiligungen grundsätzlich nichts einzuwenden. Allenfalls wirft sie Ramelow und Co. vor, sich zu billig zu verkaufen. Sie versucht, sich als letzte Bastion der „Friedenspolitik“ der Linkspartei und als Anwältin der Lohnabhängigen und ihrer sozialen Nöte in Stellung zu bringen, was jedoch am national-zentrierten und sozial-chauvinistischen Charakter dieser Politik nichts ändert.

Als dritter Flügel hat sich in den letzten Jahren die sog. Bewegungslinke in Stellung gebracht, die im alten wie neuen Vorstand die meisten Mitglieder stellt.

Sie reklamiert für sich gern eine grundlegende Kritik an der faktischen Schwerpunktsetzung auf parlamentarische Arbeit, inklusive der in regionalen und kommunalen Vertretungen. Dieser bürgerlichen Realpolitik möchte sie eine andere entgegenstellen, die auf Mobilisierungen und Arbeit in sozialen Bewegungen setzt. Mehr als andere Strömungen beschwört sie auch das sozialistische Ziel – freilich nicht im Sinn einer Übergangsprogrammatik, sondern vielmehr als ein von der realen Arbeit DER LINKEN in Gestalt von Abgeordneten, Gewerkschafter:innen, Aktiven in sozialen Bewegungen losgelöstes in der Ferne.

Aber selbst die meisten Sprecher:innen der Bewegungslinken sehen darin kein Problem, weil auch für sie der „Sozialismus“ nur eine Vision darstellt, die erst in ferner Zukunft Realität werden kann. Derweil ist „Transformationsstrategie“ angesagt, also die mehr oder minder pragmatische Kombination von Regierungsbeteiligungen und Bewegungsaktivismus.

Was alle Flügel eint

Dass es ihr bei aller Beschwörung eines letztlich mehr moralisch verstandenen „Sozialismus“ nie um eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft ging, gehört zum Gründungskonsens der Partei. Ganz wie die Sozialdemokratie oder der Labourismus verstand und versteht sie ihre Aufgabe in der „Reform“ des Kapitalismus, die über zahlreiche Fortschritte und Rückschläge nach einem langwierigen, im Kern aber graduellen Transformationsprozess zum Sozialismus führen soll.

Dieses Konzept ist, wie Geschichte und Degeneration der Sozialdemokratie verdeutlichen, historisch gescheitert und theoretisch vom Marxismus längst widerlegt. Das sozialistische Endziel der „Transformation“ dient natürlich auch nicht als reales, sondern vor allem als ideologische Beschwörungsformel, als utopische Begleitmusik zu den Niederungen der „Realpolitik“.

Wer jedoch ablehnt, die Herrschaft des Kapitalismus durch eine Revolution zu brechen, wer von der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und seiner Ersetzung durch die Herrschaft der Arbeiter:innenräte nichts wissen will, der/die ist letztlich gezwungen, auf den bürgerlichen Staat als Instrument der Veränderung zu setzen. Unter dieser Voraussetzung sind Beteiligungen an bürgerlichen Regierungen notwendig, ja folgerichtig. Offen bleibt nur, ob der Kurs auf Rot-Grün-Rot aktuell oder erst zu einem „günstigeren“ Zeitpunkt opportun erscheint.

Innerhalb dieses Rahmens werden die Machtkämpfe der Partei ausgetragen. Dass sie aktuell so scharf ausfallen, hängt freilich damit zusammen, dass DIE LINKE selbst im bürgerlichen Spektrum zur Zeit wenig reüssieren kann und fraglich ist, wozu eine linkssozialdemokratische Partei neben dem SPD-Original überhaupt gebraucht wird. Da dies aber nicht in die Debatte des Parteitages einfloss, führt uns das zur Frage: Was wurde dann besprochen und beschlossen? Bevor wir auf die personellen Entscheidungen zu sprechen kommen, widmen wir uns den inhaltlichen Debatten.

Für oder gegen die NATO?

Zwar bemühte sich die bürgerliche Presse vorab, das Bild der Linkspartei als Putinversteherin zu zeichnen und auch, wenn es davon Mitglieder in der Partei geben mag, stellen sie nur einen marginalen Teil dar. Der Leitantrag 3 „Keine Aufrüstung, kein Krieg“ des Parteivorstandes bezüglich des Ukrainekrieges stellt dies ebenfalls mehr als deutlich klar. Dafür liegt eine andere Stolperschnur: die Rolle des westlichen Imperialismus und die Positionierung bezüglich der NATO. Im Antrag wird die Vorgeschichte des Krieges ausblendet, die NATO-Kritik fällt recht handzahm aus. Klare Forderungen, dass es keine NATO-Interventionen geben darf, oder gar Kritik an deren Plänen zur Osterweiterung sind nicht enthalten.

Eine Alternative dazu stellte der Ersatzantrag des linken Lagers dar, der scheinbar unter der Federführung von marx21, aber auch Mitarbeit der AKL stand und von Landesvorständen in Hessen und NRW sowie von einigen Kreisverbänden und vielen Delegierten unterstützt wurde.

In ihm heißt es: „Dieser Krieg ist nicht nur ein Krieg Russlands gegen die Ukraine, er ist auch ein Krieg um die Ukraine, nämlich ein Machtkampf zwischen der NATO (der EU und USA) auf der einen und Russland auf der anderen Seite.“ Der Antrag sprach sich zudem gegen einen Wirtschaftskrieg aus (in gesamter Länge hier nachzulesen: https://linke-gegen-krieg.de/).

Trotz breiten Bündnisses der linken Kräfte scheiterte der Ersetzungsantrag, bekam aber respektable 43 % der Delegiertenstimmen. Der Parteivorstand sah sich offenbar sogar gezwungen, die Parteilinke Wissler vorzuschicken, um den Leitantrag inhaltlich zu verteidigen und eine Mehrheit für den linken Antrag zu verhindern.

Weitere Anträge, die die Positionierung weiter in Richtung Waffenlieferungen oder gar Pro-NATO verschieben sollten, wurden ebenso abgelehnt wie solche, die Sanktionen insgesamt ablehnten wie beispielsweise der Antrag eines Sol-Mitgliedes aus Bad Cannstatt.

Auffällig dabei ist, dass der Jugendverband den rechten Flügel des Parteitags stellte und beispielsweise zu den Kräften gehörte, die gerne per se für Sanktionen und Waffenlieferungen wären.

Doch warum gibt es überhaupt die Debatte? Dieser Konflikt – und die Art, wie er ausgetragen wird – ist nur ein anderer Ausdruck der Krise der Linkspartei. Weil die Stimmen der Regierungssozialist:innen bereits vor dem Ukrainekrieg ihre NATO-Solidarität festgeschrieben hatten, da dies für mögliche Koalitionen auf Bundesebene notwendig wäre, zeigt sich auch hieran, wie fehlende Analyse und gemeinsame Methodik sich negativ auswirken können. Zwar lehnt DIE LINKE Waffenlieferungen und Kriegseinsätze ab, aber sie vermag den imperialistischen Charakter der deutschen und westlichen Politik nicht zu erkennen. Dennoch stellen die 43 % für den linken Antrag einen, wenn auch den einzigen Erfolg der Linken auf dem Parteitag dar und einen Ansatz, eine Opposition in der Partei um eine zentrale politische Frage herum zu formieren.

#linkemetoo

Einen anderen inhaltlicher Schwerpunkt stellte die Debatte zu #linkemetoo dar. Obwohl Gregor Gysi seine Redezeit nutzte, um geschlechtsinklusive Sprache zu kritisieren und es nach Wisslers Wahl zu empörten Ausrufen kam, wurde jedoch der Antrag „Den Grundkonsens erneuern. Für eine feministische LINKE“ angenommen. Inhaltlich setzt dieser positive Noten: Die sexualisierte Gewalt innerhalb der Linkspartei wird als Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse begriffen. Das sei aber keine Entschuldigung, diese zu ignorieren, sondern bedeute, dass es Strukturen für den Umgang damit brauche – und diese zu schaffen, sei nicht nur Aufgabe von FLINTAs.

Was wohl eine Schwierigkeit ausmachen wird, ist die angedeutete Debatte bezüglich der Definitionsmacht. In dem Antrag selbst wird sich positiv auf die Unschuldsvermutung bezogen, eine klare Ablehnung der Definitionsmacht erfolgt im Umkehrschluss daraus jedoch leider nicht und wäre wohl hitziger diskutiert worden.

Schade an dieser Debatte insgesamt ist, dass sich die Linke zwar als Spiegel der Gesellschaft begreift, aber nicht die Konsequenzen daraus zieht, für gesamtgesellschaftliche Verbesserungen zu kämpfen. Die Neuerungen innerhalb der Partei, die Erarbeitung von Richtlinien und Sensibilisierung sind richtig und wichtig. Eine reale Verbesserung für Betroffene kann es aber nur geben, wenn z. B. fortschrittliche Reformen des Sexualstrafrechts erkämpft, Betroffene finanziell unterstützt werden oder die Möglichkeit zur Meldung von Übergriffen massiv vereinfacht wird. Zu unseren Vorschlägen siehe: https://arbeiterinnenmacht.de/2022/04/18/linkemetoo-aus-den-fehlern-lernen/.

Personalfragen

Insgesamt fokussierte sich die Partei auf Personalfragen. Als Vorsitzende wurde das Tandem aus Janine Wissler und Martin Schirdewan gewählt, also eine Neuauflage des letzten Vorsitzes mit Schirdewan statt Hennig-Wellsow. Die Kandidat:innen, die dem Wagenknecht-Flügel zugeschrieben wurden, haben je rund ein Drittel der Stimmen bekommen. Aber in der Wahl zum Parteivorstand konnten sie sich nicht durchsetzen.

Der Parteivorstand selbst wurde von 44 auf 26 Mitglieder verkleinert. Hier kritisiert die AKL zu Recht, dass es erneut keine Entscheidung gab, Ämter und Mandate zu trennen oder eine Kontrolle dieser Funktionen einzuführen. Die aktuelle Entwicklung wird eher als weitere Zentralisierung beschrieben. So schreibt sie: „Vor allem aber haben nun die Berufspolitiker*innen und Parlamentsfraktionen die Macht annähernd vollständig übernommen. Von den acht direkt gewählten geschäftsführenden Vorstandsmitgliedern sind vier hauptberufliche Abgeordnete, zwei qua Amt Angestellte der Partei, ein Abgeordneten-Mitarbeiter und eine Gewerkschafts-Hauptamtliche. Im 18-köpfigen Restvorstand sind jeweils drei Abgeordnete, Mitarbeiter*innen bei Abgeordneten, bezahlt durch RL-Stiftung oder politische Initiativen sowie Gewerkschaftshauptamtliche, ein Beschäftigter bei der Partei. Dazu kommen zwei Studierende, eine Journalistin und ein Polizist im höheren Dienst.“

Allein das illustriert, dass die Partei fest im Griff einer Bürokratie steckt – und daran stößt sich bezeichnenderweise keiner der drei großen Flügel.

Ähnlich wie beim letzten Parteitag mischt die Bewegungslinke (BL) zahlenmäßig im Vorstand gut mit. Wer das anfangs noch als Linksverschiebung hätte deuten können, ist nach dieser Periode wohl vorsichtiger in der Bewertung. 11 Mitglieder im 26-köpfigen Vorstand werden ihr zugerechnet. Die zweitgrößte Gruppierung stellen die Regierungssozialist:innen, deren Ziel natürlich darin liegt, R2G zur Realität werden zu lassen. Zur zu erwartenden Praxis schreibt die AKL: „Das sind keine guten Ausgangsbedingungen, um die Krise der Partei zu lösen. Bereits nach den letzten Vorstandswahlen hatte die ‚Bewegungslinke’ eine Mehrheit im Parteivorstand, die sie aber in allen wichtigen Entscheidungen nicht nutzte, sondern regelmäßig vor der Fraktion und dem dort dominierenden ‚Hufeisen’ zurückruderte. In nur wenigen Monaten zerlegte sich diese Parteivorstandsmehrheit. Es steht zu fürchten, dass sich das wiederholt.“

Was sagen die Zentrist:innen?

