Schulschließungen – wer entscheidet?

Christian Gebhardt, Infomail 1176, 19. Januar 2022

Die Omikronwelle trifft nun „überraschend“ Deutschland. Auch wenn sich die Mitteilungen mehren, dass die Krankheitsverläufe milder verlaufen und weniger Menschen ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen als in den vorherigen Wellen, ist die schiere Wucht der Infektionszahlen erdrückend. Dies wird in den nächsten Wochen die Gesellschaft vor viele Probleme in den „systemrelevanten“ Bereichen stellen. Ob Bildung und Gesundheit der Kinder zu diesen gehören, wird vonseiten der Politik und EntscheidungsträgerInnen mit einem klaren Nein beantwortet. Die Schulen und Kitas sollen unter allen Umständen offen bleiben, damit die Wirtschaft weiterlaufen kann.

Stattdessen sieht die Regierung als „Lösung“ des Problems die Verkürzung der Quarantäne vor und eine faktische Durchseuchung. Diese wird von den meisten Verantwortlichen nun als unumgänglich angesehen. Es wird seit einigen Tagen nicht mehr davon gesprochen, ob unsere Gesellschaft überhaupt durchseucht werden soll, sondern nur noch davon, wann der richtige Zeitpunkt dafür da ist und wie schnell diese vonstattengehen kann. Eine kategorische Ablehnung der Durchseuchungsstrategie ist nicht mehr erkennbar.

Vielmehr soll sie faktisch helfen, den grundlegenden inneren Widerspruch aufzulösen, der auch der bisherigen Corona-Politik zugrunde lag. Einerseits sollen der Kreislauf des Kapitalismus und die Profitmacherei möglichst aufrechterhalten werden, andererseits soll der Pandemie so weit Rechnung getragen werden, dass das Gesundheitswesens nicht überlastet wird und eine zu rasche und extreme Ausweitung des Virus nicht Infrastruktur und Produktion lahmlegt, weil zu viele zur gleichen Zeit erkranken.

Schulen und Kitas offenhalten – mit allen Mitteln?!

Aus den letzten Wellen wurde von Seiten der herrschenden Klasse vor allem eins gelernt: die Schließung von Bildungseinrichtungen ist viel zu schädigend für die Wirtschaft. Die Arbeitskraft der Erziehungsberechtigten wird dadurch auf Kosten ihrer Ausbeutung zu stark für die Aufsicht über ihre Kinder eingespannt.

Auch nimmt der internationale Konkurrenzdruck durch die lockeren Restriktionen in Ländern wie dem Vereinigten Königreich (Großbritannien) oder den USA dermaßen zu, dass sich die deutsche Wirtschaft Schließungen im großen Maßstab nicht nochmal leisten möchte. Finanziell leisten könnte sie es sich selbstverständlich. Im Gegensatz zu den eher trägen Verhältnissen in Deutschland regt sich in anderen Ländern Europas bereits Widerstand gegen die staatlich verordnete Durchseuchung des Bildungs- und Erziehungsbetriebes. Allein in Frankreich haben Zehntausende LehrerInnen aus Grund- und weiterführenden Schulen gemeinsam mit ihren SchülerInnen einen Großteil der Schulen des Landes bestreikt. In Griechenland haben SchülerInnen über 300 Schulen besetzt oder die Eingänge blockiert, um sich und ihre MitschülerInnen vor Infektionen zu schützen. Auch in Österreich haben SchülerInnen gegen eine verfehlte Bildungspolitik unter Pandemiebedingungen gestreikt.

Die Gewerkschaften spielen in Frankreich eine Schlüsselrolle in der Mobilisierung. In Österreich blieben sie allenfalls zurückhaltend und drückten ihre Solidarität mit den Protesten auf Druck der Massen nur zaghaft aus.

Interessant ist auch, darauf zu achten, was die deutschen Gewerkschaften im Bildungsbereich vorschlagen. Alle haben sich rhetorisch mehr oder weniger kritisch gegen die Entscheidung der KultusministerInnenkonferenz gestellt, die Bildungseinrichtungen auch trotz Omikronwelle offen zu halten. Die beschlossenen Maßnahmen tragen jedoch alle mit. Eine aktive Mobilisierung gegen die getroffenen Entscheidungen und die Artikulierung einer Alternative ist von keiner der Gewerkschaften zu vernehmen.

GEW

Was schlägt zum Beispiel die Gewerkschaft Bildung und Wissenschaft (GEW) vor? Die Entscheidung, die Schulen auf alle Fälle offen zu halten, wurde auch von ihr kritisiert, jedoch schlussendlich angenommen und verteidigt. Man gibt sich jedoch „realistisch“ und spricht davon, dass es zu lokalen Schulschließungen kommen wird. Dies solle aber so gut wie möglich abgefangen werden durch die Bereitstellung von Luftfilteranlagen, FFP2-Masken für KollegInnen und SchülerInnen, die Ausweitung der Impfkampagne und Verfügbarkeit von omikronsensitiven Schnelltests. Was schlägt aber die GEW für die Zwischenzeit vor bzw. welche Maßnahmen sollen uns dabei helfen, diese Forderungen auch umzusetzen? Eine Antwort darauf sucht man vergeblich.

Die Vorsitzende der GEW, Maike Finnern, ging in einem Interview mit der Wirtschaftswoche sogar soweit, die Überlegung zu äußern, Lehrkräfte, die sich in Quarantäne befinden, könnten auch von zuhause aus arbeiten, um den Schulablauf abzusichern. Dies solle natürlich nur geschehen, wenn sich der/die KollegIn gesund fühlt, die technischen Gegebenheiten an der Schule vorhanden sind und genügend Personal vorhanden ist, um die Aufsicht sicherzustellen. Dies ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht aller an den Schulen und eine Forderung nach Mehrarbeit für genau die, die Maike Finnern vorgibt zu vertreten, nein, es würde ebenfalls bedeuten, dass die Bildungsschere bei Anwendung dieser Überlegungen noch weiter auseinandergeht. Die von Maike Finnern formulierten Voraussetzungen sind überwiegend in gut ausgestatteten Schulen und höheren Bildungseinrichtungen gegeben und somit hauptsächlich in sozial stärkeren Schichten der Gesellschaft. Mensch könnte auch sagen: Danke für nichts!

Nichtsdestotrotz müssen wir uns mit dem Gedanken auseinandersetzen, wer über eventuelle Schulschließungen entscheidet und wie, wenn die Omikronwelle eine Schule oder Kita zu hart trifft, um den Regelbetrieb aufrechtzuerhalten? Hier gab es eine erfrischende Äußerung von Tom Erdmann von der Berliner GEW. Er forderte, dass nicht nur die Schulleitungen über eine mögliche Schulschließung entscheiden sollten.

Es sollen stattdessen die jeweilige Schulkonferenz und somit auch die SchülerInnenschaft, die Eltern und das Kollegium mit einbezogen werden. Ein solcher demokratischer Entscheidungsprozess ist stark zu begrüßen, auch wenn natürlich nicht nur eine Einbeziehung der Schulkonferenz in die Entscheidung der Schulleitungen nötig ist, sondern die verbindliche Entscheidungsgewalt von Beschäftigten, Eltern und SchülerInnen.

Vor allem aber stellt sich die Frage, wie die Forderung vonseiten der Berliner GEW durchgesetzt werden soll? Das alleinige Formulieren des Zieles bringt uns leider nicht weiter. Was wir brauchen, ist eine Mobilisierung und Durchführung von Aktionen zusammen mit den SchülerInnen- und Elternvertretungen. Hierfür sollte die GEW Berlin auf diese Organisationen und Vertretungen zugehen und gemeinsame Aktionen planen.

Die Notwendigkeit einer bundesweiten Bewegung!

Die Berliner GEW muss aber darüber hinausgehen. Wie die vorherigen Wellen eindrucksvoll bewiesen haben, sind alle Bundesländer davon betroffen. Daher benötigen wir nicht nur Aktionen und Mobilisierungen in einem Landesverband. Was wir brauchen, sind bundesweite Aktionen, um dafür zu kämpfen, dass die KollegInnen, SchülerInnen und Erziehungsberechtigten gemeinsam entscheiden, wann eine Schule geschlossen und wieder geöffnet werden soll. Die GEW darf auch nicht vor Demonstrationen und Mobilisierungen auf der Straße zurückschrecken. Die Erfahrungen der Mobilisierungen in der Tarifauseinandersetzung an Berliner Krankenhäusern haben gezeigt, wie wichtig eine aktive Mobilisierung auf den Straßen sowie eine demokratische Kontrolle der Proteste durch die Beschäftigten selbst ist!

Kitas nicht wieder vergessen!

Die derzeitige Debatte fokussiert sich wie in den letzten Wellen auch wieder hauptsächlich nur auf die Schulen. Einen weiteren sehr großen und gesundheitlich noch viel prekäreren Bereich stellen jedoch die Kitas dar. Auch diese sollten in eine bundesweite Kampagne für sichere Bildungseinrichtungen durch die GEW (und ver.di) einbezogen und mitgedacht werden. Die Frage der Notbetreuung, Personalmangel und -ausfall spielen auch dort eine sehr wichtige und dringende Rolle. Dies vor allem dadurch, dass es sich hierbei um die Bildungseinrichtungen handelt, in denen ein gutes Testsystem schwer zu etablieren ist und die KollegInnen einer größeren Gefahr ausgesetzt sind, da es keinen Impfstoff für diese Altersgruppe gibt.

Wir schlagen daher Folgendes vor:

  • Vollversammlungen der Beschäftigten an Schulen und Kitas, um über die aktuelle Lage zu diskutieren, Forderungen zur Pandemiebekämpfung im Interesse von Beschäftigten, SchülerInnen und Eltern zu beschließen. Bei den Versammlungen sollen Aktionskomitees an Schulen und Kitas gebildet werden.
  • Eine bundesweite Mobilisierung basierend auf diesen Strukturen, um auf die unsichere Lage an den Bildungseinrichtungen hinzuweisen und den Forderungen der GEW nach Luftfiltern, Masken für alle, einer flächendeckenden Impfkampagne und der Bereitstellung von omikronsensitiven Tests Gewicht zu verleihen.
  • Vollversammlungen von Beschäftigen, SchülerInnen und Eltern an jeder Schule oder Kita sollten entscheiden können, wann der Betrieb ihrer Bildungseinrichtung sicher ist und wann nicht. Sollte eine Bildungseinrichtung geschlossen werden müssen, muss den Erziehungsberechtigten bezahlter Sonderurlaub gewährt werden.
  • Bundesweiten Aufbau von Basisgruppen von GEW und ver.di an Schulen und Kitas, um die pandemische Lage zu diskutieren und eine solche Kampagne voranzutreiben.
  • Eine Verbindung der Kampagne mit der #ZeroCovid-Strategie! Die Bildungseinrichtungen können nur ein Baustein im Kampf gegen die weitere Pandemieentwicklung sein. Was wir benötigen, ist die internationale Durchsetzung einer #ZeroCovid-Strategie, um unseren Kindern nicht nur eine möglichst reibungslose Bildung auch zu Pandemiezeiten zu gewähren, sondern auch um ihre körperliche Unversehrtheit und Gesundheit zu schützen.



Corona und die mörderische Politik des Kapitals

Katharina Wagner, Infomail 1172, 7. Dezember 2021

„Hello again“! Gemeinsam mit FreundInnen Geburtstag feiern, volle Fußballstadien und Konzerthäuser, Rockkonzerte inkl. Stagediving und Enkelkinder, die lachend in die Arme ihrer Omas laufen. Wer sehnt sich nicht danach? Dies alles zeigt ein Video des Bundesgesundheitsministeriums, produziert im Juli 2021, und möchte damit für eine Impfung gegen Corona werben, „Holen wir uns das Leben zurück. Jede Impfung zählt“. Geklappt hat dies nicht wirklich. Mit einer aktuellen Impfquote von 68 % (Quelle: https://ourworldindata.org/covid-vaccinations?country=OWID_WRL) liegt die BRD immer noch weit weg von einer notwendigen Quote von 80 – 90 %. Und die Infektionszahlen in Deutschland steigen seit Wochen kontinuierlich an, und das bereits vor dem Auftreten neuartiger Virusmutanten. Daher nimmt auch die Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht immer mehr an Fahrt auf und wird mittlerweile auch von Teilen der Politik aufgegriffen, die bisher strikt dagegen waren. Aber ist dies wirklich das wirksamste Mittel zur Bekämpfung der Pandemie und wie sieht der aktuell anwendbare Maßnahmenplan für Bund und Länder denn überhaupt aus?

Aktueller Maßnahmenkatalog – wirksam oder unzureichend?

Seit Wochen steigende Infektionszahlen, mittlerweile mehr als 100.000 Tote allein in Deutschland, überlastete Krankenhäuser, Patientenverlegungen mithilfe der Luftwaffe und „milde“ Triage in Thüringen und Sachsen – so lässt sich die aktuelle Infektionslage wohl am besten beschreiben. Trotz alledem wurde am 19.11.2021 das neue Infektionsschutzgesetz im Bundesrat einstimmig verabschiedet und gleichzeitig die epidemische Notlage nicht über den 25.11. hinaus verlängert, trotz zahlreicher Warnungen aus Opposition und Wissenschaft (Quelle: https://www.fr.de/politik/corona-regeln-lockdown-infektionsschutzgesetz-bundestag-bundesrat-entscheidung-news-zr-91122826.html). Denn damit wird der bundesweite Maßnahmenkatalog zugunsten unterschiedlicher Regeln der einzelnen Bundesländer flexibilisiert. Das wird als stärkere Handlungsfähigkeit verkauft.

Doch welche Maßnahmen beinhaltet das Gesetz denn jetzt genau? Zum einen neue Regelungen, darunter eine Wiedereinführung der Homeofficepflicht sowie die 3G-Regel am Arbeitsplatz und im öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Dies bedeutet, wer nicht geimpft oder genesen ist, muss nun täglich ein negatives Ergebnis eines zertifizierten Antikörpertests vorzeigen können. Um gefälschte Impfpässe zu umgehen, gilt zudem zukünftig nur noch das digitale Impfzertifikat als Nachweis. Während bei ersterem die Kontrolle bei den Arbeit„geber“Innen liegt und diese sie täglichen nachweisbar dokumentieren müssen, soll es im Nah- und Fernverkehr lediglich Stichproben geben. Bei Verstößen drohen je nach Bundesland Strafen bis zu mehreren Tausend Euro (Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/buerokratieabbau/3g-regel-in-bus-und-bahn-1983736). Die Deutsche Bahn zieht bisher ein positives Fazit. In den ersten Tagen wurden im Fernverkehr rund 400 Verbindungen kontrolliert (Quelle: https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2021/11/berlin-brandenburg-bvg-sbahn-vbb-3g-kontrollen-bilanz.html). Beim ÖPNV sind aufgrund von häufigem Fahrgastwechsel und Haltestellen in kurzen Abständen generell keine vollständigen Kontrollen möglich. Das bisherige Fazit der jeweiligen AnbieterInnen fällt daher gemischt aus. Vor allem fehle es bei kleineren Verkehrsbetrieben häufig an Personal (Quellen: https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2021/11/berlin-brandenburg-bvg-sbahn-vbb-3g-kontrollen-bilanz.html). Des Weiteren wurde die Testpflicht für Beschäftigte und BesucherInnen in Krankenhäusern sowie Pflegeeinrichtungen ausgeweitet. Auch eine berufsbezogene Impfpflicht soll Anfang 2022 eingeführt werden. Maßnahmen wie Abstandsregeln und Maskenpflicht bleiben weiterhin bestehen und je nach Infektionslage können seitens der Länder Maßnahmen wie 3G, 2G oder 2G plus Test beschlossen werden.

