Mahle: Pandemie trifft Sparprogramm

Karl Kloß, Infomail 1101, 21. April 2020

Von der Ausbreitung des Corona-Virus ist auch der Zulieferer Mahle betroffen. Als global agierender Konzern auf fünf Kontinenten war es wenig verwunderlich, dass man von dieser Pandemie genauso erfasst wurde wie viele andere Konzerne aus der Autoindustrie. So gibt es alleine in der Stadt Wuhan, die am Anfang besonders stark betroffen war, zwei Werke. Darüber hinaus befinden sich drei weitere in der Provinz Hubei. Hier wurden von der Geschäftsführung (GF) nach dem erstmaligen Ausbruch recht schnell Reisewarnungen erlassen und an die Beschäftigten appelliert, nicht mehr in diese Region zu reisen und auf Videokonferenzen umzusteigen.

Schleppende Kommunikation

Nachdem sich jedoch das Virus immer weiter ausbreitete, war klar, dass es weitere Beschränkungen geben wird. Allerdings verlief hierbei die Kommunikation seitens der Geschäftsführung sehr schleppend. Man informierte die Beschäftigten zwar in regelmäßigen Abständen, allerdings erfolgte dies ausschließlich über eine Kommunikationsplattform im Intranet, auf die nicht jedeR Zugriff hat. Wer sich dort nicht angemeldet hat oder, wie es bei den allermeisten Beschäftigten in den Produktionswerken der Fall ist, erst gar keine Mailadresse für die Registrierung für diese Plattform besitzt, musste sich auf die Informationsbereitschaft des/r jeweiligen Vorgesetzten verlassen. Mehr als Aushänge mit den allgemeinen Verhaltens- und Hygieneregeln folgte zunächst nicht.

Erst als die ersten bestätigten Infektionsfälle mit dem Corona-Virus in der Konzernzentrale in Stuttgart und anderen Standorten in der Nähe der Landeshauptstadt auftraten, wurde dies geändert. Innerhalb eines Tages waren hier große Bereiche wie ausgestorben, da fast alle Beschäftigten ins Home Office bzw. mobil arbeiten gingen. Nach weiteren ca. 1,5 Wochen entschied der eigens eingerichtete Krisenstab, dass der Betrieb vom 23. März bis zunächst 5. April unterbrochen wird, ehe am 31. März Kurzarbeit mit dem Betriebsrat in Stuttgart vereinbart und beim Arbeitsamt angemeldet wurde. An den restlichen Standorten in Europa gilt weiterhin die Betriebsunterbrechung bis mindestens 19. April. Auch in Nord- und Südamerika, in Südafrika und Indien gilt seit dem 31. März eine Betriebsunterbrechung. In China hingegen wurden der Hauptsitz der Mahle Holding und das Forschungszentrum in Shanghai bereits ab dem 10. Februar wieder schrittweise geöffnet. Inzwischen hat rund die Hälfte aller chinesischen Werke wieder den Betrieb aufgenommen,  Ausnahmen bilden nur noch die in der Provinz Hubei. In Japan und auch in Südkorea wird ebenfalls wieder produziert, wenn auch unter eingeschränkten Bedingungen ähnlich wie in China.

Gleiches Recht für alle?

Doch nicht in allen Werken einigte man sich so schnell wie in der Konzernzentrale in Stuttgart. Dazu zwei Beispiele: Zwar gibt es etwa in den Werken in Lorch und Neustadt an der Donau ebenfalls Kurzarbeit, allerdings mit unterschiedlichen Zeiträumen und zu unterschiedlichen Bedingungen. Die Beschäftigten in Lorch erhalten zwar weiter die tariflichen Zahlungen (Aufzahlung auf das Kurzarbeitergeld bis 80,5 % vom Nettolohn), die Kurzarbeit wurde jedoch bis zum 31. März 2021 (!), also für ein ganzes Jahr, beim Arbeitsamt angemeldet.

Begründet wurde der extrem lange Zeitraum damit, dass man seit Jahresbeginn Beschäftigungsprobleme habe und durch die Pandemie nicht absehbar sei, welche Folgen daraus resultieren. Das Arbeitsamt argumentierte außerdem, dass es einfacher wäre, einmal für einen längeren Zeitraum als zweimal für kürzere Zeiträume Kurzarbeit zu beantragen. Das sind allerdings nur Scheinargumente. In Wirklichkeit geht es um etwas anderes. Die Geschäftsführung will einen so langen Zeitraum nutzen, um härtere Maßnahmen in aller Ruhe, also wenn die Beschäftigen nicht im Betrieb und vereinzelt sind, vorbereiten zu können.

In Neustadt an der Donau wiederum wurde Kurzarbeit vom 6. April bis 30. Juni angemeldet und hierbei der bayerische Tarifvertrag unterlaufen. Dort erhalten die Beschäftigten nur das gesetzliche Kurzarbeitergeld zwischen 60 und 67 % des Nettolohns ohne Aufzahlung, obwohl dies laut Tarifvertrag durchaus möglich wäre, da auch der IG Metallbezirk Bayern sowie der Arbeit„geber“Innenverband VBM diese Regelung in den Tarifvertrag aufgenommen haben. Angeblich hatte die dortige Personalleitung das so begründet: Hätte man statt Kurzarbeit 21 Tage Urlaub bzw. Überstunden für die Belegschaft für den Monat April zahlen müssen, wäre der Standort pleite gewesen. Das ist allerdings eine merkwürdige Behauptung, da Mahle als Konzern insgesamt über Kapital verfügt und nicht jeder einzelne Standort für sich. Jeder Standort muss für jede Ausgabe dies bei der Zentrale beantragen und dann wiederum alle Erträge abführen.

Doch längst nicht für alle gilt auch tatsächlich, dass sie zu 100 % in Kurzarbeit geschickt werden: Je nach dem, wie die/der jeweilige Vorgesetzte in Absprache mit dem Betriebsrat entscheidet, wird ein Teil der Belegschaft herangezogen, damit die Produktion weiter läuft und Umsatz gemacht wird. Zudem ist es möglich, dass Beschäftigte, die an wichtigen und zeitkritischen Kundenprojekten arbeiten, von eben dieser Kurzarbeit ebenfalls ausgenommen werden können (z. B. IngenieurInnen, technische ZeichnerInnen, Beschäftigte aus dem Controlling …). Diese werden dann als „Notbesetzung“ eingesetzt und arbeiten zumeist im Home Office.

Was kommt, wenn die Pandemie abflaut?

Was aber auf jeden Fall kommen wird, ist die Zeit, in der sowohl die Produktion wie auch der Verwaltungsbetrieb wieder anlaufen werden. Hierbei entscheidet die Geschäftsführung alleine, wie genau der Produktionsanlauf und die Wiederaufnahme des Verwaltungsbetriebs aussehen sollen. Das kann ein Problem werden.

Bei Mahle läuft seit dem Mai vergangenen Jahres ein Sparprogramm, bei dem global mehrere tausend Arbeitsplätze abgebaut werden sollen und etlichen Werken die Schließung droht. So sollen bis zum Ende diesen Jahres die Werke in Öhringen, Foetz (Luxemburg) und der Werksverbund La Loggia/Saluzzo (Italien) geschlossen werden. Telford (Großbritannien) wurde schon dichtgemacht. Auch außerhalb Europas werden Arbeitsplätze abgebaut, so etwa in Charleston (USA) oder auch in einigen brasilianischen Werken. Nicht zu vergessen die Ankündigung der Geschäftsführung, dass alle Werke des Geschäftsbereichs „Verbrennungsmotoren“ als „kritische Standorte“ gelten.

Der Vorsitzende der Geschäftsführung, Dr. Stratmann, behauptet zwar, sie handele aus Verantwortung für die Belegschaft und Gesellschaft, wenn alle Mitarbeitenden Abstand halten, Kontakte reduzieren und, wo immer möglich, ganz vermeiden. Allerdings sieht man bei den Werken, die fast in Komplettauslastung produzieren, dass es im entscheidenden Moment vor allem um eines geht: die Profite. Das merkt man vor allem dann, wenn er sagt, dass pro Woche Stillstand bei den AutoherstellerInnen eine Million weniger PKWs produziert und dies dann Umsatzverluste in Milliardenhöhe für Mahle bedeuten würde. Bei der Aufforderung, Abstand zu halten, und der Verpflichtung zum Tragen von Masken und Benutzen von Desinfektionsmitteln geht es letztlich nicht um die Gesundheit der Beschäftigten, sondern darum, diese möglichst rasch wieder voll arbeiten zu lassen, also ausbeuten zu können.

Nach dem der Produktionsstillstand in Europa anfangs nur auf zwei Wochen begrenzt war, wurde dieser inzwischen bis zum 19. April verlängert und die Geschäftsführung wird nun jedes einzelne Werk sehr genau unter die berühmte Lupe nehmen, sobald der Betrieb wieder aufgenommen werden soll. Sie wird vermutlich versuchen, manche ohnedies auf der Abschussliste stehende Werke oder Abteilungen gar nicht mehr in Betrieb zu nehmen.

Dafür kann sie die Kurzarbeit ausnutzen, wenn eine lange Laufzeit mit dem jeweiligen Betriebsrat vereinbart worden ist. Wenn das der Fall ist, müssen die Betriebsräte unbedingt sofort die Betriebsversammlungen nachholen, die ausgefallen sind, um die ganze Belegschaft in den Betrieb zu holen. Nicht nur um zu informieren, schon gar nicht um zu jammern, sondern um ein gemeinsames Verteidigungskonzept zu beschließen!

Ein ähnliches Szenario droht in den Stuttgarter Zentralen, wo letztes Jahr der Abbau von 385 Arbeitsplätzen angekündigt worden war. Die so genannten „weichen“ Maßnahmen wie Abfindungen und Altersteilzeit haben bei weitem nicht zu den Zielen der Vorgesetzten geführt. Daher ist zu befürchten, dass das Management in jeder Abteilung entscheidet, wer wieder arbeiten darf und wer nicht. Die einen werden gleich überlastet, die anderen rausgemobbt.

Dagegen hat sich der Betriebsrat in Feuerbach bei Stuttgart gewendet und durchgesetzt, dass die Verteilung der Kurzarbeit in den Abteilungen gleichmäßig sein soll und der Betriebsrat die Listen genehmigen muss. Das ist ein richtiger Schritt, der seitens der Personalleitung auf heftigen Widerstand stieß. Leider haben nur wenige Betriebsratsgremien so gehandelt. Offensichtlich wurde das auch nicht vom Gesamtbetriebsrat oder der IG Metall in diese Richtung koordiniert.

Aber eine echte Kontrolle kann nur funktionieren, wenn die Betriebsratsmitglieder nicht am grünen Tisch Listen bearbeiten, sondern die Abteilungen und deren Vertrauensleute einbeziehen und ihnen die Entscheidungen vorlegen. Auf dieser Grundlage müssen die Beschäftigten und die gewerkschaftlichen Vertrauensleute für die Betriebsräte bindende Beschlüsse fällen, denn letztlich wissen nur sie, was wirklich in jeder Abteilung gespielt wird und was hinter den Argumenten der jeweiligen Vorgesetzten steckt.

Aktiv für unsere Zukunft

In der Corona-Krise zeigt sich wieder einmal, dass die Geschäftsführung leichtes Spiel hat, wenn Betriebsräte jeder für sich handeln, wenn sie einfach der Geschäftsführung nachgeben oder gar verzichten wie in Neustadt.

Es führt aber auch nicht weiter, wenn die Beschäftigten passiv bleiben und höchstens etwas schimpfen. Bald wird die Epidemie vorbei sein und die schönen Appelle an Gemeinsamkeit werden verhallen. Dann wird es seitens der Geschäftsführung heißen, dass Opfer und Einschnitte nötig sind – bei uns.

Es gibt Alternativen zum ständigen Abbau. So ist plötzlich sogar möglich, dass Mahle Atemschutzmasken produziert! Dabei wurde noch letztes Jahr Öhringen verweigert, andere Produkte herzustellen. Dann kam das Signal zum Dichtmachen. Die KollegInnen, die die Idee für Schutzmasken hatten, haben sicher noch andere Ideen! Über solche müssen die Beschäftigten entscheiden, die Betriebsräte und Vertrauensleute – dann gibt es eine Zukunft für Öhringen und die anderen bedrohten Arbeitsplätze! Schluss mit dem Abbaukurs der Geschäftsführung!

