Revolution im Sudan: Ursachen und Perspektiven

Dave Stockton, Neue Internationale 237, Mai 2019

Der Sudan befindet sich inmitten einer wirklich
erstaunlichen Volksrevolution, bei der Frauen neben Jugendlichen,
GewerkschafterInnen und unterdrückten nationalen Minderheiten eine wichtige
Rolle spielen. Zu den Slogans gehörten „Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit“
und „Gerechter Sturz“. Als die Sicherheitsdienste Darfuris unter der Menge aufs
Korn nahmen, kam die Parole auf: „Ihr arroganten RassistInnen, wir sind alle
Darfur!“ (In der Region Darfur führt die sudanesische Regierung bis heute einen
besonders blutigen und rassistischen Krieg gegen die Bevölkerung). Teile der
einfachen SoldatInnen haben die DemonstrantInnen geschützt und sich ihnen sogar
angeschlossen.

Zuerst dachte das Regime, es könnte dies einfach
aussitzen und reagierte auf die sich entwickelnde Bewegung mit Repression,
einschließlich eines scharfen Feuers von den speziellen Sicherheitskräften und
islamistischen Parteimilizen. Eine Reihe von Protestierenden wurde getötet. Der
Stabschef der Armee, Kamal Abdelmarouf, warnte im Januar: „Wir werden nicht
zulassen, dass der sudanesische Staat zusammenbricht oder ins Chaos stürzt.“ Zu
seiner Bestürzung verteidigten junge OffizierInnen und SoldatInnen die Menge
und vertrieben ihre AngreiferInnen.

Absetzung des Diktators

Seitdem haben die Massen immer wieder Kompromisse des
Militärs und der Sicherheitsdienste, die die Grundlage des Regimes bilden,
abgelehnt. Die zentrale Forderung ist, dass das gesamte Regime, das Omar
al-Baschir 30 Jahre lang an der Macht gehalten hat, abgebaut wird und dass das
militärische Oberkommando die Macht abgeben und an die Zivilbevölkerung
aushändigen muss. Obwohl ihre Zukunft und ihr Ergebnis nicht gesichert sind,
wird die sudanesische Revolution in der gesamten Region eine Inspiration sein.

Nach viermonatigen Freitagsdemonstrationen, die in der
dauerhaften Besetzung des Gebietes um das Militär- und Präsidialhauptquartier
in Khartum gipfelten, feierten Hunderttausende die Verhaftung des brutalen
Diktators, der den Sudan seit der Machtergreifung bei einem Staatsstreich 1989
mit eiserner Faust regiert und einen Völkermordkrieg in Darfur durchgeführt
hatte, bei dem bis zu 400.000 Menschen starben, sowie den langen Krieg im
Südsudan, bei dem 2 Millionen Menschen starben, auch an Hunger und Krankheit.

Einige von den Protestierenden auf der Straße und in
der demokratischen Opposition werden sich zweifellos noch erinnern: Als
al-Baschir die Macht übernahm, beendete er vier Jahre relativer demokratischer
Freiheiten nach einer Revolution 1985, unterdrückte politische Parteien und
unabhängige Gewerkschaften und führte eine repressive „islamische“ Verfassung
ein. In dieser Zeitspanne töteten Geheimdienste, Polizei und
GefängniswärterInnen Tausende und viele weitere wurden von seinem Regime
gedemütigt, gefoltert und terrorisiert.

Als der Verteidigungsminister Ahmed Awad Ibn Auf das
Ende der Herrschaft al-Baschirs im nationalen Fernsehen ankündigte, setzte
massiver Jubel ein. Er kündigte aber auch an, dass ein Militärrat für die nächsten
zwei Jahre vor jeder Neuwahl die Exekutivmacht im Land behalten wolle. Es war
also kein Wunder, dass die Menschen auf den Straßen eindeutig klarmachten, sie
würden das auf keinen Fall akzeptieren.

Militärrat

Als angeblich versöhnlichere Figur wurde
Generalleutnant Abdel Fattah al-Burhan dann als Leiter eines Transitional
Military Council (Übergangsmilitärrat, TMC) angekündigt. Al-Burhan bestand
darauf, dass der TMC „komplementär zum Aufstand und zur Revolution“ stehe und
„verpflichtet ist, die Macht an das Volk zu übergeben“.