Gleichzeitig werden aber weitreichende Maßnahmen wie Schulschließungen, Ausgangsbeschränkungen, Beherbergungsverbote oder flächendeckende Stilllegung von Gastronomie und Einzelhandel nach Ablauf einer Übergangsfrist ab dem 15.12. quasi verboten (Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/infektionsschutzgesetz-1982318). Schon vor den Abstimmungen im Bundestag bzw. Bundesrat gab es deshalb lautstarke Kritik, die dort enthaltenen Maßnahmen würden nicht ausreichen, um die aktuelle Welle zu brechen. Um eine Zustimmung des Gesetzes dennoch zu erreichen, wurde bereits im Vorfeld eine Evaluierung und ggf. Anpassung nach einem Zeitraum von 3 Wochen beschlossen. Dieser wurde aber letztlich sogar verkürzt. Aufgrund weiterhin stark steigender Infektionszahlen, dem drohenden Kollaps deutscher Kliniken und von Intensivstationen und einer neu auftretenden und höchstwahrscheinlich ansteckenderen Virusmutation namens Omikron sah sich die neue Ampelkoalition bereits am 02.12. nach mehreren BundesministerInnenkonferenzen dazu gezwungen, das Gesetz zu modifizieren.

Diese modifizierte Form enthält nun zusätzlich unabhängig von den jeweiligen Inzidenzzahlen eine bundesweite 2G-Zugangsregelung für den gesamten Einzelhandel, Geschäfte des täglichen Bedarfs ausgeschlossen, sowie Freizeit- und Kultureinrichtungen. Auch gibt es wieder Begrenzungen der Zuschauerzahlen bei Kultur-, Freizeit- oder Sportveranstaltungen. Bei hohen Inzidenzen sollen diese nach Möglichkeit seitens der Länder untersagt sowie spätestens bei Überschreiten einer Inzidenz von 350 Clubs und Diskotheken geschlossen werden. Ein weiterer Baustein im modifizierten Gesetz sind Kontaktbeschränkungen. Auch weitere Maßnahmen wie Alkoholverbote, Beschränkungen von Versammlungen oder Hotelübernachtungen sollen Ländern mit hohen Inzidenzen auch weiterhin zur Verfügung stehen. Und zu guter Letzt wurde die oben bereits angesprochene Übergangsfrist für bisherige Schutzmaßnahmen über den 15.12.2021 hinaus verlängert (Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/corona-diese-regeln-und-einschraenkung-gelten-1734724).

Halbherzigkeit

Diese Maßnahmen sind nicht neu. Bereits im letzten Winter wurden sie angewendet, um steigende Infektionen und eine Überlastung der Krankenhäuser zu verhindern. Wirklich funktioniert hat das schon damals nicht, obwohl 2020 die Infektionslage deutlich besser war als im Moment. Schulen mussten dennoch geschlossen werden, um die Infektionslage überhaupt irgendwie in den Griff zu bekommen. Nicht wenige rechnen auch in diesem Winter wieder mit flächendeckenden Schulschließungen, auch wenn dies im Moment von den politischen EntscheidungsträgerInnen noch vehement verneint und dafür auf die oben genannten Maßnahmen verwiesen wird. Diese werden es schon richten und als Retterinnen für das christliche Weihnachtsfest verkauft. Dabei wird hier besonders deutlich, dass die Gesundheitsinteressen wieder einmal oder besser gesagt immer noch zugunsten von Profitinteressen zurückgestellt werden. Aus der Wirtschaft kommt bereits starke Kritik an der eingeführten 2G-Regel im Einzelhandel mitten im Weihnachtsgeschäft. Dies würde zu Umsatzverlusten von bis zu 50 % führen. Aus diesem Grund seien daher sofortige Nachbesserungen der Wirtschaftshilfen notwendig  (Quelle: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/einzelhandler-bangen-wegen-der-zweigregel-101.html). Und auch die Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht wurde durch erste Forderungen seitens der Wirtschaft erst so richtig angefacht, bisher aber von allen politischen EntscheidungsträgerInnen stets deutlich abgelehnt (Quelle: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/impflicht-3g-2g-arbeitsplatz-lockdown-101.html). Die ganzen Maßnahmen sollen zeigen, dass die Politik die Lage ernst nimmt und unter Kontrolle bringen kann. Sie sollen vom eigentlichen Versagen des politischen Establishment in Zuge der Pandemie ablenken, aber eine wirkliche Lösung zur Beendigung der Pandemie sind sie nicht. Nicht nur zahlreiche VirologInnen, auch die nationale Akademie der Wissenschaft Leopoldina forderte daher am 27.11. sofortige Kontaktbeschränkungen, um die Infektionszahlen schnell und drastisch senken zu können. Zwar könnten auch die eingeführten Regelungen zu 2G/3G diesen Effekt bewirken, allerdings würde dies einen längeren Zeitrahmen erfordern und höhere Sterbezahlen verursachen. Zusätzlich wird ein rascher Anstieg der Impfquote durch Ausweitung der bisherigen Impfkapazitäten gefordert

(Quelle: https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Publikationen/Nationale_Empfehlungen/2021_Coronaviurs-Pandemie_Klare_und_konsequente_Maßnahmen.pdf). Aber schon jetzt stoßen die bestehenden Impfkapazitäten, auch aufgrund der zahlreichen Schließungen von Impfzentren im Sommer und Herbst, an ihre Grenzen. Es werden Zweifel laut, ob es überhaupt gelingen kann, bis Weihnachten die versprochenen 30. Mio. BürgerInnen zu impfen bzw. zu boostern. Auch wird es aus Sicht zahlreicher WissenschaftlerInnen zum jetzigen Zeitpunkt allein durch Auffrischungsimpfungen nicht zu einem Brechen der 4. Welle kommen können (Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/nebenwirkungen-und-impf-reaktionen-was-bei-der-booster-impfung-mit-biontech-und-moderna-zu-beachten-ist/27803742.html). Aber nicht nur das, auch die aktuellen Testkapazitäten für Schnell- und PCR-Tests sind am Limit und gefährden damit eine effiziente Pandemiebekämpfung, stellt doch das Testen einen wichtigen Baustein derer dar.

Zwar sind einzelne Maßnahmen durchaus sinnvoll, doch bleibt das Handeln der Regierungen Stückwerk. Ein Lockdown für Kitas, Schulen und Betriebe gilt als ausgeschlossen. Man laviert sich weiter mit halbherzigen Regeln durch, die zudem immer wieder geändert werden und sich zudem von einem zum anderen Bundesland ändern. Die heilige Kuh Profitwirtschaft steht notwendigen und energischen Gesundheitsmaßnahmen entgegen. Die Kinder dürfen nicht zu Hause bleiben, nicht weil sie etwas lernen sollen, sondern ihre Eltern arbeiten gehen können. Nur beim Freizeitspaß ist man strenger. Es fehlt ein Krisenstab, der entschlossen die notwendigen Maßnahmen umsetzt. Stattdessen lassen sich wirkliche und selbsternannte ExpertInnen in Talkshows aus.

MarxistInnen befürworten eine umfassende Impfpflicht ab möglichst niedrigem Alter. Für Kinder ab 6 Jahre liegen positive Studien vor. Die Impfpflicht macht aber nur dann Sinn, wenn die unnötig komplizierte und langwierige Vakzinbeschaffung durch schleunige Belieferung wie bei allen übrigen Medikamenten ersetzt wird und flächendeckende Impfzentren eingerichtet werden. Statt sich auf die üblichen globalen Lieferketten für Testkits zu verlassen, müssen Produktionskapazitäten im Inland her! Es ist ein Skandal, dass nach 2 Jahren Pandemie sich hier so gut wie nichts getan hat. Auf die Kontrolle seitens der Unternehmen darf sich die ArbeiterInnenklasse nicht verlassen. Alle KollegInnen müssen bis zum Ende der Pandemie vor Aufnahme ihrer Tätigkeit negativ getestet sein, auch Genesene und Geimpfte. Die Kosten müssen die UnternehmerInnen tragen. Die meisten Testzentren machen aber erst nach Arbeitsbeginn vieler Beschäftigter auf. Wie sollten diese ein aktuelles Ergebnis ohne obige Maßnahmen bekommen?

Und welche Maßnahmen brauchen wir wirklich?

Um die Inzidenzen wirklich drastisch und schnell senken und damit vor allem die Krankenhäuser und Intensivstationen entlasten zu können, fordern wir als MarxistInnen einen sofortigen, flächendeckenden und solidarischen Lockdown. Dabei müssen nicht nur Freizeit und Kultur, sondern alle gesellschaftlich nicht notwendigen Produktionen und Tätigkeiten für mehrere Wochen ausgesetzt werden. Dies sollte einhergehen mit einer Schließung aller nicht lebensnotwendigen Betriebe und einer 100 % Lohnfortzahlung für alle betroffenen Beschäftigten. Nur so kann es gelingen, die Intensivstationen zu entlasten und weitergehende Triage und viele Todesopfer zu verhindern.

Einhergehen sollte dies mit einem weiteren Ausbau der bestehenden Impf- und Testkapazitäten und einem kostenlosen und unkomplizierten Zugang für alle BürgerInnen. Allerdings sollte uns bewusst sein, dass es uns mit Impfungen allein kurzfristig nicht gelingen wird, die Infektionszahlen soweit zu senken, um einen Zusammenbruch des Gesundheitswesens zu verhindern. Auch eine evtl. eingeführte Impfpflicht wird erst lang- und mittelfristig zu einer Verbesserung der Infektionslage beitragen. Für alle Beschäftigten im Pflegebereich fordern wir zudem eine sofortige Anhebung der Einkommen um mind. 500 Euro/Monat und einen weiteren Ausbau des gesamten Gesundheitswesens. Bezahlt werden muss dies durch eine massive Besteuerung der großen Kapitale und Vermögen.

Wenn uns die Pandemie eines gezeigt hat, dann dass sie nur im globalen Kontext bekämpft  werden kann. Daher muss auch die Forderung nach Aufhebung aller Patente für Impfstoffe und Medikamente in Bezug auf die derzeitige Pandemie gestellt und ein massiver Ausbau der globalen Impfstoffproduktion auf die Tagesordnung gesetzt werden. Wichtig ist in diesem Kontext auch die Kombination mit einem umfassenden Wissens- und Technologietransfer. Um dies zu erreichen, ist die Enteignung großer Pharma- und Biotechnologieunternehmen unter ArbeiterInnenkontrolle zwingend notwendig. Denn nur so wird es möglich sein, das immer wiederkehrende Auftreten neuartiger Virusmutationen dauerhaft zu reduzieren und die Pandemie zu kontrollieren. Dabei dürfen wir uns nicht auf die bürgerliche Politik und die herrschende Klasse verlassen. Die Kontrolle der Umsetzung und weiteren Überwachung dieser Maßnahmen muss durch die internationale ArbeiterInnenklasse erfolgen. Dabei nehmen vor allem die Gewerkschaften und andere Organisationen der ArbeiterInnenklasse eine Schlüsselposition ein. Nur unter deren Kontrolle wird es uns gelingen zu verhindern, dass weiterhin Profitinteressen über Gesundheitsinteressen gestellt werden und dies vielen Menschen weltweit das Leben kostet.




Vierte Welle in Österreich: Wie bekämpfen wir die Pandemie?

Heidi Specht, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1171, 1. Dezember 2021

Alle Jahre wieder kommt der nächste Lockdown … Naja, ein bisschen häufiger kommt er schon in letzter Zeit. Nach einem Sommer, in dem die ÖVP die Pandemie für beendet erklärt und die Politik scheinbar geschlafen hat, stehen wir jetzt vor neuen Spitzenrekorden der Infektionszahlen und erneut im Lockdown. Wir werden im Folgenden einen Blick darauf werfen, wie es so weit kommen konnte, wie die Gesamtsituation gerade aussieht und was eigentlich notwendig gewesen wäre  ist.

Die Pandemie und die Impfung

Viren mutieren, das ist weder neu noch außergewöhnlich. Mutationen führen zu Resistenzen gegen Antikörper, die durch Impfungen oder durchgemachte Erkrankungen erlangt wurden. Auch das ist in der Infektionslehre schon lange bekannt. Gerade die neue Omikron-Mutation bringt mit hoher Wahrscheinlichkeit neue Herausforderungen in Bezug auf Impfresistenzen mit sich. Darüber hinaus bietet nicht jeder Impfstoff eine vollständige Immunität. Es steht völlig außer Frage, dass die Impfstoffe gegen Covid-19 eines der wichtigsten Werkzeuge im Kampf gegen die Pandemie sind. Sie verringern das Risiko einer Ansteckung und, sofern es trotzdem dazu kommt, die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs. Doch die Durchimpfungsrate der Bevölkerung ist immer noch zu gering. Eine ungeimpfte Person die an der Delta-Variante erkrankt, steckt statistisch betrachtet vier weitere Personen an. Gefährdet sind neben ungeimpften Personen insbesondere Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Dass prozentuell immer mehr Geimpfte erkranken, ist wenig überraschend – es liegt ganz einfach an der steigenden Zahl von geimpften Personen und der zeitlich abnehmenden Wirksamkeit der Impfung. So oder so, so lange das Virus sich weltweit ausbreitet, mutiert und der Impfschutz nur kurzzeitig wirkt, so lange kann die Impfung alleine die Pandemie nicht beenden. Dazu bräuchte es internationale, politische Maßnahmen.

Aktuelle Situation

Dass die Zahlen im Winter steigen, überrascht MedizinerInnen nicht und sollte PolitikerInnen, die sich informieren, genauso wenig überraschen. Ein Faktor ist, dass sich wieder mehr Menschen in Innenräumen aufhalten und treffen, wodurch das Ansteckungsrisiko im Vergleich zu Treffen im Freien deutlich steigt. Außerdem ist unser Immunsystem in der kalten, feuchten Jahreszeit generell schwächer. Das geschwächte Immunsystem in Kombination mit dem steigenden Infektionsrisiko in Innenräumen führt also generell zu einem Anstieg der Zahlen, insbesondere bei Ungeimpften und Menschen mit Vorerkrankungen.

Neue Rekordzahlen werden also stetig vermeldet, die Intensivstationen sind wieder ausgelastet und überlastet. Hinter den Kulissen in den Krankenhäusern wird wieder eine der schlimmsten Maßnahmen nicht nur diskutiert sondern teilweise auch schon umgesetzt – die Triage. Diese ergibt sich aus Kapazitätsengpässen der Intensivstationen und für die aktuelle Lage unzureichenden Ressourcen. Es geht dabei darum zu entscheiden, wer (lebensrettende) medizinische Versorgung bekommt und wer keine oder unzureichende Behandlung erfährt. Das Krankenhauspersonal wird dazu gezwungen Menschen zum Tode zu verurteilen und diesen hilflos beim Sterben zuzuschauen.

Die Politik hat diesen Zustand auf den Intensivstationen zu verantworten: sowohl die Lage der Beschäftigten als auch die Situation für Menschen, die medizinische Behandlung benötigen. Denn der Sommer wurde wieder nicht genutzt, um Vorbereitungen zu treffen, damit es nicht so weit kommt. Doch bei den aktuellen Pressekonferenzen wird erneut ins selbe Horn geblasen: Wir sitzen (angeblich) alle im selben Boot und müssen die Pandemie gemeinsam besiegen.

