Wir brauchen keine Schlichtung – wir brauchen 500 Euro oder 10,5 %!

Christian Gebhardt, Infomail 1218, 31. März 2023

Donnerstagnacht gingen die Meldungen durch die Medien: Es kommt zu keiner Einigung im Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst (TVöD). Unüberbrückbar seien die Unterschiede zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und den Gewerkschaften. Die VKA habe sich nicht dazu entscheiden können, ein sozial gerechtes Angebot vorzulegen. Ver.di erklärte die Verhandlungen für gescheitert und die Gegenseite rief die Schlichtung an.

Das letzte Angebot, das von der VKA auf dem Tisch lag, waren 8 % mehr Lohn, ein Mindestbetrag von 300 Euro sowie eine Einmalzahlung von 3.000 Euro. Bei der Laufzeit stehen sich 12 Monate von den Gewerkschaften und 27 Monate vom VKA entgegen. Hier gab es laut Medienberichten die größte Kompromissbereitschaft von Seiten der Gewerkschaften.

Noch zeigt die Verhandlungsführung Standhaftigkeit. Das bisherige „Angebot“ wird für die Mitgliedschaft nicht beschönigt und sie stellt sich auch weiterhin noch gegen die Einmalzahlungen als Kompromissbestandteil. Wie lange die Standfestigkeit der Bürokratie in einem zugespitzten Arbeitskampf anhalten kann, haben wir jedoch beim Abschluss der Postkolleg:innen erfahren dürfen. Dort wurde ein bis dahin abgelehntes Angebotspaket nach erfolgreicher Urabstimmung und kurz vor Streikbeginn mit unwesentlichen Abänderungen in einem Nacht-und Nebel-Abschluss angenommen und zur Abstimmung den Kolleg:innen vorgeschlagen. Das gleiche Einknicken kann in der nun anstehenden Schlichtung bei den TVöD-Verhandlungen ebenfalls passieren. Die ver.di-Führungsleute sind aus dem gleichen Stall wie bei der Post.

Schlichtung führt ins Abseits!

Die jetzt angerufene Schlichtung ist keine Überraschung. Die Arbeit„geber“:innen wollen die Beschäftigten aus dem Verfahren ausgrenzen. Die ver.di-Führung offensichtlich auch, sonst hätte sie diese Verpflichtungsvereinbarung zur obligatorischen Schlichtung nicht unterschrieben oder gekündigt. (Diese war und ist natürlich beiden Konfliktparteien bekannt und wird einen Platz in ihrer Strategiefindung eingenommen haben.)

In dieser Zeit gilt Friedenspflicht, was übersetzt bedeutet, dass die große Aktivität und Streikbereitschaft, die sich in den letzten Wochen und Monaten gezeigt hat, gebremst und der Streik insgesamt somit erst mal demobilisiert wird. Das hat nicht nur einen positiven Aspekt für die VKA, sondern auch für die Gewerkschaftsbürokratie, die zu Recht anmerkt, dass der Druck groß ist und die Kolleg:innen auf ihren Forderungen mit Hinblick auf Inflation und Energiekrise bestehen.

Zum Dritten bringt die Schlichtung eine andere Perspektive in den Prozess. Ihre „Unabhängigkeit“ bedeutet die Nichtberücksichtigung unserer Forderungen und Bedürfnisse. Ihr Maßstab ist die „Gesellschaft“.  Hinter der Frage „Was können ‚wir’ verkraften?“ werden in Wirklichkeit die Interessen des Staates, seiner Regierung und der herrschenden Klasse als die der „Allgemeinheit“ ausgegeben und versteckt.

Die Schlichter:innen werden sich auch an den Abschlüssen in anderen Branchen orientieren. Und die lagen alle nicht weit vom letzten Angebot der Gegenseite entfernt.

Es darf keine Annahme eines Schiedsspruchs unterhalb der Forderungen durch die ver.di-Vertreter:innen in der Schlichtungskommission geben! Und das heißt faktisch, die Schlichtung für gescheitert zu erklären und so rasch wie möglich die Urabstimmung über das Ergebnis der Schlichtung und einen möglichen Erzwingungsstreik einzuleiten.

Mobilisierung während der Schlichtung aufrechterhalten!

Wir dürfen uns in den nächsten Wochen von der sog. Friedenspflicht nicht lähmen lassen. Wir müssen die Zeit nutzen zur Einleitung der Urabstimmung. Zentral hierbei ist, dass die Befragung über das Schlichtungsergebnis sowie die Urabstimmung über den Erzwingungsstreiks bindend für die Bundestarifkommission sind. Dies muss verbunden werden mit regelmäßigen Mitglieder- und Personalversammlungen, bei denen der Verlauf der Schlichtung öffentlich gemacht wird. Außerdem sollten auch in den nächsten Wochen regelmäßig Demonstrationen organisiert werden, um die Mobilisierung aufrechtzuerhalten und die Beschäftigten in anderen Branchen auf der Straße zu informieren.

Der Megastreiktag am 27. März hat uns gezeigt, was möglich ist. Wenn wir mit unseren Kolleg:innen branchenübergreifend und zusammen streiken, dann steht das Land still. Eine Überraschung ist das nicht, denn wir alle wissen, dass wir gemeinsam stärker sind. So stark, dass wir uns auch gemeinsam gegen die mediale Stimmungsmache, die es im Vorfeld zum Streiktag gab und bei einem Erzwingungsstreik droht, wehren können.

  • Keine Illusionen in die Schlichtung: Lasst sie uns als gescheitert erklären! Je länger die Schlichtung dauert, desto unwahrscheinlicher wird ein unbefristeter Streik!

  • Wir brauchen einen Erzwingungsstreik! Vorbereitung und Einleitung einer bindenden Urabstimmung anstatt monatelanger Verhandlungsrituale oder gar Schlichtung!

  • Nein zu allen Gesprächen hinter verschlossenen Türen! Verhandlungen sollen öffentlich über das Internet übertragen werden! Keine Abschlüsse ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Rechenschaftspflicht und Wahl der Tarifkommission durch die Basis!

  • Regelmäßige Streikversammlungen in allen Betrieben und Abteilungen! Wahl und Abwählbarkeit der Streikleitungen durch die Mitglieder!

  • Wahl und Entsendung von Delegierten zu einer bundesweiten Streikdelegiertenkonferenz, um hier gemeinsam über die nächsten Schritte im Arbeitskampf zu beraten!

Perspektive

Die Tarifabschlüsse in der Metallindustrie und bei der Post senden eine Warnung: Trotz hoher Mobilisierung und Streikbereitschaft wurde heftiger Reallohnverlust vereinbart, garniert mit 3000 Euro steuer- und abgabenfrei, was im Sommer in der Konzertierten Aktion zwischen Regierung, Kapital und Gewerkschaftsspitzen ausgemacht worden war. Für den öffentlichen Dienst droht ein ähnliches Ergebnis, das Reallohnverlust auf dem Konto und ein Niederlage im Klassenkampf bedeutet.

Es ist strategisch nötig, eine kämpferische Basisopposition aufzubauen, gegen die sozialpartner:innenschaftliche Bürokratie in den Gewerkschaften, die stets die Interessen der Arbeitenden denen des Kapitals und seines Staates unterordnet.

Für die noch laufenden Tarifrunden heißt dies:

  • Aufbau von unabhängigen Aktionsgruppen mit allen Kolleg:innen, die sich nicht verkaufen lassen wollen!

  • Volle Transparenz bei Aktionen, Verhandlungen und den Schlichtungsgesprächen einfordern!

  • Mit den im Tarifkampf aktiven Kolleg:innen Betriebsgruppen oder Vertrauensleutestrukturen aufbauen!

  • Das Schlichtungsabkommen zeigt deutlich, dass es eine konstant arbeitende Basisopposition benötigt, die für seine Kündigung eine Kampagne innerhalb von ver.di anschiebt, damit es uns nicht bei den nächsten Verhandlungen wieder auf die Füße fällt.

  • Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) hat sich in dieser Tarifrunde als Hebel erwiesen, an einigen Orten zum Sammelpunkt gegen die Gewerkschaftsbürokratie zu werden.

Das ist ein notwendiger Anknüpfungspunkt! Sollte auch in dieser Tarifrunde die Bürokratie einen miesen Abschluss zu verantworten haben, dann muss die Konsequenz sein, dass sich an der Basis eine dauerhafte Opposition aufbaut!




Wie weiter im Kampf für mehr Personal im Krankenhaus- und Gesundheitsbereich?

Helga Müller, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung 11, März 2023

Nachdem innerhalb eines Jahres – 2021 in Berlin bei Charité und Vivantes und 2022 bei den 6 Unikliniken in NRW – Tarifverträge für Entlastung durch wochenlange Durchsetzungsstreiks erreicht werden konnten, ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen und sich Gedanken zu machen, wie der Kampf für mehr Personal bundesweit erfolgreich weitergeführt werden kann. Auch wenn beide Kämpfe zu einem erfolgreichen Abschluss kamen mit der Durchsetzung von Tarifverträgen für Entlastung – in NRW ein gemeinsamer Tarifvertrag für alle 6 Unikliniken –, sind weder an diesen Krankenhäusern bereits die Stellen besetzt noch die fehlenden bundesweit im Pflegebereich und den übrigen Abteilungen durchgesetzt.

Die Errungenschaften der beiden Krankenhausbewegungen

1. Erfolgreiche Mobilisierungen der Belegschaften und Einbeziehung dieser in die Entscheidungen über ihre Forderungen:

Die Kolleg:innen der verschiedenen Abteilungen wurden aktiv in die Aufstellung der Forderungen pro Abteilung und Schicht einbezogen, sie haben selbst darüber diskutiert und entschieden, mit Hilfe von Teamdelegierten.

Damit verbunden war eine aktive und erfolgreiche Mitgliederwerbung, was zu einen höheren Organisationsgrad führte. Dadurch wurden wochenlange Durchsetzungsstreik möglich.

2. Einbeziehung aller Kolleg:innen aller Abteilungen in den Kampf und die Aufstellung der Forderungen:

Vor allem in NRW wurden auch die Bereiche außerhalb der Pflege – wie Krankentransport, IT, Rettungssanitäter:innen etc. – in die Aufstellung der Forderungen und den Kampf dafür einbezogen.

3. Ansätze einer demokratischen Streikführung:

Vor allem in der Krankenhausbewegung Berlin haben die Aktivist:innen dafür gesorgt, dass aktive Kolleg:innen aus den Abteilungen in die Tarifkommission entsandt wurden und jeder Schritt mit den Teamdelegierten besprochen wurde.

In NRW wurde das Ergebnis auf Streikversammlungen in den 6 Unikliniken zur Diskussion gestellt und abgestimmt. Es wurde, außer in Düsseldorf, mehrheitlich angenommen. Zum anderen hatte sich die Tarifkommission – freiwillig – dazu bereit erklärt, erst zuzustimmen, wenn bei der Urabstimmung über das Ergebnis auch die Mehrheit einwilligt. Die magere Zustimmung von 73,58 % in NRW im Vergleich zu über 96 % in Berlin zeigt, dass die Kolleg:innen sich selbst Gedanken über das Ergebnis gemacht haben und sich nicht allein auf die Zustimmung der Tarifkommission verließen.

Dies alles wurde von den Kolleg:innen selbst durchgesetzt. Weder von den Organizer:innen noch von den ver.di-Verantwortlichen war vorgesehen, die Teamdelegierten oder den Delegiertenrat der 200 der 6 Unikliniken in NRW als Kontroll- und Entscheidungsorgane über den Streikverlauf und die Tarifkommission einzusetzen. Letzten Endes lag die Entscheidung über die Fortführung des Kampfes und über die Annahme des Abschlusses  – zumindest in Berlin – bei der Tarifkommission und den ver.di-Verantwortlichen.

4. Solidaritätsaktionen durch die arbeitende Bevölkerung und öffentliche Kundgebungen der Streikenden:

In beiden Krankenhausbewegungen wurden Treffen mit Initiativen und Kolleg:innen aus Betrieben or-ganisiert. Am weitestgehenden waren die gemeinsamen Solidaritätsaktionen in Berlin: Dort wurden vor allem gemeinsame Aktionen mit der Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen“ organisiert, aber auch mit den im Streik befindlichen Kurier:innen von Gorillas. Teilweise kam es auch zu gemeinsamen Soliaktionen mit Kolleg:innen aus einzelnen Betrieben. Aber weder vom DGB noch von anderen DGB-Gewerkschaften gab es den Willen, gemeinsame Soliaktionen zu organisieren.

