GDL-Kundgebung vor der Deutschen Bahn AG in München

Helga Müller, Infomail 1160, 26. August 2021

Am Dienstag, 24. 8. 21, um 12 Uhr rief die GDL-München zu einer Kundgebung vor der bayerischen DB AG auf. Die Münchner Gewerkschaftslinke (MGL)/Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) rief verschiedene interessierte Gewerkschafts- und politische Kreise dazu auf, dort ihre Solidarität zu zeigen.

Um 12 Uhr versammelten sich ca. 250 bis 300 GDL-KollegInnen aus München, Ingolstadt und Augsburg zusammen mit solchen aus IGM und ver.di, VertreterInnen der LINKEN, verschiedenen linken Organisationen wie ISO, Arbeiterbund, MLPD, dem Antikapitalistischen  Klimatreffen und auch der Gruppe ArbeiterInnenmacht.

GDL-Rede

Es sprachen der bayerische Bezirksvorsitzende Uwe Böhm und als Hauptredner der stellvertretende Bundesvorsitzende der GDL – Norbert Quitter –, der eine sehr kämpferische Rede hielt.

Er verteidigte nochmal sehr ausdrücklich den Streik der KollegInnen der GDL um bessere Arbeitsbedingungen und mehr Gehalt, um die Blockadehaltung des DB-Vorstandes, der noch nicht einmal in der Lage ist, ein neues Angebot zu machen, durchbrechen zu können. Auch verteidigte er zu Recht die Forderungen der GDL gegen den Tarifabschluss der EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft – die DGB-Gewerkschaft), der de facto einen Reallohnverlust bedeutet. Er betonte nochmal, dass es um die Durchsetzung eines Tarifvertrags für alle Beschäftigten geht, der mehr Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen durchsetzt und nicht um einen politischen Streik gegen das sog. Tarifeinheitsgesetz.

Doch de facto geht es natürlich auch um diese Frage, da dieses besagt, dass bei konkurrierenden Gewerkschaften nur die, die mehrheitlich die Belegschaft in einem Unternehmen vertritt, überhaupt für einen Tarifvertrag eintreten kann und dafür auch streiken darf. Würde dies umgesetzt werden, was ja die DB am Anfang der Tarifauseinandersetzung mit der GDL angekündigt hatte – unter Rückendeckung durch die DGB-Gewerkschaft EVG! – dann dürfte die GDL nicht streiken. Dies käme einem Streikverbot für die GDL – und für alle Gewerkschaften, die in einem Unternehmen in der Minderheit sind – gleich.

Solidaritätserklärungen

Auf der Kundgebung konnte auch ein Vertreter von ver.di, der bei der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) arbeitet, eine Grußadresse verlesen. Er sprach sich für die Wiederverstaatlichung der Bahn aus und machte klar, dass die Forderungen der GDL auch einen Beitrag dazu leisten, dass der Beruf des/der EisenbahnerIn wieder attraktiver und somit die Grundlage für einen Ausbau des Fernverkehrs bedeuten, folglich einen Beitrag gegen die Klimakrise darstellen würde. Die KollegInnen bekundeten hierfür großen Beifall. Auch die Solidaritätsadresse der MGL/VKG, die vorgetragen wurde, kam bei den KollegInnen sehr gut an.

Überhaupt beeindruckte es die KollegInnen der GDL sehr positiv, dass auch Mitglieder aus IG Metall und ver.di anwesend waren und ihre Solidarität zum Ausdruck brachten. Auch Norbert Quitter bedankte sich bei den KollegInnen der MGL/VKG, dass sie für diese Solidaritätsaktion aktiv geworden waren.

Bei der anschließenden Verteilung an die Fahrgäste am Münchner Hauptbahnhof kam doch bei einigen das VKG-Flugblatt gut an, das um Verständnis und Solidarität mit dem Streik der GDL-KollegInnen wirbt. Auch wenn viele überhaupt kein Flugblatt haben wollten, haben doch einige ausdrücklich ihre Zustimmung zu dem Streik der KollegInnen bekundet, was nicht selbstverständlich ist vor dem Hintergrund einer nicht gerade wohlwollenden Berichterstattung in Rundfunk und Presse über diesen Streik.




Solidarität mit dem Streik der GDL!

Flugblatt der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, 20. 8. 2021, Infomail 1159, 21. August 2021

Liebe Fahrgäste,

wir bitten Sie um Verständnis für – und Solidarität mit – dem Streik der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner.

Warum?

Die Kolleginnen und Kollegen der GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) fordern eine Erhöhung von 1,4 Prozent zum 1. April 2021 und um 1,8 Prozent zum 1. April 2022. Ebenso die Fortsetzung der betrieblichen Altersversorgung sowie eine einmalige Corona-Prämie von 600€. Das entspricht in etwa dem Abschluss im Öffentlichen Dienst vom letzten Jahr.

Wie alle Arbeitenden haben auch die Eisenbahner*innen in den letzten Jahren kaum Lohnerhöhungen erhalten. Es wird Zeit, dass in allen Branchen die Beschäftigten wieder mehr von dem durch uns erarbeitete Vermögen abbekommen. Die Preise haben in den letzten Jahren auch nicht aufgehört zu steigen! Eigentlich ist die Forderung der GDL bescheiden!

Wer zahlt für die Krise?

Für uns, Arbeitnehmer*innen, ist alles teurer geworden. Die Reichen und die großen Konzerne konnten ihren Anteil an den von uns erarbeiteten Gewinnen noch steigern – trotz Corona und Krise! Auf der anderen Seite sollen wir, die Mehrheit der Bevölkerung, die zusätzlichen Ausgaben für Corona mit neuen Sozialkürzungen und steigenden Ver-brauchsteuern bezahlen. Eine breite Bewegung gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf unseren Rücken tut Not! Streiks allgemein sind ein gutes Mittel, um unsere Interessen durchzusetzen, der Streik der GDL ein guter Anfang dafür!

Warum sind viele gegen den Streik?

Die Politik, die Verbände der Unternehmer*innen und die Medien, fast alle hetzen gegen den GDL-Streik. Sie schüren Neid – nicht gegen die Superreichen, sondern gegen die Kolleginnen und Kollegen, die streiken. Das ist mies! Denn diese Politiker*innen und Hetzer*innen in den Medien betreiben das Geschäft der ganz Reichen. Und sie bekommen dafür viel mehr Geld als die Eisenbahner*innen.

Auch die andere Bahn-Gewerkschaft, die EVG, hetzt gegen den Streik und stellt sich dagegen.

Der Grund ist, dass die EVG einen ganz miesen Abschluss gemacht hat, ganz im Sinne von Regierung und Bahnvorstand. Nur 1,5 % für 24 Monate. Deshalb fürchtet sie, Mitglieder zu verlieren.

Im Corona-Jahr 2020 bekamen 3500 Führungskräfte Boni ausbezahlt. Die Beschäftigten an der Front sollen aber ihren Lohn für Verluste aus der Pandemie opfern! Statt sich vor den Karren des Bahnvorstandes spannen zu lassen, die um ihre fetten Gehälter und die Dividenden der Bahn-Aktieninhaber*innen besorgt sind, sollte die Spitze der EVG (die Eisenbahngewerkschaft im DGB) zeigen, dass sie für ihre Mitglieder mehr erkämpfen kann! Sie sollte nicht weiter mit der Bahndirektion kuscheln, sondern Solidarität mit der GDL gegen “Oben“ üben!

In diesem Streik spielt auch das „Tarifeinheitsgesetz“ eine Rolle. Damit wollte die Regierung kleineren Gewerkschaften das Streikrecht nehmen. Aber das Recht auf Streik ist ein demokratisches Grundrecht! Regierung und Unternehmerverbände wollen uns allen dieses Recht nehmen. Eine Schande, dass die Spitzen von DGB, IG Metall und EVG da mitgemacht haben, nur um ihre eigene Macht zu sichern – auf Kosten eines Grundrechtes! Genaueres dazu haben wir auf der Rückseite zusammengestellt.

Die Spaltung von Gewerkschaften und damit auch Belegschaften ist immer schlecht. Ein gemeinsamer Verband kann stärker sein, aber er muss seine Stärke auch nutzen und nicht wie EVG, aber auch IG Metall und Verdi, dauernd Verständnis für die Großunternehmen oder die Staatskasse zeigen!

Das sagen wir als GewerkschafterInnen aus verschiedenen Gewerkschaften, die sich zur Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften zusammengeschlossen haben, um kämpfende Belegschaften zu unterstützen.

Haben auch Sie Verständnis! Zeigen Sie Solidarität! Mit besserer Bezahlung der Beschäftigten wird die Bahn auch wieder besser und pünktlicher!

Wir hoffen, dass Sie Ihr Ziel heute trotzdem erreichen – und die EisenbahnerInnen das ihre!

Das „Tarifeinheitsgesetz“ ist ein Angriff auf die Rechte aller Beschäftigten – denn es ist ein Streikbegrenzungsgesetz!

Vor 6 Jahren wurde unter Federführung der damaligen Arbeitsministerin Andrea Nahles, SPD, das „Tarifeinheitsgesetz“ verabschiedet. Das Ziel dieses Gesetzes war es, den Einfluss der kleinen – vor allem der kämpferische Gewerkschaften, wie Cockpit, UFO und nicht zuletzt der GDL – zu beschneiden. Diese sind oft nicht Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund.

Die DGB-Spitze hat bei diesem Angriff auf das Streikrecht mitgemacht. Aber das Gesetz trifft auch DGB-Gewerkschaften. Denn grundsätzlich ist das Streikrecht in Deutschland sehr eingeschränkt: So dürfen nur Gewerkschaften zum Streik aufrufen, nicht aber Beschäftigte, die gegen die Schließung ihres Werkes protestieren wollen. Das neue Gesetz ist ein weiterer Schritt zur Allmacht des Kapitals.

Das Tarifeinheitsgesetz bestimmt, dass in einem Betrieb, in dem mehrere Gewerkschaften vertreten sind, die Gewerkschaft mit weniger Mitgliedern – im Falle, dass die andere im Betrieb vertretene Gewerkschaft schon ein Tarifabschluss getätigt hat – kein Recht hat, für einen besseren Tarifabschluss zu streiken.

Damit untergräbt dieses Gesetz das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit, das im Grundgesetz garantiert ist: nämlich, dass Menschen zur Verteidigung ihrer Interessen als Beschäftigte sich vereinigen können, um ihre Interessen gemeinsam zu vertreten. Damit sind Gewerkschaften gemeint und „Koalition“ bedeutet in diesem Zusammenhang „Vereinigung“.

Zum Grundrecht auf Koalitionsfreiheit gehört automatisch das Recht zu streiken; das einzige Mittel, das die Arbeiter*innen Bewegung und jede Gewerkschaft hat, um gegenüber der Unternehmer*innen-Seite ihren Interessen Gehör zu verschaffen bzw. durchzusetzen! Kann dieses Recht auf Streik in bestimmten Fällen ausgesetzt werden, wie im Tarifeinheitsgesetz beabsichtigt, verliert im Grunde jede Gewerkschaft ihre (Ver)-Handlungsfähigkeit, denn dann könnten die Gewerkschaften bei den Unternehmerverbänden nur noch Betteln gehen.

Der DGB und das Tarifeinheitsgesetz!