Lockdown

Als eine zentrale Maßnahme hat die Regierung einen neuerlichen Lockdown beschlossen. Doch das Letzte, was dieser beweist, ist, dass wir alle im selben Boot sitzen. Der größte Unterschied zu früheren besteht darin, dass er noch weniger Wirkung zeigt.

Vieles entspricht früheren Lockdowns: Freizeitaktivitäten werden de facto auf die eigenen vier Wände eingeschränkt. Homeoffice bleibt eine Empfehlung. Das Haus darf man nur in Ausnahmefällen verlassen, z. B. zum Arbeiten. Doch er ist kaum spürbar. Straßen und öffentliche Verkehrsmittel sind so voll wie immer. Die meisten Menschen haben kein Homeoffice. Selbst ein relevanter Teil der Bundesbediensteten arbeitet entgegen der Behauptungen der Regierung komplett oder teilweise vom Büro aus.

Noch schwammiger ist der aktuelle Lockdown, was die Schulen anbelangt. Die Eltern sollen selbst entscheiden, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken. Die LehrerInnen sollen Präsenzunterricht für die Anwesenden machen und gleichzeitig Lernpakete für die zuhause Gebliebenen schnüren. Viele Eltern haben gar nicht die Möglichkeit, ihre Kinder zuhause zu behalten, weil sie selbst zur Arbeit müssen. Die Übrigen stehen vor der Entscheidung, ob sie ihre Kinder der Infektionsgefahr aussetzen oder riskieren, dass diese im Unterricht nicht mehr mitkommen, wenn sie nicht dazu in der Lage sind, das Wissen selbst zu vermitteln. Das Offenhalten der Schulen wirkt wie ein bewusster Schritt zu einer weiteren Durchseuchung der Bevölkerung, ausgetragen auf dem Rücken einer Altersgruppe, die zu einem Gutteil noch ungeimpft ist. Insgesamt werden bei diesem Lockdown, wie bei allen vorherigen, Unternehmensprofite über Menschenleben gestellt.

Impfpflicht

Außerdem hat die Regierung angekündigt, ab Februar 2022 eine allgemeine Impfpflicht für Covid einzuführen. Die Details dazu sind noch unklar. Doch scheint es auf Verwaltungsstrafen, potentiell Jobverlust und Streichung von AMS-Leistungen hinauszulaufen. (AMS: österreichischer Arbeitsmarktservice; d. Red.) Maßnahmen also, die Arme wesentlich härter treffen als Reiche.

Die Impfung gegen das Corona-Virus darf keine individuelle Entscheidung sein, denn sie betrifft einen nicht nur persönlich. Durch die Impfung des Großteils der Bevölkerung wird die Verbreitung des Virus deutlich reduziert. Dadurch werden genauso Menschen geschützt, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, wie jene, die aufgrund eines geschwächten Immunsystems ein höheres Risiko für Impfdurchbrüche tragen. Diese Entscheidung betrifft nicht nur ein Individuum, sondern die gesamte Gesellschaft.

Doch der Versuch des österreichischen Staates, diese Verantwortung mit Zwangsmaßnahmen umzusetzen, wird entweder halbherzig und unwirksam oder für klassenkämpferische Kräfte untragbar – mit hoher Wahrscheinlichkeit aber beides. Wir dürfen kein Vertrauen in den bürgerlichen Staat setzen, dass dieser für eine ausreichende Durchimpfung der Bevölkerung sorgen wird. Die Regierung hat in den letzten neun Monaten bewiesen, dass sie unfähig ist, die Bevölkerung von der Impfung zu überzeugen.

ImpfgegnerInnen

Seit Beginn der Pandemie gibt es Teile der Bevölkerung, die die Existenz des Virus, dessen Gefährlichkeit oder die Wirksamkeit von Maßnahmen wie Masken oder Impfungen leugnen bzw. stark relativieren. Je mehr die Regierung die Pandemiepolitik fahrlässig oder mutwillig verbockt, desto stärker wird auch die Bewegung der Menschen, die sich gegen die Maßnahmen stellen. Es handelt sich dabei nicht um eine homogene Gruppe an Menschen, aber geführt werden die Proteste von rechten und faschistischen Kräften, die die Pandemie nutzen, um ihre eigene Agenda voranzutreiben.

Große Aufmärsche wie in Wien genauso wie kleinere Bewegungen wie in Gleisdorf demonstrieren die Gefahr, die diese Bewegung darstellt. Rechtsradikale Kräfte wie die Identitären stehen an der Spitze einer Bewegung, die die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung mit Juden-/Jüdinnenverfolgung gleichsetzt. Diese Bewegung kommt nicht aus der Mitte der Gesellschaft. Es ist eine der extremen Rechten, die Menschen aus der Mitte der Gesellschaft für sich gewinnt und damit erstarkt. Dass es bei der großen Demonstration in Wien im November diesen Jahres keine starke Gegenmobilisierung gab, zeigt die Schwäche der ArbeiterInnenbewegung und der radikalen Linken. Das größte Übel ist allerdings, dass keine eigene linke Strategie der Pandemiebekämpfung sichtbar ist.

Notwendige Maßnahmen

Zu Zeiten steigender Fallzahlen und neuer Mutationen ist ein Shutdown der notwendige erste Schritt und als solcher quasi unvermeidbar. Im Gegensatz zum Lockdown der Regierung darf ein solcher nicht in erster Linie die Freizeit und Treffen im Freien einschränken. Vielmehr müssen alle nicht unmittelbar notwendigen Arbeiten eingestellt oder ins Homeoffice verlagert werden. KapitalistInnen sind bereit, für ihre Profite die Leben der ArbeiterInnen zu riskieren. Ihnen darf die Entscheidung, welche Arbeiten notwendig sind, nicht überlassen werden. Wir brauchen ArbeiterInnenkomitees in den Betrieben, die darüber entscheiden, welche Tätigkeiten fortgesetzt werden. Außerdem müssen dort, wo weiterhin gearbeitet wird, die notwendigen Schutzmaßnahmen von den Beschäftigten selbst entschieden und deren Umsetzung kontrolliert werden. Die Zeit des Shutdowns muss genutzt werden, um die Bevölkerung durchzutesten und so einen möglichst großen Anteil der infizierten Bevölkerung gleichzeitig zu identifizieren.

Die Beschäftigten selbst müssen die Arbeitsbedingungen entscheiden, im Bündnis mit den Gewerkschaften und der Wissenschaft – gerade in systemrelevanten Berufen. Damit ist auch die Entscheidung über Schutzmaßnahmen gemeint. Es geht aber weit darüber hinaus. Gerade im Gesundheitswesen sehen wir neben einem Mangel an Betten und Maschinen auch einen akuten an Personal. Dieser rührt her aus katastrophalen Arbeitsbedingungen, die eine massive körperliche und emotionale Belastung darstellen und viele Menschen aus dem Job drängen. Personalschlüssel, Pausenzeiten, Gehälter etc. müssen deutlich verbessert werden, denn Arbeit im Gesundheitswesen darf nicht krank machen! Das Gesundheitswesen wird hier als Beispiel genannt, da es in der aktuellen Lage besonders belastet und wichtig ist, doch diese Forderung trifft alle Arbeitsverhältnisse, denn Arbeit darf niemanden krank machen.

Forderungen

  • Für einen solidarischen Shutdown unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für die Freigabe aller Impfpatente!
  • Für Offenlegung und Kontrolle der Impfstoffforschung und -produktionsabläufe durch Organe der ArbeiterInnenklasse!
  • Für die Enteignung der ImpfstoffproduzentInnen unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für eine Aufklärungskampagne zu den Impfstoffen und  eine breit angelegte Impfkampagne, kontrolliert durch die ArbeiterInnenklasse in den Betrieben, Schulen und Wohnvierteln!
  • Für die Kontrolle über Schutzmaßnahmen im Betrieb durch die Beschäftigten selbst!



Omikron – zurück auf Los?

Jaqueline Katherina Singh, Infomail 1171, 30. November 2021

B.1.1.529 oder Omikron steht für eine Variante des Corona-Virus, die derzeit die gesamte Welt den Atem anhalten lässt. Der Ursprung scheint im südlichen Afrika zu liegen und wurde zuerst in Südafrika entdeckt. Dort sei laut FAZ die Mutante aufgefallen, als Corona-Infizierte nicht über Geschmacksverlust, sondern unfassbare Müdigkeit klagten. Untersuchungen folgten und führten zur Feststellung: Die Delta-Variante scheint von einer ansteckenderen abgelöst zu werden. Omikron enthält mehr als dreißig Mutationen allein an den Virus-„Stacheln“, also den Spike-Proteinen an der Oberfläche, mit denen sich der Erreger Zugang zum menschlichen Körper verschafft und auf das die meisten derzeit verwendeten Impfstoffe ausgerichtet sind. In der südafrikanischen Provinz Gauteng mit den Städten Pretoria und Johannesburg ist die Zahl der neu registrierten Infektionen exponentiell gestiegen und macht schon neunzig Prozent der zuletzt entdeckten Viren aus. Dazu muss allerdings auch angemerkt werden, dass die vorherige Zahl der Infektionen recht gering gewesen ist. Es könnte sich demnach also auch um einen „Gründereffekt“ handeln – also, dass sich die Viren bislang vor allem in Gegenden mit wenig geimpften Menschen ausbreiten.

Doch die Probleme, welche die neue Mutante mit sich bringen könnte, liegen auf der Hand: Das Virus könnte infektiöser sein und sich dadurch schneller und leichter verbreiten. Es könnte sich aggressiver im Körper ausbreiten und beispielsweise Organe stärker befallen oder – das größte Schreckgespenst von allen – es könnte die derzeit verbreiteten Impfstoffwirkungen umgehen und die erste wirkliche „Escape-Mutante“ darstellen, gegen die die Impfstoffe nicht mehr oder in einer stark geschwächten Form wirken.

Isolation statt Lösung

Angesichts dieser Aussichten ist es nicht verwunderlich, dass von der Leyen am Freitag bekannt gab, dass durch Fluggesellschaften „nur noch deutsche Staatsbürger nach Deutschland befördert“ werden dürfen. Außerdem müssten alle Eingereisten – auch vollständig Geimpfte – für 14 Tage in Quarantäne. Die EU hat darüber hinaus auch Flugreisen von anderen Ländern im südlichen Afrika unterbunden. Die erste Reaktion gleicht jener beim Auftreten der ersten Virusvariante 2019. Es wird versucht sich zu isolieren, um sich zu schützen. Was als hartes Durchgreifen und starke Schutzmaßnahme wirken soll, ist allerdings nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Zwar wurde der Flugverkehr eingestellt, aber die ersten Fälle sind schon angekommen unter anderem in Großbritannien, Dänemark, Tschechien, Deutschland. In den Niederlanden strandeten am Amsterdamer Flughafen Passagiere aus Südafrika. Laut der niederländischen Gesundheitsbehörde GGD gab es 61 positive PCR-Tests, 13 dieser positiv getesteten Personen wurden anschließend positiv auf Omikron getestet. Darüber hinaus wurden nun auch in Schottland  die ersten Fälle von potentiellen Omikron-Infektionen bekannt, die nicht mit einer Reise in das südliche Afrika in Verbindung gebracht werden können. Eine schon stärkere Verbreitung des Virus in der schottischen Gesellschaft wird dadurch nahegelegt.

Die Ausweitung in Europa wird als „hoch bis sehr hoch“ eingeschätzt. Wundert das? Eigentlich nicht. Schließlich können die aktuellen Regelungen nicht mal der Delta-Variante Einhalt gebieten. Vielmehr platzen aktuell in Deutschland die Intensivstationen aus allen Nähten, sodass an manchen Orten die Triage beginnt. Gründe dafür sind unter anderem: eine ungenügende Impfkampagne, die es nicht geschafft hat, die Zahl der Impfungen rechtzeitig zu erhöhen.

Notwendig wäre ein solidarischer Lockdown, der nicht nur den Freizeitbereich, sondern auch alle gesellschaftlich nicht notwendige Arbeit betreffen müsste, verbunden mit einer internationalen Zero-Covid- Strategie sowie einem massiven sozialen Schutzschirm, finanziert durch eine Besteuerung der großen Kapitale und Vermögen. Das heißt unter anderem auch 100 % Lohnfortzahlung für alle, die nicht arbeiten gehen können, das Verbot von Mietpreissteigerungen, Zwangsräumungen und Wohnungskündigungen. Ebenso eine massiven Ausbau und Investitionen in das Gesundheitssystem, eine  Einkommenserhöhung von mindestens 500 Euro/Monat für alle in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen Beschäftigten. Stattdessen gibt es mal wieder halbgare Lösungen: unterschiedliche 3G-, 2G-, 2G+-Regelungen, um die Wirtschaft nicht zu stark zu belasten.

Gebt die verdammten Patente frei!

Noch ist unklar, welche praktischen Folgen die Mutationen von Omikron genau haben werden und wie wirksam die Impfstoffe sind. Die bisher gemeldeten Fälle scheinen zumindest keinen schwereren Krankheitsverlauf mit sich zu bringen. Insgesamt ist es auch wenig vermeidbar, dass Mutationen an sich entstehen. Allerdings hätte man die Wahrscheinlichkeit absenken können.

In Südafrika sind bisher 26 % der Bevölkerung geimpft. Mit dieser Quote steht es im afrikanischen Vergleich noch gut da. Länder mit höheren Quoten auf dem Kontinent sind nur Botswana (36 %, Marokko 65,6 % und Tunesien 50,7 %). Es folgen Länder wie Algerien, Angola, Lesotho, deren Impfquoten zwischen 10 % und 25 % liegen. Alle anderen liegen darunter. Ende November 2021 sind laut Al Jazeera erst 6,6 % der Bevölkerung des Kontinents geimpft, obwohl die afrikanische Gesamtbevölkerung rund 16 % der Weltbevölkerung ausmacht. Eine Folge der Impfunwilligkeit? Wohl kaum.

Bei der Sicherung der Impfstoffe hieß es von Anfang an: Wer zahlt, kann seine Bevölkerung schützen. Die imperialistischen Länder werden davon also begünstigt. Jene wie Deutschland, die Biontech beherbergen, profitieren von dieser Regelung auch noch.

Der Kontinent leidet also unter einem Mangel an Impfstoffen, der durch die fehlenden Lieferungen von Covax, der globalen Initiative zur gemeinsamen Nutzung von Impfstoffen, noch verschlimmert wird. Das Problem wurde dadurch zusätzlich verschärft, dass imperialistische Länder, die sich zur Unterstützung der Initiative verpflichtet haben, nur einen Bruchteil der versprochenen Dosen lieferten oder aber Länder wie Deutschland Impfstoffdosen nicht an andere Länder verschicken können, da in den Kaufverträgen mit den HerstellerInnen (z. B. Moderna) ein Weitergabeverbot verankert wurde. Anstatt überschüssige Dosen spenden zu dürfen, möchten die Impfstoffhersteller lieber ein weiteres Geschäft in den afrikanischen Ländern machen. Einen großen Rückschlag erlebte Covax, als Indien in Folge seiner katastrophalen Pandemie-Lage am 22. April 2021 alle Impfstoff-Exporte einstellte. Um diesen Ausfall auszugleichen, sagte die EU bis Jahresende Spenden von mindestens 100 Millionen Impfdosen zu, Deutschland soll davon 30 Millionen Dosen stellen. Doch die für Dezember geplante Abgabe von 5,8 Millionen Dosen Biontech-Impfstoff wurde auf Grund der gestiegenen Nachfrage aber verschoben. Die Booster-Impfungen in den kommenden Monaten werden jedoch auch nicht dafür sorgen, dass sich diese Lage rasch verändert.