Diese Ankündigung war jedoch eindeutig nicht das
Ergebnis einer „demokratischen“ Bekehrung durch das Oberkommando, das
al-Baschir jahrzehntelang gedient hatte. So  brachen die ProtestführerInnen die Gespräche mit den
Militärbehörden rasch ab und erklärten, dass es der Militärjunta nicht ernst
damit sei, die Macht auf Zivilpersonen zu übertragen, sondern dass sie
tatsächlich aus Überresten des islamistischen Regimes von al-Baschir bestand.
Sie gelobten, die Demonstrationen zu intensivieren.

Kurz danach wurden die Verhandlungen jedoch wieder
aufgenommen und in einer Erklärung am 25. April verlängert, nachdem das Militär
einige weitere Zugeständnisse – so die Demission von 3 islamistischen Generälen
– gemacht hatte. Zur Zeit der Drucklegung des Artikels, am 26. April, werden
die Verhandlungen wie auch die Massenmobilisierung fortgesetzt.

Entwicklung

Seit vier Monaten befindet sich der Sudan inmitten
einer tiefgreifenden revolutionären Situation. Unmittelbarer Auslöser war die
Ankündigung von Preiserhöhungen bei Brot und Benzin. Deren Hintergrund bildet
die grassierende Arbeitslosigkeit, die steigende Inflation sowie die lähmende
Nahrungsmittel- und Kraftstoffknappheit. Rund 80 Prozent der Bevölkerung muss
mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen und fast 2,5 Millionen Kinder
leiden an schwerer Unterernährung.

Die Abspaltung des Südsudans im Jahr 2011 entzog dem
Land drei Viertel seiner Öleinnahmen und löste eine anhaltende Wirtschaftskrise
aus. Dennoch gab das Regime weiterhin schätzungsweise 70-80 Prozent der
verbleibenden Einnahmen für Kräfte der inneren Sicherheit und das Militär aus.
Es ist völlig korrupt und jede/r weiß das.

Obwohl die Nahrungsmittel- und Treibstoffknappheit die
Bewegung antrieb, erhoben die DemonstrantInnen schon bald politische Losungen –
„Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit“ und „Revolution ist die Wahl des Volkes“!

Junge Menschen und Frauen bildeten das Herzstück der
Bewegung, wobei die Kampagne „Nein zur Unterdrückung von Frauen“ eine führende
Rolle spielte. Die zentrale Stellung der Frauen bei den Protesten wird durch
die Figur von Alaa Salah symbolisiert, einer Frau, die während eines
Sitzstreiks im militärischen Hauptquartier ein Gedicht rezitierte, in dem sie
die Bewegung vom Dach eines Autos aus lobte und ihre Zeilen mit dem Schrei
„Thowra!“ – „Revolution“ auf Arabisch – unterlegte.

Die DemonstrantInnen fordern einen vollständigen Bruch
mit dem kulturell und bildungspolitisch unterdrückenden islamistischen Regime,
das besonders hart zu Frauen ist.

Der Aufstand begann in Städten nördlich der Hauptstadt
Khartum, an Orten wie Atbara, einem Eisenbahnproduktionszentrum und Wiege der
sudanesischen Gewerkschaftsbewegung. Die Straßenproteste am Freitag wurden
durch Besetzungen von Universitäten und Schulen, Streiks von ArbeiterInnen des
öffentlichen und privaten Sektors, einschließlich derjenigen in Port Sudan (Bur
Sudan) am Roten Meer, verstärkt. Die starke Organisationstradition der
sudanesischen ArbeiterInnenbewegung wurde am 5. und 13. März in landesweiten
Streiks demonstriert.

Die liberale Opposition und die Kommunistische Partei

Die Kundgebungen wurden von der „Allianz für Freiheit
und Wandel“ organisiert, zu der Berufsverbände, Gewerkschaften und
Oppositionsparteien gehören. Sitzungen des Koordinierungsgremiums fanden am
Sitz der sudanesischen Kommunistischen Partei SCP statt, die darauf abzielt,
„ein möglichst breites Bündnis von politischen Parteien, bewaffneten Gruppen,
demokratischen Massenorganisationen, Gewerkschaften der Freischaffenden,
ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenbewegungen sowie StudentInnen- und
Frauenverbänden aufzubauen“.

Die 1946 gegründete SCP war eine mächtige Kraft im
Land und in der Armee bis zu ihrer Teilnahme am gescheiterten Staatsstreich von
1971, der mit dem Sieg von General Dschafar Muhammad an-Numairi und der
Hinrichtung der wichtigsten FührerInnen der SCP endete. Seit vielen Jahren
operierte sie im Untergrund und die von ihr beeinflussten Gewerkschaften wurden
aufgelöst. In jüngster Zeit ist die Partei wieder aufgetaucht, obwohl ein Teil
ihrer Führung, darunter 16 Mitglieder ihres Zentralkomitees, immer noch im
Gefängnis sitzt.

