Demonstration in Erfurt am 14.2.: Nicht mit uns!

Jürgen Roth, Infomail 1090, 18. Februar 2020

18.000 Menschen demonstrierten am Samstag bei herrlichstem Wetter durch die malerische thüringische Landeshauptstadt. Weit über 10.000 hörten zuvor auf der Auftaktkundgebung auf dem Domplatz den Reden von Anna Spangenberg (#Unteilbar), Stefan Körzell (DGB-Bundesvorstand) und des Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm.

Einheit der DemokratInnen?

Das Motto der Veranstaltung, zu der das Bündnis #Unteilbar und der DGB aufgerufen hatten, lautete: „Nicht mit uns! Kein Pakt mit Faschist*innen – niemals und nirgendwo!“ Allein aus Thüringen und Hessen hatte der DGB 50 Busse organisiert. Die Mitglieder von ver.di, IG Metall, IG BCE, IG BAU, EVG und GEW waren deutlich sichtbar. Es demonstrierten auch die Parteien DIE LINKE, DKP, Die Grünen und – am Schluss laufend – die SPD. Von der radikalen Linken waren außer der Antifa vertreten: SAV, Sol (Sozialistische Organisation Solidarität), FDJ, MLPD, Gruppe ArbeiterInnenmacht.

Ein deutliches Zeichen gegen rechts setzte also insbesondere die massive Beteiligung der Gewerkschaften und der bürgerlichen ArbeiterInnenparteien. Darauf lässt sich aufbauen. Doch wie sieht es mit der Strategie aus?

Die AfD missbrauche „unsere Demokratie und unsere Parlamente“, so Stefan Körzell. Auch wenn die Kritik mit viel Empörung vorgetragen wurde, so trifft sich letztlich nicht den Kern dessen, wofür die AfD steht. Schließlich geht es nicht darum, wie sie sich im Landtag verhält, sondern dass sie mit ihrer reaktionären, rechts-populistische Agenda tatsächlich einen Kurzwechsel zu einem aggressiv nationalistischen und rassistischen Agierendes deutschen Imperialismus durchsetzen will.

Vor allem aber wäscht Körzell damit auch ungewollt CDU und FDP rein. Letztere wurden schließlich nicht missbraucht, sondern verhinderten zusammen mit der AfD die Neuwahl Bodo Ramelows zum Ministerpräsidenten.

Und der Reformismus?

Um die Strategie der „Einheit aller DemokratInnen“ aufrechtzuerhalten, muss aber auch der Reformismus zweierlei Betrug begehen. Zum einen wird fälschlich die AfD als faschistisch bezeichnet, um so die Einheit auch mit CDU und FDP zu rechtfertigen. Richtig ist, dass sie insbesondere in Thüringen mit FaschistInnen durchsetzt ist. Zum anderen und viel wichtiger: die offen bürgerliche Mitte wird als Bollwerk gegen den Faschismus und Rechtspopulismus aufgepeppt. 1933 lösten sich die respektablen Vorgängerinnen von CDU und FDP von selbst auf. Der Faschismus verbot und verfolgte die ArbeiterInnenparteien KPD und SPD sowie die ADGB-Gewerkschaften.

Die Zäsur in der Bundespolitik, die der Thüringer Eklat verkörpert, besteht nicht in der unmittelbar bevorstehenden Machtergreifung des Nationalsozialismus in Verkleidung der AfD, sie besteht im Zusammenspiel von CDU und FDP mit der extremen Rechten und dem Rechtspopulismus, darunter einigen FaschistInnen. Dies zeigt, dass die bisherige Strategie Merkels (Integration der Gewerkschaften und Paneuropäismus) in den Reihen der Union offen herausgefordert ist. Angesichts der sich zuspitzenden weltweiten Krisenhaftigkeit erstarkt nicht nur die Rechte, sondern rückt auch eine entscheidende Niederlage für die DGB-Gewerkschaften durch eine/n deutsche/n Thatcher näher. Einem Joachim Friedrich Merz dürften die Fußstapfen der „eisernen Lady“ nicht zu groß sein. Reine Kaffeesatzleserei bleibt vorläufig, welches bürgerlich-demokratische Brimborium ein Regime Merz dabei über Bord werfen müsste und inwieweit dieses dem Erstarken eines echten Faschismus in die Karten spielte.

Deshalb: Keine Koalition von SPD und DIE LINKE mit offen bürgerlichen Parteien! Statt „Einheit der DemokratInnen“ ArbeiterInneneinheitsfront aus linken Organisationen und Parteien wie Gewerkschaften gegen Faschismus und rechtspopulistische Mobilisierung!




Tragödie und Farce in Thüringen

Martin Suchanek, Infomail 1088, 10. Februar 2020

„Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen
weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er
hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als
Farce.“

Mit diesen Worten beginnt Marx die Abhandlung
„Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte“. Auch wenn wir die geschichtliche
Bedeutung der Farce im Thüringer Landtag, der Wahl Kemmerichs zum
Ministerpräsidenten von AfD-Gnaden nicht überhöhen wollen, so drängt sich der
historische Bezug auf – und die Frage, wie wir verhindern können, dass auf die
Farce eine neue Tragödie folgt.

Anfang 1930 trat die NSDAP erstmals in der
Weimarer Republik in eine Landregierung ein. Die Baum-Frick-Regierung aus
Deutscher Volkspartei, Deutschnationaler Volkspartei, dem Thüringer Landbund
und der Reichspartei des deutschen Mittelstandes und der Nazis markierte einen
wichtigen Schritt zur Anerkennung des Faschismus als möglichen
Koalitionspartner „gemäßigter“ bürgerlicher Parteien und als politische Kraft
im Interesse des deutschen Imperialismus.

