GDL-Streik: Volle Durchsetzung der Forderungen, oder?

Leo Drais, Neue Internationale 280, Februar 2023

Seit dem 10. Januar legten die Mitglieder der GDL bundesweit für drei Tage den Bahnverkehr lahm. Die Streikfront stand fest, fast nichts ging mehr bei der Bahn. Denn die Beschäftigten mussten in den letzten Jahren nicht nur Reallohneinbußen hinnehmen, sondern vor allem die Arbeitsbedingungen sind angesichts von Schichtarbeit, Überstunden Streik und Kampf der Gewerkschafter:innen verdienen die Solidarität und Unterstützung der gesamten Arbeiter:innenklasse – auch der DGB-Gewerkschaften!

Wie bei jedem Arbeitskampf bei der Bahn, also auch den Warnstreiks der EVG, hat es sich der Konzern auch diesmal nicht nehmen lassen, zu sabotieren, herauszuzögern und die GDL vors Arbeitsgericht zu zerren. Im Unterschied zum verbotenen EVG-Streik im vergangenen Sommer war die Staatsjustiz der GDL erst- wie zweitinstanzlich wohlgesonnener und erlaubte den Streik, was sicher auch an der rechtlich besseren Absicherung der GDL liegt.

Sie hatte – und darin unterscheidet sie sich bei der Bahn positiv von den Tarifrundenritualen der DGB-Gewerkschaften – die Verhandlungen schnell eskalieren lassen und eine Urabstimmung durchgeführt. Nach dem Weihnachtsfrieden wurde gestreikt – nicht unbefristet und nicht, ohne am Montag und Dienstag die An- und Abreise für die rechten Apparatschiks des deutschen Beamtenbundes (die GDL ist hier Mitgliedsgewerkschaft) zur Jahrestagung in Köln sichergestellt zu haben. Man bestreikt sich ja nicht selbst, sprich, den eigenen Apparat. So wichtig die Solidarität mit dem Streik, so wenig sollten wir freilich blauäugig sein gegenüber der Politik der GDL-Führung.

Volle Durchsetzung der Forderungen oder des Netinera-Abschlusses?!

Das Paket „Fünf für Fünf“ (fünf Forderungen für fünf Berufsgruppen), mit dem die GDL ins Rennen ging, belief sich auf 555 Euro mehr in der Tabelle, darunter deutliche Entgelterhöhung für Azubis; Zulagen + 25 %; 35-Stunden-Woche für Schichtarbeitende (inkl. Wahlrecht für Beschäftigte zwischen 40- und 35-Stundenwoche); Inflationsausgleichsprämie 3.000 Euro; 5-Schichten-Woche, 5 % Arbeit„geber“:innenanteil für die betriebliche Altersversorgung; nach 5 Schichten, spätestens nach 120 Stunden, muss der nächste Ruhetag beginnen (Mindestfrei: 48 Stunden); 12 Monate Laufzeit.

Doch wird das jetzt durch einen Erzwingungsstreik durchgesetzt? Nein. Bereits jetzt ist klar, dass die Abschlüsse bei Netinera-Deutschland (u a. ODEG und vlexx; Töchter der italienischen Staatsbahn Trenitalia), metronom und Go-Ahead als Vorbilder dienen sollen.

Was steht dort drin? Ab 2028 kommt die 35-Stunden-Woche, bis dahin schrittweise Anpassung der Arbeitszeit; eine Inflationsausgleichsprämie über 3.000 Euro in zwei Schritten; eine Entgelterhöhung 2024 in zwei Schritten um brutto 420 Euro; Zuschläge +5 %. Die Entgeltlaufzeit beträgt 24 Monate, die der Arbeitszeit geht bis Ende 2027. Erkauft wird das Ganze wohl damit, dass das Wahlmodell mit zusätzlichem Urlaub wegfällt – die kürzere Arbeitszeit bringt unterm Strich zwar mehr Freizeit, aber eben bestimmt durch Dienstpläne und nicht nach den selbst ausgewählten Urlaubszeiträumen, wobei über diese letztlich auch die Disponent:innen und Personaleinsatzplaner:innen entscheiden.

Und auch wenn das Ganze sicher kein vollendeter Verrat ist, ist es mit Sicherheit auch kein „historischer Abschluss“, wie die GDL titelt. Die Reallohnverluste der vergangenen drei Jahre werden damit nicht ausgeglichen werden. Die Streikbeteiligung bei DB, Transdev und City-Bahn dürfte trotzdem hoch sein, während bei Netinera kein:e Kolleg:in die Möglichkeit hatte, über den „historischen Abschluss“ in einer Urabstimmung zu entscheiden. Die sonst so laute GDL-Spitze rühmt sich hier damit, dass sie auch leise könne. Am Ende ist sie eben eine Sozialpartnerin wie andere Gewerkschaften auch. Netinera warb Lokführer:innen sogar damit, dass Claus Weselsky ODEG fahren würde, wäre er noch Lokführer.

Bis zum 20. Januar hat die GDL weitere ähnliche Tarifverträge mit Abellio Rail und anderen privaten Unternehmen abgeschlossen. Während Weselsky durchaus zu Recht über den Bahnvorstand herzieht, überhäuft er die privaten Bahnunternehmen mit Lob. „Alle Unternehmen haben lösungsorientiert gehandelt und so die Abschlüsse ermöglicht“, heißt es in einer Pressemitteilung vom 19. Januar. Kurzum, wird die GDL als echte Sozialpartnerin anerkannt, braucht es auch keine Streiks. Dann reicht in guter deutscher Manier ein Verhandlungsmarathon.

Nach den Warnstreiks vom Januar hat die Bahn AG ein neues Verhandlungsangebot vorgelegt, auf das bei Drucklegung noch keine Reaktion der GDL vorliegt. Deutlich ist jedoch eines: Der GDL geht es nicht um die Durchsetzung der vollen Forderungen bei der Bahn, sondern darum, dass diese die Abschlüsse der privatisierten Konkurrenz übernimmt.

Linke sollten also keine Illusionen hegen. Auch bei der GDL gibt es weder Streikdemokratie noch jederzeit wähl- und abwählbare Gremien. Gerade deshalb müssten wir fordern: volle Durchsetzung der Forderungen durch einen unbefristeten Erzwingungsstreik. Das wäre im sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftssumpf der BRD in der Tat mal historisch.

Nur Tarif?

Trotzdem muss man natürlich anerkennen, dass die Abschlüsse der GDL besser sind als die der EVG. Wie schon in der Vergangenheit erscheint Letztere als Konkurrentin, der es Mitglieder abzuluchsen gilt. Dass die DB weiterhin das schändliche Tarifeinheitsgesetz anwendet, gießt hier weiter Öl ins Feuer – war das Gesetz nicht zuletzt auch von DGB-/SPD-Spitzen durchgesetzt worden. Auch der EVG-Vorsitzende Burkert hatte dem als Bundestagsabgeordneter zugestimmt.

Dass die GDL als kämpferischer Stern am deutschen Gewerkschaftshimmel prangt, liegt zum einen an ihren in Relation zu anderen Abschlüssen betrachteten vergleichsweise guten Erfolgen. Es ist aber eben eine relative Betrachtungsweise, in der eigentliche Eisenbahnzerstörer:innen und sozialpartnerschaftliche Füße-Stillhalter:innen – nichts anderes ist auch die Spitze der GDL – als Held:innen erscheinen, weil die EVG-Spitze und ihre Vorgänger:innen bei Transnet (Stichwort Norbert Hansen) einfach noch beschissener waren.

Es gehört zu den Paradoxien des deutschen Klassenfriedens, dass CDU-Mitglied Claus Weselsky sich mit einer angehaucht klassenkämpferischen Rhetorik als glaubwürdigster Arbeiter:innenführer stilisieren konnte. Dass die CDU eine wesentliche Zerstörerin der Eisenbahn in Deutschland war, 16 Jahre die Union das Autoministerium führte, sie das Tarifeinheitsgesetz mit verabschiedet hat – all das hat ihn nie sein Parteibuch abgeben lassen.

Und das ist kein Zufall. Im Verständnis des großen Vorsitzenden Claus ist der Markt gar nicht das Problem für die Bahn, solange es Gewerkschaften gibt, die für einen „fairen“ Preis der Ware Arbeitskraft sorgen. Dass die GDL da im vergangenen Sommer mit der „Fair-Train e. G.“ eine eigene Leiharbeitsfirma gegründet hat, ist nur folgerichtig.

Auch wenn es Claus Weselsky bestreitet – die GDL ist auch eine politische Kraft. Sie ist für die weitere Zerschlagung des Eisenbahnsystems, sprich der DB. Die GDL hat kein Problem mit hunderten EVU (Eisenbahnverkehrsunternehmen), solange diese mit ihr Abschlüsse tätigen. Doch genau diese hunderte EVU sind Teil der Eisenbahnkrise in Deutschland – nicht nur die verfluchte DB. Scheiße bleibt Scheiße, auch wenn man sie noch weiter aufteilt.

Zudem verschwimmt hinter Weselskys gewerkschaftlicher Rolle sein leidenschaftlicher Konservatismus. Er beriet das AfD-Absprengsel Bündnis Deutschland und eine Distanzierung von AfD-Mitgliedern in den eigenen Reihen lehnt er ab – das sei nicht Aufgabe der Gewerkschaften.

Natürlich ist die GDL mehr als nur Claus Weselsky. Die Ortsgruppe der S-Bahn-Berlin ist vergleichsweise links und die GDL Mitglieder allgemein spiegeln wahrscheinlich einfach durchschnittliches gewerkschaftliches Bewusstsein wider, was, bedingt durch das Charisma ihres Vorsitzenden und die passablen Abschlüsse, stolz auf seine Mitgliedschaft ist. Mit dem baldigen Ruhestand Weselskys stellt sich hier die Frage, wer in seine großen Fußstapfen folgen soll. Ob es wirklich Mario Reiß wird, bleibt abzuwarten – jüngst kam heraus, dass er es war, der als GDL-Mitglied im Aufsichtsrat des sonst so verfluchten DB-Konzerns 2022 zugestimmt hatte, die Vergütung des DB-Vorstandes zu erhöhen, während die GDL sonst nicht müde wird, die Bonuszahlungen von Lutz, Seiler und Co. anzuprangern. Nicht genug damit – die Mitgliedschaft wurde obendrein belogen und die Zustimmung zu den Vorstandsgehältern den Aufsichtsratsmitgliedern der EVG in die Schuhe geschoben (die ihrerseits auch nicht den Arsch in der Hose hatten, abzulehnen, sondern sich bloß zu enthalten).

Eine Gewerkschaft, eine Eisenbahn

Natürlich verdient die GDL, verdienen die Kolleg:innen unsere Solidarität, erst recht die der EVG-Mitglieder. Eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wäre definitiv ein Zugewinn, erst recht in einem von Wechselschichtarbeit geprägten Berufsleben. Gegen die Angriffe des DB-Konzerns, der nicht nur den Streik mit einer einstweiligen Verfügung stoppen wollte, sondern mit Verweis auf „Fair-Train e. G.“ der GDL auch generell die Tariffähigkeit richterlich absprechen lassen will, gehört jene verteidigt.

Zugleich dürfen wir nicht kritiklos in den „Claus, Claus, Claus“-Chor einstimmen. Politisch ist die GDL die rechtere der beiden Bahngewerkschaften. Strukturell undemokratisch ist sie ähnlich wie die EVG, vielleicht noch eine Spur autoritärer. Wer einfach nur das bessere Angebot für den eigenen Geldbeutel sucht, wird vielleicht zur GDL gehen, vielleicht auch nicht, je nach Tarifeinheitsgesetz und DB-Betrieb.

Wer jedoch wirklich eine funktionierende Bahn mit guten Löhnen und selbstbestimmter Organisation haben will, muss einen Kampf in GDL wie EVG für eine einzige, basisdemokratische Verkehrsgewerkschaft führen. Anstatt sich gegeneinander aufzubringen oder aufbringen zu lassen, sollten sich die Basiseinheiten beider Gewerkschaften mal zusammentun und darüber diskutieren: Was für eine Bahn, was für eine Gewerkschaft brauchen und wollen wir? Viele private EVU auf marodem Netz oder doch eine staatliche europäische Bahn ohne Profitzwang? Mit einer Gewerkschaft, die sich nicht nur auf Tarif konzentriert, sondern beginnt, in der Organisation der Eisenbahn und der Verkehrswende eine entscheidende Rolle in Planung, Bau und Betrieb zu spielen, indem sie für Arbeiter:innenkontrolle über die Bahn kämpft.

Auf dem Weg dahin liegt noch nicht mal der Schotter, geschweige denn ein befahrbares Gleis. Wir müssten es selbst bauen. Und große Vorsitzende werden uns dann im auch im Weg stehen.




GDL-Streik: Für Fünf für Fünf – oder was?

Leo Drais, Infomail 1241, 11. Januar 2024

Seit dem 10. Januar legen die Mitglieder der GDL bundesweit für drei Tage den Bahnverkehr lahm. Die Streikfront steht. Denn die Beschäftigten mussten in den letzten Jahren nicht nur Reallohneinbußen hinnehmen, sondern vor allem die Arbeitsbedingungen sind angesichts von Schichtarbeit, Überstunden und Personalmangel schier unerträglich. Der Streik und der Kampf der Gewerkschafter:innen verdient die Solidarität und Unterstützung der gesamten Arbeiter:innenklasse – auch der DGB-Gewerkschaften!

