Stoppt die Werksschließung von MAHLE Behr Korea!

Gastbeitrag von Peter Vlatten, ursprünglich veröffentlicht auf Forum Gewerkschaftliche Linke Berlin, Infomail 1250, 2. April 2024

  • Stoppt die Werksschließung von MAHLE Behr Korea!

  • Sichert die Existenzrechte der koreanischen Arbeitsnehmer:innen!

  • Wir lassen uns nicht spalten. Nur wenn wir gemeinsam jeden Standort verteidigen, sind wir stark!

In den letzten Jahrzehnten ist Korea zu einem Anziehungspunkt für ausländische Investoren geworden. Es können und konnten ordentlich Profite gemacht werden. Ändern sich die Voraussetzungen dafür, können die Kapitaleigner nach Belieben schalten und walten. Ihr Kapital einseitig und unverantwortlich abziehen. Fakriken verkaufen, stilllegen oder verlagern. Zulasten der Belegschaften und betroffenen Regionen. Regulierungen, die ernsthaft in das Eigentumsrecht eingreifen und Unternehmer in die Pflicht nehmen, gibt es so gut wie nicht in Ländern wie Südkorea oder Deutschland. Die Kolleg:innen bei MAHLE Behr Korea müssen das gerade bitter erfahren.

Historie und Standorte

MAHLE Behr, ein deutsches Unternehmen mit Hauptsitz in Stuttgart, wurde im Jahr 1920 gegründet. Weltweit beschäftigt das Unternehmen über 71.947 Mitarbeiter und betreibt 152 Produktionsstandorte. Zu diesen Standorten zählt auch die Produktionsstätte in Busan, Südkorea, die im Jahr 2007 errichtet wurde. Die Busaner Produktionsstätte ist spezialisiert auf die Herstellung von Autoteilen und beschäftigt 160 Mitarbeiter. Zu den Hauptlieferanten gehören Hyundai-Kia Motors, Honda, Nissan, Mitsubishi-Hyundai und Kia-Nissan.

Ankündigung der Schließung

Am 7. Dezember 2023 wurde die Gewerkschaft “Korean Metal Workers Union” über die Entscheidung des Vorstands von MAHLE Behr informiert, dass das koreanische Werk des Unternehmens bis September 2025 geschlossen werden soll, da der Umsatz zurückginge und weitere Investitionen in das koreanische Werk aufgrund des geringen Investitionswerts nicht sinnvoll seien. Diese einseitig von MAHLE Behr Deutschland getroffene Entscheidung, das koreanische Werk zu schließen, raubt 160 koreanischen Arbeitnehmer:innen und ihren Familien ihre Existenzgrundlage. Im Vorfeld gab es keine Kommunikation und Konsultation mit den koreanischen Beschäftigten, auch nicht mit der koreanischen Unternehmensleitung. Es handelt sich um eine einseitige und gewaltsame Entscheidung von MAHLE Behr Deutschland gegen die Interessen der Arbeiter:innen.

Langfristiges Monopoly auf dem Rücken der Beschäftigten

Es gibt Indizien, dass die Stilllegung von langer Hand geplant war. Das Unternehmen hat den koreanischen Markt nicht aufgegeben, sondern verlagert lediglich seine Produktionsstätten und “schöpft Volumen ab”. MAHLE Behr Deutschland als wirtschaftlicher Eigentümer und Mehrheitsaktionär hat es versäumt, einen nachhaltigen mittel- und langfristigen Entwicklungsplan für das koreanische Werk vorzuschlagen und aktiv in das Werk zu investieren. Gleichzeitig gab es verschiedene Maßnahmen zu Einsparungen und frühzeitigem Belegschaftsabbau. Welche unternehmensstrategischen Pläne dahinterstecken, hält Mahle Behr bewusst intransparent. Vermeintlich gegenläufig hatte der Vizepräsident der Asien-Pazifik-Region Bentele eine Beschäftigungsgarantie ausgesprochen und eine Verpflichtungserklärung zur Unterstützung und Zusammenarbeit bei der Weiterentwicklung des Koreawerkes abgegeben. Das kommt den Kolleg:innen nun wie ein großes Täuschungsmanöver vor. Die Entscheidungen der Unternehmenszentrale setzen sich über alle Vereinbarungen und Versprechungen selbstherrlich hinweg. 2023 fand plötzlich der Verkauf des Thermostatgeschäfts statt. Dann erfolgte letzten Dezember die Ankündigung der Schließung mit den Massenentlassungen.

Die Belegschaft in Busan und ihre Gewerkschaft sind nicht bereit, dieses Vorgehen hinzunehmen. Sie haben protestiert, demonstriert und Verhandlungen mit der Firmenleitung durchgesetzt.

Wir wenden uns an die Kolleginnen und Kollegen in Deutschland: Nur wenn wir gemeinsam jeden Standort verteidigen, bleiben wir stark! Wenn wir uns gegenseitig ausspielen lassen, hat die Unternehmenszentrale leichtes Spiel. Das Unternehmen agiert international, das müssen wir auch.

Wir fordern:

  • Nein zur Schließung des Werkes Busan!

  • Verbot der Verlagerung von Produkten und Produktionsmitteln ohne Zustimmung der Gewerkschaft.

  • Nur wenn wir gemeinsam jeden Standort verteidigen, sind wir stark!

Protestkundgebung am Freitag, 5.4.2024 um 11:30 Uhr, Vor der MAHLE Hauptverwaltung Pragstraße 26-46, 70376 Stuttgart




Stadtverwaltung Stuttgart: Der Streik ist legal!

Interview mit einer Beschäftigten der Stadtverwaltung, Infomail 1238, 11. Dezember 2023

Die Beschäftigten der Stuttgarter Stadtverwaltung kämpfen seit Wochen für Einkommensverbesserungen. Am 4. Dezember streikten sie für Einkommensverbesserungen im Rahmen der Altersteilzeit und eine Ballungsraumzulage. Das folgende Interview führten wir mit einer Streikenden.

Arbeiter:innenmacht (AM): Hallo, warum habt Ihr am 4. Dezember gestreikt? Der Tarifvertrag TVöD läuft doch noch?

Antwort: Das stimmt. Aber bei der letzten Tarifrunde zum TVöD wurde nicht über das Thema Altersteilzeit entschieden, da ein Abschluss dazu damit verbunden gewesen wäre, eine spätere Tabellenerhöhung zu bekommen. Dies wurde von der Tarifkommission damals abgelehnt.

Dadurch ist man rechtlich beim Thema Altersteilzeit außerhalb der Friedenspflicht und darf dafür streiken. Neben den Beschäftigten in Stuttgart machen auch die in Köln davon Gebrauch. Die Stadt Stuttgart ist gegen den ersten Streikaufruf rechtlich vorgegangen und hat vor Gericht verloren, was schon mal ein wichtiger Erfolg für uns Beschäftigte war.

AM: Es geht also um eine Regelung zur Altersteilzeit?

Antwort: Ja, und um eine Stuttgartzulage: Bei uns in der Betriebsgruppe (BG) ist das Thema Ballungsraumzulage schon länger präsent und es war klar, dass wir es nach der Tarifrunde angehen wollten. Die Stadt München hat ja schon jahrelang eine tarifierte Zulage. In der BG war uns deshalb immer klar, die Zulage wollen wir nur tarifiert. Die Höhe haben wir in der BG diskutiert und haben uns an der Zulage, welche sich die Bürgermeister:innen im März selbst gegeben haben, orientiert: 472,52 Euro im Monat für alle Beschäftigten mehr.

Nachdem wir ja für die Zulage nicht streiken dürfen, haben wir das Streikrecht für die Altersteilzeit genutzt, um das Thema Zulage zu platzieren. Seit Juli haben wir für eine Stuttgartzulage über 7.300 Unterschriften von 11.000 Beschäftigten gesammelt.

AM: Und dann habt ihr losgelegt?

Antwort: Im November war dann der erste Streiktag. Hier wurde der Tag der ersten Lesungen für die Haushaltsberatungen gewählt, da dort der Gemeinderat über das Thema diskutieren und beschließen sollte. Doch der Tagesordnungspunkt wurde verschoben auf den 4. Dezember, also haben wir gestern diesbezüglich nochmal gestreikt. Kurzerhand haben Sie das Thema auf den nächsten Tag, also heute, 5. Dezember, verschoben, was uns alle sehr aufgeregt hat, und wir fanden es auch sehr feige, weil man offensichtlich den Streikenden aus den Weg gehen wollte. Der Streik hat direkt vorm Rathaus und Sitzungssaal stattgefunden.

Doch ver.di hat dann direkt beschlossen, dass wir spontan am Dienstag auch streiken. Das haben wir heute auch getan und der Gemeinderat hat beschlossen, dass es eine Zulage in Höhe von 150 Euro ab 01.07.24 geben solle, aber nicht tarifiert, sondern im Rahmen der Haushaltsbeschlüsse. Das ist eine Klatsche ins Gesicht, da der OB schon vor einigen Monaten angekündigt hat, dass er sich höchstens eine untarifierte Zulage in Höhe von 150 Euro vorstellen kann. Das heißt, unser Streik hat hier an seinem Vorschlag nichts geändert. Ein Gewinn ist nur, dass im nächsten Jahr nochmal über die Tarifierung entschieden werden soll. Anscheinend kann über die Tarifierung nur alle 6 Monate entschieden werden, daher momentan nicht. Was jetzt bzgl. Altersteilzeit beschlossen wurde, weiß ich gar nicht. Ich glaube, über das Thema wurde heute gar nicht gesprochen.

AM: Wie geht es weiter?

Antwort: Die meisten Beschäftigten sind wütend auf den OB. Aufgrund des Ergebnisses treffen wir uns nächsten Montag, den 11.12., wieder in der Betriebsgruppe und diskutieren, wie es weitergeht und ob wir nochmal streiken und wann. Vielleicht im nächsten Jahr erst.