Wie alle historischen Analogien gibt es
natürlich wichtige Unterschiede zwischen 1930 und 2020. Die AfD stellt keine
faschistische Partei dar, auch wenn sich mehr und mehr Rechtsextreme in ihr und
um sie tummeln – gerade im von Höcke geführten Landsverband.

Nicht minder bemerkenswert sind freilich die
Parallelen. Auch die bürgerlichen Parteien der Weimarer Republik meinten, die
NSDAP „auszunutzen“, betrachten Hitler und seine Gefolgsleute oft als
nützliche, kulturlose IdiotInnen.

Die Farce

So gratulierten am 5. Februar der FDP-Vorsitzende Lindner und sein Vize Kubicki ebenso wie der Ostbeauftragte der Bundesregierung und Thüringer CDU-Vize Hirte Kemmerich zur Wahl zum Ministerpräsidenten.

Erst als sich öffentliche Empörung – bis hin zur
offenen Verurteilung des Thüringer Manövers durch die CDU/CSU-Spitze und
etliche Vorstandsmitglieder der FDP – regte, traten die Landesverbände einen
Teilrückzug an.

Hatten sie die Wahlhilfe der AfD zuvor noch für
den „Erfolg der Mitte“ billigend in Kauf genommen und als günstigen Zufall
heruntergespielt, so wollten sie nun von den Rechten getäuscht worden sein.
FDP-Chef Lindner stilisiert mittlerweile die FDP gar zum Opfer einer besonders
perfiden Taktik der AfD.

Dabei hatte sie noch kurz zuvor, ebenso wie AfD und CDU, die Abwahl von Rot-Rot-Grün gefeiert. Das Zusammenwirken von CDU, FDP und AfD stellt darüber hinaus in Thüringen auch keine Neuheit dar – sie kulminierte allerdings am 5. Februar darin, sich mit ihrer Hilfe eine Mehrheit für Kemmerich zu verschaffen.

Die Abwahl des „roten Bodo“ war das Ziel, das
die 3 Fraktionen einte. Schon 2014 demonstrierten sie gemeinsam gegen einen
„sozialistischen“ Ministerpräsidenten. Manche beschworen gar die Rückkehr der
SED. Damals skandierten CDU, FDP, AfD in trauter Eintracht mit
neofaschistischen Kreisen „Ramelow hau ab“, begleitet von einem Fackelumzug vor
der Erfurter Staatskanzlei.

Dass die AfD zur Wahl eines CDU- oder
FDP-Kandidaten bereit wäre, verkündete Höcke schon unmittelbar nach der
Landtagswahl 2019; ebenso wurde mittlerweile offenkundig, dass es informelle
Gespräche zwischen VertreterInnen der drei Parteien seit November gegeben
hatte. Der „Überraschungscoup“ war so überraschend also nicht – zumal die Thüringer
CDU noch vor der Abstimmung im Parlament auf die mögliche AfD-Taktik aufmerksam
gemacht worden war, sich aber offenkundig dazu entschied, die Warnung zu
ignorieren.

Die Züge einer Farce nahm das rechte Manöver
nicht nur wegen der albernen Ausreden und Lügengeschichten an, sondern auch
weil FDP und CDU kalte Füße kriegten. Aufgrund des öffentlichen Drucks und
dramatischer Verluste in den Umfragen wurde der Rückzug angetreten – wenn auch
mit etlichen Winkelzügen. Sie konnten zwar am Amt des Ministerpräsidenten nicht
mehr festhalten – andererseits wollten und wollen sie keine Neuwahlen und erst
recht keine Inthronisierung Ramelows zum Ministerpräsidenten.

Kemmerich verkündete erstmals 25 Stunden nach
der Wahl, sein Amt niederzulegen, ließ aber Datum und Modalitäten offen. Nach
einem Rücktritt vom Rücktritt, am 8. Februar, legte er sein Mandat nieder. Er
bleibt aber gemäß Landesverfassung weiter geschäftsführender Ministerpräsident
bis zur Wahl eines Nachfolgers durch den Landtag. Er könnte also, wenn auch
ohne gewählte Regierung, noch bis zu einer Neuwahl des Parlaments und zur
Bildung einer Regierungsmehrheit weiter sein Unwesen treiben.

Die historische Analogie

Ein besonderes Kapitel der öffentlichen
Diskussion nehmen historische Vergleiche ein. Bodo Ramelow war einer der
ersten, der diese ins Spiel brachte, als er auf die Parallele zur Beteiligung
der NSDAP an der Thüringer Landesregierung 1930 verwies.

Die Parteien der WiederholungstäterInnen von
Erfurt empörten sich – ebenso wie Kommentarspalten der bürgerlichen Presse.
FAZ-Kommentare wiesen z. B. auf die Unterschiede hin, darauf, dass die AfD
keine faschistische Partei wäre, … Der Unterschied im Charakter der beiden
Parteien besteht zweifellos, und sicherlich sollten sich auch Linke davor
hüten, eine aggressive, rassistische und völkische rechts-populistische Partei
mit einer faschistischen gleichzusetzen. Richtig sind sicherlich auch die
Verweise darauf, dass sich die bürgerliche Mitte nicht zum ersten Mal von einer
rechten Partei an die Spitze eines Bundeslandes wählen ließ. So koalierte die
Hamburger CDU unter Ole von Beust Bürgermeister von 2001–2003 mit der „Partei
Rechtsstaatlicher Offensive“ (PRO; Schill-Partei).