Die Spitzen vieler DGB-Gewerkschaften – außer verdi, GEW und NGG – sind leider 2015 für die Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes eingetreten.

Das hatte zwei Gründe: Erstens wollten sie unliebsame Konkurrenz ausschalten, die sie mit höherem Engagement und Kampfbereitschaft herausfordern. Diese Spitzenleute, wie Hofmann von der IG Metall, verwalten lieber die Mitglieder und treiben sich in Aufsichtsräten und allen möglichen Kommissionen mit Regierung und Unternehmensfunktionären rum, z.B. zur E-mobilität oder Digitalisierung.

Zweitens ist ihnen die Zusammenarbeit mit den Unternehmensspitzen wichtiger. Sie setzen darauf, dass von den hohen Umsätzen und Gewinnen dann auch ein bisschen für die (Stamm)-Belegschaften abfällt und ein bisschen mehr für die Betriebsräte und Aufsichtsräte. Ein Rezept, das in Boomzeiten funktioniert – auf Kosten der Beschäftigten, die nicht bei den Großkonzernen angestellt sind. Ein Rezept, das in der Krise zum Scheitern verurteilt ist.

Diese Bürokrat*innen brauchen kein Streikrecht mehr, sie haben ausgesorgt.

Aber die Masse der Arbeitenden in diesem Land braucht nicht weniger, sondern mehr Gegenwehr!

WIR WÜNSCHEN DEN KOLLEG*INNEN DER GDL DURCHHALTEVERMÖGEN UND VIEL ERFOLG!

Fahrgastflyer der VKG – gerne zum Herunterladen und Weiterverbreiten:

Flyer GDL-Streik




GDL-Urabstimmung: Im Schatten der Tarifeinheit

Leo Drais, Neue Internationale 257, Juli/August 2021

Seit nun schon mehreren Monaten laufen die Tarifverhandlungen zwischen der Deutschen Bahn AG und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), welche nach vier Runden die  Verhandlungen für gescheitert erklärte und Arbeitskampfmaßnahmen verkündete. Am 24. Juni konkretisierte die GDL hierzu ihr Vorgehen: Anstatt den in deutschen Tarifrunden ritualisierten Weg des Warnstreiks zu gehen, ruft sie ihre Mitgliedschaft nun direkt zur Urabstimmung über den Arbeitskampf auf. Das Ergebnis soll zum 9. August ausgezählt werden.

Tarifeinheitsgesetz?

Den Weg der Urabstimmung geht die GDL nicht nur, um direkt längere Streikmaßnahmen einleiten zu können (eine hohe Zustimmung der Mitglieder ist erwartbar), sondern laut Vorsitzendem Claus Weselsky auch deshalb, weil die Gewerkschaft juristische Schritte seitens des DB-Konzerns gegen den Arbeitskampf fürchtet – und das nicht von ungefähr. Schließlich ist nicht zuletzt auch, um ihr – der GDL – und ihren in der weitläufigen Tristesse deutscher Gewerkschaftskämpfe hervorstechenden, hartnäckigen Arbeitskämpfen Einhalt zu gebieten, 2015 das Tarifeinheitsgesetz verabschiedet worden.

Was zunächst so wohlig nach einheitlichen Tarifen, nach gleicher Bezahlung für alle Beschäftigten klingt, ist im Gegenteil ein Coup gegen das in der Bundesrepublik ohnehin schon kaum vorhandene Streikrecht, gilt so doch nur noch ein Tarifvertrag je Betrieb. Das aber heißt letztlich: Wo mehrere Gewerkschaften in einem Betrieb vertreten sind, findet nur die mitgliederstärkste juristische Anerkennung am Verhandlungstisch und – im Streik.

Wer schob diesen Angriff an? Allein die Unternehmen und ihre parlamentarischen VertreterInnen der Union? Lange nicht. Mit im Boot der Bosse saßen neben der SPD auch jene DGB-GewerkschaftsbürokratInnen, die sich einer Konkurrenzgewerkschaft im Betrieb gegenübersehen – allen voran die IG Metall, aber eben auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), welche nicht von ungefähr unter EisenbahnerInnen auch schon mal als verlängerter Arm des DB-Bahntowers wahrgenommen wird. Ins Bild passt daher, dass die EVG nicht nur das Tarifeinheitsgesetz unterschrieben hat, um der aus ihrer Sicht unliebsamen, kleineren Konkurrentin GDL zu schaden, sondern auch, dass die EVG-Führung vergangenes Jahr so ganz ohne Einbeziehung der Mitglieder einen Tarifvertrag mit dem DB-Konzern abschloss, der sich mittlerweile als Reallohnverlust entpuppt.

Damoklesschwert

Nun ist es mit der DB AG und dem Tarifeinheitsgesetz so, dass der Konzern aus hunderten Einzelbetrieben besteht und das Gesetz bisher noch nicht in einer Gigantin wie der DB angewandt und bis vor die höchsten Gerichte eskaliert wurde. Trotz dessen, dass sich der Vorsitzende Weselsky in den vergangenen Monaten kämpferisch gab und die Streikbereitschaft seiner Organisation betonte, ist eine gewisse Zögerlichkeit und der Versuch, auf Zeit zu spielen, ebenso offensichtlich.

Es sind wahrscheinlich zweierlei Aspekte, die dies begründen: Erstens ist nicht ganz klar, in welchen DB-Betrieben die GDL eine Mehrheit und somit das Recht zum Tarifabschluss hat, was zweitens seit dem Winter eine Mitgliederoffensive seitens der Gewerkschaft befeuert haben dürfte. Anstatt sich auf das fahrende Personal in den Zügen zu beschränken, will die GDL nun auch für die KollegInnen im Netzbetrieb, der Instandhaltung – kurz im gesamten direkten Betrieb – Abschlüsse aushandeln. Nicht umsonst hat sie sich einen Flächentarifvertrag im Eisenbahnwesen zum Ziel gesetzt.

Trotz des offeneren Versuchs des Mitgliederzuwachses kann jedoch kaum davon ausgegangen werden, dass die GDL ein großes Plus in klassischen EVG-Betrieben wie der DB Netz erreichen konnte. Somit stellt sich mindestens die Frage: Was passiert, wenn GDL-Mitglieder in Betrieben zum Streik mobilisiert werden, in denen sie gegenüber der EVG die Minderheit darstellen? Zumindest hier ist eine Teilillegaliserung des Arbeitskampfes eine rechtlich testbare Möglichkeit für den Konzern, das Niedergehen des Damoklesschwerts eine reale Gefahr für die GDL.

Zwickmühle

Wohl auch deshalb wäre es der GDL-Spitze vermutlich lieber, einen Abschluss am Verhandlungstisch zu erzielen. In den vier Verhandlungsrunden war die Tarifkommission gegenüber der DB und Personalvorstand Seiler bereits zurückgerudert, fordert nunmehr den Abschluss des öffentlichen Dienstes (+ 1,4 % 2021, mindestens aber 50 Euro, +1,8 % 2022) und eine Corona-Beihilfe von 600 Euro sowie noch weitere Punkte. Doch dem Konzern und seiner Eigentümerin BRD mit ihren Milliardenschulden ist das zu teuer. Sie verlangen eine faktische Nullrunde, wollen  den „Notlagentarifvertrag“ der Flughäfen (die im Gegensatz zum Bahnbetrieb fast komplett stillstanden) kopieren.

Und damit steckt die GDL-Führung um Claus Weselsky, die trotz aller Wortgewalt und vorzeigbareren Abschlüssen in den letzten 15 Jahren immer noch eine Gewerkschaftsbürokratie mit Bindung an den Staat ist, ein bisschen in der Klemme. Einerseits erkennt sie das Tarifeineinheitsgesetz an und wird nicht müde, dies hervorzuheben. Andererseits kann (und will) sie die hundsmiserablen Vorschläge der DB (die um die Zwickmühle der GDL weiß) nicht hinnehmen, da sie einem gegenüber der EVG Sich-selbst-überflüssig-Machen gleichkämen. Somit wird die GDL wohl kämpfen und streiken, offensiv zwar, aber auch mit einer gewissen rechtlichen Unsicherheit –  die per Urabstimmung weniger gefährlich werden soll.

Kampfeinheit statt Tarifeinheit

Im Gegensatz zur EVG oder der IG Metall scheut die GDL den Kampf nicht angesichts der Krise, sondern nimmt ihn auf, eben weil Krise ist. Allein dafür verdient sie Unterstützung. Höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen im Schienenverkehr sind außerdem angesichts der Klimakrise notwendig, um die klaffenden Personallücken zu schließen und überhaupt von einem qualitativ hochwertigen Betrieb und höherer Pünktlichkeit zu träumen.

Aber es geht um noch mehr, nämlich darum, ob Staat, Kapital und DGB-Bürokratie es schaffen, ein Exempel an einer kämpferischen Spartengewerkschaft zu statuieren, das auch andere, wie Cockpit oder UFO, treffen könnte. Deshalb rufen wir zur Verteidigung der GDL gegen den Angriff von Bahn und EVG auf, der für die GDL je nach Entwicklung der nächsten Monate existenzgefährdend sein kann. Alle Linken und GewerkschafterInnen sollten ihre Solidarität mit der GDL zeigen, EVGlerInnen zuvorderst. Sie sollten dafür eintreten, keinen Streikbruch zu begehen.

Gleichzeitig kritisieren wir, dass die GDL das Tarifeinheitsgesetz selbst anerkennt, anstatt den Tarif- zum politischen Kampf gegen das Gesetz zu machen. Denn das bräuchte es eigentlich: GewerkschafterInnen sollten den politischen Streik und das Recht darauf auf die Tagesordnung setzen, denn die mögliche (Teil-)Illegalisierung des GDL-Kampfes stellt immerhin die Frage danach, ob Gewerkschaften überhaupt noch in ihrem von Kapital und Staat zugestandenen rein betrieblichen Metier kämpfen dürfen. Für Minderheitsgewerkschaften gilt dann im Falle einer Illegalisierung: illegal weiterkämpfen oder sich dem Staat beugen und aufgeben?

Abschließend: Lange bevor die Gewerkschaftsbürokratien sich über die bestmögliche Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes zuungunsten ihrer Konkurrentinnen die Köpfe zerbrachen, war das Neben- und Gegeneinander von EVG-, GDL- und im Bezug auf den Nahverkehr auch der ver.di-Bürokratie sowieso schon Grundlage fortwährender Streikbrüche und Lohnkonkurrenz. Daher sollte der Kampf der GDL auch Anlass zur Diskussion darüber bieten, wie wir anstelle der staatlich verordneten und gewerkschaftlich abgesegneten Tarifeinheit zu einer wirklichen Kampfeinheit kommen.

Dabei geht es um nichts weniger als die Reorganisation der Gewerkschaften im gesamten Transport- und Logistiksektor auf einer demokratischen und klassenkämpferischen Grundlage. Um dieses Problem anzupacken, schlagen wir eine einheitliche Transportgewerkschaft vor, die nicht nur den Eisenbahnsektor, sondern die gesamte Logistik zu Lande, zu Wasser und in der Luft umfasst. Sie müsste demokratisch von ihren Mitgliedern kontrolliert werden, ihre FunktionärInnen und VertreterInnen müssten jederzeit wähl- und abwählbar und rechenschaftspflichtig sein. Sie sollten nicht mehr erhalten als den Tariflohn der Beschäftigten, die sie vertreten.

