Britannien: Für eine Kampagne gegen den Tarifabschluss bei Royal Mail

Workers Power Postal Workers Bulletin, Infomail 1223, 27. Mai 2023

Royal Mail: Baut die Nein-Kampagne auf!

Gegenwehr gegen Angriffe auf unsere Löhne und Arbeitsbedingungen!

Organisiert eine klassenkämpferische Basisbewegung zur Zurückweisung des Abkommens!

Als die Vereinbarung mit Royal Mail (Britische Post) im April veröffentlicht wurde, löste sie eine Gegenreaktion der Gewerkschaftsmitglieder aus, als klar wurde, dass die Führung der CWU (Communication Workers Union) den meisten Forderungen von Royal Mail nachgegeben hatte.

Nach drei Abstimmungen, 18 Tage Lohnverlust an Streiktagen und über 400 suspendierten und entlassenen betrieblichen Gewerkschaftsertreter:innen und Mitgliedern, bedeutet die Vereinbarung einen Rückschlag in Bezug auf Löhne, Tarife und Arbeitsbedingungen.

Grundsätzlich ebnet sie den Weg für einen massiven Anstieg der Arbeitsbelastung, insbesondere für die Beschäftigten im Zustelldienst, und untergräbt die Kampfkraft der Gewerkschaften.

Aus diesem Grund haben einige CWU-Postangestellte und -Vertreter:innen eine Kampagne für die Belegschaft gestartet: Postangestellte sagen, stimmt mit Nein. Macht online mit, ladet das Bulletin herunter, um es an eure Kolleg:innen weiterzugeben, und beteiligt euch: www.tinyurl.com/PostiesSayNo.

Gewerkschaftsführer:innen kapitulieren

Auf den ersten beiden Seiten des Abkommens geht es um die katastrophale Lage von Royal Mail und darum, „das Schicksal des Unternehmens umzukehren“. Die Gier der Bosse hat das Unternehmen in den Ruin getrieben, aber die Vereinbarung stellt sicher, dass die Beschäftigten dafür zahlen, das Unternehmen wieder flottzumachen, und dass sie durch Erhöhungen der Arbeitsbelastung und Umstrukturierungen ihre Gewinne steigern können. Die CWU-Führerung wird die Kürzungen und Veränderungen in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit dem Management überwachen – und dann erwarten, dass die betrieblichen Gewerkschaftsvertreter:innen sie umsetzen.

Das Abkommen kann zu Recht als Niederlage bezeichnet werden. Die Führung hat den Streik für viermonatige Gespräche beendet, die zu nichts geführt haben. Für Arbeiter:innen enthält es kaum Positives. Viele begrüßen zwar die Zahlungen, aber bei steigenden Preisen bedeutet das Dreijahreslohnabkommen einen Reallohnverlust von über 10 Prozent. Der Rest akzeptiert, was die Bosse wollten oder hat ihre Forderungen (völlige Flexibilität, Fahrer:innen als Scheinselbstständige) nur dadurch „besiegt“, dass er ihnen auf halbem Wege mit Zugeständnissen bei der Arbeitsbelastung, 30 Minuten „formalisierter Flexibilität“ und saisonalen Arbeitszeiten entgegenkam.

Als eines der schlimmsten Zugeständnisse hat die Gewerkschaft die Zweistufigkeit der Belegschaft akzeptiert, d. h. neue Mitarbeiter:innen erhalten Verträge mit einer Arbeitszeit von mehr als 40 Stunden bei geringerer Bezahlung und Sonntagsarbeit. Persönliche digitale Assistent:innen und andere Daten werden als Anfang von der Geschäftsleitung für Leistungen und bestimmte Verhaltensweisen verwendet und missbraucht. Die Arbeiter:innen müssen die Worte über „unterstützende“ Ansätze für Anwesenheit und Leistung, „gesicherte Garantien“ oder noch schlimmer „gemeinsame Bestrebungen“ für die kürzere Arbeitswoche (wenn sie die Stunden für Neueinsteiger:innen erhöhen) in den Mülleimer werfen, wo sie hingehören, denn sie sind wertlos.

Die geopferten gewerkschaftlichen Vertreter:innen und Mitglieder sind nicht wieder eingestellt worden. Stattdessen wird ein „unabhängiger“ Richter, der selbst kein Freund militanter Gewerkschafter:innen ist, Lord Falconer, der 2016 für die gewerkschaftsfeindlichen Gesetze der Tories gestimmt hat, die Fälle überprüfen.

Das Abkommen trifft die Zusteller:innen besonders hart und wird die körperliche Arbeit im Freien ausweiten und viele aus dem Job drängen. Wie ein Zustellervertreter dies online fragte: „Im schlimmsten Fall kürzt eine Revision Hunderte Außendienststunden zur Erholung von den Gängen und macht sie länger plus 35 Minuten Streichung vom Innendienst und Anrechnung auf den Außendienst plus 2 Stunden länger im Winter plus 30 Minuten ,formalisierter Flexibilität’ an einigen Tagen. Man könnte also im Außendienst bis zu anderthalb Stunden länger als jetzt, um Weihnachten herum vielleicht sogar mehr, arbeiten.“

Einzuberechnen wären spätere Anfangszeiten bis zu 90 Minuten und Flexibilität, was bliebe dann noch übrig von „familienfreundlichen“ Schichten? Wenn man dann noch Anwesenheitszeiten, Verhaltensdaten, Kürzungen bei krankheitsbedingt vorzeitiger Verrentung zurechnet, kann Royal Mail schneller und billiger Arbeitskräfte loswerden, und mit dem zweistufigen Arbeitskräftesystem wird dem Unternehmen das gelingen.

Ein selektiver Ausverkauf

Die CWU-Führung sagt, sie wolle eine informierte Diskussion, damit Mitglieder eine informierte Entscheidung treffen können, aber während sie nicht bestimmte Fragen umgehen kann, sind andere (wie Zweiklassen-Arbeitskräfte, Verhaltensdaten, 20 – 35-minütige Kürzung für Innendienst bei Zustellungen), wenig bis gar nicht angesprochen worden. Die betrieblichen gewerkschaftlichen Vertreter:innen sollten darauf aber Antworten verlangen. Wenn diese nicht gegeben werden, könnte sich Royal Mail aus dem Abkommen herausstehlen, was bedeuten würde, seine Profitabilität auf unsere Kosten wiederherzustellen.

Das Abkommen läuft bis April 2025, doch seine Verpflichtungen zu keinen zwangsweisen Entlassungen sind kaum abzuschätzen angesichts der großen Anzahl von unbesetzten Stellen in Büros und billigen Berufseinsteiger:innen. Royal Mail sagt nur, dass sie „nicht plane“, Briefzentren auszulagern, zu verpachten und rationalisieren oder getrennte Paketgesellschaften zu gründen.

Das sind keine Garantien und neue, einschneidende Änderungen, ein einheitliches Großpaketnetz zu schaffen, wird mehr direkte Konkurrenz mit Anbieter:innen wie Amazon hervorrufen, wenn die Bosse noch sagen, wir seien 40 % überbezahlt und unausgelastet, und das wird  uns immer weiter in einen Dumpingwettbewerb treiben.

Die Gewerkschaftsführer Ward und Furey versuchen uns eine Vision zu verkaufen, wonach wir zum normalen Alltag mit einem stabilen sicheren Arbeitsplatz und ruhigem Leben zurückkehren können. Doch in Wirklichkeit wird es dauerhaft Veränderungen geben, die in der gemeinsamen Arbeitsgruppe vereinbart worden sind. Wenn das Abkommen nicht den Profiterwartungen entspricht, könnte Royal Mail sich sogar Stück um Stück aus der Vereinbarungen herausziehen, wie sie es letztes Jahr getan hat. Günstigstenfalls tickt die Uhr bis 2025 herunter zu einem neuen Kampf, mit untergrabener Kraft unserer Stärke an der Basis.

Die Alternative

Wenn es keine Zustimmung gibt, könnte die Gewerkschaft Royal Mail ein paar Zugeständnisse abringen. Aber die wirkliche Alternative zu diesem faulen Abkommen bedeutet, dass die Streiks wieder aufgenommen werden. Dieses Mal mit einem wirkungsvollen Plan, sie umfassend zu steigern, und Solidaritätskomitees aufzubauen, so wie es Workers Power von Beginn der Auseinandersetzungen an vertreten hat. Jetzt ist es an der Zeit, die Kampagne zur Wiederverstaatlichung von Royal Mail als CWU-Politik zu führen, den Bossen nicht zu gestatten, uns mit der Bankrottdrohung zu erpressen. Wenn wir dieses Abkommen jetzt annehmen, was würden wir tun können, wenn sie uns 2025 oder schon vorher wieder angreifen?

Ein Ablehnungskampagne könnte die Kräfte entfalten, die die CWU seit langem gebraucht hat: eine Basisbewegung, die die Gewerkschaften unter Kontrolle der Beschäftigten bringt, mit Abrufbarkeit und Facharbeiter:innengehältern für alle Funktionär:innen. Streikkomitees sollen an der Basis gebildet werden, um den Gewerkschaften von unten neues Leben einzuhauchen. Das würde uns nicht nur für Kampf und Sieg ausrüsten, sondern auch eine neue Führung aus den militanten Elementen fördern helfen, eine, die die Gewerkschaften am Arbeitsplatz verankert.

Teilt Eure Antworten und Erfahrungen mit oder kontaktiert uns für mehr Information über Workers Power: https://workerspower.uk/contact/. Artikel zur CWU in Workers Power: www.tinyurl.com/WPCWU.




UK und Irland: Stoppt Rassismus und Bigotterie!

Dave Stockton, Infomail 1215, 1. März 2023

Rechtspopulistische und faschistische Gruppen starten im gesamten Vereinigten Königreich und in der Republik Irland eine breit angelegte Offensive, bei der sie Rassismus gegen Migrant:innen und Bigotterie gegen Transsexuelle als ihre Visitenkarte abgeben. Die Entscheidung der Regierungen, ukrainische Flüchtlinge aufzunehmen und gleichzeitig – zumindest im Falle Großbritanniens – diejenigen zu verteufeln, die den Ärmelkanal in wackeligen Booten überqueren, bietet einen fruchtbaren Boden für die Hassprediger:innen.

In Zeiten zunehmender wirtschaftlicher Not in strukturschwachen Gebieten, die sowohl von den regierenden Torys als auch von der Labour-Partei lange Zeit vernachlässigt wurden, bringen die Regierungen diejenigen, die es hierher geschafft haben, in heruntergekommenen Hotels unter, oft in Badeorten, wo sie unter erbärmlichen Bedingungen eingepfercht sind, weit weg von Freund:innen oder Unterstützungsnetzen der eigenen Community.