Zwar haben die Impfstofflieferungen in den letzten drei Monaten zugenommen. Seit Februar 2021 hat Afrika 330 Millionen Dosen aus der Covax-Fazilität, dem African Vaccine Acquisition Task Team und bilateralen Abkommen erhalten. Allerdings wurde der Großteil davon, rund 83 %, erst seit August geliefert.

Insgesamt zeigt das auf: Auch hier sind die Profite wichtiger als Menschenleben. Das hat nicht nur fatale Folgen in halbkolonialen Ländern, sondern für die gesamte Welt, wie uns das Auftreten der neuen Omikron-Variante deutlich vor Augen führt. Daher sollten wir alle für eine Aufhebung der Patente und eine globale Ausweitung der Produktionskapazitäten der Vakzine eintreten. Genauso wichtig ist aus bereits genannten Gründen die Forderung nach einem umfassenden Technologie- und Wissenstransfer sowie Bereitstellung von personellen Ressourcen, um die weltweiten Produktionskapazitäten für diese Art von Impfstoff stark auszubauen. Um global einen gerechten Zugang zu Impfstoffen durchzusetzen, muss zusätzlich auch die weitreichendere Forderung nach vollständiger Enteignung der Pharmakonzerne sowie des gesamten Gesundheitssektors unter Kontrolle der Lohnabhängigen auf die Tagesordnung gesetzt werden. Denn es herrscht nicht nur eine ungleiche Verteilung von Impfstoffen, sondern auch von Arzneimitteln und medizinischer Ausrüstung insgesamt.

Was braucht es, damit das Realität wird?

Bloßes Bitten wird nicht reichen, diese Forderungen umzusetzen. Auch einzelne Proteste oder Schreiben von ÄrztInnen reichen nicht aus, die bürgerlichen Regierungen dazu zu bringen, die Profite der Pharmaindustrie zu schröpfen. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, braucht es einen solidarischen Kampf der gesamten ArbeiterInnenklasse und ihrer Organisationen, allen voran den Gewerkschaften, der nicht nur auf Demonstrationen setzt, sondern auch auf Streiks und betriebliche Aktionen. In der aktuellen Lage, in der es Kampagnen wie #ZeroCovid nicht geschafft haben, eine breite Masse für sich zu gewinnen, und sich die radikale Linke zum Großteil in Passivität wiegt, scheint auch das fast unmöglich. Darüber hinaus haben die widersprüchliche und konzeptlose Politik der bürgerlichen Regierung und die faktisch Aufgabe einer eigenen Politik durch Gewerkschaften, Sozialdemokratie, linke Parteien und eines Großteils der radikalen Linken auch das Wachstum der reaktionären QuerdenkerInnen und der Rechten, die sich als „FreiheitskämpferInnen“ gerieren, gestärkt.

Deshalb bedarf es eines Kurswechsels, mag er auch schwer zu bewerkstelligen sein. Es ist die Aufgabe von RevolutionärInnen, ja allen klassenkämpferischen Kräften, Forderungen in aktuelle Auseinandersetzungen wie Streiks reinzutragen. Der Gesundheitssektor steht in vielen Regionen faktisch vor dem Zusammenbruch, die Lage an den Schulen ist aberwitzig. Allein das wären unmittelbare Anknüpfungspunkte. Ein solidarischer, rascher Lockdown ist notwendig, um die Zahl der Neuinfektionen zu senken. Um das durchzusetzen, reichen Sharepics nicht, sondern es müssen Betriebsversammlungen organisiert werden, bei denen auch die Frage eines solidarischen Lockdowns, die Forcierung einer Impfkampagne sowie die Freigabe der Patente diskutiert und gefordert werden. Um die Beschäftigten für betriebliche Aktionen bis hin zu Streiks zu gewinnen und eine breite gesellschaftliche Bewegung aufzubauen, müssen wir jedoch auch organisiert und gemeinsam gegen die zu erwartende Hinhaltetaktik der Gewerkschaftsapparate vorgehen. Das politische Versteckspiel während der Pandemie, das illusorische Hoffen auf die „SozialpartnerInnenschaft“ mit Kapital und Kabinett hat mit dazu beigetragen, dass die Lohnabhängigen, die ArbeiterInnenklasse im Kampf gegen das Virus nicht als politische und soziale Kraft in Erscheinung tritt. Es ist die Aufgabe oppositioneller GewerkschafterInnen, diese Auseinandersetzung zu forcieren – im Interesse der gesamten Klasse.




Mit der Impfpflicht gegen die vierte Welle?!

Christian Gebhardt, Infomail 1170, 24. November 2021

3G, 2G, 2G+, 1G. Was sich liest wie eine Reise in die Geschichte der mobilen Telekommunikation, ist der neuste Schrei in der Pandemiebekämpfung. In Deutschland sowie anderen europäischen Ländern nimmt die vierte Welle weiterhin Fahrt auf oder ist schon längst mit voller Wucht am Wüten. In der BRD steht das Gesundheitssystem im Osten und Süden des Landes kurz vor dem Kollaps und in restlichen Teilen steigen die Zahlen kontinuierlich an.

Wie schon im Winter 2020 bemühen sich die PolitikerInnen hervorzuheben, wie überrascht sie von der Situation sind und dass es doch niemand hätte besser wissen können. Wir müssen nun zusammenstehen. Mit Fingern aufeinander zeigen, würde nun niemanden weiterbringen. Also ganz gemäß dem Motto: „Same procedure as last year!”. Alles andere als Schaumschlägerei und Ausreden sind diese Aussagen jedoch nicht.

In Deutschland war es schon über Wochen klar, dass die Welle an Fahrt aufnehmen wird und die Aufhebungen von Maßnahmen wie z. B. der Maskenpflicht für SchülerInnen in Schulen nach den Herbstferien nur Öl ins Feuer schütten bedeuten konnten. Diesen Öffnungsschritten lagen einerseits der Bundestagswahlkampf, wirtschaftliches Interesse des Groß- und Kleinkapitals, aber auch die Angst vor einem erneuten Erstarken und Zuwachs der Querdenkerbewegung zugrunde.

Kurz gesagt: Politisches und wirtschaftliches Kalkül steht hier klar über notwendigen Maßnahmen für die Gesundheit der Bevölkerung und spielt schlussendlich den Rechten in die Hände.

Ein Déjà-vu-Erlebnis! Wir stehen vor den Scherbenhaufen einer Politik, die Profitinteressen über Gesundheit stellt, darauf spekulierte, dass die Impfung einer Mehrheit und die „schrittweise“ Durchseuchung einer Minderheit Ungeimpfter die Infektionsausbreitung unter der Schwelle des Kollapses des Gesundheitswesens halten würde. Nun breitet sich das Virus aus wie nie zuvor. In der letzten Woche infizierten sich täglich um 50 000 Menschen oder mehr, täglich sterben mehr als 200 in Deutschland.

Strategien der Pandemiebekämpfung

Seit Beginn der Pandemie können wir unterschiedliche Strategien ihrer Bekämpfung unterscheiden. Neben der hier in Deutschland angewandten des „Abflachens der Kurve“ stehen noch „Zero-Covid“ sowie „Durchseuchung“ im Fokus der Debatten.

Die Strategien der „Durchseuchung“ sowie des „Abflachens der Kurve“ erfolgen unter der grundsätzlichen Annahme, dass Coronainfektionen nicht verhindert werden können und wir damit umzugehen lernen, d. h. einen Maßnahmenkatalog finden müssen, der nur so viele Coronainfektionen zulässt, wie es das Gesundheitssystem aushält, ohne unnötig die Wirtschaft zu belasten. Alles, was darüber liegt – einschließlich Tausender Menschen, die nicht hätten sterben müssen –, ist in diesen Konzepten einkalkuliert.

Hierbei spielen auch die Schulen und Kitas eine wichtige Rolle. Schulschließungen betreffen schließlich nicht nur Lehrende, Kinder und Jugendliche, sondern haben auch einen gravierenden Einfluss auf die Verfügbarkeit der Arbeitskraft der Eltern im bisherigen Verlauf der Pandemie ausgeübt. Dies führt bei der derzeitigen Pandemiebekämpfung dazu, dass Schul- und Kitaschließungen von allen politischen Kräften im Bundestag abgelehnt werden. Dies wird gerne damit begründet, dass die psychische und physische Belastung durch langanhaltende Schulschließungen sowie das Auseinanderklaffen der sozialen Schere zugenommen haben.

Verschwiegen wird dabei aber, dass dies eine Änderung der Strategie mit Hinblick auf die Schulen bedeutet: diese nämlich zu durchseuchen. Die aktuellen Inzidenzzahlen sprechen hier auch eine eindeutige Sprache. Beobachtet man die Zahlen in den einzelnen Landkreisen nach Altersgruppen gestaffelt, fällt ohne weiteres sofort auf, dass die zwischen 5 – 14 Jahren die derzeit am stärksten von Infektionen heimgesuchte der Gesellschaft darstellt. Auch wenn dies weiterhin (noch) nicht zu einer Kulmination schwerer Krankheitsverläufe bei Menschen dieser Altersgruppe geführt hat, ist noch sehr wenig über die möglichen Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung und „Long Covid“ bekannt. SchülerInnen und Kitakinder werden somit bewusst einer Coronainfektion ausgesetzt, um die wirtschaftlichen Prozesse am Laufen zu halten. Dabei wird wissentlich in Kauf genommen, dass die Auswirkungen von „Long Covid“-Erkrankungen von derzeit jungen SchülerInnen und Kitakindern in 20 – 30 Jahren erhebliche Auswirkungen auf unsere Gesellschaft mit sich bringen können. Aber das dahinterliegende Interesse ist schnell geklärt: Die KapitalistInnen haben derzeit mehr damit zu tun, um ihr wirtschaftliches Überleben im rauen internationalen Konkurrenzkampf zu behaupten, als Rücksicht auf die Gesundheit irgendwelcher potenzieller Angestellter in 20 – 30 Jahren zu nehmen.

Pandemisches vs. endemisches Virus?

Derzeit wird immer noch von einer „Pandemie“ gesprochen und die Hoffnung aufrechterhalten, dass es eine Zeit nach Corona geben wird bzw. ein Weg zu den „guten alten Zeiten“ gefunden werden kann. Dies ist aber nicht nur ein Wort, an das sich alle gewöhnt haben und das deshalb noch weite Verwendung findet. Der Fokus auf das Wort „Pandemie“ lenkt auch von der Frage ab, ob das Coronavirus überhaupt noch pandemisches Virus, oder nicht schon ein endemisch (einheimisch) gewordenes ist. Je nach Einschätzung in dieser Frage lassen sich auch unterschiedliche Maßnahmen und Umgangsformen mit dem Virus ableiten, wie z. B. mit dem Impfen. Ein pandemisches Virus kann durch eine breit aufgestellte Impfpflicht aus einer Gesellschaft gedrängt werden. Bei einem endemischen Virus ist dies nicht mehr möglich und eine immer wiederkehrende Impfung in regelmäßigen Abständen mit angepassten Impfstoffen wird notwendig. Ob wir uns in Bezug auf das Coronavirus schon in einer endemischen oder noch einer pandemischen Lage befinden, ist noch umstritten. Dass wir aber auf dem Weg dahin sind, ist jedoch sicher. Auch die WHO spricht jetzt schon davon, dass wir das Coronavirus nicht mehr loswerden, d. h. Es endemisch ist bzw. werden wird.

Solche endemischen, immer wiederkehrende Viren sind der Menschheit aber nicht fremd: z. B. das jährliche Grippevirus. Dieses verändert bzw. mutiert im Laufe eines Kalenderjahres bei seinem „Gang“ über den Globus so stark, dass es jährlich in einer neuen Form eine erneute Grippewelle auslösen kann. Es werden durch ganzjährige Beobachtungen die Veränderungen des Virus durch extra dafür eingerichtete Forschungszentren verfolgt, um dann den passenden Impfstoff für die kommende virulenten Mutanten herstellen zu können. Eine Klassifizierung des Coronavirus als endemisch würde eine solche ganzjährige Beobachtung sowie eine zeitlich abgestimmte Anpassung der benötigten Impfstoffvarianten sowie deren Produktion bedeuten. Ein solches System aufzubauen, benötigt vor allem Geld, wovor sich aber die EntscheidungsträgerInnen derzeit wegducken und das Thema zur Seite schieben, indem weiterhin von einer Pandemie gesprochen wird.

Impfpflicht? Schattenboxen oder ein möglicher Weg aus der Coronakrise?

Die obige Unterscheidung zwischen pandemischer und endemischer Lage hat auch mit einer derzeit stark geführten Debatte zu tun – der der Impfpflicht. Sie wird derzeit entweder in Form einer generellen Impfpflicht geführt oder in Verbindung mit bestimmten Berufsgruppen wie z. B. PflegerInnen, Kitaangestellten oder LehrerInnen. Stellt eine solche Diskussion jedoch ein Schattenboxen dar oder ist sie wirklich ein möglicher Weg aus der Coronakrise?

Österreich ging als erstes Land in der EU den Schritt und verkündete ab Februar 2022 eine allgemeine Impfpflicht. Die wurde gekoppelt mit der Verhängung eines Lockdowns für alle ab dem 22. November und keiner Differenzierung mehr zwischen Geimpften, Genesenen und Ungeimpften vor dem 12. Dezember 2021. Aber wer eine Impfpflicht ausspricht, muss diese auch durchsetzen können. Hier muss dann die Frage gestellt werden, ob ein solcher Beschluss überhaupt ausführbar ist: Sind überhaupt genügend Impfdosen vorhanden? Wie schnell soll das Impfen durchgezogen werden und gilt die Impfpflicht nur jetzt oder auch für notwendige Auffrischungen in absehbarer Zukunft?

Das Beispiel Kuba zeigt, wie eine gut organisierte Massenimpfkampagne in sehr kurzer Zeit fast die gesamte Bevölkerung erfassen kann. Trotz wirtschaftlichen Embargos und internationalen Drucks hat dieses Land es geschafft, einen eigenen Impfstoff herzustellen und diesen in der eigenen Bevölkerung mithilfe einer groß angelegten Massenimpfkampagne einzusetzen. Seit dem Impfstart am 16.09.2021 wurden bis Stand 18.11.2021 rund 89 % mindestens einmal und 76,6 % vollständig geimpft (Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1203308/umfrage/impfstoffabdeckung-der-bevoelkerung-gegen-das-coronavirus-nach-laendern/). Bei einem Impfstoff mit einer Wirksamkeit von rund 90 % sprechen auch die Zahlen eine eindeutige Sprache für die kubanische Impfkampagne. Hatten sich in der Kalenderwoche des 16.09.2021 noch 56 165 Menschen auf Kuba angesteckt, fiel diese Zahl kontinuierlich auf nun 2 064 dieser Woche (Quelle: https://coronavirus.jhu.edu/map.html). Auch wenn diese Zahlen eventuell nicht den kompletten Infektionsverlauf auf Kuba abbilden, ist ihr Rückgang doch recht beeindruckend.

