Neun Punkte zum Tarifabschluss der EVG mit der DB

Statement der Vernetzung für kämpferische Eisenbahner:innen, 17. September 2023, ursprünglich veröffentlicht auf https://bahnvernetzung.de/, Infomail 1232, 20. September 2023

Dieser Text ist das Produkt einer gemeinsamen Diskussion von Bahnbeschäftigten aus EVG und GDL.

1. Forderungen – nicht erfüllt

Mindestens 650 Euro in die Tabelle (für Nachwuchskräfte die Hälfte), ein Jahr Laufzeit waren gefordert. Heraus kam eine steuerfreie Einmalzahlung von 2850 Euro, genannt Inflationsprämie, im Oktober 2023 sowie eine Erhöhung von 410 Euro (Nachwuchskräfte erhalten jeweils die Hälfte) in zwei Schritten. Laufzeit: 25 Monate – satzungswidrig!

Natürlich wurde das Ganze damit begründet, dass man ja nie das bekommt, was gefordert wird. Mit dieser Einstellung kann hohen und berechtigten Erwartungen, die der Inflation entsprechen, natürlich nicht gerecht werden. Warum führen wir Tarifauseinandersetzungen nicht eskalativ? Ein „Sozialpartner“, der Verhandlungen einfach so verlässt, hat neben Streik keine andere Antwort verdient, außer, dass wir dann eine noch höhere Forderung stellen, wir den Preis nach oben treiben.

Bei allem Negativen, etwas Positives: Immerhin kriegen jetzt in einem Staatsunternehmen (!) alle den Mindestlohn ohne irgendwelche Zuschläge und Schönrechnereinen durch den Konzern. Für die niedrigsten Lohngruppen sprang mitunter ordentlich was raus (teilweise weit über 20 %). Aber selbst das blieb unter den Forderungen und hört sich, angesichts der bisherigen Einkommen besser an als es ist. Bei Lidl wird ja auch nicht mit Prozenten gezahlt, somit kann mehr trotzdem noch zu wenig sein. Die Erhöhungen für die unteren Lohngruppen haben etliche Kolleg:innen dazu bewogen, mit JA zu stimmen. Wir respektieren das, aber wir halten angesichts des insgesamt schlechten Abschlusses daran fest, dass das NEIN die richtige Antwort gewesen wäre.

2. Gespaltene Tabelle, gespaltene Belegschaft

Für manche hält der neue Tarifvertrag zudem eine dritte tabellenwirksame Erhöhung zum März 2025 bereit, für manche eben nicht. Der Blick in die Tabelle lässt zum Teil an Willkür erinnern. In der Lohngruppe 355 (die höchste für Fahrdienstleiter:innen) gibt’s auch bei neun Jahren Betriebszugehörigkeit keine dritte Erhöhung. So halten wir natürlich kein Personal im direkten Bahnbetrieb, und das ist unabdingbar, wenn wir das mit der Verkehrswende und guten Arbeitsbedingungen ernst meinen … für Martin Seiler hingegen darf diese nur möglichst wenig kosten!

Die Funktionsgruppen 2 und 6 bekamen statt einer dritten Erhöhung nur das Versprechen, dass für sie 2025 nachgezogen werden soll. Die Funktionsgruppe 4 (Lokführer:innen) wurde mit der Begründung ausgeklammert, dass auf sie angeglichen worden sei. Ein Blick in die Tabelle offenbart, dass das so nicht hinkommt. Es kommt der Verdacht auf, als wären die Lokführer:innen von der EVG aufgegeben worden, die meisten von ihnen fallen bei der DB unter einen Tarifvertrag der GDL.

Das Ganze war ein natürlich ein rechtlich unveränderbarer Schlichterspruch – schön und gut. Doch warum stimmte der Bundesvorstand dem mehrheitlich zu? Dass es auch anders gegangen wären zeigten die Vertreter:innen der Jugend und die anderen, die hier gegen gehalten haben! Der BuVo hätte das üble Spiel der Bahn AG nicht mitmachen müssen!

So bleibt, dass 52 % den Schlichterspruch annahmen – immerhin eine formal demokratische Mehrheit. Die Wahlbeteiligung war zudem bedenklich niedrig.

48 % lehnten den Schlichterspruch ab – verglichen mit den Urabstimmungen anderer Gewerkschaften in den letzten Jahren eine fette Backpfeife für Tarifkommission und Bundesvorstand. Und zwar eine umso größere als das der BuVo das Informationsmonopol über die „Tarifinformationen“ zur Schlichtung verfügte und die bürgerlichen Medien in diesem Sinne trommelten. Selbst unter diesen Bedingungen stimmte fast die Hälfte gegen den Abschluss.

3. Scheitern, Urabstimmung, Schlichtung, Urabstimmung?!

Überhaupt, dieses Schlichtungsverfahren. Warum wurde sich auf ein Verfahren eingelassen, dass die DB vorschlägt, nachdem sie alles daran gesetzt hatte, die Verhandlungen zu sabotieren und zum Scheitern zu bringen? Allerspätestens hier war das Verständnis an der Basis für die Taktik von BuVo und Tarifkommission weg.

Begründet wurde die Teilnahme an der Schlichtung anstelle einer direkten Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik unter anderem mit dem Argument, den öffentlichen Diskurs auf unsere Seite zu ziehen. In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil eingetreten. Das stetige Nachgegeben gegenüber dem Vorstand hat ihm und den Medien geholfen, das Ergebnis in ihrem Sinn zu deuten. Zweitens wäre es in einem Erzwingungsstreik auch möglich gewesen, eine eigene Gegenöffentlichkeit zu schaffen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen – und zwar, indem an Bahnhöfen und mit Unterstützung der anderen DGB-Gewerkschaften oder auch der Klimabewegung die Relevanz hoher Löhne für einen funktionierenden Bahnbetrieb in den Mittelpunkt gestellt wird und klar gemacht wird, dass höhere Löhne nicht durch höhere Fahrpreise erkauft werden sollen, sondern in dem vom Bund mehr Geld in die Bahn kommt und Seilers und Lutzens Gehalt zusammengestrichen wird!

Keine Gewerkschaft darf ihre Kämpfe danach ausrichten, was die Medien von ihnen hält. Eine EVG, die ihren Kampf richtig führt, die wird eben von FAZ bis Bild gehasst!

4. Transparenz vs. Schönreden

Mit dem Urabstimmungs-Schlichtungs-Hin-und-Her landen wir beim Thema Transparenz im Allgemeinen. Kein Vergleich zu 2020, wo in einer Nacht- und Nebelaktion mit dem Konzern ein Kündigungsschutz mit einer Nullrunde erkauft wurde, um später das Erreichte der GDL nachgetragen zu bekommen. Und trotzdem: Die TR23 ging schon durchwachsen los (die Tarifwerkstätten waren längst nicht allen zugänglich; die Online-Befragung enthielt keine Abstimmungsoption zur Laufzeit; und wer sitzt eigentlich für mich in der Tarifkommission?).

Dann gab es zwei Warnstreiks, bei keinem wurde verständlich erklärt, warum eigentlich nur einen halben Tag gestreikt wird, obwohl die Stimmung für einen ganztägigen war. Und dann: Der 50-Stunden-Streik, den es niemals gab. Das Frankfurter Arbeitsgericht kassierte ihn mit einem Vergleich. Diese Niederlage wurde nicht ehrlich eingestanden. An sich wäre das kein Problem gewesen. Es hätte klar gemacht werden müssen, dass Konzern und Staat einen kapitalen Angriff auf das Streikrecht verübt haben und die EVG vor der Wahl stand, sich auf den Vergleich einzulassen oder eine Niederlage vor dem Arbeitsgericht zu riskieren. Eine kämpferische und demokratische Gewerkschaftsführung hätte die Mitgliedschaft aber darauf vorbereiten und im Voraus ein Mandat für das weitere Vorgehen einholen müssen. Trotzdem hätte hier zügig das Scheitern der Verhandlungen erklärt und eine Urabstimmung eskaliert werden können. Stattdessen wurde der abgesagte Streik zu einem Sieg in der Mindestlohnfrage umgedeutet und zäh weiter verhandelt, und verhandelt, und verhandelt, und es machte sic breit:

5. Das Gefühl, gar nicht richtig gekämpft zu haben

Die Taktik der DB war eindeutig auf Sabotage, gerichtliche Angriffe und Verzögerungen zu setzen. Die EVG-Spitze hat sich dieser Taktik gefügt und weitgehend als Bittstellerin agiert. Lediglich zwei halbe Warnstreiks fanden statt. Die Stimmung vor dem 50-Stunden-Streik war gut und ließ hoffen. Spätestens nach dem Frankfurter Urteil hätte der Fokus auf der Vorbereitung eines unbefristeten Erzwingungsstreiks liegen müssen. Doch der Verhandlungsführer Loroch wurde nicht müde zu sagen: „Lösungen gäbe es nur am Verhandlungstisch.“ Und hier bestimmten Seiler und der Konzern das Tempo.

Zurück bleibt das verbreitete Gefühl, das wir mehr hätten erreichen können – und mit wir ist die einfache Mitgliedschaft in den Betrieben gemeint. Das 48 % mit NEIN gestimmt haben ist nicht einfach nur die Ablehnung des Schlichterspruchs. Es muss auch eine Bereitschaft zu kämpfen darin gesehen werden, die auch trotz eines zähen Vierteljahrs noch da war – oder gerade deswegen.

Schwierig wäre der Kampf sicher geworden, in manchen Betrieben ist der Organisationsgrad nicht hoch, hätte durch einen gut geführten Streik aber auch deutlich gehoben werden können. Aber, schwierig wäre es auch deshalb geworden, weil der BuVo selbst ja gar keinen Bock auf einen Erzwingungsstreik hatte. Er empfahl die Annahme des Schlichtungsergebnisses mit den Worten:

6. „Friss oder stirb!“

Auf eine immer ärmer gewordene Transparenz folgte eine demagogische Note. Wenn abgelehnt wird, dann müsse von vorne angefangen werden, alles auf Null, alles verloren. Mit dieser Perspektive, die suggeriert, dass das alles ist, was drin war, kann natürlich auch nicht mehr erstreikt werden. Dabei hätte eine gewisse Streikschwäche (auch der Streikkasse) dadurch ausgeglichen werden können, die Komplexität des Bahnbetriebs auszunutzen, beispielsweise durch einen Clusterstreik: Heute Ost und Süd und West, Morgen Mitte, Nord und Süd-Ost. Der Fahrplan verträgt so was nicht. Aber das nur als ein Beispiel. Die größte Schlagkraft wird gespürt, wenn überall zu jeder Zeit gestreikt wird, es täglich Streikversammlungen gibt, die selbst entscheiden, wie es weitergeht. Darauf aufbauend braucht es eine zentrale, von Delegierten der Streikversammlungen gewählte Streikleitung, die den gesamten Kampf koordiniert und sicherstellt, dass der Streik überall unterstützt wird. Damit hätte gewonnen werden können.