Wie bei jedem Arbeitskampf bei der Bahn, also auch den Warnstreiks der EVG, hat es sich der Konzern auch diesmal nicht nehmen lassen, zu sabotieren, herauszuzögern und die GDL vors Arbeitsgericht zu zerren. Im Unterschied zum verbotenen EVG-Streik im vergangenen Sommer war die Staatsjustiz der GDL erst- wie zweitinstanzlich wohlgesonnener und erlaubte den Streik, was sicher auch an der rechtlich besseren Absicherung der GDL liegt. Sie hatte – und darin unterscheidet sie sich bei der Bahn positiv von den Tarifrundenritualen der DGB-Gewerkschaften – die Verhandlungen schnell eskalieren lassen und eine Urabstimmung durchgeführt. Nun ist der Weihnachtsfrieden vorbei und es wird gestreikt – nicht unbefristet und nicht, ohne am Montag und Dienstag die An- und Abreise für die rechten Apparatschiks des deutschen Beamtenbundes (die GDL ist hier Mitgliedsgewerkschaft) zur Jahrestagung in Köln sichergestellt zu haben. Man bestreikt sich ja nicht selbst, sprich, den eigenen Apparat. So wichtig die Solidarität mit dem Streik, so wenig sollten wir freilich blauäugig sein gegenüber der Politik der GDL-Führung.

Volle Durchsetzung der Forderungen oder des Netinera-Abschlusses?!

Das Paket „Fünf für Fünf“ (fünf Forderungen für fünf Berufsgruppen), mit dem die GDL ins Rennen ging, belief sich auf 555 Euro mehr in der Tabelle, darunter deutliche Entgelterhöhung für Azubis; Zulagen + 25 %; 35-Stunden-Woche für Schichtarbeitende (inkl. Wahlrecht für Beschäftigte zwischen 40- und 35-Stundenwoche); Inflationsausgleichsprämie 3.000 Euro; 5-Schichten-Woche, 5 % Arbeit„geber“:innen-Anteil für die betriebliche Altersversorgung; nach 5 Schichten, spätestens nach 120 Stunden, muss der nächste Ruhetag beginnen (Mindestfrei: 48 Stunden); 12 Monate Laufzeit.

Doch wird das jetzt durch einen Erzwingungsstreik durchgesetzt? Nein. Bereits jetzt ist klar, dass die Abschlüsse bei Netinera-Deutschland (u a. ODEG und vlexx; Töchter der italienischen Staatsbahn Trenitalia), metronom und Go-Ahead als Vorbilder dienen sollen.

Was steht dort drin? Ab 2028 kommt die 35-Stunden-Woche, bis dahin schrittweise Anpassung der Arbeitszeit; eine Inflationsausgleichsprämie über 3.000 Euro in zwei Schritten; eine Entgelterhöhung 2024 in zwei Schritten um brutto 420 Euro; Zuschläge +5 %. Die Entgeltlaufzeit beträgt 24 Monate, die der Arbeitszeit geht bis Ende 2027. Erkauft wird das Ganze wohl damit, dass das Wahlmodell mit zusätzlichem Urlaub wegfällt – die kürzere Arbeitszeit bringt unterm Strich zwar mehr Freizeit, aber eben bestimmt durch Dienstpläne und nicht nach den selbst ausgewählten Urlaubszeiträumen, wobei über diese letztlich auch die Disponent:innen und Personaleinsatzplaner:innen entscheiden.

Und auch wenn das Ganze sicher kein vollendeter Verrat ist, ist es mit Sicherheit auch kein „historischer Abschluss“, wie die GDL titelt. Die Reallohnverluste der vergangenen drei Jahre werden damit nicht ausgeglichen werden. Die Streikbeteiligung bei DB, Transdev und City-Bahn dürfte trotzdem hoch sein, während bei Netinera kein:e Kolleg:in die Möglichkeit hatte, über den „historischen Abschluss“ in einer Urabstimmung abzustimmen. Die sonst so laute GDL-Spitze rühmt sich hier damit, dass sie auch leise könne. Am Ende ist sie eben eine Sozialpartnerin wie andere Gewerkschaften auch. Netinera warb Lokführer:innen sogar damit, dass Claus Weselsky ODEG fahren würde, wäre er noch Lokführer. Linke sollten hier keine Illusionen hegen. Auch bei der GDL gibt es weder Streikdemokratie noch jederzeit wähl- und abwählbare Gremien. Gerade deshalb müssten wir fordern: volle Durchsetzung der Forderungen durch einen unbefristeten Erzwingungsstreik. Das wäre im sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftssumpf in der BRD in der Tat mal historisch.

Nur Tarif?

Trotzdem muss man natürlich anerkennen, dass die Abschlüsse der GDL besser sind als die der EVG. Wie schon in der Vergangenheit erscheint sie als Konkurrentin, der es Mitglieder abzuluchsen gilt. Dass die DB weiterhin das schändliche Tarifeinheitsgesetz anwendet, gießt hier weiter Öl ins Feuer – war das Gesetz nicht zuletzt auch von DGB-/SPD-Spitzen durchgesetzt worden. Auch der EVG-Vorsitzende Burkert hatte dem als Bundestagsabgeordneter zugestimmt.

Dass die GDL als kämpferischer Stern am deutschen Gewerkschaftshimmel prangt, liegt zum einen an ihren in Relation zu anderen Abschlüssen betrachteten vergleichsweise guten Erfolgen. Es ist aber eben eine relative Betrachtungsweise, in der eigentliche Eisenbahnzerstörer:innen und sozialpartnerschaftliche Füße-Stillhalter:innen – nichts anderes ist auch die Spitze der GDL – als Held:innen erscheinen, weil die EVG-Spitze und ihre Vorgänger:innen bei Transnet (Stichwort Norbert Hansen) einfach noch beschissener waren.

Es gehört zu den Paradoxien des deutschen Klassenfriedens, dass CDU-Mitglied Claus Weselsky sich mit einer angehaucht klassenkämpferischen Rhetorik als glaubwürdigster Arbeiter:innenführer stilisieren konnte. Dass die CDU eine wesentliche Zerstörerin der Eisenbahn in Deutschland war, 16 Jahre die Union das Autoministerium führte, sie das Tarifeinheitsgesetz mit verabschiedet hat – all das hat ihn nie sein Parteibuch abgeben lassen.

Und das ist kein Zufall. Im Verständnis des großen Vorsitzenden Claus ist der Markt gar nicht das Problem für die Bahn, solange es Gewerkschaften gibt, die für einen „fairen“ Preis der Ware Arbeitskraft sorgen. Dass die GDL da im vergangenen Sommer mit der „Fair-Train e. G.“ eine eigene Leiharbeitsfirma gegründet hat, ist nur folgerichtig.

Auch wenn es Claus Weselsky bestreitet – die GDL ist auch eine politische Kraft. Sie ist für die weitere Zerschlagung des Eisenbahnsystems, sprich der DB. Die GDL hat kein Problem mit hunderten EVU, solange diese mit iht Abschlüsse tätigen. Doch genau diese hunderte EVU sind Teil der Eisenbahnkrise in Deutschland – nicht nur die verfluchte DB. Scheiße bleibt Scheiße, auch wenn man sie noch weiter aufteilt.

Zudem verschwimmt hinter Weselskys gewerkschaftlicher Rolle sein leidenschaftlicher Konservatismus. Er beriet das AfD-Absprengsel Bündnis Deutschland und eine Distanzierung von AfD-Mitgliedern in den eigenen Reihen lehnt er ab – das sei nicht Aufgabe der Gewerkschaften.

Natürlich ist die GDL mehr als nur Claus Weselsky. Die Ortgruppe der S-Bahn-Berlin ist vergleichsweise links und die GDL Mitglieder allgemein spiegeln wahrscheinlich einfach durchschnittliches gewerkschaftliches Bewusstsein wider, was durch das Charisma ihres Vorsitzenden und die passablen Abschlüsse stolz auf seine Mitgliedschaft ist. Mit dem baldigen Ruhestand Weselskys stellt sich hier die Frage, wer in seine große Fußstapfen folgen soll. Ob es wirklich Mario Reiß wird, bleibt abzuwarten – jüngst kam heraus (https://www.youtube.com/watch?v=b4DaFhOzaL0), dass er es war, der als GDL-Mitglied im Aufsichtsrat des sonst so verfluchten DB-Konzerns 2022 zugestimmt hatte, die Vergütung des DB-Vorstandes zu erhöhen, während die GDL sonst nicht müde wird, die Bonuszahlungen von Lutz, Seiler und Co. anzuprangern. Nicht genug damit – die Mitgliedschaft wurde obendrein belogen und die Zustimmung zu den Vorstandsgehältern den Aufsichtsratsmitgliedern der EVG in die Schuhe geschoben (die ihrerseits auch nicht den Arsch in der Hose hatten, abzulehnen, sondern sich bloß zu enthalten).

Eine Gewerkschaft, eine Eisenbahn

Natürlich verdient die GDL, verdienen die Kolleg:innen unsere Solidarität, erst recht die der EVG-Mitglieder. Eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wäre definitiv ein Zugewinn, erst recht in einem von Wechselschichtarbeit geprägten Berufsleben. Gegen die Angriffe des DB-Konzerns, der nicht nur den Streik mit einer einstweiligen Verfügung stoppen wollte, sondern mit Verweis auf „Fair-Train e. G.“ der GDL auch generell die Tariffähigkeit richterlich absprechen lassen will, gehört jene verteidigt.

Zugleich dürfen wir nicht kritiklos in den „Claus, Claus, Claus“-Chor einstimmen. Politisch ist die GDL die rechtere der beiden Bahngewerkschaften. Strukturell undemokratisch ist sie ähnlich wie die EVG, vielleicht noch eine Spur autoritärer. Wer einfach nur das bessere Angebot für den eigenen Geldbeutel sucht, wird vielleicht zur GDL gehen, vielleicht auch nicht, je nach Tarifeinheitsgesetz und DB-Betrieb.

Wer jedoch wirklich eine funktionierende Bahn mit guten Löhnen und selbstbestimmter Organisation haben will, muss einen Kampf in GDL wie EVG für eine einzige, basisdemokratische Verkehrsgewerkschaft führen. Anstatt sich gegeneinander aufzubringen oder aufbringen zu lassen, sollten sich die Basiseinheiten beider Gewerkschaften mal zusammentun und darüber diskutieren: Was für eine Bahn, was für eine Gewerkschaft brauchen und wollen wir? Viele private EVU auf marodem Netz oder doch eine staatliche europäische Bahn ohne Profitzwang? Mit einer Gewerkschaft, die sich nicht nur auf Tarif konzentriert, sondern beginnt, in der Organisation der Eisenbahn und der Verkehrswende eine entscheidende Rolle in Planung, Bau und Betrieb zu spielen, indem sie für Arbeiter:innenkontrolle über die Bahn kämpft.

Auf dem Weg dahin liegt noch nicht mal der Schotter, geschweige denn ein befahrbares Gleis. Wir müssten es selbst bauen. Und große Vorsitzende werden uns dann im auch im Weg stehen.




Tarifvertrag Länder: Ausverkauf neu aufgelegt

Mattis Molde, Infomail 1238, 12. Dezember 2023

Das Ergebnis der Tarifverhandlungen ist nicht wirklich eine Überraschung. Nachdem in ver.di und der GEW die gleiche Forderung wie beim TVÖD, dem Tarifvertrag für die Beschäftigten beim Bund und bei Kommunen, aufgestellt worden war, war klar, dass die Gewerkschaftsführung dieses Ergebnis auch für die Beschäftigten bei den Ländern anstrebt.

„Mit diesem Ergebnis knüpfen die Beschäftigten der Länder an die Tarifentwicklung bei Bund und Kommunen an.“, sagt der Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Werneke. Mehr sollten sie wohl auch nicht bekommen:

  • Inflationsausgleich von insgesamt 3000 Euro in Teilzahlungen. 1800 Euro davon sollen bereits in diesem Dezember fließen, weitere 120 Euro dann jeweils in den Monaten von Januar bis Oktober 2024.

  • Für Auszubildende, Dualstudierende und Praktikant:innen gäbe es dementsprechend 1000 Euro im Dezember 2023 und sie erhalten von Januar bis Oktober 2024 jeweils 50 Euro pro Monat.

  • Zum 1. November 2024 sollen die Entgelte in einem ersten Schritt um einen Betrag von 200 Euro angehoben werden.

  • In einem zweiten Schritt soll im Februar 2025 der dann erhöhte Betrag noch einmal um 5,5 Prozent steigen. Die gesamte Erhöhung soll allerdings in jedem Fall 340 Euro betragen (was nur für ganz wenige in der Entgeltstufe 1 zutrifft ).

  • Die Laufzeit soll sich auf 25 Monate (bis 30.10.2025). erstrecken, also einen Monat länger als beim TVÖD.

Im März hatte Werneke den damaligen Abschluss so gelobt: „Das ist eine nachhaltige Steigerung der Einkommen, die beachtlich ist“.