Dort hetzen die rassistischen Gruppen die Einheimischen auf, diese vermeintlichen Zufluchtsorte für Demonstrationen und Schlimmeres anzusteuern, und finden ein Publikum, das zwar noch nicht groß ist, aber wächst und gefährlich ist. Die antirassistische Kampagne „Hope not Hate“ weist in ihrem Bericht 2023 darauf hin:

„Die Proteste und Aktionen gegen Migrant:innen vor deren Unterkünften und Hotels haben sich im vergangenen Jahr verdoppelt. In der Zwischenzeit gab es eine Reihe von Aktionen zur Störung oder Absage von Buchveranstaltungen der Drag Queen Story Hour, die sich gegen Transrechte und die LGBTIA+-Community richteten.“

Die Tory-Boulevardblätter wie die Daily Mail mit ihrer Propaganda über eine Invasion von Bootsflüchtlingen oder Lehrer:innen, die versuchen, das Geschlecht „unserer“ Kinder zu ändern, haben den Boden bereitet, um diese Verbreitung reaktionärer Aktivitäten zu schüren. Daher rühren auch die Slogans auf diesen Demonstrationen, die Boote zu stoppen oder die „Pädos“ zu bekämpfen.

Die einwanderungsfeindliche Innenministerin Suella Braverman, die zunächst vorschlug, die Marine zu veranlassen, die Boote zurück in französische Gewässer zu „schieben“ und dann diejenigen, die die Überfahrt überleben, auf alten Kreuzfahrtschiffen festzuhalten, versucht immer noch, die Gerichte dazu zu bringen, die Menschen nach Ruanda abschieben zu lassen.

Warnung aus Merseyside

Das bedrohlichste Ereignis war der große Aufruhr am 11. Februar vor dem Suites Hotel in Knowsley, Merseyside, wo sich eine große Menschenmenge, darunter viele Einheimische, versammelte und rassistische Parolen rief. Die Aufregung wurde durch Behauptungen im Internet angeheizt, eine fünfzehnjährige Schülerin sei von einem Mann aus dem Hotel belästigt worden. Diese Behauptungen haben sich inzwischen als unbegründet erwiesen. Jemand aus dem Mob hatte eine Benzinbombe mitgebracht, offensichtlich in der Absicht, ein Pogrom zu veranstalten. Ein Polizeiauto geriet zur Zielscheibe.

Weitere Angriffe auf Hotels, in denen Migrant:innen untergebracht sind, fanden in Long Eaton (Derbyshire) bei Nottingham und Newquay in Cornwall statt. Hunderte nahmen an einer Demonstration in Skegness (Lincolnshire) teil. Rechtsextreme Gruppen wie Patriotic Alternative und Britain First haben in diesen Gebieten Flugblätter über „Luxushotels für Migrant:innen“ verteilt, während „unsere Leute“ obdachlos sind.

Das gemeinsame Muster ist die bewusste Entscheidung der Regierung für unwirtliche Orte für Menschen, die in ihren Heimatländern unter Kriegstraumata leiden, was durch lange Verzögerungen bei der Bearbeitung ihrer Asylanträge noch verstärkt wird. Dies geht auf Theresa Mays Politik der „feindlichen Umgebung“ zurück, als sie Innenministerin war (2010 – 2016).

Auch in der irischen Republik finden seit November landesweit antimigrantische Mobilisierungen unter dem Motto „Irland ist voll“ statt. Im Jahr 2022 gab es 307 solcher Proteste, 2023 waren es bereits 64. Bei der letzten Demonstration in Dublin gingen mehr als 2.000 Demonstrant:innen auf die Straße, wobei der Schwerpunkt auf einem Gebäude lag, das zu einem Wohnheim für Migrant:innen umgebaut worden war und in dem sich Woche für Woche Hunderte von Menschen versammelten. Im Dezember weiteten sich die Demonstrationen auf andere Gebiete aus: die Vororte Dublins Drimnagh, Finglas und Ballymun sowie Fermoy (Cork).

Auch in Schottland kam es in der dritten Woche in Folge zu Zusammenstößen zwischen Demonstrant:innen vor einem Hotel in Renfrewshire (bei Glasgow) wegen Plänen zur Unterbringung von Asylbewerber:innen. Mitglieder der Patriotic Alternative versammeln sich jeden Sonntag vor dem Muthu Glasgow River Hotel in Erskine (nahe Glasgow), um gegen die geplante Unterbringung von 200 Asylbewerber:innen zu protestieren.

Weitere Ziele der Rechten bilden die fortschrittlichen Vorschriften zur Geschlechtsanerkennung und transkulturelle Veranstaltungen. Transphobie war das Thema der jüngsten Veranstaltungen in London vor der Tate Modern-Kunstgalerie, und vor kurzem versuchten ein Dutzend Rechtsextremist:innen der Gruppe Turning Point, eine Drag Queen Storytelling-Veranstaltung im The Honor Oak Pub in Lewisham (London) zu verhindern, wurden aber von 200 Gegendemonstrant:innen empfangen.

Runter von unseren Straßen

Glücklicherweise haben sich in vielen dieser Fälle lokale Antirassist:innen, oft von der Organisation Stand Up to Racism, schnell mobilisiert und dazu beigetragen, mögliche gewalttätige Übergriffe zu verhindern. Obwohl die Polizei in Knowsley eingegriffen hat, können wir es nicht ihr überlassen, denn sie wird immer das „Recht auf friedlichen Protest“ der Faschist:innen verteidigen. Es ist klar, dass die neuen Antiprotestgesetze, die sich gegen diejenigen richten, die gegen die Umweltzerstörung durch den Kapitalismus protestieren, in erster Linie gegen Antirassist:innen und nicht gegen Faschist:innen eingesetzt werden.

Es ist die Pflicht der Arbeiter:innenbewegung, unsere Brüder und Schwestern zu verteidigen, die vor Umweltzerstörung, Armut, Verfolgung und Krieg fliehen. Wir müssen sagen: Öffnet die Grenzen für diejenigen, die vor Kriegen, Naturkatastrophen und wirtschaftlicher Not Zuflucht suchen!

Wir müssen uns auch dafür einsetzen, dass Asylbewerber:innen eine angemessene Unterkunft in Städten zur Verfügung gestellt wird, in denen es Gemeinschaften aus ihren Herkunftsländern gibt und in denen Gewerkschaften, Labourstadträte und sozialistische Gruppen sie willkommen heißen und ihnen bei der Verfolgung ihrer Ansprüche mit Rechtsberatung helfen können. Wir müssen die Beschränkungen bekämpfen, die ihnen das Recht auf Arbeit oder den Nachzug ihrer Familienangehörigen verwehren.

Sozialist:innen müssen dem rechtsextremen Hass in all seinen Formen, einschließlich der Transphobie, unbeirrt entgegentreten. Wo immer möglich, müssen wir diese rassistischen und transphoben Mobs von unseren Straßen vertreiben und sicherstellen, dass alle naiven Einheimischen, die sich ihnen anschließen, eine unangenehme Erfahrung machen, und die Faschist:innen, die sie wütend machen, in die Flucht schlagen.

Workers Power wird sich für eine große Beteiligung an den Demonstrationen am 18. März in London einsetzen. Auch in Glasgow und Cardiff wird es im Rahmen des weltweiten Tages der antirassistischen Proteste Demonstrationen geben. Angesichts der bösartigen Antimigrationspolitik vieler EU-Staaten, insbesondere der neuen extrem rechten italienischen Regierung unter Giorgia Meloni, und der Tragödie des Schiffsunglücks in Italien, bei dem 63 Flüchtlinge, darunter auch Kinder, ums Leben kamen, ist ein internationales Vorgehen dringend erforderlich.




Britannien: Bilanz des Aktionstages vom 1. Februar

KD Tait, Infomail 1213, 8. Februar 2023

Am 1. Februar streikten Hunderttausende Lehrkräfte, Dozent:innen, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und Lokführer:innen im Rahmen des größten koordinierten Aktionstages seit vielen Jahren.

Allein in London zogen 50.000 Streikende durch die Straßen bei der größten Demonstration an einem Werktag seit dem Protest gegen den Besuch von Donald Trump im Jahr 2018. Weitere Zehntausende demonstrierten im ganzen Land.

Die Gewerkschaften fordern Lohnerhöhungen, um der Krise bei den Lebenshaltungskosten zu begegnen. Inflationsraten von mehr als 11 % und ein Jahrzehnt des Einfrierens der Löhne und Gehälter bedeuten, dass ihr realer Wert für Millionen von Beschäftigten des öffentlichen Sektors niedriger ist als im Jahr 2010.

Mehr als Löhne

Aber bei diesen Streiks geht es um viel mehr als nur um die Löhne. Jede/r kann sehen, dass ein Jahrzehnt der Sparmaßnahmen, der Privatisierung und des wirtschaftlichen Rückschlags durch den Brexit die öffentlichen Dienste an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat. Für die regierenden Konservativen ist dies ein Schritt in Richtung Abschaffung der universellen, kostenlosen öffentlichen Dienstleistungen vor Ort. Für die Streikenden geht es bei dieser Aktion um den Schutz von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen. Sie kämpfen für vollständig finanzierte öffentliche Dienstleistungen, auf die wir alle angewiesen sind.

Die Privatisierung des Gesundheits- und Bildungswesens, die Verarmung und Bestrafung der Arbeitslosen, der katastrophale Zustand unseres öffentlichen Nahverkehrs, der Anachronismus von Arbeitsbedingungen, die so schlecht sind, dass Zehntausende von teuer ausgebildeten, neu qualifizierten Lehrer:innen und Krankenpfleger:innen innerhalb der ersten zwei Jahre kündigen – all das sind Gründe genug für einen Streik.

Aber das ist noch nicht alles. Die Regierung nutzt die Streiks, um noch drakonischere Antistreikgesetze zu verabschieden, die das Streikrecht im Gesundheits-, Verkehrs- und Bildungswesen sowie bei den Notdiensten faktisch abschaffen werden.

Es geht nicht nur um die Beschäftigten des öffentlichen Sektors. Die Löhne und Gehälter in der Privatwirtschaft bleiben weit hinter der Inflation zurück, aber die Lohnerhöhungen sind immer noch doppelt so hoch wie im öffentlichen Bereich. Die Regierung will die Löhne  dort  niedrig halten, um einen Maßstab für die Lohnsumme insgesamt zu setzen.

Es steht für alle viel auf dem Spiel: Löhne, Renten, Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung sowie das Streikrecht sind in Gefahr. Die Aktion am 1. Februar war beeindruckend. Um sie zu organisieren, waren nachhaltige Organisationsbemühungen in den Gewerkschaften erforderlich, die Zehntausende neuer Mitglieder und Hunderte von Vertreter:innen und Aktivist:innen rekrutiert haben. Die Demonstrationen spiegelten eine jüngere, vielfältigere Mitgliedschaft wider, die sich der politischen Implikationen und des Einsatzes bewusst ist.

Aber die zentrale Frage: „Wie geht es weiter?“ bedeutet, dass man sich fragen muss, ob die Strategie der Gewerkschaftsführer:innen funktioniert.

Rolle der Bürokratie

Erstens wurden die Streikenden am 1. Februar von der Gewerkschaft des Pflegepersonals (RCN) im Stich gelassen, deren Vorsitzende Pat Cullen darauf bestand, dass sie keine gemeinsamen Aktionen unterstützen würde, weil sie nur Pflegekräfte vertrete. Hinter diesem „Mandat“ verbirgt sich engstirniger Sektionalismus, der die Interessen einer Gruppe von Beschäftigten über kollektive Bemühungen stellt und damit alle schwächt.

