Tarifverhandlungen öffentlicher Dienst: Nein zum Abschluss!

Jaqueline Katherina Singh / Martin Suchanek, Infomail 1221, 24. April 2023

„Das ist eine nachhaltige Steigerung der Einkommen, die beachtlich ist“, lobt der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke die Tarifeinigung zwischen Gewerkschaften und den sog. Arbeitergeber:innen bei Bund und Kommunen über den grünen Klee. Natürlich, so die Spitzen der Gewerkschaften, hätte der Abschluss auch „schmerzliche“ Seiten, doch das gehöre schließlich zu einem Kompromiss.

In den bürgerlichen Medien wird von „der größten Tariferhöhung seit Jahrzehnten im öffentlichen Dienst“ geschrieben und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht von einem „guten und fairen Tarifabschluss“. Doch wir wissen, dass das nicht stimmt. Denn das Ergebnis ist mehr als bescheiden.

Einigung: Was ist drin?

Die Gewerkschaften und die sog. Arbeitgeber:innenverbände haben somit einen Abschluss erzielt, der faktisch dem Ergebnis der Schlichtung gleichkommt:

  • Inflationsausgleich von insgesamt 3.000 Euro in Teilzahlungen.

  • 1.240 Euro davon sollen bereits in diesem Juni fließen, weitere 220 Euro dann jeweils in den Monaten von Juli bis Februar 2024.

  • Zum 1. März 2024 sollen die Entgelte in einem ersten Schritt um einen Betrag von 200 Euro angehoben werden.

  • In einem zweiten Schritt soll der dann erhöhte Betrag noch einmal linear um 5,5 Prozent steigen. Die Erhöhung soll allerdings in jedem Fall 340 Euro betragen.

  • Die Laufzeit soll sich auf 24 Monate erstrecken.

Konkret bedeutet das: 2023 gibt es einer Nullrunde und es wird versucht, das mit einer Einmalzahlung schönzureden, die über Monate verteilt ankommt, Aber das ist nur einer der Kritikpunkte. Das wohl größte Problem stellt die Laufzeit von zwei Jahren dar. Wird die tabellenwirksame Entgelterhöhung darauf berechnet, so entpuppt sich die „beachtliche“ Einkommenssteigerung als Reallohnverlust.

Kurzum: Politisch stellt das Ergebnis einen Ausverkauf dar und eine Niederlage der Gewerkschaften. Das betrifft einerseits das materielle Ergebnis, d. h. vor allem die lange Laufzeit. Vor allem aber wurde eine weitere Chance vertan, mit einer kämpferischen Tarifrunde und einem unbefristeten Streik eine reale Trendwende durchzusetzen. Außerdem hätte die Auseinandersetzung mit der bei der Bahn und anderen Lohnkämpfen verbunden werden können (z. B. an den Flughäfen).

Ironischer Weise hat Frank Werneke durchaus recht, dass selbst dieser Abschluss nur zustande kam, weil Hunderttausende aktiv die Warnstreiks getragen haben,  Zehntausende ver.di und anderen Gewerkschaften beigetreten sind. Aber sowohl in den Diskussionen wie bei den Arbeitsstreiks wurde deutlich: Nach Jahren des Reallohnverlustes und angesichts von Preissteigerungen, die für Grundbedürfnisse wie Wohnen, Lebensmitteln, Energie weit über der Inflationsrate liegen, wollen die Mitglieder nicht nur einen Ausgleich auf dem Konto, sondern sind dafür auch bereit, in einen zähen, langwierigen Kampf zu treten.

Das betrifft vor allem die kämpferischen Sektoren im öffentlichen Dienst – und zwar nicht nur die traditionellen „schweren Bataillone“ wie Stadtreinigung und Nahverkehr, sondern vor allem auch neue Avantgardeschichten wie in den Krankenhäusern, die sich in den letzten Jahren in gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen formiert haben.

Bremsklotz Bürokratie

Diese Entwicklung wird mit dem Abschluss faktisch von der Bürokratie ausgebremst. Eine Streikbewegung hätte nämlich eine weitere Zuspitzung des Klassenkampfes erfordert. Sie hätte zumindest das Potential gehabt, das sozialpartnerschaftliche Tarifritual zu durchbrechen.