Weit davon entfernt, so zu kämpfen, wäre bei einem 75% – NEIN durchaus die Gefahr da gewesen, dass die DB ein Exempel an uns statuiert hätte, indem sie den Streik mit allen Mitteln bekämpft hätte. Seiler ist das zuzutrauen. Und der EVG-Vorstand-Mehrheit leider auch, dass sie hier willig eingeknickt wäre. Sie will „Sozialpartner“ sein, eine Niederlage wäre vielleicht nicht nur als unvermeidbar in Kauf genommen worden, sondern als Argument dafür genutzt worden zu sagen: „Besser, ihr hört beim nächsten Mal auf uns, wenn wir eine Empfehlung abgeben!“

7. Ein Riss geht durch die Gewerkschaft – gut so!

Dafür, dass BuVo und geschäftsführender Vorstand alle Kommunikationskanäle (die aber halt nicht so gut sind) in der Hand hat, konnte für ein NEIN (zu dem auch wir aufriefen) gut mobilisiert werden. In der Presse wurde bereits von einer zerrissenen Gewerkschaft gesprochen, Claus Weselsky bezeichnete die EVG mal wieder als „Trümmertruppe“.

Aber sehen wir es mal von dieser Seite: Es ist gelungen, eine Debatte in einer bisher relativ sicher und bürokratisch kontrollierten Gewerkschaft zu führen. Betriebsgruppen(-vorstände) hauten Aufrufe zum NEIN raus. Ohne eine große Unzufriedenheit und einen Druck, der anfängt, sich seine Kanäle zu suchen, wäre das nicht möglich gewesen. Und natürlich ist da der Druck einer anderen Gewerkschaft. Im Vergleich zur IG Metall etwa hat die EVG kein Monopol im Bahnsektor, die GDL spielt mindestens im Hinterkopf bei allen Erwägungen der EVG-Spitze eine Rolle. Was hier Dynamik brachte, ist mittelfristig jedoch nur schädlich. Wir sind davon überzeugt, dass die Spaltung zuerst der DB und zudem den Führungen von GDL und EVG nutzt, sie können auf die anderen zeigen und mit unterschiedlichen Begründungen sagen: „Wir sind nicht so wie die.“

Die Spaltung schadet uns nicht nur in den getrennt geführten Tarifauseinandersetzungen. Sie schadet uns noch viel mehr, wenn es darum geht, eine drohende „Bahnreform 2.0“, die Zerschlagung und weitere Privatisierung zu verhindern. Die GDL-Führung steht hier auf Seiten der Regierung und der privaten Bahnunternehmen, die EVG-Spitze ist zwar dagegen, einen Kampfplan zur Mobilisierung und zum Vollstreik gegen diesen Generalangriff hat sie aber auch nicht.

Der Riss der jetzt durch den EVG-Apparat bis runter zur Basis geht, ist nicht deckungsgleich mit dem JA / NEIN – Verhältnis. Es gibt auch die, die mit JA gestimmt haben und die Art und Weise, wie diese Tarifrunde lief, trotzdem bescheiden bis beschissen fanden. Es ist ein Riss in dem die Frage klafft: Wie und wofür wollen wir eigentlich kämpfen. Zentral damit verbunden ist die Frage:

8. Sozialpartnerin oder Kampforganisation?

Was soll die EVG sein? Kristian Loroch betont, es brauche Zeit die brüchig gewordene Sozialpartnerschaft mit der DB (von der im Übrigen auch die GDL spricht) wieder zu kitten. Aber wofür? Für Seiler und Lutz bedeutet Sozialpartnerschaft einen nützlichen Trottel (die Vorstände der Gewerkschaften) zu haben, der den Beschäftigten Kröten verkauft. Die Zeit der Sozialpartnerschaft ist vorbei, und der Konzern weiß das. Die Inflation, die kaputte Infrastruktur, die roten Zahlen, das eigene Vorstandsgehalt, die viel zu geringe Kohle von Volker Wissing – das alles lässt kaum Spielraum.

Er wird nur durch gut geführte Kämpfe vergrößert. Anstatt irgendein Vertrauen mit Martin Seiler wieder herzustellen, für das der sich innerlich kaputt lacht. Vielmehr sollten wir uns auf uns selbst konzentrieren; bilanzieren, diskutieren und aufstellen für das, was da alles kommt: die Tarifrunde unserer Kolleg:innen bei der GDL, eine Umstrukturierung bis möglicher Zerschlagung des Konzerns, die Tarifrunde 2025…Scheiß auf Sozialpartnerschaft, werde Kampforganisation, EVG!

9. Austreten, wechseln, oder was?

Die Stimmung in der EVG reicht von ganz zufrieden mit dem Ergebnis bis hin zu Resignation und Austritt.

Unterdessen leckt der Vorstand auf seine Weise Wunden. Die Hans-Böckler-Stiftung soll eine Studie machen und rausfinden, was (aus Sicht des Hauptamtes?) falsch lief. Bestimmt wird man zu dem Schluss kommen, dass die Verhandlung mit 50 Unternehmen gleichzeitig einfach zu viel war und dass die Kommunikation nicht rund lief, viele Kolleg:innen nicht nachvollziehen konnten, was gerade Phase war.

Und darüber hinaus?

Wir denken statt einer Studie braucht es jetzt die Debatte in der Mitgliedschaft der EVG über eine Neuausrichtung der EVG: Direkt gewählte Gremien, die jederzeitig wähl- und abwählbar sowie rechenschaftspflichtig sein müssen und wo Gewerkschaftsfunktionäre nicht mehr verdienen dürfen als einen durchschnittlichen Facharbeiter:innenlohn, von der Basis direkt geführte und kontrollierte Kämpfe, einen breiten und demokratischen Prozess für die Forderungen für 2025 und einen vorgezogenen Gewerkschaftstag, um Strukturen und Satzung zu ändern – es reicht jedoch nicht, nur den Vorstand auszutauschen! Die Wahl der Delegierten zum Gewerkschaftstag muss nach offener Diskussion in den Betriebsgruppen und unter den Kolleg:innen erfolgen. Wir müssen die Gewerkschaft von Grund auf ändern. Statt formal demokratischer, in Wirklichkeit aber von der Bürokratie dominierter Strukturen, brauchen wir eine Gewerkschaft, in der die Mitglieder das Sagen haben.

Wir brauchen einen Kampfplan gegen eine Bahnreform 2.0 genauso wie ein „Weiter-So!“ mit dem DB Konzern – wir sind für eine einzige staatliche Bahn!

Rechenschaftspflicht, Wähl- und Abwählbarkeit durch die Mitglieder muss alle Gremien einer kämpferischen Gewerkschaft auszeichnen. Tarifkommissionen und Streikleitung müssen gewählt und abwählbar sein.

Am Wichtigsten ist uns jedoch ganz unmittelbar einen gemeinsamen Kampf aller Eisenbahner:innen zu haben. Wenn ab November die Tarifrunde der GDL bei der Bahn startet, dann ist das richtige Signal in Richtung der Kolleg:innen der GDL, dass sich die EVG hier solidarisch zeigt. Und wenn es so war, dass GDL-Kolleg:innen bei der EVG hätten mitstreiken dürfen – dann gilt dass doch umgekehrt genauso, oder, EVG-Apparat?

Die Spaltung zwischen unseren Gewerkschaften, das gegeneinander Schießen – wir sind es Leid! Wer ist den eigentlich der Gegner? Die andere Gewerkschaft oder der Konzern? Wir sind davon überzeugt, dass ein gemeinsamer Kampf mit gemeinsamen, direkt von der Basis entwickelten Forderungen uns mehr, viel mehr bringt als dieses ganze „Wer ist die geilere Gewerkschaft?“ Strukturell sind beide ähnlich undemokratisch und eng mit dem Konzern. Beide müssen neu ausgerichtet werden. Ohne Druck aus der Basis wird es weder eine Zusammenarbeit beider Gewerkschaften geben, noch eine Vereinigung aller Eisenbahner:innen (und Verkehrsbeschäftigten) in einer Gewerkschaft, in der wir selbst die Hebel in der Hand haben.

Einfach nur austreten oder abseits stehen und kritisieren wird nichts ändern, es ist ein Abwarten darauf, dass die Gewerkschaften irgendwann besser werden und ein Vermeiden von anstrengender Arbeit…

Wenn ihr diese Ansätze gut findet und unsere Bilanz teilt, dann tretet mit uns in Kontakt, teilt sie, bringt sie in Eure Betriebe ein und kommt zum Bahnvernetzungstag am 21. / 22. Oktober in Berlin. Kontakt unter: info@bahnvernetzung.de




Nein zur Schlichtungsempfehlung

Martin Suchanek, Infomail 1229, 28. Juli 2023

„Einigung im Tarifstreit bei der Bahn absehbar“, verkündet die Tagesschau am 26. Juli. Nach mehreren Verhandlungswochen hinter verschlossenen Türen haben die Vorsitzenden der Schlichtungskommission, Prof. Heide Pfarr (SPD, von der EVG benannt) und Dr. Thomas de Maizière (CDU, von der Bahn AG ernannt), eine Empfehlung veröffentlicht. Diese sieht lt. EVG folgende fünf Punkte vor:

„1. Entgelt-Erhöhung in fast allen Bereichen um 410 Euro. Umgesetzt wird in zwei Stufen mit jeweiligem Festbetrag: Stufe eins 200 Euro im Dezember 2023 und Stufe zwei im August 2024 um 210 Euro.

2. Einmalzahlung, damit unsere Kolleginnen und Kollegen schnell Geld kriegen. Auszahlung von 2.850 Euro als steuerfreie Inflationsausgleichsprämie im Oktober 2023.

3. Strukturelle Entgelterhöhung kommt für fast 70.000 Kolleginnen und Kollegen. Verschiedene Funktions-/Berufsgruppen bekommen durchschnittlich nochmal 100 Euro monatlich dazu.

4. Keine Spaltung, alle Berufsgruppen sind im Tarifabschluss einbezogen. Wir konnten Spaltung durch Ausgrenzung verhindern.

5. Verkürzung der Laufzeit von 27 auf 25 Monate. Das bedeutet, dass die neue Tarifrunde bereits in 20 Monaten startet.“

Dass es bei der Schlichtung selbst zu keiner Einigung kam, lag wohl nicht an der Gewerkschaft EVG. Auf ihrer Homepage redet und rechnet sie das Ergebnis schön, ihre Schlichtungskommission empfiehlt dem Bundesvorstand die Annahme. Das letzte Wort, so heißt es weiter, hätten die Mitglieder, die bis Ende August über das Ergebnis in einer Urabstimmung entscheiden könnten.

Hört sich demokratisch an, ist es aber nicht, wie wir noch sehen werden. Doch zuerst kurz zur Einschätzung des Abschlusses.

Stärken?

Natürlich gebe es lt. EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch auch negative Aspekte der Empfehlung, diese würden aber durch die positiven Seiten eines guten Kompromisses weit überwogen.