Während sich marx21 bereits vor dem Parteitag mit Optimismus nicht zurückhalten konnte, sieht es bei SAV und Sol anders aus. Beide Gruppen bewerten den Parteitag mit gemischten Gefühlen und halten fest, dass der versprochene Krisenparteitag ausblieb, um „Weiter so!“ zu verfahren, was der Partei letztendlich schadet. Die Konsequenzen bleiben jedoch schwammig. So setzt die SAV weiter Hoffnungen in die Bewegungslinke und schreibt: „Wenn die Bewegungslinke für eine Partei kämpft, die sich auf Bewegungen orientiert, ihr politischer Ausdruck sein kann, mit dabei hilft, die Arbeiter*innenbewegung aufzubauen, sich auf die kommenden Proteste gegen steigende Lebenskosten, die Klimakrise, noch mehr zwischen-imperialistische Kriege vorbereitet, und darin für eine sozialistische Gesellschaftsalternative kämpft, kann die vereinte Parteilinke DIE LINKE noch retten. Die Bewegungslinke muss dafür allerdings ihre Hasenfüßigkeit gegenüber den Reformer*innen ablegen.“

Das klingt zwar schön. Doch nicht nur das Verhalten der Bewegungslinken seit ihrer Gründung hat gezeigt, dass die Mitglieder zwar motiviert sein mögen und einzelne inhaltlich gute Forderungen aufwerfen, aber in zentralen Fragen einknicken – und zwar nicht nur wegen persönlich-pragmatischen Opportunismus‘, sondern auch, weil es der inneren Logik der sog. Transformationsstrategie, also der strategischen Ausrichtung dieser Strömung entspricht.

Um Druck auf die Bewegungslinken aufzubauen, reichen Vorschläge für gemeinsame Aktionen nicht – es bedarf auch einer Kritik ihrer grundlegenden, reformistischen Strategie, um die Notwendigkeit eines Bruchs mit dieser Spielart des Reformismus deutlich zu machen.

Die Sol hält sich fast noch bedeckter, wenn sie in einem Auswertungsartikel schlussfolgert: „Sol-Mitglieder haben auf dem Parteitag als Delegierte für konsequente sozialistische Positionen gestritten. Wir konnten 61 Zeitungen verkaufen und für mehrere hundert Euro Literatur des Manifest-Verlags verkaufen. Eine Reihe von Parteimitgliedern wollen mit der Sol die Diskussion darüber fortsetzen, wie es mit der LINKEN weitergehen kann und wie eine starke sozialistische Kraft in der Bundesrepublik aufgebaut werden kann.“

Schön für die Sol. Ein Konzept zum Kampf für eine revolutionäre Position ist das aber nicht.

Zusammengefasst heißt das: marx21 will beim Postenschacher nicht außen vor bleiben, ignoriert die Rechtsentwicklung der Partei und setzt weiter auf die Bewegungslinke und das Prinzip Hoffnung. Von der Krise wird zwar gesprochen, gleichzeitig aber jeder kleinster Gewinn als Schritt Richtung Sozialismus gefeiert.

Die anderen Kräfte sind an dieser Stelle realistischer in ihrer Einschätzung, aber vage und unzulänglich bezüglich der Konsequenzen.

DIE LINKE und der Kampf für revolutionäre Politik

Der Parteitag verdeutlicht einmal mehr, dass sich die Linkspartei in einer Existenzkrise befindet – egal, ob nun die „populäre Linke“ um Sahra Wagenknecht austritt oder nicht. Es mag der Krise nur eine andere, schockartige Form verleihen. Ansonsten geht einfach das politische Siechtum weiter, bei dem ein Teil der Linken auf der Straße sein mag, die anderen eben in den Parlamenten und nicht so wenige an Regierungen oder Kommunalverwaltungen zu finden sind.

Grundsätzlich müssen wir aber festhalten: Wer denkt, dass aus der Linken noch eine sozialistische Arbeiter:innenpartei wird, die diesen Namen verdient, kann auch auf eine parallele Sonnen- und Mondfinsternis warten. Falls revolutionäre Linke in oder außerhalb der Linkspartei mehr erreichen wollen, als einzelne Mitglieder für sich zu gewinnen, sondern die Krise der Partei zu nutzen anstreben zwecks Formierung einer größeren politischen Kraft, die unzufriedene, klassenkämpferische, antiimperialistische Mitglieder sammelt und politisch formiert, steht sie vor mehreren miteinander verbunden Aufgaben.

1. Die kämpferischen Elemente müssen um konkrete Kampagnen aktiv formiert werden

43 % für den linken Antrag gegen den Krieg zeigen, dass es in der Linkspartei hunderte, wenn nicht tausende Aktive gibt, die zumindest per Unterschrift für eine Politik gewinnbar sind, die die Invasion des russischen Imperialismus in der Ukraine verurteilt und zugleich gegen die westliche imperialistische Politik von NATO, USA, EU und Deutschland angehen will.

Doch damit die 43 % nicht nur in den Protokollen des Parteitages auftauchen, müssen sie zu einer Kraft formiert werden, die aktiv eine Bewegung gegen den Krieg und die mit ihm verbundene ökonomische Krise, Preissteigerungen oder drohende Schließungen von Betrieben aufbaut. Eine solche müsste auch aktiv in den Gewerkschaften gegen Sozialpartner:innenschaft und nationalen Schulterschluss und für eine Politik des Klassenkampfes auftreten.

2. Formierung um ein revolutionäres Aktionsprogramm

Um eine politische Alternative zur reformistischen, bürokratischen Strategie der Parteiführung auszuarbeiten, reichen Kampagnen um einzelne Forderungen aus zwei Gründen nicht. Erstens werfen in der aktuellen Periode die großen Frage des Klassenkampfes – ökologische Katastrophe, massive Preissteigerungen, Flucht/Migration, Krieg, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, um nur einige zu nennen – die Eigentumsfrage und die nach der Reorganisation der Gesellschaft selbst, also nach dem Kampf gegen den Kapitalismus, auf. Eng damit verbunden sind die Fragen nach einem Verständnis des Imperialismus als globaler kapitalistischer Ordnung wie nach dem Charakter des bürgerlichen Staates und der sozialistischen Revolution.

Kurzum, es braucht ein Programm, eine Antwort, die diese Fragen verbindet und ein System von Übergangsforderungen, das eine Brücke vom Kampf gegen aktuelle Angriffe und für Verbesserungen mit dem für eine sozialistische, revolutionären Umwälzung darstellt.

Zweitens bedarf es einer grundlegenden Alternative zur Politik der Linken selbst, eines politisch-programmatischen Gegenentwurfs zum Erfurter Programm und zur Transformationsstrategie – vom pragmatischen Regierungssozialismus und Linkspopulismus ganz zu schweigen. Genau dieser Aufgabe haben sich die Linken in der Linkspartei bisher nicht gestellt. Die Bewegungslinke macht – bestenfalls – aus der Not, dem Fehlen eines eigenen Programms, eine Tugend. Auch die AKL vermochte über Jahre (!) nichts vorzulegen. Marx21, SAV und Sol haben sich der Aufgabe entweder erst gar nicht gestellt oder nur halbherzig.

3. Vorbereitung eines Bruchs

In der gegenwärtigen Lage muss das Ziel einer solchen Formierung der politisch-programmatisch organisierte Bruch mit der Linkspartei sein, um in dieser Auseinandersetzung isolierte, politisch ratlose Mitglieder zu sammelen, so dass nicht nur einzelne unabhängig voneinander und frustriert austreten, sondern dies in DER LINKEN und in [’solid] einen organisierten Charakter annimmt.

Gerade die Auseinandersetzung in der Partei und um einen Fraktionskampf wäre auch wichtig, um das Bewusstsein und die politische Ausrichtung zu klären und Genoss:innen, die bisher nur das politische Leben in einer weitgehend passiven reformistischen Partei kennen, auf eine Zukunft nach der Linkspartei vorzubereiten.

In diesen Prozess sollten von Beginn an auch alle revolutionären Kräfte außerhalb der Linkspartei einbezogen werden, die das Ziel einer revolutionären, kommunistischen Umgruppierung auf Basis gemeinsamen Eingreifens in den Klassenkampf und einer klaren programmatischen Grundlage teilen. Dabei darf, um nicht den Fehler der Linkspartei selbst zu wiederholen, die Diskussion der bestehenden, teilweise sehr tiefen politischen, theoretischen und programmatischen Differenzen unter den verschiedenen Strömungen mit revolutionärem Anspruch nicht hintangestellt werden. Sie müsste vielmehr selbst in die Programmdebatte integriert werden.

Die drei Punkte wie auch unser eigenes Programm wollen wir als Arbeiter:innenmacht in einen solchen Prozess, sollte er zustande kommen, einbringen. Wir verstehen dies nicht als Vorbedingung, wohl aber als Beitrag, der alle anderen Strömungen in- und außerhalb der Linkspartei zur Diskussion darüber auffordert, die das Ziel der Schaffung einer revolutionären Alternative zum Reformismus im Hier und Jetzt angehen wollen.




Der Handlungsspielraum ist nicht besonders groß

Interview mit Freddy von [’solid] Berlin-Nord, Neue Internationale 266, Juli/August 2022

GAM: Hey, cool, dass du dir Zeit für das Interview nimmst. Vielleicht stellst du dich erstmal kurz vor?

Hey, danke für die Einladung. Ich bin Freddy, 24 Jahre alt, und eine der Sprecher:innen der Linksjugend [’solid] Berlin-Nord. Beruflich bin ich Erzieherin. Seit 5,5 Jahren bin ich in der Linksjugend [’solid] Berlin aktiv, in drei verschiedenen Basisgruppen nacheinander. Ich bin erst vor ungefähr einem Jahr in die Linkspartei eingetreten, aber mache dort nichts und denke auch, dass ich  bald wieder austreten werde.

GAM: [’solid] Berlin-Nord hat im letzten halben Jahr immer wieder auf sich aufmerksam gemacht. Warum ist das so? Welche Rolle habt ihr in [’solid] Berlin?

Am Anfang hatten wir gar nicht den Plan, eine revolutionäre Opposition innerhalb der Linksjugend aufzubauen, das hat sich aber dann irgendwie so entwickelt dadurch, dass sich unsere Mitglieder auch weitergebildet haben und uns viele Positionen innerhalb des Verbandes auffielen, denen wir nicht zugestimmt haben. Die Linksjugend [’solid] ist ja sehr pluralistisch ausgelegt, d. h. aus jeder linken oder linksliberalen Strömung, die man sich vorstellen kann, gibt es dort Leute. Wir haben auch nicht als Basisgruppe immer die gleiche Meinung, aber die meisten Leute verstehen sich schon explizit als Kommunist:innen, das macht auch noch mal einen Unterschied. Durch Anträge bei Landesvollversammlungen oder allgemein Diskussionsbeiträge haben wir in letzter Zeit versucht, auf unsere Positionen aufmerksam zu machen. Wir wollen aber auch nicht nur bei Papierbeschlüssen stehenbleiben, sondern versuchen, unsere Positionen auch auf die Straße zu tragen. Ich habe den Eindruck, dass auch einige andere Berliner Basisgruppen wie z. B. die Linksjugend Friedrichshain einen „Linksrutsch“ hingelegt haben.

GAM: [’solid] Berlin hat sich seit der letzten Landesvollversammlung (LVV) als Gesamtorganisation weiter nach links bewegt. Woran liegt das? Und was sind deine Perspektiven, Wie man das fortführen kann?

Auf jeden Fall gibt es in der Basis eine große Offenheit für linke Positionen, wie die Beschlüsse der letzten LVV gezeigt haben. Ich denke, dass es jetzt wichtig ist, sich nicht auf den Beschlüssen auszuruhen, sondern diese offensiv zu vertreten und zu verteidigen und sie auch zu nutzen, um z. B. die Linkspartei herauszufordern.

GAM: Auf der letzten LVV wurden auch Teile des Landessprecher:innenrats (LSPR) neu gewählt. Wie stehst du zum gegenwärtigen LSPR? Was sollte man an der Struktur des LSPR verändern, wenn überhaupt?