In Berlin und NRW organisierten die Kolleg:innen große und machtvolle Kundgebungen und Demos.

5. Nachhaltigkeit: von den Teamdelegierten zum Aufbau fester Strukturen und Organe:

Zumindest in Berlin gab es die Aussage, von Aktivist:innen aus den Teamdelegiertenstrukturen auch systematische und kontinuierliche Gremien wie ver.di-Betriebsgruppen und Vertrauensleutekörper aufzubauen. Das wäre ein Fortschritt, da damit nicht immer wieder zu Beginn eines Arbeitskampfes neue Strukturen zur Mobilisierungen geschaffen werden müssten.

Was hat gefehlt?

1. Fehlende Kontrolle über den Kampfverlauf und über die Abstimmung des Ergebnisses:

Es gab zwar Fortschritte bzgl. der Transparenz über die Verhandlungen (s. Punkt 3 oben), aber letzten Endes hatten immer noch die ver.di-Verantwortlichen die Kontrolle über Streikverlauf und das Ergebnis.

Deswegen braucht es klare Strukturen/Organe, die den Kolleg:innen gegenüber rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar sein müssen.

Dafür würde sich ein Streikkomitee, wie es an der Uniklinik Essen im Kampf um den TVE aufgebaut wurde, anbieten. Dieses wurde aus von den Kolleg:innen gewählten Delegierten aus den verschiedenen Abteilungen gebildet. Die Delegierten waren direkt den Kolleg:innen gegenüber rechenschaftspflichtig und konnten jederzeit neu gewählt werden. Dieses Komitee hatte sich zur Aufgabe gestellt, den Diskussionsprozess unter den Kolleg:innen über die Zwischenverhandlungsergebnisse und den Fortgang des Kampfes zu organisieren. Dafür wurden Streikversammlungen einberufen, auf denen die Kolleg:innen über den Zwischenstand der Verhandlungen der Tarifkommission (TK) informiert wurden und sie auch darüber entschieden, ob diese zu akzeptieren sind oder der Streik weitergeführt werden muss. In dieser Phase hatten sie tatsächlich die Entscheidung über ihren Kampf um mehr Personal unter ihrer Kontrolle. Und im Voraus wurde mit der TK vereinbart – wohlgemerkt, eine freiwillige Vereinbarung der TK mit dem Streikkomitee (!) –, keine Entscheidung ohne Diskussion unter den Kolleg:innen zu fällen. Auch die gewählten Teamdelegierten würden sich dafür anbieten, ein solches Streikkomitee zu bilden, aber die oben aufgeführten Bedingungen müssten auch hier konsequent angewendet werden. Aber von Seiten des ver.di-Apparates waren die Teamdelegierten nie als Organ oder Struktur vorgesehen gewesen, damit die Kolleg:innen wirklich über ihren Kampf selber entscheiden können, sondern eher als Element, sie überhaupt mobilisieren zu können, durchaus, indem sie über ihre Forderungen selber diskutieren und entscheiden konnten. Auch die Organizer:innen haben dem politisch nichts entgegengesetzt. Diese Teamdelegierten sind sicherlich ein demokratisches Element, was auch gezeigt hat, dass die Kolleg:innen selbst am besten wissen, welcher Personalschlüssel und welche anderen Bedingungen nötig sind, um eine gute Gesundheitsversorgung zu realisieren. Das war durchaus ein demokratisches Element, mit dessen Hilfe sie auch tatsächlich für mehrwöchige Durchsetzungsstreiks mobilisiert werden konnten. Diese Errungenschaften wären auch Vorbild für permanente Vertrauensleutestrukturen, die auch nach dem Streik weiter existieren und sich die Aufgabe stellen, mit den Kolleg:innen in Diskussion zu bleiben und im Falle eines Streiks wieder dafür zu sorgen, dass sie nicht nur über die Forderungen, sondern auch über den Kampf diskutieren und entscheiden können.

2. Kontrolle über die Sanktionen bei Nichteinhaltung der Regelungen aus dem TVE:

Beide TVE enthalten die Regelung, Punkte zu sammeln, wenn Schichten unterbesetzt arbeiten. Ab einer bestimmten Punktezahl (gestaffelt) soll ein Freizeitausgleich erfolgen. Die Hoffnung dabei: dadurch würde ökonomischer Druck auf die Klinikleitungen ausgeübt, um neue Kolleg:innen einzustellen.

Doch zum einen zögern diese – wie bei Vivantes in Berlin, in NRW erhalten sie 1 ½ Jahre Zeit, um eine entsprechende Software einzuführen – die Umsetzung dieses Punktesystems hinaus. Zum anderen kann diese Verfahrensweise auch dazu führen, dass es zum Aufbau von Langzeitarbeitszeitkonten missbraucht wird, ohne dass es zu einem sofortigen Freizeitausgleich kommt. Damit verpufft die Wirkung.

Die Kolleg:innen selbst – dafür würden sich die Teamdelegierten bzw. der Delegiertenrat anbieten – müssen über die Sanktionen entscheiden können, wenn die Regelungen nicht eingehalten werden: wie Bettensperrungen, Nichteinbestellung von Patient:innen, Verschiebung von nicht sofort notwendigen OPs etc. Diese hatten schon während der Streikphase – sofern keine Notdienstvereinbarungen zustande kamen – selbst entschieden, wann wie viele Betten gesperrt oder Patient:innen einbestellt werden.

Vor Einführung der Punkteregelung in den TVE waren u. a. solche Maßregeln vorgesehen. Die Entscheidung darüber lag aber bei den Pflegedienstleitungen, die letzten Endes der Klinikleitung gegenüber rechenschaftspflichtig sind und nicht den Kolleg:innen. Aber es sind Letztere selbst, die ein ernsthaftes Interesse daran haben, dass sich die Arbeitsbedingungen ändern müssen. Deswegen müssen sie die Entscheidungen über Sanktionen in den Händen halten.

3. Bundesweiter Kampf aller Kliniken für mehr Personal statt Häuserkampf:

Der TVE in NRW wurde in einem 79-tägigen Durchsetzungsstreik aller 6 Unikliniken durchgesetzt. Das ist der richtige Weg, um mehr Schlagkraft gegenüber den Klinikleitungen zu entwickeln. Alle Kliniken – egal ob privatwirtschaftlich organisiert oder noch unter kommunaler oder Landesverwaltung stehend – müssen von ver.di gemeinsam in den Kampf für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen geführt werden.

Dafür würde sich die Tarifrunde im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen anbieten: Alle Kolleg:innen aus den kommunalen Krankenhäusern sind zu Streiks aufgerufen zusammen mit denen aus dem Erziehungsbereich, die auch seit Jahren unter Personalmangel leiden.

Die Aktivist:innen aus den beiden Krankenhausbewegungen, die Veranstaltungen organisieren und ein persönliches Netzwerk aufbauen, könnten zu einer bundesweiten Konferenz aller Kolleg:innen aus dem Gesundheitsbereich aufrufen und dort über weitere Schritte für einen erfolgreichen Kampf für mehr Personal bundesweit diskutieren und entscheiden.

4. Notwendigkeit eines gesamtgesellschaftlichen Kampfes gegen Privatisierung und DRGs – bis hin zum politischen Streik:

Alle Erfahrungen aus den bisherigen Kämpfen für Entlastung zeigen: Das Hauptproblem liegt in der Finanzierung des Gesundheitssystems. Solange die DRGs, die nicht die Gesamtkosten einer Behandlung refinanzieren, existieren, solange im Gesundheitssektor – durch die Privatisierungen – das oberste Gebot die Profitlogik ist, wird sich an der Pflegemisere und Stellensituation in den Krankenhäusern nichts ändern! Deswegen:

  • Abschaffung der Fallpauschalen!

  • Für eine Refinanzierung, die die gesamten Behandlungskosten umfasst.

  • Rekommunalisierung und Verstaatlichung aller privatisierten Kliniken unter Kontrolle der Beschäftigten und Patient:innen, die ein Interesse an guten Arbeitsbedingungen und guten Gesundheitsversorgung haben.

Dafür braucht es eine gesellschaftliche Kraft: das Personal aus den Krankenhäusern zusammen mit dem in den Betrieben, die ein Interesses an einer guten, flächendeckenden Gesundheitsversorgung haben, gemeinsam für die Abschaffung der DRGs, Wiederverstaatlichung privatisierter Kliniken unter Kontrolle der Beschäftigten und der Patient:innen kämpfen. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die sich die DGB-Gewerkschaften gemeinsam auf die Fahne schreiben und dafür mobilisieren müssen bis hin zum politischen Streik!

  • Tarifrunde öffentlicher Dienst – Bund/Kommunen nutzen, um Strukturen aufzubauen, mit denen für ausreichend Personal und gute Arbeitsbedingungen gekämpft werden kann!

Leider hat ver.di davor zurückgeschreckt, diese Tarifrunde auch für den Kampf für mehr Personal zu nutzen. Dabei hätte man eine Verbindung über den Gesundheitsbereich hinaus organisieren können, denn die GEW-Kolleg:innen aus Berlin streiken bereits seit mehreren Wochen für einen Gesundheits-Tarifvertrag mit der Hauptforderung nach kleineren Klassen, weil auch hier der Personalnotstand eklatant ist. Die Bedingungen dafür wären gut: zum einen hatten die Beschäftigten aus den Unikliniken in NRW es allen praktisch vor Augen geführt, dass ein konsequenter gemeinsamer Kampf für mehr Personal erfolgreich in einem Tarifvertrag enden kann. Zum anderen sind gerade in dieser Tarifrunde alle Kolleg:innen aus den kommunalen Krankenhäusern zu Arbeitskampfmaßnahmen aufgerufen. Diese könnten zusammen mit Erzieher:innen und Lehrer:innen für insgesamt mehr Personal streiken verbunden mit einer Bezahlung, die auch tatsächlich die Preissteigerungen auffängt! Das erweitert die Durchsetzungskraft und wäre sicherlich für viele Kolleg:innen noch ein zusätzlicher Motivationsfaktor gewesen, sich in dieser Tarifrunde an Arbeitskampfmaßnahmen zu beteiligen. Es ist jetzt nötig, dass die Kolleg:innen in den verschiedenen gewerkschaftlichen Strukturen, seien es Vertrauensleute, Betriebsgruppen oder neu aufzubauende gewerkschaftliche Organe oder auch in lokalen Gremien, von den ver.di-Verantwortlichen verlangen, auch die Frage des Personalnotstandes bundesweit anzugehen! Dafür sind bundesweite Streiks für einen Flächentarifvertrag Entlastung und eine Kampagne gegen Privatisierung, Abschaffung der Profitlogik in der öffentlichen Daseinsvorsorge, wozu ja der ganze Gesundheitsbereich gehört, und für ein Ende des gesamten Fallpauschalensystems und für die Refinanzierung der realen Behandlungskosten nötig. Dies brauchen wir mehr denn je, da  durch die Pandemie und der dadurch angefallenen Versorgung vieler Schwerkranker auf Intensivstationen viele kommunale Krankenhäuser in eine finanzielle Schieflache gebracht wurden. Doch ändert auch die Lauterbach’sche „Revolution“ nichts am Fallpauschalensystem. Im Gegenteil! Die angestrebte verstärkte Ambulantisierung der Gesundheitsversorgung wird unwillkürlich zu einem weiteren Krankenhaussterben beitragen. Das Mindeste, was in dieser Tarifrunde passieren muss, und das ist nicht allein die Verantwortung der gewerkschaftlich Aktiven im Betrieb oder auf lokaler Ebene, sondern eben auch aller Gewerkschaftssekretär:innen, ist, dafür zu sorgen, dass funktionierende gewerkschaftliche Basisorgane in den Betrieben entstehen, die die Kolleg:innen nicht als Manövriermasse verstehen, sondern als aktive Kämpfer:innen für bessere Arbeitsbedingungen und die tatsächlich Änderungen durchsetzen können.

Damit dies wirklich umgesetzt wird, ist es nötig, eine politische Kraft in ver.di, aber auch allen anderen Gewerkschaften zu organisieren. Diese muss sich bewusst gegen den Anpassungskurs der Gewerkschaftsführungen an die Interessen des Kapitals und der Regierenden stellen und sich zum Ziel setzen, die Gewerkschaften wieder zu handelnden Verteidigungsinstrumenten der gesamten Klasse umzukrempeln. Unserer Meinung nach sind die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) und ihre lokalen Strukturen im Moment das beste Mittel dazu, um darüber zu diskutieren und Konsequenzen fürs Handeln daraus zu ziehen (siehe auch unter: www.vernetzung.org).