„Für uns als EVG sehe ich in der Schlichtungsschlussempfehlung klare Stärken. Hervorzuheben ist, dass in der Laufzeit eine dauerhafte wirksame Entgelterhöhung erreicht wird. Das bedeutet für die allergrößte Zahl unserer Mitgliedschaft ein dauerhaftes Lohnplus im zweistelligen Bereich. Das ist eine Erhöhung, die es in dieser Größenordnung in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gab – das haben unsere Kolleginnen und Kollegen mehr als verdient.“ (https://www.evg-online.org/meldungen/details/news/10862/)

Über die grassierende Rekordinflation, die Einkommenserhöhungen innerhalb von zwei Jahren wieder auffrisst, verliert Loroch kein Wort. Auch die ursprüngliche Forderungen – tabellenwirksame (!) 12 %, mindestens aber 650 Euro bei einem Jahr Laufzeit – werden nicht mehr erwähnt. Warum auch? Für die Schlichtungskommission waren schließlich längst nicht mehr die ursprünglichen Forderungen Verhandlungsziel, sondern die bei Privatunternehmen wie Transdev erzielten Abschlüsse (siehe dazu: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/07/06/tarifkampf-der-evg-schlichtung-ablehnen/).

Nur so ist zu erklären, warum die EVG eine Laufzeit von 25 Monaten, die damit gerade zwei Monate unter der Forderung der Bahn AG bleibt, als „Erfolg“ verkauft.

Wie viele andere Gewerkschaftsapparate übt sich auch die EVG darin, das Ergebnis erst gar nicht mit den Forderungen direkt zu vergleichen, für die Zehntausende Kolleg:innen in den Warnstreik traten. Wozu auch? Damit würde es ja nur leichter durchschaubar und transparenter. Statt dessen rechnet die EVG die Entgelterhöhungen unzulässig hoch. So verkündet ihre Homepage folgende Zuwächse für ausgewählte Berufsgruppen:

„- Fahrdienstleiter*innen (307) bekommen bis zu 900 Euro mehr // das entspricht ca. 30 Prozent Lohnplus

– Zugbegleiter*innen (508) bekommen bis zu 840 Euro mehr // das entspricht ca. 22 Prozent Lohnplus

– Werkstattmitarbeiter*innen & Instandhalter*innen (107) bekommen bis zu 860 Euro mehr // das entspricht ca. 24 Prozent Lohnplus“.

Unterschlagen wird dabei nicht nur die Laufzeit von 25 Monaten. Würden wir die Zuwächse von 410 Euro auf ein Jahr beziehen, so kämen wir auf 196,80 Euro tabellenwirksame Lohnerhöhung pro Jahr – also nur weniger als ein Drittel der ursprünglich geforderten 650 Euro. Hinzu kommt, dass bei der Berechnung des Lohnplus die Einmalzahlung von 2.850 Euro munter mit den tabellenwirksamen Lohnerhöhungen in einen Topf geworfen wird. Schließlich beziehen sich die drei Beispiele auf Berufsgruppen, die eine über die 410 Euro hinausgehende zusätzliche Einkommenserhöhung erhalten sollen. Das betrifft rund 70.000 Bahnbeschäftigte in Jobs, die nicht nur für die EVG und ihre Verhandlungsmacht strategisch wichtig sind (insbes. Fahrdienstleiter:innen), sondern wo auch Personalmangel herrscht. Für Zehntausende andere Beschäftigte gibt es diesen Zusatzbonus nicht – eine klare Spaltungslinie, die die EVG-Schlichtungskommission stillschweigend akzeptiert.

Nein zur Schlichtungsempfehlung!

Ein solches Ergebnis stellt keinen „guten Kompromiss“, sondern einen frechen und schlechten Ausverkauf dar. Daher rufen nicht nur wir, sondern viele kritische Bahner:innen wie z. B. die „Vernetzung klassenkämpferischer Eisenbahner:innen“ dazu auf, bei der Urabstimmung gegen die Schlichtung und für einen Streik für die ursprünglichen Forderungen zu stimmen.

Dass dabei, wie die EVG-Spitze verkündet, die Mitglieder das letzte Wort hätten, ist auch eine Lüge. Erstens wurden sie nie gefragt, ob sie überhaupt in die Schlichtung gehen wollten. Das entschied der bürokratische Apparat ganz alleine. Er beschloss ohne Befragung, geschweige denn Diskussion der Basis, nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen eine „Zwischenrunde“ einzuschieben, in der die Kolleg:innen über Wochen nur eines tun konnten – warten. Diese erzwungene Passivität nützt tragischerweise auch noch der Gewerkschaftsbürokratie. Nach Monaten von langgezogenen, fruchtlosen Verhandlungen, zwei Halbtagswarnstreiks, einem gerichtlich faktisch untersagten Warnstreik (was in einem Vergleich zu einem Sieg umgedeutet wurde) und wochenlangen Schlichtungsgesprächen hinter verschlossenen Türen sind viele unmotiviert, frustriert und teilweise auch nur froh, dass das alles endlich vorbei ist.

Hinzu kommt, dass in der schönen bürokratisch organisierten Veranstaltung namens Gewerkschaftsdemokratie für die Ablehnung der Schlichtung und die Durchführung von Streiks 75 % der Stimmen notwendig sind. Eine einfache Mehrheit reicht nicht – eine Minderheit aber sehr wohl zur Annahme der Schlichtung!

Zudem verfügt der Gewerkschaftsapparat über das Informationsmonopol. Nur er kann alle Mitglieder erreichen, er bestimmt die öffentlichen Verlautbarungen und den Inhalt der „Tarifinformationen“, die mit mehr oder weniger gleicher Einschätzung auch von den bürgerlichen Medien verbreitet werden.

Dass der Apparat und die Führung der EVG die Annahme der Schlichtung empfehlen, sollte aber niemand wundern. Als getreue Sozialpartner:innen wollten sie nie einen Vollstreik für die Forderungen, der Monate dauern und sich womöglich mit der Tarifrunde der GDL überschneiden könnte. Dabei wäre das für alle kämpferischen Beschäftigten – in der EVG und in der GDL – eine Chance, die unsägliche Spaltung, die zuerst den Apparaten, vor allem aber der Bahn AG und den Bahnzerschlager:innen in der Regierung und bei den Unionsparteien nutzt, zu beenden. Ein drohender Ausverkauf und eine zweijährige Laufzeit werden auch diesen anstehenden, entscheidenden Kampf massiv erschweren.

Daher:

  • Nein zur Schlichtung! Erzwingungsstreik für 12 %, mindestens aber 650 Euro bei einem Jahr Laufzeit!

  • Vollversammlungen in den Betrieben, Werkstätten, Abteilungen und Betriebsgruppen zur Diskussion über die Schlichtung und Abstimmung über die Empfehlung!

  • Erstellung von Informationsmaterial für die Beschäftigten, das erklärt, warum die Ergebnisse der Schlichtung abzulehnen sind!

  • Aufbau einer klassenkämpferischen Opposition in EVG und GDL! Aufbau der Vernetzung klassenkämpferischer Eisenbahner:innen!



Warum wir die Schlichtung und ihr Ergebnis ablehnen und für einen gemeinsamen Kampf von GDL und EVG sind.

Bahnvernetzung. Vernetzung klassenkämpferischer Eisenbahner:innen, Infomail 1228, 13. Juli 2023

Die Deutsche Bahn AG hat nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen mit der EVG eine Schlichtung vorgeschlagen – der BuVo folgte mehrheitlich der Empfehlung des Vorstandes darauf einzugehen. Das Ergebnis der Schlichtung soll danach urabgestimmt werden.

Wir lehnen das ab und sagen:

  • Nein zur Schlichtung! Das Verfahren ist bereits formal undemokratisch. Am Ende reichen 25 % aller abstimmenden EVG-Mitglieder um das Ergebnis anzunehmen, während es 75% ablehnen müssen, um in einen Erzwingungsstreik zu treten. Kolleg:innen, die unter den EVG-Tarifvertrag fallen, werden ausgeschlossen, wenn sie in der GDL oder in keiner Gewerkschaft sind.

  • Wir fordern den Abbruch des Verfahrens und eine Urabstimmung JETZT und schnellstmöglich über den Erzwingungsstreik – und zwar bei allen Unternehmen, für die verhandelt wurde und wird. Der Transdev-Abschluss kann nicht das Ziel sein – Keine Kompromisse und keine Verschlechterung: 12 %, mindestens 650 Euro, 1 Jahr Laufzeit! Das Schlichtungsverfahren bedeutet weitere Geheimgespräche und Intransparenz hinter verschlossenen Türen. Wir geben in so einem Verfahren nicht nur die Kontrolle an gewerkschaftliche Verhandlungsführer:innen ab, die wir auch schon nicht wählen können, sondern auch an Schlichter:innen aus der Politik, die die immer auch das „Wohl des Konzerns“ im Auge behalten werden.

  • Anstatt uns Gegeneinader aufzustacheln und spalten zu lassen treten wir für die Zusammenarbeit zwischen EVG- und GDL-Kolleg:innen ein. Es braucht den unmittelbaren gemeinsamen Streik von beiden Gewerkschaften, dass kann nur von uns Bahner:innen selbst kommen, weder Burkert, noch Weselsky wollen das.

  • Statt einem undemokratischen Schlichtungsverfahren, das immer auch die Leiden des Managements berücksichtigen muss, brauchen wir einen Streik, der unter unserer direkten Kontrolle liegt. Auch wenn es diesmal viel transparenter läuft als 2020 ist das trotzdem nicht genug. Tarifkommission und zu bildende Streikkomitees müssen direkt wähl- und abwählbar sowie rechenschaftspflichtig sein, auf Betriebsversammlungen muss abgestimmt werden, wie gekämpft wird. Annahme / Ablehnung des Ergebnisses nach einfacher Mehrheit! Volle Transparenz: Wir wollen Einsicht in aller Verträge und Verhandlungsstände mit allen Unternehmen und Gewerkschaften.

  • Binden wir Reisende und Pendler:innen besser ein! Es braucht eine Kampagne unter Fahrgästen und die Forderungen, dass nicht sie mit Fahrpreiserhöhungen die Zeche zahlen. Wir müssen klar machen, dass höhere Löhne für das Bahnpersonal eine höhere Qualität für den Bahnbetrieb bedeutet. Der DGB steht hier in der Verantwortung eine Solidaritätskampagne zu fahren, die allen klar macht, warum der Streik der Bahner:innen unterstützt werden muss! Keine Abmahnung für Kolleg:innen, die wegen bestreikten Züge nicht zur Arbeit kommen! Genauso müssen EVG und GDL Arbeitskämpfe anderer Gewerkschaften unterstützen!



Freizeitpädagogik bleibt: zuerst essenziell, jetzt wegrationalisiert?

