Volksentscheid Berlin: Nein zum Flughafen Tegel!

Leo Drais, Infomail 960, 13. September 2017

Die BerlinerInnen dürfen am 24. September nicht nur einen neuen Bundestag wählen, sondern auch darüber abstimmen, ob der Stadtflughafen Berlin-Tegel (TXL) nach der Eröffnung des Flughafens Berlin-Brandenburg (BER) weiter betrieben oder geschlossen werden soll.

Dabei ist es fraglich, ob der Volksentscheid überhaupt die Schließung des TXL verhindern kann. Das Gelände und die Gebäude sind bereits für die Weiternutzung verfügt worden, u. a. an die Beuth-Hochschule oder für den Wohnungsbau. Weiterhin sind die im Rahmen des BER-Betriebs genehmigten Flugrouten mit denen des TXL nicht vereinbar – es bedürfte also eines neuen Zulassungsverfahrens.

Davon abgesehen wäre der Weiterbetrieb von Tegel nur unter großen Renovierungs- und Schallschutzmaßnahmen möglich. Der Brandschutz des Flughafens ist veraltet und damit ebenso gefährlich wie der problematische Brandschutz des BER. Die IT-Technik des TXL ist teilweise nur unter großem Aufwand aktualisierbar. 300.000 Menschen in den Einflug- und Abflugschneisen des Flughafens hätten Anrecht auf Lärmschutz (schallisolierende Fenster). Außerdem sieht nach bürgerlichem Recht der Vertrag zur Inbetriebnahme des BER die Schließung der Stadtflughäfen Tempelhof (geschlossen 2008) und Tegel vor. Ein Weiterbetrieb von TXL würde also einen massiven bürokratisch-juristischen Mehraufwand im bürgerlichen Staat bedeuten und auch eine Neuverhandlung des Staatsvertrages zwischen Berlin und Brandenburg.

Dass die Debatte um den Weiterbetrieb von TXL überhaupt derartig aufkam, liegt ironischerweise daran, dass der neue Flughafen BER eigentlich schon 2011 hätte in Betrieb gehen sollen. Dies aber ist bis heute noch nicht passiert. Warum eigentlich nicht?

Geschichte des BER-Debakels

Im Rahmen des Zusammenbruchs der DDR und der kapitalistischen Restauration fiel auch die Entscheidung, dass die neue Bundeshauptstadt Berlin werden würde. Für Berlin bestand damit erstmals seit Ende des Zweiten Weltkrieges wieder die Chance, auf Weltebene wichtig zu sein und daran zu wachsen. Dadurch kam die Debatte um einen neuen Flughafen auf.

Eine Standortstudie untersuchte damals mehrere Optionen und wies das südlich von Berlin gelegene Sperenberg (ehemaliger Sowjetflughafen) als besten Standort aus. Er hätte ein großes Entwicklungspotential und nur wenige AnwohnerInnen wären vom Lärm betroffen, hieß es damals. Als schlechtester Standort wurde Schönefeld (Standort des BER) bewertet. Zu wenig Platz, zu viel Lärm, kein Entwicklungspotential für die Region – so die Studie.

Dennoch entschied sich die Politik 1996 für Schönefeld. Der Grund war Druck aus Bayern: Dort war 1992 der neue Flughafen Franz-Josef-Strauß in Betrieb gegangen. Die hier getätigten Investitionen sah die CSU, die damals den Staatssekretär im Verkehrsministerium stellte, bei einem Luftdrehkreuz Berlin gefährdet. Somit rollten die Bagger in Schönefeld an – einem Ort, der laut der Studie 1000 Hektar zu klein war.

Bis die Bagger aber wirklich anrollten, vergingen viele Jahre der Planung, Juristerei und Bürokratie. 2008 erfolgte schließlich der Spatenstich für den Terminalbau. Daraus entstand die „peinlichste Baustelle Deutschlands.“ Die Meisten haben wohl im Groben von Pannen mit Brandschutzanlagen, den über 100.000 (!) Baumängeln, zahlreichen Terminverschiebungen der Eröffnung (2011, 2012, 2013, … 2017 …), kommenden und gehenden Technikchefs und Vorständen (darunter auch Ex-Bahn- und Ex-Air Berlin-Chef Mehdorn) gehört. Platzeck und Wowereit, ihres Zeichens Ministerpräsidenten von Brandenburg und regierender Bürgermeister von Berlin, waren wegen des BER gezwungen, die Vertrauensfrage im Parlament bzw. Abgeordnetenhaus zu stellen. Dazu gesellten sich Bestechungsskandale wie z. B. um den Technikchef Jochen Großmann.