Schlimmer noch: Geplante Verhandlungen mit den „Arbeitgeber:innen“ wurden von den Gewerkschaften im Kommunikations- (CWU) und Verkehrswesen (RMT), deren Führer Dave Ward und Mick Lynch die profiliertesten Befürworter einer koordinierten Aktion waren, als Vorwand benutzt, um sich von der Aktion fernzuhalten (mit Ausnahme einer kleinen Zahl von Lokführer:innen). In keiner der beiden Auseinandersetzungen hat die Seite der Bosse ein Angebot vorgelegt, das diese Entscheidung auch nur annähernd rechtfertigt. Sie schwächten damit ihren Arbeitskampf ebenso wie die Position aller anderen.

Die Regierungspartei der Tories spielt „Teile und herrsche“, und die Weigerung des Gewerkschaftsdachverbandes und der Führer:innen der wichtigsten Gewerkschaften, eine geschlossene Koalition zu bilden, die die Macht der Stärkeren nutzt, um die Forderungen der Schwächeren durchzusetzen, hilft ihnen dabei. Für diese Gewerkschaftsführung ist das Motto unserer Bewegung – „Einigkeit macht stark“ – nur ein leerer Slogan, gut für Reden und Transparente, aber aus dem Verhandlungssaal verbannt.

Zweitens, und verbunden mit dem vorrangigen Wunsch der Gewerkschaftsspitze, die Kontrolle über ihre eigenen Auseinandersetzungen zu behalten und zu vermeiden, dass sie sich zu einer politischen Offensive ausweiten, die ihre eigenen Forderungen durchsetzt, ist die Strategie eine von gelegentlichen ein- oder zweitägigen Streiks, gefolgt von langen Verhandlungsperioden, deren Ziele und Verlauf die Mitglieder, die Lohneinbußen hinnehmen müssen, weder mitbestimmen noch kennen.

Der Beweis ist eindeutig: Gegen eine Regierung, die entschlossen ist, die Profite der Bosse zu stützen und das Vermögen der Reichen zu verteidigen, indem sie die Löhne niedrig hält, reichen eintägige Streiks nicht aus, um zu gewinnen. Bestenfalls werden sie bescheidene Zugeständnisse für einige wie Pflegekräfte und Bahnbeschäftigte bringen, die Bewegung spalten und andere Teile isoliert zurücklassen, die sich mit weniger zufrieden geben müssen.

Die Universitäts- und Hochschulgewerkschaft UCU hat für Februar und März 18 Streiktage angekündigt, während die Bildungsgewerkschaft NEU zu regionalen Streiks übergeht. Eine Eskalation, die so schnell wie möglich vonstattengeht, ist die einzige Alternative zu einer langwierigen Kampagne, die die Initiative und die Macht der Regierung überlässt, die  einfach länger abwarten kann.

Strategiewechsel ist nötig

Drittens: Streiks sind zwar die wirksamste Waffe der organisierten Arbeiter:innen, um für ihre Interessen zu kämpfen, aber die allgemeine soziale Krise, die den Lebensstandard drückt, erfordert die Mobilisierung der gesamten Arbeiter:innenklasse und nicht nur bestimmter Gewerkschaften. In jeder Gemeinde brauchen wir eine soziale und politische Kraft, die sich für Maßnahmen gegen Energierechnungen, Mieten und die ungezügelte Profitmacherei der großen Banken und Energieunternehmen einsetzt. Lasst uns Aktivist:innen aus Mieter:innenkampagnen, Umweltgruppen, Schwarzen- und Frauenorganisationen mit Gewerkschafter:innen zusammenbringen, um eine gemeinsame Strategie zu entwickeln.

In den Gewerkschaften müssen die Aktivist:innen der Basis, die die Notwendigkeit eines Strategiewechsels erkannt haben, auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zusammenkommen, um einen Aktionsplan auszuarbeiten, mit dem sie die Kontrolle über die Streiks und Verhandlungen übernehmen können.

Der nächste Aktionstag ist erst am 15. März, dem Tag der Verabschiedung des Haushalts, vorgesehen – also in sechs Wochen. Diese Wochen werden einen entscheidenden Wendepunkt im Kampf darstellen. Was wir brauchen, ist ein gezieltes Eingreifen in die Bewegung, um die Organisation und Kontrolle der Basis und die Einheit der sozialen Kampagnen wie People’s Assembly (Volksversammlung) und Enough is Enough (Genug ist Genug) aufzubauen. Für diese Strategie, die Organisation von Aktivist:innen hinter einem Aktionsprogramm, um unsere Bewegung kampffähig zu machen, kämpfen die Mitglieder von Workers Power. Wenn ihr einverstanden seid, schließt euch uns an!




Streiks in Britannien: Wie können wir gewinnen?

Workers Power Britannien, Infomail 1213, 7. Februar 2023

Die derzeitige Streikwelle ist der größte und am weitesten verbreitete Widerstand gegen das Kapital seit den 1980er Jahren, mit bis zu 3 Millionen Streiktagen zwischen Juni 2022 und Anfang dieses Monats.

Die Bahn, die Post, Krankenhäuser, Schulen, Universitäten, Hochschulen und der öffentliche Dienst haben Streiks durchgeführt oder angekündigt. Lokale Streiks, wie bei Abellio-Bussen in London, haben zu dem allgemeinen Gefühl beigetragen, dass sich eine Klasse wehrt.

Die Feuerwehrleute haben gerade ihre Urabstimmung mit 88 % Ja-Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 73 % gewonnen und werden sich sicherlich dem Kampf anschließen, ebenso wie die Ärzt:innen in der Ausbildung, die derzeit ihre Stimme abgeben. Der gemeinsame Streik vom 1. Februar, der von jungen Lehrer:innen vor Ort angeführt wurde, war die erste koordinierte Aktion mit einer halben Million Streikenden und die größte Arbeitsniederlegung seit 12 Jahren.

Es steht viel auf dem Spiel. Wenn wir verlieren, wenn die Gewerkschaftsführer:innen sich mit der Art von Vereinbarung zufrieden geben, die angeboten wird, nämlich 4,5 % in diesem Jahr und 4,5 % für 2023-24, wie sie beim Schienenverkehr angepriesen wird, dann würde die Arbeiter:innenklasse eine große Niederlage erleiden, einen Rückgang des Realeinkommens um 12-15 %. Vor diesem Hintergrund wäre es schwer vorstellbar, dass die Gewerkschaften mobilisieren, um das neue Antistreikgesetz zu verhindern.

Wenn wir andererseits inflationsgleiche Lohnerhöhungen oder mehr durchsetzen, dann stellt sich die Frage, ob wir diese Errungenschaften dauerhaft machen können.

Das macht die aktuelle Situation zu einem potenziellen Wendepunkt für den Klassenkampf in Großbritannien. Und nicht nur hier, denn Arbeiter:innen in ganz Europa und Nordamerika beobachten Großbritannien als Land, in dem die weltweite Offensive der Bosse gebrochen werden könnte.

Streikwelle

Die vorherrschende Gewerkschaftsstrategie besteht in ein- oder zweitägigen Streiks, die manchmal kurz hintereinander stattfinden, gefolgt von langen Perioden, in denen geheime Verhandlungen geführt werden.

Das funktioniert nicht. Das einzige, was hilft, ist die Entschlossenheit, auf der vollen Forderung zu bestehen und daraus die Schlussfolgerungen zu ziehen – und das muss von den Gewerkschaftsführungen eingefordert werden, auch von den Linken wie Mick Lynch (RMT, Schienen-, Wasser- Straßentransport) und Pat Cullen (RCN, Pflegepersonal). Wenn isolierte, nicht eskalierende Warnstreiks Erfolg versprächen, hätten sie das schon längst getan.

Die Gefahr besteht darin, dass die Belegschaft durch die Strategie „Wir machen das so lange, wie es nötig ist“ schneller zermürbt wird als die Regierung oder die „Arbeitgeber:innen“ des privaten Sektors. Es droht dann, eine „Wir nehmen alles an, was uns angeboten wird“- Haltung stärker wird oder die Zahl der Nichtstreikenden wächst.

Jetzt gibt es jedoch immer noch eine starke Begeisterung für die Streiks, sowohl unter der Basis als auch in den Unterstützungsgruppen, die in etwa der Hälfte der Londoner Stadtbezirke und über „Enough is Enough“ („Genug ist Genug“) im Süden Manchesters entstanden sind.

Auf nationaler Ebene sind „Enough is Enough“ und People’s Assembly (Volksversammlung) gescheitert, weil die Gewerkschaftsbürokrat:innen (oder ihre politischen Wasser:innen im Falle der People’s Assembly) die Entwicklung eines Klassenkampfes im realen und nicht nur rhetorischen Sinne des Wortes fürchten. Sie wollen die Hände frei haben, um sich bei der ersten Gelegenheit zu einigen. Eine breite, organisierte Militanz in der Arbeiter:innenbewegung könnte sie nämlich zwingen, weiter zu kämpfen und weiterzugehen, als sie wollen.

Die Basis

Der Schlüssel zur aktuellen Streikwelle liegt in der Organisierung der Basis, und zwar sowohl innerhalb der Gewerkschaften als auch – was ebenso wichtig ist – gewerkschaftsübergreifend. Mit „Basis“ meinen wir die Aktivist:innen am Arbeitsplatz, die sich an den Streiks und Urabstimmungen beteiligt oder sie unterstützt haben. Die war deutlich sichtbar bei den Schulkontingenten der NEU (Nationale Gewerkschaft Bildungswesen) am 1. Februar. Andere Gewerkschaften sollten es ihnen gleichtun und in den Betrieben den alten Slogan „Educate, Agitate, Organise (Aufklären, Agitieren, Organisieren)“ befolgen.

Die Aktivist:innen müssen auf lokaler Ebene über bestehende Solidaritätsnetze oder durch den Aufbau eines solchen Netzes sowie auf nationaler Ebene miteinander in Kontakt gebracht werden, damit sie ihre Führung kontrollieren und zur Rechenschaft ziehen können.

Es geht aber nicht nur darum, Erfahrungen auszutauschen, moralische und sogar finanzielle Unterstützung zu gewähren und Streikposten nicht zu übertreten, sondern auch Aktionen zu organisieren. Es gibt z. B. hunderte Vorfälle, von Maßregelungen örtlicher Militanter. Wir brauchen sofortige Streiks, wilde oder inoffizielle, wenn es sein muss, um zu verhindern, dass die Bosse führende Aktivist:innen herausgreifen und unter Druck setzen.

Es sollte nicht unterschätzt werden, wie die Streikwelle – bei der Stimmabgabe, der Organisation von Streikposten und Demos, beim Streik und bei der Teilnahme an Streikposten – beiträgt, neue Gewerkschaftsaktivist:innen zu gewinnen und bestehende zu verändern und politisch weiterzuentwickeln. Das Bewusstsein der Gewerkschaften ist jetzt auf einem Höhepunkt, und das muss zu dauerhaften Ergebnissen führen. Generalsekretär Kevin Courtney berichtet, dass die Bildungsgewerkschaft NEU (National Education Union) in den zwei Wochen seit Ankündigung der Streiks 40.000 neue Mitglieder rekrutiert hat.