Ein demokratische Erneuerung von unten, die Kontrolle einer solchen Kampfeinheit wäre dabei nicht bloß das Ziel einer solchen zukünftigen Organisation – eine gemeinsame Gewerkschaft aller Beschäftigten bei der Bahn sowie im gesamten Transport- und Logistiksektor kann auch nur zustande kommen, wenn sich die kämpferischen GewerkschafterInnen in GDL, EVG und anderen Gewerkschaften für dieses Ziel unabhängig von der Bürokratie zu einer klassenkämpferischen Basisbewegung zusammenschließen. Die notwendige Reorganisation in der gesamten Branche wird schließlich nur unten erzwungen werden können, gegen den Widerstand der Apparate, die nicht nur die SozialpartnerInnenschaft, sondern auch ihre jeweils eigenen Privilegien verteidigen.

Die Solidarität mit einem GDL-Streik, die Verweigerung jeglicher Streikbrecherdienste, die Organisierung von Solidaritätsaktionen bei der gesamten Bahn und in anderen Transport- und Logistikunternehmen können ein erster Schritt zur Herstellung dieser Einheit sein und zu einer Gewerkschaft, die ihre Kämpfe aufgrund der straffen, aber demokratischen Organisation ihrer Mitglieder gewinnen, die die engen Grenzen gesetzlicher Schatten durchbrechen kann.




Wien: Stadtstraße Aspern verhindern

Frida Lechner, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1153, 21. Juni 2021

Die Wiener Stadtregierung plant, in den nächsten Jahren zwei große Straßenbauprojekte umzusetzen. Die sogenannte Stadtstraße soll bis 2025 die zunehmend besiedelte Region des äußeren 22. Bezirks an das Zentrum anbinden. Geplant ist eine vierspurige Autobahn mitten durch Grüngürtel und Siedlungen, die in die bereits jetzt überlastete A23 münden soll. Das primäre Ziel des Projektes ist, Staus zu reduzieren und den Verkehr in den Wohngebieten zu entlasten. Gelobt wird das Vorhaben der „sozial-liberalen Fortschrittskoalition“ von Wirtschaftskammer, ÖAMTC, ASFINAG (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft) und ÖVP.

Was bringt eine Autobahn durch Wien?

Kann die Stadtstraße dieses Ziel überhaupt erfüllen? Aller konkreten Kritik am Projekt sei vorangestellt, dass die tradierte Art der Verkehrsplanung, in der zunehmendem Stauaufkommen mit Straßenausbau begegnet wird, zu sogenannten Rebound-Effekten führt. Das bedeutet, dass der Straßenausbau zuerst kurzfristig zu weniger Staus führt. Das macht aber wiederum das PKW-Fahren attraktiver und so erhöht sich das Verkehrsaufkommen, bis die neue Infrastruktur wieder überlastet ist.

Eine weitere bekannte Strategie aus derselben Planungstradition ist der Ausbau eines Straßennetzes rund um eine heikle Gegend. Wenn alles fertig ist, bleibt nur noch diese letzte Klammer zu schließen, was die Bekämpfung erheblich erschwert. Schließlich handelt es sich dann nur noch um ein vergleichsweise kleines Opfer, um ein großes Verkehrsnetz zusammenzuschließen. Die Stadtstraße ist besonders deshalb gefährlich, weil sie der „Lobau-Autobahn“, die mitten durch das Naturschutzgebiet gebaut würde, argumentativ Tür und Tor öffnet. Wenn beide Autobahnprojekte umgesetzt werden, würde ein transnationales Verkehrsnetz entstehen, das internationalen Schwerverkehr durch Wien anzieht, so eine Aktivistin von „Platz für Wien“.

Das ist vor allem deshalb brisant, weil die Bundesregierung ausgerufen hat, bis 2040 klimaneutral werden zu wollen. Auto- und LKW-Verkehr sind jedoch die Klimakiller schlechthin und beanspruchen nebenher auch unverhältnismäßig viel öffentlichen Raum. Noch unter der rot-grünen Stadtregierung wurde ein eigener Klimarat eingerichtet, der die Stadt in der Bekämpfung der Klimakrise beraten soll. Eine Maßnahme oberster Priorität ist laut einem Sitzungsprotokoll des Jahres 2020 der Stopp von fossilen Großprojekten unter expliziter Anführung des Lobautunnels und der Stadtstraße.

Dem Koalitionsabkommen von SPÖ-NEOS ist zu entnehmen, dass die Regierung für die „Klimamusterstadt“ auf Elektromobilität setzt. Die Antriebswende ist aber schon längst entzaubert, löst eine Umstellung auf E-Mobilität doch weder das Platzproblem noch die Feinstaubbelastung, die primär von Reifenabrieb und Staubaufwirbelung kommt und somit durch schwerere Autos mit E-Motoren sogar verschlimmert wird. Von den ökologischen Probleme, die sich durch den für E-Mobilität notwendigen Rohstoffabbau ergeben, einmal ganz abgesehen.

Kritik von links

In der Bevölkerung formiert sich nun ein breiter Protest, angestoßen von Umweltschutzorganisationen und BürgerInneninitiativen und unter zunehmender Beteiligung linker Gruppen. Neben mehreren Petitionen gab es auch Fahrraddemonstrationen, organisiert von Platz für Wien, Fridays for Future Österreich, System Change not Climate Change, Extinction Rebellion und dem Jugendrat Wien. Gefordert wird ein sofortiges Ende der Bauprojekte.

Die Jugendlichen vom Jugendrat kritisieren die mangelnde Beteiligung der BürgerInnen im Entscheidungsprozess. Die Sprecherin Lena Schilling fordert zunächst einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, sodass eine tatsächliche Wahlfreiheit überhaupt gegeben sein kann. Sollten die Bauprojekte trotz der Proteste umgesetzt werden, droht die Organisation mit einem „zweiten Hainburg“. Dort hatten 1984 UmweltaktivistInnen durch die Besetzung der Hainburger Au den Bau eines Wasserkraftwerks verhindert. Der Jugendrat könne gemeinsam mit der Fridays for Future Bewegung genügend junge AktivistInnen mobilisieren, um eine solche Besetzung zu wiederholen.

Umweltschutz heißt Antikapitalismus

Sinnvoll scheint da auch der direkte Angriff auf profitierende Großunternehmen. Eine Demonstration am 28. Mai startete vor der Industriellenvereinigung. Im Fokus steht insbesondere die ASFINAG. Für das Autobahnunternehmen wird eine groß angelegte Umstrukturierung gefordert, sodass ihr Geschäftsmodell die Klimakrise nicht weiter anheizt. Solche Feindbilder bergen das Potenzial, die umwelt- und menschenfeindliche Verkehrspolitik Wiens mit Kapitalismuskritik zu verbinden und vor allem junge MitstreiterInnen aus der Umweltbewegung für einen antikapitalistischen Kampf zu politisieren.

Ziel für linke Gruppen muss es also sein, diese Proteste weiter nach links zu ziehen und zuzuspitzen. Das bedeutet zum Beispiel, die Enteignung von Aktiengesellschaften wie der OMV präsenter zu fordern. Eine Herausforderung bleibt, wie diese Mobilisierung auf direkt betroffene ArbeiterInnen ausgeweitet werden kann. Die proletarischen Schichten in den schlecht angeschlossenen Randbezirken für den Kampf gegen profitorientierte, klimaschädliche Verkehrspolitik zu überzeugen, ist bisher noch kaum gelungen. Dazu gilt es, die Mobilitätsbedürfnisse mit sinnvoller Stadtplanung und attraktiven öffentlichen Verkehrskonzepten zu beantworten.




Verkehrswende: Postwachstum vs. demokratische Planwirtschaft

Leo Drais, Neue Internationale 254, April 2021

Die in den Dannenröder Wald im vergangenen Herbst für den Bau der A49 geschlagene Schneise zeigt eindrucksvoll, dass hierzulande von einer Verkehrswende nicht gesprochen werden kann. Bisher gibt es sie einfach nicht. Winzige Positivbeispiele können allenfalls einen schwächlichen Anschein davon erwecken. Ein Blick in diverse Statistiken unterstreicht diese Erkenntnis: Zwischen 2015 und 2019 verdoppelten sich die Neuzulassungen von SUV und Geländewagen, der Güterverkehr auf der Schiene stagniert seit Jahren bei einem Anteil von 18 %, das Autobahn-und Bundesstraßennetz Deutschlands wuchs seit 1990 um rund 6.000 km, das Schienennetz schrumpfte um etwa dieselbe Größe.

Da stellt sich natürlich die Frage: Wie kann das gehen, diese Verkehrswende? Die Antworten darauf sind vielfältig. Die deutsche Autoindustrie und „Bundesautominister“ Scheuer verkaufen uns übergewichtige E-Autos als Antwort, was unter anderem bedeutet, die Energiewende zu verzögern und wasserintensiv Lithium abzubauen, wo kaum Wasser vorhanden ist (Argentinien, Bolivien, Chile). Die Intention der deutschen Autoindustriellen liegt auf der Hand: Den pseudonachhaltigen E-Mobility-Hype nutzen, um elektrisch aus der derzeitigen Krise zu neuem Wirtschaftswachstum und fetten Profiten zu fahren – selbst im Krisenjahr 2020 hat VW über 10 Mrd. Euro Gewinn getätigt.

Lösung Postwachstum?

Eine andere der diskutierten Lösungen zur Abwendung der Klimakatastrophe – eine Lösung, die eine Verkehrswende natürlich beinhalten müsste – ist die aus akademischen Kreisen stammende Idee des Postwachstums, auch bekannt als „Degrowth“. Diese erkennt an, dass die gegenwärtige Form von Wirtschaftsachstum mit einer begrenzten Erde unvereinbar ist. Ziel ist daher, eben jenes Wachstum zu beschränken beziehungsweise umzukehren, sprich die Wirtschaftsleistung sowie den Konsum zu senken. Und auch wenn es manche anders sehen mögen – explizit antikapitalistisch ist die in ihren Köpfen angepeilte Postwachstumsökonomie nicht, womit auch schon das Unmögliche und Problematische dieser Idee beginnt.

Der Wachstumszwang, genauer das fortwährende Vermehren, die Akkumulation von Kapital, ist untrennbar mit dessen Produktionsweise verbunden, wächst ihm direkt aus dem Herzen, dem bürgerlichen Privateigentum, das in Konkurrenz zu seinesgleichen steht. Nicht zu wachsen, die Produktion und damit den Konsum nicht auszuweiten, heißt für die kapitalistischen AkteurInnen wie die deutschen AutokapitalistInnen, zu verschwinden und von der Konkurrenz vom Weltmarkt verdrängt zu werden. Wer also davon träumt, das Natur und Mensch zerstörende kapitalistische Wachstum zu beseitigen, darf vor der Enteignung bürgerlichen Eigentums, sprich von VW, Lufthansa & Co. nicht zurückschrecken, sondern muss es offen aussprechen. Alles andere schürt Illusionen in die Reformierbarkeit und Zähmbarkeit des Kapitalismus …

An dieser Stelle muss eingeschoben werden, dass dieser Artikel bei Weitem nicht ausreicht, um sämtliche Gedanken der PostwachstumstheoretikerInnen einer angemessen umfassenden Kritik zu unterziehen. Er ist eher ein Anreiz zur weiteren Diskussion – wofür der folgende Satz besonders taugt:

„So wenig wie möglich, so viel wie nötig.“

Dieser sollte Kernelement jeder ernsthaften Verkehrswende-Strategie sein und führt direkt zur Frage: Wer bestimmt, wie viel Verkehr nötig ist und auf welchen Wegen er stattfindet? Unter kapitalistischen Vorzeichen ist die Antwort klar: Das Kapital kommandiert Arbeit und Konsum, sei es durch die Produktion direkt oder vermittels des kapitalistischen Staates, der Autobahnen baut und vom Bahnstreckenneubau für ländlichere Gebiete nichts wissen will.