Aventina Holzer, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1226, 19. Juni 2023

Selma Schacht, die Betriebsrätin von „Bildung im Mittelpunkt“, meinte bei einer Streikkundgebung letztes Jahr, dass Freizeitpädagog:innen viele Jobs haben. Sie sind Künstler:innen, Sportler:innen, Lehrer:innen und emotionale Begleiter:innen und noch vieles andere mehr. Sie machen viele Sachen, die sonst im pädagogischen Angebot unter den Tisch fallen würden.

Die Freizeitpädagogik ist eine besondere Berufsbranche in Österreich, die als Reaktion auf den Lehrer:innen- und Betreuer:innenmangel entstanden ist. Seit einigen Jahren gibt es dafür auch einen eigenen Lehrgang, der speziell auf die Nachmittagsbetreuung an Schulen zugeschnitten ist. Dieser ist mit 60 ECTS-Punkten (also 2 Semester; ECTS = European Credit Transfer System, Europäisches System zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen; d. Red.) eine Reaktion auf einen Gesetzesbeschluss, der die Qualifikationen von Pädagog:innen in diesem Bereich besser systematisieren wollte. Der seit mehr als 10 Jahren bestehende Lehrgang ist ohne Matura zugänglich und bietet damit eine gute Möglichkeit für Menschen ohne Abschluss einer höheren Schule, in einem pädagogischen Beruf zu arbeiten.

Der neue Gesetzesentwurf der Regierung möchte sehr viel von diesen Beschlüssen wieder ändern. Bevor wir uns aber mit diesem genauer beschäftigen, wollen wir uns die momentane Situation in der Freizeitpädagogik genauer anschauen, die ist nämlich auch alles andere als rosig.

Die Arbeitsbedingungen in der Freizeitpädagogik sind zwischen Personalmangel, schlechter Bezahlung und fehlendem Respekt oft eine Zumutung. Im Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich, unter den aktuell die Freizeitpädagogik fällt, ist ein Gehalt von 2.638,80 Euro brutto vorgesehen für 37 Wochenstunden. Die meisten Mitarbeiter:innen arbeiten aber eher 32 Stunden. Vorbereitungsstunden sind davon auch nur 5, der Rest ist mit den Kindern zu verbringen.

Zeitgleich gibt es starken Personalmangel, zu wenig inklusionsgeschultes Personal und Schulungen für das Team und oft standortspezifische Probleme wie zu wenige Sozialarbeiter:innen, überfüllte Klassen, zu viele unkompensierte Krankheitsausfälle, räumliche Probleme, kein Material (oder nur solches, das aus eigener Tasche gekauft wird) und vieles mehr. Unter diesen Umständen ein ernsthaftes und gutes pädagogisches Programm aufzubauen, ist schwierig. Die ständigen Forderungen der Politik nach Umstrukturierung der Nachmittagsbetreuung, die als rotes Projekt speziell der ÖVP ein Dorn im Auge ist, machen auch Jobunsicherheit zu einem großen Thema.

Aus diesen und einigen anderen Gründen haben die Nachmittagsbetreuer:innen im letzten Jahr mehrmals gestreikt und Streikhandlungen angekündigt. Neben dem „BiM“ (Verein Bildung im Mittelpunkt GmbH), der die Wiener Nachmittagsbetreuung an öffentlichen Schulen organisiert, standen auch die Elementarpädagog:innen bundesweit im Streik.

Jetzt trifft diese Berufsgruppe der nächste große Schlag. Es soll eine Gesetzesnovelle kommen, die im Sommer beschlossen und 2024 umgesetzt werden soll. Sie sieht vor, Teile des Schulordnungs- und Schulunterrichtsgesetzes (inklusive anderer Bereiche) zu ändern. Das betrifft vor allem die Freizeitpädagogik als Berufsgruppe, die mit dieser Änderung abgeschafft werden soll. Statt dieser soll eine neue, die sogenannte „Assistenzpädagogik“, geschaffen werden. Die Assistenzpädagogik hat, wie das Wort schon andeutet, eher die Aufgabe, das Lehrpersonal bei der Arbeit zu unterstützen und nicht ein eigenes freizeitpädagogisches Programm zu gestalten und umzusetzen. Das bedeutet mehr Fokus auf Lernassistenz (also Hausaufgabenbetreuung und Ähnliches) und weniger auf Freizeitgestaltung. Abgesehen davon gibt es weitere Verschlechterungen, die sich anbahnen:

Die ohnehin recht kurze Ausbildung soll von 60 auf 30 ECTS-Punkte (also von zwei auf ein Semester) gekürzt werden. Zeitgleich soll ein Maturaabschluss eine Voraussetzung dafür werden. Zwar wurde angekündigt, dass die meisten Freizeitpädagog:innen übernommen werden sollen, trotzdem ist noch mehr als fraglich, ob das für die Beschäftigten ohne Matura auch letztlich wirklich gilt. Über ihnen hängt das Damoklesschwert des Jobverlustes.

Des Weiteren werden auch gröbere Gehaltskürzungen vermutet. Der Betriebsrat von „Bildung im Mittelpunkt“ schreibt dazu: „Der Vergleich mit unserem aktuellen Gehalt zeigt, dass vor allem in den ersten Jahren mit einem Minus von bis zu 19 % zu rechnen ist. Erst nach über 18 (!) Berufsjahren würde die Anwendung dieses Gehaltsschemas mit unserem jetzt gültigen Kollektivvertrag gleichziehen bzw. diesen erst ab 24,5 Jahren spürbar überholen. Und das auch nur, wenn es zur vollen Anrechnung sämtlicher bisheriger Vordienstzeiten kommt.“

Es gibt einige Sachen, die noch sehr unklar sind: zum Beispiel die Übernahme des Jobs in öffentliche Hand und was dann mit den Trägern passiert, die diese Arbeit momentan organisieren. Zeitgleich zeigt der Gesetzesentwurf eine klare Richtung, die sich deutlich gegen die Interessen von ganztägigen Schultypen und Betreuungsangeboten stellt, indem sie an deren Bedürfnissen vorbei wirkt.

Es wurden bereits einige Maßnahmen verkündet, in Wien wurde bereits demonstriert, es gibt Betriebsversammlungen, eine Petition, Streiks und noch einiges mehr, um die Änderungen abzuwehren. Jetzt wurde auch die Streikfreigabe für den 15. Juni erteilt. Die Gewerkschaften und nahestehende Institutionen scheinen dahinterzustehen. „Weder Beschäftigte noch Betriebsrat oder Gewerkschaft waren in die Novellierung eingebunden“, sagt Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA. In der Sozialdemokratie hört man immer mehr einzelne Stimmen dagegen, so auch den neuen SPÖ-Chef Babler oder die SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler. Es war ja auch eines der größeren sozialdemokratischen Projekte, die Nachmittagsbetreuung flächendeckend durchzusetzen.

Die Forderungen des BiM-Betriebsrats sind gut und verknüpfen einige Probleme miteinander. Es wird unter anderem gefordert, dass die beschriebenen Verschlechterungen durch die vorgeschlagene Novelle nicht eintreten dürfen. Besonders wichtig sind folgende Forderungen: „Übernahme aller ausgelagerten Schulküchenmitarbeiter:innen und Reinigungskräfte“ und „Kein Ersatz von Lehrer:innenstellen oder -stunden durch Freizeitpädagog:innen. Ausbildungsoffensive und Personalaufstockung bei Lehrer:innen“. Diese Forderungen versuchen, aktiv Kämpfe zu verbinden. Weil Schulorganisation zum Großteil Ländersache ist, ist es schwierig, diesen speziellen Kampf auch über die Bundesländergrenzen hinauszutragen. Klar ist aber, dass es auch in anderen Bundesländern Personalmangel und extreme Unzufriedenheit wegen schlechter Bezahlung gibt.

Lehrer:innenmangel steht auf der Tagesordnung und anstatt ihn mit komplett neuen Jobs auszugleichen, die andere wertvolle pädagogischen Aufnahmen übernehmen sollten, braucht es hier gezielte Verbesserungen. Eine Aufwertung der Ausbildung, ohne auf Kosten von Zugänglichkeit und Kosten zu gehen, wäre dabei schon ein wichtiger Schritt. Zeitgleich braucht es eine starke Veränderung der Lehrpläne, um sie an aktuelle Bedürfnisse anzupassen. Mehr Ressourcen für Bildung und damit auch Freizeitpädagogik sind essenziell. Die Bildung von Kindern und Jugendlichen sollte nicht immer nur davon abhängen, ob sich Lehrer:innen oder Freizeitpädagog:innen individuell besonders engagieren, sondern  direkt aus dem Bildungssystem heraus erwachsen. Dafür ist auch essenziell, dass wir nicht nur bei der Abwehr dieser Novelle bleiben, sondern auch für mehr Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen sowie für mehr Geld im Bildungssystem im Allgemeinen.




Berliner GEW-Streik braucht einen Kampagnenplan

Martin Suchanek, Infomail 1224, 9. Juni 2023

Zum 14. Mal legten Berliner Lehrer:innen im Kampf für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz vom 6. – 8. Juni die Arbeit nieder. 14 Streiks, an denen sich jeweils Tausende Beschäftigte anschlossen; 14 Streiks, die vom Berliner Senat – zuerst von Rot-Grün-Rot und jetzt von CDU/SPD – ignoriert wurden. Über einen Tarifvertrag könne das Land Berlin leider leider nicht gegen den Willen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) verhandeln, so ließen bisher alle Senatsparteien verlauten.

In der Tat stellt der geforderte Tarifvertrag Gesundheitsschutz eine fortschrittliche Neuerung für den Bildungssektor dar. Die GEW Berlin fordert darin eine Reduktion der Klassengrößen, um die Beschäftigten zu entlasten und zugleich die Bildung für die Schüler:innen zu verbessern. Natürlich müsste das mit einer massiven Einstellung weiterer Lehrkräfte und verbesserter Bezahlung einhergehen – und genau das wollen weder der Berliner Senat noch die Tarifgemeinschaft der Länder. Um das heiße Eisen erst gar nicht anzufassen, weisen sie jede Zuständigkeit von sich.

Empörung

14 Streiks, die teilweise zwei oder gar drei Tage andauerten, beweisen, dass die Forderung nach einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Entlastung der Lehrkräfte und qualitativ besseren Lehrbedingungen ein reales Problem treffen – und zwar von Lehrenden, Lernenden und auch deren Eltern.

Daher beteiligten sich tausende Gewerkschaftsmitglieder seit Mitte 2021, also seit rund zwei Jahren, regelmäßig an den Arbeitskämpfen. Die Sympathie unter Eltern und Schüler:innen ist groß – schließlich sind sie selbst Hauptopfer der Unterfinanzierung des gesamten Bildungssystems.

Ursprüngliche Strategie gescheitert

Doch 14 Streiks werfen bei weiterhin ausbleibender Gesprächsbereitschaft seitens des Senats auch immer drängender die Frage auf: Mit welcher Kampfstrategie können die Forderungen durchgesetzt, ja überhaupt Verhandlungen erzwungen werden? Die CDU hat zwar im Wahlkampf eine Reform des Schulgesetzes ins Spiel gebracht, um der Streikbewegung die Spitze zu nehmen und die Lehrer:innen mit einigen Reförmchen abzuspeisen. Doch nicht einmal das wird bisher ernsthaft angeboten.