Volle Mobilisierung für 10,5 %/500 Euro! Erzwingungsstreik!

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftsinfo der Gruppe Arbeiter:innenmacht zur Tarifrunde im Öffentlichen Dienst, Infomail 1214, 21. Februar 2023

Die „Arbeitgeber“verbände lehnen unsere Forderung ab. Angebot haben sie bis jetzt keines vorgelegt. Sie „wissen“ nur eins: unsere Forderung sei „wirtschaftlich nicht verkraftbar“. Wir sagen: 8 % Inflation und die Reallohnverluste der letzten Jahre sind für uns nicht verkraftbar!

Nach den Coronajahren, in denen wir mit Einmalzahlungen abgespeist wurden, stehen wir nun massiven Preissteigerungen gegenüber, die gerade bei Heizung, Energie und Lebensmitteln noch über der offiziellen Inflationsrate liegen. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht.

Wir dürfen uns aber auch nichts vormachen. Wenn wir unsere Forderungen durchsetzen, einen Abschluss wollen, der über der Inflationsrate liegt, dann werden Warnstreiks nicht reichen. Wir müssen uns auf eine politische Kraftprobe mit Bund und Kommunen einstellen, die nicht nur von den Regierungen, sondern auch von der bürgerlichen Presse und vom Kapital in allen Branchen unterstützt werden. Daher sollten wir uns nicht auf monatelange Rituale und Verhandlungen einlassen, sondern möglichst schnell die Urabstimmung einleiten und einen landesweiten Erzwingungsstreik aller Beschäftigten vorbereiten und durchführen.

Keine faulen Kompromisse! Nein zur Mogelpackung Einmalzahlung!

Unsere Gewerkschaften wie auch die Tarifkommission müssen Einmalzahlungen weiter eine Absage erteilen und unsere Forderungen nach 10,5 % mehr Lohn, aber mind. 500 Euro bei einer Laufzeit von 12 Monaten ohne Wenn und Aber vertreten.

Jedoch wenn wir die Tarifrunden der IG Metall oder IGBCE anschauen, müssen wir wachsam sein. Dort wurden Einmalzahlungen vereinbart. Im Gegenzug wurden die Lohnforderungen zurückgeschraubt sowie einer längeren Laufzeit zugestimmt. Bei der IG Metall wurde die hohe Streikbereitschaft nicht genutzt. Das Ergebnis für die Beschäftigten: schon wieder Reallohnverlust. Solche Mogelpackungen brauchen wir nicht.

Natürlich ist die Einmalzahlung für den Moment hilfreich. Aber der geht vorüber, die Inflation bleibt. Auch auf die Rente wird sie nicht angerechnet und die Arbeit„geber“:innen sparen die Krankenkassenbeiträge auf Kosten des Gesundheitswesens.

Tarifrunde von unten!

Eine der Lehren, die wir aus diesen Tarifrunden ableiten können: Wir können uns als Voraussetzung für einen Erfolg nicht auf den Gewerkschaftsapparat verlassen! Die Vorbereitungen rund um die Warnstreiks müssen genutzt werden, um Mitglieder zu gewinnen wie auch Mobilisierungsstrukturen in den Betrieben und Einrichtungen aufzubauen.

Die beiden Krankenhausbewegungen in Berlin und Nordrhein-Westfalen haben gezeigt, dass ein systematischer Gewinn von Mitgliedern wie auch erfolgreiche Tarifkämpfe selbst in Bereichen der Pflege möglich sind, die noch vor Jahren von ver.di als nicht streikfähig angesehen wurden.

Ob Gesundheitswesen, Bildung oder Verwaltung, ob Beschäftigte bei Bund oder Kommunen: Wir müssen alle zusammenhalten und uns gegenseitig unterstützen! Wie die Kolleg:innen in den Krankenhausbewegungen müssen wir unsere Forderungen selbst aufstellen und die Tarifkommission muss ständig die Mitglieder informieren. Dafür sind Streik- oder Streikdelegiertenversammlungen da!

Streikversammlungen als Kampfmittel!

Gute Beispiele stellen hier Anträge zur Aufkündigung der Schlichtungsvereinbarung dar. Ein solcher wurde auf einer Berliner Arbeitsstreikversammlung mit großer Mehrheit angenommen. Von der Aufstellung der Forderungen bis hin zur Streikführung und Entscheidung, wann der Streik zu Ende ist, müssen wir selbst bestimmen und kontrollieren. Die Uniklinik Essen kann hier als positives Beispiel für uns dienen. Dort wurden Delegierte aus allen Abteilungen in Streikkomitees gewählt und auf Streikversammlungen zusammengeführt. Diese diskutierten die jeweiligen Verhandlungen und beschlossen die weiteren Schritte des Arbeitskampfes wie auch seine Finanzierung. Die Delegierten waren gegenüber den Streikversammlungen rechenschaftspflichtig. Auf solchen regelmäßigen Streikversammlungen diskutieren dann die nach Tarif bezahlten Kolleg:innen den weiteren Weg zur Durchsetzung unserer Forderungen.

Weitergehende Forderungen

Hier können wir dann auch Forderungen diskutieren und beschließen, die über die derzeitigen Vorschläge für die Tarifrunde hinausgehen wie z. B. die starke Besteuerung großer Unternehmen und DAX-Konzerne, die auch während der Pandemie oder Energiekrise ihre Taschen gefüllt haben oder weiter füllen. Geld ist genug da! Deshalb können wir auch genauso gut die Wiedereinführung der Vermögens- wie Einführung einer Übergewinnsteuer in unsere Forderungen mit aufnehmen.

Ein Verweis wie in der ver.di-Tarifbroschüre, dass die finanzielle Situation der Kommunen gar nicht so schlecht sei, reicht hier nicht aus. Wichtiger ist hier, die Offenlegung der öffentlichen Finanzen und aller Verträge zur Auslagerung öffentlicher Dienste zu fordern. Nur so können wir und die Bevölkerung wirklich die Vorschläge der Gegenseite bewerten. Zusätzlich sollten wir auch jetzt schon Forderungen diskutieren, wie dem Personalmangel entgegengesteuert werden kann. Er ist in Krankenhäusern ebenso bekannt wie eklatant und stellt sich im Erzieher:innen- und Bildungsbereich sowie den sozialen Diensten nicht anders dar. Ein Element hierfür liefert sicherlich eine bessere Bezahlung. Wichtig ist darüber hinaus aber auch die Entlastung durch Einstellung zusätzlichen Personals. Der Kampf darf hier nicht auf einzelne Bundesländer und unabhängige Tarifverträge aufgeteilt werden. Hierfür benötigen wir unsere gesammelte Schlagkraft.

Vom Warnstreik zum unbefristeten Streik!

Diese wird von den Gewerkschaftsführungen auch in der derzeitigen Tarifrunde nicht ausgeschöpft. Die bisher durchgeführten Aktionen, Aktionstage und zeitlich versetzte Warnstreik können nur erste Schritte setzen. Aber sie reichen nicht. Wir müssen aber weitergehen und die volle Kampfkraft möglichst rasch entfalten.

Auch wenn es durchaus Sinn macht, einzelne Themen an unterschiedlichen Streikaktionstagen in den Vordergrund zu stellen, ist es unverständlich, warum nicht zu allen Warnstreiktagen die volle Belegschaft zum Streik mobilisiert werden soll. Dadurch kann in der breiten Mitgliedschaft darüber diskutiert werden, wie die unterschiedlichen Bereiche (Pflege, Bildung, Nahverkehr, Klimaschutz etc.) gemeinsam gedacht und verknüpft werden sollen.

  • Einzelne Streiktage reichen nicht! Schluss mit der Zersplitterung! Gemeinsame Aktionen mit Post, Bahn und allen anderen Kämpfen! Aufbau von Unterstützungskomitees, um die Öffentlichkeit zu informieren!

  • Wir brauchen einen Erzwingungsstreik! Vorbereitung und Einleitung der Urabstimmung anstatt monatelanger Verhandlungsrituale oder gar Schlichtung!

  • Für gläserne Tarifverhandlungen! Nein zu allen Gesprächen hinter verschlossenen Türen! Verhandlungen sollen öffentlich über das Internet übertragen werden, keine Abschlüsse ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Rechenschaftspflicht und Wahl der Tarifkommission durch die Basis!

  • Regelmäßige Streikversammlungen in allen Betrieben und Abteilungen! Wahl und Abwählbarkeit der Streikleitungen durch die Mitglieder!

Kündigt das Schlichtungsverfahren!

Wir dürfen darüber hinaus nicht zulassen, dass die Gegenseite über den Weg des Schlichtungsverfahrens den Streik aushebeln kann. Es gibt zwischen ver.di und dem Arbeit„geber“:innenverband ein Schlichtungsabkommen. Wenn eine der beiden Parteien eine Schlichtung einleiten will, ist das für beide Seiten zwingend. Während der Schlichtung herrscht Friedenspflicht. Nach dem Scheitern dieses Verfahrens könnte zwar die Urabstimmung eingeleitet werden. Aber aller Erfahrung zufolge ist nach einer längeren Phase der Friedenspflicht der Schwung raus und es wird kaum noch möglich sein, die Kolleg:innen zu mobilisieren.

Deswegen stellt in allen Gremien Anträge, dass dieses Schlichtungsabkommen, das nur der Arbeit„geber“:innenseite nützt, von ver.di sofort gekündigt werden muss! Anstatt Energie in ein Schlichtungsverfahren zu stecken, sollten wir diese lieber in die Organisierung eines flächendeckenden Vollstreiks aller Kolleg:innen investieren!

https://vernetzung.org/schlichtung-ist-kein-hebel-sondern-ein-knebel/




Ver.di: Vor einem Streikjahr?

Helga Müller, Neue Internationale 271, Februar 2023

In diesem Jahr stehen mindestens 5 größere Tarifrunden in Deutschland an! In diesem Frühjahr allein 3 wichtige Tarifrunden: bei der Post, im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen und im Nahverkehr Bayern. Es folgen die bei der Bahn und im Herbst im öffentlichen Dienst der Länder.

Und die Gehaltsforderungen lauten: bei der Post: 15 %, im öffentlichen Dienst und beim Nahverkehr Bayern 10,5 % und mindestens 500 Euro Festgeld. Letzterer hat bewusst die Forderungen des öffentlichen Dienstes übernommen. Sie verkörpern allesamt einen realen Ausgleich gegen die galoppierenden Inflation. Voraussetzung dafür wäre natürlich ihre volle Durchsetzung.  Dies ist nur möglich, wenn sich die Verantwortlichen von ver.di schnell dazu entscheiden, eine Urabstimmung für Erzwingungsstreiks durchzuführen.

Kampfstärke und Erfolgsaussichten

1. Alle Forderungen sind von den Kolleg:innen selbst durchgesetzt worden. Bei der Post z. B. hatten sich die gewerkschaftlich organisierten Kolleg:innen bei einer Mitgliederbefragung für eine deutlich höhere Entgeltforderung als die von der Tarifkommission (TK) vorgeschlagenen 10 % ausgesprochen und 90 % derjenigen, die sich an der Befragung beteiligten, waren auch bereit, dafür Arbeitskampfmaßnahmen zu ergreifen. Daraufhin hatte sich die TK zu der Tarifforderung von 15 % durchgerungen und eine Erhöhung für die Azubis von 200 Euro beschlossen. Auch bei ver.di gab es deutlich höhere Forderungen aus den Reihen der Kolleg:innen – bis zu 19 % –, die sie auch gegenüber der TK vehement vertreten hatten. Gerade die Festgeldforderung von 500 Euro würde für viele von ihnen, die sich in den unteren Entgeltgruppen befinden und besonders hart unter der Preissteigerung leiden müssen, eine Erhöhung von bis zu 21 % bedeuten.

2. In vielen Bereichen existiert auch eine hohe Bereitschaft, dafür in den Streik zu gehen. Bei der Post sind die Voraussetzungen besonders günstig, der Organisationsgrad hier ist traditionell sehr hoch. Dieser liegt bei 70 % bundesweit – wobei es hier auch starke regionale Unterschiede gibt. Vor allem bei Dienststellen mit vielen Teilzeit- oder befristeten Beschäftigten liegt der Organisationsgrad unter 50 %. Alles in allem jedoch gute Voraussetzungen, um einen Durchsetzungsstreik auszuhalten. Auch die bisherigen Warnstreiks werden von den Kolleg:innen sehr gut befolgt. Sie werden trotz anstrengender Arbeit schlecht bezahlt, verdienen im Bundesdurchschnitt 1.000 Euro weniger als andere Beschäftigte im Monat und mussten dazu noch einen Reallohnverlust von 7 % im Jahr 2022 erleiden. Die Arbeitsbedingungen werden von Jahr zu Jahr schlechter z. B. über ständig wechselnde und größere Zustellungsgebiete, sodass viele sich eine andere Arbeit suchen. Allein 2021 haben 10.000 Beschäftigte den Konzern verlassen. Gleichzeitig hat er 8,4 Milliarden Euro Gewinn eingefahren – das beste Ergebnis aller Zeiten! Dies alles wird die Kampfmoral zusätzlich steigern.