Dass das Auto das dominierende Fortbewegungsmittel ist und für eine große Anzahl Menschen alternativlos erscheint, liegt ja eben daran, dass es oft genug das günstigste, flexibelste und schnellste ist, insbesondere im ländlichen Gebiet. Oft genug gibt es keine taugliche andere Möglichkeit und daher ist es auch unmöglich, auf individualistische Weise durch Konsumänderung eine andere Verkehrsinfrastruktur herbeizuführen. Dem Kapital innerhalb des Kapitalismus seinen Wachstumszwang zu nehmen, der zudem aufgrund wachsender Arbeitsproduktivität mit überproportional zunehmender Erzeugung von materiellen Gütern und entsprechendem Ressourcenverbrauch einhergeht, ist eine Utopie, zudem eine reaktionäre, wenn sie die Mehrheit der Weltbevölkerung auffordert, den Gürtel enger zu schnallen.

Ein wie auch immer gearteter „Aufstand derer, die ihre eigene Verantwortung ernst nehmen und auf demokratische und freiheitliche Weise positive Beispiele vorleben und das Leben entrümpeln und mehr Zeit finden, statt immerzu unterwegs zu sein“, wie PostwachstumsvordenkerInnen wie Niko Paech es vorschlagen, geht an der Lebensrealität der meisten Menschen völlig vorbei und klingt  beiläufig gesagt gegenüber ärmeren unter ihnen auch höhnisch. Vor allem aber fehlt der  konkrete Weg, wie zu so wenig wie möglich, so viel wie nötig Verkehr gekommen werden kann. Weder der individuelle Konsumverzicht noch die punktuelle und ineffiziente Regionalökonomie können das schaffen.

Die Frage der Verkehrswende ist eine Machtfrage. So wie die Macht des Kapitals darin liegt, den gegenwärtigen Transportfluss auf der Erde wesentlich zu steuern, ist es eine Machtfrage, die Verkehrswende global gegen Automobil- und Ölindustrie durchzusetzen. Statt individualistisch das eigene Mobilitätsverhalten zu ändern (so gut das auch ist, wenn’s denn möglich wäre) und Arbeitszeit zu reduzieren (sofern man sich das überhaupt leisten kann), braucht es eine Veränderung, die um gesellschaftlich übergreifend zu wirken, von der gesamten Produktions -und Verteilungssphäre ausgehen muss und sich nicht auf die – je nach Geldbeutel – „freie“ Wahl des Endprodukts beschränkt und den immer größer werdenden Anteil der Zwischenprodukte ignoriert.

Demokratischer Plan

Der Utopie einer Postwachstumsökonomie stellen wir die Perspektive einer demokratischen Planwirtschaft entgegen, die anstatt das Wachstum an sich überwinden zu wollen, sich im Gegenteil das Ziel setzt, die Produktivkräfte der Gesellschaft zu steigern, um auf diesem Wege eine Arbeitszeitverkürzung für alle möglich zu machen und die bestmögliche Effizienz in der Logistik zu verwirklichen. Das schließt nicht nur eine sinnvoll geplante Produktion mit ein, sondern auch die Überwindung der Kluft zwischen Stadt und Land sowie die möglichst gleichmäßige internationale Verteilung von Industrie und Dienstleistungen.

Voraus geht diesem Vorschlag natürlich, die Kontrolle über die Produktion dem bürgerlichen Staat und den KapitaleignerInnen zu entreißen. Die einzige gesellschaftliche Kraft, die dies überhaupt könnte, ist die organisierte und sich ihrer Aufgabe bewusst werdende ArbeiterInnenklasse, die damit beginnt, für die Enteignung der Transportunternehmen einzutreten, für demokratische ArbeiterInnenkontrolle kämpft und selbst ein Verkehrswendeprogramm entwickelt, dem der Grundsatz „So wenig wie möglich, so viel wie nötig“ aus Sicht der notwendigen Reproduktion der unmittelbaren ProduzentInnen und nicht der Produktion fürs Kapital zugrunde liegt.

Natürlich – davon sind wir weit entfernt, von einer klassenbewussten ArbeiterInnenklasse, die sich der ökologischen Aufgaben unserer Zeit annimmt. Derzeit sucht die Umweltbewegung nach dem Weg, der wirklich zu einer anderen Klima- und Umweltpolitik, ernsthaft zu einer globalen Verkehrswende führt. Wir haben hier kurz versucht anzureißen, warum die Postwachstumstheorie nur eine mangelhafte Antwort gibt. Demgegenüber schlagen wir der Umweltbewegung vor, die potentielle Macht einer ArbeiterInnenbewegung wieder zu entdecken. Dazu braucht diese eine neue revolutionäre Partei, die revolutionäres Umweltbewusstsein in Klasse und Bewegung tragen kann. Denn: Was ist schon die individuelle Entschleunigung gegen einen Generalstreik für das Klima?




Tarifverhandlungen DB AG: Die letzte Schlacht der GDL?

Mattis Molde / Leo Drais, Neue Internationale 254, April 2021

Sie hatte die deutsche Gewerkschaftslandschaft belebt und offensive bundesweite Streiks organisiert. Jetzt geht’s für die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ums Ganze. Grund ist das sogenannte Tarifeinheitsgesetz (TEG), welches 2015 verabschiedet wurde und jetzt erstmals seine ganze Dynamik entfaltet. Wir erinnern uns: Die Medien schäumten und versuchten, die Fahrgäste gegen die Streiks zu mobilisieren. Die DGB-Gewerkschaften verweigerten jede Solidarität und beschimpften die GDL als Spalterin. Die Regierung der Großen Koalition  veranlasste eine Gesetzesänderung, um diesem – im internationalen Vergleich dennoch moderaten – Ausbruch von Streikbewegung einen dauerhaften Riegel vorzuschieben. Das Gesetz zur „Tarifeinheit“ stellt einen historischen Angriff auf das Streikrecht in Deutschland dar. Ein wichtiger Sieg des deutschen Großkapitals mit williger Beihilfe der DGB-Bürokratie. Es war unter anderem der EVG-Vorstandsmitglied Martin Burkert, der als SPDler im Bundestag für das TEG stimmte. Dieser Schandfleck wird immer bleiben.

Das Gesetz mit irreführendem Namen legt fest, dass in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag gelten darf und nur die mitgliederstärkste Vereinigung das Recht hat, einen solchen abzuschließen. Für eine Minderheitsgewerkschaft bleibt nur die Möglichkeit, sich dem bereits abgeschlossenen Vertrag anzuschließen. Da in Deutschland nur eine anerkannte Gewerkschaft streiken darf (also nicht Belegschaften) und nur für Forderungen, die tariflich abgebildet werden können und nicht in einem gültigen anderen Vertrag geregelt sind, verliert eine Minderheitsgewerkschaft jede Wirkmächtigkeit.

Und da sind wir nun: Der Tarifvertrag der GDL ist ausgelaufen, die Konkurrenzgewerkschaft unter dem Dach des DGB, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat schon vergangenes Jahr einen mit der DB AG abgeschlossen. Die GDL kann diesen nun akzeptieren und sich damit selbst als überflüssig erklären. Oder sie kämpft – gegen das Gesetz oder für eine Mitgliedermehrheit. Ersteres hatte sie zusammen mit ver.di nach Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes rechtlich vor dem Bundesverfassungsgericht versucht – und verloren. Letzteres versucht die GDL offensiv seit dem vergangenen Winter, als sie über ihre bisherige Konzentration auf Zugpersonale (TriebfahrzeugführerInnen, ZugbegleiterInnen, Bordgastronomie, … ) hinausging und sich für alle Berufsgruppen im Bahnbetrieb öffnete (also auch FahrdienstleiterInnen, InstandhalterInnen, Werkstattpersonale, Aufsichten, … ).

Staat, DB und EVG vs. GDL

Die GDL tritt für einen Eisenbahn-Flächentarifvertrag (EFTV) für das Zugpersonal und die Beschäftigten der Fahrzeuginstandhaltung, des Netzbetriebs und der Fahrweginstandhaltung ein. Eckpunkte: 4,8 Prozent mehr Lohn, 1.300 Euro Corona-Prämie, Ballungsraumzulage sowie grundsätzliche Regelungen zu Arbeitszeit, Urlaub, Schichtdienstzuschlägen. Den EFTV will die GDL nicht nur auf die Deutsche Bahn anwenden, sondern bei allen Eisenbahninfrastruktur- und -verkehrsunternehmen vorbringen.

Die Deutsche Bahn AG hat indessen angekündigt, ab 1. April das Tarifeinheitsgesetz anwenden zu wollen. Das bringt gewisse Schwierigkeiten mit sich, denn es setzt für die DB voraus herauszufinden, in welchem der 300 DB-Betriebe welche Gewerkschaft die Mehrheit hat, und die Beschäftigten nach ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit zu fragen, ist verboten. Geschätzt wird, dass in 16 von 71 fraglichen Betrieben die GDL die Mehrheit hat, in den anderen 55 die EVG. Im Zweifel hat ein Gericht darüber zu entscheiden. Welch Glück für den DB-Personalvorstand Seiler, dass er auf eine altbekannte Gehilfin des DB-Konzerns zählen kann: die EVG. Diese hat sich willens erklärt, ihre Mitgliederzahlen notariell bestätigen zu lassen.

Überhaupt, kommen wir mal zur EVG … Dass der Staat als Eigentümer und die DB AG selbst keine Fans der GDL sind, ist immerhin bekannt.

Oft genug wird die EVG von EisenbahnerInnen als verlängerter Arm des DB-Vorstandes begriffen, und das nicht von ungefähr. So hat ihre Vorläuferin GdED (Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands) einst zur Mehrdorn-Ära fleißig Angriffe mitgetragen, indem, anstatt das hohe Niveau der LokführerInnen auf alle auszudehnen, diese besonders hart beschnitten wurden, um den anderen Berufsgruppen kleine Zugeständnisse zu bescheren. Die Folge war eine Hinwendung der LokführerInnen zur GDL, welche sich von einer gelben zu einer kämpferischen Gewerkschaft gewandelt hatte. Vergangenes Jahr wiederum hat die EVG einen Tarifvertrag mit dem DB-Konzern beschlossen, im Grunde völlig an ihren Mitgliedern vorbei, der dank Inflation wohl auf einen Reallohnverlust hinauslaufen wird, bei gleichzeitiger Zustimmung zu Manager-Boni.