Die Vertrauensleute, Betriebsräte und die IG Metall müssen in den arbeitenden Werken Abteilungs- und Belegschaftsversammlungen organisieren. In den Betrieben, die stillstehen, können diese auch online durchgeführt werden. Dabei muss darüber diskutiert werden, wie die laufenden und kommenden Angriffe, wie der drohende massive Personalabbau im gesamten Konzern – also nicht nur in Deutschland, sondern weltweit – bekämpft werden können. Angesichts des Kürzungsprogramms des Konzerns werden Besetzungen betroffener Werke und Solidaritätsstreiks in allen anderen notwendig werden. Darauf müssen die Beschäftigen vorbereitet werden, dafür müssen klassenkämpferische GewerkschafterInnen Druck machen.

Der einzige Ausweg ist, sich jetzt schon auf Widerstand vorzubereiten – bei Mahle und anderswo!




Weltwirtschaft vor einer Rezession

Jürgen Roth, Neue Internationale 141, Oktober 2019

Die neuesten Zahlen schrecken auf. Die
kapitalistische Weltwirtschaft steuert auf eine Krise zu. Im verarbeitenden
Gewerbe ist sie bereits ausgebrochen.

Verarbeitendes Gewerbe im Sinkflug

Die Zahlen vom September bringen es an den Tag.
Der Geschäftsmanagerindex (PMI) im verarbeitenden Gewerbe – dazu gehören z. B.
Industrie, Baugewerbe und Handwerk – ist in den größeren Nationalökonomien
unter 50 gefallen. Diese Marke gilt als Schwelle zwischen Expansion und Kontraktion.
Der PMI gilt als ein ziemlich verlässlicher Indikator für den aktuellen Output.

In der Eurozone fiel er auf das niedrigste
Niveau seit der Euroschuldenkrise 2012. In Deutschland steht es am niedrigsten
bei fast 40. Japan macht ähnliches durch. Die Zentralbank des Landes
registrierte im 3. Quartal das niedrigste Level für die Großbetriebe in mehr
als 6 Jahren und fürs gesamte Fertigungsgewerbe liegt er auf Höhe der
Mini-Rezession von 2016. Der Markit-PMI für den entsprechenden US-Sektor liegt
bei knapp über 50 und damit niedriger als 2016. Sein Pendant ISM fiel auf die
Tiefe der Großen Rezession von 2009. Britannien befindet sich laut Boris
Johnson seit Monaten „im Graben“. Auch in Kanada liegt der PMI unter 50.

Auch „kleinere“ Volkswirtschaften erleben
Quartalsabstürze: Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Polen, Russland, Singapur,
Südafrika, Schweden, Schweiz, Türkei, Taiwan. Folgende Länder verzeichnen sogar
einen Rückgang im Vergleich zum Vorjahresquartal: Australien, Brasilien,
Britannien, Chile, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Japan,
Niederlande, Portugal, Südkorea, Türkei, USA. Auch die beiden am schnellsten
wachsenden großen Ökonomien – China und Indien – erleben die geringsten
BIP-Wachstumsraten seit über einem Jahrzehnt. Ihr Fertigungssektor-PMI liegt
knapp über 50.

Der Absturz des verarbeitenden Gewerbes ist
teils Resultat nachlassender Investitionstätigkeit, teils des sich
verschärfenden Handelskonflikts zwischen China und den USA. Letzterer diente
als Auslöser der Rezession, doch der Welthandel verlangsamte sich schon zuvor
und führte z. B. in Argentinien und der Türkei zu einem Produktionskollaps,
Abzug ausländischer Investitionen und Währungsverfall. Die Türkei steckt mitten
in einer tiefen allgemeinen Rezession. Argentinien kann seine riesige
Auslandsschuld nicht mehr bedienen.

Ansteckende Krankheit?

Doch das verarbeitende Gewerbe, auf das sich die
Rezession in anderen Staaten bisher beschränkt, macht nur 10-40 % der meisten
Volkswirtschaften aus. Der Dienstleistungsbereich – dazu gehören Handel,
Finanz- und Geschäftsservice, Versicherungen, Banken, Immobilien, Tourismus –
hält noch den Kopf über Wasser. Darum verzeichnet z. B. Griechenland
mittlerweile ein bescheidenes BIP-Wachstum von 2 %. Dies ist allerdings mager
nach einer Schrumpfung von 25 % durch die Eurokrise. Man vergleiche diesen
schwachen Aufschwung mit den USA, die 5 Jahre nach der Talsohle der Großen
Depression 1933 ein um 35 % höheres Pro-Kopf-BIP einfuhren oder mit
Argentinien. Dort stand es 5 Jahre nach dem Zusammenbruch bei 45 % Plus.
Griechenland muss sich mit 6 % begnügen und wird in diesem Tempo seinen
Vorkrisenstand erst 2033 wieder erreichen. Dies auch nur, falls der
Dienstleistungssektor nicht von der Rezession im verarbeitenden Gewerbe
angesteckt wird!

Da dieser in der Regel von der Fertigung
abhängt, ist seine Immunität unwahrscheinlich. Das Überschwappen in eine
verallgemeinerte Konjunkturkrise erfolgt fast immer. Zudem ist die Industrie
Kern aller Nationalökonomien, weil hier der Mehrwert erzeugt wird, der in
andere Branchen umverteilt wird. Sie stellt also den Dreh- und Angelpunkt der
gesamtwirtschaftlichen Profitabilität dar.

Profitentwicklung

AnalystInnen von JP Morgan (JPM) haben vor
kurzem bislang noch nicht veröffentlichte Zahlen über die Entwicklung der
globalen Profite erhoben. Demnach stagnierten diese im 2. Quartal 2019. Jeder
der 10 Sektoren des Gesamtmarktes wies ein stark verlangsamtes Profitwachstum
auf. Die Hälfte sah einen Rückgang im Jahresvergleich (besonders
Zwischenprodukte, Telekommunikation). JPM zieht den für MarxistInnen nicht
überraschenden Schluss, der Rückgang des globalen Wirtschaftswachstums im
letzten Jahr falle mit einer ebenso bemerkenswerten Delle in der
Firmenprofitabilität zusammen. Noch ist die Stagnation bzw. Verlangsamung nicht
so deutlich wie 2016, 2001-2002 oder gar 2009, doch läuft die Entwicklung
darauf hinaus. Die Lohnkosten werden nicht durch gesteigerten Output in Werten
kompensiert, die Mehrwertrate sinkt. Diese Profitklemme ist laut Marx
„Sturmvogel“, Frühwarnzeichen eines Konjunktureinbruchs. JPM tröstet sich und
ihre Klientel mit dem Gedanken, zunehmendes Produktivitätswachstum werde diese
Schere wieder öffnen. Das hängt aber von einer Zunahme der Investitionen ab.
Nach der Großen Rezession erleben wir jedoch das genaue Gegenteil!

Die Firmen des S&P 500 in den USA, dem
Kernstück der Weltwirtschaft, mussten bereits im 1. und 2. Quartal 2019
Umsatzeinbußen melden (Q1: -0,3 %; Q2: -2,8 %). Kleine und mittlere Betriebe
litten unter den größten Gewinneinbrüchen. Selbst der Technologie-Sektor, wo
die Vorzeigestücke der US-Wirtschaft wie Apple, Amazon, Google, Netflix,
Microsoft und Facebook vertreten sind, klagte über Rückgänge (Umsatz -11,9 %;
Gewinn: -1,1 %). Auffällig ist auch die Scheidung zwischen Bereichen, wo die
Arbeitsproduktivität steigt (IT-gestützte Fertigung, Großhandel) und wo sie
stagniert (Transport, Bau, Gesundheitswesen, Bildung).

Die Mittel zur Konjunkturankurbelung der letzten
Jahre stoßen zudem an ihre Grenzen, ja könnten die Krise sogar verschärfen. In
Erwartung niedriger Zinsen und Beibehaltung der Zentralbankpolitik der
Bereitstellung billigen Geldes für die Geschäftsbanken durch Aufkauf „fauler“
Papiere (Quantitative Easing; QE) boomte der Aktienmarkt weiter. Doch gedeckt
durch Profite ist dieser Hype nicht. 83 % der neu emittierter Aktien verhießen
negative Erträge. Mittels unorthodoxen – die orthodoxe ist Leitzinssenkung –
QEs glaubt der monetärpolitische Mainstream die Volkswirtschaften ankurbeln zu
können, indem die Zentralbanken die Geschäftsbanken durch Aufkauf ihrer wenig
Gewinn oder Verluste versprechenden Wertpapiere mit Liquidität ausstatten in
der Annahme, diese als billige Kredite an deren KundInnen auszureichen, dass
diese dann investieren würden.

US-Wirtschaft

Am 26.7. erschienen die Zahlen der US-Wirtschaft
für das 2. Quartal 2019. Das BIP war um nur noch 2,1 % gewachsen (Q1: 3,1 %).
Das Jahresplus verlangsamte sich ebenfalls (Q1: 2,7 %; Q2: 2,3 %). Trumps
Körperschafts- und Einkommensteuerpolitik scheint ihren Zenit überschritten zu
haben. Die USA sind wieder auf ihren 10-Jahresdurchschnitt gesunken mit
Aussicht auf weiteren Tiefflug. Hauptfaktoren dafür sind: schwache
Investitionstätigkeit und Abnahme der Nettoexporte. Der Handelskonflikt mit
China fordert seinen Tribut. Erstmals seit Q1 2016 fielen die
Geschäftsinvestitionen (-0,6 %). Ironischerweise fielen die in Strukturen mit
10,6 % weit drastischer. Gerade sie sollten doch durch Trumps
Steuersenkungsprogramm gefördert werden!

Der interessanteste Teil des BIP-Reports war
aber die Revision der Zahlen der vergangenen 3 Jahre. Das BIP nahm 2018 im
Jahresvergleich im 4. Quartal nur um 2,5 % zu. Statt der zuvor für die letzten
3 Jahre vermuteten Gewinnzunahmen der Firmen von 20 % stellte sich heraus, dass
diese sogar unter den Stand von 2014 gesunken waren. Im 3. und 4. Quartal 2018
hatten sie vor und nach Steuern abgenommen. Die Profite außerhalb des
Finanzsektors waren in den letzten 5 Jahren rückläufig. Trumps Steuersenkungen
haben also lediglich spekulative bzw. fiktive Profite in Finanzanlagen stark
aufgepäppelt.

Wichtig ist der Zusammenhang zwischen Profiten
und Investitionen: Letztere folgen der Profitkurve mit etwa einem Jahr
Verzögerung, so zuletzt 2016. Jetzt scheint es so, als ob Gewinne in
unproduktiven Sektoren wie Finanzanlagen und Immobilien (ca. 25 % aller
Firmenerträge) in Mitleidenschaft gezogen werden. Im Großen und Ganzen
stagnierten diese im letzten Jahr. Sollten sie ebenso wie die in produktiven
Branchen fallen, könnte im nächsten Jahr ein Kurssturz an den Börsen folgen.

Weitere Parameter neben Profit- und
Investitionskurven deuten ebenfalls auf eine innerhalb eines Jahres eintretende
allgemeine Konjunkturflaute hin. So erleben wir in den USA eine Umkehr der
Erträge bei Wertpapieren seit Mai 2019.

Ein weiterer Frühindikator ist der Preis von
Metallen, insbes. Kupfer. In der Mini-Rezession 2016 stand er auf 200
US-Dollar/lb. (= 454 g), 2009 bei 150, Anfang 2018 bei 320, jetzt ist er auf
250 US-Dollar zurückgefallen. Dieses Metall wird praktisch in allen
Industriezweigen eingesetzt. Sein Fall spiegelt deren nachlassende
Produktionstätigkeit.

Die Unwirksamkeit kapitalistischer
Konjunkturalchemie

So nimmt es nicht wunder, dass Trump und der
Chef der Fed (US-Notenbank), Jay Powell, aneinandergeraten. Trump fordert, die
Fed solle die Leitzinsen weiter senken, um die Wirtschaft anzukurbeln. Das
Komitee für Monetärpolitik ist selbst gespalten. Trumps WidersacherInnen sorgen
sich, dass ein zu niedriger Zinsfuß eine Kreditblase anheizt, die unweigerlich
mit großem Knall platzen muss. Zudem, betonen sie, können globale Schocks wie
ein Handelskrieg nicht mit Geldpolitik bekämpft werden.