Genau das will der sozialdemokratisch dominierte Gewerkschaftsapparat aber nicht. Er zieht einen faulen Kompromiss einer solchen Konfrontation vor. Das ist eine für Revolutionär:innen sicher nicht neue Lehre, die sich aber die kämpferischen Schichten selbst zu eigen machen müssen.

Es reicht daher nicht, den Abschluss zu verdammen. Und es wäre falsch, aus Frust aus den Gewerkschaften auszutreten. Aber es ist unbedingt notwendig, sich klarzumachen, warum die Führung, warum deren Apparat, warum die von ihr kontrollierte Tarifkommission so handeln.

Die reformistische Gewerkschaftsführung und ihre Bürokratie sind nicht einfach bessere oder schlechtere Vertreter:innen der Klasse. Sie hegen ein Eigeninteresse als Vermittler:innen zwischen Belegschaften und Dienstgeber:innen bzw. Unternehmer:innen im ökonomischen Kampf. Sie müssen zwar bis zu einem gewissen Grad auch mobilisieren, um den „Verhandlungspartner:innen“ ihre Stärke zu zeigen – aber sie wollen um fast jeden Preis am sozialpartnerschaftlich regulierten Tarifritual festhalten. Sozialpartnerschaft ist aber nicht nur ein Verhalten, sondern hat einen Inhalt: Die Interessen des deutschen Kapitals und seines Staates im Lande und auch globalen Konflkikten gegen die internationale Konkurrenz zu schützen.

Zur Zeit wollen auch (noch) die Regierung und auch (noch) Spitzen der „Arbeitgeber:innenverbände“ an dieser Partnerschaft festhalten.

Gleichzeitig ist dies jedoch nicht unveränderlich. Denn die Tarifrunde zeigt, dass diese Form der Regulierung des Klassengegensatzes bröckelt, beispielsweise der Unmut bei den Vertreter:innen der Kommunen, die letztlich für eine härtere Gangart des Kapitals insgesamt stehen. Die Absetzbewegung gibt es aber auch bei uns. In den Warn-, Arbeitsstreiks und auch bei den Versammlungen zur Schlichtung wurde eine breite Ablehnung des Ergebnisses durch politisch bewusstere und kämpferischere Schichten sichtbar.

Nein bei der Befragung

Noch vor den Verhandlungen hatte sich die ver.di-Führung verpflichtet, die Mitglieder zum Ergebnis zu befragen. Es geht hier aber nicht um demokratische Entscheidungen. Selbst wenn 100 % mit Nein stimmen würden, wäre die Führung daran nicht gebunden.

Ver.di inszeniert vielmehr ein pseudodemokratisches Stimmungsbild, ein Plebiszit, um sich für den schlechten Abschluss die Legitimation der Mitglieder einzuholen.

Wir brauchen uns hier nichts vorzumachen. Angesichts des medialen Trommelns für den Abschluss und des innerorganisatorischen Informationsmonopols des Apparates ist eine Zustimmung bei der Befragung, die bis zum 14. Mai läuft, faktisch sicher.

Aber alle kritischen und kämpferischen Gewerkschafter:innen sollten die Abstimmung nutzen, um möglichst viele für ein Nein zu gewinnen, denn das Ergebnis wird auch einen Gradmesser für die innergewerkschaftliche Stimmung und bis zu einem gewissen Ausmaß für das Kräfteverhältnis abgeben.

Noch wichtiger als die Abstimmung ist, dass wir die Diskussionen und Versammlungen der nächsten Tage und Wochen nutzen, um das Nein möglichst stark und öffentlich sichtbar zu machen. Dazu braucht es Versammlungen von Streikaktivist:innen, von Betriebsgruppen in den Unternehmen und Abteilungen. Diese sollten nicht nur den Abschluss diskutieren und ihre Kritik artikulieren. Sie sollen auch Beschlüsse fassen, die zum Nein bei der Befragung aufrufen.

Sie sollen außerdem dazu aufrufen, dass Vorstand und Tarifkommission im, wenn auch unwahrscheinlichen, Fall einer Mehrheit gegen den Abschluss an dieses Ergebnis gebunden sein müssen. Sie müssen außerdem dazu aufgefordert werden, in diesem Fall die Urabstimmung einzuleiten und den Kampf für die ursprünglichen Forderungen – also 10,5 % und mindestens 500 Euro für alle bei einem Jahr Laufzeit – einzuleiten.