Auch wenn der öffentliche Dienst insgesamt nicht so gut organisiert ist, gibt es dort durchaus Bereiche wie Müllabfuhr, Erzieher:innen, Sozialarbeiter:innen und auch Belegschaften in einigen Krankenhäusern, die schon über viel Kampferfahrung verfügen. Zudem haben die dortigen Bewegungen in NRW und Berlin gezeigt, dass, wenn ein systematischer Mitgliederaufbau betrieben wird und die Kolleg:innen selbst über ihre Forderungen und die Vorgehensweise diskutieren und mitentscheiden können, auch wochenlange Durchsetzungsstreiks in diesen Bereichen möglich sind. Wie groß wäre erst wohl die Kampfstärke, wenn sie die komplette demokratische Kontrolle über den Kampf ausübten?

Im Nahverkehr sind die Kampferfahrungen hoch und selbst gut organisierte kurze Warnstreiks können sehr schnell den öffentlichen Nahverkehr lahmlegen, was den Druck auf die Kommunen erhöht. Hierbei muss gesagt werden, dass bundesweit betrachtet der Nahverkehr ein zerzauster Tarifflickenteppich ist. Während in Bayern dieses Jahr in der Runde des öffentlichen Dienstes mitverhandelt wird (aber auch hier nur bei den Betrieben, die in kommunaler Hand sind), sind andere erst nächstes Jahr dran. Zudem gibt es einige Betriebe mit Haustarifverträgen, z. B. die Berliner Verkehrsbetriebe oder die Hamburger Hochbahn. Das schwächt natürlich die Kampfkraft.

3. Zum anderen sind die Bedingungen auch deswegen günstig, da drei große Tarifrunden fast zeitgleich stattfinden: Die TK bei der Post verhandelt insgesamt für ca. 200.000 Beschäftigte (155.000 bei der Deutschen Post und 37.000 bei DHL), im öffentlichen Dienst für ca. 2,3 Mio. bei Bund und Kommunen und beim Nahverkehr Bayern für mehrere Tausend. Das sind über 2,5 Millionen Beschäftigte insgesamt!  Wenn diese in einer großen Tarifbewegung mit gemeinsamen Durchsetzungsstreiks und öffentlichkeitswirksamen Aktionen von den ver.di-Verantwortlichen zusammengeführt würden, wäre dies eine Kraft, die den Regierungen das Zittern beibrächte – ähnlich wie 1992 beim großen Streik im öffentlichen Dienst, bei dem auf dem Höhepunkt  sich zeitweilig mehr als 330.000 Arbeiter:innen und Angestellte im Ausstand befanden. Das wäre auch die Kraft, die eine Abwälzung der Krise auf die breiten Massen der Lohnabhängigen und Arbeitslosen, Rentner:innen, Jugendlichen und Migrant:innen verhindern könnte.

Die Kolleg:innen im Nahverkehr Bayern haben sehr bewusst die Forderungen des öffentlichen Dienstes übernommen und sich für gemeinsame Aktionen und Arbeitskampfmaßnahmen ausgesprochen. Zu Anfang war das wohl auch der Wille der TK bei der Post. Mittlerweile haben aber die Mitglieder dort bereits die zweite Verhandlung hinter sich, in denen sich die Vertreter:innen der Post stur stellen und die Forderung nach wie vor ablehnen und für überzogen halten. Die 3. und vorerst letzte Tarifverhandlung findet dort am 8./9. Februar statt, im öffentlichen Dienst die erste Verhandlung erst am 24. Januar. Ob es nach einem letzten schlechten Angebot von Arbeit„geber“:innenseite dann tatsächlich zu einer anschließenden Mitgliederbefragung und Urabstimmung über einen unbefristeten Streik kommt, wissen bisher nur die Götter! Insofern stehen die Postkolleg:innen im Moment alleine da und entsprechend provokativ verhalten sich auch die Konzernverhandlungsführer:innen

4. Zum Vierten haben sich verschiedene Initiativen, darunter die Kampagne „Genug ist Genug“ (GiG) und die Berliner Krankenhausbewegung dazu entschieden, Solidaritätsaktionen bis hin zu einer Großdemo in Berlin am 25. März zu organisieren. Auch auf der Videokonferenz  von GiG zur Information über darüber mit den Postkolleg:innen am 12. Januar gab es verschiedene Ideen zur Unterstützung ihrer Tarifrunde. Alle dort Postler:innen betonten die Notwendigkeit der öffentlichen Unterstützung. Sei es einfach, dass man zu Kundgebungen und Streiks kommt und seine Solidarität bekundet oder einfach ein paar unterstützende Worte vorträgt bis dahin, ihre berechtigten Anliegen in der Öffentlichkeit klarzumachen. Denn bei den Verhandlungen versuchen die Vertreter:innen des Unternehmens, die Forderungen für vollkommen überzogen und realitätsfern hinzustellen. Um sich diesen Verunglimpfungen in den Weg zu stellen und damit auch die aktive Solidarität der Leute in den Stadtvierteln zu gewinnen, ist die Unterstützung von außen sehr wichtig, z. B. mit Flyern, in denen die Forderungen begründet werden und darauf hingewiesen wird, unter welch miserablen Bedingungen sie arbeiten müssen. Am 3./4. März will GiG eine bundesweite Aktionskonferenz in Halle (Saale) organisieren, auf der mögliche Unterstützungsaktionen für die Kolleg:innen in den anderen Tarifrunden besprochen werden.

Schulterschluss mit fortschrittlichen Bewegungen

Im Bereich Nahverkehr – der großteils erst 2024 in Verhandlungen einsteigt – gibt es aus früheren Tarifrunden noch zahlreiche Verbindungen zur Klimabewegung und auch in dieser wird es zu gemeinsamen Aktionen mit ihr kommen! Hier gibt es auch ein ganz klares gemeinsames Interesse: Ausbau des öffentlichen Nah- statt Individualverkehrs und Aufbau des entsprechenden Personals – eine der Forderungen der dort tätigen Beschäftigten. Dies durchzusetzen, geht nur gemeinsam mit Aktivist:innen aus der Klimabewegung und Kolleg:innen anderer Bereiche.

Tarifrunde und Internationaler Frauenkampftag

Last but not least fällt der Tarifkampf – zumindest im öffentlichen Dienst, im Nahverkehr und evtl. auch bei  der Post, falls es nicht vorher zum Abschluss kommen sollte – auf den Internationalen Frauenkampftag am 8. März. Wie im letzten Jahr sollen Aktionen und Demonstrationen an diesem Tag zusammen mit den Kolleg:innen aus dem öffentlichen Dienst und Nahverkehr gemeinsam durchgeführt werden. Doch bisher lehnt der ver.di-Bundesvorstand es ab, an diesem Tag zu Warnstreiks aufzurufen. Nichtsdestotrotz gibt es im Landesbezirk Baden-Württemberg eine Initiative, an diesem Tag ausgewählte Mitglieder zu Arbeitsstreiks aufzurufen, einer Art Vorstufe zu Warnstreiks. Bei der Krankenhausbewegung spielte das in Berlin und NRW eine Rolle zur Sammlung einiger Hundert führender Aktien in Vorbereitung auf einen größeren Arbeitskampf. Gegen diesen Beschluss sollten nichtsdestotrotz alle ver.di-Gliederungen Protestresolutionen verabschieden.

Kampfesführung

Das A und O dafür, dass die Kämpfe erfolgreich geführt, also alle Forderungen erfüllt werden können, bleibt, dass die Kolleg:innen sich dafür einsetzen, auf breiten Streikversammlungen über den Verhandlungsstand informiert zu werden, diskutieren und entscheiden zu können, wie ihr Kampf weitergeführt wird. Diese Entscheidungen müssen sowohl für die TK als auch den Bundesvorstand, der letztlich über die Streiks entscheidet, bindend sein! Um diese Diskussionen organisiert führen zu können, sind gewählte Streikkomitees notwendig, die gegenüber den streikenden Kolleg:innen rechenschaftspflichtig und von ihren Vollversammlungen jederzeit abwählbar sind. D. h., diese müssen sich dafür einsetzen, dass sie selbst die Kontrolle darüber erringen. Erste Elemente dieser elementaren Arbeiter:innendemokratie haben sich in den beiden Krankenhausbewegungen von Berlin und NRW herauskristallisiert. Letzten Endes ist das nur möglich, wenn sich eine politische Kraft in ver.di und allen DGB-Gewerkschaften herausbildet, die bewusst den Kurs der Anpassung aller Gewerkschaftsführungen an Kapitalinteressen und angebliche Sachzwängen in einer antibürokratischen Basisbewegung bekämpft. Einen Ansatz dafür stellen heute die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften und ihre lokalen Strukturen dar.

Vorsicht Falle! Schlichtungsabkommen kündigen!

Eine gefährliche Bremse für die konsequente Führung des Arbeitskampfs bildet das Schlichtungsabkommen zwischen ver.di-Spitze und öffentlichen Dienstherr:innen. Die VKG schreibt:

„Aufgrund der unnötig von ver.di unterschriebenen Schlichtungsvereinbarung im öffentlichen Dienst hat sich die Gewerkschaft selbst dazu verpflichtet, sich bei einem Scheitern von Verhandlungen auf eine Schlichtung einzulassen, in der Friedenspflicht herrscht. Hier würde auch starker politischer Druck aufgebaut. Ver.di sollte diese Vereinbarung – sie ist bis einen Monat zum Quartalsende kündbar – sofort kündigen! Wenn die Schlichtung kommt, dann sollten Aktive darauf vorbereitet sein und massiven Druck von unten aufbauen, damit ein Schlichtungsergebnis – von dem schon jetzt klar ist, dass es nicht die notwendigen Erhöhungen beinhaltet – abgelehnt wird und unverzüglich Urabstimmung und Erzwingungsstreik erfolgen.“

Dem ist vollkommen beizupflichten und es ist rechtzeitig darauf zu drängen, dass der Gewerkschaftsvorstand es sofort kündigt, damit es ab April außer Kraft tritt. Diesbezügliche Petitionen sind zu verfassen, Mitglieder aus der VKG Berlin sind hier bereits mit gutem Beispiel in ihren jeweiligen Gewerkschaftsgliederungen vorangegangen. Unabhängig davon sollten alle Mitglieder sich nach Scheitern der Verhandlungen für die sofortige Einleitung der Urabstimmung einsetzen.




Fahimi muss zurücktreten! Schluss mit Interessensverrat und Sozialpartnerschaft!

Stellungnahme der VKG zu den Äußerungen der DGB-Vorsitzenden Yasmin Fahimi, 10. Januar 2023, Infomail 1210, 16. Januar 2023

Kurz vor Ende eines historischen Krisenjahres sorgt die Vorsitzende des DGB Yasmin Fahimi mit Statements für Unmut bei GewerkschafterInnen. Wie kann die Vorsitzende des DGB ernsthaft unterstützen, dass Konzerne, die mehr als 50 Millionen Euro „Krisenhilfe“ vom Staat erhalten, diese Millionen direkt als Dividende an die Aktionäre und als Boni an die Manager weiterreichen dürfen? Selbst die Regierung hat es nicht gewagt, sich hinter diese dreiste Forderung der Unternehmerverbände zu stellen. Aber sie, als Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes, der Vertretung von knapp 6 Millionen Beschäftigten, stellt sich auf die Seite des Kapitals. In einer Situation, in der Hunderttausende nicht wissen wie sie über die Runden kommen, unterstützt sie, dass Steuergelder an Bosse und Manager verschenkt werden.

Für Fahimi sind das „die normalen Mechanismen der Marktwirtschaft“. „Es mag ja sein, dass die einem nicht gefallen. Aber jetzt ist nicht die Zeit für kapitalismuskritische Grundsatzdebatten, sondern für effektives Handeln in der Realität.“ Mehr Zynismus wäre kaum denkbar von einer Gewerkschaftsführerin, die hier ohne Scham im Sinne des Kapitals argumentiert – gegen die Interessen der abhängig Beschäftigten, die sie als Vorsitzende vertreten sollte. Mit solchen Aussagen macht sie sich als Vorsitzende des DGB untragbar. Fahimi muss zurücktreten!