Zweitens aber sollten die Lehrer:innen ein solches „Angebot“ nicht ablehnen, jedoch dürfen sie sich davon auch blenden lassen und müssen an ihrem Ziel eines Tarifvertrages festhalten. Eine Reduktion der Klassengrößen per Schulgesetzänderung stellt allenfalls eine Willensbekundung des Senats dar, deren Nicht-Umsetzung sich mit Verweis auf den Lehrer:innenmangel leicht entschuldigen lässt. Ein Tarifvertrag hingegen holt die Entscheidung über Klassengrößen raus aus den verschlossenen Türen der Ministerialbürokratie an den Verhandlungstisch mit den Beschäftigten und bietet ihnen eine einklagbare Grundlage für Entlastung am Arbeitsplatz. Für die streikenden Lehrkräfte muss klar sein: Eine Schulgesetzänderung kann kein Ende ihres Kampfes bedeuten!

Das Ausbleiben jedes Angebots seit zwei Jahren verdeutlicht jedoch auch, dass die ursprüngliche Politik der GEW-Führung gescheitert ist, den Berliner Senat mittels einiger Warnstreiks an den Verhandlungstisch zu bringen und dann einen mehr oder weniger guten Kompromiss auszuhandeln. Ein Tarifvertrag Gesundheitsschutz ist durch befristete Tagesstreiks nicht zu haben. Alles andere bedeutet nur, sich selbst und den Streikenden etwas vorzumachen.

Entwicklung der Bewegung

Aber nach 14 Streiks steht die Frage im Raum, wie es weitergehen kann. Schon bei den letzten Arbeitsniederlegungen zeigte sich, dass die Zahl der Streikenden stagniert, an manchen Schulen sogar abnimmt, während andere dazustoßen. Bei den jüngsten drei Kampftagen vom 6. – 8. Juni stießen die Aktiven zusätzlich auf das Problem, dass sich viele  Gewerkschafter:innen nur an einzelnen Tagen beteiligten.

Generell kann gesagt werden, dass die Bewegung zahlenmäßig stagniert. Sie kann sich einerseits auf eine Schicht von mehreren Tausend zuverlässig Streikenden stützen. Doch die bilden bei rund 35.000 Lehrkräften nur eine Minderheit.

Das bedeutet aber auch, dass die bisherige Taktik, alle ein bis zwei Monate die Arbeit niederzulegen, nicht reicht, um den Senat auch nur zu Verhandlungen zu zwingen. Vom Standpunkt der Bildungsverwaltung und der regierenden Koalition ist es nur folgerichtig, die Aktionen weiter auszusitzen. Sie setzten, nicht ohne Grund, darauf, dass sich die Bewegung totlaufen wird.

Zugleich hat sich in den letzten beiden Jahren die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder, die die Aktionen tragen, deutlich erhöht. Neue, vor allem junge Lehrkräfte wurden in die Bewegung gezogen, auf diese stützen sich viele Streiks, Demonstrationen und Streikcafés in den Bezirken und Kiezen. Letztere sind eine Form von Basisversammlungen aktiver Gewerkschafter:innen, die eine Vernetzung verschiedener Schulen darstellen und damit auch als Mittel zum Aufbau weiterer Basisgruppen und zur Gewinnung neuer Mitglieder dienen. Diese Schicht war bei der Berliner Streikversammlung am 8. Juni besonders stark vertreten, an der über 1.000 Menschen teilnahmen.

Während also die Zahl der Streikenden insgesamt stagniert, so hat sich die Zahl der aktiven, den Kampf vorantreibenden Gewerkschafter:innen erhöht und verbreitet. In diesem, qualitativen Sinne können wir keineswegs von einer Stagnation der Bewegung sprechen, weil sich mit der Vergrößerung der Aktivist:innen auch die Möglichkeiten zur Verbreiterung der Streikbewegung verbessert haben.

Wie weiter?

Dies geht jedoch nicht ohne innere Konflikte. Denn wir müssen auch klar festhalten, dass die Strategie der GEW-Führung in den letzten Monaten immer mehr an ihre Grenzen gestoßen, ja objektiv gescheitert ist. Es braucht eine klare Vorstellung, mit welchen Schritten der Streik ausgeweitet, wie letztlich ein unbefristeter Erzwingungsstreik vorbereitet werden kann.

Indirekt erkennt auch die Führung der GEW dieses Problem an. Angesichts von Monaten der Verhandlungsverweigerung braucht es natürlich Eskalationsschritte wie den dreitägigen im Unterschied zum eintätigen Streik. Doch das allein ist keine Strategie, keine wirkliche Perspektive.

Eine solche setzt nämlich nicht nur ein klares Ziel, den Tarifvertrag Gesundheitsschutz, sondern auch voraus, die notwendigen Kampfschritt offen zu benennen, um so unter den organisierten wie auch den noch nicht organisierten Lehrer:innen und Erzieher:innen deutlich zu machen, welche Kampfformen notwendig sind, um den Tarifvertrag durchzusetzen.

Das wird wahrscheinlich nur mit einem unbefristeten Erzwingungsstreik möglich sein. Das ist sicher mit dem aktuellen Organisationsgrad nicht möglich. Aber um diesen vorzubereiten, muss er auch schon heute klar als Mittel benannt werden.

Kampagnenplan

Vor dieser Frage drückt sich letztlich die GEW-Führung herum. Eine Gruppe von aktiven Gewerkschafter:innen, viele davon junge GEWler:innen, haben daher die Initiative ergriffen und in den Streikcafés, bei der Demonstration und Streikversammlung Flugblätter verteilt und einen Vorschlag für einen Kampagnenplan zur Diskussion gestellt.

Dieser empfiehlt für die ersten Wochen des nächsten Schuljahrs einen fünftägigen Warnstreik. Dieser soll zur Vorbereitung eines unbefristeten Streiks genutzt werden, um die Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen, Streikversammlungen an den Schulen abzuhalten, Mobimaterialien herzustellen und zu verteilen, Veranstaltungen durchzuführen, schwächer organisierte Schulen durch stark organisierte zu unterstützen, kiez- und bezirksweite Demonstrationen durchzuführen. Darüber hinaus sollen auch Erzieher:innen in den Streik einbezogen werden.

Den Kern des Plans bildet aber auch eine Verbreiterung und Demokratisierung der Entscheidungsstruktur durch eine berlinweite Streikversammlung, die über die Strategie der Bewegung und die Politik der Tarifkommission bestimmt. Sie soll auch darüber entscheiden, wie der Streik fortgesetzt wird, falls sich der Senat auch nach der ersten fünftägigen Aktion nicht zu Verhandlungen bereiterklärt.

Damit formulieren die Streikenden ein Konzept zur Überwindung der aktuellen zahlenmäßigen Stagnation. Der Fokus auf Streikversammlungen und deren Entscheidungsbefugnis erlaubt auch eine viele breitere Einbeziehung aller, vor allem der aktiven Träger:innen des Streiks. Natürlich geht es dabei auch um stärkere Kontrolle der bestehenden Strukturen der GEW und der Tarifkommission. Aber das ist letztlich nur ein Aspekt.

Wenn es wirklich einen längeren, letztlich unbefristeten und auch viel breiteren Erzwingungsstreik geben soll, muss die GEW ihre Aktivenbasis vergrößern. Das wird letztlich aber nur möglich sein, wenn diese (a) praktische Verantwortung für den Kampf übernimmt (also Erstellen von Material, Streikposten, Verbindung zu Eltern und Schüler:innen, Kiezversammlungen mit Anwohner:innen usw.) und (b) auch real über die Streikstrategie und die Politik der Tarifkommission und einer etwaigen Verhandlungskommission bestimmt.

Dazu braucht es Massenversammlungen wie die Streikversammlung am 8. Juni. Damit diese über grundlegende Fragen entscheiden können, müssen sie natürlich auch besser vorbereitet und Anträge im Voraus über die GEW verschickt werden. So können Argumente und Gegenargumente über einen längeren Prozess ausgetauscht werden, was einer großen Versammlung wiederum erleichtert, rasch Entscheidungen zu treffen. Diese wären nicht nur viel demokratischer als jene einer wenig an die Basis gebundenen Tarifkommission. Sie würden viel direkter die Mehrheit der Mitgliedschaft zum Ausdruck bringen – und zwar vor allem des aktiven, engagierten kämpferischen Teils.

Wir rufen alle kämpferischen Gewerkschafter:innen auf: Unterstützt die Vorschläge für einen Kampagnenplan, tretet mit den Kolleg:innen in Kontakt!




Britannien: Für eine Kampagne gegen den Tarifabschluss bei Royal Mail

Workers Power Postal Workers Bulletin, Infomail 1223, 27. Mai 2023

Royal Mail: Baut die Nein-Kampagne auf!

Gegenwehr gegen Angriffe auf unsere Löhne und Arbeitsbedingungen!

Organisiert eine klassenkämpferische Basisbewegung zur Zurückweisung des Abkommens!

Als die Vereinbarung mit Royal Mail (Britische Post) im April veröffentlicht wurde, löste sie eine Gegenreaktion der Gewerkschaftsmitglieder aus, als klar wurde, dass die Führung der CWU (Communication Workers Union) den meisten Forderungen von Royal Mail nachgegeben hatte.

Nach drei Abstimmungen, 18 Tage Lohnverlust an Streiktagen und über 400 suspendierten und entlassenen betrieblichen Gewerkschaftsertreter:innen und Mitgliedern, bedeutet die Vereinbarung einen Rückschlag in Bezug auf Löhne, Tarife und Arbeitsbedingungen.

Grundsätzlich ebnet sie den Weg für einen massiven Anstieg der Arbeitsbelastung, insbesondere für die Beschäftigten im Zustelldienst, und untergräbt die Kampfkraft der Gewerkschaften.

Aus diesem Grund haben einige CWU-Postangestellte und -Vertreter:innen eine Kampagne für die Belegschaft gestartet: Postangestellte sagen, stimmt mit Nein. Macht online mit, ladet das Bulletin herunter, um es an eure Kolleg:innen weiterzugeben, und beteiligt euch: www.tinyurl.com/PostiesSayNo.

Gewerkschaftsführer:innen kapitulieren

Auf den ersten beiden Seiten des Abkommens geht es um die katastrophale Lage von Royal Mail und darum, „das Schicksal des Unternehmens umzukehren“. Die Gier der Bosse hat das Unternehmen in den Ruin getrieben, aber die Vereinbarung stellt sicher, dass die Beschäftigten dafür zahlen, das Unternehmen wieder flottzumachen, und dass sie durch Erhöhungen der Arbeitsbelastung und Umstrukturierungen ihre Gewinne steigern können. Die CWU-Führerung wird die Kürzungen und Veränderungen in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit dem Management überwachen – und dann erwarten, dass die betrieblichen Gewerkschaftsvertreter:innen sie umsetzen.