Es ist zu erwarten, dass die SCP, die in
unerschütterlicher stalinistischer Tradition steht, die Strategie der
Volksfront übernehmen, d. h. auf eine Regierung drängen wird, die
VertreterInnen der besitzenden und der ausgebeuteten Klassen vereint. Dies
wäre, wie es immer war, ein Rezept für eine Katastrophe, und die
ArbeiterInnenklasse und die Armen würden der Früchte ihres revolutionären
Kampfes beraubt.

Die entscheidende Frage ist, wie bei jedem zutiefst
revolutionären Umsturz, ob die ArbeiterInnenklasse dabei eine unabhängige Rolle
spielt. Nur wenn die ArbeiterInnen die Führungsrolle übernehmen, die ihnen ihr
Platz in der Produktion ermöglicht, können die Ziele der Demokratie gesichert
werden, ganz zu schweigen von den sozialen Bedürfnissen der ArbeiterInnen,
Bauern/Bäuerinnen und Armen.

Der Verband der freien Berufe Sudans hat als Sprecher
der Bewegung eine herausragende Rolle gespielt. So hat er beispielsweise
wiederholt gefordert, dass das Oberkommando der Armee eingreift, um al-Baschir
zu beseitigen, ein Wunsch, der jetzt erfüllt wurde. Bisher sind seine
Bestrebungen hinsichtlich der Notwendigkeit einer radikalen Zerstörung des alten
Regimes bewundernswert klar. Er hat eine „Regierung aus patriotischen
ExpertInnen“ sowie eine „vollständig zivile Regierung“ verlangt.

Unabhängig von den demokratischen Bestrebungen ihrer
Mitglieder wird sie sich zweifellos gezwungen sehen, die Interessen des
Großkapitals und des ausländischen Imperialismus zu wahren, solange die
Repressionsmaschinerie, die über den Massen der Bevölkerung steht und ihnen
nicht verantwortlich ist, existiert und die reale Macht monopolisiert.

Sudanesische RevolutionärInnen werden zweifellos an
das Schicksal des arabischen Frühlings 2011 in Ägypten, Syrien, Jemen und
Libyen denken, wo trotz des Mutes der jungen RevolutionärInnen ihre Bewegungen
durch eine brutale Rückkehr des alten Regimes zerstört wurden. Solange das Oberkommando
der Armee, die islamistischen Parteien und die staatliche Bürokratie intakt
bleiben, auch wenn ihre derzeitigen FührerInnen zurück- oder beiseitetreten,
bleibt die Gefahr einer Konterrevolution bestehen. Die einzige Antwort ist eine
Revolution, die den ganzen Weg geht, die repressive Macht des Staates auflöst,
die Kontrolle über die Wirtschaft von der korrupten KapitalistInnenklasse
übernimmt und die Macht in die Hände der Werktätigen legt.

Was nun?

Der zukünftige Fortschritt der Bewegung hängt von zwei
Dingen ab. Erstens müssen die ArbeiterInnen auf jede Razzia des TMC mit einem
umfassenden und unbefristeten Generalstreik antworten. Zweitens müssen die
SoldatInnen des Heeres, die Marineränge und das Luftwaffenpersonal gewonnen
werden, um sich tatsächlich den Massen auf den Straßen anzuschließen und ihre
Waffen mitzubringen. Sie müssen SoldatInnenkomitees in den Kasernen bilden und
OffizierInnen entfernen, die AgentInnen des alten Regimes geblieben sind.
SoldatInnen und MatrosInnen sollten in der Tat ihre Kommandeurinnen selbst
wählen.

Es ist offensichtlich, dass der TMC beabsichtigt, von
seinem ägyptischen Gegenstück zu lernen, um die Revolution unter seine
Kontrolle zu bringen und zu zerschmettern. Die Antwort der revolutionären
Bewegung muss darin bestehen, weiter unablässig daran zu arbeiten, die
einfachen SoldatInnen, untere Polizeiränge usw. für die Seite der Revolution zu
gewinnen. Wirkliche Sicherheit für das Volk wird nur gewährleistet sein, wenn
sich die  Basis der Streitkräfte
den ArbeiterInnen, StudentInnen und Jugendlichen bei der Wahl der
revolutionären DelegiertInnenräte anschließt und eine Volksmiliz bildet.