Zur Begründung ihrer Haltung, greift Fahimi die Schreckgespenster „Deindustrialisierung“, „Arbeitsplatzabbau“ und „Wertschöpfungskette Deutschland verlassen“ auf, die seit Jahrzehnten von Vertreter des Industriekapitals heraufbeschworen werden. Mit diesen Drohungen und Erpressungen haben die Konzerne in den letzten dreißig Jahren zahllose Verschlechterungen durchgesetzt. Sie haben Tausende Stellen abgebaut, die Löhne abgesenkt, in Tochterfirmen zu Niedrigstlöhnen ausgelagert…

Viele Mitglieder verlassen aufgrund solcher Stellungnahmen die Gewerkschaften, weil sie sich nicht mehr von ihnen vertreten fühlen. Solche Erklärungen setzen auch die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften auf’s Spiel.

Es ist nötig einen organisierten Kampf um eine politische und personelle Alternative in den Gewerkschaften zu führen, wenn wir diese als kämpfende Organisationen wieder und weiter aufbauen wollen. Gerade jetzt, gerade in der Krise, bei explodierenden Preisen, bei sinkendem Lebensstandard brauchen die Beschäftigten kämpferische Gewerkschaften an ihrer Seite, Gewerkschaften, die ihre Interessen vertreten, um sich gegen Angriffe und Erpressungen wehren zu können und die sozialen und tariflichen Errungenschaften zu verteidigen. Schluss mit Sozialpartnerschaft, Komanagement und Klassenverrat! Stärken wir einen kämpferischen Kurs und die innergewerkschaftliche Demokratie!




Tarifrunde Bund & Gemeinden – TVÖD: 10,5%, mindestens 500 € durchsetzen bei 12 Monaten Laufzeit!

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, ursprünglich veröffentlicht auf https://vernetzung.org, Infomail 1210, 13. Januar 2023

Wenn wir unsere Forderungen – 10,5%, mindestens 500 Euro monatlich mehr für alle Vollzeitbeschäftigten – durchsetzen, würde der Lohnverlust für 2023 verhindert.

Wenn es allerdings so läuft wie in der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie, wäre auch bei Kommunen und Bund der Reallohnverlust bis Ende 2024 festgeschrieben, denn bei Metall wurden mehrere Fallen eingebaut und der Abschluss ist keineswegs so gut wie in den Medien dargestellt.

Falle Nr. 1: Die Laufzeit

Die Rechnung ist eigentlich einfach, aber in den Medien und seitens der Gewerkschaftsvorstände werden die Gesetze der Mathematik zeitweise durch phantastische Märchen ersetzt. Bei einem Abschluss mit zwei Jahren Laufzeit und einer Erhöhung von zweimal 5% gibt es mitnichten eine Entgelterhöhung von 10%, denn diese muss pro Jahr berechnet werden. Die Inflation macht keine Pause, die Preise steigen auf jährlicher Grundlage um rund 10%. Eine längere Laufzeit ist nichts anderes als ein Lohnverlust auf Raten.

Falle Nr. 2: Die Einmalzahlung

Die bis zu 3000 Euro Einmalzahlung steuer- und abgabenfrei erscheinen vielen Kolleg*innen als der berühmte Spatz in der Hand. Es klingt echt, man hat es schon mal auf dem Konto, dringend benötigt für Nach- und Vorauszahlungen der Energie- und Nebenkosten. Doch die Einmalzahlung verpufft. Sie ist nicht tabellenwirksam. Die nächste Tarifrunde ein oder zwei Jahre später beginnt erneut auf einem niedrigen Niveau – denn die Arbeitgeber rücken die Einmalzahlung nur raus, wenn ver.di bei den Tabellen-Entgelten Zugeständnisse macht. Die Einmalzahlung zählt auch nicht bei der Berechnung von Krankengeld, Jahressonderzahlung, Arbeitslosengeld und Rente. Die Unternehmen sparen dadurch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Im öffentlichen Dienst ist etwas ähnliches schon 2020 mit der „Corona-Prämie“ passiert. Sie hat mit dazu beigetragen, dass die Löhne über die 27 Monate Laufzeit nur um 3,2 % erhöht wurden, während die Preise um 15,4 % gestiegen sind – das bedeutet 12,2 % Reallohnverlust. Eine Einmalzahlung – als Nachzahlung für die Verluste der vergangenen Jahre – wäre als Ergänzung zur klaren Erhöhung der Tabellen-Entgelte akzeptabel, jedoch nicht als Ersatz.

Falle Nr. 3: Die alte Leier von den knappen Kassen

Wir werden es täglich hören, wenn die Warnstreiks losgehen. Der Staat habe kein Geld, man brauche es dringend, um neue Leute einstellen und investieren zu können. Seit Jahren hat es nur bescheidene nominale Erhöhungen gegeben, die Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben in den 2000ern Reallohnverlust erlebt, dann einen kleinen Aufschwung Mitte der 2010er, danach ging es wieder bergab. Wurden in dieser Phase die Einsparungen seitens der Kommunen genutzt, um zu investieren, endlich genug Personal einzustellen? Alle kennen die Antwort. Kliniken, Schulen, Kitas, der öffentliche Personenverkehr und viele andere Bereiche sind weiter unterfinanziert und teilweise marode. Die Reichen und Konzerne werden nach wie vor nur gering besteuert. Während der Pandemie gingen die Subventionen vor allem an die Konzerne. Aktuell fahren Energie- und Rüstungskonzerne Rekordgewinne ein. Der Staat verzichtet darauf, diese Gelder abzuschöpfen. Wir sollen immer weiter bescheiden sein, während die Reichen reicher werden. Es ist genug Geld da, es ist nur in den falschen Händen!

Schlichtungsvereinbarung ist ein Knebel

Die Tarifrunde kann ganz einfach zu einem Misserfolg werden. Wenn die ver.di-Führung die Erzählung von den leeren Kassen akzeptiert, sich mit dem Slogan der “Stabilität” auf zwei Jahre Laufzeit einlässt und die 10,5% auf diesen Zeitraum ausdehnt – bei 16 bis 20% (oder noch höherer) Inflation. Wenn das Ganze dann noch mit halbherzigen und kleinteiligen Warnstreiks losgeht und der Abschluss erfolgt, bevor ver.di die Kampfkraft der Kolleg*innen entfaltet, ist das ein perfektes Paket für den Lohnverzicht.

Aufgrund der unnötig von ver.di unterschriebenen Schlichtungsvereinbarung im öffentlichen Dienst hat sich die Gewerkschaft selbst dazu verpflichtet, sich bei einem Scheitern von Verhandlungen auf eine Schlichtung einzulassen, in der Friedenspflicht herrscht. Hier würde auch starker politischer Druck aufgebaut. ver.di sollte diese Vereinbarung – sie ist bis einen Monat zum Quartalsende kündbar – sofort kündigen! Wenn die Schlichtung kommt, dann sollten Aktive darauf vorbereitet sein und massiven Druck von unten aufbauen, damit ein Schlichtungsergebnis – von dem schon jetzt klar ist, dass es nicht die notwendigen Erhöhungen beinhaltet – abgelehnt wird und unverzüglich Urabstimmung und Erzwingungs-streik erfolgen.

Erfolg durch konsequenten Arbeitskampf möglich

Es geht auch anders, wir können gewinnen: Klare Kante, nicht von den 12 Monaten Laufzeit abrücken. Mobilisierung der Belegschaften für die Verteidigung des Lohnniveaus. Flächendeckende Warnstreiks zu den Verhandlungsrunden. Lernen von den erfolgreichen Kämpfen an den Kliniken in Berlin (Charité und Vivantes) und Nordrhein-Westfalen (Unikliniken): Streikversammlungen mit Beschlüssen, die für die Tarifkommission bindend sind und volle Einbeziehung der Basis z. B. durch den Aufbau von Streikkomitees der Kolleg*innen, die alle wichtigen Entscheidungen in den Tarifverhandlungen diskutieren, um Erzwingungsstreiks vorzubereiten.

Im großen Streik im öffentlichen Dienst 1992 traten allein am ersten Streiktag 30.000 neue Mitglieder in die damalige ver.di-Vorgängerin ÖTV ein. Gewerkschaften werden im Kampf aufgebaut, nicht durch den Verzicht darauf. Wir können unsere Löhne verteidigen und damit Zehntausende Kolleg*innen davor retten, sich wegen der horrenden Energie-, Miet- und Lebensmittelkosten verschulden zu müssen.

Solidarität

Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst stehen nicht allein in einer Tarifauseinandersetzung. Auch die Beschäftigten bei der Post und der Bahn gehen mit ihren Forderungen in die Verhandlungen. Was liegt mehr auf der Hand, als diese Bereiche, die alle mit der öffentlichen Daseinsvorsorge zu tun haben, miteinander zu koordinieren? Gemeinsame Streikkundgebungen und Demonstrationen würden eine Machtdemonstration der Gewerkschaften darstellen und eine Stärkung der einzelnen Tarifrunden bedeuten. Diese könnten gemeinsam zu einer gesellschaftspolitischen Bewegung gemacht werden.

Klar ist, dass für eine solche Streikbewegung auch Solidarität in der Bevölkerung aufgebaut werden muss. Denn Kapital und Regierung würden einen solchen Erfolg verhindern wollen, der Schule machen könnte. Daher sollte auch über die DGB-Gewerkschaften eine systematische Solidaritätskampagne aufgebaut werden.

In der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) versammeln sich Kolleg*innen aus verschiedenen Branchen. Wir sind der Auffassung, dass die Gewerkschaften und damit die Beschäftigten insgesamt nur aus der Defensive herauskommen, wenn die Gewerkschaften Co-Management und “Sozialpartnerschaft” beenden und konfliktbereit und konsequent die Interessen ihrer Mitglieder gegen private Konzerne und öffentliche Arbeitgeber vertreten. In dieser Tarifrunde ist es notwendiger denn je, sich zu vernetzen, um gemeinsam Druck aufzubauen, so dass diese Tarifkämpfe zum Erfolg geführt und die Gewerkschaften gestärkt werden können!




Der Fall Orhan Akman – ein Sittenbild der ver.di-Bürokratie

Helga Schmid, Infomail 1208, 28. Dezember 2022

Seit Monaten würgen ver.di-Verantwortliche interne Kritik gegen überholte Strukturen und falsche politische Ausrichtung mit bürokratischen Mitteln ab. Dabei scheuen sie auch nicht davor zurück, den „Fall“, den sie selbst erst geschaffen haben, vor bürgerliche Gerichte zu bringen.

Mit schikanösen Vorwürfen und Maßnahmen geht der Apparat seit gut sechs Monaten gegen Orhan Akman, ver.di-Bundesfachgruppenleiter für Einzelhandel und Versand, vor. Dazu zählen: zwei Ermahnungen, zwei fristlose Kündigungen (sowie eine dritte, beabsichtigte Kündigung, die dann aus formalen Gründen nicht mehr ausgesprochen wurde), Zutrittsverbot in sein Büro, Abberufung von seiner Funktion als Bundesfachgruppenleiter Einzel- und Versandhandel und Widerruf aller ihm erteilten Tarifvollmachten.

Gericht entscheidet gegen bürokratischen Apparat

Am 13. Dezember hat nun das Arbeitsgericht Berlin die Klage von Orhan Akman gegen seine Kündigung zu seinen Gunsten entschieden und ihm in allen Punkt Recht gegeben (mehr unter: https://orhan-akman.de/).

Der Fall Orhan Akman hat in den letzten Monaten sowohl innerhalb ver.dis, aber auch in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt. Viele Gliederungen der Gewerkschaft, Betriebsräte, vor allem aus dem Handel, und Einzelpersonen haben sich gegen die ungerechtfertigte Kündigung gewendet und sich für ihre Rücknahme ausgesprochen. Auch persönliche Vermittlungsangebote zwischen Bundesvorstand und Orhan Akman sind insbesondere bei ver.di-Chef Werneke auf Granit gestoßen.

Daraufhin ist Orhan vor Gericht gezogen und hat nun Recht bekommen. Vordergründig ging es um seine – in den Augen des Bundesvorstands – dreiste Kandidatur zum Bundesvorstand gegen seine Kollegin Silke Zimmer. Diese war, nachdem die bisherige Kollegin im Bundesvorstand und Leiterin des Fachbereichs Handel ihren Rücktritt erklärt hatte, vom Bundesfachbereichsvorstand als Kandidatin für den Bundesvorstand gewählt worden. Darüber hinaus werden ihm sein angeblich ungebührliches Verhalten seiner bisherigen „Chefin“ gegenüber vorgeworfen sowie die angebliche Weitergabe von ver.di-Interna an die Presse.