Es ist zu erwarten, dass die GDL und die DB AG sich nicht einig werden. Streiks in einer Intensität wie 2015 sind zu erwarten. Die EVG-Bürokratie um Hommel und Loroch wird dann wohl wieder nicht zögern, in die Hetze von Staat, Medien und Konzern einzustimmen. Bahn-Vorstand Seiler warf der GDL jüngst vor, ihre Forderung gefährde die Mobilitätswende – ein lächerlicher Vorwurf angesichts der Tatsachen, dass in den letzten 30 Jahren Tausende Kilometer Gleis verschwanden, die Bahn mit chronischer Unpünktlichkeit kämpft und der vergangene Wintereinbruch wieder völlig überraschend kam.

Andererseits formuliert die GDL selbst zwar zum Teil gute Vorschläge zur Stärkung des Eisenbahnsystems, aber ihre Zustimmung zum Vorstoß der Grünen zur Zerschlagung der DB, der Trennung von Netz- und Zugbetrieb in Verbindung mit einer Wettbewerbsausweitung auf der Schiene ist fatal und würde bei Umsetzung das System Eisenbahn lähmen, nicht zuletzt auf Kosten der Beschäftigten. Das Chaos, das die Zerschlagung eines einheitlichen Netzbetriebs hinterließ, kann z. B. man gut an der britischen Bahnreform studieren und wird es demnächst an der Berliner S-Bahn können, wo die Vorschläge der grünen Verkehrssenatorin Regine Günther in ähnliche Richtung zielen.

Solidarität mit den KollegInnen!

Was es braucht, ist eine Kampagne unter Fahrgästen und anderen GewerkschafterInnen, die den Hintergrund der Auseinandersetzung aufklärt und die Verbindung zur Klimafrage und Verkehrswende knüpft. Wer eine funktionierende Eisenbahn will, darf beim Personal nicht sparen. Angesichts steigender Mieten und Corona-Krise sind die Forderungen der GDL mehr als berechtigt.

Im Schatten des TEG geht es aber um noch mehr, nämlich darum, ob Staat, Kapital und DGB-Bürokratie es schaffen, ein Exempel an einer kämpferischen Spartengewerkschaft zu statuieren, das auch Cockpit oder UFO treffen könnte. Freilich verdient auch die GDL Kritik. Am Ende des Tages bleibt der Konflikt zwischen EVG und GDL um Mitgliedermehrheiten immer noch ein Clinch zweier Gewerkschaftsbürokratien, auch wenn wir zur Verteidigung der GDL gegen den Angriff von Bahn und EVG aufrufen, der für die GDL je nach Entwicklung der nächsten Monate existenzgefährdend sein kann. Alle Linken und GewerkschafterInnen sollten daher ihre Solidarität mit der GDL zeigen, EVGlerInnen dafür eintreten, keinen Streikbruch zu begehen.

Abschließend zeigt der Kampf der GDL zweierlei:

  • Um Angriffen wie dem TEG entgegenzutreten, müssen GewerkschafterInnen den politischen Streik und das Recht darauf auf die Tagesordnung setzen, denn die mögliche Illegalisierung des GDL-Kampfes stellt letztlich die Frage: Illegal streiken und sich durchsetzen oder Hinnahme des Genickbruchs?

  • Das Neben- und Gegeneinander von EVG-, GDL- und im Bezug auf den Nahverkehr auch ver.di-Bürokratie führt zu fortwährendem Streikbruch und Lohnkonkurrenz. Daher schlagen wir den Kampf für eine einheitliche, allumfassende Transportgewerkschaft im Rahmen einer nach Wertschöpfungsketten erneuerten Branchenstruktur der DGB-Gewerkschaften, die UFO, Cockpit & Co. ein Fusionsangebot unterbreiten sollen, vor, die nicht nur den Eisenbahnsektor, sondern die gesamte Logistik zu Lande, zu Wasser und in der Luft umfasst, die demokratisch von ihren Mitgliedern kontrolliert wird, eine jederzeit wähl- und abwählbare, rechenschaftspflichtige Führung hat und dadurch ihre Kämpfe und Forderungen vereinheitlicht und koordiniert. So nämlich geht eine Spaltungsüberwindung im Interesse der TransportarbeiterInnen selbst … und nicht indem eine Bürokratie eigennützig der anderen den Kopf vom Halse schlägt. Ja richtig, du bist gemeint, EVG-Vorstand!



Dannenröder Wald: Solidarität mit der Besetzung – Autoindustrie enteignen!

ArbeiterInnenmacht-Flugblatt, Infomail 1128, 28. November 2020

Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode! Was ist die A49 anderes als ein Geschenk an VW, Daimler und Co, diesen heiligen Kühen des deutschen Kapitalismus?

Die Klimakrise verlangt nach einer schnellen Verkehrswende, die Ressourcenvernutzung und Ineffizienz des motorisierten Individual- wie Straßengüterverkehrs ebenso. Und doch hält die Grünen, die CDU, Scheuer und DEGES (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH) bisher nichts davon ab, Räumpanzer und Raupenbagger durch den Danni rollen zu lassen. Verbissen und rücksichtslos halten Bundes- und Landesregierungen am Ausbau fest.

Kapitalinteressen

Rechtlich abgesegnet oder nicht – vom gesamtgesellschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, macht der Ausbau der A49 wie der jeder anderen Asphaltpiste überhaupt keinen Sinn. Bedient werden die Interessen von Autoindustrie, der Bauwirtschaft und generell der herrschenden Kapitalfraktionen – sichert die A49 doch aktuelle und zukünftige Profite.

So wird der Danni jetzt ohne Rücksicht auf Klimawandel und Corona-Gefahr gerodet. Der Wald und die BesetzerInnen werden von Sonderheiten der Polizei belagert, AktivistInnen bespitzelt und festgenommen. In Gefangenensammelstellen gibt es Fälle von Misshandlung. Schwere Verletzungen oder Schlimmeres werden in Kauf genommen.

Kein Opfer ist zu teuer. Auf dem heiligen Betonaltar des deutschen Automobilkapitals bersten krachend die Knochen derer, die die Polizei aus des Waldes Himmel stürzen lässt.

„Verkehrswende“ von Landes- und Bundesregierung

Alle, die vorhaben, 2021 die Grünen in die Regierung zu wählen – schaut auf Dannenrod! Wer glaubt, mit der Partei sei eine Verkehrswende zugunsten der Wälder und des Klimas zu haben, wird hier eines Besseren belehrt. In der Landesregierung halten die Grünen stoisch an der A49 fest. Im Bundestag verweist man auf die Regierung … und ach! Grundsätzlich seien die Grünen ja gegen die Autobahn! Ducken und heucheln! Wer will schon die CDU ein Jahr vor der Bundestagswahl ärgern? Immer dann, wenn‘s konkret um die (vegane) Wurst – oder besser um den Wald – geht, erweisen sich die Grünen als verlässliche PartnerInnen deutscher Auto- und Energiekonzerne. Der Abholzung des Hambacher Forstes wurde ja auch schon mal zugestimmt.

Derweil will Bundesverkehrs(auto)minister Andreas Scheuer (CSU) die Lage erkannt haben und hat vor einigen Monaten – natürlich ohne die A49 in Frage zu stellen – das „Bündnis für unsere Bahn“ mit der Dachstrategie „Starke Schiene“ ins Leben gerufen. In diesem Schienenpakt befinden sich neben anderen das Verkehrsministerium, Schienenindustrien, Deutsche Bahn und die Gewerkschaft EVG. Was haben wir davon zu erwarten? Sage und schreibe 25 % soll der Schienengüterverkehr am gesamten Warentransport irgendwann (wann ist unklar) mal ausmachen. Heute sind es etwa 18 %. Die Milliarden, die angeblich für einen nie dagewesenen Rückenwind für die Eisenbahn sorgen, sind nicht mehr als eine leichte Brise, die den vorhandenen Investitionsstau im Schienennetz kaum auflösen kann.

Wenn in der jetzigen Wirtschaftskrise überhaupt jemand dick staatlichen Rückenwind verspürt, dann ist es der Kernsektor des deutschen Kapitals. Anstatt die Schiene durchgehend zu elektrifizieren, wird darüber sinniert, Autobahnen wie bei Darmstadt unter Oberleitung zu setzen, damit die Vormachtstellung des Lkw einen grünen Anstich bekommt. Das Konjunkturpaket der Regierung enthält zwar keine Kaufprämie für reine Verbrennerautos, dafür dann umso mehr für die ähnlich große ökologische Blödsinnigkeit E-Auto. Soviel zur „Verkehrswende“ der Regierung und Konzerne.

Und die echte Verkehrswende?

Zeit für freundlichere Töne, für eine solidarisch gemeinte Kritik. Wir teilen den Ruf nach einer echten Verkehrswende, also der Verlagerung des Verkehrs zu ressourcen- und emissionsärmeren Fortbewegungsarten. Die BesetzerInnen um „Wald statt Asphalt“ gehen noch weiter und nehmen den Kapitalismus ins Visier, fordern einen radikalen Systemwandel und Klimagerechtigkeit. Das teilen wir auch. Aber: Das fehlende Salz in der Suppe ist unserer Meinung nach, dass ein radikaler Systemwandel konkrete Forderungen und einen konkreten Weg weit über Waldbesetzungen hinaus braucht. Wie kann der aussehen?

Derzeit müsste der Kampf mit dem gegen die Wirtschaftskrise politisch verbunden werden. Massive Entlassungen finden statt oder werden kommen. Die ökologische wird durch die Wirtschaftskrise und die brutaler werdende Konkurrenz weiter verschärft werden. Es braucht die Verbindung der Kämpfe und den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das für Massenstreiks bis hin zum Generalstreik gegen alle Entlassungen, Lohnkürzungen – ja überhaupt das Abwälzen der Krise auf die breite Bevölkerung – eintritt und zugleich ein Notprogramm gegen die Klimakrise einfordert.

Klassenkampf

Damit ein Generalstreik gegen die Klimakatastrophe nicht nur angekündigt, sondern auch real werden kann, muss die ArbeiterInnenklasse zur zentralen Kraft der Bewegung werden. Dies bedeutet jedoch keineswegs nur, ja nicht einmal in erster Linie, eine Veränderung der Aktionsform – es bedeutet vor allem eine Änderung des eigentlichen Ziels: die Enteignung des Kapitals und die Errichtung einer globalen, demokratischen Planwirtschaft. Nur so kann ein „System Change “ Wirklichkeit werden.

Von einem Generalstreik und Massenstreiks sind wir derzeit noch weit, sehr weit entfernt. Die ArbeiterInnenklasse tritt in der Umweltbewegung bisher nicht als zentrale Akteurin in Erscheinung. Das liegt aber nicht daran, dass ArbeiterInnen chronisch passiv wären, dass sie ihre Jobs in der Autoindustrie so lieben oder ihnen das Thema egal ist, zumal es im Nahverkehr eine große Zahl von Beschäftigten gibt, die sich sehr für eine Verkehrswende starkmachen.

Die Passivität breiter Teile der ArbeiterInnenklasse gegenüber der Umweltbewegung rührt viel eher daher, dass die SozialpartnerInnenschaft der DGB-Gewerkschaften sie ruhigstellt, andererseits aber auch daher, dass die Umweltbewegung die Lohnabhängigen bisher nicht ansprechen konnte. Um sie zu erreichen, braucht es ein Programm, das klarmacht, dass nicht sie für die Verkehrswende zahlen soll – sei es durch Jobverlust oder CO2-Steuer –, sondern die Konzerne und BesitzerInnen großer Vermögen zur Kasse gebeten werden.