Das Abkommen kann zu Recht als Niederlage bezeichnet werden. Die Führung hat den Streik für viermonatige Gespräche beendet, die zu nichts geführt haben. Für Arbeiter:innen enthält es kaum Positives. Viele begrüßen zwar die Zahlungen, aber bei steigenden Preisen bedeutet das Dreijahreslohnabkommen einen Reallohnverlust von über 10 Prozent. Der Rest akzeptiert, was die Bosse wollten oder hat ihre Forderungen (völlige Flexibilität, Fahrer:innen als Scheinselbstständige) nur dadurch „besiegt“, dass er ihnen auf halbem Wege mit Zugeständnissen bei der Arbeitsbelastung, 30 Minuten „formalisierter Flexibilität“ und saisonalen Arbeitszeiten entgegenkam.

Als eines der schlimmsten Zugeständnisse hat die Gewerkschaft die Zweistufigkeit der Belegschaft akzeptiert, d. h. neue Mitarbeiter:innen erhalten Verträge mit einer Arbeitszeit von mehr als 40 Stunden bei geringerer Bezahlung und Sonntagsarbeit. Persönliche digitale Assistent:innen und andere Daten werden als Anfang von der Geschäftsleitung für Leistungen und bestimmte Verhaltensweisen verwendet und missbraucht. Die Arbeiter:innen müssen die Worte über „unterstützende“ Ansätze für Anwesenheit und Leistung, „gesicherte Garantien“ oder noch schlimmer „gemeinsame Bestrebungen“ für die kürzere Arbeitswoche (wenn sie die Stunden für Neueinsteiger:innen erhöhen) in den Mülleimer werfen, wo sie hingehören, denn sie sind wertlos.

Die geopferten gewerkschaftlichen Vertreter:innen und Mitglieder sind nicht wieder eingestellt worden. Stattdessen wird ein „unabhängiger“ Richter, der selbst kein Freund militanter Gewerkschafter:innen ist, Lord Falconer, der 2016 für die gewerkschaftsfeindlichen Gesetze der Tories gestimmt hat, die Fälle überprüfen.

Das Abkommen trifft die Zusteller:innen besonders hart und wird die körperliche Arbeit im Freien ausweiten und viele aus dem Job drängen. Wie ein Zustellervertreter dies online fragte: „Im schlimmsten Fall kürzt eine Revision Hunderte Außendienststunden zur Erholung von den Gängen und macht sie länger plus 35 Minuten Streichung vom Innendienst und Anrechnung auf den Außendienst plus 2 Stunden länger im Winter plus 30 Minuten ,formalisierter Flexibilität’ an einigen Tagen. Man könnte also im Außendienst bis zu anderthalb Stunden länger als jetzt, um Weihnachten herum vielleicht sogar mehr, arbeiten.“

Einzuberechnen wären spätere Anfangszeiten bis zu 90 Minuten und Flexibilität, was bliebe dann noch übrig von „familienfreundlichen“ Schichten? Wenn man dann noch Anwesenheitszeiten, Verhaltensdaten, Kürzungen bei krankheitsbedingt vorzeitiger Verrentung zurechnet, kann Royal Mail schneller und billiger Arbeitskräfte loswerden, und mit dem zweistufigen Arbeitskräftesystem wird dem Unternehmen das gelingen.

Ein selektiver Ausverkauf

Die CWU-Führung sagt, sie wolle eine informierte Diskussion, damit Mitglieder eine informierte Entscheidung treffen können, aber während sie nicht bestimmte Fragen umgehen kann, sind andere (wie Zweiklassen-Arbeitskräfte, Verhaltensdaten, 20 – 35-minütige Kürzung für Innendienst bei Zustellungen), wenig bis gar nicht angesprochen worden. Die betrieblichen gewerkschaftlichen Vertreter:innen sollten darauf aber Antworten verlangen. Wenn diese nicht gegeben werden, könnte sich Royal Mail aus dem Abkommen herausstehlen, was bedeuten würde, seine Profitabilität auf unsere Kosten wiederherzustellen.

Das Abkommen läuft bis April 2025, doch seine Verpflichtungen zu keinen zwangsweisen Entlassungen sind kaum abzuschätzen angesichts der großen Anzahl von unbesetzten Stellen in Büros und billigen Berufseinsteiger:innen. Royal Mail sagt nur, dass sie „nicht plane“, Briefzentren auszulagern, zu verpachten und rationalisieren oder getrennte Paketgesellschaften zu gründen.

Das sind keine Garantien und neue, einschneidende Änderungen, ein einheitliches Großpaketnetz zu schaffen, wird mehr direkte Konkurrenz mit Anbieter:innen wie Amazon hervorrufen, wenn die Bosse noch sagen, wir seien 40 % überbezahlt und unausgelastet, und das wird  uns immer weiter in einen Dumpingwettbewerb treiben.

Die Gewerkschaftsführer Ward und Furey versuchen uns eine Vision zu verkaufen, wonach wir zum normalen Alltag mit einem stabilen sicheren Arbeitsplatz und ruhigem Leben zurückkehren können. Doch in Wirklichkeit wird es dauerhaft Veränderungen geben, die in der gemeinsamen Arbeitsgruppe vereinbart worden sind. Wenn das Abkommen nicht den Profiterwartungen entspricht, könnte Royal Mail sich sogar Stück um Stück aus der Vereinbarungen herausziehen, wie sie es letztes Jahr getan hat. Günstigstenfalls tickt die Uhr bis 2025 herunter zu einem neuen Kampf, mit untergrabener Kraft unserer Stärke an der Basis.

Die Alternative

Wenn es keine Zustimmung gibt, könnte die Gewerkschaft Royal Mail ein paar Zugeständnisse abringen. Aber die wirkliche Alternative zu diesem faulen Abkommen bedeutet, dass die Streiks wieder aufgenommen werden. Dieses Mal mit einem wirkungsvollen Plan, sie umfassend zu steigern, und Solidaritätskomitees aufzubauen, so wie es Workers Power von Beginn der Auseinandersetzungen an vertreten hat. Jetzt ist es an der Zeit, die Kampagne zur Wiederverstaatlichung von Royal Mail als CWU-Politik zu führen, den Bossen nicht zu gestatten, uns mit der Bankrottdrohung zu erpressen. Wenn wir dieses Abkommen jetzt annehmen, was würden wir tun können, wenn sie uns 2025 oder schon vorher wieder angreifen?

Ein Ablehnungskampagne könnte die Kräfte entfalten, die die CWU seit langem gebraucht hat: eine Basisbewegung, die die Gewerkschaften unter Kontrolle der Beschäftigten bringt, mit Abrufbarkeit und Facharbeiter:innengehältern für alle Funktionär:innen. Streikkomitees sollen an der Basis gebildet werden, um den Gewerkschaften von unten neues Leben einzuhauchen. Das würde uns nicht nur für Kampf und Sieg ausrüsten, sondern auch eine neue Führung aus den militanten Elementen fördern helfen, eine, die die Gewerkschaften am Arbeitsplatz verankert.

Teilt Eure Antworten und Erfahrungen mit oder kontaktiert uns für mehr Information über Workers Power: https://workerspower.uk/contact/. Artikel zur CWU in Workers Power: www.tinyurl.com/WPCWU.




Gericht erzwingt Absage des Bahnstreiks – EVG-Führung knickt ein

Martin Suchanek, Infomail 1222, 14. Mai 2023

Der Vorstand der Deutsche Bahn AG kann auf deutsche Gerichte zählen. Nachdem das Unternehmen die Gewerkschaft EVG und die Beschäftigten weiter mit Scheinangeboten hinhalten wollte, hatte die EVG einen 50-stündigen Warnstreik, beginnend am 14. Mai, beschlossen. So sollte der Druck auf den Konzern und andere Unternehmen im Kampf um die Tarifforderungen – 12 %, mindestens aber 650 Euro monatlich mehr für alle bei einem Jahr Laufzeit – erhöht werden.

Daraus wird nun nichts. Die Bahn AG versuchte am 13. Mai, den Warnstreik per Einlassung vor dem Arbeitsgericht Frankfurt/Main zu verhindern. Mit Erfolg: Die Richterin hatte laut Medienberichten in der Verhandlung mehrfach erklärt, dass sie den Streik für rechtlich problematisch halte. Mit dieser Verbotsdrohung im Raum verband das Gericht den „Vorschlag“ eines verpflichtenden Vergleichs zwischen Bahn AG und EVG. Die Bahn AG müsse, so der Vergleich, auf die Forderung nach Umsetzung des gesetzlichen Mindestlohns für rund 2.000 Beschäftigte eingehen – dafür müsse der Streik vom Tisch und eine intensive Verhandlungsrunde über die „restlichen“ Forderungen starten.

Von diesen Forderungen der EVG ist keine zugesagt. Die Gewerkschaftsführung gab angesichts eines drohenden Streikverbots und der vom Gericht in den Raum gestellten zusätzlichen Drohung, dass im Falle eines Verbots auch Schadenersatzzahlungen für die anderen Warnstreiks in Millionenhöhe auf sie zukommen könnten, klein bei. Sie ließ sich schlichtweg erpressen.

Es gibt nichts zu beschönigen

Die Bahn AG errang einen klaren Sieg, was sie triumphierend auch selbst betont. Für sie hat sich der Gang vor Gericht gelohnt – zahlen sollen dafür die Beschäftigten.

Und die EVG-Spitze? Sie knickt ein. Ein Streik, der ohnedies abgeblasen wird, braucht schließlich nicht verboten zu werden. Sie verzichtet darauf, selbst vor Gericht für das Streikrecht zu kämpfen, sie lässt sich von dessen Drohszenarien einschüchtern – und sie verzichtet erst recht darauf, dessen unverhohlene Parteinahme für die Bahn AG, diesen klaren Akt von Klassenjustiz anzuprangern.

Da die EVG nicht wie eine vorgeführte Papiertigerin dastehen will, macht sie auch noch gute Miene zum bösen Spiel – und es damit noch schlimmer. In einer eigenen Presseerklärung entblödet sie sich nicht, die Niederlage als Erfolg auszugeben. So erklärt ihr Verhandlungsführer Loroch: „Schon die Androhung des Warnstreiks hatte Erfolg. Der Arbeitgeber hatte vor Gericht unmissverständlich erklärt, dass er unsere Forderungen zum Mindestlohn erfüllt. Auf Anraten des Gerichts haben der Arbeitgeber und wir einen Vergleich geschlossen.“

Der/Die Arbeit„geber“:in gibt einer Forderung nach und hält an der Ablehnung aller anderen fest. Dieser „Erfolg“ reicht – und die EVG setzt den Streik „vorerst“ aus.