Meiner Meinung nach muss man da stark zwischen den einzelnen Mitgliedern des Gremiums und dem Gremium an sich und seiner Funktion unterscheiden. Ich war auch zwei Jahre lang im LSPR und es ist ein enormer Druck, der da auf einem lastet, auch von der Seite der Linkspartei. Das ist politisch so gewollt. So wurden während des Wahlkampfs zur Abgeordnetenhauswahl einmal mehrere Mitglieder, zum Glück nicht ich, abends von jemandem aus der Partei angerufen und angeschrien, weil der Person etwas, ich glaube es war ein Post, nicht gepasst hatte. Es wurde, sowohl von der Partei als auch von anderen Mitgliedern des Jugendverbandes, die schon lange dabei waren und denen man vertraut hat, suggeriert, dass wir als LSPR-Mitglieder die Vernünftigen seien und die Basismitglieder versuchen sollten, im Zaum zu halten, also darauf achten, dass kein schlechtes Licht auf die Linkspartei geworfen wird. Zusätzlich wird betont, dass man seine eigene Position zurückstellen soll. Der sogenannte Pluralismus in Partei und Jugendverband wird oft als etwas sehr Positives dargestellt. Die Beschlüsse, die der LSPR trifft, sollen möglichst so sein, dass niemand etwas gegen sie hat. Man steht da, wie gesagt, unter einem sehr großen Druck. Ich habe auch opportunistisch gehandelt, als ich im LSPR war, und ich glaube, das ist gerade das Gefährliche. Egal mit welchen Plänen und welchen Werten man sich in das Gremium wählen lässt, am Ende macht es eigentlich gar keinen so großen Unterschied, wer genau da drin sitzt.

Die LSPR-Mitglieder werden dazu benutzt, den Status quo aufrechtzuerhalten. Ich glaube, vielen ist das auch nicht bewusst. Trotz meiner zwei Amtszeiten habe ich lange gebraucht, um das zu merken.

Und dazu arbeiten die Linksjugend [’solid] und damit auch ihre Gremien sehr bürokratisch. Es werden umständliche und intransparente Wege gewählt, Entscheidungen zu treffen, und gleichzeitig wird oft suggeriert, dass im Grunde alles basisdemokratisch sei.

GAM: Wie stellt du dir revolutionäre Praxis innerhalb eines reformistischen Jugendverbandes vor?

Ich denke, dass es sehr schwer ist, eine revolutionäre Praxis innerhalb von reformistischen Strukturen zu haben und diese konsequent durchzusetzen. Wichtig ist es, das Gespräch mit verschiedenen Leuten zu suchen und zu versuchen, ihnen aufzuzeigen, was die Probleme sowohl mit den Standpunkten der Linkspartei als auch dem Organisationsprinzip sind. Zu der Struktur des Verbandes und des LSPR habe ich ja schon etwas gesagt. Ich glaube, ein zusätzliches Problem ist die Kommunikationskultur. Vor ein paar Jahren war die damalige Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher, als Rednerin bei unserer Landesvollversammlung eingeladen. Damals war ich total geschockt, dass einige Leute ihr kritische Nachfragen gestellt haben. Ich fand das total gemein und dachte: „Sie ist doch auch nur ein Mensch und niemand kann seinen Job perfekt machen“. Ich glaube, dass viele so denken und das auch genau so gewollt ist. Es wird oft als anstößig angesehen, politische Diskussionen öffentlich auszutragen. Man soll alles mit sich selber ausmachen oder im Hinterzimmer klären.

Das ist aber ein strukturelles Problem einer reformistischen Partei und kein Problem, das sich ändern kann, wenn die Leute lernen, besser miteinander zu kommunizieren. Zudem sind wir finanziell von der Linkspartei abhängig, was auch eine gewisse politische Abhängigkeit bedeutet.

Nachdem der Landesvorstand der LINKEN Berlin erst gedroht hatte, uns die Gelder zu streichen, müssen nun Summen ab 500 Euro einzeln beantragt werden. Davor hatten wir ein jährliches Budget, über das wir frei verfügen konnten. Das ist natürlich immer noch sehr viel Geld, aber eben nicht gemessen an dem, was die Linkspartei für den Jugendverband aufwenden könnte und würde, wenn er politisch gefügsamer wäre.

Zusätzlich zu den Konflikten und den Maßregelungen durch die Linkspartei kommen noch die Konflikte mit dem überwiegend sozialdemokratischen Bundesverband der Linksjugend [’solid] hinzu. Viele Gliederungen dort hegen eine starke Abneigung, z. T. schon leidenschaftlichen Hass, gegen die Berliner Sektion, da die Beschlüsse ihnen zu links sind und sie z. B. auch ein Problem damit haben, dass wir uns für Solidarität mit Palästina aussprechen.

Das sind also viele Widrigkeiten, mit denen wir als kleine revolutionäre Opposition zu kämpfen haben.

Wir können versuchen, Leute zu bilden, wir können Gespräche mit Menschen führen, wir können auch coole Aktionen machen. Dennoch sind wir dadurch eingeschränkt, dass wir Teil einer reformistischen Organisation sind.

GAM: Treptow-Köpenick ist aus dem Berliner Landesverband von [’solid] ausgetreten. Was ist deine Meinung dazu?

Die Spannungen zwischen Treptow-Köpenick und dem Rest des Landesverbandes haben sich schon lange abgezeichnet. Diese Gruppe vertrat aus meiner Sicht viele Positionen, die nicht mal als linksliberal zu bezeichnen sind. So baten sie den Landesverband der Linkspartei öffentlich, der Linksjugend [’solid] die Gelder zu kürzen, da ihnen die auf der Landesvollversammlung demokratisch gefällten Beschlüsse nicht gefielen. Auch setzten sie eine Ablehnung der NATO mit „Putinsolidarität“ gleich und distanzierten sich von palästinensischen Demonstrationen. Ich finde es gut, dass die Linksjugend Treptow-Köpenick aus der Linksjugend [’solid] rausgegangen ist. Einige der Mitglieder, die nicht auf der Linie der Gruppe waren, sind nun in andere [’solid]-Basisgruppen gegangen.

GAM: Seit der Bundestagswahl geht es ziemlich steil abwärts mit der Linkspartei. Im Saarland wurden 10 % verloren. Ramelow argumentiert für die Wehrpflicht. In Bremen fordert man Waffenlieferungen. Was ist da los und welche Perspektive siehst du für die Partei?

Eines der großen Probleme der Linkspartei sehe ich darin, dass sie letzten Endes leider doch eine bürgerliche Partei ohne ein einheitliches politisches Programm ist. Zudem ist der Parteiapparat sehr bürokratisch. Das sieht man z. B. auch gut an #linkemetoo. Sexualisierte Gewalt gibt es wahrscheinlich in den meisten Organisationen und Gruppen, aber dass sich eine Klasse von Berufspolitiker:innen ausbildet, die sich über Seilschaften an der Spitze halten möchte, da sie finanziell von ihren Mandaten abhängig ist, ist ein krasses Problem. Das steht Aufarbeitung von z. B. sexualisierter Gewalt im Wege, aber führt auch dazu, dass kein echter Austausch möglich ist und viele Debatten nichts bringen, da sowieso immer die gleichen Leute in den führenden Positionen bleiben werden. Aber auch zu versuchen, Marxist:innen in führende Positionen in Linkspartei oder der Linksjugend [’solid] zu bekommen, kann kein Ausweg sein. Selbst wenn die bürokratischen Prozesse nicht verhindern würden, dass sich wirklich Dinge ändern und zudem revolutionäre Mehrheiten in Gremien erreicht würden, wäre das in meinen Augen kein wirklicher Sieg. Dadurch, dass Partei und Jugendverband sehr viele verschiedene linke Strömungen beinhalten, würden dann getroffene Entscheidungen nicht konsequent vertreten und wahrscheinlich in der nächsten Wahlperiode gleich wieder revidiert werden. Die Linkspartei ist natürlich keine marxistische Partei. Aktuell würde ich auch in Frage stellen, ob sie eine Arbeiter:innenpartei ist. Dafür fehlt meiner Meinung nach eine Abgrenzung zu anderen bürgerlichen Parteien. Die Linkspartei schiebt mit ab, die Linkspartei positioniert sich nicht konsequent antimilitaristisch, die Linkspartei ist in Berlin an der Verschleppung des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ beteiligt. Ich glaube, dass die Linkspartei in den nächsten Jahren nach und nach immer mehr an Wähler:innen verlieren wird, und ich finde es absolut nachvollziehbar, wenn Leute sie nicht wählen.

GAM: Abschließend: Was sollten Revolutionär:innen in der Linkspartei und [’solid] jetzt tun? Wie könnt ihr unterstützt werden?

Ich glaube, das Wichtigste ist, die Widersprüche in der Linkspartei und ihrer Bürokratie aufzuzeigen, was ja die meisten revolutionären Gruppen bereits machen. Zudem freuen wir uns über Solidaritätsbekundungen, z. B. in Form von Unterstützung bei Aufrufen wie zuletzt dem offenen Brief unserer Basisgruppe gegen die geplanten Geldkürzungen von Seiten des Landesvorstandes der Berliner Linkspartei. Wie ich schon dargelegt habe, glaube ich nicht, dass der Handlungsspielraum von Revolutionär:innen in der Linkspartei und [’solid] besonders groß ist. Man kann die Linkspartei und die Öffentlichkeit mit den Fehlern der Strukturen konfrontieren, was wir ja auch bereits tun. Es ist aber meiner Ansicht nach verschwendete Energie, wenn man sich über Jahre hauptsächlich auf den Fraktionskampf innerhalb der eigenen Organisation konzentriert bzw. eher konzentrieren muss. Dieser ergibt nur Sinn, solange man Mitglieder vom Apparat loslösen und für ein revolutionäres Programm gewinnen kann.

Mittelfristig wären Revolutionär:innen in der Linkspartei und der Linksjugend, denke ich, besser beraten, sich revolutionären Organisationen anzuschließen.

GAM: Vielen Dank für das Interview und alles Gute für Euren Kampf!




Der Parteitag der Linkspartei – Vorwärts dem Ende entgegen?

Martin Suchanek, Infomail 1191, 24. Juni 2022

„Gemeinwohl statt Profit. Klimagerechtigkeit statt Aufrüstung. DIE LINKE ist bereit für die neue Zeit“ – so der Titel des Leitantrages zum Parteitag, der vom 24. bis 26. Juni in Erfurt tagt. Angesichts der Existenzkrise der Partei, die auch von ihren Parteigänger:innen längst nicht mehr bestritten wird, setzt der Vorstand DER LINKEN auf eine weitere hoffnungsfrohe Beschwörungsformel. Dass DIE LINKE für die „neue Zeit“ bereit sei, glaubt schließlich kaum jemand, sodass dieser und ähnliche Titel fast schon wie eine unfreiwillige Parodie daherkommen.

Was das kommende Wochenende betrifft, scheint das Ziel der Parteiführung vor allem darin zu bestehen, dass der Laden ohne weiteren größeren öffentlichen Eklat die Tagung übersteht. Immerhin darin dürften sich im Großen und Ganzen die drei Hauptströmungen der Partei – Bewegungslinke, Regierungssozialist:innen und Linkspopulist:innen – einig sein. Nicht nur der Leitantrag, sondern auch die politischen Vorschläge der jeweiligen Strömungen sind so gehalten, dass sich tiefere Differenzen eher darin finden, was nicht offen ausgesprochen wird, was nicht drin steht, als was verkündet wird.

Natürlich wird es auch kontroverse Wortmeldungen und, sofern der Begriff angesichts der Parteitagschoreographie angebracht ist, „Debatten“ geben. Grund dafür gäbe es genug, schließlich unterscheiden sich die drei Hauptströmungen der Partei erheblich und drängen bei fast allen wichtigen Fragen in verschiedene Richtungen. Eine offene Debatte um die grundlegenden Probleme oder gar Differenzen will jedoch zu diesem Zeitpunkt keine dieser Kräfte – und sei es, weil keine weiß, was sie bei einem Zerfall der Partei tun sollte. Daher wird es in Erfurt allenfalls zu einem Kräftemessen, keinesfalls zu einer allzu offenen Konfrontation und schon gar nicht zu einer Entscheidung kommen. Die Fortsetzung der aktuellen Hauptform der Parteikrise, ihre Daueragonie, ist vorprogrammiert.