Solche Beschlüsse sollten öffentlich gemacht werden, um zu verdeutlichen, dass kritische Betriebsgruppen und Versammlungen keine Ausnahmefälle, sondern ganz schön viele sind. Gerade jetzt müssen sich Aktivist:innen dort, wo es noch keine Betriebsgruppen gibt, sich als solche zusammenfinden!

Viele von uns sind enttäuscht. Unsere Perspektive kann aber nicht sein, einfach auszutreten aus Protest. Nein, wir wollen uns praktisch in den Gewerkschaften organisieren und nicht dafür einstehen, dass unsere Kämpfe nicht weiter ausverkauft werden. Also lasst uns gemeinsam zusammenstehen und eine klassenkämpferische Opposition in den Gewerkschaften aufbauen!

Lasst und gemeinsam mit der VKG diesen Protest am Ersten Mai mit Flugblättern, Transparenten, Redebeiträgen und in klassenkämpferischen Blöcken zum Ausdruck bringen! Lasst uns gemeinsam in allen Städten Ortsgruppen der VKG aufbauen!




Zwischen Hammer und Amboss – Gewerkschaftsbürokratie unter Druck

Jan Hektik, Infomail 1220, 20. April 2023

Die Schlichtungsempfehlung ist öffentlich und die Verhandlungen werden am 22. April geführt werden, um das Angebot zu besprechen. In einem scheinbar neuen Trend gibt es bundesweit diverse Treffen der ver.di-Mitgliedschaft, welche diskutieren, wie die Stimmung ist und welche Punkte sie der Bundestarifkommission (BTK) mitgeben wollen. Dabei hat es die Bürokratie auch nicht einfach …

Nach eisenharten Verhandlungen mit den sog. Arbeitgeber:innen, in denen man wenig gefordert und noch weniger bekommen hat, muss man sich nun der eigenen Mitgliedschaft stellen. Und diese teilt hart aus. Sowohl in Berlin als auch in Bonn wird weniger debattiert, wie man aus der Empfehlung ein Angebot rausholen kann, sondern ob man auf Grundlage der Schlichtungsempfehlung überhaupt eine Verhandlungsbasis hat oder nicht gleich die Verhandlungen für gescheitert erklären soll.

Treffen in Berlin und Bonn

Auf dem Treffen in Berlin, wo sich am 17. April etwa 100 Beschäftigte, größtenteils Teamdelegierte, u. a. aus den Vivantes-Kliniken, dem jüdischen Krankenhaus, der Charité, den Wasserwerken, der BSR und den Studierendenwerken versammelt hatten, wurden gleich mehrere Resolutionen vorgestellt, welche mehr oder weniger stark dafür eintreten, die Verhandlungen direkt als gescheitert zu erklären und eine Urabstimmung einzuleiten.

Insbesondere kritisiert wurde die lange Laufzeit, die mangelnde Einzahlung in die Sozialsysteme durch die Einmalzahlung und das Außer-Acht-lassen der hohen Inflation. Insbesondere die Tatsache, dass die versprochene Inflationsausgleichsprämie für 2022 nun für 2023 gelten und dafür eine Nullrunde in 2023 gefahren werden soll, stieß auf große Empörung. Auf der Veranstaltung in Bonn am 18. April mit knapp 40 Teilnehmer:innen unter anderem aus Stadtreinigung und Verwaltung sah es nicht großartig anders aus.

In beiden Fällen versuchten die Vortragenden immer wieder, darauf abzustellen, dass dies ja noch nicht das Angebot sei, die Dienstherr:innen schon zu diesem kaum bereit gewesen seien. In Berlin verwiesen sie auf eine mögliche Verschlechterung durch Arbeitskampf wie 1992. Doch es fruchtete wenig. Zwar gab es auf beiden Veranstaltungen Stimmen, die befürchten, man könne noch schlechter dastehen und nicht genügend Streikstärke aufbringen, bzw. argumentierten, man habe mit der Ausgleichsprämie wegen der Steuerfreiheit 2023 mehr in der Tasche. Doch die überwiegende Mehrheit auf den Versammlungen möchte in den Streik treten, wenn nicht ein wesentlich besseres Angebot am Samstag präsentiert wird.