Für die Beschäftigten bei der Bahn bedeutet das einen herben Rückschlag. Statt ihre eigenen Kräfte für die Tarifrunde und den Kampf gegen die drohende „Reform“ der Bahn zu stärken, knickt die Gewerkschaftsführung ein. Bei den kommenden Verhandlungen droht ein Ausverkauf durch den Apparat. Dazu müssen alle klassenkämpferischen Kolleg:innen jetzt klar und deutlich NEIN sagen. Vor Gerichten und in Mauschelrunden mit der Bahn AG wird nichts zu holen sein. Statt den schrittweisen Rückzug anzutreten und diesen schönzureden, muss von der EVG gefordert werden, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären und die Urabstimmung zur Durchsetzung der Forderungen möglichst rasch einzuleiten.

Darüber hinaus rächt sich die über Jahre von der EVG-Führung besonders intensiv betriebene Politik der Klassenzusammenarbeit mit Unternehmen und Regierung. 2015 unterstützte die EVG gegen andere Gewerkschaften und die Interessen der Arbeiter:innenklasse das Gesetz zur Tarifeinheit, also eine weitere massive Einschränkung des Streikrechts. Jetzt wenden sich genau jene Gerichte gegen die EVG, die ihre Spitze dereinst gegen andere in Stellung bringen wollte. Vertrauen in die Bürokratie ist also fehl am Platz.

Folgerungen

Für die Beschäftigen gilt es, zwei zentrale Schlussfolgerungen zu ziehen, gerade wenn es darum geht, wie der Kampf gegen den Konzern und die Klassenjustiz erfolgreich geführt werden kann:

1. Die bürgerlichen Gerichte stehen auf Seiten des Kapitals. Die gesamte Gewerkschaftsbewegung muss die Erpressung durch das Arbeitsgericht Frankfurt/Main verurteilen und eine Kampagne gegen jede Einschränkung des Streikrechts starten. Am 13. Mai traf es die EVG, morgen kann es jede andere treffen.

2. Müssen sich die kämpferischen Gewerkschafter:innen in der EVG (und auch in der GDL) organisieren und dafür eintreten, dass die Tarifrunde unter Kontrolle der Basis, von gewählten, abwählbaren und rechenschaftspflichtigen Tarifkommissionen und Streikleitungen geführt wird. Die gute Nachricht zum Schluss: Dazu gibt es einen ersten Ansatz: die Bahnvernetzung von Kolleg:innen aus EVG und GDL. Unterstützt die Kolleg:innen oder, noch besser, wenn ihr Bahner:innen seid, schließt Euch ihr an!




Schweden: Sieg für den Eisenbahner:innenstreik!

Arbetarmakt, Stockholm, Infomail 1222, 6. Mai 2023

Vor der Wahl versprach die Sozialdemokratische Partei in der Region Stockholm, die Abschaffung von Zugbegleiter:innen in Pendler:innenzügen zu stoppen, ein Vorschlag, den sie als „verheerend“ und „moderat gescheitert“ bezeichnete. Nach der Regierungsübernahme hat sie gemeinsam mit der Zentrumspartei und der Grünen Partei und mit Unterstützung der Linkspartei diesen Beschluss umgesetzt.

Aus Protest haben die Lokführer:innen im Nahverkehr in diesem Frühjahr Proteste organisiert, die Zahl der Krankmeldungen wurde erhöht, und am Montag traten sie in einen wilden Streik. In einem Flugblatt, das sich an die Öffentlichkeit wendet, erklären die Lokführer:innen, dass sie seit fast zwei Jahren protestieren, aber alle Einwände ignoriert wurden. Die Forderung ist klar: Zugbegleiter:innen zurück in den Führerstand und zum Sicherheitsdienst!

Ihnen stehen Drohungen mit rechtlichen Schritten seitens der gierigen Kapitalist:innen der Privatbahn MTR entgegen. Außerdem sind sie mit der Passivität der Seko, Gewerkschaft der Beschäftigten im Kommunikations- und Dienstleistungsbereich, und der Heuchelei der politischen Führung konfrontierte. Aber die Lokführer:innen verfügen, wie in den bisherigen zwei Streiktagen deutlich wurde, über etwas viel Wichtigeres und Stärkeres: die massive Unterstützung all derer, die die Pendler:innenzüge in der Region Stockholm nutzen und eine sichere Verkehrssituation wollen.

Am Dienstag, den 2. Mai, besuchten die Genoss:innen von Arbetarmakt die Kundgebung der Streikenden vor dem Stockholmer Hauptbahnhof und verteilten anschließend in der Nähe Plakate zur Unterstützung des Streiks. Wir haben natürlich auch zum Streikfonds der kämpfenden Arbeiter:innen beigetragen der zu diesem Zeitpunkt (2. Mai) erstaunliche 1,3 Millionen SEK gesammelt hat.

Wir fordern alle, die diesen wichtigen Kampf unterstützen, auf, die Kundgebung vor dem Hauptbahnhof zu besuchen, um ihre Unterstützung zum Ausdruck zu bringen, mit Arbeitskolleg:innen, Freund:innen und Gewerkschaftskolleg:innen über den Streik zu sprechen, Geld in den Streikfonds zu spenden und bereit zu sein, den völlig berechtigten Arbeitskampf weiter zu unterstützen. Die Website des Streikkomitees findet Ihr hier: https://vildstrejkpendeln.blogg.se/, und der Streikfonds (organisiert von der Workers‘ Solidarity Association) hat eine Swish-Nummer 123 699 29 52 oder ein Bankkonto 418-6482, auf dem der Vermerk „train host“ steht.

Sicherheit vor Profit! Sieg für den Pendler:innenstreik! #rörintemintågvärd




Britannien: Postbeschäftigte dürfen erpresserischer Drohung nicht nachgeben!

Andy Young, Workers Power (Britannien), Infomail 1222, 3. Mai 2023

Bevor die Einigung zustande kam, behaupteten die Chef:innen von Royal Mail, der britischen Post, das Unternehmen stehe kurz vor dem Bankrott, und drohten mit einer Insolvenz, falls die Kommunikationsarbeiter:innen-Gewerkschaft CWU keine Einigung erzielen würde.

Nicht zu glauben, hat die CWU-Führung dieser Erpressung nachgegeben und der aktuellen Vereinbarung zugestimmt, die die Bedingungen der Beschäftigten verschlechtert, um die Rentabilität wiederherzustellen. Auf den ersten Seiten des Abkommens werden die Bestimmungen ausdrücklich mit der Rückkehr der Gewinne verknüpft.

Der Vorsitzende der Londoner CWU, Martin Walsh, der die Einigung verteidigt, hat sich dieser Meinung angeschlossen. Er argumentiert, dass weitere Streiks die Situation von Royal Mail verschlimmert und das Unternehmen gezwungen hätten, noch stärkere Kürzungen als die in der Vereinbarung vorgeschlagenen vorzunehmen oder in die Verwaltung zu gehen, was bedeuten würde, dass „Tausende von Arbeitsplätzen verlorengingen, die nicht direkt mit der USO (Universal Service Obligations; Umfassende Pflichtdienste) verbunden sind“.

In einem anderen Beitrag (auf den Hunderte von verärgerten Antworten von Postangestellten eingingen) sagte er: „Diejenigen, die behaupten, dass die Regierung uns aus der Patsche helfen wird, haben nur teilweise Recht. Sie hätten die USO weitergeführt, aber alles andere, einschließlich Paketen, LAT (Briefverteilung), CSPs (Fracht, Schwerpakete) usw., wäre wahrscheinlich eingestellt worden, was zu Tausenden von sofortigen Arbeitsplatzverlusten geführt hätte, wobei nur die gesetzlichen Abfindungen zur Verfügung gestanden hätten.“

Das ist nicht unbedingt richtig und auch nicht realistisch.

Wenn wir mit Nein stimmen, geht das Unternehmen dann bankrott?

Zunächst einmal kennen wir die tatsächliche finanzielle Lage von Royal Mail nicht und werden sie auch nicht erfahren, bevor der Streik beendet ist und eine Einigung mit den Beschäftigten erzielt wurde.

Zweitens bedeutet die Annahme der Vereinbarung, dass die Bosse dafür belohnt werden, dass sie im letzten Jahr eine halbe Milliarde Gewinn eingestrichen und uns dann in der Vorweihnachtszeit zum Streik gezwungen, sie Konkurrent:innen für die Übernahme profitabler Paketzustellungen bezahlt haben und für Leiharbeitskräfte tief in die Tasche greifen mussten, um einen von ihnen provozierten Streik zu brechen.

Drittens: Ist es wirklich glaubhaft, dass ein Unternehmen, das vor der Pandemie profitabel war (in Höhe von 100 Millionen Pfund) und mehr Pakete denn je zustellt, unter normalen Bedingungen rote Zahlen schreibt?

Letztendlich bedeutet dies, dass man der Politik des Vorstands von Royal Mail nachgeben muss. Die internationale Holdinggesellschaft der Royal Mail, IDS, ist profitabel und schottet ihren Betrieb im Vereinigten Königreich absichtlich ab, um die im Ausland erwirtschafteten Profite den Aktionär:innen zukommen zu lassen und die Belegschaft unter Druck zu setzen. Das ist eine bewusste Politik, vor der wir nicht in die Knie gehen sollten. Die Profite der Royal Mail wurden verwendet, um die internationalen Vermögenswerte zu erwerben, und man war froh, die Aktivitäten damals miteinander zu verbinden!

Öffnung der Geschäftsunterlagen

Wir haben keinen Grund, die Behauptungen der Geschäftsführung für bare Münze zu nehmen. Öffnet die Geschäftsbücher und lasst uns sehen, wie es wirklich um das Unternehmen steht! Wenn es als gewinnorientierte Firma nicht lebensfähig ist, dann muss es verstaatlicht werden.

Die Wahrheit ist, dass das Unternehmen ohnehin wieder verstaatlicht werden sollte. Die Versprechungen, dass die Privatisierung dringend benötigte Investitionen in das Unternehmen bringen würde, waren immer ein Schwindel: Sie haben in den letzten 10 Jahren fast 2 Milliarden Pfund an Gewinnen entnommen.

Die 670 Millionen Pfund Gewinn, die im letzten Jahr gemacht worden sind, hätte man nutzen können, um das Unternehmen von Grund auf zu modernisieren. Wir könnten jeden Lieferwagen durch einen umweltfreundlichen Elektrotransporter ersetzen, die Büros gut isolieren, um die Heizkosten zu senken, und uns neue Arbeitsschuhe zulegen, ohne monatelang warten zu müssen!

Unabhängig davon, wie es um die Finanzen des Unternehmens bestellt ist, ist es eine harte Wahrheit, dass die Royal Mail nicht gleichzeitig ein gut geführter Betrieb sein kann, der eine wichtige öffentliche Dienstleistung erbringt und seinen Mitarbeiter:innen anständige Arbeitsbedingungen bietet, und zugleich eine Goldgrube für milliardenschwere Aktionär:innen.