Letzten Endes heißt die Verkehrswende für uns viel mehr als „weg von der Straße hin zur Schiene, zu Bussen, zu Füßen und Fahrrädern“. Sie bedeutet vor allem auch so wenig wie möglich, so viel wie nötig Verkehr. Das heißt, diesen so zu reorganisieren, dass dort, wo Menschen leben, weder Lkw noch Güterzüge durch ihre Schlafzimmer brettern. Das heißt letztlich, Stadt und Land umzukrempeln, dass Verkehr  nicht mehr an den Bedürfnissen des Kapitals, sondern denen  der Menschheit ausgerichtet werden soll.

Konkret geht‘s um:

  • Kein A49-Ausbau, sofortiger Stopp aller Autobahnprojekte – beteiligt Euch an Demonstrationen um Dannenrod, unterstützt die BesetzerInnen und das Camp! Freiheit für alle Inhaftierten und politischen Gefangenen des Dannis und der Autobahnblockaden!
  • Stattdessen: massiver Ausbau der Schienenwege im Kernnetz wie auch in der Fläche, durchgehende Elektrifizierung, ausschließliche Speisung aus regenerativen Energien!
  • Massive Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene! Ausbau von Gleisanschlüssen zu Fabriken! Beförderungszwang zum Transport auf der Schiene für Unternehmen ab einer bestimmten Produktionsgröße! Für einen kostenlosen Nah- und Berufsverkehr! Mit der Main-Weser-Bahn gibt es eine Schienentrasse, die sich hinsichtlich Kapazität und Einzugsgebiet ausbauen ließe und Güter- und Personenverkehr der Region aufnehmen könnte!
  • Für den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das den Kampf gegen die Klimakrise mit der Abwehrschlacht gegen soziale Angriffe, Entlassungen und Kurzarbeit verbindet! Ein Anfang dafür kann die „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)“ sein – unterstützt diese!
  • Keine einzige Entlassung in der Transportindustrie wegen Verkehrswende oder Wirtschaftskrise! Verteilung der Arbeit auf alle! Für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Schnellstmögliche Umstrukturierung der gesamten Industrie, demokratisch geplant und kontrolliert durch die ArbeiterInnenklasse!
  • Bezahlung der Verkehrswende durch eine massive Steuer auf Profite und große Privatvermögen! Die KapitalistInnen haben die Krise zu verantworten, also müssen sie dafür zahlen!
  • Enteignung des gesamten Verkehrssektors unter ArbeiterInnenkontrolle, erkämpft durch Massenstreiks und Fabrikbesetzungen!
  • Weder B3 noch A49 noch Güterzugtrasse vor der Tür! Restrukturierung, Aufhebung der Kluft zwischen Stadt und Land, so dass Lebensräume und Verkehrswege weitgehend voneinander getrennt sind!
  • Entwicklung eines integralen Notfallplanes fürs Klima durch die ArbeiterInnenklasse, der die Produktion an den Bedürfnissen der breiten Menschheit ausrichtet statt an Profitinteressen – nur so kann so wenig wie möglich Verkehr produziert werden!

Die Besetzung braucht solidarische Unterstützung. Der Aktionstag von Ende Gelände vom 22.11. (EG goes Danni) deutete an: Nur massenhaft kann die Rodung wirklich gestoppt werden! Ohne eine Mobilisierung, die Tausende auf die Straße, zur Besetzung und zu den Blockaden bringt, die in den umliegenden Orten und in den Betrieben verankert ist, ziehen Polizei und Landesregierung den Bau rücksichtslos durch. Doch nicht nur in Dannenrod, auch in Wiesbaden, in Berlin und anderen Großstädten bräuchte es Großdemos!

Es ist klar, dass wir mit bloßen Appellen an die Autoindustrie, an Scheuers Ministerium, ja generell an den bürgerlichen Staat, an die Grünen, die SPD-Führung und an IG-Metall-Betriebsräte bei VW und Co. das Klima nicht retten werden. Die BesetzerInnen im Baum haben das erkannt. Es ist auch klar, dass die Rettung des „Dannis“ alleine noch lange keine Verkehrswende bedeutet. Also lasst uns  weitergehen: vom abstrakten „System Change“ hin zu konkretem Antikapitalismus!




Dannenröder Forst: Solidarität mit der Besetzung – Autoindustrie enteignen!

Leo Drais, Infomail 1120, 7. Oktober 2020

Im sonst gemütlichen Mittelhessen zwischen Gießen und Kassel ist an diesen Tagen einiges los. UmweltaktivistInnen besetzen seit rund einem Jahr einen Wald in der Nähe des Dorfes Dannenrod, einem Stadtteil von Homberg (Ohm) im Vogelsbergkreis, damit selbiger nicht dem Autobahnbau der A49 weichen muss. Seit dem 1. Oktober spitzt sich der Kampf um den „Danni“ zu. Die Rodungssaison ist eröffnet – der Staat schickte ein Polizeigroßaufgebot, um der Kettensäge sein Geleit zu geben und die BesetzerInnen von den Bäumen zu holen. Gegen Räumung, Rodung und Raupenbagger fand am 4. Oktober eine Demonstration mit rund 2.000 TeilnehmerInnen statt.

Dabei geht es hier um viel mehr als einen Autobahnbau durch einen Dauermischwald (hoher Anteil an Buchen und Eichen), der als Paradebeispiel für nachhaltige Forstwirtschaft in einem sensiblen Wassergebiet gilt. Die Demos und Besetzungen rund um Homberg (Ohm) richten sich angesichts der Klimakrise vielmehr gegen den motorisierten Individual- und Schwerlastverkehr auf der Straße im Generellen. Eine Verkehrswende zugunsten von Verkehrsträgern wie Rad oder Schiene wird gefordert.

Die A49

Derzeit beginnt die Bundesautobahn A49 in Kassel und endet in der Nähe von Neuental (Schwalm-Eder-Kreis) in der Prärie Nordhessens irgendwo zwischen Eder und Lahn. Somit bringt diese Autobahn dem Lkw-Verkehr, dieser heiligen Kuh des deutschen Gütertransports, dem Zögling des Bundesverkehrsministeriums und der Ausgeburt der deutschen Industrieperlen Daimler und VW (ja richtig gelesen, dem Konzern gehören mit MAN und Scania nämlich auch Nutzfahrzeugsparten!) – nichts! Die Landstraße, in die die A49 zur Zeit mündet, ist für den Schwerlastverkehr gesperrt.

Somit quetschen sich die Lkw-Kolonnen von Norddeutschland in Richtung Schweiz weiter durch den neuralgischen Punkt Kirchheimer-/Hattenbacher Dreieck, wo mit A 7, A 4 und A 5 die wichtigsten Nord-Süd- und Ost-West-Achsen des bundesdeutschen Fernstraßennetzes aufeinandertreffen. Aus der Idee heraus, diesen Knoten zu entlasten, wurde die A49 geboren. Darin besteht das eigentliche Motiv des Autobahnbaus. Ein nachrangiges stellt die schnellere Straßenverbindung zwischen dem Rhein-Main-Gebiet, Gießen/Marburg und Kassel dar. Die Teermaschinen kamen bis Neuental, 1994 war dort erst mal Schluss. Seither gibt es ein langes Zerren um Umweltschutzmaßnahmen, Finanzierung und Planfeststellung. Seit 2017 hat der Planfeststellungsbeschluss Bestand. Es darf weiter geteert werden und dank ÖPP (öffentlich-privater-Partnerschaft) kann das Privatkapital direkt daran mitverdienen.

Vom gesamtgesellschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, macht der Autobahnausbau freilich keinen Sinn wie überhaupt jeder deutsche Autobahnausbau. Die Klimakrise verlangt nach einer schnellen Verkehrswende, die Ressourcenvernutzung und Ineffizienz des Individual- wie Straßengüterverkehrs ebenso. Mit der Main-Weser-Bahn gäbe es zudem bereits eine Bahntrasse, die sich hinsichtlich Kapazität und Einzugsgebiet ausbauen ließe und dann auch mehr Güter- und Personenverkehr der Region aufnehmen könnte.

Lokal wird das mitunter anders gesehen. Ein Teil der Mittel- und OberhessInnen unterstützt die Proteste gegen die Rodung, ein anderer hat ein Interesse am A49-Ausbau. Da wären einerseits die AnliegerInnen der Bundesstraße B3, die ihrerseits vom Schwerlastverkehr betroffen sind und durch die A49 eine Entlastung erfahren würden. Anderseits gibt es eine Reihe lokal angesiedelter Unternehmen wie bspw. Ferrero Stadtallendorf, die sich ebenso wie einige Kommunen einen besseren Anschluss ans Straßennetz wünschen. Die UnterstützerInnen der Autobahn finden sich in der „JA A49“-Initiative wieder. Ihre etwas populistisch gehaltene Website verkauft uns die A49 dann auch als Umweltschutz. Letzteres ist, global wie lokal betrachtet, natürlich Blödsinn. Mehr Autobahn heißt mehr Auto- und Lkw-Verkehr – gerade weil der Weg Kassel – Gießen kürzer würde. Das bestätigt sich statistisch sowohl an vergangenen Autobahnprojekten als auch aus Sicht von Angebot- und Nachfrageprinzipien. Das heißt: mehr Treibhausgasmissionen, Oberflächenversiegelung und Störung eines Wasserreservoirs, von dem sogar Frankfurt/Main zerrt.

„Verkehrswende“ von Landes- und Bundesregierung

Alle, die vorhaben, 2021 die Grünen in die Regierung zu wählen, sollten einen genauen Blick auf das kleine Dannenrod in der hessischen Provinz werfen. Wer glaubt, mit den Grünen sei eine Verkehrswende zugunsten der Wälder und des Klimas zu haben, wird hier eines Besseren belehrt. Die hessischen Grünen sitzen nämlich mit der CDU in der Landesregierung – und halten stoisch an der A49 fest.

Dem Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, fiel auf der Demo am vergangenen Sonntag, den 4. Oktober, auch nichts Besseres ein, als auf bestehende Beschlüsse zum Straßenausbau zu verweisen: Berlin müsse den Bau stoppen, grundsätzlich sei seine Partei ja gegen die Autobahnen … Gelaber und Gewäsch also! Von den hessischen Grünen kommt erst recht keine klare Kante gegen das Projekt. Wer will schon die CDU ein Jahr vor der Bundestagswahl ärgern? Immer dann, wenn‘s konkret um die (vegane) Wurst – oder besser um den Wald – geht, erweisen sich die Grünen als verlässliche PartnerInnen deutscher Auto- und Energiekonzerne. Der Abholzung des Hambacher Forstes wurde ja auch schon mal zugestimmt.

Derweil will Bundesverkehrs(auto)minister Andreas Scheuer (CSU) die Lage erkannt haben und hat vor einigen Monaten – natürlich ohne die A49 in Frage zu stellen – das „Bündnis für unsere Bahn“ mit der Dachstrategie „Starke Schiene“ ins Leben gerufen. In diesem Schienenpakt befinden sich neben anderen das Verkehrsministerium, Schienenindustrien, Deutsche Bahn und die Gewerkschaft EVG. Was haben wir davon zu erwarten? Sage und schreibe 25 % soll der Schienengüterverkehr am gesamten Warentransport irgendwann (wann ist unklar) mal ausmachen, heute sind es etwa 18 %. Die Milliarden, die angeblich für einen nie da gewesenen Rückenwind für die Eisenbahn sorgen, sind nicht mehr als eine leichte Brise, die den vorhandenen Investitionsstau im Schienennetz kaum auflösen kann.