Das ist damals wie heute eine Lüge. Der Abschluss bedeutet einen heftigen Reallohnverlust. Die prozentuale Steigerung auf 12 Monate bezogen, liegt zwischen 4,2 und 8,1 Prozent, für die Mehrheit der Beschäftigten bei 5-6 Prozent. Das liegt unter der Inflation der letzten 2 Jahre und vermutlich auch der kommenden Zeit. Zur Erinnerung: Für die vergangenen 24 Monate hatte es gerade mal 2,8 Prozent gegeben und eine steuerfreie Prämie von 1300 Euro.

Einmalzahlungen

Die Einmalzahlungen von insgesamt 3000 Euro sehen auf den ersten Blick gut aus. Das ist jedoch eine mehrfache Täuschung:

  • Dieser Betrag geht wieder nicht in die Tabelle ein. Das Gesamteinkommen über die Laufzeit des Tarifvertrages fällt also nach dessen Ende automatisch. Die erreichten Preiserhöhungen werden mit Sicherheit nicht wieder entfallen.

  • Er geht auch nicht in Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld ein und in alle Zulagen, die sich prozentual auf das Grundgehalt beziehen.

  • Auch in den vergangenen Jahren waren in den Tarifverträgen Einmalzahlungen von insgesamt 1300 Euro vereinbart worden, die jetzigen sind also teilweise nur eine Fortsetzung dieser Zahlungen. Eine „Entwicklung“(Werneke) stellen nur weniger als 1700 Euro dar, die, bezogen auf 25 Monate, knapp 70 Euro „Inflationsausgleich“ monatlich darstellen.

  • Aus diesen Einmalzahlungen werden keine Rentenbeiträge abgeführt. Die Beschäftigten zahlen also auch mit zukünftigem Rentenminus;

  • Weil diese Prämie kein „regelmäßiges Einkommen“ darstellt, wird sie auch nicht bei „Transferleistungen“ berücksichtigt, z.B. Elterngeld, Arbeitslosengeld oder Krankengeld. Wer z.B. am 1.11. 2024 in Elternzeit geht, erhält 150 Euro weniger Elterngeld im Monat als wenn sie/er eine Gehaltserhöhung von 3000 Euro netto während des ersten Jahres der Tarifvertrags- Laufzeit bekommen hätte. Der Staat holt sich als einiges davon zurück, so bei Eltern, Leuten, die länger krank sind oder arbeitslos werden.

Diese Inflationsausgleichprämie war als gesetzliche Möglichkeit bei der „Konzertierten Aktion“ (also einvernehmlich zwischen Regierung, Gewerkschaften und den KapitalvertreterInnen) im Herbst 2022 ausgehandelt worden, und sie fließt seitdem in alle Tarifverträge ein, ohne von Gewerkschaftsseite je in den Forderungen aufgetaucht zu sein. Genauso sind die Folgen dieser Prämie in keiner Gewerkschaft wirklich dargestellt und diskutiert worden. Einzige Ausnahme ist die NGG, bei der einige Tarifverträge auf die volle Ausschöpfung der 3000 Euro verzichten und stattdessen höhere Tabellenerhöhungen angestrebt wurden.

Weitere Ergebnisse

Weitere Aspekte sind Zulagen für Psychiatrien, den Justiz- und Maßregelvollzug, die Sozial- und Erziehungsdienste sowie den Straßenbetriebsdienst. Pflegekräfte im Gesundheitsbereich sind etwas „besser“ gestellt worden, indem sie dynamisierte Zulagen erhalten. Aber auch diese sind weit weg von einem Inflationsausgleich oder Anreiz im Beruf zu bleiben oder um neue Kräfte zu gewinnen. Darüber hinaus wird in Berlin die Hauptstadtzulage des TV-ÖD übernommen, die Stadtstaaten Bremen und Hamburg haben warme Worte erhalten: eine Gesprächszusage für Mitte 2025.

Es wurde kein TV-Stud, der angestrebte Tarifvertrag für studentische Beschäftigte, auf Bundesebene durchgesetzt. Dieser TV ist auf den Sankt Nimmerleinstag abgeschoben worden. Hier werden ein paar popelige Lohnerhöhung ab dem Sommersemester 2024 auf 13,25 Euro/Stunde und ab dem Sommersemester 2025 auf 13,98 Euro in Aussicht gestellt. Auch einige kleine Änderungen bei Befristungen gibt es. Zum Vergleich, die GEW hatte ursprünglich 22 Euro gefordert. Was der „erste wichtige Schritt hin zu einem zukünftigen Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte“, von dem Werneke spricht, sein soll, hat er wohl aus gutem Grund nicht ausgeführt.

Auf die Beamt:innen soll dieser Vertrag wertgleich übertragen werden. Die vielen Beschäftigten, die nicht direkt dem TV-L unterliegen, aber für die selbiger angewendet wird, („Anwender:innen“) werden bisher überhaupt nicht erwähnt, ihnen drohen weitere Abstriche je nach Arbeit“geber:in“.

Warum diese Niederlage?

Das Ergebnis kann nicht ohne den Ablauf der Tarifrunde bewertet werden. Am Anfang wurden bei GEW und ver.di alle Diskussionen über die Forderungen unterdrückt und gegebenenfalls abgewürgt. Stattdessen wurde eine „Befragung“ organisiert, bei der keine eigenen Vorschläge gemacht werden konnten.

Eine solche Art von gesteuerter „Diskussion“ erlaubte es der Führung, eine Forderung aufzustellen, die sie offensichtlich von vornherein beabsichtigt hatte. Warum aber haben die Spitzenbürokrat:innen nicht im Vorfeld offen für diese geworben? Die Argumente, mit denen sie diese Forderung rechtfertigten, hätten sie auch schon 2 Monate zuvor in einer demokratischen Debatte innerhalb der Gewerkschaften vorbringen können, nämlich dass der Öffentliche Dienst doch eine Gemeinschaft sei, egal ob Bund, Länder oder Kommunen, dass die wirtschaftliche Lage ähnlich sei, die Inflation vielleicht sogar etwas zurückgegangen sei.

Ganz offensichtlich sollte nicht nur genau diese Forderung durchgedrückt, sondern auch eine innergewerkschaftliche Debatte vermieden werden. Diese hätte auch die soziale Lage, die Politik der Regierung, die diese mitverursacht hat, die TVöD-Runde, in der die Gegenseite mal wieder das berüchtigte Schlichtungsabkommen zog (an dem die Bürokratie aber festhält, obwohl es der Gewerkschaft immer nur Nachteile verschafft), und den Abschluss einbezogen.

Es wären also die Kritik gekommen, die jetzt nach dem erneut vollzogenen Reallohnverlust kommt, und den Spielraum für Manöver eingeschränkt. Es hätte im Übrigen auch Raum für ein Kritik an der Ampel von links, von den Gewerkschaften her, geschaffen, stattdessen wird diese Kritik völlig den Rechten überlassen, die Gesellschaft und Ampel in eine wüste rassistische Debatte hineintreiben.

Was bedeutete dieses Vorgehen?

Das antidemokratische Vorgehen der Führung schon während der laufenden Tarifrunde hat eine klare Botschaft: Wir entscheiden, wie die Forderung aussieht, wir entscheiden, ob und wie gekämpft wird, und wir entscheiden, was abgeschlossen wird.

Es bekräftigt die Aussage des TVöD-Tarifkampfes: Ihr könnt die Forderung von unten hochdrücken, ihr könnt Euch und Eure Kolleg:innen besser mobilisieren als die letzten 15 Jahre, wir drücken trotzdem das durch, was wir für richtig halten, was wir mit der Regierung in der Konzertierten Aktion vor einem Jahr abgesprochen haben, und wir werden es schaffen, uns durch unverbindliche „Befragungen“ oder „Voten“ eine Legitimation zu holen. Die Zustimmung der Bundestarifkommission zu diesem Ergebnis, die erneute Durchführung eines „Votums“ statt Vollversammlungen in den Ämtern, Behörden und Betrieben, ja, die Weigerung der GEW selbst eine solche „Befragung“ durchzuführen, bestätigt diesen Durchgriff von oben!

Es bekräftigt die Gesamtaussage aller großen Tarifauseinandersetzungen des letzten Jahres, dass, egal wie hoch der Organisationsgrad und die Kampfbereitschaft sind, sie schützen nicht davor, in Tarifverhandlungen von der Führung ausverkauft zu werden. Im Verlauf des letzten Jahres haben Chemie, Metall, TVöD, Post und EVG sehr ähnliche Abschlüsse erzielt. Jetzt wurde bei dem angeblich so schlecht organisiertem Öffentlichen Dienst der Länder an  wenigen, zersplitterten Streiktagen das gleiche Ergebnis erzielt, wie bei Bund und Kommunen mit 29 Streiktagen! Viele Gewerkschaften, aber eine Politik!

Was bedeutet dies für kämpferische Gewerkschafter:innen?

Die Tatsache, dass offensichtlich die ver.di-Spitze ein abgekartetes Spiel spielt, darf keinesfalls bedeuten, auf Tarifkampf zu verzichten. Das würde gerade den rechten Bürokrat:innen in der Gewerkschaft entgegenkommen. Die verzichten gern auf kämpferische Leute und stützen sich auf Trägheit und Gehorsam. Letztlich macht das auch der „linke“ Flügel des Apparates, der zwar auf mehr Dynamik und organisierte Mobilisierung setzt, aber nicht minder energisch auf die Kontrolle der Tarifbewegung und des Ergebnisses pocht. Zum Des Weiteren würde die Gegenseite eine Schwäche der Gewerkschaft sofort ausnutzen, einen noch schlechteren Abschluss durchzudrücken.

Alle, die unzufrieden sind und ein anderes Ergebnis wollen, müssen sich zum Sprachrohr der teilweise großartigen Mobilisierung machen, die in den Stadtstaaten, aber auch in den Unikliniken der Länder und anderen Hotspots, z. B. Sozialwesen, deutlich stärker war als in früheren Runden. Woche für Woche beteiligten sich zehntausende Landesbeschäftigte – Erzieher:innen, Sozialarbeiter:innen, Lehrer:innen, Beschäftigte an den Hochschulen, an Kultur- und Bildungseinrichtungen der Länder, aus der Verwaltung, von Landesklinken, studentische Beschäftigte und viele mehr – an den Warnstreiks.

In vielen Städten und Regionen widerlegten sie so eindrucksvoll die Behauptung, dass die Landesbeschäftigten mobilisierungsschwach und faktisch kampfunfähig wären. Am Stadtstaatenstreik beteiligten sich in Berlin, Hamburg und Bremen am 22. November um die 20.000 Kolleg:innen. Am Bildungsstreiktag, dem 28. November, gingen lt. Gewerkschaften in Leipzig 7.000, in Berlin 6.000 Streikende auf die Straße, bundesweit wohl Zehntausende. Dabei hatten sich schon dem Branchenstreik der Sozial- und Erziehungsdienste, der studentischen und universitären Beschäftigten und anderer am 24. November lt. ver.di 42.000 Gewerkschaftsmitglieder angeschlossen. Aber letztlich waren sie im Kalkül der Führung nur Statist:innen für einen Abschluss, den sie immer schon anvisierte.

Vom Unmut über den Abschluss zum Kampf gegen die Bürokratie

Die Taktik der Bürokrat:innen nach einem solchen Abschluss ist es stets, die Diskussion in ein Klein-Klein zu zerreden, den heftigsten Kritiker:nnen einzelne kleine Fehler zuzugestehen und darauf zu vertrauen, dass die Masse der Unzufriedenen murrt, aber passiv bleibt.

Es gilt also einerseits klar zu machen, dass die Gewerkschaftsspitzen dieses und kein anderes Ergebnis wollten. Für sie sind die Interessen des Staates bzw. des Kapitals unantastbar, bestimmte Grenzen dürfen nicht überschritten werden: Die Firmen müssen weiterhin genügend Profit abwerfen und im Konkurrenzkampf bestehen, die Entscheidungen des Staates, z. B. zur Aufrüstung, für Waffenlieferungen oder Unternehmenssubventionen werden nicht in Frage gestellt. Dem ordnen sie die elementaren Lebensinteressen der Arbeitenden unter. Die Gewerkschaftsbürokratie hat eine andere Interessenslage als die Mitglieder.

Das zeigt sich in Tarifkämpfen und in diesem besonders deutlich. Aber was können wir tun? Eine große Kampfbereitschaft von Seiten der Basis ist zwar nötig, aber nicht ausreichend, wenn es darum geht, faule Kompromisse und Ausverkauf auf dem Rücken der Beschäftigten zu verhindern. Wir müssen gerade jetzt klare Forderung formulieren, die den Bürokrat:innen ihre Tricks und Manöver unterbinden. Unmittelbar heißt das:

Nein zum Abschluss!

  • Stimmt mit Nein bei der ver.di-Mitgliederbefragung! Fordert verbindliche Abstimmungen über das Ergebnis ein!

  • In allen Betrieben, Abteilungen, Schulen und Kitas müssen Mitgliederversammlungen und Treffen der Betriebsgruppen einberufen werden, die das Ergebnis nicht nur diskutieren und bewerten, sondern auch Beschlüsse fassen, die es klar ablehnen.