Andere mahnten, der Einfluss der US-Notenbank
und des Dollars auf schwächere Volkswirtschaften sei so riesig, dass kleinere
Zentralbanken überhaupt nichts monetärpolitisch ausrichten könnten, ohne alles
nur schlimmer zu gestalten. Der Ex-Chef der Bank von England, Mark Carney,
schlug ein Ende der Dollarvorherrschaft auf Finanz- und Warenmärkten vor. Die
USA stemmten nur 10 % des Welthandels und 15 % des Welt-BIP, aber die Hälfte
der Handelsrechnungen und 2/3 aller Versicherungen würden in US-Währung
abgewickelt.

Orthodoxe (Niedrigzinsen) und unorthodoxe (QE)
Mainstreamkonjunkturpolitik liegen sich mit den (Post-)KeynesianerInnen und
AnhängerInnen der modernen Monetärtheorie (MMT) in den Haaren. Letztere
betonen, dass die großen Volkswirtschaften in säkularer Stagnation verweilten
trotz der Rezepte ihrer neoklassischen KontrahentInnen. Darum müsse der Fiskus
ran. Der Staatshaushalt soll sich verschulden und dadurch den Zusammenbruch der
Nachfrage aufhalten. Die AnhängerInnen der MMT favorisieren ein Anwerfen der
Notenpresse ohne Deckung durch Ausgabe von Staatsanleihen.

Beider Grundannahme ist jedoch falsch. Schuld an
der Wirtschaftskrise ist nicht eine schwache Gesamtnachfrage. Die
Haushaltsnachfrage in den meisten Nationalökonomien ist relativ stark. Menschen
geben sogar mehr Geld für Konsum aus, z. T. durch billige Kredite gefördert. Es
ist vielmehr der andere Teil der Nachfrage, die Investitionen ins Geschäft, der
zusehends nachlässt. Doch dafür ist die sinkende Profitabilität verantwortlich,
nicht sinkende Endverbraucherausgaben! Daran können die Verbilligung des
Kredites, Steuergeschenke für die Reichen und Superreichen ebenso wenig ändern
wie Konjunkturprogramme (siehe Japan in den letzten Jahrzehnten).

BRD-Wirtschaft auf der Kippe

Schon heute drückt sich das Problem der
kapitalistischen Weltwirtschaft vielmehr darin aus, dass immer größere Massen
von Kapital nach profitträchtiger Anlage suchen. Inflationsbereinigt bringen
weltweit 25 Billionen US-Dollar keine Rendite mehr. Senkt die Fed ihre
Leitzinsen weiter, dürfte diese Summe auf 30 Billionen steigen.

Sichere risikolose Erträge gibt es also
heutzutage nicht mehr. Mit ihrer Politik zur Stützung der jeweiligen nationalen
Kapitale oder ihres Wirtschaftsblocks versuchen die Zentralbanken, die Risiken
der Einzelkapitale zu reduzieren, was notwendigerweise dazu führt, Anreize für
Geld zu schaffen, in riskantere Anlagen zu gehen. Als solche gilt vorzugsweise
die sog. Realwirtschaft, weil sie die geringsten Renditen abwirft und am Beginn
einer Rezession steht. Das ist auch der Hintergedanke bei Spekulationen der
Europäischen Zentralbank (EZB) um weitere Leitzinssenkungen.
Risikoinvestitionen werden aber v. a. in Aktien getätigt. Selbst China hält
sein (nachlassendes) Wachstum nur durch massive staatliche Kredithilfen
aufrecht. Sein größtes Konjunkturprogramm der Menschheitsgeschichte 2009
katapultierte die Gesamtverschuldung von Staat, Privatleuten und Unternehmen
von 164 % seines BIP (2008) auf 271 %.

Der deutschen Konjunktur haben alle
geldpolitischen Maßnahmen der EU nichts genützt und werden es auch weiterhin
nicht. Ein Ende der Erholung am Arbeitsmarkt ist in Sicht.
Bundesarbeitsminister Heil (SPD) bastelt bereits an einem „Gute Arbeit von
morgen“-Gesetz zur Erleichterung und Umgestaltung von Kurzarbeit.

Exportindustrie

Die Exportindustrie befindet sich in einer
Rezession. Innerhalb weniger Monate wurden die Wachstumsprognosen von über 2
auf 0,7 % gesenkt. Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet für 2019 nur noch
mit einem BIP-Plus von 0,5 %. Im Herbst 2018 waren es noch 1,8 %. Zum
Vergleich: 2018 wuchs die Wirtschaft um 1,5 %. Bereits im 3. Quartal 2018 war
das BIP um 0,2 % gesunken, ohne dass es damals schon zu einer Rezession
gekommen wäre. Von dieser spricht man erst, wenn die Wirtschaft in 2 Quartalen
in Folge abnimmt.

Im Juli schrumpfte das verarbeitende Gewerbe so
stark wie seit 7 Jahren nicht mehr. Laut Konjunkturindikator des
gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)
lag das Rezessionsrisiko im Juli noch bei 36,6 %, Mitte August bereits bei 43
%. Vom 1. zum 2. Quartal 2019 schrumpfte das bundesdeutsche BIP um 0,1 %.
Anfang dieses Jahres stieg es noch um 0,4 %. Die Aktienkurse dagegen befinden
sich in anhaltendem Höhenflug.

Der Handelskrieg, dem voreilig die Schuld für
die Misere in die Schuhe geschoben wird, ist eher ein Zusatzrisiko als
eigentliche Ursuche der Konjunktur abdämpfung. Bislang ist er noch gar nicht
voll ausgebrochen. Die Autoabsatzmärkte wachsen kaum noch, auch nicht in China.
Gleichzeitig wird die Branche durch E-Mobilität und autonomes Fahren
umgekrempelt. Aus dieser Gemengelage – Absatzeinbruch und unsichere
Rentabilitätszukunft – resultiert der Handelskrieg, wo sowohl um Absatzmärkte
wie um technologische Führerschaft (Elektromobilität, Plattformunternehmen,
Daten, Telekommunikation) gekämpft wird. Mit Investitionskontrollen,
Exportbeschränkungen und dem Schutz geistigen Eigentums (Patente) wird darum
gestritten, wo die Zukunftstechnologien angesiedelt sein werden.

Vor diesem Hintergrund droht der BRD-Industrie
auf die Füße zu fallen, was lange als ihr Erfolgsmodell galt: ihre massive
Orientierung auf den Export. Die Autoexporte waren in den ersten 7 Monaten um
14 % rückläufig. Zusätzlich stecken Autoindustrie und Banken in einem tiefen
Strukturwandel. Klar ist auch, die drohenden Verwerfungen und die Unsicherheit
im Zusammenhang mit dem Brexit wirken sich dämpfend auf die Exporte ins
Vereinigte Königreich aus. Auch die Nachfrage aus Italien hat spürbar
nachgelassen – ein/e SchelmIn, wer dabei an die dortigen politischen
Turbulenzen denkt?

Kampf gegen kommende Krise

Im Baugewerbe, bei den Dienstleistungen und im
Einzelhandel läuft es derzeit noch recht gut, doch in der Industrie dafür umso
schlechter. Der Maschinenbau meldet für das 1. Halbjahr 2019 einen
Auftragsrückgang um 9 % gegenüber dem Vorjahrszeitraum und rechnet schon für
2019 mit 2 % Produktionsrückgang, was es seit der Großen Rezession und Finanzkrise
nicht gab. Ähnliches gilt für die Chemieindustrie. BASF will weltweit 6.000
Stellen abbauen, die Hälfte davon in der BRD. Die Deutsche Bank hat das Aus für
Tausende Jobs angekündigt. Abbaupläne im vierstelligen Bereich gibt es auch bei
Bayer, Ford, Siemens, Thyssen-Krupp und VW.

Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit – letztere wohl
verbunden mit Umschulungszwang, wo es doch eine strukturelle Komponente in der
kommenden Rezession geben wird (Banken, Automobil) – drohen drastisch
zuzunehmen. Die Gewerkschaften setzen jedoch weiter auf Sozialpartnerschaft.
Diesmal heißt die Verpackung „Zukunftstarifverträge“. Angesichts  der kommenden Rezession in Deutschland
und weltweit stecken sie den Kopf in den Sand.

Nach der Großen Rezession 2009 und den Kosten
für die Rettungsprogramme von Großkapital und Weltwirtschaft sind die Reserven
der kapitalistischen Staaten und Regierungen zur Gegensteuerung viel geringer,
wenn nicht erschöpft. Die Krise wird außerdem die Konkurrenz weiter verschärfen
– und macht damit eine global koordinierte Politik der Großmächte fast
unmöglich. Wahrscheinlich ist vielmehr die Verschärfung des Kampfes um die
Neuaufteilung der Welt, um die Kosten der Krise auf die jeweilige Konkurrenz
abzuwälzen.

Ganz sicher wird die nächste Rezession die ArbeiterInnenklasse,
die Bauern- und BäuerInnen, die Massen in den vom Imperialismus beherrschten
Ländern treffen. Umweltzerstörung und Kriegsgefahr werden ebenfalls steigen.

Die ArbeiterInnenbewegung muss der Bourgeoisie
ihr eigenes Anti-Krisenprogramm entgegenhalten, den Kampf gegen alle
Entlassungen, die Verkürzung der Arbeitszeit und Aufteilung der Arbeit auf
alle, die Enteignung der Banken und Konzerne und einen Plan nützlicher,
sinnvoller sozialer und ökologischer öffentlicher Beschäftigungsmaßnahmen zu Tariflöhnen
und unter ArbeiterInnenkontrolle.

Vor allem aber bracht sie eine Politik des
Klassenkampfes, von Demonstrationen, Besetzungen, politischen Massenstreiks in
den einzelnen Branchen und Ländern. Vor allem aber müssen die Aktionen von
Beginn an international koordiniert stattfinden. Im Kampf gegen eine globale
Krise hilft nicht der Schulterschluss mit dem „nationalen“ Kapital, sondern nur
Internationalismus!




Gegen Klassenjustiz und staatliche Repression! Antifaschismus ist kein Verbrechen!

Berliner Gericht
verurteilt Antirassisten

Stellungnahme von ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION, Infomail 1061, 11. Juli 2019

Fast ein Jahr
nach dem Ersten Mai 2018 verurteilte das Amtsgericht Mitte am 30. April 2019 einen
jungen Antirassisten und Genossen zu 6 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung.
Warum? Weil er gemeinsam mit zahlreichen anderen AntifaschistInnen am 1. Mai
2018 gegen ein rassistisches Straßenfest der AfD in Berlin-Pankow protestiert
hatte.

Die
DemonstrantInnen versuchten damals, in Hörweite der rechten Versammlung
möglichst lautstark deren Hetze und Demagogie entgegenzutreten.

Die Polizei
schützte an diesem Tag wieder einmal das Demonstrationsrecht der RassistInnen,
Rechts-PopulistInnen und „natürlich“ auch von FaschistInnen, die sich gern auf
AfD-„Festen“ tummeln.

Demgegenüber
musste das Recht der GegendemonstratInnen wieder einmal zurückstehen. Während
sie versuchten, ihre Versammlung und ihren Protest durch Ketten zu verteidigen,
wurden sie von Polizeikräften abgedrängt, geschubst und angegriffen.
„Natürlich“ wurden diese Menschen dabei auch gefilmt und fotografiert.
Schließlich steht der staatliche Überwachungsauftrag allemal höher als die
Privatsphäre seiner BürgerInnen.

Schließlich kam
es auch zu einigen Festnahmen, darunter der Genosse, der am 30. April vor
Gericht stand. Festgenommen wurde er, weil ein einziger (!) Polizist bemerkt
haben wollte, dass er mit einer Fahnenstange auf einen Polizisten eingeschlagen
haben soll.