Wenn in der jetzigen Wirtschaftskrise überhaupt jemand dick staatlichen Rückenwind verspürt, dann ist es der Kernsektor des deutschen Kapitals. Anstatt die Schiene durchgehend zu elektrifizieren, wird darüber sinniert, Autobahnen wie bei Darmstadt unter Oberleitung zu setzen, damit die Vormachtstellung des Lkw einen grünen Anstich bekommt. Das Konjunkturpaket der Regierung enthält zwar keine Kaufprämie für reine Verbrennerautos, dafür dann umso mehr für die ähnlich große ökologische Blödsinnigkeit E-Auto. Soviel zur „Verkehrswende“ der Regierung und Konzerne.

Und die echte Verkehrswende?

Sowohl das Demobündnis (Danni bleibt) als auch die BesetzerInnen (Wald statt Asphalt) betonen in ihren Aufrufen die Wichtigkeit einer echten Verkehrswende und einer Verlagerung des Verkehrs zu ressourcen- und emissionsärmeren Fortbewegungsarten. Das teilen wir. „Wald statt Asphalt“ geht noch weiter und nimmt den Kapitalismus ins Visier, fordert einen radikalen Systemwandel und Klimagerechtigkeit. Das teilen wir auch. Das fehlende Salz in der Suppe ist aber unserer Meinung nach, dass ein radikaler Systemwandel konkrete Forderungen und einen konkreten Weg weit über Waldbesetzungen hinaus braucht.

Die Besetzung selbst wird begründet mit: „Für die Form des Widerstands (Besetzung und direkte Aktion) haben wir uns entschieden, weil andere Formen des Widerstands (wie Demos, Petitionen, Klagen & Appelle an politische Entscheidungsträger*innen) den Bau der A49 bisher nicht aufhalten konnten und mit den Rodungen nun Fakten geschaffen werden sollen. Veränderung braucht mutiges und entschlossenes Handeln – deswegen besetzen wir!“ (https://waldstattasphalt.blackblogs.org/besetzung-warum/)

So richtig und wichtig die Demonstration oder Baumbesetzungen auch sind – verglichen mit politischen Massenstreiks der ArbeiterInnenklasse sind dies nur weitgehend symbolische Aktionsformen. Derzeit erleben wir die größte Wirtschaftskrise zu unser aller Lebzeit. Massive Entlassungen finden statt oder werden kommen. Die ökologische Krise wird durch die Wirtschaftskrise und die brutaler werdende Konkurrenz weiter verschärft werden. Es braucht die Verbindung der Kämpfe und den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das für Massenstreiks bis hin zum Generalstreik gegen alle Entlassungen, Lohnkürzungen – ja überhaupt das Abwälzen der Krise auf die breite Bevölkerung – eintritt und zugleich ein Notprogramm gegen die Klimakrise einfordert.

Damit ein Generalstreik gegen die Klimakatastrophe nicht nur angekündigt, sondern auch real werden kann, muss die ArbeiterInnenklasse zur zentralen Kraft der Bewegung werden. Dies bedeutet jedoch keineswegs nur, ja nicht einmal in erster Linie eine Veränderung der Aktionsform – es bedeutet vor allem eine Änderung des eigentlichen Ziels: die Enteignung des Kapitals und die Errichtung einer globalen, demokratischen Planwirtschaft. Nur so kann ein „System Change “ Wirklichkeit werden.

Von einem Generalstreik und Massenstreiks sind wir derzeit noch weit entfernt. Die ArbeiterInnenklasse tritt in der Umweltbewegung bisher nicht als zentrale Akteurin in Erscheinung. Das liegt aber nicht daran, dass ArbeiterInnen chronisch passiv wären, dass sie ihre Jobs in der Autoindustrie so lieben oder ihnen das Thema egal ist, zumal es im Nahverkehr eine große Zahl von Beschäftigten gibt, die sich sehr für eine Verkehrswende starkmachen.

Die Passivität breiter Teile der ArbeiterInnenklasse gegenüber der Umweltbewegung rührt viel eher daher, dass die SozialpartnerInnenschaft der DGB-Gewerkschaften sie ruhigstellt, andererseits aber auch daher, dass die Umweltbewegung die Lohnabhängigen bisher nicht ansprechen konnte. Um sie zu erreichen, braucht es ein Programm, das klar macht, dass nicht sie für die Verkehrswende zahlen soll – sei es durch Jobverlust oder CO2-Steuer –, sondern die Konzerne und BesitzerInnen großer Vermögen zur Kasse gebeten werden.

Letzten Endes heißt die Verkehrswende für uns viel mehr als „weg von der Straße hin zur Schiene, zu Bussen, zu Füßen und Fahrrädern“. Sie bedeutet vor allem auch so wenig wie möglich, so viel wie nötig Verkehr. Das heißt, diesen so zu reorganisieren, dass dort, wo Menschen leben, weder Lkw noch Güterzüge durch ihre Schlafzimmer brettern. Das heißt letztlich, Stadt und Land umzukrempeln, dass Verkehr  nicht mehr an den Bedürfnissen des Kapitals, sondern nach denen  der Menschheit ausgerichtet werden soll.

Konkret geht‘s um:

  • Kein A49-Ausbau, sofortiger Stopp aller Autobahnprojekte – beteiligt Euch an Demonstrationen um Dannenrod, unterstützt die BesetzerInnen!

  • Stattdessen: massiver Ausbau der Schienenwege im Kernnetz wie auch in der Fläche, durchgehende Elektrifizierung, ausschließliche Speisung aus regenerativen Energien!

  • Massive Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene! Ausbau von Gleisanschlüssen zu Fabriken! Beförderungszwang zum Transport auf der Schiene für Unternehmen ab einer bestimmten Produktionsgröße! Für einen kostenlosen Nah- und Berufsverkehr!

  • Für den Aufbau eines Antikrisenbündnisses, das den Kampf gegen die Klimakrise mit der Abwehrschlacht gegen soziale Angriffe, Entlassungen und Kurzarbeit verbindet! Ein Anfang dafür kann die „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)“ sein – unterstützt diese!

  • Keine einzige Entlassung in der Transportindustrie wegen Verkehrswende oder Wirtschaftskrise! Verteilung der Arbeit auf alle! Für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Schnellstmögliche Umstrukturierung der gesamten Industrie, demokratisch geplant und kontrolliert durch die ArbeiterInnenklasse!

  • Bezahlung der Verkehrswende durch eine massive Steuer auf Profite und große Privatvermögen! Die KapitalistInnen haben die Krise zu verantworten, also müssen sie dafür zahlen!

  • Enteignung des gesamten Verkehrssektors unter ArbeiterInnenkontrolle, erkämpft durch Massenstreiks und Fabrikbesetzungen!

  • Weder B3 noch A49 noch Güterzugtrasse vor der Tür! Restrukturierung, Aufhebung der Kluft zwischen Stadt und Land, so dass Lebensräume und Verkehrswege weitgehend voneinander getrennt sind!

  • Entwicklung eines integralen Notfallplanes fürs Klima durch die ArbeiterInnenklasse, der die Produktion an den Bedürfnissen der breiten Menschheit ausrichtet statt an Profitinteressen – nur so kann so wenig wie möglich Verkehr produziert werden!

Es ist klar, dass wir mit bloßen Appellen an die Autoindustrie, an Scheuers Ministerium, ja generell an den bürgerlichen Staat, an die Grünen, die SPD-Führung und an IG-Metall-Betriebsräte bei VW und Co. das Klima nicht retten werden. Die BesetzerInnen im Baum wissen das. Sie wissen auch, dass Baumbesetzungen noch keine umfassende Verkehrswende bringen. Lasst uns weitergehen und entschlossen handeln: vom abstrakten „System Change“ hin zu konkretem Antikapitalismus.




Tarifrunde Nahverkehr: Klotzen, nicht kleckern! ÖPNV geht uns alle an!

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftsinto der Gruppe ArbeiterInnenmacht, September 2020

Die drohende Klimakatastrophe und die Massenbewegung für mehr Klimaschutz haben die Öffentlichkeit, die Regierungen und die Medien dazu gezwungen zuzugeben, dass es so nicht weitergehen kann.

Deshalb geht es in dieser Tarifrunde um viel: deutlich bessere Bezahlung und kürzere Arbeitszeiten; mehr Urlaub und einen gemeinsamen Flächentarif; mehr Personal und Ausbau der Systeme; Klimaschutz und sinnvolle Flächennutzung in der Stadt.

Gute Chancen also, dass diese Tarifrunde anders wird als sonst: mit mehr Themen, größerer öffentlicher Aufmerksamkeit, Bündnis mit der Umweltbewegung und NutzerInnen, die solidarisch sind, statt Unverständnis zu zeigen. Wenn wir als Beschäftigte deutlich machen, dass wir für einen besseren Nahverkehr kämpfen, dann können wir diesmal viel Rückenwind erfahren!

Im gemeinsamen Flugblatt der Bundesfachgruppe zusammen mit Friday for Future heißt es: „Wir fordern: Ein Klimapaket 2.0 – Investitionen in die Verkehrswende, jetzt! Gute Arbeitsbedingungen mit guten Löhnen im ÖPNV! Der ÖPNV ist kein Profitgeschäft, sondern Daseinsfürsorge. Mobilität für alle! Nur gemeinsam sind wir stark! Gemeinsam für eine verkehrspolitische Wende 2020.“

Kapitalinteressen

Das sehen allerdings die KapitalistInnen, ihre Parteien und Medien anders. Das Handelsblatt lässt einen Sprecher von VW zu Wort kommen: Die Lösung der Probleme des Nahverkehrs läge nicht im Ausbau des bestehenden Netzes … Vielmehr bräuchte es „innovative Konzepte“, darunter den Ausbau von sog. „Ridepooling-Unternehmen“ und ein Schleifen des „antiquierten Personennahverkehrsgesetzes“. VertreterInnen von Siemens propagieren autonom fahrende Busse. Kurz gesagt, die Autoindustrie will zukünftig Geld damit verdienen, dass über organisiertes Carsharing gerade auf stark genutzten Strecken dem öffentlichen Verkehr die Einnahmen abgegraben werden. Siemens will die FahrerInnen wegrationalisieren. Das ist keine „innovative Zukunft“, das ist der alte Mist: der ÖPNV als Lückenbüßer, die Beschäftigten billig ausgebeutet und die Profite für die Konzerne!

Deutliches Signal setzen!