Wie bei allen anderen öffentlichen Diensten, die privatisiert wurden – von der Wasser- bis zur Energieversorgung – haben die Dividenden die Investitionen bei weitem übertroffen, und das Ergebnis ist ein schlechterer Dienst, der die Nutzer:innen mehr kostet und von Arbeiter:innen erbracht wird, deren Löhne, Arbeitsbedingungen und Renten bis auf die Knochen gekürzt wurden.

Royal Mail sollte wieder verstaatlicht werden, ohne einen Penny Entschädigung für die Profiteur:innen.

„Aber die Tories wären schlimmer!“

Das Argument, dass eine von einer konservativen Tory-Regierung geführte Royal Mail in öffentlichem Besitz schlimmer wäre als die derzeitige private Verwaltung, wird von den Befürworter:innen des Deals gewöhnlich vorgetragen. Aber es ist schwer zu erkennen, wie es noch schlimmer kommen könnte.

Sie mussten die Zähne zusammenbeißen und Liberty Steel vor zwei Jahren verstaatlichen, als das Unternehmen in Konkurs ging. Die East Coast Mainline (elektrifizierte Eisenbahnlinie zwischen London King’s Cross und Edinburgh Waverley) wird von einem öffentlichen Unternehmen betrieben, nachdem sich private Betreiber:innen zurückgezogen hatten.

Ein wichtiger Grund für die Privatisierung war, dass es für eine Regierung politisch viel schwieriger ist, einen öffentlichen Dienst so zu zerstören, wie es private Eigentümer:innen mit der Notwendigkeit einer Profitsteigerung rechtfertigen können. Die von einem verstaatlichten Unternehmen erwirtschafteten Gewinne werden in den Dienst reinvestiert oder tragen zur Finanzierung anderer staatlicher Ausgaben bei – bei einem privaten Unternehmen werden sie in Jachten oder Steuerparadiesen investiert.

Eine Wiederverstaatlichung der Royal Mail und eine anschließende Kürzung der allgemeinen Dienstleistungen wäre also selbst für die Tories politisch schwierig, ebenso wie eine Abspaltung des Paketdienstes, wie Martin Walsh sagt. Die neuen Paketzentren wurden über Jahre hinweg mit den Gewinnen der Royal Mail bezahlt, und man kann nicht davon ausgehen, dass die Regierung sie absichtlich inoperabel und unrentabel macht – wenn es eine öffentlichkeitswirksame, mit Streiks verbundene Kampagne zur Wiederverstaatlichung der Post gibt.

Derzeit kann sich Premierminister Rishi Sunak noch zurücklehnen, während der Milliardär Kretinsky und seine Marionette Simon Thompson (Hauptgeschäftsführer von Royal Mail) unsere Arbeits- und Tarifbedingungen auseinandernehmen – „mit mir hat das nichts zu tun, Regierungschef“.

Aber das ändert sich, sobald Sunak dafür am Haken hängt. Wenn wir kämpfen, wird es für die Tories zu einem politischen Problem, wenn sie dabei beobachtet werden, wie sie die USO kürzen oder eine Gewerkschaft zerschlagen.

Würde die Bevölkerung uns dennoch unterstützen?

Es wird gesagt, dass die Royal Mail und ein Zustellsystem in der Öffentlichkeit nicht mehr beliebt genug sind oder nicht mehr gebraucht werden. Aber das ist nicht wahr. Der Rest der Gewerkschaftsbewegung würde uns sicherlich unterstützen, wenn wir kämpfen.

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Survation vom August 2022 ergab, dass 68 Prozent der Öffentlichkeit der Meinung sind, dass die Royal Mail verstaatlicht werden sollte. Eine Kampagne für die Wiederverstaatlichung, die ohnehin die Politik der CWU zum Ziel hat, würde breite Unterstützung finden, weil ein ehemals öffentlicher Dienst dem Profit geopfert wurde, und ein Bankrott würde dies deutlich machen.

Wenn wir gewinnen würden, dann wären die Wiederverstaatlichung der Eisenbahn, der Rauswurf der Profitgeier aus dem Nationalen Gesundheitswesen, die Kontrolle über die Profiteur:innen, die die Energierechnungen in die Höhe treiben und die Abwässer in unsere Flüsse leiten, echte Möglichkeiten und die logischen nächsten Schritte.

Die Vorstellung, dass eine Wiederverstaatlichung unter einer Labour-Regierung wahrscheinlicher ist oder Parteichef Keir Starmer netter wäre als die Tories, ist nur ein Trugbild. Ohne massiven Druck würde er das nicht tun. Die Tatsache, dass Royal Mail sagt, es sei fast bankrott und nicht mehr tragfähig, erzeugt jetzt den stärksten Druck für seine Wiederverstaatlichung.

Und das Argument, dass eine Renationalisierung durch die Torys automatisch schlechter wäre als das Ergebnis der aktuellen Vereinbarung, ist zwar verständlich, aber nicht wahr. Anstatt einer rücksichtslosen Unternehmensleitung nachzugeben, die nur noch mehr fordern wird, kann sich die CWU gegen alle Versuche der Tories wehren, die USO oder unsere Arbeitsbedingungen in einem wiederverstaatlichten Unternehmen zu beschneiden, und eine Solidaritätsbewegung um uns herum aufbauen.

Das setzt jedoch voraus, dass die CWU-Führer:innen ihre Strategie der Absprachen mit der Unternehmensleitung, der Zusammenarbeit bei Umstrukturierungen und der Kürzung unserer Löhne und Arbeitsbedingungen aufgeben und stattdessen für die Gewerkschaftspolitik kämpfen – die lautet: Wiederverstaatlichung.

Und das wiederum setzt voraus, dass sich die Basis der Gewerkschaft organisiert, um einen solchen Richtungswechsel voranzutreiben und unsere Macht wiederherzustellen, damit wir ihn von der Basis aus durchsetzen können.

Als Sozialist:innen würden wir noch weiter gehen. Das Unternehmen sollte verstaatlicht werden, ohne dass die Bonzen, die das Vermögen und die Gewinne abgeschöpft und den öffentlichen Dienst in die Knie gezwungen haben, auch nur einen Cent erhalten. Es sollte nur eine Entschädigung für die Kleinaktionär:innen geben, und der Postdienst sollte unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiter:innen und Kund:innen geführt werden.




Erfahrungen mit Kritik am verdi-Apparat

Bericht einer Beschäftigten der Stuttgarter Stadtverwaltung, Neue Internationale 273, Mai 2023

10,5 %,  aber mindestens 500 Euro mehr in die Tabelle, Laufzeit 12 Monate. Das ist unsere Forderung für die Tarifrunde. Nachdem die erste Verhandlungsrunde ergebnislos und ohne Angebot vorbeiging, waren sich die Kolleg:innen und ver.di-Funktionär:innen im Bezirk noch einig und man sprach bereits über die Planung der Urabstimmung und des Erzwingungsstreiks, um unsere Forderung durchzusetzen. Auch nach dem „Angebot“ der zweiten Verhandlungsrunde hatte sich an dieser Einstellung kaum was geändert.

Doch mit Näherrücken der dritten Verhandlungsrunde, in welche keine großen Hoffnungen gelegt wurden, drohte auch die Schlichtung und der Unmut unter den Beschäftigten stieg, was sich auf Arbeitsstreiks deutlich machte. Die ver.di-Bürokratie verteidigte entgegen der Streikversammlung die Schlichtung, obwohl diese offensichtlich einen Nachteil für uns darstellt. Argumentiert wurde mit der „Sicherung des Wohlstands des Landes“. Damit ist natürlich nichts anderes gemeint als die Sicherung des deutschen Kapitals und der Klassenkollaboration. Doch dieses Verhalten des ver.di-Apparats war nicht überraschend.

Nach der dritten Verhandlungsrunde kristallisierten sich die Widersprüche und Unterschiede zwischen seinen Interessen des und denen der Beschäftigten bei den Arbeitsstreikversammlungen immer deutlicher heraus. Die ver.di-Funktionär:innen hatten unsere Forderung hinter sich gelassen – die Beschäftigten nicht. Eine Funktionärin der Bundestarifkommission stellte die Beschäftigten nach der dritten Verhandlungsrunde darauf ein, dass ein Jahr Laufzeit nicht zu machen sei und man über einen angepassten Mindestbetrag bereits nachdenke. Die Kolleg:innen waren darüber aufgebracht und taten dies auch kund. „Ich habe kein Problem mit einer Laufzeit von 2 Jahren aber unsere Forderung war 10,5 %, dann möchte ich für jedes Jahr 10,5 %!“, meinte ein Straßenbahnfahrer, der viel Beifall bekam. Viele Kolleg:innen waren verärgert über die Ansichten der Funktionärin, die uns in der Tarifkommission repräsentieren soll. Unsere Forderungen vertrat sie jedenfalls nicht, sondern das Interesse des ver.di-Apparates, der einen Schulterschluss möchte, was für Millionen Menschen Reallohnverlust bedeutet.

Nach der Schlichtung

Dass dies nicht dieselben wie die der Beschäftigten sind, zeigte sich auch nach Bekanntgabe des Schlichterspruchs. Zunächst entlud sich die Wut der Beschäftigten am Samstag, den 15. April, über die sozialen Medien. Reallohnverlust, ein Jahr Nullrunde und zwei Jahre Laufzeit. Der Bezirk berief direkt eine Sitzung ein und die Stimmung in den „sozialen“ Medien spiegelte sich bei den Kolleg:innen auf der Versammlung wider. Viele sehen die Empfehlung sehr problematisch und betonen den Reallohnverlust und erinnern auch an unsere Ursprungsforderung.

Doch die scheint gar nicht mehr „realistisch“ für die Funktionär:innen. Entgegen Aussagen zu Beginn der Tarifrunde werden Einmalzahlungen beschönigt und als „viel Geld“ verkauft. Beim Thema Erzwingungsstreik sei es nur realistisch, für das Ergebnis der Schlichtung zu streiken, wenn die Arbeit„geber“:innenseite dieses nicht annehmen werde. Und zur Laufzeit heißt es, unter 24 Monate geht nichts mehr, da es seit Jahren keine Abschlüsse mehr unter 24 Monaten gebe und dies auch ganz gut für die Planung bei ver.di sei.

Doch die Beschäftigten ließen sich davon nicht beeindrucken und äußerten laut ihre Stimmen für den Erzwingungsstreik und  eine 12-monatige Laufzeit. Denn die Begründung ver.dis, unsere Forderungen seien unrealistisch, ist nur ein Vorwand, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen und einen Deal mit den Arbeit„geber“:innen zu bekommen. Die wirklichen Interessen der Mitglieder, einen Reallohnverlust abzuwenden, spielen eine untergeordnete Rolle.

Daher ist es wichtig, dass sich aktive Beschäftigte, die Kritik am Apparat üben, verbünden und in verschiedenen Gremien Anträge für einen Erzwingungsstreik für unsere Ursprungsforderung einreichen. Denn unrealistisch ist es nicht, das hat auch die unerwartete Mobilisierungswelle der letzten Monate gezeigt.