Doch diese Unterschiede dürfen über den Kern der
historischen Analogie nicht hinwegtäuschen. Wenn Hegel und in seinem Gefolge
Marx davon sprechen, dass sich die Geschichte wiederhole, so darf das nicht als
Duplizieren aller politischen Faktoren und Konstellationen missverstanden, darf
nicht vergessen werden, dass jede solche Wiederholung immer auch Unterschiede
kennt.

Entscheidend für Hegel ist, dass sich darin die
geschichtliche Bedeutung bestimmter Ereignisse zeigt. So heißt es in den
Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte: „Durch die Wiederholung wird das,
was im Anfang nur als zufällig und möglich erschien, zu einem Wirklichen und
Bestätigten.“ Den Kern dessen bildet nicht, dass alle AkteurInnen denselben
„Charakter“ hätten – so betrachtet könnten sie, um im Bild von Marx zu bleiben,
nie einmal als Tragödie, einmal als Farce auftreten -, sondern dass in beiden
Ereignissen zugrunde liegende, tiefere gesellschaftliche Gegensätze zum
Ausdruck kommen.

Die Parallelität der politischen Lage von 1930
und 2020 liegt darin, dass die zunehmenden krisenhaften Tendenzen des
Kapitalismus und der Kampf um die Neuaufteilung der Welt auf Seiten der
herrschenden Klasse eine Krise des tradierten politischen Systems
hervorbringen, die wachsende Teile des Kapitals wie immer größere bürgerliche
und kleinbürgerliche Schichten zur Überzeugung treiben, dass Bündnisse mit
rechten Kräften, denen bislang der Zutritt zur Regierung verweigert wurde,
notwendig werden. Hier liegt, bei allen Unterschieden von AfD und NSDAP, die
historische Parallele und auch die neue, bedrohliche reaktionäre Qualität der
Thüringer Ereignisse.

Dass dieser Prozess in anderen Ländern wie
Österreich oder Italien noch viel deutlich weiter vorangeschritten ist,
verdeutlicht nur, dass es sich um keine Episode, sondern um eine allgemeine
reaktionäre Tendenz unserer Zeit handelt.

Krise der Union – Rücktritt von
Kramp-Karrenbauer

Die Bedeutung der politischen Zäsur von Erfurt
liegt letztlich weniger darin, wie in Thüringen die Regierungskrise bewältigt
wird. Das halb abgebrochenen Manöver hat die Krise von FDP und CDU verlängert,
ja vertieft. Die Ankündigung des Rücktritts von Kramp-Karrenbauer als
CDU-Vorsitzende im Sommer 2020 und ihr Verzicht auf die nächste
KanzlerInnenkandidatur stellt den bisherigen Höhepunkt der Entwicklung dar. Der
Flügelkampf unter den Konservativen wurde nicht befriedet, er bricht offen aus.
Die Thüringer CDU hatte sich nicht nur gegenüber den Warnungen der Bundespartei
vor der AfD taub gezeigt, sie war auch nicht bereit, der Forderung der
Parteivorsitzenden nach Neuwahlen zu folgen. Deren bewusst in Kauf genommene
Demontage verdeutlicht die tiefen Risse innerhalb des bürgerlichen Lagers.
Nachdem die Bildung einer von der AfD geduldeten CDU-FDP-Minderheitsregierung
nicht zuletzt aufgrund des Drucks der Bundespartei vorerst abgeblasen werden
musste, werden sich somit viele aus dem Landesverband über den Rücktritt der
ungeliebten und politisch ohnmächtigen Vorsitzenden freuen.

Teile der ostdeutschen CDU-Landesverbände und
die national-konservative Werteunion unterstützten und unterstützen offen die
Taktik von CDU-Landeschef Mohring. Dieser Flügel der Union strebt eine nächste
Kanzlerschaft mit der FDP an und will dafür auch einen Pakt mit der AfD nicht
ausschließen. In jedem Fall zieht er diese einer Koalition mit Grünen, SPD oder
beiden vor. Bundestagsabgeordnete der „jungen Gruppe“ – zumeist Merz-AnhängerInnen
– wie auch zahlreiche Abgeordnete, FunktionärInnen und Mitglieder aller
ostdeutschen Landesverbände gehen in eine ähnliche Richtung. Dort bedroht die
AfD die Position der CDU als führende bürgerliche Kraft. Nicht allein das
KleinbürgerInnentum trägt die AfD, auch politisch rückständigere Teile der
ArbeiterInnenklasse wählen sie. Aber auch für Teile der KapitalistInnenklasse
wird sie angesichts der tiefen Krise der EU, drohender wirtschaftlicher
Einbrüche und der verschärften internationalen Konkurrenz zu einer Option, da
all diese Entwicklungen eine substantiell härtere, nationalistische Gangart
erfordern.

Die Demontage Kramp-Karrenbauers durch die
Erfurter Landtagsfraktion stellt dabei nur einen Schritt dar. Was der rechte
Flügel der Union will, verdeutlicht unter anderem der ehemalige Verfassungsschutzpräsident
Maaßen. Für ihn stellt sich die Verhinderung von Rot-Rot-Grün als die einer
„sozialistischen Regierung“ dar. Mit Schlagzeilen wie „Hauptsache die Sozialisten
sind weg“ punktet er nicht nur beim rechten Publikum weiter, die AfD hat ihn
auch schon als möglichen Ministerpräsidenten ins Gespräch gebracht.