Auch wenn die
Festnahme einige Zeit nach der angeblichen Aktion stattfand, so will der Beamte
den Genossen aufgrund seines „markanten Erscheinungsbildes“ erkannt haben und
leitete dann die Festnahme ein. Zu dem eigentlichen Tatvorwurf ließ sich –
abgesehen von der Behauptung dieses einen Polizisten – kein/e weiterer ZeugIn
beibringen. Eine Polizistin wollte zwar einen heftigen Schlag auf den Kopf
eines neben ihr stehenden Kollegen bemerkt haben, ebendieser hatte den
angeblich mit „voller Kraft“ geführten Schlag auf seinen Helm nach eigener
Aussage aber gar nicht bemerkt. Er trug auch eingestandenermaßen keine
Verletzung davon.

Während
stundenlang Video-Material von den Protestaktionen vorlag, so ließ sich partout
keine Aufnahme finden, auf der der behauptete Tatvorgang zu sehen gewesen wäre.
Schließlich, so schon die fast tröstliche Erkenntnis, filmt die Polizei doch
nicht alles. „Kameramann Zufall“ hatte offenkundig gerade dann gepennt, als die
Situation, so der Gerichtsjargon, besonders „dynamisch“ gewesen wäre.

Verurteilung und
Klassenjustiz

All das und so
manche Widersprüche der ZeugInnen beeindruckten weder Staatsanwaltschaft noch
das Gericht. Wegen angeblicher „versuchter gefährlicher Körperverletzung“ und
„tätlichem Angriff auf Polizeibeamte“ wurde er zu sechs Monaten Freiheitsentzug
verurteilt, wobei die Haftstrafe für zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt wurde.
Damit folgte der Spruch der Forderung der Staatsanwaltschaft. Bemerkenswert war
freilich nicht nur das Schandurteil selbst, das einmal mehr der Kriminalisierung
von Antirassismus, Antifaschismus und der ansonsten von der bürgerlichen
Gesellschaft viel beschworenen „Zivilcourgage“ gleichkommt. Bemerkenswert war
auch  seine politische Begründung.

  • Der Verurteilte wurde anscheinend als „Rädelsführer“ ausgemacht. Er hätte andere mit Sprechchören „angefeuert“. Dadurch war die Polizei auf ihn schon einige Zeit vor der angeblichen Tat aufmerksam geworden. Offenkundig sollte so ein Exempel an einem aktiven Antifaschisten statuiert werden. Menschen, die sich durch antirassistisches Engagement deutlich hervortun, sollen offenkundig auch besonders „eingeschränkt“ werden.
  • Offenkundig ging es dabei nicht nur darum, dass der Genosse einfach da war, sondern er sollte auch wegen seiner Unterstützung der revolutionären Jugendorganisation REVOLUTION gleich mit verurteilt werden. Bezeichnenderweise sprach das Gericht über ihn oft nicht als Teilnehmer einer Demonstration, sondern als deren „Mitglied“. Die Aufschrift seiner Fahne hatte der Polizist und Hauptzeuge gut in Erinnerung, während er sich an den Schriftzug auch nur irgendeines Transparentes, das die DemonstratInnen zeigte, nicht erinnern wollte.
  • Das hohe Strafmaß wurde damit begründet, dass der Genosse nicht nur zwei Taten begangen hätte, sondern dass diese im Rahmen des Ersten Mai besonders schwer wiegen würden. An diesem Tag wären Krawalle und Gewalt von Linken angesagt – und in diesem Sinne wäre das Strafmaß auch im Rahmen einer „Generalprävention“ gerechtfertigt. Es geht hier also nicht darum, die angebliche Tat wie jede zu prüfen oder zu beurteilen, sondern es handelt sich offenkundig um ein politisches Urteil zur Abschreckung kämpferischer und aktiver AntifaschistInnen und AntirassistInnen. Die Klassenjustiz lässt grüßen.
  • Das Gericht erklärte außerdem auch, dass der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ in diesem Fall nicht zur Geltung kommen würde, da es erstens keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen gäbe, der sich allenfalls in nachvollziehbare „nebensächliche“ Widersprüche verstrickt habe. Zweitens – und das mache seine Aussage besonders glaubwürdig – wäre die Polizei schließlich unparteiisch, weil „eigentlich“ unbeteiligt und nur auf den „Schutz der Demokratie“ aus, der auch für AfD, NPD und Co. und deren rassistische Hetze gelte.
  • Offenkundig sind manche vor Gericht eben gleicher als andere. Verwundert sollten wir freilich nicht sein, vielmehr manifestiert sich der Klassencharakter des Staates hier im Gerichtssaal. Die Aussage eines Staatsdieners steht über der eines „normalen“ Staatsbürgers, gerade weil der Apparat als über den Klassen stehend erscheint. Diese Ideologie von der „Neutralität“ des bürgerlichen Staates bildet gewissermaßen die Grundlage dafür, dass der Beamte dem Gericht als besonders „glaubhaft“ erscheint, da er die „Neutralität“ des Staatsapparates verkörpere, während der Angeklagte seine eigenen Interessen verfolge. Daher im Zweifel für die Anklage!
  • Schließlich konnte das Gericht auch nicht umhin, seinem Urteil eine ausreichende und präventive „Abschreckungswirkung“ zu attestieren und dem Verurteilten auch noch einige Belehrungen in Sachen Demokratie hinterherzuschicken. Mit „Krawallaktionen“ würde er nicht nur sich selbst, sondern auch seiner Sache schaden und Menschen von der Teilnahme an antirassistischen Aktionen abschrecken. Daher: Antirassismus und Antifaschismus sind eine tolle demokratische Einstellung, solange ihr den Anordnungen von Polizei und Versammlungsbehörden folgt und die Rechten nicht weiter stört!

Das Schandurteil
zeigt also: Auf Polizei und Justiz können wir uns im Kampf gegen den Rechtsruck
nicht verlassen. Sie schützen vielmehr RassistInnen und FaschistInnen;
sie  versuchen, den Widerstand zu kriminalisieren, und AktivistInnen
einzuschüchtern.

So wichtig und
richtig es ist, auch mit juristischen Mitteln gegen solche Verurteilungen
vorzugehen, verlassen dürfen wir uns auf sie nicht! Entscheidend ist vielmehr
die Solidarität mit dem Genossen und allen anderen AntifaschistInnen und
AntirassistInnen, die von Repression betroffen sind. Entscheidend ist es vor
allem, den Kampf gegen Faschismus, Rassismus und Rechtspopulismus mit dem gegen
das kapitalistische System zu verbinden  – organisiert, kämpferisch und
massenhaft!




Nach dem Sturz der Regierung Kurz in Österreich: Klassenkämpferische Perspektive!

Michael Märzen, Neue Internationale 2019, Juni 2019

Nach dem
Ibiza-Skandal am 17. Mai ging es sehr schnell – FPÖ-Chef Heinz-Christian
Strache ist zurückgetreten, die schwarz-blaue Regierung zerbrochen, der Bundeskanzler
Sebastian Kurz gestürzt. Ein Grund zur Freude, keine Frage, aber schon mit den
Neuwahlen im September droht die Fortsetzung der
konservativ-rechtspopulistischen Allianz. Die sozialdemokratische Opposition
steckt selbst in der Krise und scheint unfähig, die Regierungskrise für eine
fortschrittliche Offensive zu nutzen. Was also tun?

Ein Rückblick

Das Ibiza-Video
um Vizekanzler H. C. Strache und FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus wird als einer
der größten Skandale in die Geschichte der österreichischen Republik eingehen.
Dort sieht man die beiden, wie sie mit einer angeblichen Oligarchen-Nichte
korrupte Deals aushandeln. Am brisantesten scheint, wie hier die verdeckte
Einflussnahme von GroßkapitalistInnen auf die FPÖ beschrieben wird: in Form von
Großspenden an gemeinnützige Tarnvereine. Mit einer solchen Indiskretion kann
eine Regierung der herrschenden bürgerlichen Klasse selbstverständlich nicht
leben. Strache und Gudenus mussten abtreten. Der folgende Machtkampf um das
FPÖ-geführte Innenministerium kostete nicht nur dem Innenminister Herbert Kickl
den Kopf, sondern schließlich dem Bundeskanzler selbst, dem die FPÖ gemeinsam
mit der SPÖ und der Liste Jetzt das Misstrauen aussprach.

Das Video

Am Freitag, den
17.5., veröffentlichten Süddeutsche Zeitung und Spiegel Videoausschnitte, in
denen der FPÖ-Parteiobmann und Vizekanzler Strache sowie der Klubobmann Gudenus
gegenüber einer vermeintlichen russischen Investorin Einblicke in die korrupten
Pläne und Spendenkonstruktionen ihrer Partei geben. Konkret steht der Vorschlag
im Raum, die Frau solle die größte Tageszeitung Österreichs, die
Kronen-Zeitung, übernehmen, unangenehme JournalistInnen entlassen und
Wahlkampfhilfe für die FPÖ leisten. Außerdem solle sie über Tarnvereine Geld an
die Partei spenden, wie das angeblich auch einige österreichische
KapitalistInnen tun würden. Strache spricht von Beträgen in der Höhe von
500.000 bis 2 Millionen Euro. Im Gegenzug würde die angebliche Nichte eines
Oligarchen lukrative Staatsaufträge im Straßenbau erhalten, die im Moment an
die STRABAG (an der ein Unterstützer der liberalen NEOS, Hans Peter
Haselsteiner, beteiligt ist) gehen. Auch eine Privatisierung der
österreichischen Wasserversorgung, gegen die sich die FPÖ offiziell ausspricht,
wird angeboten.

Zusammengefasst
lassen Strache und Gudenus in dem Ausschnitt die Maske der „sozialen
Heimatpartei“ fallen und sprechen Klartext über ihr wirtschaftsfreundliches und
klientelpolitisches Programm.

Eine vorsichtige
Bilanz

Eine
tatsächliche Bilanz der Ereignisse ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wo sich
Enthüllungen und parlamentarische Manöver halbtäglich ändern, nur begrenzt
sinnvoll. Einige Aspekte der letzten Tage sind aber von entscheidender
Bedeutung.

Am
offensichtlichsten ist das politische Problem für die FPÖ, deren Führungsspitze
zeigt, wie sie Politik für KapitalistInnen auf Kosten der lohnabhängigen
Bevölkerung macht. Dazu kommen abstoßende Details wie die geplante
Gleichschaltung der Medienlandschaft und die staatliche Auftragsvergabe an
politische UnterstützerInnen.

Schwerwiegend
ist sicher, dass Strache ausplaudert, welche KapitalistInnen den rechten Umbau
der Republik zahlungskräftig unterstützt haben. Mit Heidi Goess-Horten, René
Benko und dem Glücksspielkonzern Novomatic nennt er hier SpenderInnen, die eher
als ÖVP-nahe gelten. Diese Indiskretion wird ihn als Person für wichtige Teile
der herrschenden Klasse untragbar machen (zumindest für einige Zeit).

Die Reaktion von
Kurz ließ auf sich warten, wohl weil er die Koalition gerne fortgeführt hätte.
Schließlich kündigten sich Kurz und Kickl die Koalition gegenseitig und
schrittweise auf. Der Bundeskanzler forderte den Abzug des FPÖ-Ministers
Herbert Kickl vom Innenministerium, worauf die FPÖ mit ihrem geschlossen
Rückzug aus der Koalition antwortete. Die ÖVP versucht jetzt, in die
Wahlkampfoffensive zu gehen, und hebt das „gelungene Projekt“ Schwarz-Blau
hervor. Eine Neuauflage der Koalition, die die restlichen geplanten Reformen
(Steuersenkungen für Reiche, Zerschlagung des Sozialversicherungssystems,
Angriffe auf die ArbeiterInnenkammer) zu Ende führt, ist also alles andere als
ausgeschlossen.

Regierungssturz und SPÖ-Debakel

Die Frage des
Misstrauensvotums hat die Sozialdemokratie selbst in eine (kleine) politische
Krise geworfen und sogar links davon Verwirrung gestiftet. Die SPÖ war und ist
hin und her gerissen zwischen einer Fundamentalopposition zu Kurz‘ „neuer
Volkspartei“ und einer staatstragenden, sozialpartnerschaftlichen Politik. Aus
der Logik der Fundamentalopposition musste sie den Bundeskanzler stürzen, aus
der staatstragenden Logik müsste sie ihn stützen. Letztlich scheint es der
drohende Gesichtsverlust vor der eigenen Parteibasis gewesen zu sein, der sie
zum Misstrauensantrag bewegte. Doch selbst noch im Misstrauensantrag hat sie
ihre staatstragende Haltung nicht aufgegeben und ihr Misstrauen damit
begründet, dass die ÖVP die restlichen Parlamentsparteien in die Bestellung der
Übergangsregierung nicht genügend einbezogen habe, somit keine stabilen
Verhältnisse geschaffen hätte.