Generalstreik

Die NEU hat für den 15. März zum nächsten landesweiten Streik aufgerufen. Mark Serwotka (Vorsitzender der PCS; Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Handel) hat den Aufruf unterstützt und andere Gewerkschaften dazu aufgerufen, sich anzuschließen. Um den Schwung zu steigern, muss der Streik größer geraten als am 1. Februar, eine Million oder mehr.

Die Basis der Gewerkschaften, Solidaritätsgruppen und Sozialist:innen müssen sich auf dieses Datum vorbereiten, indem sie von ihrer Führung verlangen, dem Aufruf Folge zu leisten, und indem sie inoffizielle Aktionen organisieren, falls sie dies nicht tun. Das bedeutet die Bildung von Aktionsräten mit Delegierten aus lokalen Betrieben, Gewerkschaftszweigen und anderen Organisationen der Arbeiter:innenklasse, um für den Tag zu mobilisieren und zu planen.

Die objektive Situation, einschließlich, aber nicht ausschließlich, des neuen Antistreikgesetzes, wirft sicherlich die Frage nach einem Generalstreik auf. Einige Linke haben zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen, und insofern dies den Willen zur Einheit widerspiegelt, ist dies verständlich. In der Tat sollten wir alles in unserer Macht Stehende tun, um den 15. März zu einem solchen zu machen. Dann käme es darauf an, was am Tag danach passiert. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass die Kundgebungen einen Aufruf zu unbefristeten Massenstreiks beinhalten, so dass die Gewerkschaftsführer:innen ihn nicht ignorieren können.

Es ist klar, dass der Sieg über die Bosse und ihre Regierung nicht durch einen eintägigen Proteststreik errungen werden kann, egal wie groß er auch ausfallen mag.  Was wir mehr als alles andere brauchen, ist, die Gewerkschaften dazu zu zwingen, zu stark eskalierenden Maßnahmen bis hin zu einem Generalstreik aufzurufen.




Nachruf auf Marcus Vickers

Internationales Sekretariat der Liga für die 5. Internationale, Infomail 1211, 19. Januar 2023

Mit großer Trauer haben wir vom Tod unseres Genossen Marcus Vickers nach langem Kampf gegen den Krebs erfahren. Marcus war ein Gründungsmitglied von Workers Power USA und seit etwa fünfzehn Jahren ein unermüdlicher Aktivist für die Liga. Als Aktivist der Arbeiter:innenklasse und Musiker in Nashville, Tennessee, war er im Labor Council der Stadt und bei den Democratic Socialists of America aktiv. Als führendes Mitglied von WPUS schrieb er häufig für deren Website und für die der Liga für die Fünfte Internationale unter dem Namen Marcus Otono.

Er leistete einen wichtigen Beitrag zu den Onlinetreffen der US-Sektion. Bei diesen Treffen zeigte Marcus immer das größte Einfühlungsvermögen, ermutigte die jungen Genoss:innen und bemühte sich um ihre Teilnahme. Selbst bei Meinungsverschiedenheiten in taktischen Fragen war er immer der Erste, der die Entscheidung umsetzte, und zwar in vorbildlicher Weise.

Er war und blieb durch und durch ein Internationalist, Antirassist und Antisexist. In seinen letzten Lebensjahren leistete er einen wichtigen Beitrag zur Ausarbeitung des Aktionsprogramms der Liga für die USA, das wir in Kürze veröffentlichen und nun seinem Andenken widmen werden.

Unser aufrichtiges Beileid gilt Marcus‘ Familie und Freund:innen sowie seinen Genossinnen und Genossen in WPUS, die seine Gaben, seinen Optimismus und seinen Sinn für Humor sehr vermissen werden.

 Lieber Genosse, du wirst in den warmen Erinnerungen all derer weiterleben, die mit dir zusammengearbeitet haben, und in den Ideen und der Arbeit, die du zum Aufbau der Liga für die Fünfte Internationale und der Arbeiter:innenbewegung beigetragen hast. Wir verabschieden uns von Dir ganzen Herzens.




Britannien: Nach Truss – jetzt weg mit dem Rest!

Workers Power, Britannien, Infomail 1202, 24. Oktober 2022

Der Brexit hat die vierte Premierminister:in in sechs Jahren gefordert. Liz Truss versprach „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ – und die Märkte antworteten „nein, nein, nein“. Ihr Versuch, „den Brexit zu Ende zu bringen“, wurde innerhalb von nur 44 Tagen zunichte gemacht. Sie hinterlässt ein bitteres Erbe: steigende Preise, Rechnungen und Zinsen.

Auf den spektakulären Zusammenbruch der Regierung sollte eigentlich eine Neuwahl folgen. Doch nach der kurzen Erfahrung, Truss freie Hand zu gewähren, droht der Konservativen Partei selbst der elektorale Absturz. Deshalb wählt sie zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres den/die Premierminister:in selbst.

Das Vereinigte Königreich könnte schon am Montag eine/n Premierminister:in haben, der/die von ein paar hundert Abgeordneten gewählt wird. Am Freitag werden wir wissen, wer das zweifelhafte Privileg erhalten hat. Auf jeden Fall wird das Programm so ablaufen, wie es zuvor von Schatzkanzler Jeremy Hunt angekündigt wurde.

Der Zusammenbruch des Truss-Experiments hat ein neues Zeitalter der Austerität eingeläutet. Sowohl die Labour Partei als auch die Konservativen sind sich einig in der Forderung nach einer „verantwortungsvollen Regierung“, die „schwierige Entscheidungen“ treffen kann, um das „Vertrauen“ der Märkte wiederherzustellen. Wir wissen, was das bedeutet: Kürzungen der öffentlichen Ausgaben und Lohnzurückhaltung, um die Profite der Banken, der Monopole und der Spekulant:innen zu schützen.

Hunt wird am 31. Oktober das Budget der Bänker:innen verkünden. Die neue Regierung wird eine Waffe des Klassenkampfes in den Händen der Banken und Finanziers gegen die Arbeiter:innenklasse sein. Einzelgewerkschaften, Dachverband TUC und die gesamte Arbeiter:innenbewegung müssen am Tag der Haushaltsverabschiedung zu Protesten und Arbeitsniederlegungen mobilisieren, um sich der Offensive der Bosse zu widersetzen, unter dem Slogan: „Wir werden nicht für ihre Krise bezahlen – Tories raus!“

Diese Regierung wird völlig illegitim sein. Aber um ihr arbeiter:innenfeindliches Programm zu besiegen und sie aus dem Amt zu drängen, bedarf es des Massenwiderstands. Wir dürfen den Konservativen keine weitere Atempause gewähren, um sich zu reorganisieren. Mit der Taktik von ein- oder zweitägigen befristeten Streiks während des Sommers haben sie bereits zu viel davon bekommen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Forderung nach Wahlen als Vorwand für die Demobilisierung der Aktion benutzt wird. Jetzt ist es an der Zeit, unseren Vorteil auszuspielen. Die Gewerkschaften müssen an allen Fronten des Kampfes den Vormarsch ankündigen. Unbefristete Streiks für alle Forderungen können die Regierung lähmen und Neuwahlen erzwingen.

Millionen von Lohnabhängigen würden verständlicherweise Labour wählen, um die Tories zu vertreiben. Aber das wäre nur der Anfang. Was die Märkte der Regierung von Liz Truss angetan haben, werden sie im Handumdrehen mit einer Labour-Regierung veranstalten, die aus der Reihe tanzt. Deshalb hat deren Vorsitzender Keir Starmer die Arbeiter:innen bereits wissen lassen, dass er sich dafür einsetzt, dass Labour „die Partei des gesunden Geldes“ ist – nicht des Geldes in den Taschen der Werktätigen.

Die Krise der Lebenshaltungskosten wird in keinem Wahlkampf aufgeschoben werden – und der Kampf um Löhne, Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen sollte es auch nicht. Wir dürfen im Kampf gegen die Profiteur:innen, die sich die Taschen vollstopfen, während die Arbeiter:innen leer ausgehen, keinen Zentimeter nachgeben.

Das bedeutet, die Basis in den Gewerkschaften zu organisieren, um die Kontrolle über ihre Auseinandersetzungen zu übernehmen, die Unorganisierten gewerkschaftlich zu organisieren und Aktionsräte in jeder Stadt zu bilden, um die Lohnkonflikte mit einer Kampagne für Maßnahmen zugunsten der Arbeiter:innenklasse zu verbinden: Kontrolle der Mieten und Preise, öffentliches Eigentum an den Versorgungsbetrieben und dem Verkehrswesen, ein Mindestlohn von 15 Pfund pro Stunde, eine Vier-Tage-Woche ohne Lohneinbußen und die Beschlagnahmung des Vermögens der Milliardär:innen, um öffentliche Dienste unter Kontrolle der Arbeiter:innen als Teil eines demokratischen Produktionsplans zu finanzieren.

Auf diese Weise können wir unsere Klassenmacht mobilisieren, um die bürgerlichen Tories aus dem Amt zu jagen und uns in die stärkste Position zu bringen, um eine künftige Labour-Regierung zum Bruch mit den Bossen zu zwingen.

Politisches Komitee von Workers Power, 21. Oktober 2022




Die Streikhitzewelle in Britannien

Dave Stockton, Workers Power Britannien, Neue Internationale 267, September 2022

Großbritannien erlebt einen rekordverdächtig heißen Sommer – nicht nur im Hinblick auf die Temperaturen von 30 bis 40 Grad, die normalerweise grüne Wiesen und Weiden in braunes Gestrüpp verwandelt haben, sondern auch im Hinblick auf einen „heißen Sommer“ mit Streiks, bei denen die Arbeiter:innen gegen plötzliche Preissteigerungen rebellieren, die zusätzlich auf eine lange Zeit stagnierender Reallöhne folgen. Während die jährlichen Lohnerhöhungen in der Privatwirtschaft durchschnittlich 5,9 Prozent betragen, liegt das Lohnwachstum im öffentlichen Sektor bei erschreckenden 1,8 Prozent.

Inflation

Ansporn für die Arbeiter:innen ist die galoppierende Inflation im Vereinigten Königreich, die die höchste jährliche Rate seit 40 Jahren aufweist. Der Verbraucherpreisindex (CPI) stieg im Jahr bis Juli 2022 um 10,1 Prozent, gegenüber 9,4 Prozent im Juni. Das Nationale Statistikamt zeigt, dass der Anstieg der Lebensmittelpreise, die einen größeren Anteil an den Gesamtausgaben von Arbeiter:innenfamilien ausmachen, 12,7 Prozent erreicht hat. Die Bank von England geht davon aus, dass sie noch in diesem Jahr die 13-Prozent-Marke überschreiten wird.