In einem Interview im Tagesspiegel stellt Maaßen auch klar, gegen welche innerparteilichen GegnerInnen das Manöver gerichtet war. Dies war „ein Schlag ins Gesicht derjenigen Parteifreunde in der CDU, die lieber eine sozialistische Regierung Ramelow dulden wollten, als einen eigenen CDU-Kandidaten bei der Ministerpräsidentenwahl aufzustellen“. Und weiter zur Perspektive der Union in Thüringen:

„Er hoffe, sagte
Maaßen, dass die CDU in Thüringen begreift, dass sie mehr auf ihre Wähler hören
muss. Zehn Prozent sind bei der vergangenen Landtagswahl weggelaufen. Viele zur
AfD, andere sind zuhause geblieben. Jetzt heißt es, die Wähler
zurückzugewinnen. Zum Beispiel mit einer anderen Migrationspolitik, in der
endlich ausreisepflichtige Zuwanderer abgeschoben werden.“

Gemäß diesem Duktus war wahrscheinlich der einmalige Verzicht der „sozialistischen“ Ramelow-Regierung auf Abschiebungen im Winter 2016/17 ein Beitrag zur „Umvolkung“ in Thüringen – ein Verbrechen an Volks- und Rassegemeinschaft. Dass die Union mit krachenden Abschiebungen die Stimmen zurückgewinnen soll, verdeutlicht einmal mehr, welch elender Rassist der ehemalige Verfassungsschutzpräsident eigentlich ist.

Den eher liberalen Flügel der Union, der unter
anderem vom Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Günther, repräsentiert
wird, führen das Wahlmanöver für Kemmerich wie auch die Aussagen von Maaßen und
Werteunion dazu, das Verbot bzw. den Rausschmiss der Werteunion zu fordern.

Strategieproblem des deutschen Imperialismus

Ob der innere Konflikt unter den Konservativen
durch Spaltung oder Ausschluss „gelöst“ wird, wird die Zukunft zeigen – in
jedem Fall werden sich die Gegensätze weiter zuspitzen.

Die traditionelle transatlantische bürgerliche
Führungspartei steckt tief im Konflikt, weil die bisherigen Strategien für die
EU aufgebraucht sind und es an einer strategischen Neuausrichtung fehlt. Der
aggressive neue Kurs des US-Imperialismus unter Trump stellt für die EU und
insbesondere für seine Führungsmacht Deutschland eine große Herausforderung
dar, die durch den Brexit und den Aufstieg Chinas weiter verschärft wird. Im
Mittelmeerraum, im Nahen und Mittleren Osten, in Afrika kann die EU nur
ökonomisch punkten, geo-strategisch fallen sie und damit der deutsche
Imperialismus weiter zurück.

Der Richtungsstreit in der Union geht darum, auf welchem Weg der deutsche Imperialismus sich dieser Aufgabe stellen soll. Soll ein „schwarz-grün“ angestrichener Imperialismus mit mehr EU-Vertiefung und „ökologischen“ Sparmaßnahmen die eigenen Ansprüche durchsetzen oder erfordert es eine schwarz-gelb-blaue/-braune Variante, die „Deutschland zuerst“ auf ihre Fahnen schreibt?

Der ideologisch-strategische Konflikt der
deutschen Bourgeoise wird in der kommenden Periode durch eine ökonomische Krise
verschärft werden, also auch eine klassenpolitisch härtere Gangart im Inneren
erfordern. Für die Ausgebeuteten und Unterdrückten hierzulande heißt das auch,
sich auf neue Angriffe auf die Sozialsysteme, auf Arbeitsplätze, Einkommen einzustellen.
Die verschiedenen Flügel der Bourgeoise werden allesamt massive Angriffe
durchführen und vorschlagen, wenn auch ideologisch unterschiedlich
verschleiert. So werden die aggressiven nationalistischen Teile Angriffe auf
die ArbeiterInnenklasse mit völkischer und rassistischer Demagogie verbinden,
der „liberale“, weltoffene Teil wird Angriffe mit einigen Reformversprechen zur
„sozialen Abfederung“ kombinieren.

GroKo will Neuwahlen

In dieser Situation empören sich SPD, Grüne,
Linkspartei und auch der „liberale“ Flügel der Union über den Tabubruch. Sie
fordern Neuwahlen, um die Glaubwürdigkeit der „Politik“ wiederherzustellen.
Schon hierin liegt im Grunde ein Betrug. Schließlich hat nicht „die“ Politik,
sondern haben CDU und FDP mit der AfD paktiert. Die Taktik von Kramp-Karrenbauer,
Merkel und des CDU-Vorstandes zielt auf zweierlei. Einerseits präsentieren sie
sich als DemokratInnen und geben sich als „harte“ GegnerInnen des Thüringer
Landesverbandes, mit dem sie freilich auch nicht brechen wollen. Zum anderen
appellieren sie an die „Einheit der DemokratInnen“, also daran, dass SPD,
Grüne, Linkspartei weiter mit Union (und FDP) kooperieren.

Diese, so CDU/CSU und FDP, sollten dabei den
UnterstützerInnen von Kemmerich entgegenkommen – am besten, indem sie selbst
Ramelow als Kandidaten fallenlassen und Grüne, SPD und Linkspartei mit der
Union eine von allen DemokratInnen anerkannte „Person des öffentlichen Lebens“
unterstützen, also auf ihre eigene Regierung verzichten. Die FDP, die
erbärmlichste aller bürgerlicher Parteien, gibt sich hier besonders frech.

Immerhin haben SPD, Grüne, Linkspartei und deren Jugendorganisationen wie auch die Gewerkschaften in den letzten Tagen tausende Menschen gegen die Wahl Kemmerichs auf die Straße gebracht. Für den 15. Februar plant „Aufstehen gegen Rassismus“ eine Großdemonstration gegen AfD, CDU und FDP vor dem Erfurter Landtag.