Politische Positionen

Selbst wenn all das der Fall gewesen sein sollte, ist dies kein Kündigungsgrund. In Wirklichkeit sind alle diese Gründe vorgeschoben. Im Wahrheit geht es um seine politische Position, die er mittlerweile auch über seine Website öffentlich gemacht hat. Dort spricht er sich dafür aus, dass sich ver.di nicht mehr einen teuer bezahlten bürokratischen Wasserkopf mit Doppelstrukturen leisten, sondern näher an den Konflikten und Bedürfnissen der Belegschaften und Betriebe sein sollte, um der Krise in den Gewerkschaften und insbesondere bei sich selbst entgegenzuwirken.

Weitere Gründe für den anhaltenden Mitgliederverlust sieht er darin, dass „das beitragszahlende Mitglied immer mehr entmachtet wird und sich in der eigenen Gewerkschaft immer weniger wiederfindet.“  Stattdessen müssen „Beteiligung und demokratische Strukturen“ nicht nur Teil der Satzung sein, sondern auch aktiv umgesetzt werden. Weiterhin schlägt er statt ständiger Umstrukturierungsprojekte, die letztlich nur darauf hinauslaufen, Geld einzusparen, eine andere Ausrichtung der Tarifpolitik vor, die sich an „Wertschöpfungs- und Lieferketten“ orientieren und den nationalen Rahmen auch verlassen müsse. Und dafür müssen die Fachbereiche auch entsprechend ausgerichtet werden. Auch fordert er, das politische Mandat neu aufzugreifen. Politische Streiks gegen Preissteigerungen dürfen kein Tabu sein oder nur auf dem Papier stehen, sondern müssen aktiv von ver.di forciert werden statt sinnloser Appelle an die Regierung wie derzeit wieder in der Konzertierten Aktion.

Alles Vorschläge und Argumente, die nicht nur wir unterstützen können, sondern die auch die gesamte Gewerkschaft und deren Strukturen ernsthaft diskutieren und entscheiden sollten. Dafür müssten die Gewerkschaftsverantwortlichen einen Rahmen schaffen. Ein Vorgehen, das „eigentlich“ ganz normal wäre, wenn man ernsthaft die Krise – sprich den ständigen Mitgliederschwund – in der Organisation bekämpfen will. Aber statt seine Kritik aufzunehmen und darum eine Diskussion in der gesamten Organisation anzuregen und einen Rahmen dafür zu bieten, reagiert der Bundesvorstand mit bürokratischen Maßnahmen gegen Orhan Akman, der seit 20 Jahren aktiv als Hauptamtlicher – unter anderem auch mehrere Jahre in Südamerika – versucht, ver.di als aktiv handelndes Organ der Kolleg:innen erfahrbar zu machen.

Lange hat Orhan Akman dies im politischen Rahmen der Gewerkschaftsbürokratie – als bislang akzeptierter linksreformistischer Teil – betrieben und damit durchaus eine integrative Rolle für den Apparat erfüllt. Aber dass selbst Kritik aus den eigenen Reihen – auch wenn Orhan als eine Persönlichkeit in ver.di bekannt ist, die immer gerne aneckt – versucht wird, mit bürokratischen Mitteln zu ersticken, wirft ein zweifaches Licht auf das Verhältnis der Gewerkschaftsverantwortlichen zur Organisation.

a) Wenn schon in den eigenen hauptamtlichen Reihen keine Kritik zugelassen wird, wie wird mit Kritik aus den Reihen der Ehrenamtlichen und „normalen“ Mitglieder umgegangen? Von einer demokratischen Diskussionskultur in ver.di kann damit nicht mehr gesprochen werden. Im Gegenteil, bürokratisches Abwürgen wird immer mehr die Regel werden. Orhan ist leider nicht der erste Fall, Kritik mit bürokratischen Mitteln bis hin zur Kündigung zu begegnen.

b) Seine Kritik zielt natürlich indirekt auch auf die Pfründe von vielen Hauptamtlichen, die es sich über Aufsichtsratsposten – auch wenn die Aufwandsentschädigungen laut Satzung an ver.di zurückbezahlt werden müss(t)en – oder eine im Vergleich zu vielen Kolleg:innen in den Betrieben bessere Bezahlung oder andere Annehmlichkeiten – sei es „nur“ die Anerkennung durch die Geschäftsführungen als zuverlässige/r Verhandlungspartner:in – in der bestehenden Gesellschaftsordnung gemütlich eingerichtet haben. Diese besondere Schicht von Gewerkschaftsbürokrat:innen will sich natürlich genau diese Annehmlichkeiten und ihre Funktion als Vermittler:in zwischen Lohnarbeit und Kapital nicht wegnehmen lassen und verteidigen diese bis aufs Messer.

Aber die Reaktion auf die völlig absurde Kündigung von Orhan Akman, die sich auch positiv auf seine Vorschläge zur Überwindung der Krise in ver.di bezieht, zeigt, dass es innerhalb der Mitgliedschaft ein großes Bedürfnis gibt, genau über diese Fragen zu sprechen und die Gewerkschaft wieder in ein Organ zur Verteidigung der Interessen der Kolleg:innen zu verwandeln. Eine demokratische Diskussion, die wir alle verteidigen müssen und die auch organisiert zu werden bedarf. Dabei dürfen wir uns aber nicht allein auf Orhan Akman verlassen – mit allem Respekt vor seinem Mut und seiner Beharrlichkeit, dem Druck von oben nicht nachzugeben – oder auf andere Gewerkschaftsverantwortliche, die durchaus mit seinen Positionen sympathisieren. Wir – die Gewerkschaftsmitglieder – müssen dies selbst in die Hand nehmen. Einige Gliederungen wie z. B. die Senior:innen aus München haben Orhan eingeladen, um mit ihm über seine Kündigung und Vorschläge zur Überwindung der Krise zu diskutieren.

Lasst uns Diskussionen örtlich, regional bundesweit in ver.di, aber auch außerhalb der Gewerkschaft organisieren! Bei diesen muss alles auf den Tisch kommen, angefangen von demokratisch gestalteten Tarifrunden, bei denen die Streikenden selbst über den Kampf und das Ergebnis diskutieren und entscheiden können müssen, bis hin zur Frage des politischen Streiks gegen NATO- und Bundeswehraufrüstung im Zuge des Krieges in der Ukraine oder gegen Preissteigerung, und wie dieses umgesetzt werden kann.

Das ist eine langwierige Auseinandersetzung. Was wir dafür brauchen, ist eine organisierte Kraft in ver.di und den anderen Gewerkschaften, die sich regelmäßig trifft und bespricht, welche Initiativen ergriffen werden können, um ver.di und alle Gewerkschaften wieder zu Klassenkampforganen umzugestalten, die die Interessen der Lohnabhängigen, Arbeitslosen, Frauen, Jugendlichen Migrant:innen, der sexuell Unterdrückten und Rentner:innen gegen Kapital und Regierung ohne Wenn und Aber verteidigen. Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften bietet dafür einen Rahmen – und zugleich muss sie die Tarifrunde nutzen, um VKG-Gruppen vor Ort und in Betrieben aufzubauen.

Solidarität mit Orhan Akman! Lasst uns weitere Diskussionen in den Orten, Regionen und bundesweit über seine Positionen organisieren!




Tarifrunde öffentlicher Dienst – Mit dem üblichen Ritual ist nichts zu gewinnen

Helga Müller, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

Auch die ver.di-Tarifkommission verspürt Druck – zumindest ansatzweise. Am 11. Oktober beschloss sie aufgrund des Aufbegehrens von Kolleg:innen aus vielen Dienststellen und Betrieben die Forderungen für die Tarifrunde bei Bund und Kommunen: 10,5 % für alle, 500 Euro Festgeld für die unteren Lohngruppen, eine Laufzeit von 12 Monaten.

Die Festgeldforderung würde für die unteren Lohngruppen eine Steigerung bis zu 20 % – also tatsächlich einen Inflationsausgleich – bedeuten. Angesichts einer Preissteigerung von rund 10 % ist die volle Durchsetzung der Forderungen für die 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen dringend nötig.

Darüber hinaus bemängelt ver.di in ihrer Tarifbroschüre die nach wie vor existierende Lohnlücke zwischen dem Verdienst im öffentlichen Sektor und der Privatwirtschaft: „Gegenüber dem Jahr 2000 sind die Einkommen der Beschäftigten bei Bund und Kommunen um 59 Prozent gestiegen. In der Gesamtwirtschaft hingegen betrug das Plus in diesem Zeitraum 63,1 Prozent.“

Übliches Tarifrundenritual?

Ver.di attestiert der kommenden Auseinandersetzung eine „historische Dimension“. Trotzdem wird in der Planung am üblichen, um nicht zu sagen üblen, Tarifritual festgehalten. Drei schon lange vor den Kampfmaßnahmen angesetzte Verhandlungen mit den öffentlichen Arbeit„geber“:innen mit ein paar Warnstreiks dazwischen, um ein bisschen Druck auf Kommunen und Bund auszuüben. Am dritten und letzten Verhandlungstag wird dieser Regie zufolge nach einer Marathonsitzung schweißgebadet ein fauler Kompromiss verkündet werden. Dass das nicht ausreichen wird, um die Forderungen auch nur annähernd durchzusetzen, wissen eigentlich alle.

Kein Wunder also, dass schon jetzt die betrieblichen Funktionär:innen darauf vorbereitet werden, dass ein Abschluss wie in der IG Metall zu erstreben sei und es ein Erfolg wäre, wenn dieses Ergebnis auch im öffentlichen Dienst durchgesetzt werden würde. Dabei wissen wir alle, dass dieser Abschluss in der noch immer mobilisierungsstarken Metall- und Elektroindustrie einen Reallohnverlust bedeutet (siehe dazu auch die Analyse des Abschlusses in dieser Ausgabe der NI).

Vor allem aber stellt diese „Vorbereitung“ der Tarifrunde einen Schlag ins Gesicht der Kolleg:innen – z. B. aus dem Krankenhausbereich – dar, die sich mit Vehemenz für die hohen Forderungen ein-und diese durchgesetzt hatten. In einzelnen Dienststellen wurden Forderungen um die 19 % erhoben, um die Tarifrunde auch zu einem Kampf gegen die Auswirkungen der Inflation geraten zu lassen.

Auch wenn die Mobilisierungsfähigkeit in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes sehr unterschiedlich ist, das Arbeiten im Home-Office diese nicht gerade fördert und die Forderungen auch auf unterschiedliche Resonanz stoßen, so ist es doch möglich, angesichts der Inflation eine größere Bewegung im öffentlichen Dienst hinzubekommen. Die Situation ist günstig: Auch der Tarifvertrag der Beschäftigten bei Bussen und Bahnen läuft Ende diesen Jahres ab. Die Kolleg:innen haben für ihre Tarifrunde bewusst die Forderungen des öffentlichen Dienstes übernommen, weil auch sie sich als einen Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge verstehen, und wollen auch gemeinsame Streiks und Kundgebungen mit den Kolleg:innen aus dem öffentlichen Dienst organisieren. Hier kommen nochmal 100.000 Kolleg:innen dazu, die die Kampfkraft noch steigern können.

Was tun?

Um die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Tarifrunde zu schaffen, dürfen und können wir uns nicht auf den Apparat verlassen. Es gilt vielmehr, dass wir schon in der Vorbereitung für einen kämpferischen Kurs eintreten. Dabei sollten wir uns in einem ersten Schritt auf jene Belegschaften beziehen, die hohe Tarifforderungen gestellt haben, aber diese auch in alle Bereiche ausweiten:

a) Die Vorbereitungen auf die ersten Warnstreiks – oder, wie ver.di das nennt, den Stärketest – müssen genutzt werden, um Mitglieder zu gewinnen. Die beiden Krankenhausbewegungen in Berlin und Nordrhein-Westfalen haben gezeigt, dass ein systematischer Aufbau von Mitgliedern auch in Bereichen wie der Pflege möglich ist, die noch vor wenigen Jahren von ver.di nicht als streikfähig angesehen wurden. Ihre Kämpfe der letzten Jahre haben bewiesen, dass sich auch längere Streikphasen durchstehen lassen.

b) Die Belegschaften müssen diesen Kampf als den ihren begreifen. Die Kolleg:innen in den beiden Krankenhausbewegungen haben bewiesen, dass auch dies möglich ist. Sie haben ihre Forderungen selbst aufgestellt und wurden auch in die Verhandlungen der Tarifkommission mit den Unikliniken miteinbezogen. So konnte ein 79-tägiger Streik in NRW auch wirklich durchgehalten werden.

c) Die Kolleg:innen müssen ihren Kampf – angefangen bei der Aufstellung der Forderungen bis hin zur Streikführung und Entscheidung darüber, wann der Streik zu Ende ist – selbst bestimmen und kontrollieren können. Dafür gab es in den Krankenhausbewegungen auch Elemente eines eher demokratisch geführten Tarifkampfes.