Derzeit zahlt der Durchschnittshaushalt im Vereinigten Königreich knapp 2.000 Pfund pro Jahr für Strom und Gas, doch nach Aufhebung der derzeitigen Obergrenze für Preiserhöhungen wird dieser Betrag am 1. Oktober auf 4.266 Pfund steigen, und am 1. Januar könnte es eine weitere Erhöhung geben.

Dies hat eine Reaktion ausgelöst, die an die Anti-Poll-Tax-Bewegung (Bewegung gegen die Kopfsteuer) der frühen 1990er Jahre erinnert. Eine Kampagnengruppe – Don’t Pay UK – hat zu massenhaften direkten Aktionen aufgerufen, um die Senkung der Gas- und Stromkosten zu erzwingen. Dazu gehört auch der Aufruf an die Menschen, ihre Lastschriftzahlungen an die Energieunternehmen ab dem 1. Oktober einzustellen, wenn die Regulierungsbehörde Ofgem die Preisobergrenze aufhebt.

Streiks und Arbeitskämpfe

Große Gewerkschaften wie Unite mit 1,4 Millionen Mitgliedern und GMB (Allgemeine und Städtische Bedienstete) mit 460.000 Mitgliedern erreichen durch Arbeitskampfmaßnahmen oder deren Androhung erhebliche Lohnabschlüsse auf Unternehmens- und Betriebsebene. Vor kurzem haben 1.800 Arriva-Busfahrer:innen im Nordwesten Englands einen Lohnabschluss von 11,1 Prozent erzielt.

Nach Angaben des Liverpool Echo rief die Menge der Streikposten bei der Bekanntgabe des Abschlusses „Hoch die Arbeiter:innen!“ Auch andere Beschäftigte des privaten Sektors, darunter Müllmänner- und -frauen, haben sich an Aktionen beteiligt und schnell Lohnerhöhungen durchgesetzt. Auch beim Logistikgiganten Amazon, im Baugewerbe und in einer Ölraffinerie sind die Belegschaften kürzlich in einen wilden Streik getreten.

Mehr als 1.900 Hafenarbeiter:innen in Felixstowe, dem größten Containerhafen des Landes, werden ab Sonntag, dem 21. August, acht Tage lang streiken. Die Gewerkschaft Unite the Union berichtet, dass die Arbeit„geber“in, die Felixstowe Dock and Railway Company, ihr Angebot einer Lohnerhöhung von 7 Prozent nicht verbessert hat, was eine Reallohnkürzung bedeuten würde.

Im öffentlichen Sektor ist die Lage schwieriger, weil die Zentralregierung Druck ausübt, die Lohnerhöhungen auf 2 Prozent zu begrenzen, und die Haushalte der Kommunen seit Jahren eingefroren oder gekürzt wurden. Aber die Gewerkschaftskonferenzen haben sich zumindest für indikative Urabstimmungen ausgesprochen. Im Herbst stehen entscheidende an und werden von immenser Bedeutung sein. Dies gilt auch für das nationale Gesundheitswesen (NHS), wo die Wut über Lohnangebote, die die enorme Arbeitsbelastung und die persönlichen Opfer, die die Beschäftigten während der Pandemie gebracht haben, nicht widerspiegeln, weit verbreitet ist.

Der wahre Kampf im öffentlichen Dienst besteht darin, die strengen Anforderungen der gewerkschaftsfeindlichen Gesetze der konservativen Tory-Regierung zu erfüllen. Diese sehen vor, dass Streiks nur dann rechtmäßig sind, wenn sich in einer Briefwahl, an der mehr als 50 Prozent aller Wahlberechtigten teilgenommen haben, eine Mehrheit für Aktionen findet. Anfechtungen der Richtigkeit der Mitgliederzahlen einer Gewerkschaft können eine Urabstimmung ungültig machen oder ihre Durchführung verzögern. Vor allem für landesweite Streiks großer Gewerkschaften gibt es einen regelrechten Hindernisparcours.

Es überrascht nicht, dass die traditionell kämpferischeren Eisenbahner:innen mit ein- und zweitägigen Streiks bisher den größten Sektor ausmachen. Durch die Ausstände bei Network Rail und 14 Eisenbahnverkehrsunternehmen wurden mindestens 80 Prozent des Zugverkehrs eingestellt. Am 20. August streikten 40.000 Eisenbahner:innen im nationalen Netz und 10.000 bei der Londoner U- und S-Bahn, wodurch praktisch der gesamte Zugverkehr zum Erliegen kam.

RMT an der Spitze

An vorderster Front standen die Aktivist:innen der National Union of Rail, Maritime and Transport Workers (RMT) (Gewerkschaft für Eisenbahner:innen, Seeleute und Transportarbeiter:innen), einer branchenübergreifenden Gewerkschaft für alle Berufe mit 83.000 Mitgliedern. Daneben gab es aber auch die Lokführer:innengewerkschaft Associated Society of Locomotive Engineers and Firemen (ASLEF) mit 22.000 und die Gewerkschaft für das Büropersonal (TSSA) mit 18.000 gewerkschaftlich organisierten Arbeitskräften.

Das alte Staatsunternehmen British Rail (Britische Eisenbahn) wurde in den 1990er Jahren von den Konservativen privatisiert, doch mussten sie die Netzbetreibergesellschaft Rail Track wieder verstaatlichen, weil die privatisierten Unternehmen ein völliges Chaos angerichtet hatten. Jetzt versuchen die Tories erneut, das System zu „reformieren“, indem sie das Zugpersonal abbauen und damit die Sicherheit von Fahrgästen und Beschäftigten zunehmend gefährden.

Der Generalsekretär der RMT, Mick Lynch, hat mit seinen direkten Widerlegungen der Versuche von Journalist:innen, die Streikenden als Feind:innen der Reisenden darzustellen, große öffentliche Unterstützung gewonnen. Er erläuterte die Situation wie folgt: „Es gibt eine Welle der Reaktion unter den Werktätigen auf die Art und Weise, wie sie behandelt werden. Die Menschen werden jeden Tag in der Woche ärmer. Die Leute können ihre Rechnungen nicht bezahlen. Sie werden am Arbeitsplatz verachtenswert behandelt. Ich denke, es wird zu allgemeinen und synchronisierten Aktionen kommen.“

Tory-Angriffe

Die Aktion der Eisenbahner:innen hat eine scharfe Reaktion der Tory-Regierung hervorgerufen, insbesondere zu einem Zeitpunkt, an dem ihre Partei eine/n neue/n Vorsitzende/n und Premierminister:in wählt, die/der den in Ungnade gefallenen Boris Johnson ablösen soll. Der Tory-Verkehrsminister Grant Shapps erklärte gegenüber der rechtsgerichteten Daily Mail, dass „die Tage der Gewerkschaftsmacht gezählt sind“ und er „im Stillen an einem mehrgleisigen Plan gearbeitet hat, um die hartgesottenen linken Gewerkschaftsbaron:innen endgültig zu zermalmen“.

Er schlägt vor, noch höhere Schwellenwerte für die Beteiligung an Streikabstimmungen festzulegen und die Zeit, die die Gewerkschaften den Arbeit„geber“:innen für die Ankündigung von Streiks zur Verfügung stellen müssen, zu verdoppeln. Außerdem will er die Zahl der Streikenden, die sich an einer Streikpostenkette beteiligen dürfen, weiter einschränken. Gegen die Eisenbahner:innen und ihre Gewerkschaften droht Shapps außerdem mit rechtlichen Verwarnungen gemäß Abschnitt 188 des Gesetzes über Gewerkschaften und Arbeitsbeziehungen (1992), um „Reformen“ zur Abschaffung von Zugbegleiter:innen und zum Abbau von über 1.900 Arbeitsplätzen durchzusetzen.

Er hat auch behauptet, dass Gesetze zur Durchsetzung von Mindestdienstanforderungen, d. h. Streikverbote für Teile der Belegschaft, die diese dazu zwingen, ihre eigenen Streiks zu brechen, „geschrieben und einsatzbereit“ sind, wenn am 5. September ein/e neue/r Premierminister:in von den 160.000 Mitgliedern der Konservativen Partei gewählt wird.

Als nächstes sind 115.000 Postangestellte an der Reihe. Sie werden streiken, nachdem die Geschäftsführung der Royal Mail (britische Post) eine „Lohnerhöhung“ von 2 Prozent durchgesetzt hat, die angesichts der Inflationsrate einer zweistelligen Lohnkürzung gleichkommt. Die Vorschläge der Royal Mail für eine „Umstrukturierung“ sind außerdem ein Vorwand für einen weiteren Angriff auf die ausgehandelten Arbeitszeiten, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Sonntagsvergütung. Außerdem droht die Ausgliederung des profitablen Paketgeschäfts aus der Briefzustellung, was das Ende der Verpflichtung für eine umfassende Dienstleistung im Postwesen bedeuten würde.

Zu den Postler:innen werden sich am 31. August 40.000 Beschäftigte von British Telecom und Openreach (Telekommunikation und Netzwerke) gesellen. Wenn die drei Eisenbahner:innengewerkschaften zur gleichen Zeit in den Ausstand treten, könnte dies bedeuten, dass mehr als 250.000 Beschäftigte streiken. Dies bietet eine gute Gelegenheit für gemeinsame Kundgebungen und Demonstrationen, die sich mit den Busbeschäftigten, den Müllwerker:innen und den Beschäftigten im Gesundheitswesen, die sich an der Urabstimmung beteiligen, zusammenschließen könnten. Sogar Barristers – die Anwält:innen, die Klient:innen vor den höheren Gerichten vertreten können – könnten sich an den Aktionen beteiligen.

Die RMT und die CWU (Gewerkschaft der Kommunikationsarbeiter:innen) haben die Führung übernommen und eine groß angelegte Kampagne mit dem Titel „genug ist genug“ gestartet, in der sie „echte Lohnerhöhungen, Verstaatlichung zur Bekämpfung steigender Energierechnungen, ein Ende der Notwendigkeit von Lebensmitteltafeln und explodierenden Mieten sowie eine Politik der Besteuerung der Reichen“ fordern. Der Vorsitzende der Postangestellten, Dave Ward, gab bekannt, dass sich bereits 400.000 Menschen für die Kampagne angemeldet haben, die in den kommenden Wochen landesweit 70 Kundgebungen abhalten wird. Es ist geplant, regionale Organisationen, darunter vier in London, zu gründen, um die öffentliche Solidarität mit den Streiks zu mobilisieren und die Koordinierung zwischen den Sektoren, die die Arbeit niederlegen oder zu Streikmaßnahmen aufrufen, zu organisieren.

Rund 1.250 Menschen nahmen am 17. August an einer Auftaktkundgebung in Clapham Junction, einem großen Eisenbahnknotenpunkt im Süden Londons, teil. Obwohl die Veranstaltung erst einige Tage zuvor angekündigt worden war, mussten Hunderte von Teilnehmern:innen, die sich in die Warteschlange eingereiht hatten, abgewiesen werden, weil der Veranstaltungsort überfüllt war. Unter dem Motto „Es ist an der Zeit, die Wut in Taten umzuwandeln“ hörte ein größtenteils junges und begeistertes Publikum Mick Lynch, Dave Ward und Jo Grady von der Universitäts- und Hochschulgewerkschaft UCU, wie sie die zunehmende Brenn- und Treibstoffarmut anprangerten, die Zahl derer, die auf Essenstafeln angewiesen sind, und Lohnerhöhungen in Höhe der Inflationsrate oder darüber forderten, eine Obergrenze für Energierechnungen, die Verstaatlichung der Versorgungsbetriebe und die Besteuerung der Reichen.