Ein Teil am liebsten direkt. Insbesondere die Pflege, die Tochtergesellschaften von Vivantes und die Studierendenwerke erklärten, dass sie ein Angebot auf Grundlage dieser Empfehlung ihren Kolleg:innen gar nicht präsentieren könnten.

Um solchen Veranstaltungen auszuweichen, soll in München erst gar keine Mitgliederversammlung stattfinden. Alles in allem entwickelt sich nach dem Verrat bei der Post ein kritischer Trend unter den Mitgliedern. Am 20. April wird es für Berlin noch ein Treffen geben, auf welchem Resolutionen eingebracht werden können. Dort gilt es, den Druck auf die Bürokratie weiter aufrechtzuerhalten und auch Beschlüsse durchzusetzen. Es ist wichtig, so öffentlich wie möglich klarzumachen, dass die Mehrheit der Beschäftigten streikbereit ist und sich nicht so einfach abspeisen lässt. Nur so können wir die Bürokratie zwingen, von ihrer Hinhaltetaktik abzurücken oder sich als die Kollaborateurin mit dem Kapital zu entlarven, die sie in Wahrheit ist. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses, hat die Verhandlung noch nicht stattgefunden und es bleibt abzuwarten, ob es die Bürokratie schafft, ein Angebot mit dem „Arbeitgeber:innenamboss“ auszuhandeln, welches den Schlag des Hammers der Mitgliedschaft dämpft. So oder so bleibt uns keine Wahl, als den Kampf weiterzuführen – sei es bei einem Streik, falls es keinen Abschluss gibt, sei es beim Aufbau einer organisierten Basisopposition gegen den Apparat.




Schlichterspruch im öffentlichen Dienst – Nein zu einem „Kompromissvorschlag“ mit Haken! Einleitung der Urabstimmung!

Susanne Kühn, Infomail 1220, 17. April 2023

Am 15. April veröffentlichte die Schlichtungskommission ihre Empfehlung für einen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst für Bund und Kommunen. Diese sieht folgende Schritte vor:

  • Einkommensteuerfreie Einmalzahlungen in Höhe von insgesamt 3.000 Euro (Juni 2023: 1.240 Euro, Juli 2023 bis Februar 2024: 220 Euro pro Monat)

  • Ansonsten bis März 2024: Nullrunde

  • Tabellenwirksame Erhöhung erst ab März 2024: 200 Euro 5,5 %, insgesamt mindestens 340 Euro

  • Einmalzahlungen für die Azubis von 620 Euro (Juni 2023) und dann monatlich 110 Euro. Ausbildungsentgelte erhöhen sich um 150 Euro ab März 2024

  • Laufzeit: 24 Monate ab Januar 2023 statt geforderten 12 Monate

Auch wenn der Spruch der Schlichtung nur eine Vorlage für die Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeit„geber“:innenverbänden am 22. April darstellt, so stehen die Zeichen auf Annahme. Der Vorsitzende der Kommission, der Bremer Verwaltungsrechtler Hans-Henning Lühr (SPD), der von den Gewerkschaften vorgeschlagen worden war, ist natürlich voll des Lobes für seine Empfehlung, die er als „fairen Interessenausgleich, für den natürlich auch viel Geld in die Hand genommen werden muss“, anpreist. Auch der von Bund und Kommunen benannte Stellvertreter der Kommission, der ehemalige sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU), hält die Annahme für „verkraftbar“.

Klar ist, dass die Vorsitzenden der Schlichtung und eine nicht näher definierte Mehrheit für die Empfehlung waren. Wer aber wirklich dafür (oder dagegen war), wissen wir nicht sicher. Schließlich gilt die Geheimhaltungspflicht – und an die halten sich die Vertreter:innen der Schlichtung mehr oder minder eisern.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Verhandlungsführerin für den Bund begrüßte jedenfalls die Einigung, was nahelegt, dass zumindest die Vertreter:innen des Bundes dafür sind. Unklar ist, wie es die kommunalen Arbeit„geber“:innen“ sehen, wo weit mehr Hardliner:innen sitzen. Lt. NEUES DEUTSCHLAND vom 17.4.2023, das sich hier auf die Süddeutsche Zeitung beruft, stimmten 24 der 26 Kommissionsmitglieder mit Ausnahme zweier Stimmen aus dem Arbeit„geber“:innenlager für den Vorschlag.