Dieser Impferfolg in nur drei Monaten war durch das seit langem auf Kuba eingeübte, planwirtschaftliche Impfsystem möglich: Die Impfung wird zentral von den Gesundheitsbehörden koordiniert, in den Barrios aber die Umsetzung den Massenorganisationen, insbesondere den Nachbarschaftskomitees (CDR) übertragen. Diese sorgen dafür, dass wirklich alle aus der Nachbarschaft an den zugeteilten Terminen in die Kollektivpraxen kommen. Ein klarer Beweis für die Überlegenheit eines kollektiven, planwirtschaftlichen Gesundheitssystem gegenüber der kapitalistischen Planlosigkeit!

Hier muss man verschiedene Situationen unterscheiden, in denen eine Impfpflicht festgeschrieben und auch durchgeführt wird. Es macht einen großen Unterschied für den Schutz der Wirksamkeit, ob sie und eine große Impfkampagne zu einer Hochzeit der Infektionslage durchgeführt werden oder nicht. Sind die Infektionszahlen in einem Land hoch, bedeutet dies auch eine hohe Virenlast in der Gesellschaft und somit ein erhöhtes Risiko, eine derzeit symptomfreie, infizierte Person zu impfen. In einem solchen Fall steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Mutationsvarianten des Virus in diesen infizierten, aber nun geimpften Personen etabliert werden, die sich im Anschluss ausbreiten und den Impfstoff unwirksamer werden lassen. Daher macht es auch Sinn, eine groß angelegte, verpflichtende Impfkampagne durchzusetzen, wenn die Viruslast in einer Gesellschaft gering und damit auch die Infektionszahlen auf einem Minimum sind. Diese Chance wurde jedoch vertan, so dass es keine Alternative zur Forcierung des Impfens zum jetzigen Zeitpunkt gibt, selbst wenn deren Wirkungen erst in etlichen Monaten deutlich werden.

Wir brauchen einen solidarischen Lockdown!

Damit wir auf eine geringe Viruslast nicht bis zum nächsten Sommer warten müssen und der Winter einer wie der letzte wird, benötigen wir jetzt einen klaren Lockdown, der nicht nur die Freizeiteinrichtungen und den privaten Konsum trifft, sondern auch gesellschaftlich nicht notwendige Produktion und Tätigkeiten für einige Wochen aussetzt.

Gekoppelt werden müsste das mit einer international angewandten Zero-Covid-Strategie. Dies bedeutet: die Schließung aller nicht lebensnotwendiger Betriebe sowie die Weiterbezahlung aller Beschäftigten, die wegen eines solchen notwendigen Lockdowns zuhause bleiben müssen. Ein solcher, auf die Wirtschaft ausgerichteter Lockdown würde auch mehr Raum geben, um Maßnahmen in Kitas und Schulen sowie im sozialen Bereich lockerer zu handhaben als in den vorherigen Lockdowns. Dies ist wichtig, um die verlorene Akzeptanz für die nun notwendigen Maßnahmen zurückzugewinnen.

Schließlich müsste er mit einem massiven sozialen Schutzschirm, finanziert durch eine massive Besteuerung der großen Kapitale und Vermögen, verbunden werden. D. h. unter anderem 100 % Lohnfortzahlung für alle, die nicht arbeiten gehen können; Verbot von Mietpreissteigerungen und Kündigungen von Wohnungen; Ausbau des Gesundheitswesens und Erhöhung der Einkommen um mindestens 500,- Euro/Monat für alle Pflegekräfte; Sicherung der Betreuung von Kindern, Jugendlichen sowie von Menschen mit Behinderung durch zusätzliche Kräfte.

Stellt man die Impfpflicht alleine ohne weitere, gekoppelte Maßnahmen in den Raum, ist sie sehr wohl ein Schattenboxen, das von den derzeitig notwendigen Maßnahmen und Diskussionen abzulenken versucht. Selbst wenn sie von der geschäftsführenden oder der neuen Bundesregierung sowie den jeweiligen Landesregierungen beschlossen und durchgesetzt werden würde, würde der Effekt dieser Maßnahme erst mittelfristig, in einigen Monaten sichtbar werden. So hat die Ankündigung der österreichischen Regierung, ab Februar eine Impfpflicht einzuführen, überhaupt keine Wirkung, soll vielmehr von der bisherigen Inaktivität und Verharmlosung der Gefahr sowie dem Zickzackkurs ablenken. Auch der Lockdown in Österreich ist letztlich darauf berechnet, das Infektionsgeschehen bis Mitte Dezember so weit in den Griff zu kriegen, dass dann wieder alles geöffnet ist, Weihnachten, Neujahrsfeiern und vor allem der Wintertourismus „gerettet“ werden können, also so weiter gewurschtelt werden kann wie bisher.

Wird eine Impfpflicht aber mit einem harten, solidarischen Wirtschaftslockdown und einer Kontrolle der Impfstoffproduktion und -verteilung durch die ArbeiterInnenklasse auf einer internationalen Ebene verbunden, würde sie durchaus Sinn ergeben. Deren Umsetzung müsste dabei von den Lohnabhängigen kontrolliert werden, so dass verhindert werden kann, dass sie von Unternehmen als Vorwand für Entlassungen und Kündigungen missbraucht wird.

Die aktuelle Zunahmen von hartnäckigen ImpfgegnerInnen, die Ausbreitung von letztlich irrationaler Ablehnung von Gesundheitsschutz und Impfung stellt dabei ein gesellschaftliches Hindernis dar, das natürlich nicht einfach durch Verbote überwunden werden kann. Zudem bereiten die bürgerliche, halbherzige und in sich widersprüchliche Coronapolitik und die Krise des Kapitalismus selbst den Nährboden, auf dem diese wachsen. Um diesen reaktionären Trend zu brechen, müssen wir natürlich mit den Menschen sprechen und zu überzeugen versuchen, die nicht aus tiefer reaktionärer Überzeugung, sondern aus Mangel an Aufklärung und damit verbundenen Ängsten Impfungen skeptisch gegenüber stehen. Aber es muss ihnen von Seiten der ArbeiterInnenbewegung auch deutlich gemacht werden, dass die Weigerung, sich und andere mit den vorhandenen Mitteln zu schützen, einen Akt der Entsolidarisierung gegenüber der Gesellschaft darstellt.

Eine zentrale Verantwortung für diese Misere kommt dabei den Gewerkschaften und den sozialdemokratischen und Linksparteien, also in Deutschland vor allem der SPD, aber auch der Linkspartei zu, die vorgeben, die Lohnabhängigen zu vertreten. Und dabei geht es nicht nur, ja nicht einmal vorrangig um Leute wie Wagenknecht, die die Gefahr verharmlosen und reaktionären Müll verbreiten. Entscheidend ist, dass SPD und Linkspartei seit Ausbruch der Pandemie wie auch die DGB-Gewerkschaften die Regierungspolitik mitbestimmt oder faktisch gestützt haben. Die Politik eines Bodo Ramelow und anderer Landesregierungen, an denen die Linkspartei beteiligt ist, unterscheidet sich nicht von denen der meisten anderen. Die Führungen der großen Industriegewerkschaften (IG Metall, IG BCE) und die Konzernbetriebsräte übten sich in SozialpartnerInnenschaft. GEW und Teile von ver.di äußerten zwar immer wieder Kritik an Bund und Ländern – aber viel zu zaghaft und ohne Mobilisierungsperspektive. Wenn wir in der ArbeiterInnenklasse etwas ändern wollen, müssen wir daher für einen Kurswechsel gerade in den Gewerkschaften und in den Betrieben kämpfen, so schwer es auch erscheinen mag.

Denn unmittelbar geht es darum, die Ausbreitung des Virus, das Sterben und den drohenden Zusammenbruch des Gesundheitswesens effektiv zu stoppen. Daher brauchen wir einen solidarischen Lockdown jetzt! Ansonsten droht, dass in den kommenden Wochen und Monaten weitere Tausende an Corona sterben und weitere Hunderttausende sich mit dem Virus infizieren.

  • Für einen solidarischen Lockdown gemäß einer Zero-Covid-Strategie!
  • Für eine koordinierte, internationale Impfkampagne, die Freigabe der Patente und weiterer Forschung, die Offenlegung und Kontrolle der Impfstoffforschung und -produktionsabläufe!
  • Enteignung der ImpfstoffproduzentInnen unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für eine Aufklärungskampagne zu den Impfstoffen durch die Gewerkschaften und Organisationen der ArbeiterInnenklasse in den Betrieben!
  • Für eine breit angelegte Impfkampagne, kontrolliert durch die Lohnabhängigen in den Betrieben, Schulen und Wohnvierteln!



Enteignet die Enteigner! Vergesellschaftung erkämpfen!

Aufruf zum Enteignungsblock am 1. Mai in Berlin, Infomail 1147, 24. April 2021

Freitag, 30. April, 17.00, Leopoldplatz, Von der Krise zur Enteignung!
Samstag, 1. Mai, 11.00, Hackescher Markt, Nicht auf unserem Rücken – Gewerkschaften und Lohnabhängige in die Offensive!
Samstag, 1. Mai, 17.00, Hermannplatz, Revolutionäre 1. Mai Demo

Steigende Mieten und Wohnungsspekulation, Krankenhausprivatisierungen und Gesundheitsnotstand, Massenentlassungen und Kurzarbeit, prekäre Jobs, doppelte Last in der Hausarbeit und knappe Kassen prägen unseren Alltag. Viele fühlen sich nach Monaten eines Zick-Zack-Kurses in der Pandemiebekämpfung, nach überhasteten Öffnungen von Schulen und Kitas sowie ebenso überhasteten Schließungen am Ende ihrer Kräfte. Millionen Menschen drohen Verarmung, Pleiten und Arbeitslosigkeit, während andere Überstunden im Krankenhaus oder in der Exportindustrie schieben müssen.

Dabei hat die Pandemiebekämpfung von Bund und Ländern schon im letzten Jahr Zehntausenden das Leben gekostet. Die Lasten dieser Politik müssen wir Lohnabhängige tragen, während der Lockdown vor den Pforten der großen Konzerne haltmacht, die weiter Milliardenprofite einfahren: seien es Konzerne wie Daimler und Volkswagen; seien es Amazon und die IT-Industrie; seien es BioNtech-Pfizer, Merck und andere Pharmariesen, seien es Deutsche Wohnen, Vonovia und andere.

Auch 2020 bleiben den 100 umsatzstärksten Konzernen in Deutschland noch satte 60 Mrd. Euro an Gewinnen, 32 Mrd. wurden an die Aktionär:innen als Dividenden ausgeschüttet. Krisengeschüttelte Unternehmen wie die Lufthansa wurden mit Milliarden Steuergeldern gerettet, während an den Schulen und Kitas bis heute Luftfilter oder IT-Endgeräte für viele Schüler:nnen fehlen. Die Politik ließ die Corona-Held:innen in den Krankenhäusern und im Einzelhandel zwar hochleben, auf Lohnerhöhungen, Arbeitsverkürzung und mehr Personal warten sie aber bis heute vergeblich.

Seit mehr als einem Jahr ist unser Leben von einer dreifachen Krise geprägt, deren Ende nicht in Sicht ist: der tiefsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg; einer Pandemie, die weltweit schon drei Millionen Tote gefordert hat und einer fortdauernden Umweltkrise, deren Auswirkungen immer deutlicher werden. Und geht es nach denen, die im Kapitalismus das Sagen haben, sollen wir für Krise und Pandemie bezahlen, sollen wir die Staatsverschuldung durch mehr Steuern und Kürzungen finanzieren; sollen wir den Buckel krumm machen, damit Deutschland und deutsche Konzerne den Weltmarkt erobern und beim Kampf um die Neuaufteilung der Welt erfolgreich sein können.

Während der Staat in der Krise mit unzureichenden Hilfen wie Kurzarbeiter:innengeld notdürftig eingesprungen ist, sollen wir in „Eigenverantwortung“ eine Misere ausbaden, für die wir keine Verantwortung tragen. Während viele von uns aus ihren Wohnungen verdrängt werden und ihre Arbeitsplätze zu verlieren drohen, bereichern sich Konzerne auf unsere Kosten. Während wir – und erst recht Millionen auf der ganzen Welt – auf Impfungen und Impfstoff warten, entpuppen sich die Patente der Pharmariesen als Lizenz zum Gelddrucken. Während wir um unsere Arbeitsplätze fürchten, erhöhen die ChefIinnen in den Konzernzentralen den Druck auf uns. Die einen werden gefeuert, die anderen sollen für weniger Geld immer mehr arbeiten, ob nun in den Produktionsstätten, in den Kaufhäusern, im Versandhandel oder im Home-Office.

Sie, die kapitalistischen Ausbeuter:innen, diktieren uns unsere Lebensbedingungen bis in die Freizeit. Sie verdrängen uns aus unseren Wohnungen und Stadtteilen, sie machen Gewinne mit unserer Gesundheit und durch die Ausbeutung unserer Arbeitskraft. Sie bluten soziale Einrichtungen und Sicherungssysteme aus und zwingen vor allem Frauen noch mehr Sorgearbeit im Haushalt auf. Sie verwehren migrantischen Arbeiter:innen und Geflüchteten den Zutritt zum „freien“ Arbeitsmarkt und organisieren die Überausbeutung ihrer Arbeitskraft.

Ein besseres Leben, das frei ist von Existenzangst, das frei ist von der Angst um die eigene Gesundheit, mit der Regierung und Corona-Leugner:innen auf wahnwitzige Weise spielen; ein Leben das frei ist von Sexismus, Rassismus und Kriegstreiberei – all das müssen wir uns selbst erkämpfen. Wir müssen uns fragen: Welche Klasse, welche Kraft, welche Bewegung bestimmt über die Wirtschaft und Politik? Ein besseres Leben können wir nur erkämpfen, wenn wir selbst die Verfügungsgewalt des Kapitals über unsere Arbeit, über unser Leben, über unsere Wohnverhältnisse, unsere Gesundheit, über die soziale Reproduktion in Frage stellen.

Daher wollen wir gemeinsam eine Massenbewegung gegen Krise und Pandemie aufbauen, die vor der Eigentumsfrage nicht haltmacht. Deshalb demonstrieren wir gemeinsam am Ersten Mai. Organisieren wir uns in Kampagnen wie DWE und Co. enteignen, in den Betrieben und Gewerkschaften, an Schulen und Unis, in den Communities und Stadtteilen, in Aktionsbündnissen, so dass nicht wir, sondern die Reichen und Vermögenden die Kosten der Krise tragen müssen!

  • Verbot aller Räumungen und Wohnungskündigungen, Erlass der Mietschulden! Für die Wiedereinsetzung der Wohngemeinnützigkeit und Enteignung der großen profitorientierten Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen, Vonovia und Co. unter Kontrolle der Mieter:innen!
  • Gegen jede Diskriminierung von MigrantIinnen bei der Suche nach Wohnung oder Arbeitsplatz! Volle Staatsbürger:innenrechte für alle!
  • Enteignung des Gesundheitssektors und der Pharmaindustrie; Aufhebung aller Patente auf Impfstoffe! Rasche und gerechte globale Verteilung! Kontrolle der Maßnahmen durch die Beschäftigten im Gesundheitssektor! Streichung der Schulden der Länder des globalen Südens!
  • Für die Vergesellschaftung der Haus- und Carearbeit zur Durchbrechung der sexistischen Arbeitsteilung! Milliardeninvestitionen in Bildung, Erziehung und Pflege, bezahlt durch progressive Besteuerung von Reichen und Kapitalist:innen!
  • Nein zur Festung Europa – offene Grenzen! Organisierter Selbstschutz gegen rechte Gewalt! Verteidigt die Demonstrationsfreiheit und demokratische Rechte!
  • Schluss mit allen Auslandseinsätzen, Waffenexporten, politischen und wirtschaftlichen Hilfen für reaktionäre Regime! Austritt aus der NATO!
  • Kampf gegen alle Entlassungen! Gesetzlicher Mindestlohn und Mindesteinkommen für alle von 15,- Euro/Stunde! Hundertprozentige Fortzahlung der Einkommen der Beschäftigten und kleiner Selbstständiger während eines solidarischen Lockdowns.
  • Enteignung aller Unternehmen, die mit Massenentlassungen drohen! Energiewende durch Enteignung des Energie- und Verkehrssektors unter Kontrolle der Beschäftigten! Die Reichen müssen zahlen – massive Besteuerung von Reichen und Kapitalist:innen!