Die Strömungen

Die linkspopulistische Strömung um Sahra Wagenknecht versucht, sich als letzte Bastion der „Friedenspolitik“ der Linkspartei und als Anwältin der Lohnabhängigen und ihrer sozialen Nöte in Stellung zu bringen. In der Vergangenheit fielen dabei gerade Wagenknecht und Lafontaine mit chauvinistischen Ausfällen auf. Vor dem Parteitag wird in den Anträgen Zurückhaltung geübt, um Kräfte um den Aufruf „Für eine populäre Linke“ zu sammeln. Man behilft sich mit dem Gemeinplatz, dass sich DIE LINKE nicht auf „Milieus“ verengen dürfe. Das ist natürlich richtig und wird wohl in dieser Allgemeinheit von niemandem/r bestritten. Zur Klärung der Sache trägt es jedoch auch nichts bei. Darum geht es aber auch nicht, sondern vielmehr um die Sammlung der eigenen Strömung. Das Hantieren mit solchen Formeln ist freilich kein Alleinstellungsmerkmal dieses Flügels.

Auch wenn die Linkspopulist:innen seit dem letzten Parteitag die Führung in NRW verloren haben, so sind sie nach wie vor in einzelnen Landesverbänden wie Niedersachsen stark und stellen zentrale Führungspositionen in der Bundestagsfraktion, gemeinsam mit einem Teil der „Reformer:innen“ um Bartsch.

Die Bewegungslinke wiederum stellt seit dem letzten Parteitag einen bedeutenden Teil des bestehenden Vorstandes. Für sie geht es bei der Neuwahl der Führung also nicht nur um Janine Wissler als Vorsitzender, sondern auch um ihre relative Stärke auf Bundesebene. Sie reklamiert für sich gern eine grundlegende Kritik an der faktischen Schwerpunktsetzung auf parlamentarische Arbeit, inklusive der in regionalen und kommunalen Vertretungen. Dieser bürgerlichen Realpolitik möchte sie eine andere entgegenstellen, die auf Mobilisierungen und Arbeit in sozialen Bewegungen setzt. Mehr als andere Strömungen beschwört sie auch das sozialistische Ziel – freilich nicht im Sinn einer Übergangsprogrammatik, sondern vielmehr als ein von der realen Arbeit DER LINKEN als Abgeordnete, Gewerkschafter:innen, Aktive in sozialen Bewegungen losgelöstes in der Ferne.

Aber selbst die meisten Sprecher:innen der Bewegungslinken sehen darin kein Problem, weil auch für sie der „Sozialismus“ nur eine Vision darstellt, die erst in ferner Zukunft Realität werden kann. Derweil ist „Transformationsstrategie“ angesagt, also die mehr oder minder pragmatische Kombination von Regierungsbeteiligungen und Bewegungsaktivismus.

Wie fragwürdig ihr „linker Kurs“ jedoch ausfällt, zeigt schon, dass sie faktisch an einer Art friedlicher Koexistenz mit den Reformier:innen festhält. In den letzten Jahren teilten sie sich faktisch die Vorsitzendenposten – zunächst Riexinger/Kipping, dann Wissler/Hennig-Wellsow. Nun soll das Tandem Janine Wissler für die Bewegungslinke und Martin Schirdewan, der dem Reformerflügel zugerechnete Europa-Abgeordnete, übernehmen.

Die Regierungssozialist:innen und Reformer:innen bleiben, wie so oft, in den grundlegenden und programmatischen Fragen vage und formelhaft. Unter „Erneuerung“ verstehen sie Anpassung, vorzugsweise an die bürgerliche Mitte, um so alle Hindernisse für eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene zu beseitigen. Konkrete Programme oder gar verpflichtende Festlegungen brauchen sie allenfalls gegen andere Strömungen und vor allem linke Kräfte. Ansonsten ist ihr Programm vor allem das realpolitische Manöver in Parlamenten und noch mehr an Regierungen.

Personalfragen

Daher gilt auch als die eigentlich spannende Frage auf dem Parteitag nicht, welche Änderungen zu den Leitanträgen angenommen oder abgelehnt werden. Vielleicht können einige der wenigen linken Anträge, die aus der AKL oder aus Verbänden unter dem Einfluss linker Gruppierungen wie der SAV oder der Sol stammen, sogar Achtungserfolge erringen – sofern sie es überhaupt über die Hürden der Parteitagsregie schaffen. Letztlich ist das für die Veranstaltung nebensächlich.

Auch wenn die Partei nicht weiß, wohin es gehen soll, auch wenn es an einer klaren Linie fehlt und diese auch durch weitere Appelle an eine imaginierte Einheit nicht erreicht werden kann, so wissen wir am 26. Juni wenigstens, wer der Partei vorstehen wird.

Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Wissler/Schirdewan das Rennen machen werden. Aber das Ergebnis der wichtigsten Gegenkandidat:innen Sören Pellmann (Bundestagsabgeordneter aus Leipzig) und Heidi Reichinneck (Vorsitzende der LINKEN Niedersachsen), die beide dem Wagenknecht-Lager nahestehen, wird auch Aufschluss über das Kräfteverhältnis geben. Erst recht trifft das auf die Wahlen zum Parteivorstand zu, auch wenn sich alle klar darüber sein müssen, dass dieser keineswegs das alleinige, ja nicht einmal das entscheidende Machtzentrum der Organisation darstellt. Die Bundestagsfraktion und vor allem deren Spitze stellen in der Öffentlichkeit und für die Politik der Partei wohl ein bedeutenderes Gremium dar als die eigentliche Parteiführung. Die Landtagsfraktionen führen ein realpolitisches Eigenleben, das Vorstand und Parteitage nur marginal tangieren. Wo die Linkspartei in Landesregierungen vertreten ist oder gar wie in Thüringen den Ministerpräsidenten stellt, spielen Beschlüsse oder Programme, die dieser Praxis eigentlich widersprechen, keine Rolle.

Charakter der Partei

Das ist natürlich nicht erst seit jüngster Vergangenheit so, es war in der LINKEN (und in ihrer Vorgängerpartei PDS) immer der Fall. Das spiegelt letztlich den Charakter der Gesamtpartei als reformistischer, als bürgerlicher Arbeiter:innenpartei wider. Zur Ehrenrettung DER LINKEN muss hier angeführt werden, dass sie selbst ihren bürgerlich-reformistischen Charakter nie bestritten hat. Dass es ihr bei aller Beschwörung eines letztlich mehr moralisch verstandenen „Sozialismus“ nie um eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft ging, gehört zu ihrem Gründungskonsens. Ganz wie die Sozialdemokratie oder der Labourismus verstand und versteht die Linkspartei ihre Aufgabe in der „Reform“ des Kapitalismus, die über zahlreiche Fortschritte und Rückschläge nach einem langwierigen, im Kern aber graduellen Transformationsprozess zum Sozialismus führen soll.

Dieses Konzept ist, wie die Geschichte und Degeneration der Sozialdemokratie verdeutlichen, historisch gescheitert und theoretisch vom Marxismus längst widerlegt. Das sozialistische Endziel der „Transformation“ dient natürlich auch nicht als reales, sondern vor allem als ideologische Beschwörungsformel, als utopische Begleitmusik zu den Niederungen der „Realpolitik“.

Wer jedoch ablehnt, die Herrschaft des Kapitalismus durch eine Revolution zu brechen, wer von der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und seiner Ersetzung durch die Herrschaft der Arbeiter:innenräte nichts wissen will, der ist letztlich gezwungen, auf den bürgerlichen Staat als Instrument der Veränderung zu setzen. Unter dieser Voraussetzung sind Beteiligungen an bürgerlichen Regierungen notwendig, ja folgerichtig. Offen bleibt nur, ob der Kurs auf Rot-Grün-Rot aktuell oder erst zu einem „günstigeren“ Zeitpunkt opportun erscheint.

Wie gesagt, der großen Mehrheit der Linkspartei kann niemand vorwerfen, dass sie aus ihrem positiven Bezug auf die bürgerliche Demokratie und den bürgerlichen Staat ein Geheimnis gemacht hätte. Wohl aber muss die Linken in der Linkspartei – insbesondere all jene, die vorgeben, in der Tradition des revolutionären Marxismus zu stehen – der Vorwurf treffen, dass sie selbst vor dieser Erkenntnis nur allzu gern die Augen verschlossen und so getan haben, als wäre die Frage des Klassencharakters der Partei noch offen.

Jetzt, wo bei der Linkspartei die Lichter auszugehen drohen, wird zumindest in AKL, SAV und Sol die Frage aufgeworfen, ob es nicht Zeit ist, das lecke Schiff zu verlassen. Diese Gruppierungen machen sich immerhin keine oder relativ wenig Illusionen in die Bewegungslinke, während marx21 tapfer daran festhält, dass DIE LINKE mit gutem Willen und harter Arbeit zu einer Bewegungspartei transformiert werden könnte.

Ursachen für die Existenzkrise

Das die Linkspartei heute vor eine Existenzkrise steht, hat etwas mit ihren inneren politischen Differenzen zu tun. Aber das allein erklärt die Krise nicht. Widersprüche, Gegensätze, verschiedene reformistische Flügel gab es von Beginn an, zum Teil größere, zum Teil sogar heftigere.

Verändert haben sich aber die Haltung der Lohnabhängigen zur Partei und die politische Gesamtlage. Erstens konnte sich DIE LINKE in den ersten Jahren als Partei der Hoffnung gerade für untere Schichten der Arbeiter:innenklasse verkaufen. Unter den Arbeitslosen und schlechter bezahlten Lohnabhängigen verfüge sie über eine starke Wähler:innenbasis, auch weil sie als Anti-Hartz-IV-Partei einigermaßen glaubwürdig in Erscheinung trat. Ihre Gewinne bei den Wahlen gingen vor allem auf Kosten der SPD.

Doch diese Lage hat sich längst verändert – und zwar nicht, weil sich die LINKE anderen Milieus zugewandt hätte, sondern weil sie sich als Partei entpuppte, die an Regierungen das Elend der „Arbeitsmarktverwaltung“ eben auch nur mitgestaltete und nicht beseitigte. An den Regierungen war und ist sie von SPD und Grünen kaum zu unterschieden. Ihr oppositioneller Bonus verblasste und zwar nicht, weil er über Bord geworfen wurde, sondern weil sich die inneren Widersprüche DER LINKEN als bürgerlicher Arbeiter:innenpartei vor den Augen der Arbeiter:innenklasse entfalteten. Sie entpuppte sich als das, was sie immer war: eine Partei, die sich sozial, historisch, organisch auf Teile der Lohnabhängigen stützt, deren Politik jedoch bürgerlich ist, also auf dem Boden der kapitalistischen Ordnung und seines politischen Systems steht.

Die Mitverwaltung des Kapitalismus in Landesregierungen unterminierte nicht nur das Standing der Partei gerade unter den unteren Schichten der Klasse, sondern auch ihre Unterscheidbarkeit zur SPD. Immer weniger wurde sie Anziehungspunkt für Sozialdemokrat:innen, zumal, wenn diese einen kleinen „Linksschwenk“ unternahm. Die Verluste an traditioneller Gefolgschaft der Linkspartei konnten zwar durch eine Gewinnung neuer Aktivist:innen vor allem in Westdeutschland unter Jugendlichen, sozial unterdrückten Teilen der Klasse, aber auch unter Gewerkschafter:innen ausgeglichen werden. Insgesamt stagnierte DIE LINKE jedoch bestenfalls zahlenmäßig.

Von ihren rund 60.000 Mitgliedern sind fast 6.000, also rund 10 %, als gewählte Abgeordnete oder Vertreter:innen in Parlamenten, Landtagen und kommunalen Körperschaften aktiv. Bedenken wir weiter, dass eine Mehrheit der Partei passiv ist, also nicht regelmäßig am Parteileben teilnimmt, so ist schon auf dieser Ebene die Frage nach dem Schwerpunkt der Politik der Partei entschieden. Diese reale und auch angestrebte Einbindung der Partei in den bürgerlichen Staatsapparat und Politikbetrieb findet ihre Entsprechung und Ergänzung in einem vergleichsweise großen Apparat, der staatlich über Parteienförderungen und Stiftungen finanziert ist, und in der Einbindung eines Teils der Funktionär:innen in den Gewerkschaftsapparat.