Mit den UnterstützerInnen der AfD, also der
Großen Koalition, brechen will aber die SPD nicht. Sie sonnt sich darin, dass
sie der Union ein Bekenntnis abgerungen habe, demzufolge sie keine politischen
Mehrheiten und Regierungsbildungen mit der AfD anstrebe. Obwohl sie genau das
gerade getan hat, feiert diese SPD die Lippenbekenntnisse der Unions-Führung
als Sieg. Die gerne links blinkenden Walter-Borjans, Esken und Kühnert betrachteten
diese Frage noch zum Jahreswechsel als Lackmustest für Verbleib in der oder
Verlassen der Großen Koalition. Jetzt erklären Kühnert und Co., warum die
Regierung zur Zeit nicht verlassen werden dürfe. Dies würde nämlich nur den
Rechten zuarbeiten, weil ein Bruch mit der CDU/CSU die Wiederherstellung der
„Einheit der DemokratInnen“ erschweren würde. Solcherart verkaufte der SPD-Vorstand
das Ergebnis des Koalitionsausschusses als Erfolg. Das hätte Nahles auch
geschafft, wenn auch nicht mehr so überzeugend. Für diejenigen in der SPD und
den Jusos, die mit der erneuerten Führung auch eine konsequente Politik gegen
die GroKo verbanden, sollte dies ein deutliches Zeichen sein, mit dieser
Politik und Führung zu brechen und einen Bruch der Koalition hier und jetzt
einzufordern.

Auch für die DGB-Gewerkschaften gilt die
Absetzung von Hirte schon als großer Erfolg. Natürlich, so ihre
Verlautbarungen, werden sie die Demonstrationen unterstützen und am 15. Februar
in Erfurt präsent sein, nur scheint eher unklar, ob die ArbeiterInnenbewegung
sich dieses Rechtsrucks und dieser aktuell verschärfenden Lage bewusst ist.

Auch die Linkspartei reiht sich in dieser
Situation in den Chor der Forderungen nach einer „Einheit der DemokratInnen“
ein. CDU und FDP müssten ihren Fehler korrigieren, indem sie in den nächsten
ein bis zwei Wochen im Thüringer Landtag Ramelow den Weg freimachen und diesen,
am besten gleich im ersten Wahlgang wiederwählen.

Welche Lehren aus einer historischen Analogie?

Auch wenn VertreterInnen der Linkspartei die
Analogie 1930–2020 ins Spiel gebracht haben, so verdeutlicht ihre Politik, dass
die Partei deren eigentlichen Sinn, deren eigentliche Bedeutung nicht
verstanden hat. In beiden Fällen war es nicht der „Verrat an der Demokratie“,
der zur Kooperation der offen bürgerlichen Parteien mit Faschismus oder
Rechtspopulismus führte. Vielmehr liegt ihr die, wenn auch unterschiedlich
ausgeprägte Krise des Kapitalismus zugrunde, die die „normalen“ demokratischen
Herrschaftsformen des bürgerlichen Parlamentarismus wie auch das mit ihnen
verbundene Parteiensystem mehr und mehr unterminierte. Schließlich liegt jeder
länger währenden Reproduktion bürgerlich-demokratischer Verhältnisse ein
bestimmtes, geschichtlich etabliertes Verhältnis zwischen den Klassen zugrunde,
das sich im parlamentarischen Rahmen in der Regel als „konsensual“ akzeptierter
Wechsel von Regierung und Opposition darstellt. Diese Bindekraft büßt die
Demokratie mehr und mehr ein, was eine viel tiefer liegende und längst nicht
abgeschlossene Veränderung des Verhältnisses zwischen den Klassen
widerspiegelt. CDU und SPD wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zu den
staatstragenden Großparteien, die im Rahmen des politischen Systems
verschiedene Klassenkräfte repräsentieren und über Sozialpartnerschaft, begrenzte
Reformen, SPD und Gewerkschaften die ArbeiterInnenklasse integrierten. Dieses
System durchläuft schon seit Ende der 1960er Jahre eine Reihe heftiger
Erschütterungen, die letztlich dazu führten, dass sich das politische System
dieser Nachkriegsordnung, wenngleich in etlichen Formen weiter im Bestand,
eigentlich überlebt hat. Die historische Krise der SPD und der Unionsparteien
ist auch Ausdruck dieser Entwicklung.

Linkspartei

Die Politik der Linkspartei verhält sich
gegenüber diesen Veränderungen letztlich rückwärtsgewandt. Sie will nämlich die
Infragestellung der überlebten Verhältnisse von rechts durch den Appell an die
auf eine bestimmte Form der Klassenkollaboration eingerichteten Teile der
Bourgeoisie, der Mittelschichen und des KleinbürgerInnentums bekämpfen, sie
will, mehr oder weniger bewusst, politische Verhältnisse, den sog. Sozialstaat
wiederbeleben, deren materielle Basis erschöpft ist.

Dabei wiederholt sie den historischen Fehler der
Sozialdemokratie in der Weimarer Republik. Gegen die immer stärker werdende
Reaktion suchte diese das Bündnis mit dem „demokratischen“ BürgerInnentum, dem
Gegenstück zur heutigen „Einheit der DemokratInnen“. Daher werden nicht nur die
„demokratischen“ Prinzipien der CDU beschworen, sondern wird vor allem eine
Koalition von Grünen, SPD und Linkspartei als neues „Bollwerk“ der Demokratie
ins Spiel gebracht.