Unterstützende Gruppierungen: Gruppe ArbeiterInnenmacht, Razem Berlin, REVOLUTION, Revolutionäre Internationalistische Organisation/Klasse gegen Klasse, Sozialistische Alternative (SAV) Berlin, #ZeroCovid Berlin




Solidarischer Lockdown jetzt! Gemeinsam gegen Pandemie und Krise

Reden der Gruppe ArbeiterInnenmacht am ZeroCovid-Aktionstag am 10. April in Berlin, München, Stuttgart, Infomail 1145, 12. April 2021

Rede in Berlin

Genossinnen und Genossen!

Die dritte Welle der Pandemie hat seit Wochen Deutschland voll erfasst. In zahlreichen Ländern sind die Infektionszahlen drastisch gestiegen. Zweifellos geht das auch auf neue Mutationen zurück.

Doch die Ursachen dafür sind keineswegs bloß in den Eigenschaften des Virus zu suchen. Wie eine Gesellschaft auf globale Herausforderungen regiert, ist nicht nur eine medizinische Frage – es ist vor allem eine Frage, welche Prioritäten sie setzt, welche Klasse, welche Kraft die Wirtschaft, die Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens bestimmt.

Heute stehen wir vor der Charité. Die Beschäftigten leisten hier schier Unmenschliches, um unsere Gesundheit und die der PatientInnen zu sichern – trotz zu geringer Löhne, extrem langer Arbeitszeiten und chronischen Personalmangels, trotz Privatisierungen und Profitmacherei im Gesundheitssektor.

Außer vielen schönen Worten und noch mehr leeren Versprechungen hat die bürgerliche Politik wenig zu bieten. Ausbau, Vorsorge nach der ersten Welle der Pandemie? Fehlanzeige!

Die Corona-Politik der Regierungen macht dort halt, wo eine Politik im Interesse der Masse der Bevölkerung anfängt: in den Betreiben, hinter den Werktoren und Pforten. So hangeln wir uns von einem Freizeitlockdown zum nächsten, von einem Appell an die Bevölkerung zum nächsten, während die Produktion in den Großkonzernen, die Arbeit in Großraumbüros munter weitergehen. Infektionszahlen dort sind ein gut gehütetes Betriebsgeheimnis. Selbst von einer Testpflicht sind die Industriebetriebe nicht zuletzt auch dank ihres Wirtschaftsministers Altmaier ausgenommen.

Eine solche Politik, die an den Interessen des Großkapitals haltmacht, wird die Pandemie nicht in den Griff bekommen.

Die aktuelle Politik eines halbherzigen Freizeitlockdowns gefährdet nicht nur die Gesundheit von PatientInnen und Beschäftigten. Sie bedeutet auch, dass die Menschen vor die Alternative Gesundheit oder eigene Existenz gestellt werden. Für Geflüchtete, für Obdachlose, aber auch für alle Arbeitslosen, Menschen in Kurzarbeit, prekär Beschäftigte, Selbstständige und kleine Unternehmen verschärft die Politik der Regierung ihre Armut oder bedroht ihre Existenz.

Das bildet den Nährboden für Verzweiflung und damit auch für rechte, Corona leugnende Bewegungen, die nicht nur Nazis und die rassistische AfD, sondern auch FDP und Unternehmerverbände für sich zu nutzen versuchen.

Unsere Antwort lautet: solidarischer Lockdown, vorübergehende Einstellung sämtlicher nichtessentieller Arbeit. Was darunter fällt, muss von den Lohnabhängigen, den Beschäftigten, aber auch von Eltern von Kindern, pflegenden Angehörigen entschieden werden.

Für alle Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten, muss es weiter volle Einkommen geben. Dasselbe trifft auf alle Geflüchteten, Wohnungslosen, Erwerbslosen zu, auf alle, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.

Was den Gesundheitsbereich betrifft, muss dieser der Kontrolle des Kapitals entzogen werden. Die Pharmakonzerne, die privaten Krankenhäuser müssen enteignet werden unter Kontrolle der Beschäftigten, die Patente auf Impfstoffe freigegeben werden.

Dazu müssen wir selbst eine Bewegung aufbauen, die einen solidarischen Lockdown im Interesse der Masse der Bevölkerung hier und europaweit erzwingt. Wir müssen eine Bewegung aufbauen, die sich auf die Gewerkschaften, auf die Lohnabhängigen stützt und diesen Kampf mit dem gegen die Abwälzung der Lasten der kapitalistischen Krise auf uns verbindet. D. h. wir müssen den Aufbau von #ZeroCovid als Teil einer Bewegung gegen die kapitalistische Krise begreifen, als Teil des Kampfes für eine Gesellschaft, in der nicht der Profit diktiert, sondern Produktion und Reproduktion der Gesellschaft gemäß den Bedürfnissen der Menschen gestaltet werden.

Rede in München

Liebe KollegInnen und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen,

Ihr habt in Euren Reden auf die Risiken der Ansteckungsgefahr in den Betrieben aufmerksam gemacht – ein Bereich, der bewusst von der offiziellen Politik ausgelassen wird.

Das ist kein Zufall, geht es doch den politisch Verantwortlichen und den KaptialistInnen darum, einen umfassenden Lockdown der Wirtschaft mit allen Mitteln – auch auf Kosten der Gesundheit der vielen Kolleginnen und Kollegen in der Produktion, die kein Homeoffice machen können –, zu verhindern.

Ihre Profite stehen in diesem Wirtschaftssystem höher als die Gesundheit der Menschen!

Doch trotz dieser Gefahr stehen auch viele Kolleginnen und Kollegen einem radikalen, wenn auch notwendigen Shutdown der Betriebe skeptisch gegenüber, weil sie Angst vor Arbeitsplatzabbau haben.

Aber schon lange vor Ausbruch der Pandemie erleben wir z. B. in der Automobilindustrie im Namen der Umstellung auf E-Autos einen gigantischen Umstrukturierungsprozess mit Schließungen von Betrieben und massivem Arbeitsplatzabbau. Und das, obwohl die Autoindustrie immer noch hohe Gewinnmargen vorzeigen kann. Allein der Volkswagenkonzern, einer der größten weltweit, erzielte im Jahr 2020 einen Gewinn von 8,8 Milliarden Euro! Und dies trotz einer weltweiten Wirtschaftskrise!

Dringlicher denn je wäre es jetzt nötig, dass die großen Organisationen – allen voran die Gewerkschaften – aber auch DIE LINKE und einzelne Gliederungen in der SPD – eine Verteidigungsfront gegen all diese Angriffe auf unsere Arbeits- und Lebensbedingungen aufbauen und die zur Kasse bitten, die für die Krise verantwortlich sind und weiterhin Profite machen – nämlich die großen Konzerne und Vermögenden.

Aber leider erleben wir genau  das Gegenteil: Die erste große Herausforderung in diesem Jahr – die Tarifrunde im Metall und Elektrobereich – endete vor kurzem mit einem Totalausverkauf. Statt einen ernsthaften Kampf mit Durchsetzungsstreiks für die Forderung nach 4 % tariflicher Lohnerhöhung und einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und vor allem Personalausgleich aufzunehmen, um eine Perspektive gegen Arbeitsplatzabbau aufzuzeigen, wird die Tarifrunde nach ein paar Warnstreiks beendet.

Im dritten Jahr gibt es keine tarifliche Gehaltserhöhung, stattdessen Einmalzahlungen und das sogenannte Transformationsgeld – eine jährliche Sonderzahlung, bei der vollkommen unklar ist, ob sie tatsächlich ausgezahlt wird, da sie vollkommen vom wirtschaftlichen Wohl des einzelnen Unternehmens abhängig gemacht wird:

Geht es einem Unternehmen schlecht, kann ein Teil der Belegschaft in eine verkürzte Arbeitszeit geschickt werden und das nur mit einem Teillohnausgleich – beides darf sie über das Transformationsgeld und andere Sonderzahlungen auch noch selber aufbringen.  Darüber hinaus kann die Geschäftsleitung einseitig – ohne Absprache mit dem Betriebsrat oder der Gewerkschaft – die Auszahlung nach hinten verschieben, wenn die Umsatzrendite eines Unternehmens auf unter 2,3 % sinkt. Diese „automatische“ Abweichung vom Tarifvertrag ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Tarifbewegung in Deutschland. Die IG Metall-Führung verkauft dies noch als einen zukunftssichernden Tarifabschluss, doch in Wirklichkeit können damit weder ein Arbeitsplatz noch die Kaufkraft der Kolleginnen und Kollegen gesichert werden. Allein die UnternehmerInnen profitieren davon, die Zeche zahlen die Beschäftigten. So offen hat die IG Metall ihre Unterordnungspolitik unter die Interessen des Exportkapitals noch nie zur Schau gestellt!

Schlimmer noch, das schnelle Ende des Tarifkampfes und das Ergebnis stellen in einer Situation, wo es jetzt schon zu Betriebsschließungen, Arbeitsplatzabbau und Abwälzung der Kosten für die Pandemie auf die arbeitende Bevölkerung, Arbeitslose, Jugend und MigrantInnen kommt, eine Verschiebung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses hin zu Gunsten der KapitalistInnen dar.

Die MetallunternehmerInnen – aber nicht nur diese – haben sehr wohl verstanden – es geht um Klassenkampf: Wer kann sich in dieser tiefgehenden Krise durchsetzen – die ArbeiterInnenklasse oder das Kapital im Verbund mit seiner Regierung? Die Gewerkschaftsführungen dagegen praktizieren nach wir vor ihre Sozialpartnerschaftspolitik mit Kapital und Regierung!

Eine Massenbewegung, die auch in den Betrieben und auf der Straße sichtbar wird, gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Masse der Bevölkerung, gegen die Angriffe auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen und für eine effektive Bekämpfung der Pandemie wird sich nicht automatisch entwickeln.

Das benötigt das bewusste und gemeinsame Eingreifen von allen Kräften in den Gewerkschaften, in der Linkspartei, in der SPD und aller anderen linken Organisationen, die Schluss machen wollen mit der Politik der Unterordnung und Kapitulation vor den Kapitalinteressen.

Einen wichtigen Ansatz dafür bildet die Kampagne des ver.di-Bezirks München „Superreiche zur Kasse für die Kosten der Krise“. Dafür soll ein breites Bündnis – mit DGB-Gewerkschaften, DIE LINKE und SPD-Gliederungen – aufgebaut und zu Kundgebungen/Demos vor und nach der Bundestagswahl mobilisiert werden.

Diese politische Kampagne muss verbunden werden mit den Warnstreiks in den kommenden Tarifrunden im öffentlichen Nahverkehr, bei der Deutschen Bahn, beim Handel und im öffentlichen Dienst der Länder! Und sie muss über die Bundestagswahlen hinaus weiter fortgeführt werden und auch Kräfte und Bündnisse aus dem  linken Spektrum mit einbeziehen, damit sie sich tatsächlich zu einer konsequenten Massenbewegung gegen Kapital und Krise entwickeln kann!

Rede in Stuttgart

Hi, schön dass ihr heute hier seid.

Heute vor einer Woche waren hier auf dem Marienplatz über 10.000 QuerdenkerInnen. Die Straßenbahnen, die ganze Stadt waren voll mit diesen SpinnerInnen – ohne Masken, ohne Abstand. Diese Rücksichtslosigkeit und diese Art unsolidarischen Protests verurteilen wir zutiefst. Diese Aktionen sind nicht nur Teil einer rechten Bewegung, welche von nationalistischen Organisationen und Parteien durchsetzt ist, sondern stellen auch einen enormen gesundheitlichen Risikofaktor dar.

Im letzten Jahr führten Querdenken-Demos laut einer Studie der Humboldt-Uni zu 20.000 Infektionen. Hierbei wird auch der enorme Unterschied zum Protest von #ZeroCovid deutlich, denn schließlich ist eine Ansteckungsgefahr bei Einhaltung von Abständen und Tragen von Masken an frischer Luft sehr gering. Genau deshalb ist es auch extrem gefährlich, dass die Regierung einerseits Betriebe offen lässt, aber andererseits Ausgangssperren verhängt, somit den QuerdenkerInnen Wasser auf die Mühlen lenkt und gleichzeitig verhindert, dass die Pandemie effektiv bekämpft wird.

Mit Entsetzen mussten wir beobachten, wie einige PolizistInnen mehr oder weniger offen mit den QuerdenkerInnen sympathisierten. Der Handschlag eines Polizisten mit einem Querdenken-Ordner hier in Stuttgart vor einer Woche symbolisiert das. Dabei ist es nach den Erkenntnissen zum NSU 2.0., zu Uniter und Nazi-Chatgruppen eigentlich keine Überraschung, dass es Sympathien zu rechten Bewegungen innerhalb des Polizeiapparates gibt. Als tragendes Staatsorgan wird die Polizei darauf getrimmt, in einem ideologischen Bereich zu agieren, welcher die Grundlage des bürgerlichen Staates bildet. Sie fasst die Querdenken-Bewegung höchstens mit Samthandschuhen an – und das, obwohl die öffentliche Empörung über diese demonstrative Missachtung des Infektionsschutzes wächst.

Warum? Bei Querdenken tummeln sich zwar rechte SpinnerInnen mit den verrücktesten Verschwörungstheorien, und auch offene Nazis können dort auftreten. Aber ihr gemeinsamer Nenner ist die sofortige, kompromisslose Öffnung der Wirtschaft. Das ist in Wirklichkeit gar keine Opposition – die QuerdenkerInnen denken nur konsequent zu Ende, was die verschiedenen Wirtschaftsverbände aktuell Tag für Tag fordern!

Da passt es auch super ins Bild, dass versucht wird, diese Scheinopposition als einzige Alternative zur Regierungspolitik darzustellen. Entweder man ist für die Regierungspolitik der wirtschaftlichen Unangreifbarkeit oder für die Politik der Querköpfe.

Doch warum muss die Profitlogik die Antwort auf eine gesundheitliche Frage diktieren?

Warum bleibt wieder nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, zwischen CDU und AfD, zwischen totaler Unterordnung unter die Interessen der Großkonzerne oder die der Kleinunternehmen?

Warum können wir nicht die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, der Gesundheit aller, der arbeitenden Bevölkerung vertreten?

Die Pflegekräfte, Lehrkräfte und die Jugendlichen haben nichts von den Profiten von Daimler oder Pfizer! Wir brauchen keine wirtschaftlichen Profite, sondern gesundheitliche Förderung, bessere Bedingungen und mehr Geld für mehr Pflegepersonal!

Wir brauchen die Freigabe der Patente, um größtmögliche Verbreitung von Impfstoffen weltweit sicherzustellen, denn eine Pandemie kann nicht national bekämpft werden!