Alle, die mit Nein stimmen, sollten miteinander in Kontakt treten und diskutieren, wie wir weiter vorgehen. Auch wenn wir das Ergebnis kaum noch kippen können, so müssen wir uns für die weiteren Auseinandersetzungen koordinieren und nicht bis zur nächsten Tarifrunde warten.

Klassenkämpferische Alternative ist nötig!

Aber es braucht auch eine Perspektive und Lehren über die unmittelbare Ablehnung des Abschlusses hinaus. In den kommenden Jahren und Monaten stehen nicht nur Tarifrunden an. Die Haushaltkrise wird auch in Form von Kürzungen die Beschäftigten treffen. Wir können daher keine zwei Jahre warten, bis die nächsten Tarifverhandlungen ins Haus stehen, sondern müssen auch dazu mobilisieren. Wir müssen darum kämpfen, dass die Mobilisierung unter Kontrolle der Basis stattfindet. Sie soll entscheiden, ob und wann Arbeitsstreiks, Warnstreiks oder ein Flächenstreik stattfinden. Schluss mit der Zersplitterung bei Aktionen. Gemeinsamer Kampf der Beschäftigten bei Ländern, Bund und Kommunen u. a. durch Zusammenlegung der Tarifrunden TV-L und TVÖD! Kündigung der Schlichtungsabkommen!

Bei Tarifrunden darf es keinen Abschluss ohne Zustimmung der Basis geben. Alle Gewerkschaften sollen ihre Kämpfe und Streiks koordinieren, z. B. einen Schulterschluss mit der GDL und dem Handel herstellen und Solidaritätsaktionen in anderen Branchen bei ver.di, GEW, IG BAU wie in allen anderen DGB-Gewerkschaften organisieren.

Die Entscheidungen müssen transparent und demokratisch sein! Daher sollten nicht nur Mitglieder- und Belegschaftsversammlungen einberufen, sondern auch Streikkomitees gewählt werden. Die bundesweite Streikleitung und die Verhandlungsführung müssen diesen gegenüber rechenschaftspflichtig und durch sie wähl- und abwählbar sein, um einer wirklichen Kontrolle unterzogen zu werden. Statt Geheimverhandlungen brauchen wir öffentliche, transparente Tarifrunden.

Forderungen müssen von den Mitgliedern diskutiert und entschieden, nicht von oben diktiert werden! Die Tarifkommissionen müssen gewählt werden. Stimmrecht nur für Delegierte, die dem jeweiligen Tarifvertrag unterliegen, also kein Stimmrecht für die Angestellten der Gewerkschaften! Rechenschaftspflicht und jederzeitige Abwählbarkeit aller Kommissionsmitglieder! Schluss mit der Schweigepflicht!

Dazu ist nötig, dass wir uns auf allen Ebenen vernetzen und eine oppositionelle, klassenkämpferische Basisbewegung aufbauen, so dass wir von kritischen Betriebsgruppen zu einer bundesweiten ver.di-Opposition, z. B. im Rahmen der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), kommen. Nur so können wir die Tricks und Manöver der Bürokratie erkennen und bekämpfen und einen wirklichen Kurswechsel in den Gewerkschaften herbeiführen.




Stadtverwaltung Stuttgart: Der Streik ist legal!

Interview mit einer Beschäftigten der Stadtverwaltung, Infomail 1238, 11. Dezember 2023

Die Beschäftigten der Stuttgarter Stadtverwaltung kämpfen seit Wochen für Einkommensverbesserungen. Am 4. Dezember streikten sie für Einkommensverbesserungen im Rahmen der Altersteilzeit und eine Ballungsraumzulage. Das folgende Interview führten wir mit einer Streikenden.

Arbeiter:innenmacht (AM): Hallo, warum habt Ihr am 4. Dezember gestreikt? Der Tarifvertrag TVöD läuft doch noch?

Antwort: Das stimmt. Aber bei der letzten Tarifrunde zum TVöD wurde nicht über das Thema Altersteilzeit entschieden, da ein Abschluss dazu damit verbunden gewesen wäre, eine spätere Tabellenerhöhung zu bekommen. Dies wurde von der Tarifkommission damals abgelehnt.

Dadurch ist man rechtlich beim Thema Altersteilzeit außerhalb der Friedenspflicht und darf dafür streiken. Neben den Beschäftigten in Stuttgart machen auch die in Köln davon Gebrauch. Die Stadt Stuttgart ist gegen den ersten Streikaufruf rechtlich vorgegangen und hat vor Gericht verloren, was schon mal ein wichtiger Erfolg für uns Beschäftigte war.

AM: Es geht also um eine Regelung zur Altersteilzeit?

Antwort: Ja, und um eine Stuttgartzulage: Bei uns in der Betriebsgruppe (BG) ist das Thema Ballungsraumzulage schon länger präsent und es war klar, dass wir es nach der Tarifrunde angehen wollten. Die Stadt München hat ja schon jahrelang eine tarifierte Zulage. In der BG war uns deshalb immer klar, die Zulage wollen wir nur tarifiert. Die Höhe haben wir in der BG diskutiert und haben uns an der Zulage, welche sich die Bürgermeister:innen im März selbst gegeben haben, orientiert: 472,52 Euro im Monat für alle Beschäftigten mehr.

Nachdem wir ja für die Zulage nicht streiken dürfen, haben wir das Streikrecht für die Altersteilzeit genutzt, um das Thema Zulage zu platzieren. Seit Juli haben wir für eine Stuttgartzulage über 7.300 Unterschriften von 11.000 Beschäftigten gesammelt.

AM: Und dann habt ihr losgelegt?

Antwort: Im November war dann der erste Streiktag. Hier wurde der Tag der ersten Lesungen für die Haushaltsberatungen gewählt, da dort der Gemeinderat über das Thema diskutieren und beschließen sollte. Doch der Tagesordnungspunkt wurde verschoben auf den 4. Dezember, also haben wir gestern diesbezüglich nochmal gestreikt. Kurzerhand haben Sie das Thema auf den nächsten Tag, also heute, 5. Dezember, verschoben, was uns alle sehr aufgeregt hat, und wir fanden es auch sehr feige, weil man offensichtlich den Streikenden aus den Weg gehen wollte. Der Streik hat direkt vorm Rathaus und Sitzungssaal stattgefunden.

Doch ver.di hat dann direkt beschlossen, dass wir spontan am Dienstag auch streiken. Das haben wir heute auch getan und der Gemeinderat hat beschlossen, dass es eine Zulage in Höhe von 150 Euro ab 01.07.24 geben solle, aber nicht tarifiert, sondern im Rahmen der Haushaltsbeschlüsse. Das ist eine Klatsche ins Gesicht, da der OB schon vor einigen Monaten angekündigt hat, dass er sich höchstens eine untarifierte Zulage in Höhe von 150 Euro vorstellen kann. Das heißt, unser Streik hat hier an seinem Vorschlag nichts geändert. Ein Gewinn ist nur, dass im nächsten Jahr nochmal über die Tarifierung entschieden werden soll. Anscheinend kann über die Tarifierung nur alle 6 Monate entschieden werden, daher momentan nicht. Was jetzt bzgl. Altersteilzeit beschlossen wurde, weiß ich gar nicht. Ich glaube, über das Thema wurde heute gar nicht gesprochen.

AM: Wie geht es weiter?

Antwort: Die meisten Beschäftigten sind wütend auf den OB. Aufgrund des Ergebnisses treffen wir uns nächsten Montag, den 11.12., wieder in der Betriebsgruppe und diskutieren, wie es weitergeht und ob wir nochmal streiken und wann. Vielleicht im nächsten Jahr erst.

Frage: Kannst du noch was zum Ablauf des Streik sagen?

Antwort: Am Streiktag vom 4.12. gab es eine große Streikversammlung mit offenem Mikro. Das war super, das gab es so während der Tarifrunde TVöD nicht in dieser Form. Die Stimmung war auch sehr gut. Die Beschäftigten im Erziehungs-/Pflegebereich sind einfach komplett am Ende und verzweifelt wegen Überlastung. Die Beschäftigten der Gärtnerei sind komplett unterbezahlt und versuchen, sich mit Nebenjobs über Wasser zu halten. Sie fanden die 470 Euro Zulage im Monat zu wenig – verständlich!

Sonst kamen kaum politische Statements, obwohl bei dieser Versammlung auch politische Gruppen anwesend waren mit ein paar Plakaten oder Flyern.

AM: Was denkst du, wie der Konflikt erfolgreich gewonnen werden kann?

Antwort: Ich finde es schwierig, dieses Thema zuzuspitzen und weiterführende Forderungen zu finden. Es braucht mehr Geld, völlig klar, und ich denke, man könnte in dem Rahmen auch einfach mal Vorschläge machen, woher das Geld kommen soll. Cuno Burne-Hägele, Geschäftsführer von ver.di (Bezirk Stuttgar), ist z. B. auf Stuttgart 21 eingegangen, was ich auch ein gutes Beispiel finde, um zu zeigen, dass Geld da ist.

Wir müssen das auch in der Betriebsgruppe nächsten Montag diskutieren. Die Forderung einer Ballungsraumzulage spielt ja auch bei der Tarifrunde der Länder eine Rolle. Das Teuere in der Stadt sind ja v. a. die Mieten, die dazu führen, dass eine Zulage notwendig wird. Die Forderung, dass der/die Arbeit„geber“:in für die teueren Mieten aufkommen soll, finde ich nicht schlecht, aber eine solche Zulage schließt Personen in anderen Städten aus oder die Leute, die in Stuttgart leben, aber woanders arbeiten. Es braucht ja eigentlich auch eine Zulage wegen Inflation, aber das sollte eigentlich die Tarifrunde ausgleichen,was sie ja nicht getan hat.

Jetzt stellt sich mir die Frage, ob man mit der Forderung einer Zulage einfach dem schlechten Tarifergebnis aus dem Weg geht und versucht, anders an Lohnerhöhungen zu kommen, weil ver.di es in der Tarifrunde verkackt hat, die Reallöhne zu sichern.

AM: Danke Dir, Du hast da wichtige Fragen angeschnitten, die ja auch anderswo gestellt werden. Es braucht wohl noch einige Debatten dazu in ver.di und darüber hinaus. Für Euren Kampf viel Erfolg!




TV-Länder: Wo bleibt Plan B?

Martin Suchanek, Infomail 1238, 29. November 2023

Woche für Woche beteiligen sich zehntausende Landesbeschäftigte im Rahmen der Tarifrunde öffentlicher Dienst an den Warnstreiks. Erzieher:innen, Sozialarbeiter:innen, Lehrer:innen, Beschäftigte an den Hochschulen, an Kultur- und Bildungseinrichtungen der Länder, aus der Verwaltung, von Landesklinken, studentische Beschäftigte und viele andere gingen in den letzen Wochen auf die Straße.

In vielen Städten und Regionen widerlegen sie eindrucksvoll die Behauptung, dass die Landesbeschäftigten mobilisierungsschwach und faktisch kampfunfähig wären. Am Stadtstaatenstreik beteiligten sich in Berlin, Hamburg und Bremen am 22. November um die 20.000 Kolleg:innen. Am Bildungsstreiktag, dem 28. November, gingen lt. Gewerkschaften in Leipzig 7.000, in Berlin 6.000 Streikende auf die Straße, bundesweit wohl Zehntausende. Dabei hatten sich schon dem Branchenstreik der Sozial- und Erziehungsdienste, der studentischen und universitären Beschäftigten und anderer am 24. November lt. ver.di 42.000 Gewerkschaftsmitglieder angeschlossen.

Natürlich bedeutet das nicht, dass ein Vollstreik im öffentlichen Dienst nicht auch vor reale Probleme der Mobilisierung gestellt würde, weil in vielen Ländern die gewerkschaftlichen Strukturen schwächer geworden sind. Aber es zeigt auch, dass Zehntausende Beschäftige mobilisierbar sind und es möglich ist, eine über Warnstreiks und Verhandlungen hinausgehende Mobilisierung vorzubereiten, aufzubauen und durchzuziehen. Zumal dann, wenn ver.di, die GEW und die IG BAU auch eine echte Verbindung mit anderen Beschäftigtengruppen und Gewerkschaften suchen würden.

So läge es auf der Hand, wenn ver.di die Warnstreiks und Demonstrationen der Tarifrunden im Handel mit jener der Landesbeschäftigen koordinieren und so schlagkräftiger machen würde. So läge es auf der Hand, den Schulterschluss mit der GDL zu suchen, die derzeit die Urabstimmung durchführt. So läge es auf der Hand, bei ver.di, GEW, IG BAU wie in allen anderen DGB-Gewerkschaften die Mitglieder zu Solidaritätsaktionen und -streiks mit den Beschäftigten aufzurufen. Und so läge es auch auf der Hand, die Mobilisierung in einem gemeinsamen, bundesweiten Warnstreik kulminieren zu lassen, um so allen Beschäftigten ein Gefühl gebündelter Stärke zu vermitteln und deutlich zu machen, dass ein bundesweiter Streik möglich ist.

Und die Gewerkschaftsführungen?