Frage: Kannst du noch was zum Ablauf des Streik sagen?

Antwort: Am Streiktag vom 4.12. gab es eine große Streikversammlung mit offenem Mikro. Das war super, das gab es so während der Tarifrunde TVöD nicht in dieser Form. Die Stimmung war auch sehr gut. Die Beschäftigten im Erziehungs-/Pflegebereich sind einfach komplett am Ende und verzweifelt wegen Überlastung. Die Beschäftigten der Gärtnerei sind komplett unterbezahlt und versuchen, sich mit Nebenjobs über Wasser zu halten. Sie fanden die 470 Euro Zulage im Monat zu wenig – verständlich!

Sonst kamen kaum politische Statements, obwohl bei dieser Versammlung auch politische Gruppen anwesend waren mit ein paar Plakaten oder Flyern.

AM: Was denkst du, wie der Konflikt erfolgreich gewonnen werden kann?

Antwort: Ich finde es schwierig, dieses Thema zuzuspitzen und weiterführende Forderungen zu finden. Es braucht mehr Geld, völlig klar, und ich denke, man könnte in dem Rahmen auch einfach mal Vorschläge machen, woher das Geld kommen soll. Cuno Burne-Hägele, Geschäftsführer von ver.di (Bezirk Stuttgar), ist z. B. auf Stuttgart 21 eingegangen, was ich auch ein gutes Beispiel finde, um zu zeigen, dass Geld da ist.

Wir müssen das auch in der Betriebsgruppe nächsten Montag diskutieren. Die Forderung einer Ballungsraumzulage spielt ja auch bei der Tarifrunde der Länder eine Rolle. Das Teuere in der Stadt sind ja v. a. die Mieten, die dazu führen, dass eine Zulage notwendig wird. Die Forderung, dass der/die Arbeit„geber“:in für die teueren Mieten aufkommen soll, finde ich nicht schlecht, aber eine solche Zulage schließt Personen in anderen Städten aus oder die Leute, die in Stuttgart leben, aber woanders arbeiten. Es braucht ja eigentlich auch eine Zulage wegen Inflation, aber das sollte eigentlich die Tarifrunde ausgleichen,was sie ja nicht getan hat.

Jetzt stellt sich mir die Frage, ob man mit der Forderung einer Zulage einfach dem schlechten Tarifergebnis aus dem Weg geht und versucht, anders an Lohnerhöhungen zu kommen, weil ver.di es in der Tarifrunde verkackt hat, die Reallöhne zu sichern.

AM: Danke Dir, Du hast da wichtige Fragen angeschnitten, die ja auch anderswo gestellt werden. Es braucht wohl noch einige Debatten dazu in ver.di und darüber hinaus. Für Euren Kampf viel Erfolg!




Erfahrungen mit Kritik am verdi-Apparat

Bericht einer Beschäftigten der Stuttgarter Stadtverwaltung, Neue Internationale 273, Mai 2023

10,5 %,  aber mindestens 500 Euro mehr in die Tabelle, Laufzeit 12 Monate. Das ist unsere Forderung für die Tarifrunde. Nachdem die erste Verhandlungsrunde ergebnislos und ohne Angebot vorbeiging, waren sich die Kolleg:innen und ver.di-Funktionär:innen im Bezirk noch einig und man sprach bereits über die Planung der Urabstimmung und des Erzwingungsstreiks, um unsere Forderung durchzusetzen. Auch nach dem „Angebot“ der zweiten Verhandlungsrunde hatte sich an dieser Einstellung kaum was geändert.

Doch mit Näherrücken der dritten Verhandlungsrunde, in welche keine großen Hoffnungen gelegt wurden, drohte auch die Schlichtung und der Unmut unter den Beschäftigten stieg, was sich auf Arbeitsstreiks deutlich machte. Die ver.di-Bürokratie verteidigte entgegen der Streikversammlung die Schlichtung, obwohl diese offensichtlich einen Nachteil für uns darstellt. Argumentiert wurde mit der „Sicherung des Wohlstands des Landes“. Damit ist natürlich nichts anderes gemeint als die Sicherung des deutschen Kapitals und der Klassenkollaboration. Doch dieses Verhalten des ver.di-Apparats war nicht überraschend.

Nach der dritten Verhandlungsrunde kristallisierten sich die Widersprüche und Unterschiede zwischen seinen Interessen des und denen der Beschäftigten bei den Arbeitsstreikversammlungen immer deutlicher heraus. Die ver.di-Funktionär:innen hatten unsere Forderung hinter sich gelassen – die Beschäftigten nicht. Eine Funktionärin der Bundestarifkommission stellte die Beschäftigten nach der dritten Verhandlungsrunde darauf ein, dass ein Jahr Laufzeit nicht zu machen sei und man über einen angepassten Mindestbetrag bereits nachdenke. Die Kolleg:innen waren darüber aufgebracht und taten dies auch kund. „Ich habe kein Problem mit einer Laufzeit von 2 Jahren aber unsere Forderung war 10,5 %, dann möchte ich für jedes Jahr 10,5 %!“, meinte ein Straßenbahnfahrer, der viel Beifall bekam. Viele Kolleg:innen waren verärgert über die Ansichten der Funktionärin, die uns in der Tarifkommission repräsentieren soll. Unsere Forderungen vertrat sie jedenfalls nicht, sondern das Interesse des ver.di-Apparates, der einen Schulterschluss möchte, was für Millionen Menschen Reallohnverlust bedeutet.

Nach der Schlichtung

Dass dies nicht dieselben wie die der Beschäftigten sind, zeigte sich auch nach Bekanntgabe des Schlichterspruchs. Zunächst entlud sich die Wut der Beschäftigten am Samstag, den 15. April, über die sozialen Medien. Reallohnverlust, ein Jahr Nullrunde und zwei Jahre Laufzeit. Der Bezirk berief direkt eine Sitzung ein und die Stimmung in den „sozialen“ Medien spiegelte sich bei den Kolleg:innen auf der Versammlung wider. Viele sehen die Empfehlung sehr problematisch und betonen den Reallohnverlust und erinnern auch an unsere Ursprungsforderung.

Doch die scheint gar nicht mehr „realistisch“ für die Funktionär:innen. Entgegen Aussagen zu Beginn der Tarifrunde werden Einmalzahlungen beschönigt und als „viel Geld“ verkauft. Beim Thema Erzwingungsstreik sei es nur realistisch, für das Ergebnis der Schlichtung zu streiken, wenn die Arbeit„geber“:innenseite dieses nicht annehmen werde. Und zur Laufzeit heißt es, unter 24 Monate geht nichts mehr, da es seit Jahren keine Abschlüsse mehr unter 24 Monaten gebe und dies auch ganz gut für die Planung bei ver.di sei.

Doch die Beschäftigten ließen sich davon nicht beeindrucken und äußerten laut ihre Stimmen für den Erzwingungsstreik und  eine 12-monatige Laufzeit. Denn die Begründung ver.dis, unsere Forderungen seien unrealistisch, ist nur ein Vorwand, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen und einen Deal mit den Arbeit„geber“:innen zu bekommen. Die wirklichen Interessen der Mitglieder, einen Reallohnverlust abzuwenden, spielen eine untergeordnete Rolle.

Daher ist es wichtig, dass sich aktive Beschäftigte, die Kritik am Apparat üben, verbünden und in verschiedenen Gremien Anträge für einen Erzwingungsstreik für unsere Ursprungsforderung einreichen. Denn unrealistisch ist es nicht, das hat auch die unerwartete Mobilisierungswelle der letzten Monate gezeigt.




„Mindestens 500 Euro monatlich ist die wichtigste Forderung!“

Interview mit einer Beschäftigten der Stuttgarter Stadtverwaltung, Infomail 1215, 28. Februar 2023

Die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes ist im vollen Gange und die ersten beiden Verhandlungsrunden wurden ergebnislos beendet. Um nicht nur die üblichen „Tarifrituale“ zu kommentieren, haben wir ein Interview mit einer Beschäftigten in der Stuttgarter Stadtverwaltung geführt, um auch Beschäftigten aus der Basis eine Stimme im Tarifkampf zu geben. Das Interview führte Christian Gebhardt.

GAM: Hallo, beschreib uns doch zunächst die Stimmung in deinem Betrieb. Spielt die Tarifrunde in Gesprächen eine Rolle oder geht sie bisher eher an den Kolleg:innen vorbei?

Mein persönlicher Eindruck ist, dass am Anfang während der Forderungsfindung die Tarifrunde kaum präsent bei den Kolleg:innen war. Doch nach der ersten Verhandlungsrunde wurde schon viel über die Forderungen gesprochen und diskutiert. Hier hat auch die Unterschriftensammlung einen positiven Effekt gehabt, um die Diskussionen in meinem Betrieb zu entfachen.

Nachdem die Forderung zu den 10,5 % und mind. 500 Euro von ver.di öffentlich gemacht wurde, begann eine bundesweite Unterschriftenaktion, um möglichst viele Kolleg:innen hinter die Forderungen zu sammeln. Unser Bezirk war hier bundesweit ziemlich weit vorne. Im Klinikum haben über 50 % der Belegschaft unterschrieben. Die über 11.000 gesammelten Unterschriften wurden dann öffentlichkeitswirksam an einem Streiktag dem Oberbürgermeister übergeben. Ich fand das insgesamt einen guten Auftakt für die Tarifrunde.

GAM: Die 500 Euro stellen vor allem für die unteren Tarifgruppen eine wichtige Forderung dar. Kommt diese bei den Kolleg:innen an?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass am Anfang nicht richtig verstanden wurde, worum es bei den 500 Euro geht. Nämlich um 500 Euro mehr für die Tabelle. Das bedeutet bei vielen sogar mehr als 15 % Lohnerhöhung. Ich habe auch den Eindruck, dass eben die Forderung nach den tabellenwirksamen 500 Euro die wichtigste Forderung für die Kolleg:innen ist und für die sie auch kämpfen wollen. Eine Kollegin – die selbst kein ver.di Mitglied ist – fand von Anfang an die 10,5 % zu wenig, da es dadurch keinen Inflationsausgleich der vergangenen Jahre geben würde. Zusätzlich hat sie aus Erfahrung auch wenig Vertrauen in ver.di, diese 10.5 % zu erreichen. Die 500 Euro sind da greifbarer.