Jede provisorische Regierung muss sich auf diese Räte
stützen und ihnen gegenüber verantwortlich sein. Nur auf solche Kräfte kann man
sich verlassen, wenn es darum geht, Wahlen zu organisieren und die
demokratische Rechenschaftspflicht einer souveränen verfassunggebenden
Versammlung zu gewährleisten.

Aber sobald sie geschaffen sind und Macht in ihren
Händen halten, sollten solche Räte weitergehen und eine auf ihnen basierende
Republik gründen – eine, die die dringenden Bedürfnisse der Armen in Stadt und
Land auf Kosten der reichen und korrupten Elite, der großen UnternehmerInnen
usw. erfüllen kann. Kurz gesagt, die demokratische Revolution muss durch das
Handeln der ArbeiterInnenklasse, der Frauen, der Jugendlichen und all der
Ausgebeuteten und Unterdrückten in Stadt und Land in eine soziale Revolution
umgewandelt werden.

Die internationale Antwort

Al-Baschir hatte die Unterstützung des ägyptischen
Diktators, Präsident Abdel Fatah El-Sisi (Abd al Fattah as-Sisi) und von
Mohammed bin Salman, dem mörderischen saudischen Kronprinz. Er wurde außerdem
stillschweigend von Donald Trump und auch von Benjamin Netanjahu unterstützt.
Auch Wladimir Putin kann in die Gemeinschaft der imperialistischen DiebInnen
aufgenommen werden, die den sudanesischen Diktator unterstützten, sowie der

„Khartum-Prozess“ der Europäischen Union, um
Flüchtlinge von der Mittelmeerüberquerung abzuhalten. Jetzt haben all diese
Kräfte ihre Unterstützung auf den TMC übertragen und werden jedem Versuch
Hilfestellung leisten, die Ordnung wiederherzustellen.

Aus all diesen Gründen sollten SozialistInnen und
GewerkschafterInnen sowie die Frauen- und Jugendbewegungen auf der ganzen Welt
ihre Stimme zum Beistand für die Revolution im Sudan laut erheben und ihre
Regierungen auffordern, die Unterstützung jeglichen Militärregimes gegen das
Volk einzustellen. Da sich Algerien noch immer in revolutionären Turbulenzen
befindet und in Marokko Massendemonstrationen ausbrechen, wird es nötig und
möglich sein, die Revolution in eine gegen alle diktatorischen Regime in der
arabischen Welt und auch in Afrika südlich der Sahara auszuweiten.




Revolution im Sudan

Liga für die Fünfte Internationale, 11. April 2019, Infomail 1051, 13. April 2019

Als al-Baschir die
Macht übernahm, beendete er vier Jahre relativer demokratischer Freiheiten nach
einer Revolution 1985, unterdrückte politische Parteien und unabhängige
Gewerkschaften und führte eine repressive „islamische“ Verfassung ein. In
seinen dreißig Jahren an der Macht ertränkte er ein ganzes Land in Krieg und
Elend. In dieser Zeitspanne töteten Geheimdienste, Polizei und GefängniswärterInnen
Tausende, und viele weitere wurden von seinem Regime gedemütigt, gefoltert und
terrorisiert.

Es war der
Verteidigungsminister Ahmed Awad Ibn Auf, der das Ende der Herrschaft von
al-Baschir im nationalen Fernsehen ankündigte. Er kündigte aber auch an, dass
ein Militärrat für die nächsten zwei Jahre die politische Macht im Land übernehmen
wolle. Erst dann wird es Neuwahlen geben. In der Zwischenzeit wird die
erzreaktionäre Verfassung ausgesetzt, aber der Militärrat wird den
Ausnahmezustand für drei Monate verhängen, mit einer Ausgangssperre jeden Abend
ab 22 Uhr.

Nach
monatelangen revolutionären Erhebungen und der Belagerung des Militär- und Präsidialhauptquartiers
in Khartum feierten Hunderttausende die Verhaftung des brutalen Diktators Umar
(Omar) Hasan Ahmad al-Baschir. Die Festnahme eines Mannes, der den Sudan mit
eiserner Faust regiert hat, seit er 1989 bei einem Staatsstreich die Macht übernommen
hat, ist sicherlich ein Grund für Erleichterung und Freude für Millionen von
Menschen.

Diese Ankündigung
war jedoch eindeutig nicht das Ergebnis einer „demokratischen“ Bekehrung
seitens des Oberkommandos, das al-Baschir jahrzehntelang diente. Indem sie den
Diktator verhaften, wollen sie sich als Freunde des Volkes tarnen, um die
Kontrolle zurückzuerlangen und dann die Revolution zu ersticken, die Millionen
von ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen, der städtischen Armen und der
Mittelschicht mobilisiert hat.