Wir brauchen Organe, die uns ermöglichen, selbst zu entscheiden, wie die gesundheitliche Krise gelöst wird, und wir müssen die Politik der Regierung und die von Querdenken bekämpfen, wenn wir wollen, dass Pflegekräfte auch mal Zeit haben durchzuatmen.

Hinter dieser Krise steht das Kapital, Solidarität dem Pflegepersonal!




Tübinger Testmodell – Vorbild oder Irrsinn?

Katharina Wagner, Infomail 1145, 7. April 2021

Wie lässt sich das exponentielle Wachstum stoppen beziehungsweise verlangsamen? Welche Maßnahmen sind dafür am geeignetsten? Und wie und ob überhaupt kann man ein Stückchen Normalität zurückholen? Diese Fragen werden im Moment viel diskutiert. PolitikerInnen und Kommunen halten massive Einschränkungen in Bezug auf persönliche Grundrechte für notwendig und Lockerungen für ausgeschlossen, betroffen ist hierbei freilich nur der private Bereich. Zusätzlich wird schon wieder über Ausgangssperren diskutiert, immer mehr Bundesländer erwägen die Wiedereinführung einer nächtlichen Ausgangssperre oder haben diese bereits umgesetzt.

Tübinger Modellprojekt

Ganz anders ist die Situation in Tübingen, wo im Zuge eines Landesmodellprojekts untersucht wird, in welcher Form Schnelltests eine sinnvolle Maßnahme bei Lockerungen seien bzw. diese ermöglichen können. So dürfen seit dem 16. März Außengastronomie und Einzelhandel für die KundInnen öffnen. Voraussetzung für die Nutzung ist ein sogenanntes Tagesticket, welches nach einem tagesaktuellen, negativem Schnelltest ausgestellt wird. An verschiedenen Standorten in der Innenstadt befinden sich die Stationen, wo innerhalb von 15 Minuten ein kostenloser Schnelltest durchgeführt werden kann. Von diesen finden pro Tag finden ca. 8000 Stück statt, der Anteil der positiven Tests liegt nach Aussage von Lisa Federle, der Entwicklerin des Modells, bei 1/1000.

Ich selbst habe bereits dieses Angebot genutzt und war zunächst einmal recht beeindruckt. Unter den Augen eines Sicherheitsbeamten, welcher Maskenpflicht und Einhaltung der Abstandsregeln kontrolliert, ist zunächst einmal ein QR-Code mit den eigenen persönlichen Daten zu generieren, welcher vor dem eigentlichen Test und nach Kontrolle des Personalausweises gescannt und in der Datenbank mit dem Teströhrchen verknüpft wird. Nach einem Nasenabstrich werden diese vor Ort sofort ausgewertet und man erhält sein Testergebnis innerhalb von 15-20 Minuten. Allerdings dauerte es bei mir mit über 40 min doch etwas länger.

Für den formalen Nachweis kann man zwischen einem Tagesausweis in Papierform oder einem Armband mit aufgedrucktem QR-Code auswählen. Das Armband wird allerdings aus Zeitgründen schon vor dem tatsächlichen Vorliegen eines Testergebnisses ausgegeben. Beides wird bei Stichproben oder beim Betreten bestimmter Einrichtungen wie Restaurants eingescannt und somit das negative Testergebnis überprüft. Solange man zwar den Nachweis aber noch kein Testergebnis vorliegen hat, wird man lediglich gebeten, noch keinen Laden oder Biergarten zu betreten, in die Innenstadt darf man aber trotzdem. Auch hier setzt man auf Eigenverantwortung, denn nicht überall kann streng kontrolliert werden. Bei einem positiven Testergebnisses wird man telefonisch informiert und gebeten, sich am einem zentralen Standort einem PCR-Test zu unterziehen, dessen Ergebnis dann auch an die Gesundheitsämter weitergeleitet wird. Aber auch hier hofft man darauf, dass die Betroffenen sich eigenverantwortlich tatsächlich nochmals nachtesten lassen.

Wirkliches Vorbild oder falscher Ansatz?

Mit diesem ausgedehnten Testangebot soll ermöglicht werden, dass neben gastronomischen und kulturellen Orten auch die Einzelhändler wieder für die Bevölkerung geöffnet werden können. Doch kann damit ein Anstieg der Infektionszahlen wirklich verhindert werden? Anfangs waren die Infektionszahlen tatsächlich deutlich geringer als im landesweiten Durchschnitt und Tübingen die erste Stadt in Baden-Württemberg mit einer Inzidenz unter 50, trotz vermehrter Testung. Das Tübinger Modellprojekt war daher zunächst ein Vorbild vieler Landkreise und Regionen, mehr als 50 hatten in den letzten Wochen einen Antrag auf Öffnungen in Kombination mit Schnelltests beim zuständigen Ministerium gestellt. Mittlerweile sind alle diese Anträge auf Eis gelegt, da seit dem 1. April auch Tübingen die 100er-Marke überschritten hat.

Auch sah sich die Stadt wegen sehr starker Nachfrage nach Tagestickets und voller Innenstadt dazu gezwungen, den Zulauf stark einzugrenzen, da auch zahlreiche Personen aus anderen Landkreisen und sogar Bundesländern dieses Angebot genutzt haben. Von Gründonnerstag bis einschließlich Ostermontag (1. – 4. April) wurden die Tickets nur noch an Tübinger BürgerInnen ausgegeben. Aus diesen Gründen mehren sich inzwischen die kritischen Stimmen, manche fordern bereits einen vorzeitigen Stopp des Modellprojekts, welches ursprünglich bis zum 18. April geplant war.

Zudem wird die Zuverlässigkeit der Antigentests gezweifelt. Laut dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach zeigen bei 10 asymptomatisch Infizierten lediglich 6 Schnelltests ein positives Ergebnis an, bei vier Personen werde dagegen die Infektion nicht erkannt. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer findet dagegen weiterhin nur lobende Worte für das Projekt und sieht die Gründe für die erhöhten Inzidenzzahlen zum einen bei vermehrter Testung, frei nach dem Motto: wer viel testet, der findet viel. Zum anderen sei ein größerer Ausbruch in einer Landeserstaufnahmestelle für Geflüchtete verantwortlich für den raschen Anstieg der Infektionszahlen. Auf diese Art rechnet Palmen die „eigentliche“ Inzidenzahl für Tübingen runter. Den Geflüchteten unterstellt er, auf das nationalistische Ressentiment spekulierend, dass der Ausbruch die Inzidenz um mindestens 15 Punkte nach obengetrieben hätte, für weiter 20 wäre vor allem auswärtiges Partyvolk verantwortlich, das ungetestet durch die Straßen gelaufen wäre. Die „eigentliche“ Inzidenz lege lt. Palmer weit unter 100. So kann man einen Modellversuch auch mit allen Mitteln schönreden.

Richtiger Lösungsansatz – solidarischer Lockdown

Meiner Meinung nach benötigen wir eine Kombination aus vermehrter Testung, sehr viel schnellerem Impftempo und vor allem einem solidarischen Lockdown, der nicht nur den privaten Bereich stark einschränkt, sondern auch die Wirtschaft mit einschließt. Die Forderung nach einem 2-wöchigen harten Lockdown wird inzwischen wieder von zahlreichen IntensivmedizinerInnen und WissenschaftlerInnen gefordert, mit gleichzeitiger Rücknahme aller geplanten oder bereits implementierten Lockerungen. Nur so sei es überhaupt möglich, das exponentielle Wachstum der britischen Mutante B.1.1.7, die mittlerweile über 80% der Neuinfektionen ausmacht, zu verlangsamen.

Denn anders als uns manche PolitikerInnen noch immer glauben lassen wollen, finden Infektionen eben nicht nur im privaten Bereich, sondern auch am Arbeitsplatz, in Schule oder Kita statt. Ich selbst habe das „Glück“, in einem vollbesetzten Großraumbüro mit 19 anderen Personen sitzen zu dürfen, wobei nur außerhalb des eigenen Schreibtisches eine Maske getragen werden muss. Arbeitssicherheit und Infektionsschutz sehen für mich anders aus. Mithilfe eines solidarischen Lockdowns, wie ihn die Initiative #ZeroCovid seit geraumer Zeit fordert, könnte man die Infektionszahlen drastisch senken und danach mit einer Kombination aus verstärktem Impfen, PCR- und Schnelltests sowie weiterer strikter Einhaltung der Hygienevorschriften und digitaler Nachverfolgung vorsichtige Lockerungen einführen.

Aber wer bezahlt diesen Lockdown? Bedeutet zwei Wochen Lockdown nicht zwei unbezahlte Urlaubswochen für die Lohnabhängigen? Bedeuten zwei Wochen Lockdown für Eltern nicht zwei Wochen ohne Kinderbetreuung? Um genau das zu verhindern, ist es wichtig dafür einzutreten, dass die Kosten für diesen Lockdown dabei von den Unternehmen und Vermögenden übernommen werden, beispielsweise durch eine Sonderabgabe auf Gewinne und große Vermögen. Daher fordert #ZeroCovid auch 3 Wochen bezahlten Zusatzurlaub statt generell einen harten Lockdown, für den meist die Lohnabhängigen aufkommen müssen, während die Unternehmen durch staatliche Hilfen Entschädigungen erhalten. Daher braucht es auch einen zusätzlichen, bezahlten Urlaubsmonat für alle Menschen mit Kinderverantwortung.

Daher sollten wir als Lohnabhängige den Aktionstag von #ZeroCovid am 10. April durch Aktionen auf der Straße unterstützen, natürlich unter Beachtung der geltenden Hygienevorschriften. Denn nur gemeinsam können wir für einen solidarischen Lockdown, bezahlt von Unternehmen und Vermögenden, kämpfen.

  • 3 Wochen bezahlter Zusatzurlaub ab jetzt, um die dritte Welle zu brechen!
  • Einführung einer europaweiten Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne sowie Finanztransaktionen zur Finanzierung des Shutdowns und für den Ausbau des Gesundheitssystems!
  • Kontrolle des Infektionsschutzes in den Betrieben durch Gewerkschaft und Kommitees der Beschäftigten!
  • Einführung einer Testpflicht für alle Unternehmen sowie an Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen mit mind. 2 kostenlosen Tests pro Woche! Keine Auslagerung von Testung in den privaten Bereich!
  • Beschleunigung des Impftempos durch Aufhebung des Patentrechts und massivem Ausbau der Produktionskapazitäten für die Impfstoffherstellung. Internationale Koordinierung der Impfstoffentwicklung sowie kostenloser Zugang zu sicheren Impfstoffen für alle Menschen weltweit.

Der Artikel wurde ursprünglich auf www.zero-covid.org veröffentlicht.




Die dritte Welle brechen: 3 Wochen bezahlter Zusatzurlaub ab jetzt!

Flugblatt von ZeroCovid Stuttgart vom 25. März, Infomail 1144, 30. März 2021

Der dritte Lockdown kommt, aber was bleibt, ist unsere „Freiheit“, von Montag bis Freitag zur Arbeit gehen zu “dürfen” und sich dort und auf dem Arbeitsweg einer großen Infektionsgefahr auszusetzen. Während zu Hause, auf öffentlichen Plätzen, in Parks und im Nahverkehr strenge Regeln gelten, entscheiden über die Regeln im Betrieb die Unternehmen selbst. Als Gewerkschafter:innen überrascht es uns deshalb überhaupt nicht, dass Produktionsbetriebe zu Hotspots geworden sind, die die dritte Welle anheizen.

In der ersten Welle wurde die S21-Baustelle zu einem der ersten bekannten Ausbruchsherde in der Region Stuttgart. Es wurde bekannt, dass die Beschäftigten in engen Gemeinschaftsunterkünften wohnten und keine Gesichtsmasken erhielten (und ihnen zudem der gesetzliche Mindestlohn und eine deutsche Krankenversicherung vorenthalten wurde). Im Sommer wurde der große Ausbruch beim Schlachtbetrieb Tönnies mit mehr als 2000 Infizierten bekannt. Die Amazon-Verteilzentren Garbsen und Bad Hersfeld entwickelten sich zu Hotspots, auch bei BASF, Audi Neckarsulm und Thyssen-Krupp wurden Krankheitsausbrüche entdeckt.

Das Problem beschränkt sich nicht auf einzelne Branchen oder besonders beengte Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Im Daimler-Werk Rastatt wurde erst vor einigen Tagen ein Infektionsherd mit 40 Fällen bekannt. Kolleg:innen berichten, dass sie eine weit höhere Dunkelziffer befürchten. Die Forderung von Kolleg:innen, dass Kontaktpersonen von Infizierten in der vorhandenen werkseigenen Teststation getestet werden sollen, wurde von der Werksleitung abgelehnt – stattdessen wurde gedrängt, Kontaktpersonen nicht als solche zu benennen, damit die Produktion nicht durch Quarantäneanordnungen beeinträchtigt wird. Bei Daimler in Untertürkheim war der Inzidenzwert (bis zu 250) im März 2 bis 3 mal so hoch wie landesweit. Das Management nimmt schwere Krankheitsfälle und eine Beschleunigung des Infektionsgeschehens in Kauf, damit das Geschäft weiterlaufen kann und Profite gescheffelt werden können.

Uns empört dieses Verhalten, aber es überrascht uns nicht, solange die Kontrolle des Infektionsschutzes vor dem Werkstor Halt macht. Die bisherige Pandemiepolitik spart einen entscheidenden Infektionsschauplatz von vornherein weitgehend aus. Die Pandemie kann so nicht unter Kontrolle gebracht werden. Stattdessen wird uns die Verantwortung, uns selbst und unsere gefährdeten Angehörigen vor Ansteckung zu schützen, als rein individuelle Aufgabe übertragen. Nur das Leben der Menschen wird drastisch eingeschränkt, während die Arbeit ungehindert weiterläuft.

  • 3 Wochen bezahlter Zusatzurlaub ab jetzt, um die dritte Welle zu brechen!
  • Kontrolle des Infektionsschutzes in den Betrieben durch Gewerkschaft und Kommitees der Beschäftigten!
  • Kampf gegen alle Entlassungen und gegen jeden Lohnverlust!
  • Unterstützung für alle prekär Beschäftigten und (Schein)selbständigen, die Einkommensverluste erlitten haben! Unterstützung für Geflüchtete und alle, die besonders von Pandemie und Krise betroffen sind!
  • Einführung einer europaweiten Solidaritätsabgabe auf Gewinne und hohe Vermögen, zur Finanzierung des Shutdowns und für den Ausbau des Gesundheitssystems!
https://zero-covid.org/gewerkschafterinnen-fur-einen-solidarischen-europaischen-shutdown/

Nehmt Kontakt mit uns auf und unterstützt die ZeroCovid-Kampagne!

Unterzeichnet den GewerkschafterInnenaufruf für einen solidarischen europäischen Shutdown!

* ZeroCovid Stuttgart * Instagram: zerocovid-stgt * zc-stgt@protonmail.com *

Kommt zur Kundgebung für einen solidarischen Shutdown: 10. April 15h Marienplatz Stuttgart!




Fiasko Osterpause: Politische Achterbahn statt Bekämpfung der Pandemie

Martin Suchanek, Neue Internationale 254, April 2021

Die Hängepartei geht weiter. Nachdem sich Bund und Länder Anfang März aufgrund des Drucks der Wirtschaft noch eine bunte Mischung von Öffnungsschritten vorgestellt hatten, verkündete das selbsternannte „Team Vorsicht“ um Kanzlerin Merkel, den bayrischen Ministerpräsidenten Söder und den Berliner Bürgermeister Müller in der Nacht vom 22. zum 23. März, dass nunmehr auf die Bremse zu treten sei. Die Corona-Politik, in der Substanz zwar unverändert, sollte einen Schritt in die andere Richtung machen.