Die Tatsache, dass die Gewerkschaften ihre eigene politische Kampagne organisieren müssen, verdeutlicht die Abwesenheit der Partei, für deren Unterstützung sie Millionen zahlen – Labour. Stattdessen entließ ihr Vorsitzender Keir Starmer einen Minister des Labour-Schattenkabinetts, der auf einer Streikpostenkette der RMT aufgetreten war. Kein Wunder, als Dave Ward sagte: „Die Leute fragen, wo ist Labour? Es liegt an der Labour-Partei – diese Kampagne geht mit oder ohne sie weiter“, wurde er mit Beifallsstürmen bedacht. Dies ist jedoch eine zu passive Haltung. Starmer muss beim Namen genannt und für seine Feindseligkeit gegenüber Streiks vor lokalen Labour-Gliederungen, die sich der Bewegung anschließen, beschämt werden.

Rückkehr des Klassenkampfs

Mick Lynch sagte auch: „Die Gewerkschaften müssen vorangehen, wir können nicht auf die Politiker:innen warten. Wir müssen in die Gemeinden und an die ehemalige rote Wand gehen, um sie bei ihrer Kampagne zu unterstützen. Wir müssen ihnen zeigen, wie sie sich organisieren können. Unsere Aufgabe als Aktivist:innen und Gewerkschafter:innen ist es, ihnen Mut zu machen, ihnen Hoffnung zu geben und sie auf die Straße zu bringen.“

Er fügte hinzu: „Tretet einer Gewerkschaft bei und beteiligt euch an einer Kampagne! Bringt die ArbeiterInnen dazu, Kampagnen zu führen und diese in eine Welle von Solidarität und Arbeitskampfmaßnahmen in ganz Großbritannien umzuwandeln!“

Das sind gute Worte, aber es liegt an den Aktivist:innen in den Gewerkschaften und den sozialistischen Kräften, sie in die Tat umzusetzen, indem sie Demonstrationen organisieren, um andere Arbeiter:innen und die breite Öffentlichkeit um Unterstützung zu bitten. Um dies in kleinen und großen Städten zu tun, bilden die Aktivist:innen bereits Solidaritätskomitees. Wenn sich eine Massenstreikwelle entwickelt, insbesondere wenn die Regierung oder die Arbeit„geber“:innen sich auf die gewerkschaftsfeindlichen Gesetze berufen, können diese die Grundlage für Aktionsräte mit Delegierten aus den Gewerkschaften und Gemeinschaftskampagnen bilden, die in der Lage sind, eine Regierung zu stürzen, die versucht, „die Gewerkschaften zu brechen“.

Die hohe Beteiligung zeigt, dass die Stimmung für einen radikalen Wandel wächst, um der wachsenden Armut und den sinkenden Löhnen ein Ende zu setzen. In der Tat: „genug ist genug“! Es ist an der Zeit zu beweisen, dass, wie einige Journalist:innen sagten, „der Klassenkampf zurückgekehrt ist“.




„Wir werden sie zermürben“

Interview mit einem streikenden Rechtsanwalt, Alex Rutherford, Workers Power (Britannien), Infomail 1196, 20. August 2022

Während die industrielle Militanz in Großbritannien zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder ansteigt, haben sich die Strafrechtsanwält:innen der Streikwelle angeschlossen. Workers Power sprach mit Saul Brody, einem streikenden Anwalt aus Manchester, über die Bedeutung des Streiks, die Probleme im Strafrechtssystem und die Auswirkungen dieser Probleme auf die Betroffenen. Eine ausführliche Analyse des Streiks wird zu einem späteren Zeitpunkt folgen.

WP: Könntest du etwas zum Hintergrund des Streiks sagen und wie er bisher verlaufen ist?

SB: Der Streik ist das Ergebnis eines Streits über die Höhe der Gebühren für die Arbeit in der Strafrechtshilfe. Wir haben am 27. Juni mit den Streikmaßnahmen begonnen. Wir beteiligen uns an dem Streik als Einzelmitglieder der Criminal Bar Association (CBA).

In der ersten Woche haben wir am Montag nicht gearbeitet, dann haben wir den Streik um einen Tag pro Woche ausgeweitet. Als er fünf Tage erreicht hatte, begannen wir, jede zweite Woche eine ganze Woche lang zu streiken. Außerdem nehmen wir derzeit keine Rücksendungen an [1].

Einige Anhörungen werden noch durchgeführt, insbesondere solche, bei denen es um eine schutzbedürftige Person geht und es ungerecht wäre, sie nicht durchzuführen. Alle, sowohl die älteren als auch die jüngeren Anwält:innen, nehmen die Belastung gemeinsam auf sich. Wir werden so lange fünf Tage arbeiten, dann fünf aussetzen, bis unsere Forderungen erfüllt sind. Wir halten zusammen, um die Zukunft der Strafrechtsanwält:innen zu sichern.

WP: Welche Probleme haben zum Streik der Anwält:innen geführt?

SB: Der Streik ist eine Folge der chronischen Unterfinanzierung – die Mittel für das Strafrechtssystem wurden in den letzten 10 Jahren um 28 % gekürzt. Junioranwält:innen leiden am meisten darunter. In den ersten fünf Jahren liegt das Durchschnittsgehalt eines/r Anwält:in in Strafsachen bei nur 12.000 Pfund und damit unter dem Mindestlohn.

Die Anwaltskammer für Strafrecht hat im letzten Jahr 300 – 400 Juniorratgeber:innen verloren. Es gibt keine neuen Bewerber:innen – es gibt zwar viele, aber es sind nicht unbedingt die besten Leute. Viele der besten Anwält:innen gehen aufgrund der stark gestiegenen Honorare in den Wirtschaftsbereich. Einige Leute können immer noch im Strafrecht arbeiten, aber sie müssen entweder sehr engagiert oder sehr wohlhabend sein.

Einige Mainstreamzeitungen haben über diese Themen berichtet. Aber niemand berichtet über die ungerechtfertigten Verzögerungen für Opfer, Zeug:innen und Richter:innen – sie sind unzumutbar lang. Die Situation führt zu einem Chaos in den Gerichten. Prozesse, die 2018 begannen, sind noch immer nicht abgeschlossen. Es wird nicht besser, es wird schlimmer.

Dies ist nicht auf das COVID zurückzuführen, sondern auf den chronischen Mangel an Gerichten, Richter:innen und Verteidiger:innen. Das Justizministerium hält es nicht für vorrangig, die Gerichtsgebäude in Ordnung zu bringen, was das gesamte System weiter belastet.

Das gesamte Budget für Strafrechtshilfe ist winzig – weniger als 1 Milliarde Pfund pro Jahr. Vergleicht das mit den 17 Mrd., die durch Betrug verlorengehen. Diese werden in den offiziellen Statistiken nicht berücksichtigt, so dass die Öffentlichkeit über die Effizienz des Strafrechtssystems belogen wird.

Viele Zeug:innen und Opfer werden mehrfach vor Gericht geladen und sagen: „Ich komme nicht wieder, ich war schon dreimal hier, habe mir Urlaub genommen und komme nicht wieder“. Der Regierung gefällt das, denn es führt dazu, dass die Strafverfolgung eingestellt wird, was den Druck auf das System verringert, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt.

Dies gilt vor allem für Vergewaltigungsfälle, bei denen die Opfer regelmäßig wegen Problemen mit dem System aussteigen.

Die Unterfinanzierung stellt auch eine Gefahr für die Vielfalt dar. Dies wirkt sich auf unterdrückte Minderheiten aus, die nicht die Möglichkeit haben, das Wagnis einzugehen, sich als Anwalt/Anwältin für Strafrecht zu bewerben. Dies führt unweigerlich zu einem Beruf voller weißer, männlicher Mittelschichtangehöriger.

Wir werden regelmäßig aufgefordert, auf Vielfalt zu achten, um Menschen zu gewinnen, die repräsentativ für die Gemeinschaft in diesem Land sind. Strafrecht kann nicht nur ein Hobby reicher Männer sein – wir brauchen Strafverteidiger:innen mit unterschiedlichem Hintergrund.

WP: Was sind die Forderungen des Streiks?

SB: Wir fordern eine Erhöhung der Gebühren für die Strafverteidigung um 25 %. Die Regierung bietet 15 % an, hat aber gesagt, dass dies nicht für den Rückstau an bestehenden Fällen gilt. Das würde bedeuten, dass niemand mehr alte Fälle anfassen will – die Gehaltserhöhung muss für alle Fälle von jetzt an gelten.

Strafverteidiger:innen opfern regelmäßig ihre Zeit, um das System zum Funktionieren zu bringen. Für vieles, was wir tun, werden wir nicht bezahlt. Die Vergütungssätze sind einfach so schlecht. Auf meiner Ebene gibt es einige gut bezahlte Fälle, die einen Ausgleich schaffen, aber die jüngeren Rechtsanwält:innen bekommen das nicht. Mir persönlich geht es gut, aber hier geht es um die Zukunft der Anwaltschaft.

Es ist eine furchtbare Situation, weil ich Mandant:innen habe, über die nicht verhandelt wird. Wir alle wollen arbeiten. Die CBA hat versucht, Justizminister Dominic Raab zum Zuhören zu bewegen, aber natürlich kann er jetzt einfach die Schuld für den Rückstand auf uns schieben, weil wir streiken.

WP: Wie kann der Streik eurer Meinung nach erfolgreich sein?

SB: Wir werden sie zermürben; wir werden nicht aufgeben. Die Lebenshaltungskostenkrise hat die Menschen an den Abgrund gebracht – viele müssen sich auf ihre Ersparnisse verlassen oder sich verschulden, um über die Runden zu kommen.

Die Wahrheit ist, dass es in der Strafgerichtsbarkeit nicht viele fett verdienende Anwält:innen gibt. Wir wenden uns an die breite Masse, nicht an die wenigen Spitzenleute.

Es hat einige Demonstrationen gegeben – ich habe bisher an zweien teilgenommen. Es gab einige Erwähnungen in der Presse und Unterstützung von einigen Abgeordneten. Wir befinden uns derzeit in einer sehr schwierigen Situation, weil keine/r der Politiker:innen in der Tory- (Konservative) oder sogar in der Labour-Partei sagen will, dass sie die Strafverteidiger:innen unterstützen. Die Wahl der Tory-Führung wird uns einen Haufen Idiot:innen bescheren, die nicht wissen, wie man das Land regiert. Wir werden schon etwas erreichen. Wir stecken derzeit in der Frage fest, ob das Gehaltsangebot für rückständige Fälle gelten wird. Wir brauchen auch ein indexiertes Gehaltssystem, das von einem unabhängigen Gremium kontrolliert wird, da unsere Gehaltserhöhungen im Moment vollständig von der Regierung kontrolliert werden. Die Lohnkürzungen sind zu weit gegangen.