Daher solle es
eine neue „ExpertInnenregierung“ geben. Diese Argumentation war selbst für
viele sozialdemokratische WählerInnen nicht nachvollziehbar, wenngleich hier
eine gewisse opportunistische Angst mitschwang. Natürlich konnte und sollte die
SPÖ die ÖVP-Übergangsregierung nicht unterstützen. Nicht aber weil sie nicht
sozialpartnerschaftlich genug agierte, sondern weil sie die Behüterin der schon
umgesetzten schwarz-blauen Verschlechterungen ist. Diese Verschlechterungen –
12-Stundentag, Kürzung der Mindestsicherung, Angriff auf die
Sozialversicherung, diverse rassistische Maßnahmen – müssten jetzt mit der
Krise des schwarz-blauen Projekts wieder zurückgenommen werden. Der richtige
Weg dafür wäre eine klare klassenkämpferische Offensive unter Mobilisierung der
ArbeiterInnenklasse. Eine solche Strategie ist aber unvereinbar mit einer
sozialpartnerschaftlichen Orientierung bzw. einer Zusammenarbeit von
Sozialdemokratie und Gewerkschaften mit offen bürgerlichen Parteien – Stichwort
Rot-Grün-NEOS. Das gilt ebenso für die „ExpertInnenregierung“, die hinter einer
vorgeblichen unpolitischen Fassade den politischen Status quo zementiert.

Das Versagen
links der SPÖ

Die sich
überstürzenden und politisch neuen Ereignisse haben offenbar auch die Kräfte
links der Sozialdemokratie überfordert. Unter dem Motto „Neuwahlen sind gut,
weil es besser werden könnte“ orientiert sich die KPÖ voll auf eine linke
Opposition im Parlament. Dass sie diese Opposition nicht einfach so stellen
wird (siehe EU-Wahlen) und dass die verzweifelte Hoffnung darauf kein Hebel
ist, um jetzt etwas zu ändern, zeigt ihre Perspektivlosigkeit.

Das andere
Extrem beschwört den Aufbau von unmittelbarem oder langfristigem Widerstand auf
der Straße und einer neuen revolutionären Kraft (RKOB, RSO, …). Wenngleich
abstrakt richtig, fehlen hier konkrete Forderungen des „Widerstands“ (gegen
was?) und konkrete Ansätze zum Aufbau einer revolutionären Partei. Die
Perspektive wird zur inhaltslosen Formel. Die „Sozialistische Linkspartei“ gibt
mit der Rücknahme der Verschlechterungen und darüber hinausgehenden Forderungen
wie Arbeitszeitverkürzung und Mindestsicherung eine Perspektive für eine
Bewegung, sie lehnt es aber ab, entsprechende Forderungen an die
Sozialdemokratie zu stellen, denn von der dürfe man sich gar nichts mehr
erwarten. Damit wird ein wichtiger Ansatz ignoriert, über den wir die lähmende
Dominanz der SPÖ über die ArbeiterInnenbewegung in Österreich brechen könnten.
Auch wird keine klare Opposition zu einer „ExpertInnenregierung“ formuliert.
Der „Funke“ schweigt dazu gänzlich und die SLP streut die Illusion, dass so
eine Regierung angreifbarer wäre für die Rücknahme von Verschlechterungen.

Ein Ansatz zur
Offensive

Trotz all dieser
Schwächen wollen wir eine Forderung der SLP aufgreifen, nämlich die nach einer
Konferenz noch im Juni für eine Kampagne, die mit Offensivforderungen in einem
Aktionstag vor den Wahlen münden soll. Das würde die Klärung einer
klassenkämpferischen Perspektive ermöglichen, insbesondere die Frage einer
„linken Kandidatur“ (die uns gegenwärtig unrealistisch erscheint). Viel
wichtiger wäre dabei, verschiedene soziale Bewegungen (Donnnerstagsdemos,
Fridays for Future, Gleicher Lohn für gleiche Arbeit), Kräfte der radikaleren
Linken und linke SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen in einer
Einheitsfront gegen Schwarz-Blau zu vereinigen.

Wir schlagen
daher allen AktivistInnen vor, eine Einheitsfront um die folgenden Forderungen
zu bilden, die insbesondere auch an die Sozialdemokratie gerichtet werden
müssen:

  • Offenlegung aller politischen Spenden, um das Ausmaß der Klientelpolitik in der kapitalistischen Politik zu untersuchen. Ebenso Offenlegung der Geschäftsbücher der Konzerne und Banken für VertreterInnen der ArbeiterInnenbewegung.
  • Rücknahme aller schwarz-blauen unsozialen und rassistischen Verschlechterungen – 12-Stunden-Tag, Sozialhilfe, Zerschlagung der Kassen, Abschieberegime, etc. -, gestützt auf Mobilisierungen auf der Straße und gewerkschaftlichen Kampf bis hin zum Generalstreik. Statt Steuergeschenken für die Reichen, Vermögenssteuern und Enteignung zur Finanzierung einer „sozialstaatlichen“ Offensive.
  • Schluss mit der sozialpartnerschaftlichen Anbiederung, nein zu jeglicher Unterstützung der „ExpertInnenregierung! Deren Bildung muss durch den Aufbau einer klassenkämpferische Opposition und Mobilisierungen in den Betrieben und auf der Straße beantwortet werden.



Österreich: Massenkundgebung gegen Strache und die Regierung!

Bericht von REVOLUTION Austria, Infomail 1055, 18. Mai 2019

Heute waren tausende Menschen – die Polizei spricht von 5.000, wir können daher von deutlich mehr ausgehen – gegen (Ex-)FPÖ-Chef H. C. Strache und die schwarz-blaue Regierung auf der Straße. Die Stimmung war gleichzeitig kämpferisch und euphorisch, da der verhasste Strache endlich zum Rücktritt gezwungen wurde. REVOLUTION und Arbeiter*innenstandpunkt nahmen zusammen an der Kundgebung teil, wir rufen zu einer Massenbewegung zum Sturz der Regierung und gegen die Politik für die sie steht auf.

Der
Hintergrund für den Protest ist ein jetzt aufgetauchtes Video aus dem Sommer
2017. In diesem Video sprechen Strache und (Ex-)FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus
mit einer vermeintlichen russischen Oligarchin über profitable Kooperationen
mit der FPÖ. Der Ursprung des Videos ist bisher nicht geklärt, aber die FPÖ
streitet die Echtheit des Videos nicht ab. In dem Video spricht Strache offen
darüber, wie man Großspenden an den Behörden vorbei über einen Verein leiten
könnte und, dass dies auch jetzt schon passiert (genannt werden unter anderem
der Waffenproduzent Gaston Glock, die MilliardärInnen Heidi Horten und René
Benko oder der Glückspielkonzern Novomatic). Das zeigt klar, die Verbindungen
der FPÖ zu den Reichsten und Mächtigsten Österreichs. Die FPÖ ist eben keine
Partei der kleinen Leute, sondern ein zentraler Verbündeter der
österreichischen KapitalistInnen.

Das
zweite pikante Detail ist, dass Strache mit der vermeintlichen Millionärin
bespricht, die KRONE (die auflagenstärkste Zeitung Österreichs) zu kaufen, dort
unliebsame JournalistInnen hinauszuschmeißen und FPÖ-FreundInnen zu
installieren. Er wünscht sich eine parteitreue Presselandschaft wie sie Orban
in Ungarn, Erdogan in der Türkei oder Putin in Russland haben. Er schlägt ihr
auch vor, im Gegenzug zu der politischen und finanziellen Unterstützung
Staatsaufträge, die aktuell an die STRABAG gehen, zuzuschanzen.

Die
Kundgebung selbst, die vor allem von spontanen Emotionen zuerst der Verärgerung
und später (nach dem Bekanntwerden des Rücktritts von Strache) von Freude
geprägt war kann aber nur der Anfang sein. Zum aktuellen Zeitpunkt ist noch
nicht klar, ob die Kurz-ÖVP die Regierungskoalition mit der FPÖ aufkündigen
wird, oder sie mit geänderter Besetzung fortsetzen wird.

Diese
Kundgebung muss der Auftakt einer Bewegung gegen die gesamte schwarz-blaue
Regierung sein. Weder Neuwahlen noch die Rückkehr zur großen Koalition bedeuten
einen Bruch mit der rassistischen, frauenhassenden und arbeiterInnenfeindlichen
Politik von Schwarz-Blau. Ganz im Gegenteil: FPÖ und ÖVP haben noch viel vor,
dass an die korrupten Versprechungen von Strache anknüpft. Die Steuerreform zur
Entlastung der Reichsten, Sozial- und Gesundheitsabbau, und die Angriffe auf
Gewerkschaftsbewegung und Arbeiterkammer sind mehrmals angekündigt worden, aber
noch nicht durchs Parlament gegangen. Diese Projekte werden die Parteien, auch
unter anderer Führung oder nach Neuwahlen weiterverfolgen.

Aber
wir können die Krise der FPÖ in eine Krise der Regierung und eine Krise der
Regierungspolitik verwandeln. Eine Massenbewegung auf der Straße, an
Arbeitsplätzen, Schulen und Unis kann nicht nur die Koalition unter Druck
setzen, sondern das System, dass sie verteidigen und verschärfen. Die zu Recht
wütenden ArbeiterInnen, Jugendlichen und Arbeitslosen können ihre Wut auf die
Korruption gegen das System richten aus dem sie entstanden ist. Es ist die
Aufgabe von RevolutionärInnen und Linken, jetzt eine Strategie zu entwickeln,
die das möglich macht. Wir bleiben dran.




Widerstand im Knast – Aufruhr in der JVA-Waldheim

Korrespondent aus Sachsen, Infomail 1035, 20. Dezember 2018

Seit Monaten werden die Aufschlusszeiten und
Freizeitangebote in der JVA-Waldheim systematisch immer weiter verkürzt.
Begründet werden diese Maßnahmen durch den gravierenden Personalmangel auf den
Stationen im Haus 1: „Sicherheit und Ordnung“ seien nicht weiter
aufrechtzuerhalten. Um die Gefangenen untereinander zu spalten, finden diese
Kürzungen fast ausschließlich in Haus 1 statt, die anderen beiden Häuser sind
bisher weitestgehend unberührt geblieben.

Aber anhaltender Einschluss führt zu Vereinsamung und
Frustration, und so entschlossen sich am Montag, den 10.12., einige Gefangene,
diese Zustände nicht länger hinzunehmen. Um 19 Uhr sollte die zweite Station
eingeschlossen werden, doch 15 Gefangene verweigerten dies. Trotz gerufener Verstärkung
waren die Beamten bei weitem nicht zahlreich genug, um ihre Maßnahme
durchzusetzen. Die Gefängnisleitung sprach bei dem friedlichen Protest von
einem „Aufstand“. Eine Stunde lang hielt die Pattsituation an. Nun
unterbreitete die Anstalt den Aufständischen den Vorschlag, dass sie keine
Konsequenzen zu befürchten hätten, falls sie sich friedlich in ihre Hafträume
schließen ließen.

Die Gefangenen glaubten diesem Angebot und so wurde die
Station friedlich bereinigt. Schon am nächsten Morgen offenbarte sich dies als
hinterhältige Lüge, mit der die Beamten sich aus der Situation gerettet hatten.
Alle Beteiligten hatten Einschluss, während der „Rädelsführer“ von vier Cops in
ein Hochsicherheitsgefängnis abtransportiert wurde. Drei weitere wurden am Tag
darauf aus der Anstalt abgeschoben. Die restlichen Beteiligten erhielten vier
Wochen kompletten Einschluss. Viele von ihnen sollen in den nächsten Wochen auf
andere Stationen oder in andere Anstalten verlegt werden.