GAM: Die Frage der Streiktaktik ist immer eine wichtige. Was plant ihr denn in den Streikversammlungen in Stuttgart für Aktionen?

Aus Sicht der Streikversammlung in der Stadtverwaltung sollen die Streiks einen möglichst großen wirtschaftlichen Schaden bei der Stadt anrichten, um Druck auf diese aufzubauen. Auch wenn nicht von vornherein alle Beschäftigten mobilisiert werden sollen, sprechen wir darüber, welche Bereiche gezielt bestreikt werden sollen, um Schaden zu verursachen. Das wäre dann zum Beispiel die Hauswirtschaft beim Jugendamt. Diese bereitet täglich Essen für unsere Kitas zu. Wenn diese streikt, muss alternativ teureres Essen für die Kinder besorgt werden. Ein weiteres Beispiel wären Streiks der Parküberwachung, da diese einen wirtschaftlichen Schaden für die Stadt anrichten, wenn dadurch für jeden Streiktag Tausende Euros für Falschparken flöten gehen. Eine große Außenwirkung auch auf die Privatwirtschaft hätten Streiks bei der KfZ-Zulassungsstelle. Wenn die dichtmacht, kann das auch Auswirkungen für Daimler und Porsche zeitigen, die ja ihren Sitz hier in Stuttgart haben.

GAM: Empfindest du diese Taktik als zielführend? Oder hast du andere Vorstellungen bezüglich der Streiktaktik?

Ich finde es gut, dass man darauf schaut, welche Bereiche einen finanziellen Schaden anrichten können. Wichtiger finde ich aber, dass alle Beschäftigten aus den verschiedenen Bereichen mobilisiert werden und auch streiken. Der Streik sollte ja auch dazu führen, dass sich möglichst viele Kolleg:innen organisieren, sich ver.di anschließen und auf der Straße die Forderungen mit erkämpfen.

Ich denke auch, dass wir die anstehenden Streiks, wie die der Post, aber auch andere Kämpfe wie den internationalen Frauentag oder den Global Climate Strike miteinander verbinden sollten. Dies war auch mal im Gespräch bei einer Streikversammlung. Es hieß, wenn die Post in den Erzwingungsstreik geht, könne man die Streiks verbinden. Ich wüsste nicht, was dagegen spricht, es schon vorher getan zu haben. Es ist ja nicht so, dass man den Kolleg:innen von der Post die Show stiehlt, sondern vielmehr, dass wir dieselben Interessen haben und unseren Kampf gemeinsam auf der Straße führen. Meiner Meinung nach sollte man das direkt von Anfang an verbinden, dann hätte man auch viel mehr Leute auf der Straße mit gleichen Interessen.

Allerdings ist es gut, dass die Beschäftigten der Straßenbahnen ihren Streik mit dem Global Climate Strike am 3. März verbinden und zusammen für eine bessere Finanzierung und Ausbau des ÖPNV auf die Straße gehen.

GAM: Gab es noch andere Bereiche, in denen ver.di der Debatte zur Zusammenführung der Streiks ausgewichen ist?

Ja, am internationalen Frauentag soll vor allem im Pflege-, Sozial- und Erziehungsdienst gestreikt werden. Also dort, wo überwiegend Frauen beschäftigt sind und schlecht bezahlt werden. Der Streik wird mit der großen 8.-März-Demonstration verbunden. Die Kollegen in männerdominierenden Bereichen wie Abfallwirtschaft oder Garten- und Friedhofsamt sahen auf Diskussionen in der Streikversammlung hier leider keinen Grund, am 8. März zu streiken, weil das Thema nichts mit ihnen zu tun hätte und sie daran zweifelten, für die Demonstration Kollegen mobilisieren zu können. Leider wurde auch hier nicht ausgiebig genug diskutiert und der Diskussion ausgewichen. Ich persönlich finde, dass dies sehr wohl was miteinander zu tun hat und sich männerdominierende Bereiche hier solidarisieren sollten, stellt die schlechte Bezahlung der weiblichen Kolleginnen im öffentlichen Dienst nicht nur eine Ungerechtigkeit dar, sondern werden diese von der Gegenseite auch als Lohndrückerinnen eingesetzt. Schon aus „egoistischen“ Gründen sollten sich männliche Kollegen hier solidarisch zeigen. Zusätzlich ist die schlechtere Bezahlung auch ein Ausdruck der Unterfinanzierung des öffentlichen Dienstes, was sich über Umwegen dann auch bei ihnen bemerkbar macht.

GAM: Gibt es intern eigentlich Gespräche über einen möglichen Erzwingungsstreik?

Hier in Stuttgart wurde sich zumindest rhetorisch von Anfang an darauf vorbereitet, in den Erzwingungsstreik zu gehen. Jedoch schiebt hier die Bürokratie die Verantwortung an uns Beschäftigte ab: nämlich inwieweit wir die Kolleg:innen mobilisiert bekommen. Auch wenn die Organisierung eines Streiks durch die Basis wichtig ist, sollte die Bürokratie hier nicht alles auf uns abwälzen. Ein Erzwingungsstreik sollte durch alle beteiligten Gewerkschaften geplant und unterstützt werden. Dafür haben wir zentrale Organe in unseren Gewerkschaften, die eine solche Koordinierung und Organisierung übernehmen sollten. An der Basis haben wir z. B. durch die Unterschriftensammlung gezeigt, wie viele Kolleg:innen wir für die Forderungen gewinnen können. Nun liegt es eigentlich an der Führung, den Erzwingungsstreik auf die Gleise zu setzen. Ich frage mich hier jedoch, warum dies nicht aktiver angegangen wird, obwohl zu Beginn mehrmals darüber gesprochen wurde. Eine mögliche Erklärung wäre, dass die Bürokratie eigentlich keinen Erzwingungsstreik möchte und diesen versucht zu verschleppen.

GAM: Einem Erzwingungsstreik steht ja das Schlichtungsabkommen von ver.di im Weg. Hier verpflichtet sich die Gewerkschaft, einer Schlichtung zuzustimmen, sollte die Gegenseite diese einleiten. Was hältst du von diesem Abkommen?

Ich halte von dem Abkommen nichts und finde es schädlich für die Mobilisierung der Beschäftigten. Dieses Abkommen sollte von ver.di aus gekündigt werden. Wir sind seit Monaten schon dabei, Kolleg:innen für die 10,5 %, aber mindestens 500  Euro zu gewinnen. Diese Schlichtung, welche ab 1. April einberufen werden kann, dauert einen Monat an und währenddessen herrscht Friedenspflicht. Das würde sich sicherlich nicht positiv auf die Mobilisierung auswirken. Das bedeutet, dass während der Schlichtung gar kein Druck durch Streiks auf die Arbeit„geber“:innenseite ausgeübt werden kann. Also ich gehe nicht davon aus, dass die Arbeit„geber“:innen“ auf unsere Forderungen zugehen werden. Ver.di darf aber ebenso wenig von unserer Forderung abrücken. Wir wollen wirklich nicht einen solchen Abschluss wie die IG Metall oder die IG BCE mit 2 Jahren Laufzeit und einem klaren Reallohnverlust. Würde ein solcher Abschluss im öffentlichen Dienst zustande kommen, wird das sicherlich zu Austritten führen.

GAM: Möchtest du unseren Leser:innen noch etwas mit auf den Weg geben?

Ich denke, für uns Beschäftigte ist es wichtig, dass wir auch Druck auf ver.di ausüben, damit unsere Forderungen durchgesetzt werden und wir zeigen, dass wir dafür auch in den Erzwingungsstreik gehen wollen und keinen Abschluss hinnehmen, der unsere Forderungen unterschreitet.




Mahle: Beschäftigte kämpfen gegen geplanten Kahlschlag

Robert Teller, Infomail 1167, 23. Oktober 2021

Etwa 1500 Mahle-KollegInnen demonstrierten am 19. Oktober am Werk Stuttgart-Feuerbach und vor der Konzernzentrale in Cannstatt gegen die Angriffe des Managements: Stellenabbau, Produktionsverlagerung, Werksschließungen. Dass KollegInnen von anderen Standorten mit 15 Bussen nach Stuttgart kamen, deutet darauf hin, dass fehlende Kampfbereitschaft unter den Belegschaften nicht das Problem ist. Die Geschäftsführung des Konzerns plant, 7600 Stellen und davon 2000 in Deutschland zu streichen. Kampfbereitschaft ist also auch dringend notwendig.

Neben den Beschäftigten bei Mahle beteiligten sich Delegationen unter anderem von Daimler Untertürkheim, Porsche, Coperion und Koenig & Bauer. Die meisten Mahle-KollegInnen kamen vom Werk Mühlacker, wo von der Belegschaft trotz Vollauslastung und Überstunden der Abbau jeder zweiten Stelle gefordert wird. Es handelt sich, wie die Gruppe um die Betriebszeitung Mahle-Solidarität richtig schreibt, um einen Generalangriff auf die Belegschaft, vor dem kein einziger Standort sicher ist. Das gilt umso mehr, so lange der Widerstand schwach ist und nicht standortübergreifend organisiert wird.

Die Kundgebung in Feuerbach war in ihrer Ausrichtung bemerkenswert. Insgesamt war die Stimmung kämpferisch. Anders als auf durchschnittlichen Streik- oder Aktionstagen der IG Metall war in den Reden durchaus eine Breite unterschiedlicher Standpunkte zu hören.