Warum dieses Chaos?

Es ist schwer, darauf eine Antwort zu finden. Die Länder Berlin und Brandenburg, der Bund und der Flughafenbetreiber als Bauherren schoben die Schuld den Planern zu. Das Architektenbüro Gerkan, das bereits den Berliner Hauptbahnhof plante, sah die Schuld wiederum bei den Bauherren – und wurde von diesen gekündigt. Bei tieferer Recherche stößt man aber auf zentrale Fehler.

Da wäre zum ersten die politische Führung als Bauherrin, die aber zwangsläufig aufgrund fehlender Erfahrung mit Großprojekten DilettantInnen und AmateurInnen sein müssen. Immerhin baut Berlin nicht alle paar Jahre einen Flughafen. Andere Staaten lösten dieses Problem mit einem Verzeichnis von Fachkräften mit Erfahrung in Großbauten.

Zum zweiten wurde das Projekt in seinen Einzelheiten an verschiedene Unternehmen vergeben, die mitunter nicht miteinander kommunizierten. Allein bei der IT- und Elektronikausrüstung der Gebäude sind unterschiedliche Firmen beteiligt, darunter solch große wie Bosch, Siemens und Imtech, die selbst blendend am BER verdienten.

Drittens: Die Bauherrinnen griffen bei laufendem Bau wiederholt in die Pläne ein und ließen sie ändern. Über 500 solcher Fälle sind bekannt, darunter auch solche großen Eingriffe wie die Verlegung eines Airbus A380-Passagierganges. Die Folge dessen waren über 2000 architektonische Kollisionen, sprich zwei Personen tragen in einen Plan an einer Stelle etwas Unterschiedliches ein, ohne dass diese voneinander wissen oder dies kommuniziert hätten können. Aufgefallen ist das oft erst den ArbeiterInnen und IngenieurInnen vor Ort. Wenn der BER eröffnet, ist es gut möglich, dass kein einziger Plan existiert, der den gesamten Komplex korrekt darstellt.

Als vierte größere Ursache für das Chaos kann der Zeitdruck angesehen werden. Während die Pläne bei laufendem Bau geändert wurden, versuchte man, die Termine für die Fertigstellung zu halten, blieben die Eröffnungstage für 2011 bzw. 2012 gleich – bis die Realität eine Verschiebung erzwang, allerdings in der möglichst chaotischsten und intransparentesten Weise. Dieser Zeitdruck wurde auf die ArbeiterInnen vor Ort übertragen, die ihrerseits logischerweise Fehler machten und improvisieren mussten.

All das zieht ein dreckiges Spiel des Verantwortungsentzuges nach sich, da weder Firmen, Bauherrinnen noch PlanerInnen das Gesicht angesichts des Chaos verlieren wollten bzw. wollen. Die Probleme sind aber nicht nur, ja nicht einmal in erster Linie auf das Versagen von Personen zurückzuführen, sondern sie entspringen der zunehmenden kapitalistischen Konkurrenz selbst, die den Rahmen für solche Projekte diktiert.

Großprojekte im Kapitalismus

Der ehemalige Bürgermeister Berlins Klaus Wowereit (SPD) kommentierte den Bau des BER einst sinngemäß damit, dass eine Hauptstadt wie Berlin auch einen Weltflughafen brauche. Hierin drückt sich durchaus ein Hang zum Prestige der Bourgeoisie und ihrer politischen VertreterInnen aus. Wie jede herrschende Klasse bzw. deren RepräentantInnen will sich auch sie sichtbar, architektonisch verewigen. Es geht also immer auch darum, etwas vorzuzeigen, anstatt „einfach“ einen funktionalen Flughafen zu bauen. Andere Beispiele dafür sind der Berliner Hauptbahnhof, Prestigeprojekte wie eine Elbphilharmonie in Hamburg oder das Berliner Stadtschloss.