Offen kommuniziert wurde aber nichts. Unklar ist daher, wie die 12 gewerkschaftlichen Vertreter:innen und insbesondere jene von ver.di und GEW abgestimmt haben. Angesichts der neutral bis wohlwollend gehaltenen gewerkschaftlichen Außendarstellung liegt es wohl nicht fern, dass sie dafür stimmten. Aber sicher wissen wir das nicht. Denn die Vertreter:innen der Gewerkschaften verstecken sich hinter einer Verschwiegenheitspflicht, die vor allem eine gegenüber den eigenen Mitgliedern ist. Warum die „eigenen“ Vertreter:innen welches Votum abgaben, was in der Schlichtungskommission besprochen wurde und warum sie der Empfehlung zustimmten oder nicht – darüber wird die Mitgliedschaft erst gar nicht informiert, dazu sind sie den Mitgliedern nicht einmal rechenschaftspflichtig. Mit Demokratie hat diese Mauschelei, die vom Apparat weitgehend auch für die Tarifverhandlungen akzeptiert wird, nichts zu tun!

Diese Verschwiegenheitspflicht ist freilich nicht nur für die sog. Arbeitgeber:innen praktisch, sie nützt auch der Bürokratie und erschwert eine offene Diskussion und Aussprache über den angebotenen Schlichtungsspruch.

Einschätzung des Vorschlags

Und dies ist dringend nötig, weil der Spruch besser erscheint, als viele erwartet hatten – aber auch, weil er eben nur besser erscheint. Gefordert waren 10,5 %, aber mindestens 500 Euro. Ein solches Ergebnis hätte bedeutet, dass bis zu einem Einkommen von 4.762 Euro alle 500 Euro erhalten hätten, für alle darüber hinaus eine starke prozentuale Steigerung eingetreten wäre.

Die Kombination von Sockel (200 Euro) und Prozenten (5,5 %) aus dem Schlichtungsvorschlag ergibt eine kontinuierliche Steigerung über fast alle Gehälter, die dafür nicht so heftig ausfällt. Die Mindesterhöhung 340 Euro kommt nur in der Entgeltgruppe 1 und dem Einstiegsgehalt bei EG 2 und EG 20 zum Tragen. Insgesamt steigen jedoch die mit den geringsten Einkommen vergleichsweise schlecht aus.

Gegenüber der Forderung ist also die Mindesterhöhung niedriger, die hohen Gehälter erhalten eine deutlich geringere Steigerung. Für einen sehr großen Teil der Beschäftigten, alle die derzeit in Vollzeit bis 4.220 Euro erhalten, bedeutet die Schlichtungsempfehlung eine Erhöhung von mindestens 10,5 %. Und auf dessen Zustimmung dürften die Gewerkschaftsvorstände spekulieren.

Zwei Jahre Laufzeit sind ein Jahr zuviel

Der große Haken bei der Empfehlung ist nicht die Kombination von Sockel und prozentualer Steigerung, sondern – einmal mehr – die Laufzeit.

Zwei Jahre bedeuten zwei Jahre Stillhalten, zwei Jahre Friedenspflicht und damit zwei Jahre „Planungssicherheit“ für die sog. Arbeitgeber:innen, die in kritischen Bereichen wie bei den Krankenhäusern die nächsten „Reformen“ über die Bühne bringen wollen.

Zwei Jahre Laufzeit bedeuten zudem auch, dass wir über diesen Zeitraum nicht auf weitere Preissteigerungen und damit verbundene Reallohneinbußen reagieren können.

Zwei Jahre Laufzeit bedeuten, dass die tabellenwirksame Lohnerhöhung unter der Preissteigerung bleiben würde, wenn sie auf ein Jahr umgerechnet wird.

Bezüglich der Inflation sollen die Beschäftigten statt einer vollen Lohnerhöhung mit einer einkommensteuerfreien Prämie von insgesamt 3.000 Euro geködert werden. Das bringt den Beschäftigten kurzfristig mehr Cash, aber keine Punkte bei der Rente. Die Summe hört sich schön an, geht aber nicht in die Tariftabelle ein – und entlastet damit Bund und Kommunen bei der nächsten Tarifrunde.