Aussagen und Stoßrichtung der Kundgebungen

Bernd Riexinger, ehemaliger Vorsitzender der Linkspartei und langjähriger Gewerkschafter, war vor Ort und wies in seiner Rede darauf hin, dass die kämpfenden Belegschaften über das eigene Werk und die eigene Firma hinweg Solidarität organisieren müssen. Er sagte, ohne Management kann die Arbeit weitergehen, aber nicht ohne die Belegschaft. Deshalb müsse sich die Organisation des Arbeitskampfes auch auf die Belegschaft stützen. Das ist richtig und sollte in einer kämpfenden Gewerkschaft zu den Essentials gehören.

Mehmet Sahin, Vertreter von Mahle-Solidarität, ging in seiner Rede weiter und sagte, dass im Kampf gegen Stellenabbau die Einführung einer allgemeinen 30-Stunden-Woche mit vollem Personal- und Lohnausgleich nötig ist und im Zweifelsfall Betriebe, die entlassen wollen, vergesellschaftet werden müssen und das auch ein Ziel der Gewerkschaft werden müsse. Damit hob er den Abwehrkampf gegen Entlassungen auf eine höhere Stufe. Zum einen mit der Arbeitszeitlosung, für die auch branchenübergreifend gekämpft werden kann, zum anderen dadurch, dass der gewerkschaftliche Kampf nicht vor dem Recht auf Privateigentum Halt machen soll, wenn es dieses Privateigentum ist, das unsere Jobs bedroht.

Liljana Culjak (BR-Vorsitzende von Feuerbach) hatte zwar keine Vorschläge, wie und mit welchen Losungen der Kampf weitergeführt werden könnte. Im Vordergrund standen Kritik an „unfairen“ Methoden der Geschäftsführung, die zwecks Profitmaximierung Produktion verlagern will: „Wir haben eine neue Geschäftsführerin, wir haben aber kein Miteinander und keine Transparenz“. Aber dass sie die Kundgebung mit organisierte, ist ein positiver Schritt und bereits ein Bruch im IG-Metall-Apparat. Der Vorstand der IG Metall Stuttgart erschien noch nicht mal auf der Kundgebung in Feuerbach und entschuldigte sich aufgrund einer angeblichen Vorstandstagung, die wohl nie stattgefunden hat.

Kontrast

Die zweite Kundgebung vor der Konzernzentrale diente Nektaria Christidou (BR Mühlacker und stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender) und dem Gesamtbetriebsrat dazu, die Stimmung wieder einzufangen und den Aktionstag ins rechte Licht zu rücken.

Die Geschäftsführung war auf die Bühne geladen und hatte zwar außer wachsweichen Bekenntnissen zum Wir-Gefühl nichts zu verkünden, konnte sich aber dafür das Betteln der BR-Vorsitzenden anhören. Aus Feuerbach war nur ein Teil der KollegInnen mitgekommen und wer noch dabei war, dem war dort nicht nach Kämpfen zumute.

Die Angriffe

Für Feuerbach fordert die Geschäftsführung konkret, zusätzlich zu den seit 2018 unterm Strich abgebauten 500 MitarbeiterInnen weitere 98 loszuwerden, oder – falls es hierüber keine Einigung gibt – 39 Millionen Euro an Einsparungen zu Lasten der Belegschaft (über welchen Zeitraum?).

Der Gesamtbetriebsrat hat im Frühjahr den Stellenstreichungen in Feuerbach zugestimmt und das als Erfolg gefeiert, obwohl für die Belegschaft bestenfalls einige Monate Zeit gewonnen wurde. Der Stellenabbau sollte freiwillig durch Aufhebungsverträge und Abfindungen vonstattengehen. Die Freiwilligkeit ändert nichts am grundsätzlichen Charakter der Maßnahme: Verdrängung von Arbeitskraft aus dem Produktionsprozess, d. h. Vergrößerung der industriellen Reservearmee oder Verlagerung zu anderen Standorten, also Verschärfung der Konkurrenz zwischen den ArbeiterInnen bei unterschiedlichen Lohnniveaus. Nun wurde die vereinbarte Zielvorgabe von 385 Stellen nicht erreicht und es zeigt sich, dass das Ausmaß des Stellenabbaus einfach zu groß ist, um reibungslos über die Bühne zu gehen. Die Zustimmung zum Sozialplan hat nicht wie versprochen der verbleibenden Belegschaft Sicherheit verschafft. Sie hat aber eine Zeit lang der falschen Vorstellung Auftrieb gegeben, dass der Jobverlust eine rein individuelle Angelegenheit ist. Das hat es dem BR erleichtert, selbst keinerlei Widerstand zu organisieren und Ansätze davon, die ohne seine Initiative entstanden, im Sand verlaufen zu lassen. Der Geschäftsführung wurde so signalisiert, dass Gegenwehr nicht zu befürchten ist, und sie wurde ermutigt weiterzugehen.

Für Mühlacker stellte die Geschäftsführung seit dem vergangenen Jahr mal die Zahl von 211, dann 94 und dann wieder 350 KollegInnen in den Raum, die sie aufgrund mangelnder Nachfrage nach den dort produzierten Produkten abbauen wolle. Nun wird mit einer Halbierung der aktuell 1400 Köpfe starken Belegschaft gedroht und das Management plant bereits jetzt, keine weiteren Investitionen in den Produktionsstandort zu leisten. In Wirklichkeit ist das Werk gut ausgelastet, die KollegInnen leisten Überstunden. Der Betriebsrat stimmt letzterem zu, anstatt diese Ungeheuerlichkeit von Mehrarbeit bei geplantem Stellenabbau als Druckmittel gegenüber der Geschäftsführung einzusetzen. Deren Pläne kann man nur so verstehen, dass der Standort mittelfristig auf der Abschussliste steht, um die Produktion zu geringeren Kosten woanders anzusiedeln. Das Werk Öhringen ist bereits geschlossen und Gaildorf ist in Abwicklung, in beiden Fällen ohne großen Widerstand von Betriebsrat und IG Metall.

Der Aktionstag am 19. Oktober kam überhaupt erst auf Druck von unten zustande. Nur so ist auch zu erklären, dass mit Riexinger ein linker ehemaliger Gewerkschaftsführer und mit Mehmet Sahin ein kämpferischer Betriebsrat zu Wort kamen, wobei letzterer seit Jahren in Opposition zur BR-Mehrheit steht.

Die Stellenstreichungen sind ein umfassender Angriff auf die Belegschaften, der weit über einzelne Werke und auch über den Mahle-Konzern hinausgeht. Bei VW wird intern der Abbau von 30.000 Stellen diskutiert.

Das deutsche Exportkapital versucht, in stagnierenden Absatzmärkten den eigenen Profit zu steigern, um im internationalen Konkurrenzkampf nicht weiter zurückzufallen. Die Produktion (ob Verbrenner oder Elektro) soll in „Best Cost Countries“ wiederaufgebaut werden, solange die Produkte nachgefragt werden, und die Stellenstreichungen werden dann als Kollateralschaden der „technologischen Transformation“ verbucht. Der Konkurrenzdruck trifft die gesamte Branche und daher ist vor dieser Rationalisierungsrunde auch kein Werk, keine Firma sicher. Sozialpläne ändern nichts an der Tragweite des Angriffs, aber jeder Sozialplan ist ein Exempel an der betroffenen Belegschaft.

Die Betriebsgruppe Mahle-Solidarität hat seit Bekanntwerden der Sparpläne Anfang 2019 die Belegschaft in Flugblättern informiert und für eine Kampfstrategie argumentiert.

In ihrem Flugblatt Mahle-Solidarität Nr. 13 zum 19. Oktober schreibt sie:

  • Der „sozial verträgliche Abbau“ ist keine Lösung, Es hilft nichts, wenn Betriebsräte da mitmachen. Das Mitmachen ermuntert nur zu neuen Angriffen. Bei Schließungen gibts eh nichts abzufedern.
  • Auch wenn die Firma mehr Profit macht, rettet das keine Arbeitsplätze. Auch das hat sich bewiesen. Sie investieren in Firmenkäufe, nicht in die bestehenden Werke.
  • Widerstand auf allen Ebenen ist nötig. Betriebsräte müssen da vorangehen! Nicht um Milde betteln, sondern klare Kante zeigen!
  • Aber vor allem muss die IG Metall ihrer Aufgabe als Gewerkschaft nachkommen und alle Belegschaften, die kämpfen wollen, vereinen! Seit 2 Jahren wird eine Bude nach der anderen dichtgemacht, jede stirbt für sich alleine und die IG Metall tut so, als wären das Einzelfälle. Statt beispielsweise in der Tarifrunde gemeinsam zu streiken, muss jetzt jeder für sich kämpfen.

Der Metallertreff Stuttgart verteilt die Flugblätter der Mahle-Solidarität seit Monaten und damit wurde eine standortübergreifende Basisstruktur aufgebaut, die der sozialpartnerschaftlichen Politik der BR- und IGM-Bürokratie mit Informationen und Losungen für den Kampf begegnet. Die Kundgebung vom 19. Oktober zeigt, dass eine klassenkämpferische Bewegung in Betrieb und Gewerkschaft erfolgreich sein kann, wenn sie die richtigen Prinzipien anwendet: Kritik und Opposition zur Bürokratie, wenn nötig – und gemeinsamer Kampf, wann immer möglich.




Stuttgart: „Querdenken 711“, die Polizei und die Gegenproteste

Robert Teller, Infomail 1145, 6. April 2021

Vor zwei Wochen stand die „Querdenken“-Demo in Kassel im Zentrum der Debatte. Am 3. April war „Querdenken“ zurück in Stuttgart. Mit sicher über 10.000 TeilnehmerInnen wurde der reaktionäre Aufmarsch weit größer als angekündigt. Vermutlich waren wohl eher 15.000–20.000 Rechte und deren MitläuferInnen vor Ort. Anders als die großen „Querdenken“-Kundgebungen im vergangenen Jahr wurde nicht nur eine stationäre Kundgebung abgehalten, sondern die Masse zog über eine lange Demoroute durch die gesamte Stadt bis zum Cannstatter Wasen.