An der Uniklinik Essen ging das am weitesten: Ähnlich wie beim ersten Streik für einen TV Entlastung 2018 haben die Kolleg:innen ein Streikkomitee gegründet, gewählt aus den verschiedenen Abteilungen, mit Hilfe dessen sie ihren Kampf diskutiert, entschieden und kontrolliert haben.

d) Es braucht auch Diskussionen, Beiträge und Flyer, die auch die Frage der Finanzierung der öffentlichen Haushalte aufgreifen. Und es braucht Forderungen wie die massive progressive Besteuerung der großen Unternehmen und Dax-Konzerne, die auch während der Pandemie und Energiekrise hohe Profite eingestrichen haben, sowie die Wiedereinführung der Vermögens- und Einführung einer Übergewinnsteuer. Ein Verweis darauf – wie in der ver.di-Tarifbroschüre –, dass die finanzielle Situation der Kommunen gar nicht so schlecht sei, reicht nicht. Wichtig ist vielmehr, die Offenlegung der öffentlichen Finanzen und aller Verträge zur Auslagerung öffentlicher Dienste zu fordern. Vor allem aber muss die Frage ins Zentrum gestellt werden, welche Klasse – Kapital oder Lohnabhängige – für öffentliche Versorgung mittels Steuern aufkommen muss.

e) Last, but not least muss in den verschiedenen Dienststellen und Einrichtungen auch jetzt schon die Diskussion begonnen und den Kolleg:innen eine ernsthafte Perspektive geboten werden, wie dem Personalmangel entgegengesteuert werden kann. Er ist in den Krankenhäusern ebenso bekannt wie eklatant, aber auch im Erzieher:innen- und im Bildungsbereich hat die Pandemie mehr als deutlich gemacht, dass Personal fehlt. Ein Element ist sicherlich eine bessere Bezahlung, um mehr Kolleg:innen für diese Bereiche zu gewinnen. Wichtig ist aber, den Kampf um mehr Personal nicht nur auf einzelne Krankenhäuser oder Einrichtungen zu beschränken, sondern ihn gemeinsam und bundesweit zu führen mit einer Kampagne gegen Privatisierung und für eine Finanzierung der Krankenhäuser und aller Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge entsprechend dem realen Bedarf. Hier spielt auch die Frage der kollektiven Arbeitszeitverkürzung für alle bei vollem Lohn- und vor allem Personalausgleich eine große Rolle.

In dieser Tarifrunde ist es vor allem wichtig, in betrieblichen wie örtlichen gewerkschaftlichen Gliederungen Beschlüsse, Anträge zu formulieren, dass es darum geht, die Forderungen – vor allem das Festgeld von 500 Euro bezogen auf eine Laufzeit von 12 Monaten – auch wirklich durchzusetzen. Dafür muss die Urabstimmung für unbefristete Streiks nach den ersten Warnstreiks eingeleitet werden. Darüber hinaus geht es darum, dass die Tarif- und Verhandlungskommission nicht nur die „Stimmung der Beschäftigten in den Verwaltungen und Betrieben“ (wie es in der ver.di-Tarifbroschüre heißt) in Bezug auf den Abschluss einholt, sondern die Kolleg:innen in Streikversammlungen über das Ergebnis informiert werden, darüber diskutiert und entschieden wird – wie in der NRW Krankenhausbewegung geschehen. Etwaige Verhandlungen müssen öffentlich und offen geführt werden, nicht im Hinterzimmergesprächen sog. „Tarifexpert:innen“. Kein Abschluss ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Schnellstmögliche Einleitung der Urabstimmung statt monatelanger Verhandlungsrituale!

Dafür ist es notwendig, dass sich die Kolleg:innen über die Betriebe und Orte hinweg koordinieren und Absprachen treffen, wie am besten die Absicht der ver.di-Führung, auch diese Tarifrunde auf das übliche Ritual zu beschränken, durchbrochen werden kann. Ein Zusammenschluss von aktiven Kolleg:innen, die sich nicht mit den faulen Kompromissen abfinden, sondern einen ernsthaften Kampf gegen Inflation und Personalmangel führen wollen, ist mehr als notwendig. Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften bietet dafür einen Rahmen – und zugleich muss sie die Tarifrunde nutzen, um VKG-Gruppen vor Ort und in Betrieben aufzubauen.




Krankenhauspflege: Streiks und Reformen

Jürgen Roth, Infomail 1205, 30. November 2022

Nach bundesweiten Warnstreiks und 5 Verhandlungsrunden einigten sich Gewerkschaft und Klinikleitung lt. ver.di-Pressemitteilung vom 11.11.2022 auf einen Tarifvertrag bei der Sana AG.

Sana AG

Rund 10.000 Beschäftigte fallen unter den Konzern(haus)tarifvertrag. Deren Entgelte erhöhen sich – allerdings erst ab 1.6.2023 – um 7 %, mindestens aber 200 Euro. Zudem wurden Einmalzahlungen (2.000 Euro 2022, 500 Euro 2024) sowie höhere Zulagen vereinbart. Darüber hinaus gibt es ein Angebot des Konzerns, Teil der eigenen privaten betrieblichen Krankenversicherung zu werden.

Dem Abschluss waren Warnstreiks in Berlin und Nürnberg vorgegangen, nach die Beschäftigten schon im Oktober die Arbeit niedergelegt hatten. Zur 5. Verhandlungsrunde hatte ver.di zu einer Demo am Stammsitz in München mobilisiert. In Hof (Oberfranken) hatte am 14.10. etwa die Hälfte aller Pflegekräfte die Arbeit niedergelegt. In Nürnberg und Pegnitz erreichten die Warnstreiks am 20.10. ihren ersten Höhepunkt. Am gleichen Tag umzingelten die Lichtenberger:innen die ver.di-Zentrale in Berlin, wo die Verhandlungen stattfanden. Auf dieser Kundgebung erzählten Pflegende von Fortbildungen, die sie selbst bezahlen müssen und oft nicht mit Lohnsteigerungen verbunden sind, von überbelegten Kinderintensivbetten und der Arroganz ihrer Chef:innen, man könne ja das Unternehmen wechseln, wenn einem die Zustände nicht passten.

Ergebnisdetails

Im Einzelnen sieht das Tarifergebnis folgende Regelungen vor: Die Tabellenentgelte steigen zum 1. Juni 2023 um 7 Prozent, mindestens jedoch um 200 Euro monatlich; die Vergütungen für Auszubildende erhöhen sich zum selben Zeitpunkt um 100 Euro pro Monat. Ende dieses Jahres erhalten die Beschäftigten (Teilzeit anteilig) eine steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung in Höhe von 2.000 Euro; Auszubildende erhalten dann eine Einmalzahlung in Höhe von 750 Euro. Zum 30. April 2024 erhalten die Beschäftigten (Teilzeit anteilig) eine weitere Einmalzahlung von 500 Euro, die für langjährig Beschäftigte um 100 Euro aufgestockt wird. Auszubildende bekommen zum selben Zeitpunkt noch einmal 200 Euro. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit bis 30. April 2024. Zudem werden die Zulagen, unter anderem für Wechselschicht und die Pflegezulage deutlich erhöht, ebenso die Zuschläge für Nachtarbeit und der Zuschuss zur betrieblichen Altersvorsorge. Neu eingeführt wird eine monatliche Zulage für langjährig Beschäftigte: Ab 20 Jahren bei Sana sind es 50 Euro, ab 30 Jahren 75 Euro und ab 40 Jahren 100 Euro.

Die Tarifkommission kündigte eine Mitgliederbefragung an, die bis zum 25.11.2022 abgeschlossen sein sollte. Natürlich ist deren Ergebnis nicht bindend, weil es nicht zum Vollstreik nach Urabstimmung kam.

Was ist mit Entlastung?

Für viele Beschäftigte ist ein Entlastungstarifvertrag eine weitere Option. So ist z. B. die Klinik in Berlin-Lichtenberg gut organisiert. Scheinbar großzügig erklärte ver.di, man werde die Kolleg:innen dabei unterstützen, sollten sie sich dafür entscheiden. Abgesehen davon, dass eine solche Entscheidung ohne funktionierende gewerkschaftliche Betriebsgruppe bzw. Vertrauensleutekörper schon kaum zu treffen sein wird, dürfte im unwahrscheinlichen Fall ihres Zustandekommens der Apparat bestenfalls auf einen Häuserkampf einschwenken. So schiebt er die Verantwortung und Initiative an die Basis weiter. Kein Wunder, wo er doch mal wieder wie bisher stets üblich Lohn- und Entlastungstarif künstlich trennt.

Nebenbei bemerkt: In punkto Tarifvertrag Entlastung stellt sich die GEW Berlin gerade als Speerspitze mit dem 6. Warnstreik im Lauf der letzten Woche (3.000 plus Teilnehmer:innen) auf. So erfuhren wir dort, dass die Aufnahme von Entlastungsforderungen durch Druck auf den bundesweiten Apparat in der nächsten Ländertarifrunde erfolgen soll. Diesem Beispiel folgt die Gewerkschaft ver.di für die nichtärztlichen Krankenhausbeschäftigten leider nicht, sondern beschränkt sich auf flächendeckende Tarifrunden nur in der Frage der Entlohnung, nicht Entlastung. Hier blieb es beim „Häuserkampf“ großer Kliniken wie an den Universitäten oder bei Vivantes Berlin.

Chancen

Die Sana AG ist Deutschlands drittgrößter privater Krankenhauskonzern, betreibt 44 Akutkrankenhäuser, 3 Herzzentren, 4 orthopädische Fach- und 3 Rehakliniken, 4 Pflegeheime und 28 Medizinische Versorungszentren. Insgesamt arbeiten 36.000 Menschen bei Sana.

Unter den Konzerntarifvertrag fallen aber nur 20 Kliniken. Das ist nur etwas mehr als ein Viertel aller Beschäftigten. Zunächst hatte ver.di einen Sockelbetrag von 150 Euro und 8 % linear für eine Laufzeit von 12 Monaten gefordert.

Kurz zuvor kämpften die Beschäftigten der 4 Unikliniken Baden-Württembergs für bessere Bedingungen und höhere Löhne und legten die Arbeit nieder. Ebenfalls wird es wohl demnächst im Bereich der ärztlichen Klinikbeschäftigten zu Arbeitskampfmaßnahmen kommen. Der Marburger Bund, bei dem die überwältigende Mehrheit organisiert ist, tritt in Verhandlungen ein.

Diese Beispiele zeigen: Es tut sich was! Gerade das Beispiel Sana zeigt, dass auch in privaten Konzernkliniken Streikbereitschaft existiert, auch wenn sie von der ver.di-Spitze nur unzulänglich ausgeschöpft wird. Umso wichtiger wird es für alle Krankenhausbeschäftigten, dagegen und für flächendeckende Entlastungspläne über alle Berufsgruppen hinweg eine innergewerkschaftliche Opposition zu bilden und sich der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) anzuschließen. Das gilt auch für den Marburger Bund.

Vorsicht Krankenhaus„reform“!

Der Bundesvorstand der Linkspartei hat Alternativen zu Lauterbachs Plänen für eine Krankenhausreform verabschiedet. Insbesondere moniert er, dass die Abschaffung der DRGs (Fallpauschalen) nicht auf der Tagesordnung der Ampelkoalition steht. Deren Aussetzung (!) zumindest für die Kinderstationen hatte der Bundesgesundheitsminister noch im Oktober angekündigt.

DIE LINKE fordert ein Halte- und Rückholprogramm des Bundes für Pflegekräfte, die ihren Job verlassen haben. Eine Zulage von 500 Euro monatlich soll aus einem Bundesfonds finanziert werden. Was ist mit denen, die ihre Arbeitszeit reduziert haben, um sie wieder aufzustocken? Zudem gibt es noch 2 Pferdefüße: a) Statt Lohnsubvention für einige zu betreiben, müssten alle eine gleich höhere Bezahlung erhalten; b) der Bund soll nicht nur zahlen, sondern alle Kliniken enteignen und unter seiner oder Regie anderer Gebietskörperschaften verstaatlichen sowie einen integrierten nationalen Gesundheitsdienst organisieren gemäß dem organisatorischen Vorbild des NHS in Britannien.