Aber auch eine Koalition mit den Grünen wäre
nichts anderes als eine solche bürgerlicher, reformistischer
ArbeiterInnenparteien mit einer grün-liberalen Partei des Kapitals, nur eine
andere Koalition der Klassenzusammenarbeit, die notwendigerweise die
Eigentumsverhältnisse unangetastet ließe und, wenn auch humanistischer,
verkaufte, imperialistische Politik darstellen würde. Wie die Erfahrungen
rot-roter oder rot-rot-grüner Koalitionen auf Landesebene immer wieder gezeigt
haben, stellen diese, selbst wenn sich einiger ihrer konstituierenden Parteien
sozial auf die ArbeiterInnenklasse stützen, auch nur eine Form bürgerlicher
Regierungen dar, die allenfalls als etwas gemäßigtere SachwalterInnen des
Kapitals fungieren.

Wenn wirklich die Lehren aus der historischen
Analogie gezogen werden sollen, so dürfen sich diese nicht auf die für sich
genommen berechtigte, in der aktuellen Situation aber zweitrangige Kritik an der
verheerenden Politik der KPD Anfang der 1930er Jahre, die sog.
„Sozialfaschismustheorie“, beschränken – zweitrangig, weil sie heute nur noch
von im Grunde und vollkommen zu Recht bedeutungslosen stalinistischen Sekten
vertreten wird.

Rot-Rot-Grün?

Die nicht minder verheerende Politik der SPD
erfreut sich jedoch weiter großer Beliebtheit, ja könnte in Form von
Rot-Rot-Grün neue Illusionen an sich ziehen, weil sie auf den ersten Blick als
Antwort auf den Rechtsruck erscheint. Hinzu kommt, dass zur Zeit große Teile
der fortschrittlichen gesellschaftlichen Bewegungen von einer
klassenübergreifenden, linken kleinbürgerlichen Ideologie geprägt sind, so
z. B. die Umweltbewegung oder der Feminismus.

Das zentrale Problem der Strategie der
Linkspartei (und noch mehr der SPD und Gewerkschaften) besteht jedoch darin,
dass in einer tiefen gesellschaftlichen Krise Bündnisse zwischen VertreterInnen
antagonistischer sozialer Klassen, also von Parteien des (liberalen oder
demokratischen) BürgerInnentums mit Parteien/Organisationen, die sich auf die
ArbeiterInnenklasse stützen, nur durch die Unterordnung der ausgebeuteten
Klasse und der gesellschaftlich Unterdrückten zu haben sind.
Klassenübergreifende Bündnisse scheinen auf den ersten Blick zwar mehr Kräfte
zusammenzuführen. Doch da diese einander entgegengesetzte Ziele verfolgen,
addieren sie sich nicht, sondern heben sich praktisch auf. Sie stoßen
notwendigerweise gerade jene Schichten der ArbeiterInnenklasse, die am meisten
von krisenhaften Entwicklungen betroffen sind, ab – und bereiten damit auch den
Boden für die Rechten vor.

Die Alternative kann daher nicht „Einheit der
DemokratInnen“ lauten, sondern Einheit der ArbeiterInnenklasse und
Unterdrückten. Diese Forderung muss auch an die bürgerliche, reformistische
Führung von Linkspartei, SPD und Gewerkschaften gerichtet werden – nicht, weil
RevolutionärInnen an deren ernsten Willen zum Bruch mit der Bourgeoisie oder
deren Parteien glauben, sondern weil die AnhängerInnen dieser Parteien von
ihren Führungen, weil die Mitglieder der Gewerkschaften vom bürokratischen
Apparat gebrochen werden müssen.

Daher fordern wir von der SPD das sofortige Verlassen der GroKo! Daher sollte die Linkspartei auf der Straße und in den Betrieben dafür mobilisieren, dass Ramelow Ministerpräsident wird und ein Programm im Interesse der Lohnabhängigen durchsetzt. Die Linkspartei müsste die Initiative ergreifen, die Wiederwahl nicht durch Hinterzimmergespräche mit Unions- und FDP-Abgeordneten, sondern durch den Druck der Straße und durch Aktionen bis zum Streik in den Betrieben durchzusetzen.

Die anstehenden tariflichen Auseinandersetzungen
im öffentlichen Dienst, im Nahverkehr, der Elektro- und Metall-Branche könnten
genutzt werden, die Klasse wieder in Bewegung zu bringen, vor allem als
entscheidende politische und soziale Akteurin, nicht in zweiter oder dritter
Reihe. Dasselbe trifft auf die Kämpfe der Umweltbewegung, antirassistische und
anti-militaristische Mobilisierungen zu. Demonstrationen wie am 15. Februar in
Erfurt dürfen daher nicht das Ende des Protestes, sondern der Anfang für neue,
zugespitzte Klassenkampfaktionen sein.

Die Wahl von Kemmerich war ein deutliches
Zeichen des deutschen Kapitals und des aktuellen Rechtsrucks. Sie verdeutlicht,
welche Möglichkeiten sie derzeit in Betracht ziehen. Auch wir müssen weitergehende
Maßnahmen als Demos, Petitionen und Volksbegehren diskutieren und angehen.
Aktionskonferenzen gegen den Rechtsruck, gegen die GroKo, gegen die nächsten
Krisenprogramme werden vonnöten sein, wenn wir in die Offensive kommen wollen
und damit auch real einen polarisierenden Schlag der ArbeiterInnenklasse
organisieren können.




Kemmerich – ein Ministerpräsident von AfD Gnaden

Martin Suchanek, Infomail 1088, 5. Februar 2020

Bis vor kurzem kannten ihn nur wenige. Nachdem Thomas L.
Kemmerich am 5. Februar zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt wurde, warfen
wohl viele die Suchmaschinen im Internet an, um mehr über einen Mann zu
erfahren, der bisher im bürgerlichen Parlamentarismus und auch in der FDP
allenfalls eine drittrangige Rolle spielen durfte.