In Kassel hatte sich die Polizei nicht imstande gesehen, Auflagen zum Infektionsschutz auf der Demo durchzusetzen. Nachdem dies im Nachgang starke Kritik auf sich gezogen hatte, erklärte sich die Stuttgarter Polizei bereits im Voraus einfach für unzuständig. Der Versuch, Masken- und Abstandsregeln durchzusetzen, würde in der Praxis zu noch höheren Infektionsrisiken führen. Daher würde man lieber mündlich an die TeilnehmerInnen appellieren – so hieß es in den Tagen vor dem 3. April – und eine Auflösung der Demo sei nicht ohne Gewalt möglich. Scheinbar ist Gewaltanwendung eben so gar nicht die Sache der Polizei. Jedenfalls nicht bei „Querdenken“.

Anders natürlich bei linken Demonstrationen, wo die Stuttgarter Polizei regelmäßig gewaltsam vorgeht und auf den Infektionsschutz pfeift – wie etwa Anfang März beim spontanen Protest gegen eine AfD-Veranstaltung in Cannstatt. Gegenüber Linken ist die Polizei seit ein paar Wochen im Übrigen gar nicht darum verlegen, unter Verweis auf die Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg mit der Auflösung von Demonstrationen zu drohen – selbst dann nicht, wenn die Infektionsschutzregeln ohnehin von allen DemonstrantInnen eingehalten werden.

Polizei lobt sich selbst

Für die Stadt Stuttgart erklärte dagegen Ordnungsbürgermeister Clemens Maier, dass aus seiner Sicht die Corona-Verordnung ein Verbot der „Querdenken“-Demo nicht ermöglicht. Wer §11 der Verordnung gelesen hat, weiß, dass er falsch liegt. Nach der Demo erklärt Maier, man habe „das Beste draus gemacht“. Die Pressemitteilung der Stuttgarter Polizei konkretisiert, was damit gemeint sein könnte: „Insgesamt ist es durch den Polizeieinsatz gelungen, eine solche große Anzahl von Versammlungsteilnehmern ohne große Störungen von Gegendemonstrationen über mehrere Kilometer bis auf den Cannstatter Wasen zu lenken.“

„Gelungen“ ist dies dadurch, dass die Polizei gegenüber den GegendemonstrantInnen eine weit weniger wohlwollende Haltung einnahm als gegenüber den Rechten. Eine Fahrraddemonstration blockierte die B14 und verhinderte so zumindest, dass ein „Querdenken“-Demozug wie geplant auf direktem Weg zum Marienplatz gelangen konnte, wo die Hauptdemo losgehen sollte. Die BlockiererInnen wurden binnen Minuten von der Polizei eingekesselt. Alle erhielten Platzverweise. Eine weitere Gegendemonstration machte sich zu Fuß auf in Richtung Marienplatz, wurde aber in sicherer Entfernung ebenfalls prompt und vorsorglich gekesselt und mit Platzverweisen ausgestattet. Mit der Aufnahme der Personalien hatte es die Polizei, die teils aus NRW angereist war, dann nun doch nicht ganz so eilig. So wurde gewährleistet, dass die Protestierenden lange festgehalten wurden und „QuerdenkerInnen“ nach Feststellung der Personalien bereits in sicherer Entfernung von den Freigelassenen waren. Zuvor gab es noch einen Prügelangriff auf die Eingeschlossenen. Dabei musste der Infektionsschutz dann doch hinten anstehen. Gut ins Bild passt auch die für die Polizei etwas unglückliche Szene von einem Handschlag zwischen Bullen und „Querdenken“-Ordner, die im Netz geteilt wurde.

Gegenproteste

Die Gegenproteste waren am 3. April in Stuttgart zwar sichtbar, ein Erfolg waren sie aber offensichtlich nicht. Sie bildeten das zahlenmäßig schwächste Kontingent gegenüber einer übergroßen Masse an rechten SpinnerInnen und einem noch immer großen Aufgebot an Bullen. Die GegendemonstrantInnen kamen zu einem großen Teil aus dem Antifaspektrum der Region. Große Teile der Linken, die normalerweise an antifaschistischen Mobilisierungen teilnehmen, fehlten aber oder gingen stattdessen zum Ostermarsch. So war die Gegenmobilisierung selbst für die Verhältnisse der Stuttgarter Linken schwach. Das konnte auch nicht durch die Teilnahme einiger Antifagruppen aus dem Umland ausgeglichen werden.

Dass es unter diesen Umständen nicht möglich sein würde, „Querdenken“ ernsthaft zu stören, war klar. Wie schon im vergangenen Jahr war an eine Gegenkundgebung direkt am Cannstatter Wasen nicht zu denken. Es blieb bei einzelnen, kleinen Protestaktionen entlang der Demoroute im Stadtgebiet.

Stuttgart bildet in dieser Hinsicht auch keine Ausnahme. Bei großen „Querdenken“-Mobilisierungen seit dem vergangenen Frühjahr waren linke Gegenproteste praktisch immer in der Unterzahl. Die Rechten sind in der Lage, mit ihrer Mischung aus zum Freiheitskampf hochstilisierter Rücksichtslosigkeit, demagogischem Aufgreifen wirklicher Existenzangst, Corona-Leugnung, Verschwörungstheorien und Irrationalismus Massen vor allem aus dem KleinbürgerInnentum und den Mittelschichten, aber auch aus der ArbeiterInnenklasse zu mobilisieren. Und dieser Mobilisierungserfolg scheint die für antifaschistische Proteste der Vergangenheit gewohnten Verhältnisse auf den Kopf zu stellen.

Beim Protest gegen offene Nazis oder gegen die AfD stellt sich nämlich meist ein „Konsens der Vernünftigen“ gegen die rechte Minderheit ein. Mit diesem Konsens kommt es zum Schulterschluss von linken Antifas bis hin zu „aufrechten DemokratInnen“, praktisch zu einer ganz großen Koalition für Demokratie und Grundgesetz. In der Praxis setzt diese Situation – so problematisch ihr klassenübergreifender Charakter auch ist – dem Handeln der Staatsmacht gewisse Grenzen und verbannt den rechten Zoo in sein Hamburger Gittergehege. In Stuttgart hat sich gezeigt, dass sich der breite demokratische „antifaschistische Konsens“ im Angesicht einer derartigen kleinbürgerlichen Massenmobilisierung in Luft auflöst. Was bleibt, ist der gesellschaftliche Konsens zum Abstandhalten und Maske Tragen, aber der reicht nicht für eine Massenmobilisierung gegen rechts.

Faktisch hatten die Rechten die Stadt für sich. Der linke Gegenprotest stand da wie das Aufgebot der Unbeirrbaren. Auch wenn immer mehr Stimmen einen Kurswechsel bei Ordnungsbehörden und Polizei fordern, hat die rechte Mobilisierung an Boden gewonnen. Trotz der öffentlichen Empörung über ihre Missachtung des Infektionsschutzes hat sich der Rechtsstaat auf ihre Seite geschlagen. Es hilft an dieser Stelle auch nichts, nach einem harten Eingreifen der Polizei gegen die Rechten zu rufen. Im Gegenteil, wie die Gegenproteste in Stuttgart gezeigt haben, nutzt die Staatsmacht ebendiese Mittel vor allem gegen Linke – und das werden die Bullen auch weiter tun. Der Handschlag von BeamtInnen mit OrdnerInnen von „Querdenken“ verdeutlicht das nur zu symbolisch.

Kräfteverhältnis

Diesem Kräfteverhältnis zugrunde liegt auch ein politisches Problem der deutschen Linken. Die Rechten mobilisieren mit einer reaktionären Kritik an der Regierung. Auch wenn in dieser Bewegung zahlreiche Nazis wie ReichsbürgerInnen und andere extrem rechte Kräfte marschieren und Einfluss gewinnen, so handelt es sich bei „Querdenken“ und anderen (noch) nicht um eine faschistische, sondern um eine rechtspopulistische Bewegung. Ihre Einheit und Kraft bezieht sie daraus, dass sie sich als Volksbewegung von unten gegen die Elite gibt. Hinter sozialdemagogischen Parolen versucht  sie, eine klassenübergreifende Einheit von kleinen und großen Unternehmern sowie von deren Beschäftigten herzustellen, die allesamt nicht in erster Linie unter den Auswirkungen des Kapitalismus und der Pandemie, sondern unter einer imaginierten Lockdowndiktatur Merkels zu leiden hätten. Da der Rechtspopulismus auch wirkliche soziale Folgen der kapitalistischen Krisen- und Pandemiepolitik aufgreift und pseudoradikale Lösungen anbietet, zieht er gesellschaftliche Verzweiflung an und formt sie zu einer reaktionären kleinbürgerlichen Bewegung, deren kleinster realer Nenner der Ruf nach „Öffnung“ aller Wirtschaftssektoren darstellt, also eigentlich eine Politik im Interesse des Kapitals.

Blockaden und Proteste gegen die Aufmärsche von „Querdenken“ und Co. müssen zweifellos weiter einen Teil des Widerstandes gegen den Aufstieg der Rechten bilden. Aber dies wird nicht reichen. Vielmehr muss der kleinbürgerlichen Demagogie auf dem Feld des Klassenkampfes der Boden entzogen werden. Daher müssen wir den Kampf gegen rechts verbinden mit dem gegen die Krisenabwälzung, gegen die gescheiterte Pandemiebekämpfung und dafür, dass das Kapital die Kosten für die Krise selbst bezahlen muss.




Die dritte Welle brechen: 3 Wochen bezahlter Zusatzurlaub ab jetzt!