Es gehört zum düsteren Sittenbild einer bürgerlich-reformistischen Apparatpartei, dass auch sexuelle Übergriffe systematisch auftreten. Im Artikel #LinkeMeToo: Aus den Fehlern lernen! haben wir uns ausführlicher mit dem Umgang damit in der Partei beschäftigt und eigene Vorschläge unterbreitet, wie sexistische und sexuelle Übergriffe und Formen der Gewalt in der Linken und Arbeiter:innenbewegung bekämpft werden sollten. Die Dominanz des Apparates stellt dabei ein zusätzliches Hindernis für die Bekämpfung von Sexismus und allen anderen Formen der Unterdrückung dar, weil Aufstieg und Auswahl von einer Bürokratie bestimmt werden (selbst wenn es formale Wahlen geben sollte).

Die Partei findet sich, wie wir oben gezeigt haben, fest in den Händen einer Bürokratie.

Die Gegensätze von Bewegungslinker, Regierungssozialismus und Linkspopulismus sind solche von Strömungen innerhalb des Reformismus wie auch Apparates. Ihr Kampf ist keinesfalls nur, ja nicht einmal in erster Linie einer um Ideen und Programm, sondern auch um den Anteil an den bürokratischen Posten und Wahlämtern, die die Partei noch zu bieten hat.

Es ist aber kein Zufall, dass sich die aktuellen Strömungen der Partei um die sog. „Flüchtlingskrise“ und mit dem Rechtsruck in der Gesellschaft formierten. Ein Teil der Linkspartei trat verbal für offene Grenzen und Solidarität mit den Geflüchteten ein. Die Regierungssozialist:innen gaben sich antirassistisch in Worten und ließen stillschweigend weiter abschieben. Der populistische Flügel trat auf den Plan und äußerte Verständnis für Chauvinismus und Rassismus und machte im Namen der „normalen“ Menschen gegen offene Grenzen Stimmung.

Seither lässt sich fast bei jeder wichtigen politischen Frage verorten, dass die verschiedenen Flügel der Linkspartei unterschiedliche Positionen und Standpunkt einnehmen, von einem relativ fortschrittlichen Linksreformismus bei der Bewegungslinken über einen liberal-aufgeklärten Sozialreformismus bei den Regierungssozialist:innen zu einem Linkspopulismus, der Verteidigung des „Sozialstaates“ und der „sozialen“ Marktwirtschaft mit Chauvinismus kombiniert.

Der Krieg um die Ukraine, der Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den imperialistischen Mächten und die globale ökonomische Krise spitzen die Frage weiter zu, auch weil die großen weltgeschichtlichen Fragen selbst wenig Spielraum für reformistische, gut gemeinte Beschwörungsformeln lassen. Angesichts von Krieg, wirtschaftlicher Krise und fortschreitender ökologischer Katastrophe wäre ein Aktionsprogramm notwendig, ein System von Übergangsforderungen, das den Kampf gegen den imperialistischen Krieg, gegen Militarisierung und Aufrüstung, gegen das Erstarken des deutschen Imperialismus mit dem gegen Inflation, Gesundheits- und Umweltkrise und andere Angriffe verbindet. Ein solches Programm müsste die Frage nach Enteignung der großen Kapitale unter Arbeiter:innenkontrolle, nach einer planwirtschaftlichen Reorganisation von Produktion und Reproduktion gemäß der Bedürfnisse der Massen und ökologischer Nachhaltigkeit ins Zentrum stellen. Es müsste ein Programm des Klassenkampfes entwickelt werden, das in den Gewerkschaften und Betrieben den Kampf für eine klassenkämpferische Opposition ins Zentrum stellt, zum Aufbau von Aktionskomitees gegen Krieg und Krise aufruft, um die Massenorganisationen der Klasse zum Handeln bis hin zum politischen Massenstreik zu treiben.

Die Linkspartei wird das nicht tun. Alle ihre dominierenden Flügel bewegen sich nicht in diese Richtung, egal wie die Wahlen zum Parteivorstand ausgehen werden. Statt eines Aufbruchs in eine „neue Zeit“ wird es für die Linkspartei mit Agonie weitergehen. Bei allem Beschwören von Einheit und eines „strategischen Zentrums“ werden die vielen Stimmen nicht verstummen, weil die verschiedenen Strömungen in unterschiedliche Richtungen drängen, weil die Partei ihre verbliebenen Positionen im Parlament und in den Landtagen, also gemeinsame Pfründe, noch zusammenhalten. Eine strategische Ausrichtung, geschweige denn ein tragfähiges Programm kann das nicht ergeben.

Für jene Linken in der Linkspartei, die sich der Todeskrise der Partei bewusst werden, stellt sich jedoch nicht erst mit dem Parteitag die Frage: wie weiter? Und das ist vor allem eine programmatische Frage. Ob die Linkspartei als reformistische Partei überlebt oder nicht, hängt sicher nicht nur von politischen Klärungen ab. Eine Krise der Ampel-Koalition und/oder der SPD, Risse zwischen Regierung und Gewerkschaften für den Fall, dass Inflation und Krise immer weniger abgedämpft werden können, könnten selbst einer Linkspartei im Siechtum eventuell einen gewissen Aufschwung bringen. Die Probleme löst das aber nicht nicht.

Für alle antikapitalistischen Kräfte, für alle, die in der AKL und anderen anderen linken Strömungen agieren, stellt sich die Frage nach einem Kampf gegen den Apparat auf einer klaren programmatischen Grundlage. Es ist aber deutlich, dass eine solche Auseinandersetzung vor allem darauf zielen müsste, Kräfte für den Bruch mit der Linkspartei zu sammeln und gemeinsam mit antikapitalistischen Kräften, die gegen Krieg und Krise kämpfen, in Diskussion um die Erarbeitung eines Aktionsprogramms und die Grundlagen einer revolutionären Alternative zur Linkspartei zu treten.




Vor den Wahlen in NRW: Die unendliche Agonie

Stefan Katzer, Neue Internationale 264, Mai 2022

Die Linkspartei liegt auf dem Sterbebett, und keine:r weiß, ob sie da irgendwann nochmal rauskommt.  Die Bilanz der letzten Monate sieht auf jeden Fall – diplomatisch gesagt – bescheiden aus. Bei der Bundestagswahl konnte sie nur durch drei Direktmandate noch ins Parlament einziehen. Im Zuge der Senatsbildung in Berlin ließ sie den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ wie eine heiße Kartoffel fallen und schmiegte sich gewohnt opportunistisch an die SPD und Grünen an. Bei der Saarlandwahl gab es dann einen 10 % – Absturz, nachdem sich der Landesverband selbst für Verhältnisse der LINKEN grandios in Zwistigkeiten und Animositäten zerlegt hat. Oskar Lafontaine trat aus und riss beim Rausgehen noch Wände ein.

Krieg, Corona und Krise haben auch für die Partei die Überlebenskrise eingeläutet. Orientierunslos treibt sie dahin. Prinzipienlos versuchte sich ihre Führung, vor der Bundestagswahl an Grüne und SPD anzubiedern, warf das Parteiprogramm über Bord – und verlor. Beim Tauziehen zwischen dem unbedingten Willen zum Mitregieren des rechten Flügels der Regierungssozialist:innen und der Verwirrung der Bewegungslinken zu quasi allen politischen Fragen ist das Seil zum Äußersten gespannt. Reißt es, liegen alle im Morast (hier gibt es dann doch noch Einigkeit – wobei just der Streit entbrennt, warum man jetzt im Schlamm liegt). Und als wäre das nicht genug, passt zwischen Wagenknecht’scher Querdenker:innensympatie und der Schockstarre derer, deren Weltbild mit Putins Krieg zersplitterte, dann auch noch ein parteiinterner #metoo – Skandal, der jahrelange schlechtmöglichste Aufarbeitung, nämlich Vertuschung offenbart. Parteivorsitzende Hennig-Wellsow trat zurück, auch um so Wissler und die Bewegungslinke unter Druck zu setzen.

Dementsprechend ist bei anstehenden Landtagswahlen in NRW und Schleswig-Holstein kein Befreiungsschlag zu erwarten – im Gegenteil. Direkt vor den Wahlen ist der Verwesungsgeruch beißend geworden. Immerhin werden die nächsten Niederlagen öffentlich kaum auffallen, denn in Düsseldorf und Kiel kann die LINKE gar nicht aus dem Landtag fliegen – weil sie nicht drin sitzt.

Getrennt marschieren – vereint verlieren?

Nach dem Saarland-Debakel analysierten die Bundesvorsitzenden der LINKEN, Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow (da war sie noch im Amt), dass zerstrittene Parteien nun mal nicht gewählt würden. Deshalb sei es jetzt notwendig, solidarisch miteinander umzugehen, Konflikte produktiv auszutragen und nach außen geschlossen aufzutreten. Es gelte das, wofür die Partei stehe, in den Vordergrund zu rücken und gemeinsam für soziale Gerechtigkeit, faire Bildungschancen, gegen Aufrüstung etc. einzustehen.

Aber Geschlossenheit lässt sich nicht herbeireden. DIE LINKE besteht derzeit de facto aus drei Flügeln, die unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wohin sie sich entwickeln sollte und wie sie dort hinkommen kann. Während ein Teil offen für Regierungsbeteiligungen und alle dazu notwendigen Kompromisse (Fortbestehen der NATO, Auslandseinsätze der Bundeswehr etc.) eintritt, gibt es andere, die dies – zumindest im Moment – ablehnen. Vertritt der linkspopulistische Flügel um Wagenknecht sozialchauvinistische Positionen und fordert eine Abkehr von angeblich kleinbürgerlicher „Minderheitenpolitik“, stehen andere (zumindest auf dem Papier) für offene Grenzen und internationale Solidarität. Während ein Teil auf die „Arbeit“ im Parlament und die Gewinnung von Mandaten fokussiert, strebt die sog. „Bewegungslinke“  eine stärkere Orientierung auf soziale Bewegungen an. Letztere ist in NRW verhältnismäßig stark. Die Wahl wird auf die Bewegungslinke stärkere Auswirkungen haben als z. B. jene im Saarland, die Niederlage wäre zu einem guten Teil ihre, auch wenn die Zwistigkeiten und Skandale aus der Gesamtpartei ebenfalls einen starken Einfluss ausüben. Der einst relativ bekannte antikapitalistische Flügel um die AKL scheint derweil schon fast verstorben.

Abgestandener Reformismus

Bei allen Differenzen vertritt DIE LINKE insgesamt ein reformistisches Programm. Dieses beinhaltet zwar offiziell auch die Überwindung des Kapitalismus als Zielvorstellung, real fokussiert sich die Partei aber auf einen „Ausgleich“ der sozialen Interessen innerhalb der besthenden Gesellschaft. Ein solches Programm zerbricht aber an der sich krisenhaft zuspitzenden Realität der kapitalistischen Klassengesellschaft, welche immer weniger Spielraum für einen „sozialen Ausgleich“ lässt. Real ist sie (auf kommunaler und Landesebene) bereits seit langem eingebunden in die Mitverwaltung des Kapitalismus. Vor der Bundestagswahl hat die Führung der Partei zudem deutlich gemacht, dass sie dazu bereit ist, auf wesentliche Teile ihres Programms zu verzichten, um endlich ein „progressives Bündnis“ mit Grünen und SPD auch auf Bundesebene realisieren zu können (was die aber gar nicht wollen).

Der Sozialismus, den man angeblich irgendwann einmal erkämpfen möchte, bleibt als Fernziel mit der realen Politik der Partei unvermittelt.

Während Klima- und Biodiversitätskrise eskalieren, Inflationsraten von über 5 % die Löhne auffressen, der sich zuspitzende Kampf um die Neuaufteilung der Welt die Menschheit mit einem globalen Krieg bedroht, tut der größte Teil der LINKEN so, als gäbe es ein Zurück zum Sozialstaat der 1980er Jahre und zur „Friedenspolitik“ Willy Brandts. Der LINKEN dies vorzuwerfen, läuft aber letztlich darauf hinaus, sie zu bezichtigen, dass sie eben DIE LINKE ist: eine reformistische Partei ohne revolutionären Anspruch!