Britannien: Johnson als Parteivorsitzender zurückgetreten – aber die Konservativen regieren weiter

Dave Stockton, Infomail 1193, 14. Juli 2022

Boris Johnson ist als Vorsitzender der Konservativen Partei zurückgetreten, aber noch nicht als Premierminister. Der raffinierte Drückeberger hat es geschafft, bis zum 5. September in der Downing Street Nr. 10 zu bleiben und sein Jahresgehalt von 164.080 Pfund zu beziehen. Die mehr als 50 Abgeordneten, die ihr Amt niedergelegt haben, haben ebenfalls Anspruch auf drei Monatsgehälter, was die Steuerzahler:innen rund 423.000 Pfund kostet, auch wenn einige von ihnen ihr Amt nur wenige Tage oder Wochen innehatten.

Der Daily Express und die Daily Mail sind außer sich vor Trauer und Wut über Boris, den Helden des Brexit. „Danke, Boris. Du hast Großbritannien seine Freiheit zurückgegeben“, jammert das eine; „Was zum Teufel haben sie getan?“, schreit das andere Zeitungsblatt.

Abgesehen von der Schadenfreude darüber, dass der/die dritte Tory-Chef:in Folge vor dem Amtssitz ans Rednerpult tritt, um den Rücktritt zu verkünden, gibt es für die Arbeiter:innenbewegung wenig zu feiern. Nach dem unbeholfenen Ed Miliband, nach Jeremy Corbyn – der von der Labour-Parlamentsfraktion sabotiert wurde – und nun mit dem langweiligen Keir Starmer besteht wenig Hoffnung auf eine sofortige Ersetzung Johnsons oder seines Nachfolgers „von uns“ – zumindest bei normalem Verlauf der Ereignisse.

Sicher, es war amüsant zu beobachten, was ein Abgeordneter der Konservativen Partei als eine Szene aus Shakespeares Julius Cäsar beschrieb, als über 50 Tory-Minister:innen ihre Dolche in Johnsons Rücken stießen. Er seinerseits, selbstgerecht wie immer, bestand nicht nur darauf, dass er nicht zurücktreten werde, sondern dass er plane, bis in die 2030er Jahre im Amt zu bleiben! Selbst als er seinen Rücktritt ankündigte, beschuldigte er die Westminster-„Herde“, ihn in den Abgrund getrieben zu haben – so wie sie ihn über den politischen Leichnam seiner Vorgängerin Theresa May an die Macht gebracht hatte.

Natürlich gibt es ernsthafte Probleme jenseits der „Partygate“-Skandale und seiner Lügen, dass Johnson nichts von dem Ruf seines stellvertretenden Parlamentarischen Geschäftsführer Chris Pincher als Sexualstraftäter wusste. Er war und ist ein dreister Lügner, der glaubt, dass Regeln und Vorschriften, ja sogar das Gesetz des Landes, für ihn nicht wirklich gelten.

Die Konservative Partei kannte seinen Ruf, als sie ihn zum Vorsitzenden wählte. Wie Trump in Amerika gezeigt hat, sind seine Fähigkeiten genau die, die ein moderner Demagoge braucht. Seine komödiantischen Fähigkeiten appellierten an die Vorurteile der reaktionären unteren Mittelschicht und der Tory-Wähler:innen aus der Arbeiter:innenklasse, die schon lange vor dem Einsturz roter Bastionen zur Wähler:innenbasis der Partei gehörten. Sie bewunderten seine Unverfrorenheit und seine offene Verachtung für die steifen und spießigen Konventionen des britischen politischen Lebens.

Brexit-Betrug

Johnsons Charakter als totaler Scharlatan war eine Empfehlung, als es darum ging, „den Brexit zu vollziehen“, ohne in irgendeiner Weise zu verraten, was das eigentlich bedeuten würde. Jetzt, wo sich dessen Auswirkungen zeigen, ist es angebracht, dass er abtritt und anderen überlässt, den Schlamassel zu beseitigen. In der Zwischenzeit ist der Brexit, was die Stabilisierung der Wirtschaftsbeziehungen mit der EU oder die Unterzeichnung von „goldenen“ Handelsabkommen mit den USA und China angeht, noch lange nicht „erledigt“ – er könnte sogar noch rückgängig gemacht werden.

Das Einzige, was „getan“ wurde, ist, dass das Vereinigte Königreich den zollfreien europäischen Binnenmarkt verlassen hat. Es wurde kein Handelsabkommen mit Brüssel oder einem anderen wichtigen Land oder einer anderen Wirtschaft geschlossen. Es besteht ein akuter Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Mit seinem Versuch, das von ihm selbst ausgehandelte Nordirland-Protokoll zu zerreißen, hat Johnson die Handelsvereinbarungen mit der US-Regierung Bidens zum Scheitern gebracht.

Jetzt, da die Inflation fast doppelt so hoch ist wie in den Nachbarländern, versprechen alle Tory-Kandidat:innen, die Steuern zu senken und gleichzeitig die Rüstungsausgaben zu erhöhen. Damit werden die Versprechen, in die heruntergekommenen Städte des Nordens zu investieren oder den staatlichen Gesundheitsdienst zu retten, ad absurdum geführt. Und „Anhebung des Niveaus“? Das hat sich wie alle anderen Versprechen erledigt. Natürlich steckt diese Regierung in einer Krise.

Die Konkurrent:innen um die Tory-Führung, die sich vor den betagten und reaktionären Parteimitgliedern aufführen, die am Ende zwischen zwei von ihnen wählen werden, sind sich einig, dass sie den Arbeiter:innen, die sie vor kurzem noch als Held:innen von Covid bejubelt haben, erhebliche Lohnkürzungen (z. B. Lohnabschlüsse unterhalb der Inflationsrate) aufzwingen wollen. Deshalb sollte jede Gewerkschaft eine Lohnforderung vorlegen, die die steigenden Lebenshaltungskosten vollständig ausgleicht und einen echten Anstieg der Kaufkraft nach 12 Jahren sinkender Einkommen und Tory-Kürzungen beim „Soziallohn“, im Gesundheits- und Bildungswesen, bei der Sozialhilfe, im öffentlichen Verkehr usw. vorsieht.

Die Zukunft unter den Tories

In der Zwischenzeit bieten die Tory-Kandidat:innen verschiedene Nuancen von Johnsons Politik an, die keine/r von ihnen wirklich ablehnte. Dazu gehören:

  • Provozieren eines Handelskriegs mit der EU wegen der irischen Grenze und Kriecherei vor den erzreaktionären Demokratischen Unionisten im Norden Irlands;
  • Steuersenkungen für die Reichen und die obere Mittelschicht, die eine Rückkehr zu brutaler Sparsamkeit erforderlich machen, um die Schulden zu begleichen, die durch Finanzminister Sunaks Großzügigkeit gegenüber den „Arbeitgeber:innen“ während der Covid-Pandemie entstanden sind;
  • Kriegstrommeln gegen Russland zu schlagen und Truppen und Flugzeuge an seine Grenzen zu schicken, was einen Weltkrieg provozieren könnte, während gleichzeitig Milliarden in Rüstungsausgaben fließen, die für Gesundheit, Bildung und die Bekämpfung der Klimakatastrophe verwendet werden könnten;
  • fortgesetzte Auslagerung, Privatisierung und generelle Unterminierung des staatlichen Gesundheitswesens und dessen, was von einem öffentlichen Bildungssystem übrig geblieben ist;
  • Asylbewerber:innen auf grausame Weise nach Ruanda zu schicken – und wahrscheinlich an noch weniger aufnahmebereite Orte;
  • die Inflation nutzen, um die Löhne zu kürzen, auch für die „Held:innen“, die sie während der Pandemie bejubelt haben.

Wenn der/die neue Tory-Vorsitzende fleißiger und effizienter ist als der faule, selbstdarstellerische Johnson, wird es für uns umso schlimmer kommen … wenn wir sie nicht aufhalten.

Die Labour-Bewegung – Gewerkschafter:innen und Sozialist:innen – muss Johnson und seinem/r Nachfolger/in sofort einen Schlag versetzen:

  • hohe Lohnforderungen, die den durch die Inflation angerichteten Schaden ausgleichen. Dem Beispiel der Gewerkschaft für Eisenbahn, See, Transport (RMT) folgen, deren Streik im Juni die öffentliche Unterstützung weckte und Forderungen anderer Gewerkschaften ermutigte.
  • Mobilisierung der Mehrheit für die Forderung nach einer entschädigungslosen Renationalisierung der öffentlichen Versorgungsbetriebe – Gas, Wasser und Strom –, damit wir ihre Preise senken und die Senkung der CO2-Emissionen beschleunigen können.
  • Austritt aus der NATO und Schließung britischer Stützpunkte in Europa und der ganzen Welt.
  • Umschichtung des gesamten Verteidigungshaushalts auf Gesundheit, Bildung und soziale Dienste.
  • Einleitung einer echten grünen industriellen Revolution auf der Grundlage von erneuerbarer Energie, öffentlichem Verkehr und Planung.
  • Abschaffung der Mehrwertsteuer und aller indirekten Steuern auf lebenswichtige Verbrauchsgüter und deren Ersetzung durch eine stark progressive Besteuerung von Einkommen und persönlichem Vermögen.

Wir müssen eine Massenbewegung aufbauen, die in jedem Ort verwurzelt ist und sich mit jeder kämpfenden Gruppe von Arbeiter:innen solidarisiert. Wir brauchen lokale Aktionsräte, um diese Kämpfe zu koordinieren und auf Massenstreiks gegen jede reaktionäre Maßnahme und Politik (Lohnstopp, Sparmaßnahmen, gewerkschaftsfeindliche Gesetze) der „Arbeitgeber:innen“ und ihrer Tory-Regierung hinzuarbeiten.

Gleichzeitig sollten die Mitgliedsgewerkschaften angesichts der bevorstehenden Labour-Konferenz mit ihrer passiven Missbilligung brechen und offen ein Ende von Starmers Hexenjagd und Außerkraftsetzung politischer Beschlüsse fordern, die von der Konferenz zwischen 2016 und 2021 demokratisch gefällt wurden. Wir sollten diesen politischen Kurs als Sprungbrett für die weitere Entwicklung einer echten Alternative zu Johnsons reaktionärem/r Nachfolger:in nutzen: nicht nur als Politik für eine künftige Labour-Regierung, sondern als Aktionsprogramm, das den Abgang der Tories durch eine massive soziale Revolte beschleunigen kann.




Britannien: Eisenbahnarbeiter:innen – Kampfdruck erhöhen bis zum Sieg!