Doch das passt offenkundig nicht zur Streiktaktik der Verhandlungsführung und der Gewerkschaftsspitzen. Diese werden zwar nicht müde zu betonen, dass die Länder bis heute kein Verhandlungsangebot vorgelegt haben. Doch was folgt daraus? Bereiten sie eine Eskalation vor? Was tun sie, wenn die Verhandlungen nicht einmal zu einem „vorzeigbaren Kompromiss“ führen, also zu einem faktischen Ausverkauf, der wie das Ergebnis des TVöD allenfalls schöngeredet werden kann? Und was tun, wenn es angesichts des offenkundigen Fehlens eines Plans B – also von Urabstimmung und Streik – nicht einmal dazu reicht? Warum sollen die sog. Arbeitergeber:innen im öffentlichen Dienst überhaupt Zugeständnisse machen, wenn die Gewerkschaften mit der Urabstimmung nicht einmal drohen?

Bis zum 7. Dezember, der dritten Verhandlungsrunde, werden die Länder wahrscheinlich noch etwas vorlegen. Man muss aber kein/e Prophet:in sein, um vorherzusehen, dass das hinten und vorne nicht reichen wird. Schließlich werden die Verhandlungsführer:innen der Länder nicht müde, das Lied von den leeren Kassen zu singen. Angesichts der aktuellen Haushaltskrise werden sie auch noch darauf verweisen, dass sie ohnedies „sparen“ müssen, also weitere Kürzungen vornehmen, jeder Cent Lohnerhöhung zu weniger Personal führen würde.

Dann reicht es nicht, wenn die Gewerkschaften darauf verweisen, dass bei den Reichen genug Geld da wäre, die Milliardengewinne der Kapitalist:innen nur abgeschöpft werden müssten. Schließlich geht es bei der Tarifrunde nicht um „bessere Argumente“, ein imaginäres, über allen Klassen stehendes „Gemeinwohl“, sondern um gegensätzliche Klasseninteressen. Daher entscheidet nicht der Appell ans „Verständnis“ der Gegenseite, an deren „Vernunft“, sondern die Kampf- und Durchsetzungskraft.

U wie Urabstimmung, S wie Streik

Damit die Forderungen der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst – 10,5 % Entgelterhöhung, mindestens aber 500 Euro, 200 Euro und Übernahme für die Azubis und das alles bei einer Laufzeit von einem Jahr – durchgesetzt werden können, braucht es einen Plan B der Gewerkschaften, genauer einen Plan U wie Urabstimmung und einen Plan S wie Streik. Die GDL, an der es sicher auch viel zu kritisieren gibt, macht zur Zeit vor, wie sich eine Gewerkschaft verhalten sollte, auf deren Forderungen die Gegenseite nicht eingeht. Sie sollte die ganzen Verhandlungsrituale bleiben lassen und den Streik vorbereiten. Und diese Mobilisierung sollte nach einer Urabstimmung auch durchgezogen und nicht wie bei der TVöD-Runde im Rahmen einer Schlichtung geopfert werden.

Daher sollten alle Gewerkschafter:innen bei ver.di, GEW und IG BAU von ihren Funktionär:innen die Durchführung von Mitglieder- und Belegschaftsversammlungen einfordern, wo offen über die weitere Mobilisierung, über die Kampfstrategie, Urabstimmung und Vollstreiks diskutiert und beschlossen wird.

Der Arbeitskampf muss demokratisiert werden. Zur Zeit wird er vollständig von den Gewerkschaftsapparaten und hier an erster Stelle vom ver.di-Apparat kontrolliert. Diese bestimmen die Kampftaktik, die Verhandlungsführung und letztlich auch, welcher Abschluss annehmbar sei.

Wenn wir uns darauf verlassen, wird bei der Tarifrunde allenfalls ein Ergebnis wie beim TVöD rauskommen. Und das ist einfach zu wenig, deckt es doch längst nicht die Preissteigerungen und Einkommensverluste der letzten Jahre und wahrscheinlich auch nicht die Kosten der kommenden. Hinzu droht im öffentlichen Dienst angesichts der Budgetkrise eine weitere Welle von Kürzungen, Personalabbau und Privatisierungen. Auch die müsste jetzt in der Tarifrunde thematisiert und zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht werden. Doch vor dieser Politisierung scheuen die Gewerkschaftsführungen zurück, weil sie eine direkte Konfrontation mit der Regierung, dem Parlament, Verfassungsgericht und anderen „heiligen“ Kühen fürchten.

Daher sollten nicht nur Mitglieder- und Belegschaftsversammlungen einberufen, sondern auch Streikkomitees gewählt werden. Die bundesweite Streikleitung und die Verhandlungsführung müssen diesen gegenüber rechenschaftspflichtig, durch sie wähl- und abwählbar sein, um einer wirklichen Kontrolle unterzogen zu werden. Statt Geheimverhandlungen brauchen wir öffentliche, transparente Tarifrunden.

Zur Zeit stehen die Beschäftigten der Länder in einer wichtigen Auseinandersetzung. Im Grunde ziehen die Gewerkschaftsspitzen bei dieser Tarifrunde aber nur einmal mehr durch, was sie seit der Pandemie und dem Beginn des Ukrainekrieges immer wieder tun. Sie betreiben Tarifpolitik im Rahmen der Konzertierten Aktion, mittels  sozialpartnerschaftlicher Abkommen zwischen Kapital, Arbeit und Regierung. Die Mobilisierungen verkommen dabei zur Begleitmusik für faule Kompromisse, die vor allem die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals und den Burgfrieden im Rahmen der globalen Konfrontation mit Russland, China und anderen wirtschaftlichen und geostrategischen Rival:innen sichern sollen. Eine solche Politik kann nur auf Kosten der Beschäftigten gehen.

Zur Durchsetzung einer klassenkämpferischen Tarifpolitik braucht es eine Demokratisierung der Gewerkschaften. Diese muss aber Hand in Hand gehen mit dem Aufbau einer klassenkämpferischen politischen Alternative zum bürokratischen,  reformistischen Apparat. Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften stellt dafür einen Ansatz dar. Lasst sie uns gemeinsam aufbauen!




Solidarität mit dem Streik im Handel

Mattis Molde, Infomail 1237, 17. November 2023

Seit April 2023 laufen die Tarifverhandlungen im Handel. Seitdem werden sie von Seiten der Bosse verschleppt. Das hat allerdings zur Situation geführt, dass trotz unterschiedlicher Laufzeiten jetzt alle im Arbeitskampf stehen. In den letzten Wochen beteiligten sich in vielen Städten tausende Beschäftigte an Warnstreiks und gingen auf die Straße, so dass man auch als Kund:in etwas merken konnte.

Fünf Millionen Beschäftigte

5 Millionen Menschen sind im Handel beschäftigt, wobei die Tarifverträge für den Einzel- und Großhandel regional unterschiedlich ausfallen. Gegen diese große Masse der Beschäftigten stehen auf der anderen Seite etliche der reichsten Menschen in Deutschland, die mit ihren Handelsketten enorme Profite aus denen ziehen, die in ihrer überwältigenden Mehrzahl alle am unteren Ende der Lohnskala stehen.

Die Gewerkschaft ver.di, die diese Branche vertritt, organisiert nur einen Bruchteil der Beschäftigten. In den Unternehmen herrscht eine hohe Fluktuation. Die einzelnen Läden sind eher kleine Einheiten, Kaufhäuser verschwinden. Allerdings bieten die großen Verteilzentren gute Möglichkeiten zum Aufbau gewerkschaftlicher Macht.

Ver.di hat es aber auch seit zwanzig Jahren versäumt, mehr kampffähige Strukturen aufzubauen. Der Trend zu Gewerkschaften, die sich selbst als „Dienstleisterinnen“ verstehen, ist für Branchen mit niedrigem Lohnniveau und hoher Fluktuation besonders verheerend. Wenn dann noch Betriebsratsgremien – so sie überhaupt existieren – in Regionalbüros sitzen und einmal im Jahr pro Laden vorbeikommen, dann hat das sehr viel mit Bürokratie und wenig mit Bewegung zu tun. Gerade in solchen Betrieben sind Basisaktivist:innen, die über Rechte und Tarifverträge Bescheid wissen, nötig. Sie brauchen ein Netz – eine Betriebsgruppe oder Vertrauensleutestruktur – um Widerstand, Solidarität und Hilfe zu organisieren. Solche Strukturen sind fast überall zurückgegangen, aber gerade für den Handel ist das besonders schlimm. Dass es auch anders gehen kann, haben die Kolleg:innen z. B. im Gesundheitswesen in den letzten Jahren gezeigt.

Tarifrunden-Taktik

Die Unternehmen im Handel und deren Dachverband HDE (Handelsverband Deutschland – Einzelhandel) haben jetzt beschlossen, bereits terminierte Tarifverhandlungen abzusagen, und wollen stattdessen in einer Spitzenrunde verhandeln. Ihr Angebot ist lächerlich. Für 2023 bieten sie nach drei Nullmonaten eine tabellenwirksame Erhöhung von durchschnittlich 5,3 Prozent im Einzelhandel und nach vier Nullmonaten eine von 5,1 Prozent im Groß- und Außenhandel an. Das Angebot für 2024 fällt noch niedriger aus. Ver.di fordert 2,50 Euro mehr pro Stunde sofort.

Die Kapitalist:innen haben auch begonnen, in den großen Konzernen (Rewe, Aldi, Lidl, Kaufland und der Otto-Gruppe) freiwillige Entgelterhöhungen auszuzahlen, die aber natürlich nicht bindend sind und bleiben, solange sie in keinem Vertrag stehen. So versuchen sie, die sich entwickelnde Kampfkraft zu unterminieren.

Die Verhandlungschefin ver.dis, Leiterin des Fachbereichs Handel und Bundesvorstandsmitglied Silke Zimmer, empört sich darüber, aber in ihrer Entrüstung schwingt schon die Bereitschaft mit, darauf einzugehen. „Ver.di verweigere sich keinen Gesprächen, egal auf welcher Ebene“, heißt es in einer Pressemitteilung vom 6. November, aber, so Zimmer: „Voraussetzung ist, dass die Tarifverhandlungen fortgeführt und die gemeinsam vereinbarten Verhandlungstermine wahrgenommen werden“. Zugleich droht sie mit Streiks während des Weihnachtsgeschäfts.

Diese Drohung ist sicher angebracht. Wenn sie ernst gemeint ist, dann muss unbedingt daran gearbeitet werden, die Kampfkraft zu erhöhen. Derzeit sind eigentlich nur Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin ernsthaft streikfähig.

Es muss ein klarer Plan her, wie die Verhandlungsverschleppung seitens des Kapitals mit einer systematischen Mobilisierung bisheriger weißer Flecken und dem Aufbau stabiler Strukturen beantwortet wird. Nur so können neue Mitglieder auch gehalten werden. Es gibt genug Kampfformen, die in der Vergangenheit erfolgreich eingesetzt worden sind und jetzt zur Anwendung kommen müssen:

  • Soli-Aktionen von Kolleg:innen aus anderen Branchen, die in oder vor den Läden oder Kaufhäusern die Streiks unterstützen.

  • Viele Läden in Fußgängerzonen zugleich bestreiken und mit Beschäftigten und Unterstützer:innen diese Passagen in Streikversammlungen verwandeln.

  • Gerade Samstage und Weihnachten eignen sich dafür gut.

Statt also um „eine Entgelterhöhung als Respekt und Wertschätzung für ihre geleistete Arbeit“ zu betteln, wie es ver.di tut, ist Kampf angesagt. Die Initiative dafür muss wohl von unten kommen. Aber viele Streiks in den letzten Jahren haben gezeigt, dass unter den Beschäftigten immer wieder gute Initiativen entwickelt wurden.

Deshalb sagen wir, dass es die Basis ist, die über Streiks und Streikformen entscheiden muss!

  • Aktions- und Streikkomitees wählen – in den Betrieben, aber auch in den Konzernen, damit gute Erfahrungen verbreitert werden können!

  • Öffentliche Verhandlungen! Abstimmung über die Verhandlungsergebnisse durch die Mitglieder.

  • Soli-Komitees in den Städten bilden!

  • Jeder Abschluss muss die Inflation der Vergangenheit und Zukunft voll ausgleichen!



Hamburg: HHLA-Streit und Streik

Bruno Tesch, Infomail 1237, 16. November 2023

Bei der Hafenbetreiberin Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) brodelt es, und das nicht erst seit den letzten Wochen. Schon vor Jahren wurde über private bzw. fremdstaatliche Investitionsinteressen in Form von Beteiligungen oder gar Übernahmen spekuliert. Hochgekocht ist die trübe Gerüchtebrühe durch die Bekanntgabe, dass ein Kaufangebot der Mediterranean Shipping Company (MSC) über Anteile von 49,9 % an der HHLA vorliegt, über das am 20.11. entschieden werden soll. Diese Nachricht wiederum löste am 6.11. eine spontane eintägige Arbeitsniederlegung der HHLA-Belegschaft aus. MSC ist die weltweit größte Containerreederei mit Sitz in Genf und über Tochterunternehmen auch im Kreuzfahrt- und Fährgeschäft engagiert.

Hintergründe zum Hafen-Deal

Der Hafen als Image für die Weltoffenheit der Hansestadt war seit jeher von herausragender Bedeutung, vor allem aber hat der Güterumschlag das Portfolio der Handelsmetropole prall gefüllt. Seit 20 Jahren jedoch hat sich der Wind gedreht. Hamburg liegt jetzt im Lee und ist im Vergleich mit den europäischen Seeumschlagplätzen und erst recht mit Konkurrent:innen weltweit auf den 20. Rang zurückgedrängt worden.