Nein!

Daher müssen wir die Tarifkommission bei den Versammlungen in den nächsten Tagen deutlich unter Druck setzen und auffordern, den Spruch der Schlichtung abzulehnen und den Kampf für die vollen 10,5 % und 500 Euro Mindesterhöhung bei einer Laufzeit von einem Jahr aufzunehmen. Am Verhandlungstisch wird das auch am 22. April nicht erreichbar sein. Daher sollte die Urabstimmung eingeleitet werden, um möglichst rasch zum Erzwingungsstreik überzugehen.

Die Mobilisierung bei den Warnstreiks mit rund einer halben Million Beteiligten hat gezeigt, dass wir kampffähig sind. Auch einige Zugeständnisse der Schlichtung verdeutlichen, dass die sog. Arbeitgeber:innen unsere Macht fürchten, wenn wir sie denn einsetzen. Daher:

  • Nein zum Schlichtungsergebnis!

  • Wir brauchen einen Erzwingungsstreik! Vorbereitung und Einleitung einer bindenden Urabstimmung!

  • Nein zu allen Gesprächen hinter verschlossenen Türen! Verhandlungen sollen öffentlich über das Internet übertragen werden! Keine Abschlüsse ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Rechenschaftspflicht und Wahl der Tarifkommission durch die Basis!

  • Regelmäßige Streikversammlungen in allen Betrieben und Abteilungen! Wahl und Abwählbarkeit der Streikleitungen durch die Mitglieder!

  • Wahl und Entsendung von Delegierten zu einer bundesweiten Streikdelegiertenkonferenz, um hier gemeinsam über die nächsten Schritte im Arbeitskampf zu beraten!



Wir brauchen keine Schlichtung – wir brauchen 500 Euro oder 10,5 %!

Christian Gebhardt, Infomail 1218, 31. März 2023

Donnerstagnacht gingen die Meldungen durch die Medien: Es kommt zu keiner Einigung im Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst (TVöD). Unüberbrückbar seien die Unterschiede zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und den Gewerkschaften. Die VKA habe sich nicht dazu entscheiden können, ein sozial gerechtes Angebot vorzulegen. Ver.di erklärte die Verhandlungen für gescheitert und die Gegenseite rief die Schlichtung an.

Das letzte Angebot, das von der VKA auf dem Tisch lag, waren 8 % mehr Lohn, ein Mindestbetrag von 300 Euro sowie eine Einmalzahlung von 3.000 Euro. Bei der Laufzeit stehen sich 12 Monate von den Gewerkschaften und 27 Monate vom VKA entgegen. Hier gab es laut Medienberichten die größte Kompromissbereitschaft von Seiten der Gewerkschaften.

Noch zeigt die Verhandlungsführung Standhaftigkeit. Das bisherige „Angebot“ wird für die Mitgliedschaft nicht beschönigt und sie stellt sich auch weiterhin noch gegen die Einmalzahlungen als Kompromissbestandteil. Wie lange die Standfestigkeit der Bürokratie in einem zugespitzten Arbeitskampf anhalten kann, haben wir jedoch beim Abschluss der Postkolleg:innen erfahren dürfen. Dort wurde ein bis dahin abgelehntes Angebotspaket nach erfolgreicher Urabstimmung und kurz vor Streikbeginn mit unwesentlichen Abänderungen in einem Nacht-und Nebel-Abschluss angenommen und zur Abstimmung den Kolleg:innen vorgeschlagen. Das gleiche Einknicken kann in der nun anstehenden Schlichtung bei den TVöD-Verhandlungen ebenfalls passieren. Die ver.di-Führungsleute sind aus dem gleichen Stall wie bei der Post.

Schlichtung führt ins Abseits!

Die jetzt angerufene Schlichtung ist keine Überraschung. Die Arbeit„geber“:innen wollen die Beschäftigten aus dem Verfahren ausgrenzen. Die ver.di-Führung offensichtlich auch, sonst hätte sie diese Verpflichtungsvereinbarung zur obligatorischen Schlichtung nicht unterschrieben oder gekündigt. (Diese war und ist natürlich beiden Konfliktparteien bekannt und wird einen Platz in ihrer Strategiefindung eingenommen haben.)