Das Blöde am Prestige ist nur, dass es auch möglichst preiswert sein soll. Um die Kosten möglichst gering zu halten, werden Baustellenabschnitte ausgeschrieben und an den Billigsten vergeben, der Bau also dezentralisiert. Das führt dann zum Chaos. „Preiswert“ wird der Bau für die Öffentlichkeit aber auch, in dem er schöngerechnet wird. Offiziell heißt es, dass der BER einmal über 5 Milliarden Euro gekostet haben wird – doppelt soviel, wie ursprünglich geplant. Rechnet man aber die Kosten, die in der Bürokratie und Justiz versunken sind und weiterhin versenkt werden, hinzu und berücksichtigt man den Bau neuer Verkehrswege zum Flughafen, so ist mit über 20 Milliarden Euro zu rechnen.

Großbauten wie der BER können im Kapitalismus sehr schnell ineffizient sein. Da Kapital amortisiert werden, also zirkulieren muss, wird schon gebaut, bevor abschließend geplant wurde. Eine langfristige Simulation im Vorfeld ist so nicht möglich. Auch der Zwang zum Preiswerten macht den Bau ineffizient – wo gespart wird, da wird Druck gemacht und da tauchen später Probleme auf. Diese werden dann noch teurer.

Die Ineffizienz bezieht sich aber vor allem auf die dezentrale Vergabe von Bau und Planung. Es gibt keine demokratische, zentrale, gemeinsame Kontrolle jener, die den Bau und die Planung vollziehen. Der BER zeigt eindrucksvoll, was die Trennung von Hand- und Kopfarbeit, also von Gestaltung und Planung(en) einerseits und der Baudurchführung andererseits im krassesten Fall heißen kann. Eine demokratische ArbeiterInnenkontrolle aus BauarbeiterInnen und IngenieurInnen hätte gewährleisten können, dass erst gebaut wird, wenn die Pläne so fehlerfrei wie irgend möglich sind. An dieser Stelle müssen auch die Gewerkschaften IG BAU und ver.di stark kritisiert werden, die das gesamte BER-Chaos fast unkommentiert ließen.

Angesichts der Zersplitterung in viele kleine Subunternehmen bei den Großprojekten müsste Gewerkschaftspolitik neben dem Kampf für Mindestlohn, gleiche Rechte usw. am Bau die Frage aufgreifen, was überhaupt für wen mit welchem Zweck gebaut wird. Eine Kontrolle durch die Beschäftigten könnte angesichts der Zersplitterung in hunderte Subunternehmen natürlich nicht einzelbetrieblich, sondern nur betriebsübergreifend funktionieren, indem sie die Beschäftigen am Bau, in den Planungsbüros wie auch die Beschäftigten am (zukünftigen) Flughafen einbezieht. Eine solche Politisierung haben die Gewerkschaften jedoch nie angestrebt – zumal es ihre Führungen und VertreterInnen in Aufsichträten unweigerlich in Konflikt mit den Bauherrinnen und Konzerninteressen gebracht hätte.

TXL schließen, BER restrukturieren!

Die Debatte um den TXL ist jedenfalls ohne das Chaos am BER nicht zu verstehen. Viele Menschen haben das Vertrauen in den neuen Flughafen verloren und glauben teilweise gar nicht an dessen Inbetriebnahme. Daher nehmen viele Vorlieb mit dem alten Flughafen – trotz des Lärms. Dazu gesellt sich auch ein gewisser Nostalgiefetisch, gerade unter WestberlinerInnen.

Auf diesen Zug sprangen die bürgerlichen Parteien AfD, CDU und allen voran die FDP auf. Letztere bekam eine stattliche Spende von Ryanair, welche den TXL gerne als ihren Billigflughafen nutzen würde. Die Bourgeoisie, deren politisches Zentrum Berlin ist, hat auch ein direktes Zeitinteresse, weiterhin am BER zu landen, fährt die Privatlimousine von dort doch deutlich schneller ins Regierungsviertel.