Der große Nachteil gegenüber Rotterdam und Antwerpen, dass der Hamburger Hafen nur einen vermittelten Zugang zum Meer hat und Belgien und die Niederlande ozeanografisch leichter anzufahren sind, lässt sich auf natürlichem Wege einfach nicht ausgleichen. Da helfen auch keine Maßnahmen wie die Elbvertiefung, um größere Pötte einlaufen zu lassen.

Kürzere Fahr-, Liege- und Warenumschlagszeiten zählen heute doppelt. So ist es auch erklärlich, dass im Containerbereich die Hamburger Umsätze bereits seit einiger Zeit stagnieren, ja im ersten Halbjahr 2023 befanden sie sich sogar im beschleunigten Krebsgang von -11.7 %.

Das war vermutlich auch das Signal für den Hamburger Senat, in Verhandlungen mit einer potenten Investorin einzutreten. Man glaubte, sie in MSC gefunden zu haben. Dieser Konzern, in italienischem Privatbesitz und mit Geschäftssitz in der „Seefahrtnation“ Schweiz, kann damit repräsentieren, als mittlerweile global größte Reederei zu gelten, die gleichermaßen die Sparten maritimer Güterverkehr und die besonders einträgliche Kreuzschifffahrt bedient. Mit Hilfe der MSC, die über ein weitgespanntes und expandierendes Netz an Geschäftsverbindungen verfügt, hofft Hamburg, seine Investitionsvorleistungen wie Bau der Hafen-City mit ihren eigens angelegten Verkehrswegen und Gewerbeflächen amortisieren zu können und den Hafen wieder auf Volle-Kraft-voraus-Kurs zu bringen.

Der zu entrichtende Preis wäre jedoch eine Reduktion des stadtstaatlichen Anteils an der HHLA von 69 % auf 50,1 %. Daraus ergibt sich, dass die Hamburger Regierung einen kompakten Klotz an Aktienminorität am Bein herumschleppen müsste, der ihr nicht nur die HHLA, sondern auch infrastrukturelles Hafenumfeld betreffend, Zugeständnisse im MSC-Interesse abringen könnte.

Der Deal muss von der Hamburger Bürgerschaft noch abgenickt werden. Proteste für seine Entscheidung erntete der Hamburger SPD-geführte Senat sowohl von den alteingesessenen Reedereien wie Hapag-Lloyd, die sich konkurrenzmäßig übergangen fühlten, wie auch von der CDU-Opposition, die den „grotesk niedrigen“ Übernahmepreis bemängelte und meinte, bei einer öffentlichen Ausschreibung hätte wesentlich mehr herausgeschlagen werden können.

Schwierigkeiten ganz anderer Art mit diesem Senatsdeal haben allerdings die HHLA-Beschäftigten. Der Terminalbetreiber Eurogate hat bereits vor einigen Jahren in einer internen Studie die mangelnde Automatisierung und daraus resultierend den um 25 % geringeren Containerumschlag im Hamburger Hafen moniert. Wenn denn an den natürlichen Gegebenheiten nicht gerüttelt werden kann, so ist der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft jedoch eine veränderbare Größe. Das weiß sicher auch die MSC, ohne diese Studie kennen zu müssen, und sie wird auf Verschlankung der Produktion, sprich Entlassungen, drängen. Das haben auch die Arbeiter:innen bei der HHLA als elementaren Knackpunkt erkannt und sind daraufhin am 6. November in den Ausstand getreten. Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze und die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen!

Kampfperspektive

Am Nachmittag des 6. November legten 150 Hafenarbeiter am Burchardkai ihre Arbeit nieder, die Abfertigung an dem Terminal wurde eingestellt. Die nächsten vier Schichten schlossen sich dem wilden Streik an.

Der Streik wurde schnell von der „neutralen“ Justiz einkassiert und als „illegal“ kriminalisiert, weil er sich nicht an das Tarifrecht, das Politisierung untersagt, gehalten habe. Dies bot die Handhabe für etliche Abmahnungen durch die HHLA-Geschäftsführung. Die Streikenden hatten um unverzügliche Gespräche mit dem Senat über den Deal gebeten. Diese Bitte wurde ihnen jedoch von den zuständigen Vertreter:innen abschlägig beschieden, weil sie mit der Arroganz der Macht dem Streik die Legitimität absprechen wollten.

Das Vorgehen der Klassenfeind:innen in Politik, Justiz und Unternehmen hat Empörung dagegen und Solidaritätsbekundungen mit den Kolleg:innen von Seiten zumeist gewerkschaftlicher Arbeiter:innenorganisationen im In- und Ausland hervorgerufen. Die Gewerkschaft ver.di veröffentlichte Forderungen nach:

  • Kein Verkauf der HHLA an MSC oder andere private Investor:innen!

  • Keine Privatisierung öffentlichen Eigentums – insbesondere im Bereich der kritischen Infrastruktur!

Aber die dringlichste Forderung ließ sie vermissen:

  • Sofortige Rücknahme der Abmahnungen und keine weiteren Repressalien gegen die Streikbeteiligten!

Ver.di zieht sich offenbar auf eine Vermittlerposition für Gespräche mit dem Senat zurück und hat zu einer Kundgebung am Hamburger Rathaus aufgerufen. Ein Appell an die Regierenden reicht bei weitem nicht aus. Verhandlungen und Entscheidungen von solcher Tragweite – gerade in Hamburg hängen mit Infrastruktur, Zulieferbetrieben usw. schätzungsweise zehntausende Existenzen von Hafen und Umgebung ab – müssen von der Arbeiter:innenbewegung öffentlich kontrollierbar gemacht und gegebenenfalls zurückgenommen werden können. Zusätzlich muss die nationale Binnenkonkurrenz unter den deutschen Seehäfen – z. B. Tiefwasserhafen Wilhelmshaven mit weiterer Elbvertiefung –, aber auch die europaweite zugunsten eines planvollen Konzepts für eine rationale Verkehrswende im Sinne einer integrierten bundesweiten und kontinentalen öffentlichen Infrastruktur zu Land, Wasser und in der Luft unter Arbeiter:innenkontrolle und -planung aufgehoben werden. Im Zusammenspiel mit einem staatlichen Außenhandelsmonopol würden auf diese Weise der Güterverkehr auf sein rationales menschliches wie ökologisches Maß schrumpfen und die gleichmäßigere Auslastung der Häfen erreicht werden können.

Um die Fragen der Knebelung des Streikrechts und Forderung nach Arbeiter:innenkontrolle über die Entscheidungen zu öffentlichen Einrichtungen muss eine bundesweite Kampagne entfaltet werden. Ansätze bieten sich, dies in den Rahmen einer jetzt angelaufenen kämpferischen Tarifrunde der Länder zu stellen.

Nicht außer Acht gelassen werden darf außerdem, dass gerade in der jetzigen internationalen Situation Seehäfen einen neuralgischer Punkt für den Versand von Kriegsmaterial, v. a. an die israelische Armee, bilden. Solche Waffenlieferungen müssen verhindert werden, und dies ist v. a. eine Aufgabe der internationalen Arbeiter:innenbewegung.




Tesla-Streik in Schweden: Organisieren für den Sieg und die Macht über die Gewerkschaften!

Jens-Hugo Nyberg, Infomail 1236, 14. November 2023

Jahrzehntelang haben die Gewerkschaften des Dachverbandes LO (Landsorganisationen i Sverige) gezögert, zu Streiks und anderen Arbeitskampfmaßnahmen aufzurufen. Gelegentlich wurden sie dazu gedrängt, haben dies aber in der Regel nur halbherzig getan und Abschlüssen zugestimmt, die weit schlechter waren, als ihre Mitglieder gehofft hatten. Die mangelnde Bereitschaft der führenden Vertreter:innen der Gewerkschaftsbewegung zu kämpfen, war ein entscheidender Grund dafür, dass wir Schritt für Schritt einen Rückzieher gemacht haben und die Politik immer weiter nach rechts gerückt ist. Dank der Abschaffung spezifischer Steuern für Wohlhabende ist Schweden heute ein sehr gutes Land, um reich zu sein, und wir haben Marktanpassungen auf breiter Front erlebt. Für den Rest von uns wird der Stress immer größer und die Sicherheit immer geringer.

Arbeitsniederlegungen und Solidaritätsaktionen

Am 27. Oktober trat die Metallarbeiter:innengewerkschaft IF Metall mit allen Beschäftigten von Tesla – oder TM Schweden, wie sie hier genannt werden – in den Streik. Dies geschah, nachdem sich das Unternehmen auf Anweisung der Zentrale geweigert hatte, einem Tarifvertrag zuzustimmen. Ab dem 7. November legte die Gewerkschaft Transport vier Häfen mit einer Blockade gegen Tesla lahm, und für die übrigen Häfen wurde dies für den 17. November angekündigt. Am selben Tag veröffentlichte die Gewerkschaft der Beschäftigten bei den Wohnungsunternehmen (Fastighetsanställdas Förbund; Verband der Immobilienangestellten) eine Ankündigung, die Reinigung der Tesla-Werkstätten zu blockieren, und die Gewerkschaft der Elektriker:innen (Elektrikerförbundet) kündigte an, die Stromzufuhr zu den Werkstätten und Ladestationen zu stoppen. Auch die Service- und Kommunikationsgewerkschaft SEKO schaltet sich in den Kampf ein. Ab dem 20. November wird keine Post mehr an Tesla zugestellt. Mit anderen Worten, eine Mobilisierung der LO-Gewerkschaften, wie es sie seit dem Streik und der Blockade gegen den Spielwarenhersteller Toys „R“ Us nicht mehr gegeben hat, wo der Handel nach einem dreimonatigen Streik, der sowohl von den LO- als auch von den TCO-Gewerkschaften (Tjänstemännens Centralorganisation; Zentralorganisation der Angestellten) unterstützt wurde, das Unternehmen zum Einlenken und zur Unterzeichnung eines Tarifvertrags zwang.

Der Grund dafür, dass selbst die Spitzen der Gewerkschaften Kampfbereitschaft zeigen, liegt natürlich darin, dass sich die Bürokrat:innen nun tatsächlich bedroht fühlen. Sie sind bereit, in vielen Situationen einen Rückzieher zu machen. Ihre Positionen und absurd hohen Gehälter haben im Allgemeinen nicht unter den schlechten Lohnabschlüssen der letzten Jahre und dem Verrat an den Hoffnungen ihrer Mitglieder gelitten. Doch jetzt, da Tesla sich weigert, Tarifverträge zu unterzeichnen, sind auch sie an ihre Grenzen gestoßen. Wenn sich diese Weigerung durchsetzt, ist die Position der Gewerkschaftsorganisationen und damit der Gewerkschaftsbürokratie ernsthaft gefährdet. Deshalb sprechen sie jetzt ein Machtwort.

Tesla befindet sich in Schweden angesichts dieser gewerkschaftlichen Machtdemonstration in der Defensive und wird unmittelbar nicht viel ausrichten können. Es wird schwierig sein, den Betrieb in nennenswertem Umfang aufrechtzuerhalten, es sei denn, es gelingt ihnen, einen erheblichen Streikbruch zu erzielen. Das werden sie sicherlich versuchen, aber bisher scheint das wenig Aussicht auf Erfolg zu haben.

Die meisten anderen Unternehmen in Schweden würden angesichts der Tiefe der gewerkschaftlichen Kampagne wahrscheinlich schnell nachgeben oder ihre Pläne einfach aufgeben. Nun ist es aber Tesla, mit dem reichsten Mann der Welt, Elon Musk, im Sattel. Er könnte es sich leisten, noch lange weiterzumachen. Auch die Kosten für die beteiligten LO-Gewerkschaften werden sich in Grenzen halten, und sie werden sich einen langen Konflikt leisten können. Die Streikkassen sind recht gut gefüllt.

Streikrecht

Die Lage könnte sich zwar ändern, wenn die Käuferseite (Händler:innen usw.) einen großen Gegenangriff starten würde mit dem Ziel, die Konsument:innen demagogisch in den Konflikt zu ziehen. Dies scheint jedoch nicht wahrscheinlich zu sein. Es ist jedoch klar, dass die Rechte und die Kapitalist:innenklasse insgesamt über das Geschehen beunruhig und verärgert sind. Ihnen missfällt offensichtlich, dass sich selbst Gewerkschaften mit Tarifverträgen und damit einer Friedenspflicht an Sympathiestreiks beteiligen können. Wenn sie selbst darauf zurückgreifen – was sie eigentlich einmal gerne getan haben –, würde das die Gewerkschaften und andere Lohnabhängige beim nächsten Mal eher dazu ermutigen, dies wieder zu tun.