Flugblatt von ZeroCovid Stuttgart vom 25. März, Infomail 1144, 30. März 2021

Der dritte Lockdown kommt, aber was bleibt, ist unsere „Freiheit“, von Montag bis Freitag zur Arbeit gehen zu “dürfen” und sich dort und auf dem Arbeitsweg einer großen Infektionsgefahr auszusetzen. Während zu Hause, auf öffentlichen Plätzen, in Parks und im Nahverkehr strenge Regeln gelten, entscheiden über die Regeln im Betrieb die Unternehmen selbst. Als Gewerkschafter:innen überrascht es uns deshalb überhaupt nicht, dass Produktionsbetriebe zu Hotspots geworden sind, die die dritte Welle anheizen.

In der ersten Welle wurde die S21-Baustelle zu einem der ersten bekannten Ausbruchsherde in der Region Stuttgart. Es wurde bekannt, dass die Beschäftigten in engen Gemeinschaftsunterkünften wohnten und keine Gesichtsmasken erhielten (und ihnen zudem der gesetzliche Mindestlohn und eine deutsche Krankenversicherung vorenthalten wurde). Im Sommer wurde der große Ausbruch beim Schlachtbetrieb Tönnies mit mehr als 2000 Infizierten bekannt. Die Amazon-Verteilzentren Garbsen und Bad Hersfeld entwickelten sich zu Hotspots, auch bei BASF, Audi Neckarsulm und Thyssen-Krupp wurden Krankheitsausbrüche entdeckt.

Das Problem beschränkt sich nicht auf einzelne Branchen oder besonders beengte Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Im Daimler-Werk Rastatt wurde erst vor einigen Tagen ein Infektionsherd mit 40 Fällen bekannt. Kolleg:innen berichten, dass sie eine weit höhere Dunkelziffer befürchten. Die Forderung von Kolleg:innen, dass Kontaktpersonen von Infizierten in der vorhandenen werkseigenen Teststation getestet werden sollen, wurde von der Werksleitung abgelehnt – stattdessen wurde gedrängt, Kontaktpersonen nicht als solche zu benennen, damit die Produktion nicht durch Quarantäneanordnungen beeinträchtigt wird. Bei Daimler in Untertürkheim war der Inzidenzwert (bis zu 250) im März 2 bis 3 mal so hoch wie landesweit. Das Management nimmt schwere Krankheitsfälle und eine Beschleunigung des Infektionsgeschehens in Kauf, damit das Geschäft weiterlaufen kann und Profite gescheffelt werden können.

Uns empört dieses Verhalten, aber es überrascht uns nicht, solange die Kontrolle des Infektionsschutzes vor dem Werkstor Halt macht. Die bisherige Pandemiepolitik spart einen entscheidenden Infektionsschauplatz von vornherein weitgehend aus. Die Pandemie kann so nicht unter Kontrolle gebracht werden. Stattdessen wird uns die Verantwortung, uns selbst und unsere gefährdeten Angehörigen vor Ansteckung zu schützen, als rein individuelle Aufgabe übertragen. Nur das Leben der Menschen wird drastisch eingeschränkt, während die Arbeit ungehindert weiterläuft.

  • 3 Wochen bezahlter Zusatzurlaub ab jetzt, um die dritte Welle zu brechen!
  • Kontrolle des Infektionsschutzes in den Betrieben durch Gewerkschaft und Kommitees der Beschäftigten!
  • Kampf gegen alle Entlassungen und gegen jeden Lohnverlust!
  • Unterstützung für alle prekär Beschäftigten und (Schein)selbständigen, die Einkommensverluste erlitten haben! Unterstützung für Geflüchtete und alle, die besonders von Pandemie und Krise betroffen sind!
  • Einführung einer europaweiten Solidaritätsabgabe auf Gewinne und hohe Vermögen, zur Finanzierung des Shutdowns und für den Ausbau des Gesundheitssystems!
https://zero-covid.org/gewerkschafterinnen-fur-einen-solidarischen-europaischen-shutdown/

Nehmt Kontakt mit uns auf und unterstützt die ZeroCovid-Kampagne!

Unterzeichnet den GewerkschafterInnenaufruf für einen solidarischen europäischen Shutdown!

* ZeroCovid Stuttgart * Instagram: zerocovid-stgt * zc-stgt@protonmail.com *

Kommt zur Kundgebung für einen solidarischen Shutdown: 10. April 15h Marienplatz Stuttgart!




OB-Wahl in Stuttgart: Für Rockenbauch stimmen – und die nächsten Kämpfe vorbereiten!

Gruppe ArbeiterInnenmacht Stuttgart, Infomail 1127, 25. November 2020

In Stuttgart wird ein neues „Stadtoberhaupt“ gewählt. Im ersten Wahlgang am 8. November hat erwartungsgemäß kein/e KandidatIn eine absolute Mehrheit erreichen können, so dass im zweiten Wahlgang am 29. November die Entscheidung fallen wird. Der 2012 gewählte Fritz Kuhn (Grüne) trat nicht erneut an. Die CDU kandidiert mit Frank Nopper, um den höchsten Posten im Rathaus zurückzuholen, den sie von 1974 bis 2012 gestellt hatte. Er erhielt im ersten Wahlgang die meisten Stimmen (31,8 %), auf ihn folgten Veronika Kienzle (17,2 %, Grüne), Marian Schreier (15,0 %, z. Zt. parteilos, SPD-Mitgliedschaft ruht), Hannes Rockenbauch (14,0 %, Stuttgart Ökologisch Sozial/Die Linke), Martin Körner (9,8 %, SPD). Die KandidatInnen aus der Fraktion der Quer-, Schief-, Rechts- und WenigdenkerInnen sind im Ergebnis kaum der Rede wert: Malte Kaufmann (2,2 %, AfD), Michael Ballweg (2,6 %, parteilos, Querdenken 0711). Zur Stichwahl haben Kienzle, Körner, Kaufmann sowie Heer (0,8 %) und Reutter (4,4 %) zurückgezogen. Somit sind Nopper, Schreier und Rockenbauch die aussichtsreichsten Kandidaten.

Einschätzung des Ergebnisses

Nopper hat zwar mit Abstand am besten abgeschnitten. Er hat aber von allen CDU-KandidatInnen seit 1945 das schlechteste Ergebnis eingefahren. 2012 konnte Fritz Kuhn die Wahl gegen den CDU-Kandidaten für sich entscheiden. Dies geschah vor dem Hintergrund dessen, dass die Grünen – gerade im Südwesten – unter bürgerlichen WählerInnenschichten zu einer starken Konkurrenz für die CDU geworden sind. Der Wahlsieg der Grünen bei der baden-württembergischen Landtagswahl und die Bildung einer grün-roten Koalition 2011 hatten dies schon angekündigt. Im Wahlsieg 2012 schlugen sich auch die Niederlagen der Bewegung gegen S21 nieder. Deren kämpferischer Flügel hatte zwar keine großen Illusionen in die Grünen, aber er konnte nach der erfolgten (und verlorenen) Volksabstimmung, nach Baubeginn und dem Niedergang der Massenbewegung der weitverbreiteten Ablehnung des Bauprojekts keine weitere Perspektive mehr geben. Die Grünen vermochten mit dem „Realo“ Fritz Kuhn und als eine Kraft, die in der Bewegung mitgegangen ist, ohne eine kämpferische Rolle zu spielen, diese Stimmung aufzugreifen. Sie mussten gar keinen Anti-CDU-Wahlkampf führen, um diejenigen abzugreifen, die von den Konservativen die Schnauze voll hatten. Gleichzeitig blieben die Grünen anschlussfähig ans bürgerliche Lager.

Aufgrund der heute ganz anderen Ausgangslage konnte Kienzle an Kuhns Wahlerfolg nicht anknüpfen. Dass sie im Vergleich zum ersten Wahlgang 2012 (Kuhn 36,5 %) prozentual mehr als die Hälfte eingebüßt hat, überrascht dennoch. Kienzle kommt eigentlich aus dem linken Flügel der Grünen. Sie setzte sich im Wahlkampf aber kaum programmatisch von Kuhn ab, sondern beschränkte sich auf grüne Gemeinplätze, die man mit „Wirtschaft, Klima, Diversität“ zusammenfassen kann. Wer von Kuhns rechter Politik enttäuscht war, den konnte Kienzle so nicht zurückgewinnen. Sie bekam im Gegenteil ernsthafte Konkurrenz von Rockenbauch, der sein Ergebnis im Vergleich zu 2012 (10,4 %) deutlich gesteigert hat.

Fehde in der SPD

Die SPD nominierte ihren Fraktionsvorsitzenden Martin Körner als Kandidaten. Zusätzlich kandidierte Marian Schreier, ebenfalls SPD-Mitglied und aktuell Bürgermeister der Stadt Tengen. Seine Kandidatur stieß auf die Ablehnung der Stuttgarter SPD, er muss daher bis zum Abschluss der Wahl seine Mitgliedschaft ruhen lassen. Erst recht seit seiner Weigerung, seine Kandidatur im zweiten Wahlgang zugunsten eines gemeinsamen Anti-Nopper-Kandidaten zurückzuziehen, wird er als rücksichtsloser Karrierist gesehen, und diese Einschätzung ist nicht ungerechtfertigt.

Er hat Verbindungen zum rechten SPD-Flügel und hat als Redenschreiber für Peer Steinbrück gelernt zu formulieren, ohne etwas zu sagen. Eine solide Grundausbildung in Dampfplauderei gehört zweifellos zu seinen Qualitäten. Warum er gegen den Kandidaten seiner eigenen Partei antritt, begründete er nicht etwa mit inhaltlichen Positionen, sondern mit dem populistischen Scheinargument, dass die Entscheidung, wer der beste Kandidat sei, ohnehin nur den WählerInnen zustehe.