Revolutionäre
Situation

Seit vier
Monaten befindet sich der Sudan inmitten einer tiefgreifenden revolutionären
Situation. Riesige Menschenmassen haben jeden Freitag an massiven
Demonstrationen teilgenommen, die zuerst den Rücktritt von Omar al-Baschir und
dann den Sturz des gesamten Regimes der National Congress Party (NCP)
forderten.

Unmittelbarer
Auslöser war die Ankündigung von Preiserhöhungen bei Brot und Benzin. Deren
Hintergrund bildet die grassierende Arbeitslosigkeit, die steigende Inflation
sowie die lähmende Nahrungsmittel- und Kraftstoffknappheit. Rund 80 Prozent der
Bevölkerung muss mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen und fast 2,5
Millionen Kinder leiden an schwerer Unterernährung.

Die Abspaltung
des Südsudans im Jahr 2011 entzog dem Land drei Viertel seiner Öleinnahmen und
löste eine anhaltende Wirtschaftskrise aus. Dennoch gab das Regime weiterhin
schätzungsweise 70–80 Prozent der verbleibenden Einnahmen für Kräfte der
inneren Sicherheit und das Militär aus. Es ist völlig korrupt, und die Massen
wissen das.

Obwohl die
Nahrungsmittel- und Treibstoffknappheit die Bewegung antrieb, erhoben die
DemonstrantInnen schon bald politische Losungen – „Freiheit, Frieden und
Gerechtigkeit“ und „Revolution ist die Wahl des Volkes“!

Junge Menschen
und Frauen bildeten das Herzstück der Bewegung, wobei die Kampagne „Nein zur Unterdrückung
von Frauen“ eine führende Rolle spielte. Die zentrale Stellung der Frauen bei
den Protesten wird durch die Figur von Alaa Salah symbolisiert, einer Frau, die
während eines Sitzstreiks im militärischen Hauptquartier ein Gedicht
rezitierte, in dem sie die Bewegung vom Dach eines Autos aus lobte und ihre
Zeilen mit dem Schrei „Thowra!“ –„Revolution“ auf Arabisch – unterlegte.

Die
DemonstrantInnen fordern einen vollständigen Bruch mit dem kulturell und
bildungspolitisch unterdrückenden islamistischen Regime, das besonders hart zu
Frauen ist, und sind sehr skeptisch gegenüber jedem einfachen Ersatz von
al-Baschir durch einen Militärrat.

Der Aufstand
begann in Städten nördlich der Hauptstadt Khartum, an Orten wie Atbara, einem
Eisenbahnproduktionszentrum und Wiege der sudanesischen Gewerkschaftsbewegung.
Die Straßenproteste am Freitag wurden durch Besetzungen von Universitäten und
Schulen, Streiks von ArbeiterInnen des öffentlichen und privaten Sektors,
einschließlich derjenigen in Port Sudan (Bur Sudan) am Roten Meer, verstärkt.
Die starke Organisationstradition der sudanesischen ArbeiterInnenbewegung wurde
am 5. und 13. März in landesweiten Streiks demonstriert.

Die liberale
Opposition und die Rolle der Kommunistischen Partei

Die Kundgebungen
wurden von der „Allianz für Freiheit und Wandel“ organisiert, zu der Berufsverbände,
Gewerkschaften und Oppositionsparteien gehören. Sitzungen des
Koordinierungsgremiums fanden am Sitz der sudanesischen Kommunistischen Partei
SCP statt, die darauf abzielt, „ein möglichst breites Bündnis von politischen
Parteien, bewaffneten Gruppen, demokratischen Massenorganisationen,
Gewerkschaften der Freischaffenden, ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenbewegungen
sowie StudentInnen- und Frauenverbänden aufzubauen“.

Die 1946 gegründete
SCP war eine mächtige Kraft im Land und in der Armee bis zu ihrer Teilnahme am
gescheiterten Staatsstreich von 1971, der mit dem Sieg von General Dschafar
Muhammad an-Numairi und der Hinrichtung der wichtigsten FührerInnen der SCP
endete. Seit vielen Jahren operierte sie im Untergrund und die von ihr
beeinflussten Gewerkschaften wurden aufgelöst. In jüngster Zeit ist die Partei wieder
aufgetaucht, obwohl eine Teil ihrer Führung, darunter 16 Mitglieder ihres
Zentralkomitees, immer noch im Gefängnis sitzt.