KD Tait, Workers Power, Infomail 1191, 27. Juni 2022

Das britische Eisenbahnnetz wurde am 21. und 23. Juni zweimal zum Stillstand gebracht, als 40.000 Eisenbahner:innen im ersten landesweiten Streik seit 30 Jahren die Arbeit niederlegten. Die Gewerkschaft RMT (Eisenbahn, See und Transport) wehrt sich gegen ein Lohnangebot von 3 % und gegen die Bedrohung von Arbeitsplätzen, Renten, Arbeitsbedingungen und der Sicherheit bei der Bahn. In London schlossen sich ihnen 10.000 U-Bahn-Beschäftigte an, die gegen geplante Arbeitsplatz- und Rentenkürzungen streikten.

Der Streik, an dem Network Rail und 13 der 15 englischen Eisenbahnunternehmen beteiligt waren, war massiv. An beiden Tagen fielen 80 Prozent der Züge aus, und die Bahnstrecken wurden ab 18.30 Uhr praktisch geschlossen. Ein dritter Streiktag ist für Samstag, den 25. Juni, geplant.

Bislang versteckt sich die Regierung hinter Network Rail und den privaten Betreibergesellschaften. Verkehrsminister Grant Shapps hat jede Verantwortung abgelehnt, obwohl sein Ministerium das jährliche Budget für die Eisenbahnunternehmen festlegt. Der Chef von Network Rail, Andrew Haines (Jahresgehalt: 589.999 Pfund), hat sich gegen „staatliche Eingriffe“ ausgesprochen und behauptet, diese würden die Gewerkschaften dazu ermutigen, „Streitigkeiten zu politisieren“.

Es handelt sich jedoch um eine politische Auseinandersetzung, die Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft zeitigt. Der Streik ist die erste ernsthafte Bewährungsprobe für die Politik der Lohnzurückhaltung der Regierung im öffentlichen Sektor. Hochrangige Regierungsquellen haben gewarnt, dass ein Nachgeben der Regierung gegenüber den Bahngewerkschaften einen Präzedenzfall für den gesamten öffentlichen Sektor schaffen würde. Lohnerhöhungen im öffentlichen Sektor werden ähnliche Forderungen im privaten nach sich ziehen.

Der Präzedenzfall, den die Konservative Partei – und hinter ihnen die „Arbeitgeber:innen“ – schaffen wollen, besteht darin, dass mit Streiks keine echten Lohnerhöhungen erreicht werden können. Da die Gewerkschaften der Post, des Bildungswesens und des öffentlichen Dienstes über Löhne und Gehälter abstimmen, hoffen die Tories, dass eine Niederlage der RMT die Gewerkschaftsbewegung demoralisieren und eine Obergrenze für Lohnforderungen festlegen wird.

Das Boulevardblatt Sun hat zu Recht „Klassenkampf“ auf ihre Titelseite geschrieben. Die „Arbeitgeber:innen“ wollen die Löhne niedrig halten, um ihre Gewinne zu sichern. Der Plan der Regierung, die Beschäftigten des öffentlichen Sektors auf schmale Rationen zu setzen, ist ein zentraler Bestandteil dieser Strategie. Deshalb ist dieser Konflikt von entscheidender Bedeutung für die gesamte Arbeiter:innenklasse.

Wofür kämpft die Gewerkschaft RMT?

Die RMT-Forderung nach einer Erhöhung um 7-8 % basiert auf der Inflationsrate bei der Eröffnung der jährlichen Lohnverhandlungen im Dezember. Die neuesten Zahlen, die am Mittwoch veröffentlicht wurden, zeigen jedoch eine Inflation nach dem Einzelhandelspreisindex von 11,7 % – den höchsten Stand seit 40 Jahren. Zusammen mit dem dreijährigen Einfrieren der Löhne und Gehälter haben die Eisenbahner:innen damit bis zu 20 % ihres Reallohns verloren. Eine Forderung von 7 % entspricht einer Lohnkürzung von 4 %. Da die Inflation bis zum Herbst voraussichtlich 14 % erreichen wird, wird sich dies noch verstärken. Die Arbeiter:innen müssen ihre Rechnungen bezahlen und Lebensmittel zu den heutigen Preisen kaufen – nicht zu denen vom Dezember.

Aber es gibt noch einen zweiten Grund, für einen inflationsgeschützten Abschluss zu kämpfen. Die Regierung nutzt diesen Konflikt, um den Maßstab für Lohnforderungen für die gesamte Arbeiter:innenklasse zu setzen. Die Eisenbahner:innen sind eine der am besten organisierten Gruppen unserer Bewegung. Wenn sie zu Lohnkürzungen gezwungen werden können, werden die „Arbeitgeber:innen“ dies als Freibrief nutzen, um allen anderen das Gleiche – oder Schlimmeres – aufzuerlegen.

Deshalb müssen die Eisenbahner:innen gewinnen. Aber eine Erhöhung unterhalb der Inflation auszuhandeln, bedeutet keinen Sieg. Die Gewerkschaft sollte für einen inflationsgeschützten Lohnabschluss kämpfen: aktuelle Inflation plus 1 % für jeden 1 %-igen Anstieg der Inflation. Wenn die Inflation sinkt, werden die Beschäftigten beginnen, die durch das Einfrieren der Löhne verursachten Verluste wieder auszugleichen.

Das Gleiche gilt für die Arbeitsplätze. RMT-Generalsekretär Mick Lynch hat erklärt, seine Priorität sei eine Einigung ohne betriebsbedingte Kündigungen. Aber der Verlust von fast 2.000 Arbeitsplätzen bedeutet mehr Arbeit und mehr Überstunden für diejenigen, die bleiben. Das bedeutet gefährlichere Eisenbahnen für Arbeit:innen und Fahrgäste. Es bedeutet weniger qualifizierte Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze für junge Menschen.

Die Eisenbahner:innen sollten den Verlust von qualifizierten und erfahrenen Berufen nicht hinnehmen. Jedem/r Beschäftigten, dessen/deren Stelle gestrichen wird, sollte eine Umgruppierung und Umschulung in der gleichen oder einer besseren Besoldungsgruppe angeboten werden. Entfallende Stellen sollten eins zu eins durch neue Posten ersetzt werden. Falls erforderlich, sollte die Arbeit ohne Lohneinbußen aufgeteilt werden.

Das Argument, die Pandemie habe die Nutzung der Pendler:innenzüge drastisch reduziert, ist übertrieben. Aber die Bekämpfung des Klimawandels, die Verringerung der Umweltverschmutzung und die Verbesserung der Infrastruktur für Arbeit und Freizeit erfordern in jedem Fall eine drastische Ausweitung des Schienen- und öffentlichen Verkehrs, nicht eine Verringerung.

Die Regierungspartei will den Gewerkschaften die Schuld an den Problemen der Bahn in die Schuhe schieben. Aber die Regierung und die Bosse sind nicht an einer Modernisierung interessiert, wenn diese ihren Profiten schadet. Die Tories haben mehr Eisenbahnen gestrichen, als sie gebaut haben. Die Eisenbahn wird nicht als öffentlicher Dienst betrieben – sie operiert im Interesse des privaten Profits. Der Kampf um Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen muss Hand in Hand gehen mit dem Kampf, die Profiteur:innen zu vertreiben und die Bahn wieder in öffentliches Eigentum zu überführen, das unter der Kontrolle der Arbeiter:innen und Fahrgäste steht und durch die Besteuerung der Reichen finanziert wird.

Weitet die Aktion aus!

Lynch hat erklärt, die RMT sei auf einen „Zermürbungskrieg“ vorbereitet. Die Streikposten vom Dienstag bildeten eine eindrucksvolle Demonstration der Entschlossenheit der Eisenbahner:innen. Aber eine Reihe von 24-stündigen Arbeitsniederlegungen, die sich über viele Wochen oder sogar Monate hinziehen, birgt das Risiko von Ermüdung und finanzieller Härte.

Der schnellste Weg, den Konflikt zu einem raschen – und erfolgreichen – Abschluss zu bringen, ist die Ausweitung und Eskalation der Aktionen. Die Fahrer:innengewerkschaft ASLEF und die Gewerkschaft der Angestellten TSSA führen derzeit eine Urabstimmung durch. Die RMT-Streiks werden deren Mitglieder ermutigen, sich dem Konflikt anzuschließen und ihn zu verstärken. Aktivist:innen aus allen drei Gewerkschaften sollten eine Kampagne mit koordinierten, eskalierenden Aktionen organisieren, bei denen keine Einzelforderung zurückgestellt wird, bevor nicht alle beglichen sind.

Der Erfolg des Streiks hängt von der Organisierung der Gewerkschaftsmitglieder ab, um die Beteiligung und demokratische Kontrolle zu maximieren. Betriebsversammlungen und Streikpostenversammlungen können für den Streik mobilisieren und gemeinsame Streikausschüsse wählen, um Streikposten und Delegationen zu anderen Betrieben zu organisieren, die Durchführung des Streiks und der Verhandlungen zu erörtern – und jedes Abkommen abzulehnen, das nicht zu einer inflationsgeschützten Lohnerhöhung führt.

Solidarität

Die RMT-Beschäftigten haben den Weg nach vorn gewiesen. Für einen Sieg muss jedoch eine starke Solidaritätskampagne mobilisiert werden. In jeder Stadt und jedem Bezirk sollten lokale Solidaritätsausschüsse von Delegierten aus Gewerkschaftsortsgruppen und Betrieben gebildet werden. Diese können damit beginnen, bei ihren Mitgliedern und Kolleg:innen für die Ziele des Streiks zu werben, Geld für den Streikfonds zu sammeln und Delegationen zu den Streikposten zu organisieren.

Diese Ausschüsse können nicht nur den Streik unterstützen, sondern auch die Grundlage für die Organisierung von einfachen Gewerkschaftsmitgliedern in der gesamten Bewegung bilden, um Rekrutierung, Wahlbeteiligung und Stimmen für Aktionen in ihren eigenen Abstimmungen zu maximieren.

Wir sitzen alle im selben Boot. Jede:r erkennt die Notwendigkeit eines geeinten, koordinierten Widerstands an. Der Gewerkschaftsdachverband TUC sollte die Einzelgewerkschaften zusammenbringen und Abstimmungen sowie Kampagnen koordinieren. Aber wir können nicht auf ihn warten. Wir müssen bereit sein, mit den Gewerkschaftsführer:innen zu handeln, wenn sie kämpfen – aber ohne sie, wenn sie es unterlassen. Das bedeutet, dass wir uns innerhalb der Einzelgewerkschaften und gewerkschaftsübergreifend organisieren müssen.

Wir alle wissen, was auf dem Spiel steht. Deshalb ist die Weigerung der Führung der Labour-Partei, den Streik unmissverständlich zu unterstützen, so beschämend. Mit einer Handvoll ehrenwerter Ausnahmen haben die Labour-Abgeordneten Streikposten gemieden wie die Pest. Sie dürfen nicht aus der Verantwortung gelassen werden. Wir müssen jeden Auftritt in den Medien nutzen, um Keir Starmer und das Schattenkabinett aufzufordern, die Streiks zu unterstützen.

Mit Solidarität, Organisierung der Basis und kämpferischen Aktionen können wir die Lohnzurückhaltung der Tories brechen, eine echte Lohnerhöhung für Millionen von Menschen erreichen – und die Bosse für ihre eigene Krise bezahlen lassen. Sieg für die RMT!