Das wiederum sagt uns aber eigentlich mehr über den Zustand und die Rolle der Stuttgarter SPD als über Schreiers Charakter. Bereits in der OB-Wahl 1996 tauchte mit Joachim Becker als sogenannter unabhängiger Bewerber im zweiten Wahlgang unangekündigt ein zweiter SPD-Kandidat auf, der letztlich die krachende Niederlage für die SPD und den haushohen Sieg für Wolfgang Schuster (CDU) verstärkte. Die SPD segelte in Stuttgart jahrelang im Windschatten der CDU bzw. des rechten parteilosen OB Klett. Sie gehörte von Anfang an zu den UnterstützerInnen von S21 und setzte diese Haltung selbst zu den Hochzeiten der Bewegung gegen S21, 2010 – 2011, gegen alle Widerstände – auch in der eigenen Mitgliedschaft – durch.

Im Vorfeld der aktuellen Wahl führten die SPD und ihr Kandidat Martin Körner – bereits vor Kuhns Ankündigung, nicht mehr zu kandidieren – Gespräche mit der FDP und den „Freien Wählern“ über einen möglichen gemeinsamen Kandidaten. Das Fehlen eines eigenen politischen Profils der Stuttgarter SPD ließe sich kaum bildlicher ausdrücken. Das blamable Wahlergebnis von unter 10 % für Körner ist die Strafe dafür. Dass der Querschläger Schreier mit 15 % deutlich besser abschneidet, setzt dem noch eins drauf: Offenbar haben in Stuttgart sozialdemokratische KandidatInnen mehr Chancen, je weiter sie von der biederen Rathaus-SPD entfernt sind. Nach Körners Rückzug hieß es zunächst, die SPD werde im zweiten Wahlgang dann doch Schreier unterstützen. Am Ende entschied sie sich dazu, sich doch besser ganz rauszuhalten und keinen Wahlaufruf abzugeben. Ihrer Tradition, durch Danebenstehen der CDU ins Amt zu helfen, bleibt sie jedenfalls treu.

Rockenbauch

Rockenbauch hat als einziger Kandidat einen Wahlkampf geführt mit konkreten und greifbaren Zielen, die wichtige soziale Fragen in Stuttgart aufgreifen. So tritt er für einen kostenlosen Nahverkehr ein. Martin Körner (SPD) vertrat das Ziel eines 365-Euro-Jahrestickets, die übrigen KandidatInnen beschränkten sich auf unverbindliche Allgemeinplätze. Rockenbauch fordert die Verdopplung des Bestands städtischer Wohnungen und die Absenkung der städtischen Kaltmieten auf 5 Euro pro Quadratmeter und die Klimaneutralität Stuttgarts bis 2030. Diese Forderungen unterstützen wir ebenso wie viele seiner Ziele zur Stadtentwicklung und Verkehrsplanung. Seine Kandidatur wird von weiten Teilen der Stuttgarter Linken unterstützt, einschließlich Fridays for Future, [’solid], Migrantifa. Sein Stimmenanteil im ersten Wahlgang war grob doppelt so hoch, wie bei überregionalen Wahlen für die Linkspartei in Stuttgart in den vergangenen Jahren üblich. Dieser Erfolg geht auf seine konkreten, greifbaren Forderungen zurück und auf seine Verankerung in der Linken.

Dabei ist klar, dass das Amt eines „Stadtverwaltungshäuptlings“ der Umsetzung vieler Ziele enge Grenzen setzt. Ein Programm „linker Stadtpolitik“ erfordert daher eine viel umfassendere Orientierung auf eine Bewegung, die in der Lage ist, diese auch gegen die Kapitalinteressen politisch durchzusetzen – nicht nur auf lokaler Ebene, sondern landes- und bundesweit. Ein linker Bürgermeister, der auf lokaler Ebene etwa den Auswirkungen der Mietspekulation etwas entgegensetzen will, kann dies nicht kraft seines Amtes und einer Mehrheit im Gemeinderat umsetzen – er wird nicht nur auf den Widerstand des gewachsenen (und nach wie vor CDU-lastigen) städtischen Beamtenapparates stoßen, sondern prinzipiell auf eben die Klassenkräfte, die den Mietenwahnsinn vorantreiben.

Wir rufen zur Wahl Rockenbauchs auf, weil er der Kandidat einer Bewegung ist, deren Losungen er aufgreift. Nun kann die Kritik des Kompetenzrahmens, der für OberbürgermeisterInnen gesetzt ist, natürlich nicht die Kandidatur selbst treffen. Aber es ist unbedingt notwendig zu sagen, dass die Ziele seines Wahlprogramms – wie der kostenlose Nahverkehr und die Absenkung der Mieten – eine Kampfperspektive erfordern. Es ist notwendig, eine Bewegung der betroffenen Lohnabhängigen, MieterInnen, etc. hierfür aufzubauen.

Dies gilt erst recht für die Frage der Arbeitsplätze, die im industriellen und industrienahen Bereich so bedroht sind wie schon lange nicht mehr. Tausende Jobs bei Bosch, Daimler, Mahle und in vielen kleineren Betrieben sind gestrichen worden und weitere Kürzungen stehen an. Dieses Thema greift Rockenbauch nur zaghaft auf, er organisiert Foren mit BetriebsrätInnen und Beschäftigten der betroffenen Betriebe. Einen kämpferischeren, linkeren Ansatz hat aber auch nicht die lokale LINKE zu bieten, die sich unter Riexingers Führung scheut, andere Perspektiven als die total auf „soziale“ Abwicklung des Abbaus fixierte IG Metall zu präsentieren. Rockenbauch selbst ist übrigens nicht Mitglied der LINKEN, hat aber schon für die Landtagswahl 2016 für diese kandidiert.

2012 zog Rockenbauch nach dem ersten Wahlgang zurück und überließ Kuhn das Feld. Er wendete die Logik des kleineren Übels an: lieber „einer von uns“, auch wenn er kein linkes Programm hat, als wieder CDU. Er verzichtete auf die Weise darauf, den zweiten Wahlgang zu nutzen, um UnterstützerInnen gegen den zu erwartenden grünen Verrat bei S21 zu mobilisieren. Er wiederholte den Fehler in diesem Jahr mit dem Versuch, eine Anti-CDU-Allianz mit SPD und Grünen zu schmieden. Das Vorhaben, Kienzle als gemeinsame Kandidatin eines „sozial-ökologischen Lagers“ aufzustellen, scheiterte nur an der Weigerung Schreiers, seine Kandidatur zurückzuziehen.

Für das „sozial-ökologische“ Bündnis verzichtete Rockenbauch auf weite Teile seines Programms. Bei der Wohnungspolitik trat anstelle der bislang vertretenen Mietsenkung auf 5 Euro pro qm ein Mieterhöhungsstopp für die nächsten 8 Jahre. Anstelle konkreter Zielvorgaben beim Wohnungsbau traten unverbindliche Bekenntnisse, anstelle der im Wahlkampf vertretenen Forderung nach Enteignung leerstehender Gebäude tritt „Intensivierung des Leerstandsmanagements, z. B. über Ansprache von Eigentümer*innen“. Damit sollte klar sein, wie wenig ein Bündnis mit der bürgerlichen grünen Partei wert ist. Der Preis dafür ist in jedem Fall Aufgabe des eigenen Programms.

Diese von reformistischen Parteien wie LINKE und SPD abgekupferte und für deren KandidatInnen typische Vorgehensweise, Forderungen nur zur Wahlwerbung zu nutzen und dann auf den Verhandlungstischen von Koalitionen zu opfern, lehnen wir ab. Letztlich unterscheiden sich „linke“ von „rechten“ Regierungen oft nur durch einige kosmetische Züge und, wessen Klientel mehr Staatsknete erhält. Ein Vorgehen, das immer wieder und wieder die WählerInnen enttäuscht und sie von den reformistischen, im Grunde bürgerlichen ArbeiteInnenparteien abwendet.

Unser Wahlaufruf für reformistische Parteien – und auch KandidatInnen wie Rockenbauch – bedeutet also keinesfalls Zuspruch für deren Unterordnung unter den bürgerlichen Politikbetrieb oder deren Programm. Zugleich aber repräsentiert Rockenbauch als Kandidat der Linkspartei und der sozialen Bewegungen jene Teile der ArbeiterInnenklasse und Unterdrückten, die gegen die Politik von CDU, Grünen, … ankämpfen wollen und von der SPD die Schnauze voll haben.

Wir rufen dazu auf, am 29. November für Hannes Rockenbauch zu stimmen – und zugleich den Kampf vorzubereiten, der nötig sein wird, um gegen die CDU einen kostenlosen Nahverkehr, bezahlbare Mieten und die klimaneutrale Stadt durchzusetzen und den Kampf gegen alle Entlassungen und Kürzungen aufzunehmen!




Krisenbündnis Stuttgart: Linke Aktionseinheit statt Transpi-, Fahnen- und Organisationsverbote!

Ronja Keller, Infomail 1110, 10. Juli 2020

In einigen Städten haben sich in den letzten Wochen Anti-Krisenbündnisse gebildet, die gegen die Abwälzung der Krise auf den Rücken der Massen kämpfen. So hat sich auch in Stuttgart ein solches Bündnis gegründet, an dem wir uns beteiligen – neben einem sehr breiten Querschnitt der Stuttgarter Linken, VertreterInnen der Bewegung gegen den Klimawandel, GewerkschafterInnen und anderen. Eine Aktionseinheit aller Linken ist angesichts von Krise, Krisenabwälzung auf die Massen und rechten Mobilisierungen zwingend erforderlich. Dabei tritt das neue Bündnis in die Fußstapfen des alten Stuttgarter Anti-Krisenbündnisses, welches in den Jahren nach 2009 den Kampf gegen Bankenrettung und Spardiktate organisierte.