Es ist zu
erwarten, dass die SCP, die eine kontinuierlich stalinistische Vergangenheit
hat, die Strategie der Volksfront übernehmen wird, d. h. auf eine
Regierung drängen wird, die VertreterInnen der besitzenden und der
ausgebeuteten Klassen vereint. Dies wäre, wie es immer war, ein Rezept für eine
Katastrophe, und die ArbeiterInnenklasse und die Armen würden der Früchte ihres
revolutionären Kampfes beraubt.

Die
entscheidende Frage ist, wie bei jedem zutiefst revolutionären Umsturz, ob die
ArbeiterInnenklasse dabei eine unabhängige Rolle spielt. Nur wenn die ArbeiterInnen
die Führungsrolle übernehmen, die ihnen ihr Platz in der Produktion ermöglicht,
können die Ziele der Demokratie gesichert werden, ganz zu schweigen von den
sozialen Bedürfnissen der ArbeiterInnen, Bauern/Bäuerinnen und Armen.

Der Verband der freien
Berufe hat als Sprecher der Bewegung eine herausragende Rolle gespielt. So hat
er beispielsweise wiederholt gefordert, dass das Oberkommando der Armee
eingreift, um al-Baschir zu beseitigen, ein Wunsch, der jetzt erfüllt wurde.
Bisher sind seine Bestrebungen hinsichtlich der Notwendigkeit einer radikalen
Zerstörung des alten Regimes bewundernswert klar. Seine Erklärung vom 11. April
lautet:

„Wir behaupten,
dass das sudanesische Volk nicht weniger als eine zivile Übergangsbehörde
akzeptieren wird, die sich aus einer patriotischen Gruppe von Fachleuten
zusammensetzt, die nicht an dem tyrannischen Regime beteiligt war. Die Führung
der Streitkräfte unseres Volkes sollte die Macht an das Volk selbst übergeben,
gemäß dem, was in der Erklärung von Freiheit und Wandel zum Ausdruck kam.“

Aber auch eine „Regierung
patriotischer ExpertInnen“, unabhängig von den demokratischen Bestrebungen
ihrer Mitglieder, wird sich zweifellos gezwungen sehen, die Interessen des Großkapitals
und des ausländischen Imperialismus zu wahren, solange die
Repressionsmaschinerie, die über den Massen der Bevölkerung steht und ihnen
nicht verantwortlich ist, existiert und die reale Macht monopolisiert.

Sudanesische
RevolutionärInnen werden zweifellos an das Schicksal des arabischen Frühlings
2011 in Ägypten, Syrien, Jemen und Libyen denken, wo trotz des Mutes der jungen
RevolutionärInnen ihre Bewegungen durch eine brutale Rückkehr des alten Regimes
zerstört wurden. Solange das Oberkommando der Armee, die islamistischen
Parteien und die staatliche Bürokratie intakt bleiben, auch wenn ihre
derzeitigen FührerInnen zurück- oder beiseitetreten, bleibt die Gefahr einer
Konterrevolution bestehen. Die einzige Antwort ist eine Revolution, die den
ganzen Weg geht, die repressive Macht des Staates auflöst, die Kontrolle über
die Wirtschaft von der korrupten KapitalistInnenklasse übernimmt und die Macht
in die Hände der Werktätigen legt.

Vorhersehbar
reagierte das Regime auf die sich entwickelnde Bewegung mit Repression,
einschließlich des Einsatzes scharfer Munition seitens der Spezialeinheiten der
Sicherheitskräfte und der Milizen der islamistischen Bewegung, bei dem zwischen
30 und 60 DemonstrantInnen getötet wurden. Der Stabschef der Armee, Kamal
Abdelmarouf, warnte im Januar: „Wir werden nicht zulassen, dass der
sudanesische Staat zusammenbricht oder ins Chaos stürzt.“

Sondergerichte
haben bereits Hunderte zu harten Strafen verurteilt, darunter neun Frauen zu je
zwanzig Peitschenhieben. Oppositionszeitungen werden seit Januar an der Veröffentlichung
gehindert. Das sudanesische Journalistennetzwerk berichtet, dass rund 90 ihrer
JournalistInnen verhaftet wurden. Am 22. Februar wurde der einjährige
Ausnahmezustand verhängt.