Der Thüringer FDP-Fraktionsvorsitzende Kemmerich gehörte von
2017–2019 zu den HinterbänklerInnen, den grauen Mäusen im Bundestag. Bei den
Landtagswahlen 2019 schaffte seine Partei gerade 5 %. Der Unternehmer und
Vorsitzende der FDP-nahen Vereinigung „Liberaler Mittelstand“ war bisher nur
durch notdürftig als „Mittelstandpolitik“ verbrämten Neo-Liberalismus und als
Betreiber einer Friseurkette aufgefallen, die Jobs mit „flexiblen
Arbeitszeiten“ verspricht.

Wahrscheinlich wäre Kemmerich auch eine unbekannte
Randfigur, eine der zahlreichen StatistInnen des bürgerlichen Politbetriebs
geblieben, hätte ihn nicht die politische Lage in ungeahnte „Höhen“ gehievt.
Schließlich kommt es auch in deutschen Landtagen nur höchst selten vor, dass
ein Mitglied der schwächsten Partei zum Ministerpräsidenten gewählt wird.

Erklärbar ist seine Wahl nur als Folge des politischen
Patts, das die Wahlen 2019 in Thüringen mit sich brachten – und der
offenkundigen Bereitschaft von CDU und FDP, auch mit der AfD „bürgerliche
Mehrheiten“ zu organisieren.

Die Linkspartei konnte zwar zulegen und wurde mit 31 %
stärkste Partei. Allein verfügt sie über 29 der 90 Sitze. Aber ihre
Koalitionspartnerinnen schwächelten: Die SPD sackte auf 8,2 % ab und die
Grünen schafften mit 5,2 % gerade den Einzug ins Abgeordnetenhaus. Daher
verfügte die rot-rot-grüne Koalition gerade über 42 Stimmen, während die AfD
(22 Mandate), CDU (21) und FDP (5) eine gemeinsame Mehrheit bilden konnten.

Bürgerblock

Union und FDP standen also vor der Wahl, entweder mit der
AfD zu kooperieren oder Rot-Rot-Grün und damit den bisherigen
Ministerpräsidenten Ramelow zu „tolerieren“.

Nachdem Ramelow in den ersten beiden Wahlgängen jedoch keine
absolute Mehrheit erringen konnte, zog die AfD im dritten ihren Kandidaten
zurück – und erklärte wie schon in den letzten Wochen, den FDP-Mann Kemmerich
zu wählen. Dieser errang die Mehrheit. Mit 45 gegenüber 44 Stimmen für Ramelow
wurde er bei einer Enthaltung als neuer Ministerpräsident gewählt.

Zufall stellt die Wahl von Kemmerich natürlich keinen dar.
Schon im Vorfeld hatte er erklärt, dass er sich auch von der AfD zum
Ministerpräsidenten wählen lassen würde. Während Bundes-CDU und -FDP
„offiziell“ noch von der „Abgrenzung“ und „Nichtzusammenarbeit“ mit der rechten
AfD schwadronierten, kümmerte die Thüringer Abgeordneten dieses leere Geschwätz
offenkundig schon lange nicht mehr.

Der Feind der Union und FDP wird dort offenbar bei den
„Roten“ – und sei es ein noch so blasser Roter wie Thüringens Ramelow –
verortet. Den Hauptfeind für Union und FDP bildet schließlich die
ArbeiterInnenbewegung und nicht der Rechtspopulismus, in dessen Reihen sich
neben (halb)faschistischen Flügel-Leuten auch viele ehemalige CDUlerInnen und
FDPlerInnen tummeln. Hier wächst anscheinend zusammen, was, jedenfalls für
bedeutende Teile der Union und FDP, zusammengehört.

Zu solch einer Wahl gehört auch die Legendenbildung.
FDP-Bundesvize Kubicki erklärt gar, dass die Wahl einen großen Erfolg seiner
Partei darstelle, da diese schließlich die „demokratische Mitte“ darstelle –
einen Erfolg, für den FDP und CDU den politischen Sieg der AfD billigend in
Kauf nehmen. Kemmerichs FDP und erst recht die Thüringer CDU stellen den
Ausgang so dar, also hätten sie nur „zufällig“ den Liberalen mit den Stimmen
der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt, da sie Höcke und Co. nicht an ihrer
Stimmabgabe „hindern“ hätten können. Dabei hätten sie das natürlich können. Sie
hätten sich nur der Stimme enthalten müssen.

Die TaschenspielerInnen des Parlamentarismus ziehen es
offenkundig vor, sich blöd zu stellen. Das glaubt zwar niemand, aber solche
„Erklärungen“ sollen wenigstens den Bundesparteien erlauben, weiter so zu tun
können, als ob sie mit der AfD nicht kooperieren würden, als ob es sich nur um
einen „Sonderfall“ oder „Betriebsunfall“ handeln würde. FDP-Chef Linder phantasiert
sogar davon, dass es gar keine Kooperation mit der AfD gegeben habe – man habe
sich schließlich nur von ihr wählen lassen.

In Wirklichkeit stellt die Thüringer Wahl des Ministerpräsidenten ein Politprojekt einer CDU/FDP-Koalition von AfDs Gnaden dar. Auch wenn es durchaus möglich ist, dass die Bildung einer Landesregierung Kemmerich durch CDU und FPD mit Duldung der AfD scheitert, so sollte doch niemand deren Bildung ausschließen. Schließlich zeigte der 5. Februar, zu welchen Manövern Teile von FDP und CDU mittlerweile bereit sind.