Aber Verkehr darf nicht anhand von Nostalgie oder bourgeoisen Interessen entwickelt werden, es muss viel mehr um den größten Nutzen und die größte Qualität vor allem für die ArbeiterInnenklasse gehen. Genau das spricht gegen den TXL. Er ist veraltet und überlastet. Geplant war er für 5,5 Millionen Passagiere pro Jahr, heute trägt er 18 Millionen. Er wurde vor allem wegen des mangelnden Raumes in West-Berlin gebaut, aber eigentlich stellen Stadtflughäfen eine nicht tragbare und gleichzeitig vermeidbare Gefahr für die BewohnerInnen dar, wenn doch mal Unfälle passieren.

Tegel-BefürworterInnen führen oft die Nähe an, die der Flughafen bietet. Nun gut, das sieht der Charlottenburger anders als die Köpenickerin. Allerdings wird hierbei oft vergessen, dass die Planung des BER einen Anschluss an die im Ausbau befindliche Dresdener Bahn vorsieht. Bei Fertigstellung dieser wird die Fahrzeit vom Hauptbahnhof zum BER rund 20 Minuten betragen. Das ist deutlich schneller, als z. B. die MünchnerInnen zum Flughafen brauchen.

Das andere Argument der Tegel-BefürworterInnen ist die Überlastung des BER bei dessen Eröffnung. Das ist je nach Angabe richtig oder falsch. Wie viele Passagiere abgefertigt werden können, wird sich praktisch zeigen, allerdings ist dies trotzdem kein Argument für den TXL. Es muss an dieser Stelle nämlich eine Umstrukturierung des Verkehrs gefordert werden, die darauf abzielt, den umweltbelastenden Verkehr von Kurz- und Mittelstreckenflügen auf die Schiene zu verlagern. So könnten sämtliche innerdeutschen Verbindungen durch Bahnverbindungen ersetzt werden, ohne dass die Reisen, rechnet man das Ein- und Auschecken am Flughafen mit, länger dauerten. Würden diese mit günstigeren Angeboten für die Masse einhergehen, würden sämtliche Vorteile des Flugverkehrs entfallen und zugleich würden geringere Kapazitäten gebraucht werden.

Wir rufen daher am 24. September auf, mit NEIN beim Volksentscheid zu stimmen!

Um den Populismus der Tegel-Lobby und der Bedienung der Interessen einer Kapitalfraktion entgegenzutreten, braucht es auch eine Politik gegenüber dem BER, die in eine allgemeine Verkehrsplanung eingebunden ist:

– Offenlegung der Geschäftsbücher des BER und des TXL! Sofortiges Flugverbot für Privatflugzeuge! Hohe Besteuerung der Inlandsflüge und Flüge ins benachbarte Ausland – und zwar der Unternehmen, nicht der PassagierInnen!

– Massive Investition in eine schnelle, zuverlässige, flächendeckende Schieneninfrastruktur sowie in Schienenfahrzeuge – bezahlt aus der Besteuerung des Kapitals!

– Überprüfung der Sicherheit des BER durch ein demokratisch gewähltes Komitee aus am Bau beschäftigen ArbeiterInnen, IngenieurInnen und IT-Fachkräften, Flughafenpersonal und Feuerwehrleuten! Das Komitee entscheidet über die Art des Umzuges von Tegel nach Schönefeld.

– Drastische Preissenkung im Schienenfernverkehr zur Attraktivitätssteigerung; der Berufsverkehr muss im Schienenfernverkehr für Lohnabhängige, Erwerbslose, RenterInnen und Jugendliche kostenlos sein!

– Planung, Durchführung und Überwachung des Verkehrs durch demokratisch gewählte ArbeiterInnenkomitees!

– Entschädigungslose Enteignung und Verstaatlichung der Verkehrsträger Schiene, Luft und der Automobilindustrie unter demokratischer ArbeiterInnenkontrolle! Umstrukturierung des gesamten Verkehrsverwesens gemäß den Bedürfnissen der Masse der NutzerInnen und entsprechend ökologischer Nachhaltigkeit!

– Durchführung und Überwachung von Großbauten durch demokratisch gewählte ArbeiterInnenkomitees aus BauarbeiterInnen und IngenieurInnen!

– Arbeitsniederlegungen und Streiks gegen Zeitdruck, Arbeitshetze und Lohndumping am BER und anderen Großbaustellen!