Wilson Berridge,
Autor des Buches „Civil Uprisings in Modern Sudan“ (2015), hat geschrieben:

„Das Regime von
Al-Baschir hat eindeutig aus den Fehlern seiner Vorgänger gelernt. Es hat viel
stärkere National Intelligence Security Services (NISS, Inlandsgeheimdienste)
sowie eine Vielzahl anderer paralleler Sicherheitsorganisationen und
bewaffneter Milizen geschaffen, mit denen es Khartum anstelle der regulären
Armee überwacht. Diese Einrichtung, kombiniert mit der gegenseitigen Befürchtung
verschiedener Kommandanten, im Falle eines Sturzes des Regimes für
Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden, bedeutet, dass eine militärische
Intervention nicht so leicht wie 1964 oder 1985 erfolgen wird. Das ist ein
Grund, warum der gegenwärtige Aufstand bereits länger gedauert hat als seine
Vorgänger.“

Bislang hat die
Repression die Bewegung weder beendet noch eingeschüchtert, ja sie hat sie
sogar eskaliert. Tausende von DemonstrantInnen, die sich dem Tränengas der
Polizei widersetzten, versammelten sich am 6. April vor dem Hauptquartier der
Armee in der Hauptstadt und forderten die SoldatInnen und das Oberkommando auf,
ihre Forderungen nach dem Rücktritt von al-Baschir zu unterstützen. Der riesige
Komplex beherbergt auch die offizielle Residenz von Baschir und das
Verteidigungsministerium. Sie gewannen bald die offene Sympathie von Sektionen
niederer Offiziersränge, Unteroffiziers-  und Mannschaftsdienstgraden, die die DemonstrantInnen gegen
Angriffe der islamistischen Milizen und NISS-SchlägerInnen des Regimes
verteidigten. Am selben Tag gab eine undurchsichtige Gruppierung namens „Das Ehrenwerte
der Streitkräfte“ eine Erklärung ab, in der sie drohte, dass die Mannschaftsgrade
und  niederen OffizierInnen zur
Bewegung übergehen würden, wenn das oberste Kommando der Armee ihre Forderungen
nicht offen unterstützte.

Was nun?

Der zukünftige
Fortschritt der Bewegung hängt von zwei Dingen ab. Erstens müssen die
ArbeiterInnen auf jede Razzia, jeden Versuch, ein neues Militärregime zu
errichten, mit einem umfassenden und unbefristeten Generalstreik antworten;
zweitens müssen die Soldaten des Heeres, die Marineränge und das
Luftwaffenpersonal gewonnen werden, um sich tatsächlich den Massen auf den Straßen
anzuschließen und ihre Waffen mitzubringen. Die Massen sollten sich an die Täuschung
des Oberkommandos der ägyptischen Streitkräfte erinnern, das Mubarak absetzte
und behauptete, sich an die Seite des Volkes zu stellen, nur um innerhalb eines
Jahres eine bösartige konterrevolutionäre Diktatur aufzubauen.

Es ist
offensichtlich, dass die sudanesische Armee beabsichtigt, von ihrem ägyptischen
Gegenstück zu lernen, um die Revolution unter ihre Kontrolle zu bringen. Im
Moment ist unklar, wer am „Militärrat“ teilnehmen und wie dessen Politik gegenüber
der Opposition aussehen wird. Eine Taktik könnte die Beteiligung prominenter bürgerlicher
oder gar gewerkschaftlicher oder reformistischer FührerInnen unter fester militärischer
Kontrolle sein. Eine solche Regierung wäre eine fatale Falle für die
Massenbewegung, ein Mittel, um sie von der Straße zu bekommen und ihr die Früchte
ihres Kampfes zu entziehen, indem sie die weitere Herrschaft des Militärs und
der Wirtschaftselite des Landes sichert.

Die Antwort der
revolutionären Bewegung muss darin bestehen, eine solche dreiste Täuschung
abzulehnen, weiter daran zu arbeiten, Soldaten usw. für die Seite der
Revolution zu gewinnen und anstelle eines Militärrates eine provisorische
Regierung zu fordern, die auf ihren eigenen Massenkräften basiert und ihnen
verantwortlich ist. Diese Massen müssen in ArbeiterInnen-, SoldatInnen- und
Bauern-/Bäuerinnenräten organisiert sein. Nur solche Kräfte können die
demokratische Rechenschaftspflicht einer souveränen verfassunggebenden
Versammlung organisieren und sicherstellen.