Ferner fordert der Bundesvorstand: Pflegepersonalschlüssel für bundesweit 100.000 zusätzliche Pflegestellen; Gewinnverbot für Krankenhäuser; Bundesfonds zur Rekommunalisierung privatisierter Kliniken.

Doch wie will man Ersteres ohne Abschaffung der Fallpauschalen und des Klinikwettbewerbs umsetzen? Und sollen bei der Rekommunalisierung die Klinikaktionär:innen entschädigt werden, vielleicht sogar zum Börsenwert?

Sicher eine wünschenswerte Initiative trotz mancher Lücken, doch nicht mehr als fromme Reformwünsche vom Weihnachtsmann. Perspektiven der Umsetzung mittels Kampfmaßnahmen werden gar nicht erwähnt. Dabei ist zu befürchten, dass die kleinen, aber in der stationären Grundversorgung elementaren Krankenhäuser zugunsten ambulanter Zentren geschlossen werden sollen. Wir werden über die konkreten Pläne informieren.

Zweitens zeigen die Erfahrungen mit den bisherigen Entlastungstarifverträgen, dass es nicht zur Personalaufstockung gekommen ist. Wie auch, wenn nicht mehr Geld ins System fließt? Das scheitert aber an der finanziellen Lage der Krankenkassen. Gewerkschaften und DIE LINKE wären gut beraten, ihre Mitglieder auf den drohenden Kahlschlag bei der stationären Grundversorgung abseits von Großstädten ebenso aufmerksam zu machen wie auf die notwendige Finanzierung durch die gesetzlichen Krankenkassen.

  • Kein Krankenhauskahlschlag! Gesetzliche Sozialversicherungspflicht für alle und ohne Beitragsbemessungsobergrenzen! Entschädigungslose Verstaatlichung aller Krankenhäuser unter Kontrolle der Beschäftigten!



Verhandlungsergebnis Metall- und Elektroindustrie: Ablehnen!

Mattis Molde, Infomail 1205, 19. November 2022

In der Nacht zu Freitag, den 18. November, haben sich die Bezirksleitung der IG Metall in Baden-Württemberg und der Verband Südwestmetall auf ein Ergebnis geeinigt. Auch wenn die Gewerkschaftsspitzen den Abschluss als „spürbare Entlastung“ und damit als Erfolg verkaufen, zeigt ein Blick auf die Eckdaten des Ergebnisses, dass sich die Kapitalseite in vielem durchsetzen konnte.

Die erste Erhöhung der Tarife kommt zum Juni 2023 mit 5,2 %, eine zweite Stufe erfolgt zum Mai 2024 mit 3,3 %. Der Vertrag läuft bis Ende September 2024, also 24 Monate. Januar 2023 und Januar 2024 gibt es Einmalzahlungen von je 1500 Euro, steuer- und abgabenfrei. Die IG Metall war mit einer Forderung von 8 % Tariferhöhung und einer Laufzeit von 12 Monaten gestartet. Das ursprüngliche Angebot der Arbeit„geber“:innenverbände belief sich auf 3000 Euro bei einer Laufzeit von 3 Jahren.

Zu wenig, zu lange

Die Monatsentgelte in der Metall- und Elektroindustrie sind seit 4,5 Jahren nicht erhöht worden. Jetzt kommen noch einmal 8 weitere Monate dazu. Die zweite Stufe, die im Mai 2024 erfolgen soll, kommt dann kurz, bevor der Tarifvertrag ausläuft, was schon jetzt die Bereitschaft zeigt, nicht sofort 2024 eine weitere Erhöhung zu erlauben.

Damit ergibt sich eine lange Periode von Reallohnverlusten, die insbesondere mit der derzeitigen Inflation von über 10 % zu einer dauerhaften Absenkung der Einkommen führt. Die jetzt beschlossenen Erhöhungen gleichen weder die Verluste der Vergangenheit noch die jetzigen aus und binden der Gewerkschaft für 2 Jahre die Hände, weitere Inflationssprünge zu kontern. Sie mildern für 4 Millionen Beschäftigte nur die Auswirkungen der Preissteigerungen ab.

Die Einmalzahlungen von 2 mal 1500 Euro sehen auf den ersten Blick gut aus. Das ist jedoch eine mehrfache Täuschung. 125 Euro netto im Monat bedeuten auch für Beschäftigte der untersten Lohngruppen – je nach Steuerklasse – nur selten mehr als 8 %.

Der Schein wird weiter dadurch getrübt, dass

  • diese „Erhöhung“ nicht auf die Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, tarifliches Zusatzgeld und Transformationsgeld durchschlägt, die rund 16 % des Jahreseinkommens ausmachen;

  • auch in den vergangenen Jahren in den Tarifverträgen Einmalzahlungen vereinbart wurden, die jetzigen also teilweise nur eine Fortsetzung dieser Zahlungen und keine „Erhöhung“ darstellen;

  • aus diesen Einmalzahlungen keine Rentenbeiträge abgeführt werden. Die Beschäftigten zahlen also auch mit zukünftigem Rentenminus;

  • die Einmalzahlungen zur Hälfte um bis zu 6 Monate verschoben werden können.

Sozialpartner:innen

Die IG Metall wird von einer Schicht von Bürokrat:innen aus hauptamtlichem Gewerkschaftsapparat und Betriebsratsspitzen beherrscht, die die Interessen der Beschäftigten grundsätzlich dem Wohl der Unternehmen, vor allem der großen Player in der (Auto)-Exportindustrie unterordnen. Mit ihnen wird „Standortsicherung“ gemacht, die Arbeitszeit flexibilisiert, die sog. Transformation einvernehmlich gestaltet, auch wenn es Arbeitsplätze kostet. Mit ihnen wird die Abgaspolitik in Brüssel „mit“gestaltet, das Streikrecht weiter beschränkt, die Leiharbeit gefördert und vieles mehr. Den Beschäftigten und Gewerkschaftsmitgliedern wird diese Kooperation als letztlich vorteilhaft präsentiert, auch wenn sie Opfer bringt. Die Mehrzahl der Mitglieder hat dies in den letzten Jahren geschluckt, immer mehr Funktionär:innen haben sich dem rechten Kurs angepasst.

In dieser Tarifrunde wurde deutlich, wie diese Partner:innenschaft gegen die Interessen der Beschäftigten und Beschlüsse der Organisation gerichtet ist. Bei der Aufstellung der Forderung wurde alles getan, um bei 8 % den Deckel aufzudrücken. Im Sommer gab es die Gespräche zu den „Entlastungspaketen“ mit der Bundesregierung und den Kapitalvertreter:innen. Das nannte sich „Konzertierte Aktion“ und alles wurde im Konsens beschlossen. Dazu gehörte die Möglichkeit zu Sonderzahlungen von 3000 Euro netto. Es war der IG-Metallspitze völlig klar, dass das in den Tarifverhandlungen die Forderung von 8 % Tariferhöhung für 12 Monate aushebeln musste!

Schon für die chemische Industrie wurde im September ein Abschluss getätigt von je 3,25 % Tariferhöhung in zwei Stufen, 3000 Euro netto in zwei Raten und 20 Monaten Laufzeit. Also das gleiche Strickmuster.

Bundesweit haben 900.000 Metaller:innen gestreikt, alleine in Baden-Württemberg 300.000. Bei der IG BCE in der chemischen Industrie bundesweit 0. Die Ergebnisse unterscheiden sich minimal. Um wirkliche Differenzen festzustellen, müssten die Auszahl-, Erhöhungstermine und Vorgeschichte verglichen werden. Aber die Kampfbereitschaft unterscheidet sich. Die weitaus höhere der Metaller:innen hätte ein anderes Ergebnis möglich machen können, sie hätten es verdient. Eine Ausweitung der Streiks, eine Urabstimmung wäre angestanden. All das wurde vom IG-Metallvorstand verschenkt. Er wollte es nicht.

Empörung

Viele Aktive an der Basis sind wütend. Es gibt Enttäuschung in den Betrieben, unter den Vertrauensleuten und in den sozialen Netzen. Doch um zukünftige Ausverkäufe und Abschlüsse wie den aktuellen zu verhindern, muss aus der Empörung eine organisierte Opposition werden. Eine Opposition, die es den kämpferischen Mitgliedern, die es gibt, die aber überall in der Minderheit sind, erlaubt, sich unabhängig auszutauschen und eine Kraft zu bilden. Ansätze für eine Vernetzung gibt es bei der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), die in dieser Tarifrunde dafür eintrat:

„Die IG Metall hat das Angebot von Gesamtmetall als unzureichend bezeichnet. Das stimmt! Aber es ist ein Problem, dass die Forderungen in aktuellen Stellungnahmen nicht mehr benannt werden. Stattdessen ist nur noch die Rede von „8 % mehr Geld“ nicht von „8 % Tariferhöhung“. Wenn eine tabellenwirksame Tariferhöhung gefordert wird, dann immer ohne Zahl. Die 12 Monate werden gar nicht mehr erwähnt. Heißt das, dass die Spitze der IG Metall offen ist dafür, die 3000 Euro Einmalzahlung in die „8 % mehr Geld“ einzubauen, nachdem sie dies in der konzertierten Aktion mitverhandelt hat?“

Und deshalb hatte sie vorgeschlagen:

„Es wird allerdings notwendig sein, Urabstimmung und Vollstreik vorzubereiten. Das hat Gesamtmetall mit seinem Nullrundengeschrei und dem unverschämten Angebot deutlich gemacht. Deshalb ist es wichtig, dass die IG-Metall-Vertrauenskörper jetzt Beschlüsse fassen und den führenden Gremien der IG Metall den klaren Auftrag erteilen, Urabstimmung und Vollstreik vorzubereiten. ( … )

Wo noch nicht geschehen, sollten betriebliche Arbeitskampfleitungen gewählt werden. Es ist jetzt wichtig, möglichst alle Kolleg*innen in einen Arbeitskampf einzubeziehen und alle Arbeitskampfschritte gemeinsam zu diskutieren und gemeinsam zu beschließen. Außerdem sollte in Streikversammlungen über jedes neue Angebot umfassend informiert, diskutiert und abgestimmt werden. Annahme eines Angebots sollte erst nach Diskussionen und Abstimmungen in Streikversammlungen erfolgen. Es muss endlich wieder ernst gemacht werden: Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still!“

Auch die betriebliche Oppositionsgruppe MAHLE-SOLIDARITÄT hatte ihre Kolleg:innen im Betrieb auf das Übel vorbereitet, das in der Konzertierten Aktion ausgeheckt worden ist, und 6 Fragen an Jörg Hofmann gestellt:

„Jörg, erkläre uns:

  • War die IG Metall bei diesem Treffen vertreten, auf dem das beschlossen wurde?
  • Hatten da die Arbeitgeber auch schon so eine aggressive Haltung?
  • Wurde übersehen, dass das gegen unsere Forderung von 8 % Entgelterhöhung für 12 Monate gerichtet war und ist?
  • Wurde übersehen, dass das prima für die Profite ist, weil nicht nur wir, sondern auch die Unternehmen die Beiträge zu Rente, Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung sparen. Aber wir es sind, denen die Renten dann fehlen und die die Zusatzbeiträge zur Krankenversicherung zahlen?
  • Was ‚steuerfrei’ angeht: Wir als IG Metall wollen doch auch bei den Steuersätzen keine einmalige Erleichterung, sondern eine Steuerreform, die eine nachhaltige Korrektur gegen die ‚kalte Progression’ bringt?

Jörg, wir wollen kämpfen, warnstreiken und notfalls auch streiken!

Wir stehen zu unserer Forderung! Das erwarten wir von allen Ebenen der IG Metall!

Nein zur 3000 Euro Mogelpackung! Ja zu 8 % Tariferhöhung bei 12 Monaten!“

Nein!

Dieses Tarifergebnis wird kaum zu verhindern sein. Aber jede kritische Stimme, jede ablehnende Resolution in den Vertrauenskörpern, Delegiertenversammlungen und Tarifkommissionen kann eine Ermutigung sein und die Leute stärken, die eine andere Politik in der IG Metall und im Kampf gegen die aktuellen Preissteigerungen, die kommende Rezession und die gesamte sozialpartnerschaftliche Politik eine klassenkämpferische Alternative aufbauen wollen.