Ab dem 17.12. sollen nun in Haus 1 die Aufschlusszeiten noch
weiter reduziert werden. Die Anstalt hatte derartige Kürzungsmaßnahmen ohnedies
geplant. Nun versucht sie die Gefangenen zu spalten und eine Solidarisierung zu
verhindern, indem den Aufständischen die Verantwortung für diesen Einschnitt in
die Bewegungsfreiheit der Gefangenen zugesprochen wird.

Unsere erste und unmittelbare Aufgabe ist es, unsere volle
Solidarität mit den Betroffenen der drakonischen Strafmaßnahmen zu zeigen. Sie
müssen wissen, dass sie nicht alleine sind. Denn nur gemeinsam wird es möglich
sein, auf allen Ebenen gegen eine immer schlimmer werdende Verschärfung unserer
Lebensumstände aktiv zu werden.

Dies ist besonders wichtig, da zu erwarten ist, dass die
Verhältnisse sich weiter verschlechtern, die mit zunehmendem „Personalmangel“
begründet und durch die Kürzungen der CDU-Regierung in Sachsen weiter zugespitzt
werden. Zwar spart die Regierung nicht an Waffen für direkte körperliche
Repression. So sind 1,8 Millionen für Teleskopschlagstöcke und Reizgas im
Budget verbucht. Die zweihundert geplanten Neueinstellungen von BeamtInnen
hingegen werden voraussichtlich unter der Zahl derer liegen, die im kommenden
Jahr in den Ruhestand gehen.

Organisierung und Klassenkampf

In jedem Fall war das Aufbegehren vollkommen gerechtfertigt.
Doch die Aktion selbst war spontan, wenig vorbereitet und nicht mit den
Gefangenen anderer Häuser und Stationen abgesprochen. So war sie isoliert und
zeitlich begrenzt. Der Protest konnte im Keim erstickt und die mutigsten
Gefangenen bestraft werden. Deutlich mehr hätte mit einer breiteren Beteiligung
und langfristigem Druck erreicht werden können. Doch dafür müssen sich
wesentlich mehr als 15 von 400 Gefangenen beteiligen.

Doch dafür braucht es eine eiserne Solidarität unter ihnen.
Nur wenn ein großer Teil zusammensteht, haben sie eine Chance zu bestehen.
Rassismus, Nationalismus und religiöser Hass haben im Kampf um die Freiheit
keinen Platz. Sprache, Herkunft, Religion und Kultur dürfen keine Grenzen sein.
Die einzige Trennlinie verläuft zwischen den Klassen, zwischen AusbeuterInnen
und Ausgebeuteten. Es kann kein Platz für jene geben, die für eigene Vorteile
ihre Brüder oder Schwestern verraten.

Was es also braucht, sind Organisationen, ist der Aufbau
einer Gewerkschaft, welche für die berechtigten Forderungen der Gefangenen
eintritt. Und auch wenn der Staat und die Gefängnisleitungen jedwede
Solidarisierung bekämpfen, ist selbst nach dem Grundgesetz Artikel 9 die
Gründung von Gewerkschaften auch im Gefängnis legal. Der Aufbau solcher
Strukturen ist jetzt umso wichtiger. Die Gefahr ist groß, dass bei zunehmender
Isolierung und Repression in den Gefängnissen die Entsolidarisierung zunimmt
und durch Bandenkriminalität wie in den USA begleitet wird. Die größten
ProfiteurInnen sind dann gut verdienende „Mafia-KapitalistInnen“ und die BeamtInnen,
die mit ihnen zusammenarbeiten. Das kann natürlich nicht im Interesse der
überwiegenden Mehrheit der Gefangenen sein.

Doch um dies zu erreichen, glauben wir, dass ein offener „Aufstand“
aktuell zwar kurzfristig für Furore sorgt, aber die Organisierung der
Gefangenen zu gering ist, irgendeinen bleibenden Effekt zu erzielen.
Stattdessen sind organisierte Streiks in den profitbringenden Arbeitsbetrieben
wie in der Tischlerei, dem Metallbetrieb, der Druckerei und bei der Firma
Seifert in der JVA-Waldheim dazu in der Lage, unmittelbaren wirtschaftlichen
Druck auszuüben, da die Anstalt auf die produzierten Produkte, die
erwirtschafteten Gelder und auf die durch diese Betriebe durchgeführten
Reparaturleistungen angewiesen ist. Die Organisierung der Gefangenen könnte
also unter günstigeren Rahmenbedingungen ausgeweitet werden.

Wenn wir unsere Situation tatsächlich verbessern wollen,
braucht es eine geduldige Zusammenarbeit mit Gefangenenorganisationen wie der
Gefangenen-Info, dem Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen und der
Gefangenen-Gewerkschaft (GG/BO). Es ist nicht ausgeschlossen, unsere
Bedingungen in der Presse, und selbst wenn es nur die revolutionäre und
sozialistische ArbeiterInnenpresse ist, bekannt zu machen. Gefangene aller
Stationen, Häuser und Anstalten sollten als ersten Schritt gemeinsame
Diskussionsrunden gründen, in denen sie Artikel und Literatur besprechen, sich
über ihre eigene Situation austauschen und ihre Bedürfnisse und Forderungen
formulieren. Das ist vollkommen legal und eine gute Möglichkeit, um miteinander
zu kommunizieren.

Wir fordern wiederum linke Organisationen, Parteien und auch
die Gewerkschaften des DGB – mit Ausnahme der Gewerkschaft der Polizei – dazu
auf, sich mit den Gefangenen zu solidarisieren. Allein die Tatsache, dass die
Weigerung, sich nach Monaten von immer kürzeren Aufschlusszeiten „pünktlich“
einschließen zu lassen, als „Aufstand“ und „Meuterei“ gewertet wird, zeigt,
unter welch drakonischen und entrechteten Verhältnissen die Gefangenen leben –
und dies in Waldheim, der „Vorzeigeanstalt“ deutscher Gefängnisse.

  • Solidarität mit den Aufständischen von Waldheim! Für die sofortige Rücknahme aller Maßnahmen gegen die Demonstranten vom 10.12., Einstellung aller Anklagen und Ermittlungsverfahren, die Rückführung der Gefangenen, die ins Hochsicherheitsgefängnis und andere Anstalten verlegt wurden, sofortiges Ende des Einschlusses!
  • Sofortige Beendigung der verkürzten Aufschlusszeiten!
  • Für das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung und politischen Protest im Gefängnis!



Österreich: Was kommt nach Donnerstag? Zur Perspektive der Bewegung gegen Schwarz-Blau

Flugblatt des Arbeiter*innenstandpunkt, Österreichische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1031, 24. November 2018

Seit Anfang Oktober ist wieder Donnerstag und das ist gut! Denn in den vergangenen Wochen sind mehrmals viele tausend Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die neoliberale und rassistische Politik der Regierung zu protestieren. Viele Menschen, junge und alte, wollen die Unverschämtheiten der Rechtskonservativen nicht mehr länger hinnehmen. Sie wollen sich dagegen wehren und die Neuauflage der prominenten Donnerstagsdemos bietet dafür einen guten Anlass.

Unser Protest richtet sich nicht nur gegen diesen oder jenen schwarz-blauen Angriff. Solange FPÖ und ÖVP im Amt sind, werden sie unseren erarbeiteten Reichtum nach oben umverteilen, gegen sozial Schwache hetzen und unsere demokratischen Rechte beschneiden. Diese Regierung muss weg! Doch wir alle wissen: Wöchentliche Demonstrationen sind schön und gut, aber sie werden die Regierung nicht ohne Weiteres aufhalten. Noch dazu hat unser Protest bisher nicht die Schlagkraft, die die Donnerstagsdemonstrationen Anfang 2000 ursprünglich besaßen. Kurz und Strache sind vermutlich überzeugt, dass sie unseren Protest einfach aussitzen können, dass sich unsere Bewegung einfach totlaufen wird. Und sie werden Recht behalten, wenn wir nicht weiter denken als an den nächsten Donnerstag. Wir müssen klüger sein als sie – wir brauchen eine politische Strategie!

So traurig es ist, ÖVP und FPÖ können sich immer noch auf eine beträchtliche Unterstützung in der Bevölkerung stützen. Warum? Es ist nun 10 Jahre her, dass der globale Kapitalismus seine größte Systemkrise seit den 1930er Jahren erlebt hat, doch die Auswirkungen der Krise sind trotz der jüngsten Erholungsphase keineswegs überwunden. International hat sich das politische Klima deutlich nach rechts verschoben. Die Rechten versprechen Stabilität und Ordnung in einer instabil gewordenen Welt. Tatsächlich begünstigen sie nur die Reichen und Besitzenden auf Kosten der einfachen, arbeitenden Bevölkerung. Diese Regierung ist eine der KapitalistInnen, nicht der ArbeiterInnen!

Die Unterstützung für Schwarz-Blau wird sich jedenfalls nicht von selbst mit der Zeit ändern und wenn doch, dann nur deswegen, weil diese Parteien schon viel zu viel Schaden angerichtet haben werden. Es wäre natürlich verantwortungslos, einen solchen Zeitpunkt abzuwarten! Deshalb müssen wir ganz klar aufzeigen, wie die herrschende Politik den Mächtigen dient und wie wir ihre Pläne vereiteln. Dafür braucht es gemeinsame politische Forderungen und eine politische Organisierung, mit der wir die Spontaneität der Bewegung in einen ausdauernden und schlagkräftigen Widerstand verwandeln!

  • Bewegung braucht Organisierung! Für den Aufbau von Aktionskomitees gegen Schwarz-Blau in Stadtteilen, an Schulen, Unis und in Betrieben!
  • Für eine gemeinsame Strategie des Widerstands! Organisieren wir eine Widerstandskonferenz, auf der wir uns auf Forderungen, Kampagnen und Aktionsformen für eine gemeinsame Front gegen die Regierung verständigen!
  • Schwarz-Blau muss weg! Demonstrationen sind nicht genug – kämpfen wir in den Gewerkschaften für eine politische Streikbewegung!
  • Das Problem hinter Schwarz-Blau heißt Kapitalismus! Für eine neue, revolutionäre Partei der arbeitenden Klasse!



Lage in Palästina: Verleumdung, Illusionen, Besatzung

Leo Drais, Neue Internationale 233, November 2018

Die deutschen Medien berichten wöchentlich über die vermeintliche Selbstverteidigung Israels gegen angebliche Aggression aus den besetzten Gebieten. Zu dieser „Selbstverteidigung“ gehört in ihren Augen wohl auch das Erschießen von mittlerweile über 200 Menschen bei den seit März an der Grenze des Gazastreifens stattfindenden Protesten des „Großen Rückkehrmarsches“. In den letzten Wochen wurden vermehrt Raketen aus Gaza in Richtung Tel Aviv abgefeuert, welche die IDF (Israeli Defence Forces) umgehend mit Militärschlägen beantwortete.

Gleichzeitig müssen sich AntiimperialistInnen hierzulande, wie jüngst die GenossInnen der internationalistischen Jugendorganisation REVOLUTION in Dresden, gegen allerhand Lügen und Verdrehungen von sogenannten Antideutschen zur Wehr setzen. Diese Kräfte werden nicht müde, die berechtigte Solidarität mit den PalästinenserInnen im Kampf gegen die Besatzung als Antisemitismus ganz auf Linie der deutschen und US-amerikanischen ImperialistInnen zu verleumden.

Auf der anderen Seite der Mauer

Während von den deutschen Medien über jede Rakete in Richtung Tel Aviv, fast schon über jeden Steinwurf auf israelische SoldatInnen „umfassend“ berichtet wird, erfahren wir umso weniger über die Situation in Gaza und der Westbank. Damit meinen wir nicht nur die Hunderte Toten, Verletzten und politisch Inhaftierten, die der israelische Staat zu verantworten hat, die weiter vor sich gehende Vertreibung, den Landraub oder das Zerschlagen von Demonstrationen. Auch meinen wir nicht nur die von den imperialistischen Staaten gedeckten rassistischen Übergriffe von SiedlerInnen auf PalästinenserInnen.

Nein, das fängt schon mit der Lebensrealität an. Diese ist für viele in der Westbank prekär. Israel hat Zugriff auf die Wasser- und Stromversorgung und stellt den Strom auch mal für ein paar Tage ab, wenn in Dörfern Proteste stattfinden. Die israelischen Siedlungen zapfen den Dörfern teilweise das Wasser ab. Die Infrastruktur ist vielerorts in schlechtem Zustand, die ärztliche Versorgung ist unzureichend, vor allem in den Camps der Vertriebenen.