Daher ist es wahrscheinlich, dass die Unternehmensverbände und die Rechte eine politische Offensive zur Einschränkung des Rechts auf Solidaritätsstreiks starten werden. Diese hat bereits begonnen. Stefan Koskinen, Leiter der Abteilung Arbeitsmarktpolitik beim Unternehmerverband Almega, hat zum Beispiel schnell erklärt, dass die Tatsache, dass auch Unternehmen mit Tarifverträgen von Solidaritätsstreiks betroffen sein können, eine Bedrohung für das schwedische Modell darstellt. Das ist natürlich reiner Unsinn, aber eine bezeichnende Absichtserklärung der Kapitalist:innen. Eine deutliche Mehrheit der Mitglieder des Parlaments gehört Parteien an, die entweder Anträge gestellt haben oder in ihren Parteiprogrammen festhalten, dass sie das Recht auf Solidaritätsstreiks einschränken wollen. Gleichzeitig ist dies ein Thema, bei dem die Sozialdemokratie vielleicht nicht so leicht nachgeben will. Es ist möglich, dass die Rechte eine große Schlacht in diesem Bereich scheut, aber in jedem Fall ist dies eine Bedrohung, auf die wir vorbereitet sein müssen.

Bei Tesla würde dessen Niederlage den Kampf für Tarifverhandlungen in den USA stärken. Dort haben die United Auto Workers (UAW) kürzlich einen 46-tägigen Streik abgebrochen, nachdem Ford, Stellantis und General Motors einen Rückzieher gemacht hatten. Musk will den Autoarbeiter:innen nicht weiter nachgeben und auch nicht noch mehr Feuer ins Öl gießen, aber gleichzeitig ist es schwierig, hier einen Betrieb zu führen, wenn der gesamte LO ein Machtwort spricht. Vielleicht könnte er eine Lösung in Erwägung ziehen, die derjenigen von Amazon in Schweden ähnelt. Das Geschäft wird an Subunternehmer:innen ausgelagert, für die Tarifverträge gelten. Es wäre sicherlich noch schwieriger für Musk, wie Jeff Bezos von Amazon so zu tun, als ob nicht Tesla, sondern nur ein/e Subunternehmer:in Tarifverträge hätte, wenn dies so eindeutig nach einer Niederlage für die schwedische Gewerkschaftsbewegung geschehen ist. Aber vielleicht ist das eine Möglichkeit.

Organisiert die Basis!

Darüber wollen wir nicht weiter spekulieren. Wichtig ist, dass dies ein Kampf ist, den die Arbeiter:innenbewegung gewinnen muss. Wenn es einem Unternehmen erlaubt wird, Tarifverträge zu verweigern, werden andere folgen. Diesmal scheint die Gewerkschaftsführung dem gleichen Ziel verpflichtet zu sein. Es wäre jedoch unklug, wenn sich die Basis der Gewerkschaften ausschließlich auf die Führung verlassen würde, um den Kampf zum Sieg zu führen. Auch wenn sie diesmal motivierter ist als sonst, wissen wir, wie vielen schlechten Verträgen und faulen Kompromissen sie zugestimmt hat.

Vor allem aber beruht die Führung der überbezahlten Bürokrat:innen über die Gewerkschaften auf der Passivität der Mitglieder. Ein Sieg gegen Tesla allein wird den Niedergang der Gewerkschaftsbewegung nicht aufhalten, aber er könnte ein Signal setzen. Um die herrschende rechte Politik zurückzuschlagen, brauchen wir kämpferische und offensive Gewerkschaften, wobei politische Streiks eine wichtige Waffe sind. Um dies zu erreichen, müssen wir eine Basisbewegung in den Gewerkschaften organisieren, mit dem Ziel, die überbezahlten kämpferischen Bürokrat:innen durch echte Vertreter:innen der Mitgliederinteressen zu ersetzen – Vertreter:innen, die für einen durchschnittlichen Arbeiter:innenlohn den Job übernehmen, so lange bleiben, wie sie das Vertrauen der Mitglieder haben und nicht zögern, für ihre Interessen zu kämpfen. Alle radikalen Mitglieder der betroffenen Gewerkschaften, alle, die es satt haben, dass die Verträge schlecht sind, die Arbeiter:innenbewegung ständig zurückgedrängt wird: Jetzt ist die beste Zeit, sich zu organisieren! Übt Druck auf die Gewerkschaftsführung aus, damit sie keinen einzigen Schritt gegen Tesla zurückgeht, und ersetzt sie dann durch eine neue, die entschlossen ist, jede rechte Politik zurückzuschlagen!




USA: Automobilarbeiter:innen gegen die 3 Autoriesen

Andy Yorke, Infomail 1234, 16. Oktober 2023

Am 14. September 2023 liefen die Vertragsverhandlungen zwischen der Gewerkschaft der Vereinigten Automobilarbeiter:innen (UAW) und den traditionellen großen drei amerikanischen Automobilherstellern (General Motors, Stellantis und Ford Motor Company) aus. Dreizehntausend Arbeiter:innen aus drei großen Fabriken, jeweils eine von den Großen Drei, legten die Arbeit nieder – das GM-Montagewerk in Wentzville, Missouri, das Ford-Montagewerk in Michigan außerhalb der alten „Motor City“ Detroit und der Montagekomplex von Stellantis in Toledo (Ohio) wurden bestreikt. Am 22. September schlossen sich weitere 5.600 Beschäftigte in 38 Vertriebszentren für Ersatzteile von Stellantis und General Motors in 20 Bundesstaaten an.

UAW-Präsident Shawn Fain, der sein Amt im März dieses Jahres antrat, schwor den Beschäftigten, dass „die UAW vor keinem Kampf zurückschreckt und wir bereit sind, alles zu tun, was nötig ist, um mit allen Mitteln für Gerechtigkeit zu sorgen“. Bei den auf Bundesebene angeordneten Direktwahlen kam eine von Fains Reformbewegung UAW Members United unterstützte Liste in den ersten demokratischen Wahlen seit Jahrzehnten an die Spitze und verdrängte den früheren Präsidenten Ray Curry und die alte korrupte Führung, die den Kampf der Automobilarbeiter:innen im Laufe der Jahrzehnte wiederholt verraten (oder unter Wert verkauft) hatte.

Die Kehrtwende in der Streikstrategie beweist, wie stark die Gewerkschaftsbürokratie den Kampf behindern und dass selbst eine begrenzte Demokratisierung dazu beitragen kann, den Gewerkschaften die Hände zu befreien. Um den Kampf aufrechtzuerhalten, müssen die Arbeiter:innen jedoch sicherstellen, dass diese Demokratisierung viel weiter und tiefer geht.

Lage in der US-Autoindustrie

Die Situation in der US-Automobilindustrie ist eine bekannte Geschichte. In den zehn Jahren von 2013 – 2022 haben sich die Gewinne der Großen Drei auf 250 Milliarden US-Dollar summiert, rund doppelt so viel wie in den 10 Jahren zuvor. Die Bosse sagen, dass sie es sich nicht leisten können, den Arbeiter:innen eine Lohnerhöhung von 40 % zu geben, weil sie massiv in den Übergang zu Elektrofahrzeugen investieren müssen. Aber das hat sie nicht davon abgehalten, fast ein Drittel ihres Gewinns als Dividenden für reiche Aktionär:innen, Aktienrückkäufe für Wall-Street-Investor:innen und millionenschwere Jahresgehälter für die Vorstandsvorsitzenden auszuschütten.

Die Gehälter der Vorstandsvorsitzenden der Großen Drei stiegen zwischen 2013 und 2022 um 40 %. Letztes Jahr verdiente GM-Chefin Mary Barra fast 29 Millionen US-Dollar, das 362-fache eines/r typischen GM-Arbeiter:in. Ford-Boss Jim Farley erhielt insgesamt 21 Millionen US-Dollar und Stellantis-Chef Carlos Tavares 24,8 Millionen US-Dollar, also das 281- bzw. 365-Fache des entsprechenden Durchschnittslohns eines/r Arbeiters/in. Diese Leute haben die Frechheit, den Arbeiter:innen zu sagen, dass sie für ihre Expansionspläne Opfer bringen sollen!

Die Lohnabhängigen haben den Preis für diese Gier der Unternehmen mit ihren Löhnen und Arbeitsbedingungen bezahlt, denn die Löhne der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe sind seit 2008 um fast 20 % gesunken. Laut Fain stiegen die Autopreise in den letzten vier Jahren um 34 %, während die Löhne der Beschäftigten nur um 6 % zulegten. Um die Verluste der Vergangenheit auszugleichen, fordert die UAW allgemeine Lohnerhöhungen von 40 % über einen Zeitraum von vier Jahren, die Wiederherstellung des Lebenshaltungskostenanstiegs, Rentenerhöhungen für Rentner:innen, die seit einem Jahrzehnt keine erhalten haben, eine/n bessere/n Gesundheitsversorgung und Urlaub sowie ein Gewinnbeteiligungssystem.

Die Gewerkschaft fordert auch das Recht, gegen Werksschließungen zu streiken, da Stellantis vor dem Streik angedroht hatte, bis zu 20 Werke zu schließen und Umstrukturierungen aufgrund der Produktion von Elektrofahrzeugen vorzunehmen. Daher ist es wichtig, dass es keine Zugeständnisse bei den Streikverbotsbestimmungen gibt.

Strategie

Die „Stand Up (Aufstehen)“-Streikstrategie der Fain-Führung hat jedoch bisher den Großteil der 146.000 UAW-Mitglieder in Bereitschaft gehalten und damit sowohl den Streik als auch das Ausmaß seines möglichen Erfolgs begrenzt. Als am 29. September nach einer Woche Verhandlungen die Zeit für eine erneute Eskalation gekommen war, kündigte Fain an, dass nur zwei weitere Werke bestreikt würden: das Ford-Montagewerk in Chicago und das GM-Montagewerk in Lansing (Michigan) Delta Township, womit die Zahl der Streikenden auf 25.000 anstieg, was einem/r von sechs Beschäftigten entspricht.

Am 6. Oktober wurde dann die Eskalation in zwei weiteren Werken, darunter das riesige und äußerst profitable GM-Werk in Arlington (Texas) in letzter Minute zurückgezogen, weil die Bosse sich bereiterklärten, die Elektrofahrzeug-Beschäftigten in Tarifverhandlungen einzubeziehen und einige Zugeständnisse bei Zeitarbeit und Lohntarifen zu machen. Fain behauptet, dies beweise, dass seine Strategie funktioniere – „Es geht nicht immer darum, die große Panzerfaust zu zücken“ –, aber in Wirklichkeit begräbt er die Lohnforderung, bei der es keine Bewegung gegeben hat.

Fain bezeichnet dies als eine „intelligente Streikstrategie“, bei der Streikmittel (die für drei Monate Dauer angespart wurden) geschont und die großen Automobilhersteller gegeneinander ausgespielt werden: Ausgewählte Gewerkschaftsgliederungen (Ortsgruppen) streiken in ausgewählten Werken, bis zum 6. Oktober sich ausweitend mit jeder Frist für Vertragsverhandlungen, die überschritten wird, und argumentieren gleichzeitig für ein Überstundenverbot: „8 Stunden und Skaten!“

„Ich sehe, dass die Leute sofort streiken wollen“, sagte Fain, „das ist immer noch eine Option … Wir könnten alle drei großen Unternehmen auf einmal bestreiken“. Aber ein solcher flächendeckender Streik scheint weiter entfernt denn je, da das Aufstehen zum Stillstand gekommen ist. Ein ernsthafter, eskalierender Streik braucht einen starken Impuls, sonst verfehlt er, wie in Großbritannien, sein Ziel.

Es gibt noch andere, weniger sichtbare, aber dennoch gefährliche Grenzen dieser Strategie. Sie zielt darauf ab, dass der Streik die Profite der Automonopole so wenig wie möglich schmälert, wobei diese als Grenzen für die bestmögliche Lösung akzeptiert werden. Fain ist auch darauf aus, die liberale Presse zumindest neutral zu halten und Präsident Biden im Countdown zu den Parlamentswahlen 2024 keinen Schaden zuzufügen. Obwohl die UAW Biden noch nicht unterstützt hat, traf Fain ihn am Flughafen und reiste mit ihm zu einer sorgfältig inszenierten Streikpostenkundgebung.

Fain behauptet: „Der Stand Up-Streik ist die Antwort unserer Generation auf die Bewegung, die unsere Gewerkschaft aufgebaut hat, die Sitzstreiks von 1937“. Aber in Wirklichkeit hat diese vorsichtige Strategie nichts mit dieser von linken Aktivist:innen von unten geführten Aktion gemein. Wie er zugibt, geht es darum, „unseren nationalen Verhandlungsführer:innen ein Maximum an Einfluss und Flexibilität zu geben, um einen Rekordvertrag zu erzielen“, anstatt die Bosse durch die Bedrohung ihres Reichtums zum Einlenken zu zwingen.

Streiken, um zu gewinnen

Die Streikstrategie sollten die Beschäftigten nicht nur den Gewerkschaftsführer:innen überlassen, sondern an den Streikposten, auf Massenversammlungen der Streikenden und in den Kantinen der meisten noch arbeitenden Betriebe diskutieren. Sie müssen rote Linien festlegen (z. B. die vollständige Abschaffung der Zweiklassenbelegschaft) und eine härtere Strategie organisieren, um den Streik schnell zu steigern bis hin zu einem Vollstreik, wenn die Unternehmen nicht einlenken, um alle ihre Forderungen durchzusetzen.