Hinzu kommt, dass die bürgerliche Realpolitik der Linkspartei in den Landesregierungen und ihre Anpassung an SPD und Grüne selbst die Frage aufwerfen, wozu sie überhaupt gebraucht wird. Tritt sie nur als etwas linkere Variante der Sozialdemokratie in Erscheinung tritt, liegt es nahe, dass reformistische Wähler:innen gleich das sozialdemokratische Original wählen, statt ihre Stimme für eine etwas linkere, parlamentarisch jedoch aussichtslose Kopie zu verschwenden. So geschehen im Saarland, aber auch bei der Bundestagswahl.

Revolutionär:innen und DIE LINKE

Die Aufgabe und der Anspruch von Revolutionär:innen bestehen nun nicht darin, einer reformistischen Partei Tipps zu geben, wie sie bei bürgerlichen Parlamentswahlen erfolgreich sein kann (was aufgrund der geschilderten Widersprüchlichkeit des Reformismus ohnehin schwer zu bewältigen ist). Vielmehr geht es darum, zu verdeutlichen, dass eine Politik auf der Grundlage eines Programms notwendig ist, das der tatsächlichen Lage angemessen ist und die Überwindung des Kapitalismus nicht als abstraktes Fernziel begreift, sondern im Rahmen eines Systems von Übergangsforderungen Kämpfe um konkrete Verbesserungen mit diesem Ziel verbindet.

Diejenigen Kräfte innerhalb der Linkspartei (aber auch der SPD), denen es darum geht, die Kämpfe der Lohnabhängigen und Unterdrückten wirklich voranzubringen und sie selbst als Subjekt der Veränderung zu begreifen, rufen wir dazu auf, gemeinsam mit allen anderen Organisationen der Arbeiter:innenklasse ihre Reorganisation voranzutreiben, um zur zentralen, eigenständigen Kraft im Kampf gegen Krise, Kapital und Klimakatastrophe zu werden.

Dies ist die zentrale Aufgabe einer linken, revolutionären Kraft – nicht die Gewinnung von Sitzen in bürgerlichen Parlamenten für eine reformistische Partei, die sich vor allem auf passive Wähler:innen stützt und davon träumt, durch treue Mitwirkung an der Elendsverwaltung des Kapitalismus einige Krümel für „die kleinen Leute“ abstauben zu können – und nebenbei den eigenen Posten zu retten.

Der Niedergang der Linkspartei verdeutlicht die Dringlichkeit einer Debatte um Ziele und Mittel unseres Kampfes. Letztlich geht es um die Frage, wie wir die unterschiedlichen Auseinandersetzungen und sozialen Bewegungen miteinander verbinden und ein gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Perspektive entwickeln können. Hierfür braucht es einen konkreten Startpunkt, diese Diskussion und einen gemeinsamen Kampfplan zur Gegenwehr zu organisieren. Wir schlagen deshalb vor, eine Aktionskonferenz zu organisieren, auf welcher diese Fragen übergreifend von möglichst allen Organisationen der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten diskutiert werden können. Eine solche Konferenz sollte sich darauf konzentrieren, konkrete Forderungen und Kampfmittel festzulegen, um den Angriffen von Rot-Grün-Gelb und des Kapitals gemeinsam entgegenzutreten und mit dem Kampf gegen den deutschen Imperialismus und die Kriegsgefahr zu verbinden.




#LinkeMeToo: Aus den Fehlern lernen!

Jaqueline Katherina Singh, Infomail 1185, 18. April 2022

Der SPIEGEL-Artikel „Entweder wir brechen das jetzt, oder die Partei bricht“ und unzählige Tweets unter dem Hashtag #LinkeMeToo sorgen für Aufregung. Es wird von Missbrauchsvorfällen berichtet innerhalb des hessischen Landesverbandes der Linkspartei sowie der Linksjugend. Unter den zehn Betroffenen, mit denen der SPIEGEL gesprochen hat, ist auch eine Person, die zum Zeitpunkt der Vorfälle 2017/18 minderjährig war. Besonders sticht dies heraus, da mehrere Betroffene sagen, dass führende Mitglieder von den Vorfällen gewusst, aber nichts getan hätten – darunter auch Janine Wissler, aktuelle Bundesvorsitzende der Linkspartei. Ein paar Worte zur beginnenden Debatte.

Sexualisierte Gewalt in linken Strukturen

Zuerst muss klar gesagt werden: Lasst uns bitte nicht schockiert tun! Sexismus und sexualisierte Gewalt sind niemals „das Problem der anderen“. Sie sind Alltag in der gesamten Gesellschaft. Politik und linke Strukturen bilden keine Ausnahme. Sie sind keine Inseln der Freiheit, wo alle unbefangen miteinander leben können.
Das ist auch logisch. Wir alle sind von der bürgerlichen Gesellschaft geprägt, verinnerlichen dementsprechend Rollenbilder sowie Stereotype, die nicht einfach so verschwinden. Gerade in großen Organisationen sind unterschiedliche Wissens- und Bewusstseinsstände normal, auch, weil neue und neu politisierte Menschen hinzukommen. Entsetzt zu sein, dass „so etwas überhaupt jemals passieren konnte“, ist Teil des Problems. Es geht davon aus, dass es sichere Räume geben könne, aus denen ein für alle Mal rückständige Ideen und Verhalten verbannt sein könnten. Das gibt es leider nicht. Gleichzeitig sorgt diese Annahme auch dafür, dass gewaltausübende Personen (Täter:innen) es leichter haben, sich aus der Anklage zu ziehen. Denn wenn es so unglaublich, so unfassbar ist, dass Gewalt stattgefunden hat, ist es auch leichter, Betroffenen nicht zu glauben, zu zweifeln und keine Schritte zur Klärung einzuleiten.

Lasst uns deswegen sagen: Sexismus und sexualisierte Gewalt sind Probleme der Gesellschaft und deswegen ist die Linke nicht frei davon. Das senkt die Hemmschwelle für Betroffene, sich zu erkennen zu geben, und bricht mit der Schweigekultur. Die Frage ist nicht, ob es die Übergriffe überhaupt gibt, sondern welche Strukturen aufgebaut werden, um dagegen anzugehen.

Stellungnahmen und Konsequenzen

Der hessische Landesvorstand hat am 15. April eine kurze Stellungnahme herausgegeben. In dieser wird davon gesprochen, dass dieser Ende November 2021 Kenntnis erlangte und begonnen hat, auf allen Ebenen das Geschehene aufzuarbeiten. Perspektivisch sollen Vertrauenspersonen eingesetzt sowie ein Workshop zur Sexismussensibilisierung organisiert werden. Im Statement der Bundespartei, ebenso vom 15. April, wird klar gemacht: „Patriarchale Machtstrukturen finden sich überall in der Gesellschaft. DIE LINKE ist davon nicht ausgenommen.“ Ebenso wird festgehalten, dass der Parteivorstand im Oktober 2021 die Vertrauensgruppe innerhalb des Parteivorstandes gegründet hat, um Menschen, die innerhalb der LINKEN Erfahrungen mit Sexismus, Übergriffen oder Diskriminierung machen, beratend zur Seite zu stehen. Im SPIEGEL wird dies zwar erwähnt, näher beleuchtet wird die Arbeitsweise und Zusammensetzung dieses Gremiums aber nicht. In den Fokus gestellt wird dafür ein Handout zu den „Vorwürfen sexualisierter Gewalt“ – geschrieben von einem mutmaßlichen Täter.

Es ist gut, dass es die Schritte gegeben hat. Der Kritikpunkt, der intern aufgearbeitet werden muss, lautet: Warum braucht es für die Einrichtung solcher Dinge erst den öffentlichen Druck von Betroffenen? Welche Annahmen hat es gegeben, dass diese nicht schon früher eingeleitet wurden?

Als Antwort auf die Artikel hat auch der Jugendverband einen offenen Brief verfasst, den bisher 500 Mitglieder unterschrieben haben. In diesem werden u. a. gefordert:

  • Transparente und lückenlose Aufklärung aller Vorfälle.
  • Verpflichtende Awarenessstrukturen, deren Mitglieder nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Partei stehen oder Abgeordnete sind.
  • Verpflichtende Seminare zum Thema Awareness und Feminismus für Funktionär:innen und Angestellte.
  • Finanzielle Unterstützung durch DIE LINKE für alle Betroffenen, wenn sie juristische oder auch psychologische Beratung und Hilfe in Anspruch nehmen.
  • Eine Vertrauensperson für Mitarbeitende von Partei, Mandatsträger:innen und Fraktionen, die von Sexismus, verbalen Übergriffen und sexualisierter Gewalt betroffen sind.

Dies sind unterstützenswerte Forderungen. Die Aufarbeitung scheint begonnen zu haben und die Forderung nach Strukturen, die nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Funktionen stehen, ist enorm wichtig. Auf weitere Punkte, die sinnvoll sein könnten, gehen wir im späteren Teil des Artikels ein. Zuerst wollen wir uns jedoch mit einer anderen Frage beschäftigen:

Rücktritt als Lösung?

Ebenso wird in dem offenen Brief auch der Rücktritt aller beteiligten Personen gefordert – ob sie nun selber Täter:in sind oder die Taten anderer gedeckt haben. Dazu soll an der Stelle gesagt werden: Ein Wechsel von Personen bedeutet nicht immer, dass der Umgang sich verbessert und nachhaltige Strukturen geschaffen werden. Vielmehr kommt es auf Einsicht an. Damit ist nicht gemeint, dass alle, die jetzt aufschreien, aus dem Schneider sind. Das heißt: Jene, die beiseite treten, die offen Fehler eingestehen, jene, die den Raum für Aufklärung freimachen, sollten bedacht werden – denn es ist ein Zeichen, mit den Strukturen brechen zu wollen. So hat Janine Wissler selbst eine Stellungnahme verfasst, in der sie zu den aufgeworfenen Fragen des SPIEGEL Stellung bezieht und klarmacht, dass sie nicht wusste, dass es sich für die Betroffene um eine Grenzüberschreitung gehandelt hat. Ob diese ausreichend ist oder nicht, sollte eine Kommission entscheiden – nicht nur bei ihr, sondern allen, die involviert waren. Besagte Kommission sollte aus FLINTA-Mitgliedern bestehen, die unabhängig vom Parteiapparat sind und die verschiedenen politischen Strömungen der Partei repräsentieren. Auch kann so verhindert werden, dass solche Fälle für politische Machtkämpfe um Posten benutzt werden können.
Aber Achtung: Das Problem bei Awarenessstrukturen und Meldestellen liegt immer darin, dass diese nur so effektiv sind wie das Bewusstsein der Leute dort selber. Denn ein Problem, warum Diskriminierungen totgeschwiegen werden und man auf soviel Widerstand bei der Aufklärung stößt, sind die unklaren Konsequenzen. Wer Angst hat, für jeden Fehler abgestraft zu werden, wird das Beste versuchen, diese Fehler unter den Teppich zu kehren, insbesondere wenn Einkommen und Karriere davon abhängig sind. Das ist an der Stelle kein Appell für einen Freifahrtschein für Täter:innen und jene, die sie schützen. Es ist ein Appell dafür, künftig mit den Konzepten von Transformative Justice zu arbeiten, wo es Sinn macht.

Der Kampf für Verbesserung ist ein gesamtgesellschaftlicher

Viele Dinge müssen geschehen. Die Diskussion in DIE LINKE und [‚solid| könnte so einen Beitrag leisten im Kampf gegen Sexismus und Gewalt in der Linken und in der Arbeiter:innenbewegung. Aber wie? Gesamtgesellschaftlich brauchen wir einen anderen Umgang mit sexualisierter Gewalt. Zuerst braucht es eine politische Kampagne, die konkrete Verbesserungen erkämpft. Forderungen, die dringend notwendig sind:

1. Flächendeckende Meldestellen für sexuelle Gewalt!

Für flächendeckende Anlaufstellen zur Meldung von sexueller Gewalt, die ebenso, wenn gewünscht, kostenlose psychologische Beratung anbieten. Dies muss damit verbunden werden, dass es breite Aufklärungskampagnen bezüglich Gewalt an Frauen an Schulen, Universitäten und in Betrieben gibt.