  • Statt Privatisierung von Verkehrsunternehmen, statt Fremdvergabe von Linien und Aufgaben, statt „Kooperationen“ mit Privatunternehmen, die nur dazu dienen, öffentliche Gelder in private Profite zu verwandeln, brauchen wir die Verstaatlichung bzw. Rekommunalisierung aller privatisierten Betriebe unter Kontrolle der Beschäftigten! Rückholung aller fremdvergebenen Linien und Dienstleistungen, Übernahme der jeweiligen Beschäftigten! Einheitlicher Tarifvertrag für alle Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs auf dem höchsten Niveau!
  • Massiver Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Neueinstellung von zehntausenden Beschäftigten, generelle 30-Stunde-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich – kontrolliert von den Betriebs-/Personalräten und Gewerkschaften!
  • Kostenloser öffentlicher Nahverkehr in staatlicher Hand! Finanzierung des Ausbaus und des Betriebs durch die Besteuerung von Kapital, großen Vermögen und Profiten!
  • Entwicklung eines Plans zum ökologischen und sozialen, an den Interessen der Beschäftigten und NutzerInnen orientierten Umbau des Verkehrswesens unter ArbeiterInnenkontrolle!

Damit der Tarifkampf erfolgreich sein kann, muss er eng mit dem gesamten öffentlichen Dienst verbunden werden sowie mit den Tarifrunden in anderen Branchen (Metall, NGG … ) für gemeinsame Aktionen gegen die Blockaden von öffentlichen und privaten Arbeit„geber“Innen.

Die Aktionen im Nahverkehr müssen öffentlich und mit einer breiten Propaganda für eine „Verkehrswende“ begleitet stattfinden, die mit Streiks verbunden werden!

Wir rufen auf, in den Betriebsstätten regelmäßige Vollversammlungen durchzuführen, Streikkomitees zur Leitung des Arbeitskampfes und zur lokalen und bundesweiten Koordinierung zu wählen!

Kampfkraft einsetzen!

Da die Tarifforderungen nicht ohne entschlossenen Kampf und breite gewerkschaftliche und gesellschaftliche Unterstützung durchsetzbar sein werden, brauchen wir eine Mobilisierung der vollen Kampfkraft der Gewerkschaft im Nahverkehr.

  • Keine Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, sondern möglichst rasche Einleitung der Urabstimmung! Unbefristeter Streik zur Durchsetzung der Forderungen!
  • Keine Verhandlungen hinter dem Rücken der Beschäftigten – öffentliche Übertragung etwaiger Verhandlungen, kein Abschluss ohne vorherige Diskussion und Beschlussfassung durch die Arbeitenden!
  • Bildung von Solidaritäts- und Unterstützungskomitees in anderen Gewerkschaften, Betrieben, Stadtteilen und an Schulen!



Lufthansa: Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle statt Milliarden für das Kapital!

Stefan Katzer, Infomail 1107, 15. Juni 2020

Dass die Rettung „ihres“ Konzerns Tausenden Beschäftigten den Job kosten könnte, ist eine Erfahrung, die derzeit die KollegInnen der Lufthansa machen müssen. Ob irgendwer der 26.000 von Entlassung bedrohten Beschäftigten über diese bittere Ironie wird lachen können, ist stark zu bezweifeln. Stattdessen ist zu hoffen, dass sich die berechtigte Wut der Beschäftigten über diese Pläne in organisierten Widerstand wandelt.

Ganz im Sinne der AktionärInnen

Der bereits vor der Corona-Pandemie durch die Konkurrenz von sog. Billigfliegern unter Druck geratene Konzern wurde durch den fast vollständigen Einbruch der Geschäfts- und Urlaubsreisen im Zuge der Krise hart getroffen. Die Aktienkurse brachen stark ein. Lufthansa wird in Zukunft nicht mehr im DAX vertreten sein.

Die Leitung des Konzerns kündigte als Reaktion bereits an, nach der Krise nur mit verringerten Kapazitäten weitermachen zu wollen, und droht nun insgesamt 26.000 KollegInnen nicht nur in Deutschland mit Entlassung. Diese „signifikante Senkung der Personalkosten“ sei notwendig, um „die Chance eines besseren Re-Starts“ nicht zu verpassen, so Carsten Spohr, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lufthansa AG, im reinsten KapitalistInnen-Deutsch. Kurzum: die Kosten der Krise sollen auch hier die Beschäftigten zahlen, denen der Verlust ihres Arbeitsplatzes droht, denn es geht darum, auch in Zukunft die Dividenden der AktionärInnen zu sichern.

Rund 9 Milliarden Euro pumpt der Staat in den Konzern. Er erhält dafür 20 % der Aktien plus 2 Wandelanleihen in Höhe von jeweils 5 %, kauft diese also um ein Vielfaches des aktuellen Marktwertes auf Kosten der SteuerzahlerInnen und der Beschäftigten. Dies wurde möglich, weil die Bundesregierung, trotz der zur Verfügung gestellten Steuergelder und entsprechender Forderungen aus den Gewerkschaften, die Staatshilfe an keinerlei Auflagen geknüpft hat, was die Sicherung von Arbeitsplätzen anbelangt. Ihr musste klar sein, was das für die Beschäftigten bedeutet.

Daran wird erneut deutlich, dass es weder der Bundesregierung noch der Lufthansa (oder sonst irgendeinem Konzern) um die „Sicherung von Arbeitsplätzen“ geht. Es geht auch bei der Rettung der Lufthansa primär um den Erhalt eines Konzerns, dessen Zweck darin besteht, Profit für seine EigentümerInnen / AktionärInnen abzuwerfen, und an dessen Rettung als „global player“ zudem ein längerfristiges strategisches Interesse des Staates als Sachwalter der Interessen des Gesamtkapitals besteht.

Das geht natürlich auch nicht ohne diejenigen, die diesen Profit erwirtschaften, die sogenannten Beschäftigten. Die profitbringende Ausbeutung desjenigen Teils der Belegschaft, der auch in Zukunft für den Konzern verwertbar bleibt, wird nun durch die Hilfen der Bundesregierung gesichert. Sie sollen dafür, dass wir weiter „mit“arbeiten dürfen, auf substanzielle Teile ihres Einkommens verzichten und schlechtere Arbeitsbedingungen hinnehmen. So sollen z. B. PilotInnen, natürlich nur „vorübergehend“, auf bis zu 45 % ihres Gehalts verzichten. Alle anderen sollen mit KurzarbeiterInnengeld und Entlassungen abgespeist werden. Die Einzigen, die sich über eine solche „Rettung“ somit wirklich freuen können, sind die Aktionärinnen und Aktionäre. In ihrem Interesse erfolgt diese Rettung.

Die Alternative – im Sinne der Beschäftigten

Statt jetzt aber die Lufthansa einfach pleitegehen zu lassen und damit die Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit zu schicken, sollten die Beschäftigten und mit ihnen solidarische ArbeiterInnen für die entschädigungslose Enteignung und Verstaatlichung des Konzerns unter Kontrolle der Belegschaft kämpfen. Dies würde nicht nur die Sicherung der Arbeitsplätze und damit der Einkommen ermöglichen, sondern auch eine Umstrukturierung des Konzerns und des Verkehrssektors insgesamt hin zu nachhaltigen Formen der Mobilität im Interesse der Beschäftigten. Dabei muss es letztlich um den durch die ArbeiterInnen selbst kontrollierten Umbau dieses Sektors gehen. Neben der Ersetzung von Kurzstreckenflügen geht es dabei um den Ausstieg aus dem Individualverkehr im Zusammenhang mit dem Ausbau eines kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs. Diese Umwandlung kann nur erreicht werden, wenn die in diesen Sektoren Beschäftigten dafür gewonnen werden und eine tragende Rolle bei diesem Umbau spielen. Dies muss im Zusammenhang mit einem Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Kontrolle der ArbeiterInnen gegen den Widerstand der Herrschenden erkämpft werden. Denn denen geht es weder um die Rettung von Arbeitsplätzen noch um die der Umwelt – sondern einzig um die Rettung ihrer Profite.

Es ist klar, dass dies nicht durch die Beschäftigten der Lufthansa allein geleistet werden kann, sondern dass hierfür breite gewerkschaftliche Mobilisierungen, Streiks und eine politische Strategie notwendig sind. Es braucht ein Programm, das die nun anstehenden Kämpfe verbindet, vereinheitlicht und über den Rahmen des bestehenden kapitalistischen Systems hinausweist. Denn es ist umgekehrt auch klar – und die Erfahrung im Zusammenhang mit der „Rettung“ der Lufthansa zeigt es erneut –, dass alle „Anti-Krisenmaßnahmen“ im bestehenden kapitalistischen System vor allem und vorrangig den KapitalistInnen, AktionärInnen usw. nutzen und auf Kosten der ArbeiterInnen gehen.

Perspektivisch und für die gesamte ArbeiterInnenklasse geht es jetzt also darum, nicht nur solidarisch an der Seite der KollegInnen gegen die angedrohten Entlassungen zu kämpfen, sondern auch für den dringend notwendigen ökologischen Umbau des Verkehrssektors unter ihrer Kontrolle im Rahmen eines Programms gesellschaftlich nützlicher Arbeiten. Um diese Alternative zu erkämpfen, genügen aber keine Bitten an die Regierung, sondern (gesamt-gewerkschaftliche) Solidarität, Kampf- und Streikbereitschaft sowie ein konsequentes politisches Programm im Interesse der gesamten, internationalen ArbeiterInnenklasse.

Dies bedeutet aber auch, in den Gewerkschaften wie ver.di, Cockpit, UFO für eine Politik des Klassenkampfes einzutreten. Es kann nicht darum gehen, Kürzungen oder Entlassungen „sozialverträglich“ durch Verhandlungen eines sog. Sozialplans zu begleiten. Statt „Opfer“ für die Rettung eines Konzerns zu bringen, der ihnen nicht gehört, müssen die Gewerkschaften jede Kürzung, jede Entlassung bekämpfen. Verhandlungen über Sozialpläne, abgefederte Massenentlassungen und Kürzungen müssen gestoppt werden – es darf keine Verhandlungen hinter dem Rücken und ohne volle Transparenz gegenüber den Belegschaften geben.

Im gesamten Lufthansa-Konzern und all seinen Tochtergesellschaften wäre es dringend notwendig, Belegschaftsversammlungen einzuberufen – nicht nur um die Belegschaft zu informieren, sondern um Kampfmaßnahmen zu diskutieren und einen Vollstreik der Beschäftigten aller Berufsgruppen und Gewerkschaften in Deutschland und weltweit vorzubereiten. Auf den Versammlungen sollten daher der Belegschaft verantwortliche Kampf- und Aktionskomitees gebildet werden. Nur so können die Sanierungspläne auf Kosten der Beschäftigten und der Gesellschaft gestoppt und die notwendige Solidarität im Kampf geschaffen werden, um die entschädigungslose Verstaatlichung des Konzerns unter ArbeiterInnenkontrolle durchzusetzen und einen Schritt zum ökologischen Umbau des Verkehrssystems zu machen.

Der Kampf bei der Lufthansa spitzt sich zu. Massenentlassungen wie diese drohen in großen Bereichen. Um diese zu stoppen, müssen wir nicht nur einen gewerkschaftlichen und betrieblichen Abwehrkampf führen, wir müssen diesen mit dem Aufbau einer gesellschaftlichen Bewegung, einer Anti-Krisenbewegung verbinden. Der Kampf gegen Massenentlassungen und für die Verstaatlichung von Unternehmen, die damit drohen, wirklich oder vorgeblich vor der Pleite stehen, wird eine Schlüsselrolle spielen, wenn wir die Abwälzung der Krisenkosten auf die Lohnabhängigen stoppen wollen.