Die Lage in Gaza ist mit einem riesigen Freiluftgefängnis vergleichbar. Laut der Weltbank sind 80 % der dort lebenden Menschen auf internationale Nahrungsmittelhilfe angewiesen; die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 58 %.

1995 baute Israel einen elektrischen Zaun und eine Betonmauer um Gaza und unterbrach damit die Verbindungen zu den besetzten palästinensischen Gebieten im Westjordanland. Seit Beginn der Belagerung hat Israel drei große militärische Angriffe auf Gaza gestartet. Der letzte große Angriff fand 2014 unter dem Namen „Operation Schützende Klinge“ statt. Die israelische Armee tötete mehr als 2.100 PalästinenserInnen, darunter 1.462 ZivilistInnen und fast 500 Kinder. 11.000 wurden verwundet, 20.000 Häuser zerstört und eine halbe Million Menschen aus ihren Häusern vertrieben.

Da seit den letzten Monaten der Widerstand in Gaza wächst, mehren sich in der israelischen Regierung die Rufe nach einem nächsten Militärschlag. Insbesondere der Verteidigungsminister Avigdor Lieberman wirbt für neue Bomben, damit wieder „vier, fünf Jahre Ruhe herrsche“. Er verbindet diesen Ruf auch gleich mit den regionalen Ansprüchen Israels, indem er durchblicken lässt, die Schläge nicht nur auf Gaza zu beschränken – die Drohung könnte dem Libanon, Syrien oder auch dem Iran gelten.

Hinsichtlich der Westbank hat Israel auch schon den nächsten großen Schritt im Visier. Beflügelt von Trumps Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt, zielt das zionistische Regime auf eine Teilung der Westbank und ein komplett israelisches Jerusalem ab, was eine neue massenhafte Vertreibung bedeuten würde. Die Likud-Partei lässt bei all dem keine Gelegenheit aus, immer wieder auch die Annexion des gesamten Westjordanlandes ins Spiel zu bringen (Likud = dt. „Zusammenschluss“).

Nur der jahrzehntelange heroische Widerstand der palästinensischen Bevölkerung hat bisher die vollständige Unterjochung, Besetzung und weitere Vertreibung verhindert. Die imperialistischen Medien und die zionistische Propaganda stellen dies auf den Kopf. Nicht die fortgesetzte Aggression der UnterdrückerInnen, nicht die Entrechtung und Vertreibung, sondern der Widerstand gegen dieses Unrecht gilt als Ursache des Konflikts. Die palästinensischen Massen erscheinen als „unruhestiftend“, weil sie sich nicht ihrem Schicksal ergeben. Dabei ist es in Wirklichkeit der zionistische Staat, der berechtigten, heldenhaften und mitunter auch verzweifelten Widerstand immer wieder provoziert und hervorruft. Für RevolutionärInnen und InternationalistInnen ist völlig eindeutig, auf welcher Seite Linke hier zu stehen haben.

Antizionismus und Befreiungskampf

Auf der einen Seite finden wir einen hoch-militarisierten, kapitalistischen Staat, der die Interessen von EU- und US-Imperialismus in der Region vertritt und sich zugleich als Regionalmacht weiter zu festigen versucht. Dieser fußt auf der Ideologie des Zionismus, auf Rassismus und Nationalismus. Die Verfassungsänderungen durch die gegenwärtige Regierung haben das noch weiter verschärft. Das „Selbstbestimmungsrecht“ der „israelischen Nation“ beruht auf der gewaltsamen und fortgesetzten Vertreibung der PalästinenserInnen, der Verweigerung ihres Rückkehrrechts. Die Verteidigung eines solchen Staates ist ebenso reaktionär wie er selbst.

Israel ist auch weder Schutzraum für die Juden und Jüdinnen noch ein Bollwerk gegen den Antisemitismus. Ein Staat von 6 Millionen JüdInnen, der auf der Unterdrückung von 9 Millionen PalästinenserInnen beruht, bedarf nicht nur eines beträchtlichen militärischen Aufwands, um sich in der Region behaupten zu können und tagtäglich seine Rolle zu festigen.

Er ist auch ein kapitalistischer Staat, der die israelische ArbeiterInnenklasse ausbeutet oder in eine Uniform steckt, um die militärischen Interessen der Bourgeoisie umzusetzen. Er ist ein „Schutzraum“ für die Bourgeoisie, die Reaktion und die Interessen des westlichen Imperialismus. Solange die jüdische ArbeiterInnenklasse in Israel diesen Staat und das zionistische Regime verteidigt, wird sie selbst Stütze der „eigenen“ herrschenden Klasse und des Imperialismus bleiben müssen, sich selbst nicht befreien und allenfalls als relativ privilegierte Ausgebeutete fungieren können.

Der Bruch der israelischen ArbeiterInnenklasse mit dem Zionismus und „ihrem“ Staat bildet eine unerlässliche politische Voraussetzung für einen realen gemeinsamen Kampf. Als RevolutionärInnen unterstützen wir die kleine Minderheit internationalistischer, antizionistischer Kräfte in Israel. Trotz ihrer Schwäche zeigt sie einen Weg in die Zukunft.

Diese antizionistischen jüdischen Linken sind selbst der Diffamierung und Hetze durch „ihren“ Staat, westliche „DemokratInnen“ und auch sog. „Antideutsche“ ausgesetzt – gerade weil sie sich auf die Seite des palästinensischen Befreiungskampfes stellen.

Antisemitismus und Antizionismus

Natürlich wissen auch wir, dass es auch unter der palästinensischen Bevölkerung – wie in jeder (!) Nation – reaktionäre und rassistische Ideologien gibt, darunter sicher auch Formen des Antisemitismus. Doch die bürgerliche Reaktion stempelt geflissentlich alle PalästinenserInnen oder AraberInnen als „antisemitisch“ ab und ordnet sie selbst rassistisch ein.

Dabei werden Ideologie und Politik reaktionärer, islamistischer Organisationen wie der Hamas oder des Islamischen Dschihad mit „den PalästinenserInnen“ gleichgesetzt.

Zweitens wird der nachvollziehbare und berechtigte Hass auf den israelischen Unterdrückerstaat und dessen tägliche Repression – und damit auch jede Empörung und erst recht jeder organisierte Massenwiderstand dagegen zum „Antisemitismus“ erklärt. Wir wollen dabei keineswegs bestreiten, dass einige ihre aus dieser Unterdrückung resultierende Wut nicht nur auf Israel, sondern auch auf JüdInnen selbst projizieren. Das kann aber keinesfalls auf die gesamte Bevölkerung übertragen werden. Antisemitische Vorurteile und Einstellungen müssen zweifellos offensiv bekämpft werden. Sie sind nicht nur erzreaktionär, sondern auch Gift für den Befreiungskampf – sei es, um ArbeiterInnen aus dem zionistischen Block zu brechen, sei es um internationale Solidarität zu organisieren. Dass viele Organisationen der palästinensischen „Zivilgesellschaft“ und der Linken Antisemitismus bekämpfen, wird hierzulande gern verschwiegen.

Entscheidend ist jedoch, dass reaktionäre Einstellungen unter den Unterdrückten nur erfolgreich bekämpft werden können, wenn auch der Befreiungskampf gegen Zionismus und Imperialismus konsequent unterstützt wird. Dass die Führung der PalästinenserInnen zur Zeit von erz-reaktionären, islamistischen und korrupten Kräften oder einer eher noch viel korrupteren, pro-imperialistischen und bürgerlichen Palästinensischen Autonomiebehörde und Fatah gestellt wird, kann nicht bedeuten, dem Widerstand unsere Solidarität zu versagen.

Es muss vielmehr heißen, im Kampf gegen die Besatzung für das Rückkehrrecht aller PalästinenserInnen, für gleiche Rechte aller einzutreten. Das ist mit dem zionistischen Staat letztlich unvereinbar. Die einzig realistische Lösung besteht in einem gemeinsamen Staat aller, die in Palästina leben, in einem multinationalen Staat, in dem wirklich gleiche Rechte für alle garantiert und gewährleistet sind. Ein solcher wird nicht auf einer bürgerlichen Grundlage reale Gleichheit sichern können – die Überausbeutung der PalästinenserInnen, die Rückgabe des ihnen geraubten Eigentums usw. wird auf einer kapitalistischen Grundlage notwendigerweise zu Verteilungskämpfen zwischen Klassen und Nationen führen. Das kann nur auf der Basis des Gemeineigentums von Grund und Boden, von Banken und Konzernen, kurzum auf einer sozialistischen Grundlage gewährleistet werden. Daher treten wir für ein einheitliches, säkulares und sozialistisches Palästina ein.

Unrealistische Einstaatenlösung?

Gegen ein einheitliches Palästina gibt es im Grunde zwei Arten von Gegenargumenten.

Sie sind beide reaktionär, weil sie das Recht Israels auf Vertreibung und Ausbeutung als Grundlage entweder akzeptieren oder nicht antasten wollen – die eigentliche Substanz seines „Existenzrechts“. Es ist durchaus bezeichnend, dass diese Kräfte nicht nur die Einstaatenlösung, sondern „natürlich“ auch das Rückkehrrecht der PalästinenserInnen und deren volle rechtliche Gleichstellung in Israel ablehnen, ja ablehnen müssen. Und das mit einer gewissen reaktionären Konsequenz, weil sie so fürchten, dass die Unterdrückten mit einer demokratischen Mehrheit die Verhältnisse verändern könnten. Die „größte Demokratie“ im Nahen Osten endet dort, wo es um substantielle Rechte der unterdrückten und verbliebenen palästinensischen Nation geht.

Der zweite Einwand lautet, dass die Einstaatenlösung unrealistisch, eine Zweistaatenlösung daher ein „geringeres Übel“ sei. Die zionistische Expansion, die fortgesetzte Vertreibung zerstören aber selbst den „Realismus“ dieser Vorstellung. Seit Jahrzehnten schrumpfen selbst die unter Teilkontrolle palästinensischer Behörden stehenden Gebiete. Gaza und Westbank sind getrennt, immer größere „Schneisen“ werden in letztere gerissen…

Diese „Lösung“ dient vor allem als Beschwörungsformel des „demokratischen Imperialismus“, für die EU, für die UN, für reaktionäre arabische Regime und ihre Kooperation mit dem Zionismus. Mit der Schimäre der „Zweistaatenlösung“ soll das palästinensische Volk vertröstet werden.

Letztlich hängen auch alle führenden Fraktionen der palästinensischen Bevölkerung – Fatah wie Hamas – an einer Zweistaatenlösung – und sei es als „vorläufige“. Die PLO und Fatah haben längst Israel anerkannt, hoffen allenfalls, über diplomatischen Druck und mit Hilfe des Imperialismus und reaktionärer arabischer Regime einen „Reststaat“ zu erhalten. De facto ist auch die Hamas durch den Druck ihrer reaktionären Verbündeten längst auf die Anerkennung Israels eingeschwenkt -wenn auch weniger offen ausgesprochen.

In der Realität ist die Zweistaatenlösung längst gestorben. Der einzig realistische Ausweg für den Befreiungskampf besteht im organisierten Massenwiderstand, den eine Dritte Intifada mit sich bringen könnte. Diese wäre aber auch auf die aktive internationale Solidarität der arabischen Massen ebenso angewiesen wie der ArbeiterInnenklasse und Linken weltweit. Eine solche Bewegung könnte auch die Einheit in Israel selbst erschüttern und zumindest Teile der ArbeiterInnenklasse zu einem Bruch mit dem Zionismus treiben.

Das würde notwendigerweise bedeuten, eine aktive Klassenpolitik auch in Palästina, nicht nur in Israel zu betreiben – eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei als Alternative zu Hamas und Fatah aufzubauen, die den Kampf gegen den Zionismus, gegen die Besatzung mit dem für eine soziale Umwälzung, für einen einheitlichen ArbeiterInnenstaat in Palästina und die permanente Revolution im Nahen und Mittleren Osten verbindet.