Wirkliche
Sicherheit für das Volk wird nur gewährleistet sein, wenn sich die  Basis der Streitkräfte den
ArbeiterInnen, StudentInnen und Jugendlichen bei der Wahl der revolutionären
DelegiertInnenräte anschließt. Ihre erste Priorität sollte darin bestehen,
sicherzustellen, dass das Oberkommando der Armee weder auf Repressionen noch
auf die Einsetzung eines Duplikats des alten Regimes zurückgreift. Aber diese Räte
selbst sollten weiterhin eine Republik aus eigener Kraft gründen, die die
dringenden Bedürfnisse der Armen in Stadt und Land auf Kosten der reichen und
korrupten Elite, der GroßunternehmerInnen usw. erfüllen kann. Kurz gesagt, die
demokratische Revolution muss durch das Handeln der ArbeiteInnenklasse, der
Frauen, der Jugendlichen und all der Ausgebeuteten und Unterdrückten in Stadt
und Land in eine soziale Revolution umgewandelt werden.

Die
internationale Antwort

Mohamed Hassan,
ein sudanesischer Abgeordneter der bürgerlichen Popular Congress Party (PCP),
hat seine Enttäuschung über das Schweigen der westlichen FührerInnen über die
Bewegung zum Ausdruck gebracht. „Wir haben mehr Unterstützung erwartet, aber
wir erkennen, dass die internationale Politik von ihren eigenen Interessen
geleitet wird“, sagte er. In der Tat!

Al-Baschir hatte
die Unterstützung des ägyptischen Diktators, Präsident Abdel Fatah El-Sisi (Abd
al Fattah as-Sisi, Freund und Verbündeter von Donald Trump), der im Januar erklärte:
„Ägypten unterstützt uneingeschränkt die Sicherheit und Stabilität des Sudan,
die ein wesentlicher Bestandteil der nationalen Sicherheit Ägyptens ist.“ Und
nicht nur für die „Sicherheit“ Ägyptens unerlässlich, sei hinzugefügt. Mohammed
bin Salman, der mörderische saudische Kronprinz, hat, wie berichtet wird,
stolze 2,2 Milliarden US-Dollar für 10.000 Köpfe zählende sudanesische
Truppen  gezahlt, um sich seinem
schrecklichen Krieg im Jemen anzuschließen, der trotz der Stimmen des
Kongresses, die die Beendigung seiner Unterstützung fordern, stillschweigend von
Donald Trump und auch von Benjamin Netanjahu unterstützt wird.

Es darf auch
nicht vergessen werden, dass die Pläne der Europäischen Union, Flüchtlinge von
der Mittelmeerüberquerung abzuhalten, als „Khartum-Prozess“ bezeichnet werden
und die EU über ein regionales Operationszentrum in der sudanesischen
Hauptstadt verfügt, um ihr Unternehmen zu koordinieren. Vielleicht erklären
diese Fakten das bemerkenswerte Schweigen der westlichen Regierungen und Medien
über den Volksaufstand im Sudan. Wir können auch Wladimir Putin in die
Gemeinschaft der imperialistischen DiebInnen aufnehmen, die die sudanesische
Repression unterstützen. Es gibt glaubwürdige Berichte, dass das russische „Verteidigungsunternehmen“
Wagner, eine Einrichtung in der Nähe zum Kreml, den sudanesischen Behörden
hilft, die Straßen zu kontrollieren.

Aus all diesen
Gründen sollten SozialistInnen und GewerkschafterInnen sowie die Frauen- und
Jugendbewegungen auf der ganzen Welt ihre Stimme zum Beistand für die
arbeitende Bevölkerung und die Jugend des Sudans laut erheben und ihre
Regierungen auffordern, die Unterstützung eines Militärregimes gegen das Volk
einzustellen. Da sich Algerien noch immer in revolutionären Turbulenzen
befindet, wird es eine wichtige Aufgabe sein, den Aufstand gegen alle
diktatorischen Regime in der arabischen Welt und auch in Afrika südlich der
Sahara zu einem gemeinsamen zu machen.

  • Solidarität mit der sudanesischen Revolution!
  • Nein zu einer militärischen Übernahme in Form des „Militärrates“! Nein zum Ausnahmezustand und zur Ausgangssperre!
  • Für eine demokratische, rein zivile Übergangsregierung, die nicht unter der Vormundschaft der Generäle steht!
  • Bildet ArbeiterInnen-, SoldatInnen- und Bauern-/Bäuerinnenräte!
  • Für eine souveräne konstituierende Versammlung unter dem Schutz und der Kontrolle der – Massenorganisationen!
  • Für eine ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenregierung im Sudan, die auf ArbeiterInnenräten fußt!