2. Finanzielle Unterstützung für Betroffene!

Im Falle eines konkreten gerichtlichen Prozesses braucht es besondere Unterstützung für die Betroffenen. Dabei reden wir nicht nur von psychologischer, sondern kostenloser Rechtsberatung und Übernahme der Prozesskosten, unabhängig von dessen Ausgang. Darüber hinaus bedarf es längerfristige Hilfeangebote für Betroffene von sexueller Gewalt, finanziert durch den Staat. Solche Verfahren sind keine Kleinigkeit. Deswegen bedarf es des Rechts auf mehr bezahlte Freistellung, zusätzliche Urlaubstage sowie eine Mindestsicherung, angepasst an die Inflation! Dies ist notwendig, um die ökonomische Grundsicherung für Betroffene zu gewährleisten, ihnen überhaupt die Möglichkeit zu geben, sich so einem aufreibenden Prozess zu stellen.

3. Öffentliche Untersuchungen und Verfahren unter Kontrolle der Betroffenen und der Arbeiter:innenbewegung!

Die ersten beiden Forderungen wären im Hier und Jetzt einfach umzusetzen. Die dritte ist nicht so einfach, aber die substantiellste. Solange der bürgerliche Polizei- und Justizapparat die Untersuchungen und Rechtsprechung beherrscht, werden Verbesserungen immer wieder an diesen Strukturen scheitern oder bestenfalls auf halbem Wege steckenbleiben. Es braucht daher vom Staatsapparat unabhängige Untersuchungskommissionen sowie von den Betroffenen gewählte Richter:innen. Diese sollten mehrheitlich aus Frauen und geschlechtlich Unterdrückten zusammengesetzt sein.

Ebenso sollten sie für den Umgang mit Betroffenen von Gewalt sensibilisiert und geschult worden sein. So kann man gewährleisten, dass Entscheidungen hinterfragt werden und nicht abhängig von der männlichen Sozialisierung der Richtenden und Untersuchenden sind. Im Zuge dessen könnte auch das Sexualstrafrecht überarbeitet werden und festhalten, dass das Konsensprinzip „Nur Ja heißt Ja“ eine sinnvolle Grundlage wäre. Warum? Dies liegt dem Ansatz zu Grunde, dass Polizei und Staat zum einen kein materielles Interesse an der Verfolgung solcher Vorwürfe hegen. Zum anderen sind diese Formen wesentlich fortschrittlicher, als wenn jede/r für sich alleine bestimmt, was richtig ist und nicht. Ausführlicher leiten wir das in diesem Artikel her: https://arbeiterinnenmacht.de/2022/03/17/kampf-gegen-sexuelle-gewalt-abseits-des-staates-gegen-oder-mit-ihm/

Und in linken Strukturen?

Der Kampf für so eine Kampagne ist essentiell. Denn linke Strukturen sind aus sich heraus nicht nur meist zu schwach, dauerhafte und professionelle Hilfe für Betroffene zu gewährleisten – was es diesen wiederum erschwert, wieder in politischen Zusammenhängen aktiv zu werden. Sie können und sollen auch keinen Ersatz die Herstellung allgemeiner gesellschaftlicher Rechte im Kampf gegen Unterdrückung bilden. Doch das heißt nicht, dass man bis dahin nichts tun kann. Präventionsarbeit durch beispielsweise regelmäßige Debatten über sexuellen Konsens sind ein Beispiel – unabhängig davon, ob es Übergriffe gegeben hat oder nicht. Dabei braucht es das Verständnis, insbesondere für männlich Sozialisierte, dass ein Ausbleiben eines Ja keine Zustimmung ist. Nur Ja heißt Ja und aktives Nachfragen ist nicht nur nett, sondern notwendig. Zudem braucht es eine Sensibilisierung für den Umgang mit Machtverhältnissen wie Alter, Herkunft oder auch Stellung in der eigenen Gruppe. Für weiblich sozialisierte Menschen macht es Sinn, sich dessen bewusst(er) zu werden und zu lernen, wie die eigenen Bedürfnisse artikuliert werden können. Darüber hinaus braucht es eigene Treffen – Caucusse – für gesellschaftlich diskriminierte Gruppen, die sich über Missstände innerhalb von linken Strukturen austauschen und Veränderungen einfordern.

DIE LINKE hat sicher Mist gebaut. Aber sie hat die Chance, ja die Pflicht, ihre Politik zu ändern. Sie verfügt über die Ressourcen, eine Kampagne zu starten, wie sie hier umrissen ist. Das würde nicht nur den Betroffenen am ehesten gerecht werden. Es kann auch dafür sorgen, dass DIE LINKE mal wieder irgendeinen ernstzunehmenden Kampf führt, was zur Zeit sicher keine/r behaupten kann.




Linksjugend [‘solid] Berlin: Liebknecht oder Lederer

Gastbeitrag von Dan Kedem (Mitglied der Linksjugend [‘solid] Berlin) und Tim Jonat, ursprünglich erschienen auf Klasse gegen Klasse, Infomail 1184, 12. April 2022

Am Sonntag tagte die 31. Landesvollversammlung der linksjugend [‘solid] Berlin. Eine rechte Wende im Verband wurde zwar abgewandt, aber jetzt gilt es den Linkskurs jenseits von Beschlüssen umzusetzen.

Nach einem letzten Mobilisierungsversuch der Parteibürokratie vor Tagungsbeginn startete die 31. Landesvollversammlung der linksjugend [‘solid] Berlin mit unklaren Mehrheitsverhältnissen. Unter anderem wurden Nachwuchskarrierist:innen aus den sogenannten Jugend-Basisorganisationen (Einheiten der Parteibürokratie) mit dem Ziel mobilisiert, rechte Mehrheiten zu sichern und einen reformistischen, an die Parteibürokratie angepassten Kurs innerhalb des Jugendverbandes wiederherzustellen. Die Parteibürokratie hat sich mehrmals über den Kurs des Jugendverbands unzufrieden gezeigt und hat den Wunsch auch öffentlich geäußert (neben zahlreichen Distanzierungen), den Jugendverband wieder auf Kurs bringen zu wollen. Paul Schlüter zum Beispiel, seinerseits Mitglied des Parteivorstands der LINKE Berlin, war als „aktives“ Mitglied bei der Mitgliederversammlung dabei. Formell ist seine Mitgliedschaft durch Zahlung des Mitgliedsbeitrags zwar aktiv, gesehen hat man ihn auf solid Veranstaltungen aber noch nie. Spekulieren kann man nur, ob er von Klaus Lederer persönlich mobilisiert wurde.

Zur Einleitung der Tagung startete diese mit Grußworten der Abgeordneten Katalin Gennburg und Ferat Ali Kocak, welche beide für eine starke Linke und eine „widerständige“ Jugendorganisation appellierten. Gennburg forderte allerdings auch, dass Deutsche Wohnen und Co. enteignen (DWE) unbedingt in die Expert:innenkommission des Senats gehen sollten, nachdem dieser die Forderungen der Initiative von ⅔ der Sitze in der Kommission ignorierte und alles dafür tat, den Volksentscheid zu zermürben. Sie hat den Eindruck gemacht, der Parteijugend einreden zu wollen, dass wirklich an eine Umsetzung mit SPD und Grünen gearbeitet wird, und biederte sich insoweit an die Parteiführung an, dass sie das Gesagte von Katina Schubert am vergangenen Wochenende zu einem möglichen Austritt aus der Koalition, falls DWE nicht umgesetzt wird, wiederholte. Zum Krieg in der Ukraine hatte sie im Gegensatz zu den anderen Grußworten gar nichts zu sagen, obwohl sie alleine fast so lang gesprochen hat wie die anderen beiden zusammen.

Schlussendlich folgte ein Grußwort der Jugendorganisation REVOLUTION, die die starke Zusammenarbeit mit der Solid gegen Rassismus, die Immobilienwirtschaft und für einen starken Antimilitarismus begrüßten. Es folgten starke Appelle an den Jugendverband, welcher sich von seinem reformistischen Kurs abwenden und endlich revolutionäre Positionen vertreten müsse. Dafür sei es auch notwendig, sich der Mutterpartei zu stellen, denn DIE LINKE steht dem revolutionären Anspruch des linken Solid-Flügels diametral entgegen und praktiziert eine bürgerliche Politik, die der Sozialdemokratie identisch ist. Die Solid müsse einen Trennstrich zwischen der eigenen und der bürgerlichen Politik machen und einsehen, dass selbst Reformen immer von Arbeiter:innenkämpfen und eben nicht von Parlamenten ausgingen. Wir hoffen, dass REVOLUTION bereit ist, den Kampf gegen die verräterische Politik der LINKEn mit der Solid aufzunehmen und sie dabei zu unterstützen.

Nach diesem starken Schlusswort ging es in die allgemeine Tagesordnung über.

Wie üblich wurde mit einer rechten Mehrheit im Landesverband das Stimmrecht und dieses Mal auch das Wahlrecht für Sympathisant:innen (passive Mitglieder sowie nicht-Mitglieder des Verbandes) beschlossen, nachdem durch administrative Vorgänge einige Anmeldungen schief gingen und nicht genau klar war, wer aktives Mitglied und wer Sympathisant:in ist. Aufgrund dessen war es noch undurchsichtiger, wie die einzelnen politischen Lager verteilt waren.

Nach einer beschlossenen Generalüberholung der Satzung wurde von Seiten des rechten Flügels des Landessprecher:innenrats versucht, ein weiteres bürokratisches Mittel innerhalb des Landesverbandes durchzusetzen: ein sogenannter Basisgruppenrat, der einzelnen Delegierten weitreichende Befugnisse geben und die rechte Mehrheit unter den Basisgruppen gegen die nach links orientierte Mehrheit im Landesvorstand ausspielen sollte. Dieser Antrag wurde abgelehnt – ein weiterer guter Schritt für das linke Lager im Landesverband, denn so kann bisher zumindest garantiert werden, dass die rechte Mehrheit im Landesverband keine Beschlüsse eines linken Landesvorstands aufheben kann.

Die eigentlich wichtigen Punkte dieser Landesvollversammlung waren allerdings die Nachwahl der freigewordenen Stellen im Landesvorstand der Solid sowie die inhaltliche Antragsphase.

Linke Anträge für Enteignung, gegen Krieg und Aufrüstung

Begonnen wurde mit einem Antrag, der einen Kernteil einer jeden revolutionären Übergangsprogrammatik ausmacht: nämlich die Ablehnung von Entschädigungszahlungen und die Expropriation (Enteignung) der Expropriateur:innen. Im Antrag wird folgendes festgehalten:

  • Ablehnung der Entschädigung
  • Stellung des nationalisierten Eigentums unter Arbeiter:innenkontrolle
  • Verbindung der Frage der Enteignung mit der Frage nach der politischen Macht
  • Ablehnung des bürgerlichen Formalismus, das heißt: der Kampf um die Vergesellschaftung kann sich nicht auf Instrumente einer bürgerlichen Verfassung berufen und deren Umsetzung durch eine bürgerliche Regierung

Zur Überraschung des linken Lagers wurde dieser Antrag, nach starkem Einwand von Rechten, welche sich auf das Grundgesetz beriefen und für eine Entschädigung plädierten, mit einer ⅔-Mehrheit angenommen.

Der nächste Antrag aus dem linken Flügel, welcher den Rausschmiss von Agent:innen des Kapitals aus der Partei DIE LINKE forderte, wurde mit 45 Prozent Ja- zu 45 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Dieser forderte auch den Aufbau einer Partei nach den folgenden Organisationsprinzipien:

  • Funktionär:innen und Mandatsträger:innen für die Partei DIE LINKE verdienen nur einen Arbeiter:innenlohn und sind verpflichtet, den Rest ihres Gehalts an Streikkassen und andere vom Staat unabhängigen Organisationen der Klasse weiterzugeben
  • Die jederzeitige Abwählbarkeit aller Funktionsträger:innen und Mandatsträger:innen
  • Rechenschaftspflichtigkeit gegenüber den unteren Ebenen der Partei
  • Maximale Amtszeitbegrenzung auf zwei Legislaturen

An dieser Abstimmung wurde ersichtlich, dass die Lager auf der Versammlung ungefähr gleichmäßig verteilt waren. Wären allerdings ein Paul Schlüter aus dem Landesvorstand oder Nachwuchskarrierist:innen aus den Jugend-BOs nicht geschickt worden, hätte der eigentliche Jugendverband – zumindest auf Landesebene – sehr wohl ein Interesse an einer antibürokratischen Arbeiter:innenpartei. Die Mutterpartei ist sich jedoch für nichts zu schade und versucht zu sabotieren, wo es nur geht.