Diese Hinwendung sogar nur zu einem begrenzten Streik ist zwar zu begrüßen, aber die Rentabilität der Großen Drei und die Regierung Biden als notwendige Unterstützung für höhere Löhne zu akzeptieren, würde bedeuten, dass dem Streik reale Grenzen gesetzt und daher wahrscheinlich nicht alle Forderungen der Streikenden erreicht werden. Die Arbeiter:innen sollten sich auf ihre eigene Kraft verlassen. Ihre Forderungen zielen nur auf die Wiederherstellung dessen ab, was verlorengegangen ist, und alle sind absolut notwendig. Den UAW-Beschäftigten steht ein noch größerer Kampf bevor, um die andere, wachsende Hälfte ihrer Branche zu organisieren und sicherzustellen, dass der dringend benötigte Übergang zum emissionsfreien Verkehr von der Arbeiter:innenklasse und nicht von den Bossen inszeniert wird.

Die US-Branchenriesen stehen auf dem Markt für Elektroautos unter starkem Druck von wendigeren Unternehmen wie dem schnell expandierenden Tesla und ausländischen Wettbewerber:innen, insbesondere aus China. Während sie mit Fain sprechen, verlagern sie die Produktion weiter in den nicht gewerkschaftlich organisierten Süden, wo 51 % der Elektroautoinvestitionen seit 2020 getätigt wurden, während nur 31 % in den alten Produktionskern im Mittleren Westen flossen – und damit in den der UAW-Mitgliedschaft. Die Umstellung auf Elektrofahrzeuge birgt eine zweite, organische Bedrohung, da für die Montage eines Autos nur halb so viele Arbeiter:innen benötigt werden wie für die alten Verbrennungsfahrzeuge.

Daher können keine dauerhaften Erfolge erzielt werden, es sei denn, die Gewerkschaft kämpft um die Kontrolle über diese Elektroumstellung und organisiert die Beschäftigten in den südlichen Bundesstaaten mit „Recht auf Arbeit“ und in den nicht organisierten Werken ausländischer Autofirmen, indem sie die Anerkennung der Gewerkschaft durch Streiks, einschließlich fliegender Streikposten und Mitgliederwerbung, durchsetzt. Darüber hinaus sollten die Gewerkschaften das stark gewerkschaftsfeindliche, aber schnell expandierende Unternehmen Tesla in Kalifornien und Nevada ins Visier nehmen. Das wird einen viel härteren Kampf erfordern.

Netto null

Angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise liegt die Verringerung der Kohlendioxidemissionen im Interesse aller arbeitenden Menschen. Ein entscheidender Teil davon ist der Kampf für einen gerechten Übergang für die Arbeiter:innenschaft in den umweltverschmutzenden Industrien. Die Beschäftigten in der Automobilindustrie sollten eine kostenlose Umschulung in ähnlich qualifizierte Positionen erhalten, zusammen mit Garantien, dass keine Arbeitsplätze oder Anlagen abgebaut werden und die Wochenarbeitszeit, falls erforderlich, verkürzt wird. Dies muss mit der Abschaffung des Zweiklassensystems und der geforderten Lohnerhöhung von 40 % einhergehen.

Wenn die Bosse behaupten, dass sie sich das nicht leisten können, sollten die Arbeiter:innen verlangen, dass sie ihre Geschäftsunterlagen zur Überprüfung durch die Gewerkschaften öffnen. Wenn diese hochprofitablen Unternehmen versuchen, ihnen weiszumachen, sie seien zahlungsunfähig, müssen die Arbeiter:innen für eine Übernahme des gesamten Sektors unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten und Verbraucher:innen kämpfen. Sie müssen sich allen Versuchen widersetzen, die Bosse zu retten, wie es 2009 geschehen ist.

Auch wenn Bidens Versprechen, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, angesichts des Ausmaßes der Krise völlig unzureichend ist, besteht in Wirklichkeit die einzige Möglichkeit, selbst dieses begrenzte Ziel zu erreichen, darin, den Flaschenhals des Profits zu beseitigen und die Industrie unter die Kontrolle der Arbeiter:innen und Konsument:innen zu stellen. Die Verstaatlichung der Automobilindustrie unter der Arbeiter:innenkontrolle  und ohne jegliche Entschädigung der Kapitalist:innen mit dem Ziel, die Klimakatastrophe zu verhindern, würde einen massiven Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und jede Menge Arbeit als Ersatz für die niedergehende Autoproduktion ermöglichen.

Für den Aufbau eines solchen politischen Kampfes ist mehr erforderlich als eine weitere reformorientierte Gewerkschaftsführung mit 160.000 US-Dollar im Jahr. Es braucht eine starke betriebliche Organisation mit regelmäßigen Massenversammlungen und gewählten Streikkomitees sowie eine Basisbewegung, die die Kämpfer :innen und Aktivist:innen unabhängig von der Bürokratie organisiert. In jedem Betrieb sollten Streikausschüsse eingerichtet werden.

Für die Streikenden sollten solche Ausschüsse organisiert werden, um Streikbruch zu verhindern und sie vor Angriffen und Einschüchterung zu schützen. Sie sollten die lokale Gewerkschaftsbewegung und Gemeinde auffordern, die notwendige Unterstützung und Solidarität zu leisten. Für diejenigen, die sich noch nicht im Streik befinden, können diese Ausschüsse Solidarität mit den Betrieben organisieren, die sich im Streik befinden, und Provokationen der Unternehmensleitungen mit Arbeitsniederlegungen oder Sitzstreiks entgegentreten.

Eine solche Bewegung sollte jede positive Initiative ihrer Führung unterstützen, aber auch bereit sein, die Initiative zu ergreifen, wenn sie wirksame Maßnahmen zurückhalten oder behindern – keine Aussetzung von Streiks mehr. Das bedeutet, jeden Fortschritt von Fain und der UAW-Bürokratie zu unterstützen und gleichzeitig die Basisorganisation aufzubauen, die notwendig ist, um sie zu zwingen, weiter zu gehen, als sie wollen. Sie sollte auch das Ziel erörtern, die überbezahlten und übermächtigen hauptamtlichen Funktionär:innen durch eine Führung zu ersetzen, die von den einfachen Mitgliedern gewählt und abwählbar ist.

Um erfolgreich zu sein, müssen Gewerkschaftsaktivist:innen eine klassenbasierte Analyse und ein sozialistisches politisches Ziel für die Gewerkschaften annehmen und dafür kämpfen, sie aus der Unterwerfung unter eine der beiden Parteien der Bosse zu lösen. Wenn diese Strategie erfolgreich ist, kann sie letztlich zu einer neuen, klassenkämpferischen Führung der Gewerkschaften führen, die auf Arbeiter:innendemokratie basiert. Das bedeutet, dass die weitsichtigsten politischen Aktivist:innen, die für diesen Streik mobilisiert haben, mit ihren kämpferischen Kolleginnen und Kollegen in den Teamsters, in den Eisenbahn- und Pflegegewerkschaften zusammenarbeiten müssen, um eine Bewegung für eine neue Arbeiter:innenpartei zu entwickeln, die sich entschieden von der Demokratischen Partei löst.




GEW-Berlin: Und monatlich grüßt der Warnstreik?

Christian Gebhardt, Neue Internationale 277, Oktober 2023

Unterhält man sich mit Kolleg:innen hier in Baden-Württemberg über die Streikbemühungen der Berliner Kolleg:innen rund um den Tarifvertrag Gesundheit (TV-G) kommt neben zustimmenden Antworten auch oft eine Frage zum Vorschein: „Wie viele Warnstreiks haben die Berliner Kolleg:innen eigentlich schon durchgeführt?“ Eine Frage, die einerseits die große Kampfbereitschaft der Kolleg:innen aufgreift und würdigt, aber gleichzeitig auch den Finger in die Wunde legt und indirekt die Frage stellt: „Bekommen sie eigentlich das, wofür sie auf die Straße gehen?“

Ruf nach Ausweitung

Solche Fragen stellen sich nicht nur Kolleg:innen im entfernten Baden-Württemberg, sondern auch direkt vor Ort in Berlin. Eindrucksvoll spiegelte sich dies in den Abstimmungen auf der letzten zentralen Streikversammlung Ende des vergangenen Schuljahres wider, stimmten dort in einer großen Mehrheit die Berliner Kolleg:innen doch für eine Veränderung der bisherigen Streikstrategie und die Radikalisierung des Arbeitskampfes. Die aufeinanderfolgenden Streiktage sollten auf 5 erhöht werden und eine offene Debatte sowie Abstimmung über einen notwendigen Erzwingungsstreik stattfinden. Hierbei sollte die Basis miteinbezogen und nicht nur die Entscheidung alleinig der Tarifkommission überlassen werden. Diese Abstimmung zeigte auch, dass die mühsame Basisarbeit einer Basisgruppe innerhalb der (Jungen) GEW in Berlin auf offene Ohren gestoßen ist, schlug diese Gruppierung doch eine Diskussion über genau einen solchen Kampagnenplan vor mit dem Ziel der Ausweitung der Streikaktivitäten und der offenen Diskussion über einen Erzwingungsstreik.

Auf fruchtbaren Boden fielen diese Vorschläge aufgrund des offensichtlichen Scheiterns der bisher befolgten Strategie der Tarifkommission und der Berliner GEW-Bürokratie. Diese will letztlich eine entscheidende Konfrontation mit dem Senat vermeiden. Daher scheut sie auch vor einem Erzwingungsstreik zurück, weil dabei alle Seiten ihre Karten auf den Tisch legen müssten.

Hier wird deutlich, dass die Führung der GEW Berlin nicht an die eigene Mobilisierungsstärke und damit verbunden auch nicht an den Erfolg des Tarifkampfes glaubt. Stattdessen versucht sie, den Fokus der Verhandlungen weg von einem Tarifvertrag und hin auf eine Gesetzesänderung zu lenken, welche die Klassengröße festschreiben soll. Jede/r Kolleg:in weiß aber, dass politische und dienstliche Zwänge schnell dazu führen, dass gesetzlich festgeschriebene Klassenteiler schnell unter den Tisch fallen, wenn die Anzahl der Lehr- und Betreuungskräfte nicht stimmt oder die Schule nicht genügend Räume zur Verfügung hat. Diese Vorstellung war schon unter Rot-Grün-Rot fragwürdig. Unter dem neuen CDU-SPD-Senat wird sie vollends zur weltfremden Chimäre.

Es kann daher als Erfolg gewertet werden, dass die Demobilisierungsversuche der GEW-Bürokratie ins Leere liefen und sie stattdessen damit konfrontiert wurde, dass die aktiven Kolleg:innen für die Ausweitung der Streikaktionen plus transparente Debatte stimmten! Ein Erfolg, der begleitet wird von der Forderung, die Basis des Streikes zu verbreitern, indem aktiv schwach organisierte Schulen besucht werden sollen, um Unterstützung im Aufbau von GEW-Aktionsgruppen, für Streikversammlungen, Mobiveranstaltungen etc. anzubieten, um somit die Streikkraft der Bewegung zu vergrößern. Ein vollkommen verständlicher Vorschlag, da die abnehmende Zahl an Streikenden über die letzten Streiktage hinweg durchaus die Gefahr birgt, dass die Kolleg:innen ausgebrannt werden und keinen Sinn mehr in den Streikaktionen sehen. Damit dies nicht dem Senat sowie der GEW-Bürokratie in die Hände spielen kann, sind solche Vorschläge von kämpferischen Gewerkschafter:innen positiv aufzugreifen und zu unterstützen.

Darüber hinaus dient die Verbreiterung der Basis auch gleichzeitig dazu, den Druck auf die GEW-Bürokratie sowie auf die Tarifkommission zu erhöhen, um zu verhindern, dass sie die Abstimmung der Streikversammlung einfach umgehen. Dies erkennen wir daran, dass vonseiten der GEW-Führung nun nur ein 3-tägiger und kein 5-tägiger Warnstreik ausgerufen wurde. Hier redet sich die Bürokratie damit heraus, dass die Streikversammlungen keine demokratische Legitimität besäßen und von dieser keine Mandate ausgehen könnten.

Dieses Manöver zeigt deutlich, dass der Einfluss des Teils der Basis, welcher für die Ausweitung der Streikbemühungen einsteht, noch zu gering ist, um die Mehrheit auf Streikversammlungen auch wirklich in Aktionen der Gewerkschaft zu übertragen. Klar muss dem Manöver der Bürokratie widersprochen werden. Gleichzeitig sollte aber auch der Unmut über diese Entscheidung innerhalb des aktiven Kreises dazu verwendet werden, um Basisstrukturen aufzubauen, die sich kritisch mit der Rolle der GEW-Bürokratie auseinandersetzen und auch offen die demokratischen, gewerkschaftsinternen Prozesse der Streikführung kritisieren und diskutieren. Darüber hinaus müssen diese Diskussionen eingebunden werden in die oben schon angesprochenen Bemühungen zur Ausweitung der Basisstrukturen, um sich in zukünftigen Entscheidungen auf Streikversammlungen wie auch in konkreten Aktionen danach manifestieren zu können.

Schließlich sollte während des dreitägigen Warnstreiks vom 10. – 12. Oktober eine gut vorbereitete Vollversammlung stattfinden, die über die weitere Vorgehensweise beschließt. Es gibt keinen Grund, das demokratische Mandat einer solchen Versammlung anzuzweifeln, wenn schon im Vorfeld an Schulen und in den gewerkschaftlichen Strukturen genau diese Fragen anhand von Anträgen an die Vollversammlung diskutiert werden.