Schließlich entspricht die Bereitschaft der CDU und FDP in
Thüringen auch der Überzeug weiter Teile ihrer Parteien und von Fraktionen der
herrschenden Klasse, dass Koalitionen mit der AfD eine Option werden könnten,
wenn sich die Krise der EU weiter verschärften sollte. Hinzu kommt, dass damit
in jedem Fall auch der Druck auf die Grünen oder andere „PartnerInnen“ nach den
nächsten Bundestagswahlen erhöht werden kann. Sollten sie sich der CDU/CSU
nicht fügen, hätte diese dann eben auch eine Alternative.

Klassenpolitik

Thüringen zeigt auch, dass – unabhängig von allen
„zufälligen“ Momenten der Wahl – Klasseninteressen allemal bedeutender sind als
Beteuerungen, undemokratische, rechtspopulistische, rassistische Parteien
„auszugrenzen“. Wenn es um die Sicherung bürgerlicher Macht und vor allem auch
um die Option eines aggressiveren, nationalistischen Kurses zur Wahrung der
Interessen des eigenen Kapitals in der internationalen Konkurrenz geht, will
und wird sich die herrschende Klasse nicht den „Luxus“ einer „Ausgrenzung der
AfD“ leisten. Solche Schritte müssen freilich vorbereitet werden – und dazu
kann eine regionalpolitische Entscheidung, bei der für alle unappetitlichen
Tabubrüche im Zweifelsfall die LandespolitikerInnen verantwortlich gemacht
werden können, den Boden bereiten.

Diese Schlussfolgerung sollten sich auch alle jene zu eigen
machen, die hofften und hoffen, die AfD im Gleichschritt mit den bürgerlichen
Parteien zu „stoppen“. Dies trifft bei aller Empörung über die Manöver von FDP
und CDU auch auf die SPD, Grünen und Linkspartei in Thüringen zu. Die Grünen
werfen der FDP vor, sich von FaschistInnen wählen zu lassen – ein Akt, der
jedoch im Gegensatz zu den Vorstellungen dieser bürgerlichen DemokratInnen
leider nicht einzigartig in der deutschen Geschichte ist.

Die SPD verspricht, dass sie mit Kemmerich nicht kooperieren
wolle. Diese „Härte“ fällt ihr freilich leicht. Ausnahmsweise muss sie ihre
„Prinzipien“ nicht über Bord werfen, denn sie wird im Thüringer
Kabinettsschacher ohnedies nicht gebraucht. Nach dem Rechtsruck im Landtag
müsste sie eigentlich die Große Koalition auf Bundesebene aufkündigen – doch so
treu will die Sozialdemokratie zu ihren angeblichen Prinzipien wieder auch
nicht stehen. Stattdessen wird sich die SPD wohl auf Allerweltsfloskeln
beschränken wie etwa Kevin Kühnert, der in einer ersten Stellungnahme erklärte,
dass „Wachsamkeit … das Gebot der Stunde“ sei.

Schließlich muss sich aber auch die Linkspartei fragen,
wohin sie ihr Hofieren der Thüringer CDU, die Spekulationen und
Hinterzimmergespräche mit Gauck über eine „Projektregierung“, also eine Duldung
von Rot-Rot-Grün durch die CDU, gebracht haben. Selbst das zahme rot-rot-grüne
„Projekt“ wollten CDU und FDP nicht länger erdulden – es zweigt sich einmal
mehr, dass diese parlamentarischen Kombinationen kein Schutz vor dem Rechtsruck
und dem weiteren Aufstieg der AfD darstellen. Der 5. Februar legte nicht nur
die Leere der „Abgrenzung“ von CDU und FDP gegenüber der AfD offen, sondern
auch die Leere der – auch von der Linkspartei geteilten – „Einheit der
DemokratInnen“, von offen bürgerlichen Kräften, und der, wenn auch
verbürgerlichten, ArbeiterInnenbewegung.

Dass die Thüringer Vorsitzende der Linkspartei,
Hennig-Wellsow, Kemmerich einen Blumenstrauß vor die Füße wirft, drückt
schließlich nicht nur berechtigen Zorn, Wut, ja Abscheu aus – es verdeutlicht
auch ungewollt das illusorische Vertrauen, das die Linkspartei in CDU und FDP,
also in die Parteien des Kapitals, hegt(e).

Auch Parteichef Riexinger beklagt diesen „bitteren Tag für
die Demokratie“ – als ob diese erst gar keine Herrschaftsform des Kapitals
wäre. In Wirklichkeit zeigt der Urnengang eben auch, dass „die Demokratie“
keine über den Klassen schwebende politische Institution darstellt, dass die
„demokratischen Parteien“ der Bourgeoisie eben auch zur Kooperation mit den
wenig demokratischen, rechtspopulistischen politischen Parteien bereit sind.

Die AfD, Rechtspopulismus, Rechtsruck und erst recht der
Faschismus werden durch die gemeinsame „Ausgrenzung“ dieser Parteien weder in
den Parlamenten noch in der Gesellschaft gestoppt werden können. Im Gegenteil.
Die „Ausgrenzung“ durch CDU und FDP hat sich als Chimäre, als Illusion
erwiesen. Der Kampf gegen rechts – diese Lehre verdeutlicht das Thüringer
Ergebnis einmal mehr – kann letztlich nur als Teil des Klassenkampfes, gegen
Rassismus, Faschismus, Ausbeutung und Unterdrückung geführt werden. Einheit
also nicht „der DemokratInnen“, sondern der sozialen und ArbeiterInnenbewegung
mit eigenen Zielen und Forderungen gegen den Rechtspopulismus als eine, wenn
auch aggressivere Spielart bürgerlicher Politik.