Wofür die Stimmen des rechten Lagers nicht genügten, war der nächste Antrag, welcher den sofortigen Austritt der LINKEn Berlin aus der Regierung fordert. Die Bedingungen, welche an eine Fortsetzung der Regierungsbeteiligung geknüpft waren, sind nicht umsetzbar und werden tagtäglich von der Linksfraktion verraten. Deshalb war für die Mehrheit des Jugendverbandes klar, dass die Partei aus der Regierung heraus muss. Ein weiterer Erfolg für das revolutionäre Lager.

Die Forderungen waren:

  •  Sofortige Umsetzung von Deutsche Wohnen und co. enteignen
  •  Sofortiger Abschiebestopp in der rassistischen Migrationspolitik
  •  Sofortiger Abbruch des Autobahnausbaus der A100
  •  Sofortiger Stopp der Ausschreibungen für die S-Bahn-Privatisierung
  •  Einführung des kostenlosen ÖPNVs in Berlin

Zum Anfang der Versammlung wurde klar, dass im Landessprecher:innenrat die Priorisierung der Anträge kontrovers diskutiert wurde. Dies wurde spätestens deutlich, als mehrere mehr oder weniger unkontroverse Anträge zu Verbandsinterna wie dem öffentlichen Auftreten, eine Logoänderung und die Streichung des Sonderzeichen im Namen aneinandergereiht wurden. Nach einer erfolgreichen Änderung der Geschäftsordnung wurde der Antrag zur Neupositionierung des Berliner Landesverbandes zur Situation in Israel und Palästina vorgezogen. Die Debatte schien zunächst sehr heikel zu werden, schließlich umfasste dieser Antrag mehrere Forderungen, die vom Bundesverband und Partei als inakzeptabel angesehen werden und Positionen, die in der Vergangenheit zu Ausschlussforderungen führten. Folgende Forderungen waren im Antrag enthalten:

  • Unterstützung einer sozialistischen Ein-Staaten-Lösung auf dem Gebiet des historischen Palästinas
  •  Anerkennung Israels als Apartheidstaat
  •  Rückkehrrecht für alle Palästinenser:innen
  •  Benennung des Zionismus als reaktionäre und nationalistische Ideologie
  •  Teilnahme des Berliner Landesverbandes an Nakba-Woche

Widerstand kam wieder von der Linken Aktion Lichtenberg, welche den Antragstellenden „Inkompetenz“ unterstellte, da der Zionismus als nationalistische Ideologie gewertet wurde. Das israelische Apartheidregime wurde ebenfalls in der Debatte verneint. Ebenso kam Gegenwind von einer Bundessprecherin, welche darauf hinwies, dass dieser Antrag laut Bundesverbandsbeschluss als antisemitisch einzustufen sei. Die Spaltungslinie zum Bundesverband wurde an diesem Antrag besonders deutlich. Die traditionellen Argumentationsmuster der proimperialistischen Bundesführung, welche sich zur Rechtfertigung ihrer Positionen auf die sogenannte Kollektivschuldthese beruft, zogen bei der Berliner Basis jedoch am Ende gar nicht. Mit großer Überraschung wurde der Antrag nämlich mit absoluter Mehrheit angenommen. Ein großer Erfolg für den revolutionären Flügel von Solid Berlin, da sie nach heftigstem Widerstand innerhalb eines Solid-Verbands eine Mehrheit hinter ihrer Position zur Situation in Israel und Palästina versammeln konnten. Diese Position wird in Deutschland nur von einer handvoll Organisationen vertreten, entspricht jedoch der anerkannten Mehrheitspositionierung von sozialistischen Gruppen weltweit.

Der letzte zu behandelnde Antrag des Tages sollte ebenfalls einer aus dem linken Lager, gegen Krieg und Aufrüstung, sein. Nach einer relativ unkontroversen Debatte – nur die kernrechte Fraktion hatte wieder einmal etwas dagegen – wurde auch dieser Antrag mit absoluter Mehrheit angenommen. Somit positioniert sich die Solid Berlin klar gegen Putins Angriffskrieg, stellt sich aber auch klar gegen Sanktionen und Waffenlieferungen. Ebenso wird die Zerschlagung der NATO und die Umstellung der Rüstungs- auf zivile Produktion gefordert. Der Antrag richtete sich vor allem an die Linkspartei, die sich immer mehr dem deutschen Kriegstaumel anschließt. Am Wochenende waren vor allem Genoss:innen aus Nord-Berlin sowie der Basisgruppe „ROSA“ aus Steglitz-Zehlendorf bei der Antikriegsdemo in Berlin zahlenmäßig gut vertreten, was auf ein breites Mobilisierungspotential für diesen Beschluss schließen lässt. Vor allem hier wird es darauf ankommen, den Druck auf den Landesvorstand aufrechtzuerhalten, beziehungsweise notfalls auch durch öffentliche Kritik größere Mobilisierung durch den gesamten Landesverband zu erwirken.

Weitere Anträge, welche vom linken Flügel kamen – wie zum Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie, zur Nichtanerkennung des Bundessprecher:innenrats, zur Abschaffung der Polizei oder zum Rauswurf der Gewerkschaft der Polizei aus dem deutschen Gewerkschaftsbund -, wurden gar nicht erst behandelt, da diese durch reformistische Kräfte im Landessprecher:innenrat nach ganz hinten geschoben wurden. Dies stellt ein weiteres beliebtes Mittel von rechten Strömungen dar, um unbeliebte Themen gar nicht erst behandeln zu müssen.

Nachwahlen zum Landessprecher:innenrat

Bei den Wahlen wurde es nicht minder spannend, doch mit relativ deutlichen Mehrheiten wurden drei neue Genoss:innen in den Landessprecher:innenrat gewählt. Die Bilanz: Eine rechte Wende wurde zwar abgewendet, jedoch behält der Landesvorstand insgesamt einen linksreformistischen Charakter, obwohl zwei dem revolutionären Flügel nahestehende Genoss:innen gewählt wurden. Ein relativer Erfolg war es, dass Nachwuchsbürokrat:innen der Basisgruppe „Linke Aktion Lichtenberg“ (LiA) verhindert wurden, die unter anderem Sanktionen gegen Russland befürworten und die Position vertreten, es sei egal, wenn an diesen die Zivilbevölkerung leidet. Diese Basisgruppe, die im Übrigen eine der größten Fraktionen zur Landesvollversammlung stellte, vertritt ebenfalls die Positionen, dass es in der Ukraine und vor allem in der ukrainischen Armee keine Faschist:innen gäbe und dass die Linksjugend Berlin sich zum Grundgesetz bekennen solle.

Die Wahlergebnisse lassen vorerst darauf schließen, dass in der restlichen Legislaturperiode des Landessprecher:innenrats kein großer Rechtsdrift ansteht, sodass getroffene Beschlüsse, wie das Kooperationsverbot mit bürgerlichen Parteijugenden oder eine Kampagne gegen das Tesla-Werk, mit der Forderung, das dieses entschädigungslos enteignet und unter Arbeiter:innenkontrolle gestellt gehört, in Teilen des Gremiums Gehör finden. An dieser Stelle soll der Appell an alle linken Mitglieder des Rats gehen, dass wir darauf zählen, die Beschlüsse ernst zu nehmen und den Kampf um diese in die Partei, den Bundesverband und den Landessprecher:innenrat selber hineinzutragen und diese Übergangsforderungen auch öffentlich zu vertreten. Die revolutionären Genoss:innen sollten sich im Klaren darüber sein, dass der LSp:R als bürokratisches Gremium ein Bremsklotz ist, sodass ein gewisser Anpassungsdruck besteht, sich in die bürokratischen Strukturen des Verbandes sowie der Partei hinein zu integrieren. Der Anspruch revolutionärer Genoss:innen innerhalb der linksjugend [‘solid] Berlin ist es, dafür zu kämpfen, in der Perspektive eine leninistische Organisation aufzubauen. Dies schaffen wir nur mit Klarheit des Programms, welches zusammen in Opposition mit revolutionär-sozialistischen Verbündeten umgesetzt werden soll. Die Bildung einer solchen Fraktion innerhalb des Verbandes sowie der Partei sollte oberste Priorität haben und die linken Mitglieder des LSp:Rs dürfen sich dabei nicht vom reformistischen Alltag der Partei zermürben lassen. Im Zweifelsfall kann dies auch nur mit dem Bruch der reformistischen Parteiführung geschehen.

Wie weiter?

Doch was genau bedeutet das alles für die Solid Berlin und für die Linksjugend im Allgemeinen?

Zunächst wurde neben den Genoss:innen aus Nord-Berlin eine Basis für Grundzüge eines revolutionären Programms gefunden. Diese Basis stützt sich eben nicht nur auf eine Basisgruppe, sondern auf die Unterstützung durch andere Genoss:innen des Landesverbandes, die den zum rechten Bundesverband entgegengesetzten Kurs befürworten und sich vom offenen Kampf nicht abschrecken lassen. Das ist erstmal begrüßenswert, doch jetzt kommt es darauf an, als revolutionäre Minderheit diese programmatische Grundlage in eine Oppositionsplattform umzuwandeln, damit der neugewählte, mehrheitlich linksreformistische Landessprecher:innen bei der Umsetzung eben dieser Beschlüsse zu Genüge unter Druck gesetzt wird.

Revolutionär:innen bei der Linksjugend müssen alles dafür tun, dass diese Übergangsforderungen, welche von der Basis beschlossen und legitimiert worden sind, nach außen in der Öffentlichkeit vertreten werden. Der revolutionäre Flügel mag zahlenmäßig eine Minderheit darstellen, jedoch wurde sein Programm mehrheitlich von anderen Genoss:innen befürwortet. Es gilt jetzt, diese Basis für ein anderes Organisationsprinzip zu gewinnen und einen unversöhnlichen Kampf gegen Bundesverband und Partei aufzunehmen, welcher nicht davor zurückschreckt, sich auf die eigene Legitimation zu berufen. Ebenso darf sich dieser Kampf nicht hinter bürokratisch-administrativen Formalien verstecken, Konflikte in der Öffentlichkeit nicht austragen zu wollen. Die Partei ist nach wie vor auf den Jugendverband als Karriereschmiede angewiesen und hat ohne diesen zwar noch die Jugend-BOs, allerdings sind diese für linke Kräfte noch unattraktiver als die Solid an sich. Zu einem gewissen Grad toleriert sogar eine rechte Führung, wie die der Berliner Linkspartei, linke Beschlüsse des eigenen Jugendverbandes, da diese radikale Kräfte in gewohnte und eng gesetzte Bahnen lenkt und mit dem Verweis auf die formelle Unabhängigkeit zur Partei als linke „Spinnereien“ einer Handvoll Jugendlichen abgetan werden können. Die Partei behält sich auch immer vor, dem Jugendverband den Geldhahn zuzudrehen, falls durch bürgerliche Medien ein unerträgliches Ausmaß an Druck erwirkt wird.

Die revolutionäre Minderheit darf sich nicht mit einer formell linken Beschlusslage zufrieden geben. Es muss jeden Tag in der Partei, im Verband und in der Öffentlichkeit um dieses Programm gekämpft und dieses schonungslos nach Außen vertreten werden. Zentristischen Kräften in anderen Verbänden muss gezeigt werden, dass es weder um Posten oder Mehrheiten im Bundesverband geht, sondern um eine alternative Plattform bzw. Opposition, die die bürokratischen Strukturen der Linksjugend und rechte Hegemonie tagein tagaus demaskiert.

Dieser Artikel wurde zuerst auf Klasse gegen Klasse (https://www.klassegegenklasse.org/) veröffentlicht.