Aktuell bestimmen Kapital und Regierung die öffentliche Meinung und predigen die Alternativlosigkeit ihrer Politik. Dabei kann sich die Regierung Merkel auf die Unterstützung von SPD- und Gewerkschaftsführung verlassen, so dass die Krisenpolitik als „nationaler Konsens“ im Interesse aller dargestellt werden kann. Dies ist die Ausgangslage für die kommenden Kämpfe und zugleich die Grundlage dafür, dass rechte SpinnerInnen sich mit reaktionären Zielen als „echte Opposition“ aufspielen können.

In dieser Situation ist nicht nur eine Aktionseinheit aller Linken nötig, es ist auch Zeit für eine Debatte darüber, für welche Perspektiven und mit welchen Methoden Linke gegen die Krisenabwälzung und gegen den rechten Vormarsch kämpfen sollten, wie wir hierfür die ArbeiterInnenklasse und andere Unterdrückte mobilisieren können. Daher muss es zu den Grundprinzipien der Aktionseinheit gehören, dass alle politischen Strömungen der Bewegung ihre jeweiligen Positionen darstellen können und die Vorbereitung der Aktionen selbst auf demokratischen Prinzipien und offener Diskussion basiert. Oder ist eine der beteiligten Organisationen der Meinung, die Antwort auf alle Fragen schon gefunden zu haben? Eine Reihe von Organisationen des neuen Stuttgarter Krisenbündnisses hingegen beschäftigt sich bis dato primär mit dem penetranten Versuch, genau das zu unterbinden.

Der Umgang der Linken miteinander – wie die Linke ihre Kampfkraft schwächt

Beim Bündnistreffen am 17. Juni wurde durch VertreterInnen der RAS (Revolutionäre Aktion Stuttgart) schon der Antrag gestellt, die MLPD aus dem Bündnis auszuschließen. Begründet wurde er damit, dass die MLPD mehrmals die Polizei gerufen haben soll, als GenossInnen der RAS ihnen rustikal den Zutritt zu Veranstaltungen verweigert hätten. Zudem hätte die MLPD die entsprechenden Namen und Funktionen von Genossinnen und Genossen der RAS publik gemacht. Nach einer kontroversen Diskussion wurde der Antrag auf die nächste Sitzung am 23. Juni verschoben, da man den Gegenstandpunkt der MLDP hören wollte.

Dort wurde zunächst, durch VertreterInnen der Interventionistischen Linken (IL) und des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region (AABS), den VertreterInnen der MLPD der Zutritt zum Raum verwehrt mit der unwahren Behauptung, dies sei auf dem vorherigen Bündnistreffen so beschlossen worden. Ein derartiger Beschluss wurde nicht gefasst und lässt sich auch im Protokoll des entsprechenden Treffens nicht finden. Im Anschluss stellte das sog. Orga-Komitee, dem u. a. die genannten Organisationen angehören, einen Antrag zur Abstimmung, der den Ausschluss der MLPD von der geplanten Kundgebung des Bündnisses am 18. Juli beabsichtigt. Wortmeldungen zum Antrag oder zum Vorgehen wurden mit Verweis auf die Diskussion auf dem vorherigen Bündnistreffen nicht zugelassen. Dieser Antrag wurde mit den Stimmen von IL, RAS, DIE LINKE und einer Reihe von Umfeldgruppen aus dem „Linken Zentrum Lilo Herrmann“ mit 13-Pro- und 8 Gegenstimmen bei einer Enthaltung beschlossen. Ein von der Gruppe ArbeiterInnenmacht gestellter Antrag wurde weder zur Diskussion noch zur Abstimmung zugelassen. Ein Mitglied des Orga-Kreises applaudierte zur Entscheidung von 2 TeilnehmerInnen, das Treffen aufgrund des undemokratischen Vorgehens des Orga-Komitees zu verlassen. Applaus also für die Schwächung des Bündnisses!

Unser Antrag beinhaltete folgende Kernpunkte:

  • Alle Organisationen und Gruppen, die die praktischen Ziele des Aktionsbündnisses teilen, haben das Recht, ihre Fahnen, Transpis, Publikationen und andere Symbole zu zeigen. Es ist widersprüchlich, dieses „Parteien“ zu verbieten, aber politischen Strukturen, die ebenso über eine politische Programmatik und Methode verfügen, wie FFF oder Antifa-Gruppen, zu erlauben. Ein solches Verhalten ist nichts anderes als Zensur, gegen die alle Linke kämpfen sollten, statt sie zu praktizieren. Gleiches gilt für Fahnenverbote, auch die sind letztlich immer gegen die Linke und eine demokratische Auseinandersetzung innerhalb ihrer gerichtet.
  • Physische Angriffe innerhalb der Linken sind ein No-Go. Vielmehr sind alle BündnisteilnehmerInnen verpflichtet, Demos und andere Aktionen gegen Angriffe der Staatsorgane oder der Faschos zu verteidigen. Wir verurteilen jede Form von körperlicher Gewalt innerhalb der Linken.
  • Politische Konflikte sollen innerhalb der Linken durch Diskussionen gelöst werden. Das Hinzuziehen von Polizei und Justiz als Schiedsrichterinnen über Konflikte der Linken ist unzulässig. Dieses erkennt die Staatsgewalt als legitime Schlichterin in der Linken und Arbeiterbewegung an und nährt nur die Illusionen in den „neutralen“ Staatsapparat!
  • In Konfliktfällen sollen die Bündnisse die strittigen Fragen durch Kommissionen aus nichtbeteiligten Bündnismitgliedern lösen.

Die Verbannung von linken Organisationen oder ihren Fahnen, Transpis, Slogans etc. verstößt gegen grundlegende Prinzipien linker Bündniszusammenarbeit und wird etwa seit längerer Zeit von rechteren Kräften innerhalb der Klimabewegung gegen Linke eingesetzt. Wir verteidigen das Recht, andere Gruppen im Bündnis für ihr Verhalten politisch zu kritisieren, aber wir verurteilen bürokratische Methoden, wie sie vom Orga-Kreis eingesetzt werden, um BündnisteilnehmerInnen auszuschließen. Dass Gruppen aus dem Orga-Kreis sich dabei die Argumentation für Fahnenverbote aus dem bürgerlichen Flügel der Klimabewegung zu eigen machen, wirft ein Schlaglicht auf deren opportunistische Methode und zeigt, dass es ihnen gerade nicht um linke Prinzipien, nicht um den argumentativen Austausch, sondern um die Durchsetzung eines nicht demokratisch legitimierten Führungsanspruchs geht.

Wir werden weiterhin im Bündnis für die oben genannten Prinzipien eintreten, die die Voraussetzung für eine wirkungsvolle Aktionseinheit sind!




Gegen rechte Angriffe auf Stuttgarter DGB! Wehret den Anfängen!

Karl Kloß, Infomail 1106, 6. Juni 2020

Am 5. Juni fand als Reaktion auf den Angriff der Identitären vom vergangenen Wochenende auf das DGB-Haus in Stuttgart eine Kundgebung statt. Aufgerufen dazu hatte der DGB Bezirk Baden-Württemberg unter dem Motto „Demokratie stärken und schützen!“. Die Kundgebung war für etwa 100 Leute angemeldet, etwa 300 nahmen teil. Als RednerInnen sprachen neben dem DGB-Bezirksvorsitzenden Martin Kunzmann der Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg Roman Zitzelsberger, der ver.di-Landesbezirksleiter Martin Gross und die ver.di-Jugend Baden-Württemberg, die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Stuttgart Nadine Boguslawski sowie der VKL-Vorsitzende Jose-Miguel Revilla von Mercedes-Benz Stuttgart-Untertürkheim.

Während sich Zitzelsberger darauf beschränkte, die Erhöhung des gesetzlichen KurzarbeiterInnengeldes auf 80 % als Erfolg zu verkaufen und sich nebenbei noch ein bisschen über die Aktion der Identitären aufzuregen, betonten die anderen RednerInnen auch den geschichtlichen Hintergrund des DGB-Hauses in Stuttgart. Dies war 1933 wie auch viele andere Gewerkschaftshäuser von der NSDAP und ihren Schlägerbanden gestürmt worden. Viele GewerkschaftInnen wurden festgenommen oder gar ins KZ gesteckt und das Gewerkschaftsvermögen eingezogen. Nach dem Ende der Nazi-Diktatur wurde das DGB-Haus in Stuttgart wieder seinem ursprünglichen Zweck gewidmet. Der DGB konnte es wieder nutzen, was auch dem Engagement des damaligen IG-Metall-Bezirksleiters Willi Bleicher (ab 1959) zu verdanken war.

Insgesamt kann die Kundgebung als positiv betrachtet werden. Zwar wurde schon am Tag des Angriffes selbst bei einer anderen Kundgebung des Anti-Krisenbündnisses Stuttgart eine entsprechende Reaktion auf den Angriff der Identitären angekündigt. Allerdings wurde jedoch der gesamte Prozess von der Anmeldung bis zur Mobilisierung vom DGB hinausgezögert und nur wenige bekamen überhaupt eine genaue Info, wann und wo genau die Aktion stattfinden sollte. Für dieses Vorgehen muss der DGB kritisiert werden. Statt alle Gewerkschaften und deren Mitglieder in möglichst großer Zahl zu mobilisieren, begnügte man sich lieber damit, eine kleine ausgewählte Menge vor dem DGB-Haus zu versammeln. Daher auch der Hinweis am Ende des Mobilisierungsaufrufes, dass die TeilnehmerInnenzahl auf maximal 100 TeilnehmerInnen beschränkt sei. Dies wurde mit den Kontaktbeschränkungen gerechtfertigt. Wichtiger wäre es gewesen, breit und möglichst zahlreich zu mobilisieren, um nicht nur ein Zeichen der Stärke gegen rechte Angriffe zu setzen, sondern um sich auch klar gegen die Einschränkungen demokratischer Grundrechte wie das Recht auf Versammlungsfreiheit zu positionieren und den Kampf gegen die Abwälzung der Kosten der Krise auf die ArbeiterInnenklasse zu thematisieren.