Neues Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen: Angriff auf alle

Flo Wasser, Neue Internationale 230, Juli/August 2018

Seit dem G20-Gipfel wettern Polizei und Justiz gegen die angebliche linksradikale Bedrohung – mag sie auch noch so sehr an den Haaren herbeigezogen sein. Jeder wirklich oder vermeintlich geplante terroristische Anschlag liefert Munition zur Forderung nach der Ausweitung der Repression. Derzeit laufen in vielen Bundesländern Initiativen zur Einführung neuer Polizeigesetze.

Im September soll es auch in Nordrhein-Westfalen soweit sein: Der Landtag soll auf Initiative der schwarz-gelben Regierung über ein neues Polizeigesetz (PolG) abstimmen, das es in sich hat.

Ähnlich den neuen Polizeigesetzen in Sachsen und Bayern wird auch dieses als das strengste und härteste seit dem Nationalsozialismus bezeichnet. Das Vorhaben zielt auf eine massive Einschränkung der demokratischen Rechte und ist ein deutlicher Angriff gegen alle unliebsamen Elemente.

Gefahrenbegriff

Zentral im neuen PolG ist die Einführung des Begriffes der „drohenden Gefahr“. Diese soll von sogenannten GefährderInnen ausgehen, die zwar weder eine Straftat begangen haben noch direkt dabei sind, bei denen es aber möglich ist, dass sie eine Straftat verüben könnten. Konkret werden hierdurch muslimische Flüchtlinge besonders unter den Verdacht gestellt, islamistische Terroranschläge zu planen. Auch Linke sind von geplanten Verschärfungen betroffen, denn es braucht nicht viel, um sich vorzustellen, dass die Polizei vor neuen Großdemonstrationen auf die Auseinandersetzungen während des G20-Gipfels hinweist und linke AktivistInnen als GefährderInnen einstuft. Im neuen Gesetz fehlt auch eine Definition der Begriffe. Von wem eine drohende Gefahr ausgeht und wie diese aussieht, entscheiden also die BeamtInnen bzw. die Polizeibehörden selbst. Auch der Einsatz von Fußfesseln zur Kontrolle und Überwachung sog. GefährderInnen soll möglich werden.

Unterbindungsgewahrsam

Ein weiteres Schmankerl ist die Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams. Dieser ermöglicht die präventive Festnahme einer Person und ist bislang auf 48 Stunden beschränkt. Mit dem neuen Gesetz wird diese Frist auf einen Monat verlängert. Hiermit wird es möglich, wichtige AktivistInnen und OrganisatorInnen von Demonstrationen und Aktionen unter dem Vorwand drohender Gefahr wegzusperren. Auch hier gilt: Es muss keine konkrete Tat, ja nicht einmal ein Tatverdacht vorliegen, sondern nur eine Einschätzung durch die Polizeibehörden. Es reicht, dass jemandem/r unterstellt wird, dass er/sie eine bestimmte Tat begehen könnte.

Überwachung

Ein ganz massiver Punkt im neuen PolG ist die Ausweitung der öffentlichen Überwachung.

Durch den Einsatz von Hacking-Software (Bundes-Trojaner) soll unbemerkt auf die Daten bestimmter Zielpersonen auf deren Handy und PC zugegriffen werden können. Zu Beginn war noch die Rede davon, dass alle Daten durchsucht werden dürften. Mittlerweile gab es hier ein leichtes Zurückrudern und „nur“ Messengerdienste wie E-Mail, Anrufe, SMS oder Whats-App sollen durchsucht werden dürfen. Damit erhält der Staat die Möglichkeit, in privates Terrain einzudringen und BürgerInnen nur auf Verdacht hin zu überwachen, ohne dass die es merken können.

Strategische Fahndung

Unter dem Label der „strategischen Fahndung“ erhält die Polizei nun auch die Möglichkeit, verstärkt und flächendeckend Kontrollen an Personen und Autos durchzuführen. Dies ist als Teil der Abschottungsoffensive zu sehen, da NRW an der Grenze zu Belgien und den Niederlanden liegt und durch diese Reform die mit dem Schengener-Abkommen abgeschafften Grenzkontrollen nun de facto wieder eingeführt werden.

Schließlich will sich die Polizei auch materiell verstärken. Zusätzlich zu Pfefferspray und Knüppel soll nun auch dem Einsatz von Elektropistolen, also Tasern der Weg geebnet werden.

Die massiven Einschränkungen demokratischer Rechte bleiben nicht unbemerkt und es formiert sich wie auch in Bayern großer Protest gegen das neue Gesetz.




Massaker in Gaza: Der Widerstand geht weiter!

Dave Stockton, Neue Internationale 228, Mai 2018

Seit dem 30. März, dem Tag des Bodens, nehmen zehntausende BewohnerInnen von Gaza an einer wöchentlichen Demonstration teil, die der „Große Rückkehrmarsch“ genannt wird, um an die Enteignung ihres Heimatlandes im Jahr 1948 zu erinnern. Mehr als 60 Prozent der Menschen in Gaza sind Flüchtlinge und ihre Nachkommen, die aus ihren Häusern vertrieben wurden.

Aus jedem Teil Gazas versammeln sie sich jeden Freitag friedlich an fünf Punkten entlang der Grenze. Seit dem 30. März zelten dort Hunderte. Sie wollen bis zum 15. Mai bleiben, wenn der Protest seinen Höhepunkt erreichen soll. Dennoch sind sie dem tödlichen Feuer von Scharfschützen der sogenannten Verteidigungsstreitkräfte Israels (IDF = Israeli Defense Forces) ausgesetzt. Mehr als 40 PalästinenserInnen wurden bis zum 25. April getötet, die Zahl steigt jede Woche. Darüber hinaus wurden 1.600 Menschen durch scharfe Munition verwundet.

Demonstration und Reaktion

Es handelt sich bei den Demonstrationen um überwiegend friedliche; es werden traditionelle Speisen serviert, kulturelle Veranstaltungen finden statt. Israelische BeamtInnen behaupten, dass sie gewalttätig sind, weil einige Protestierende Steine auf die SoldatInnen werfen und Reifen verbrennen. Doch die Entfernung zwischen den DemonstrantInnen und den israelischen SoldatInnen liegt nach Zeugenaussagen zwischen 250 und 300 Metern. Es braucht wahrlich wundersame Kraft, um letztere überhaupt zu treffen.

Die IDF-Politik des Schießens in Tötungsabsicht hat nichts mit dem Schutz der stark befestigten Grenzen Israels und seiner Armee, der mächtigsten in der Region, zu tun. Sie soll ganz einfach verhindern, dass Demonstrationen den 70 Jahre alten Landraub des zionistischen Siedlerstaates an dem palästinensischen Volk verdeutlichen. Die westlichen Medien und die Regierungen der USA und der EU sind mitschuldig an diesen Gräueltaten. Stellen Sie sich nur ihre Reaktion vor, wenn sie in Venezuela durchgeführt würden! Werden sie von der IDF begangen, werden sie unter den Teppich gekehrt.

Darüber hinaus sollten die Ereignisse in Gaza die Aufmerksamkeit auf die schrecklichen Zustände der 1,8 Millionen Menschen lenken, die auf einer Fläche von nur 160 Quadratkilometern zusammengepfercht sind und unter einer jahrzehntelangen Belagerung gelitten haben. Zahlen der Weltbank zeigen, dass 80 Prozent der Menschen in Gaza auf internationale Nahrungsmittelhilfe angewiesen sind; die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 58 Prozent.

1995 baute Israel einen elektrischen Zaun und eine Betonmauer um Gaza und unterbrach damit die Verbindungen zu den besetzten palästinensischen Gebieten im Westjordanland. Im Jahr 2001 bombardierte und zerstörte Israel den Flughafen, nur drei Jahre nach seiner Eröffnung. Tatsächlich waren Schulen, medizinische Einrichtungen und Kulturzentren, die von internationalen StifterInnen gebaut wurden, Ziele von israelischen Bombardements. Seit Beginn der Belagerung hat Israel drei große militärische Angriffe auf Gaza gestartet.

Im Jahr 2008 dauerte der erste große israelische Angriff – „Operation Bleigießen“ – 23 Tage. Dabei wurden 1.440 PalästinenserInnen getötet, 920 ZivilistInnen verwundet und 47.000 Häuser zerstört.

Im Jahr 2012, bei einem achttägigen Angriff – „Operation Säule der Verteidigung“ – töteten israelische Streitkräfte 167 PalästinenserInnen, darunter 87 ZivilistInnen. Unter den Todesopfern befanden sich 35 Kinder und 14 Frauen. Die Infrastruktur des Gazastreifens wurde gezielt angegriffen; 126 Häuser wurden vollständig zerstört, Schulen, Moscheen, Friedhöfe, Gesundheits- und Sportzentren, Medieneinrichtungen verwüstet.

Zwei Jahre später, 2014, in der „Operation Schützende Klinge“ tötete Israel 50 Tage lang mehr als 2.100 PalästinenserInnen, darunter 1.462 ZivilistInnen und fast 500 Kinder. 11.000 PalästinenserInnen wurden verwundet, 20.000 Häuser zerstört und eine halbe Million aus ihren Häusern vertrieben.

Nach jedem Angriff hat Israel systematisch das Anliefern von Baumaterial blockiert, mit dem die schrecklichen Schäden repariert werden sollten, die von IDF-Panzern und Kampfflugzeugen mutwillig angerichtet wurden. Das Stromerzeugungssystem wurde zerstört und nur begrenzte Lieferungen erfolgen aus Israel und Ägypten. Das Wasser- und Abwassersystem ist zu 90 Prozent verunreinigt und abwasserbedingte Krankheiten breiten sich aus. Auch die medizinische Versorgung ist massiv eingeschränkt.

Kurzum, die Menschen dieser kleinen Enklave sind einer grausamen kollektiven Bestrafung ausgesetzt, die eindeutig gegen das Völkerrecht und zahlreiche UN-Resolutionen verstößt. Doch das erweckt wenig oder gar keine Sympathie geschweige Aktion bei den „westlichen Demokratien“ oder ihren Medien. Ganz im Gegenteil – die USA, Großbritannien und Frankreich lehnen regelmäßig alle Resolutionen ab, die Israel verpflichten würden, seine völkermörderischen Aktionen zu zügeln.

Solidarität!

Mehr denn je brauchen das palästinensische Volk und die Bevölkerung von Gaza die Hilfe und Unterstützung der ArbeiterInnen und Jugendlichen weltweit – einschließlich der fortschrittlichen Minderheit in Israel selbst. Wir müssen die gegenwärtigen Schrecken durch die israelischen HeckenschützInnen aufdecken, aber auch die gewaltigen ethnischen Säuberungen in den Jahren 1948 und 1967, die diesen Staat für immer unrechtmäßig machen. Keine Nation kann ihr Recht auf Selbstbestimmung beanspruchen, wenn es mit sich bringt, das Recht eines anderen Volkes zu verweigern – und zwar durch ethnische Säuberung zu diesem Zweck.

Die in Oslo geplante und von den USA, Großbritannien usw. unterstützte „Zwei-Staaten-Lösung“ hat sich als Utopie erwiesen. Israel hat sie nie umgesetzt, sondern unter dem Deckmantel von Oslo den verbleibenden zusammenhängenden Teil Palästinas mittels neuer Siedlungen weiter zerstückelt. Die einzige Lösung ist ein einheitlicher bi-nationaler Staat für Israelis und PalästinenserInnen.

Das hat nichts mit einer Vertreibung der Juden und Jüdinnen zu tun. Aber es bedeutet das Rückkehrrecht für alle PalästinenserInnen in ihre Heimat und das Ende eines Staates, der ausschließlich von und für jüdische Israelis regiert wird. Wir glauben, dass nur die ArbeiterInnenklasse beider Nationalitäten und des gesamten Nahen Ostens eine fortschrittliche Lösung herbeiführen kann. Wir treten dafür ein, dass ein bi-nationaler Staat ein sozialistischer sein sollte, da nur so die Beendigung der nationalen Unterdrückung mit einer gerechten Reorganisation der Wirtschaft im Interesse aller Lohnabhängigen, Bauern und Bäuerinnen verbunden werden kann.

  • Solidarität mit den Protesten in Gaza und dem Großen Rückkehrmarsch!
  • Beteiligt Euch an den Solidaritätsaktionen und den Aktionen zum Gedenken an die Nakba um den 15. Mai!