Schließlich befänden wir uns mitten in einer dritten Welle der Pandemie. Stetig steigende Inzidenzwerte, die Ende März konstant über 100 liegen und mit großer Wahrscheinlichkeit weiter nach oben gehen werden, belegen das ebenso wie die Veränderungen des Virus selbst. Die weitaus ansteckendere und lebensbedrohlichere Mutante B. 1.1.7, die sog. britische, wurde auch in Deutschland zur vorherrschenden.

Vorsicht?

Innerhalb weniger Stunden entpuppte sich „Team Vorsicht“ als „Team Kurzsicht“. Die vor dem Regierungsgipfel aus dem Hut gezauberte „Osterpause“, die ohnehin nie mehr war als ein unklar definierter möglicher arbeitsfreier Gründonnerstag, wurde am 24. März aufgrund des Drucks aus der Wirtschaft, aber auch aus den Reihen der Unionsparteien wieder zurückgezogen.

Dabei sollte eigentlich die sog. „Notbremse“ greifen, sprich ab einem Inzidenzwert von 100 sollen partielle Öffnungen, die Anfang März auf den Weg gebracht wurden, zurückgefahren werden. Doch die Osterpause entpuppte sich als schlechter vorgezogener Aprilscherz. Ihre Rücknahme befördert eine veritable Führungskrise im bürgerlichen Lager. Zum Zeitpunkt der Drucklegung des Artikels folgte eine weitere Regierungserklärung samt Entschuldigung der Kanzlerin. Ein zusätzlicher Bund-Länder-Gipfel ist wohl auch geplant.

Während das Kabinett Merkel im Frühjahr 2020, also vor etwas weniger als einem Jahr, wegen seines erfolgreichen Krisenmanagements in den Meinungsumfragen breite Zustimmung erhielt, wurde dieser Bonus längst verspielt. Eine Antwort auf die brennenden Fragen der Pandemie wie auch die sozialen Existenznöte trauen immer weniger Menschen dieser Regierung zu. Zu Recht!

Die Politik von Merkel und Co. erschöpft sich in einem „Weiter so“, das nur neu verpackt wird. So wurde beim Bund-Länder-Gipfel, sehen wir von der Osterposse ab, der bestehende Lockdown bis zum 18. April verlängert.

Die Frage der Schließungen der Schulen und Kitas konnte ein Stück weit umschifft werden, da in diese Zeit ohnehin die Osterferien fallen, diese also für zwei Wochen geschlossen sind.

Umso heftiger umstritten war dafür die Öffnung des Inlandstourismus. Die fünf Küstenländer wollten hier Sonderregelungen durchsetzen. Auch wenn sie schließlich einlenkten, so verdeutlicht das Beispiel die „Kontinuität“ des Zickzacks der Corona-Politik. Angesichts der aktuellen Regierungskrise könnte ein erneuerter Vorstoß zur Öffnung touristischer Einrichtungen durchaus rasch erfolgen.

Ursache

Bei der vorherrschenden bürgerlichen Corona-Politik stehen Gesundheitsschutz der Allgemeinheit und Profitinteressen der Wirtschaft einander gegenüber. Sie verbinden sich zu einem inkonsequenten, in sich unschlüssigen Ganzen, zu Maßnahmenpaketen, die weder den Erfordernissen der Bevölkerung nach Gesundheitsschutz und sozialer Absicherung entsprechen noch die Rufe des Kapitals nach Freiheit des Geschäfts voll befriedigen.

Dass dieser Widerspruch die ganze Politik der Regierung bestimmt, zeigte sich einmal mehr bei den Beschlüssen des Bund-Länder-Gipfels.

Als die Osterpause, also ein arbeitsfreier Gründonnerstag, verkündet wurde, blieb offen, ob dieser auch arbeitsrechtlich als Feiertag gelten solle, ob Beschäftigte z. B. im Homeoffice wirklich nicht arbeiten müssten oder ob der Tag wie alle Feiertage bezahlt werden solle. Ungeklärt war auch, ob jene, die z. B. im Gesundheitswesen oder im öffentlichen Verkehr arbeiten müssen, Feiertagszulagen erhalten sollten. Solche „Kleinigkeiten“, die vor allem die Interessen der Lohnabhängigen betreffen, sollten von der Bundesregierung nachgereicht werden.

Nachdem dieser Tag jetzt vom Tisch ist, wird der Lockdown in bisheriger Form fortgesetzt. Eingeschränkt werden weiter vor allem jene Bereiche des Lebens, die unsere Freizeit, also die Regenerationsmöglichkeiten der Menschen betreffen. Zweitens obliegt die Verantwortung für die Umsetzung der Maßnahmen und für die negativen finanziellen und sozialen Folgen weiter den Einzelnen, wird im Wesentlichen individualisiert. Wer auf engem Raum leben muss, muss das auch weiter. Ärmere Familien, Alleinerziehende, Menschen mit pflegebedürftigen Angehörigen müssen ein Mehr an „Eigenverantwortung“ erbringen. Vor allem Frauen müssen mehr private Hausarbeit leisten. Die Kinderbetreuung wird den Eltern und hier wiederum vor allem den Frauen aufgehalst.

Während die BürgerInnen regelmäßig und munter zur „Vernunft“ ermahnt werden, der die meisten ohnedies folgen, bleibt der für die kapitalistische Ökonomie entscheidende Sektor wie seit Beginn der Pandemie außen vor. Von einem Lockdown in der Industrie, bei den Banken und Versicherungen, in den Großraumbüros und Schlachthöfen ist längst selbstverständlich keine Rede mehr. Selbst von den Schutzvorkehrungen, die z. B. für Schulen oder im Einzelhandel verpflichtend sind (Masken, Mindestabstand), werden die industrielle Produktion, aber auch ein bedeutender Teil der Angestelltentägigkeiten (z. B. Großraumbüros) bis heute ausgenommen.

Tests wie für Schulen gibt es für Industriekonzerne nur auf freiwilliger Basis und, wie z. B. bei BMW in Leipzig, nur für die Stammbelegschaft. Für die LeiharbeiterInnen, immerhin rund 50 % der dort Arbeitenden, erklärt sich der Konzern als nicht zuständig. Der Osterlockdown stellt also in den entscheidenden Bereichen der kapitalistischen Mehrwertproduktion reine Augenwischerei dar. Diese sind und bleiben ausgenommen von allen Schließungen, ja selbst von üblichen Hygienevorschriften.

Neu sind an der aktuellen Lage aber zwei Dinge: Erstens hat sich die Gesundheitskrise zu einer politischen Krise entwickelt, wie auch die Wahlergebnisse in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zeigen. Zweitens droht die anhebende dritte Welle der Pandemie trotz der Impfung der über 80-Jährigen, Tausende weitere Tote zu fordern.

Linke Alternative

Eine linke Politik zur Pandemie- und Krisenbekämpfung wird angesichts dieser drohenden Katastrophe dringender denn je. Sie müsste genau dort ansetzen, wo die Politik im Interesse des Kapitals haltmacht: bei der Forderung nach zeitweiliger Schließung aller für die tägliche Reproduktion nicht essentiellen Bereich der Ökonomie, um die Infektionszahlen zu drücken und damit die Zahl der Erkrankungen, langer und ernster Folgeschäden sowie hunderter Toter pro Tag massiv zu reduzieren und auf null zu bringen.

Dies hätte zugleich den Vorteil, dass wir nicht in der Situation eines zermürbenden Dauerlockdowns leben müssten, der Millionen vor die Alternative Gesundheit oder Sicherung der Existenz stellt. Ein solidarischer Lockdown würde, nebenbei bemerkt, nach einem zeitweiligen Herunterfahren der Wirtschaft also sehr viel allgemeinere und kontrollierte Öffnungsmöglichkeiten bieten. Hinzu kommt, dass er auch mit einer Ausweitung gesellschaftlich notwendiger bezahlter Reproduktionsarbeit einhergehen müsste – also Sicherung der Betreuung Pflegedürftiger, Ausbau des Gesundheitswesens, Öffnung von Schulen und Kitas und ihr Betrieb in kleineren Gruppen/Klassen, so dass die Eltern nicht nur dann entlastet werden, wenn sie arbeiten müssen.

Die Politik des solidarischen Lockdowns, wie sie die Initiative #ZeroCovid vertritt, stellt eine substantielle, grundlegend andere Strategie als jene der Bundesregierung, aller Kapitalverbände, der liberalen ÖffnungsfanatikerInnen und der rechten Corona-LeugnerInnen dar.

Sie würde die zeitweilige europaweite Schließung aller nicht essentiellen Bereiche unter Kontrolle der Beschäftigen und Gewerkschaften mit der Forderung nach sozialer Absicherung für alle, dem Ausbau des Gesundheitswesens, dem Ende privater Verfügungsgewalt über die Impfstoffproduktion und -verteilung sowie nach Finanzierung dieser Maßnahmen durch die Besteuerung der Gewinne und großen Vermögen verbinden.

Liberale und Rechte

Das Dramatische an der aktuellen Lage besteht einerseits darin, dass sich die Pandemie bei den gegenwärtigen Maßnahmen weiter ausbreiten wird. Andererseits ist auch offen, wer, welche gesellschaftliche Kraft angesichts der Schwäche der Regierung das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten verändern wird.

Angesichts der Entwicklung der letzten Monate hoffen die bürgerlich-liberalen ÖffnungsfanatikerInnen, die nach noch mehr Freiheit des Kapitals schreien, die Lage nach ihren Vorstellungen nutzen zu können. Ihr Rezept lautet: Testen, Öffnen, Impfen und vor allem „Eigenverantwortung“.

Seit Monaten trommeln bürgerliche Blätter, vor allem aber die Unternehmerverbände inklusive deren wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Institute, dass wir „mit dem Virus leben“ lernen müssten. In einer einflussreichen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft wird die Inkaufnahme des Todes zu einer gesellschaftlichen Herausforderung stilisiert: „Das ist gesellschaftlich herausfordernd, weil es so etwas wie virus-spezifische Bereitschaft und Fähigkeit einfordert, mit begrenzten gesundheitlichen Folgen und begrenzter Sterblichkeit zurechtzukommen, diese auszuhalten.“ (Bardt/Hüther, Aus dem Lockdown ins Normal, S. 10)

Diese pseudo-philosophische Rechtfertigung des Sozialdarwinismus dient vor allem Unternehmerverbänden, der FDP und anderen ÖffnungstrommlerInnen zur ideologischen Verklärung ihrer Politik.

Die AfD, rechte Corona-LeugnerInnen, QuerdenkerInnen und VerschwörungstheoretikerInnen aller Art halten sich bei solchen Erwägungen erst gar nicht auf. Die Krise treibt ihnen vor allem AnhängerInnen aus dem KleinbürgerInnentum und den Mittelschichten zu, selbst wenn ihre vollständige Ignoranz gegenüber der Pandemie viele (noch) abschrecken mag. Wie die Demonstration von 20.000 Menschen in Kassel gezeigt hat, formiert die Rechte zur Zeit diese gesellschaftliche Verzweiflung zu einer politischen Kraft, zu einer reaktionären, kleinbürgerlichen Massenbewegung, die die Pandemie zur Ausgeburt einer „Merkel-Diktatur“ oder einer Verschwörung von Gates und Soros verkehrt. Der drohende Ruin dieser Schichten in Zeiten von Pandemie und Krise wird von den Rechten auf eine Scheinursache gelenkt. Der grundlegende Irrationalismus der Bewegung gerät zur ideologischen Rechtfertigung ihrer Pseudo-Radikalität.

Und die Linke?

Angesichts dieser Lage sind Initiativen wie #ZeroCovid in den letzten Wochen in eine gesellschaftliche Defensive geraten, obwohl sie eine solidarische Strategie im Interesse der Masse der Bevölkerung vertreten. Die zunehmenden Infektions- und Sterbezahlen mögen die vorherrschende Stimmung zwar ändern, zugleich wird sich jedoch auch die reaktionäre Kritik an jeder Politik zur Bekämpfung der Pandemie wie die der sog. QuerdenkerInnen radikalisieren.

Grundsätzlich aber muss die Initiative ihre Forderungen beibehalten und zugleich gezielt versuchen, die ArbeiterInnenbewegung und die Linke aus ihrer Passivität angesichts der Pandemie zu reißen. Dazu soll #ZeroCovid ihre Schwerpunktsetzung klarer bestimmen und ihre Politik konkretisieren.

Wir müssen gerade in den Gewerkschaften, in sozialen Bewegungen weiter für den solidarischen Lockdown eintreten, für eine Politik, die Gesundheitsschutz und den Kampf gegen die Lasten von Pandemie und Krise und deren Abwälzung auf die Bevölkerung miteinander verbindet. Die Verschlechterung der Lage setzt die Forderung nach einem europaweiten „solidarischen Shutdown“ auf die Tagesordnung, wenn wir Gesundheitsschutz und soziale Sicherheit durchsetzen wollen.

Eine an den Interessen der Masse der Menschen orientierte Politik zur Bekämpfung der Pandemie muss also eine Klassenpolitik sein. Sie kann nur durch Mobilisierungen gegen Kapital, Regierungen und politische Rechte, durch eine gesellschaftliche Bewegung erkämpft werden, die in den Betrieben, an Schulen und Unis, im öffentlichen Dienst, in den Krankenhäusern, in den Wohnvierteln, in Stadt und Land verankert ist.

Ideologischer Kampf

Die Hinnahme einer „akzeptablen“ Zahl von Toten als „gesellschaftliche Leistung“ durch (neo)liberale, konservative oder rechte IdeologInnen des Kapitals, das rechtspopulistische Gerede von der Corona-Diktatur oder die Verklärung des freien Warenverkehrs zur Freiheit schlechthin verdeutlichen, dass der Kampf um die Corona-Politik auch auf ideologischer Ebene eine Form des Klassenkampfes darstellt. Es gilt, die Menschenverachtung und den Zynismus all jener zu entlarven, die von der Rückkehr zu einer Normalität sprechen und damit die Bevölkerung darauf einstimmen wollen, den Tod Tausender in Deutschland und von Millionen weltweit als Normalzustand in Kauf zu nehmen.

Vor allem aber gilt es darzulegen, worin der Zweck dieser barbarischen Unternehmung besteht: nämlich in der Verbreitung der Vorstellung, dass es keine Alternative zur Akzeptanz einer solchen Politik gebe. Wir müssen daher nicht nur verdeutlichen, dass hinter den Kosten der bürgerlichen Freiheit die Interessen des Kapitals zum Vorschein kommen. Wir müssen auch klarmachen, dass es bei der Frage der Corona-Politik, der Durchsetzung eines solidarischen Shutdowns im Interesse der ArbeiterInnenklasse auch um die Frage geht, welche soziale Kraft, welche Klasse die Gesellschaft selbst so reorganisiert, dass die Bekämpfung der Pandemie nicht mehr als Gegensatz zur „Freiheit“ erscheint. Dies erfordert, den Kampf um die Forderungen von #Zero-Covid im größeren Kontext des revolutionären Kampfes um die Enteignung des Kapitals und die Errichtung einer globalen, demokratischen Planwirtschaft zu begreifen.