In dieser Zeit gilt Friedenspflicht, was übersetzt bedeutet, dass die große Aktivität und Streikbereitschaft, die sich in den letzten Wochen und Monaten gezeigt hat, gebremst und der Streik insgesamt somit erst mal demobilisiert wird. Das hat nicht nur einen positiven Aspekt für die VKA, sondern auch für die Gewerkschaftsbürokratie, die zu Recht anmerkt, dass der Druck groß ist und die Kolleg:innen auf ihren Forderungen mit Hinblick auf Inflation und Energiekrise bestehen.

Zum Dritten bringt die Schlichtung eine andere Perspektive in den Prozess. Ihre „Unabhängigkeit“ bedeutet die Nichtberücksichtigung unserer Forderungen und Bedürfnisse. Ihr Maßstab ist die „Gesellschaft“.  Hinter der Frage „Was können ‚wir’ verkraften?“ werden in Wirklichkeit die Interessen des Staates, seiner Regierung und der herrschenden Klasse als die der „Allgemeinheit“ ausgegeben und versteckt.

Die Schlichter:innen werden sich auch an den Abschlüssen in anderen Branchen orientieren. Und die lagen alle nicht weit vom letzten Angebot der Gegenseite entfernt.

Es darf keine Annahme eines Schiedsspruchs unterhalb der Forderungen durch die ver.di-Vertreter:innen in der Schlichtungskommission geben! Und das heißt faktisch, die Schlichtung für gescheitert zu erklären und so rasch wie möglich die Urabstimmung über das Ergebnis der Schlichtung und einen möglichen Erzwingungsstreik einzuleiten.

Mobilisierung während der Schlichtung aufrechterhalten!

Wir dürfen uns in den nächsten Wochen von der sog. Friedenspflicht nicht lähmen lassen. Wir müssen die Zeit nutzen zur Einleitung der Urabstimmung. Zentral hierbei ist, dass die Befragung über das Schlichtungsergebnis sowie die Urabstimmung über den Erzwingungsstreiks bindend für die Bundestarifkommission sind. Dies muss verbunden werden mit regelmäßigen Mitglieder- und Personalversammlungen, bei denen der Verlauf der Schlichtung öffentlich gemacht wird. Außerdem sollten auch in den nächsten Wochen regelmäßig Demonstrationen organisiert werden, um die Mobilisierung aufrechtzuerhalten und die Beschäftigten in anderen Branchen auf der Straße zu informieren.

Der Megastreiktag am 27. März hat uns gezeigt, was möglich ist. Wenn wir mit unseren Kolleg:innen branchenübergreifend und zusammen streiken, dann steht das Land still. Eine Überraschung ist das nicht, denn wir alle wissen, dass wir gemeinsam stärker sind. So stark, dass wir uns auch gemeinsam gegen die mediale Stimmungsmache, die es im Vorfeld zum Streiktag gab und bei einem Erzwingungsstreik droht, wehren können.

  • Keine Illusionen in die Schlichtung: Lasst sie uns als gescheitert erklären! Je länger die Schlichtung dauert, desto unwahrscheinlicher wird ein unbefristeter Streik!

  • Wir brauchen einen Erzwingungsstreik! Vorbereitung und Einleitung einer bindenden Urabstimmung anstatt monatelanger Verhandlungsrituale oder gar Schlichtung!

  • Nein zu allen Gesprächen hinter verschlossenen Türen! Verhandlungen sollen öffentlich über das Internet übertragen werden! Keine Abschlüsse ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Rechenschaftspflicht und Wahl der Tarifkommission durch die Basis!

  • Regelmäßige Streikversammlungen in allen Betrieben und Abteilungen! Wahl und Abwählbarkeit der Streikleitungen durch die Mitglieder!

  • Wahl und Entsendung von Delegierten zu einer bundesweiten Streikdelegiertenkonferenz, um hier gemeinsam über die nächsten Schritte im Arbeitskampf zu beraten!

Perspektive

Die Tarifabschlüsse in der Metallindustrie und bei der Post senden eine Warnung: Trotz hoher Mobilisierung und Streikbereitschaft wurde heftiger Reallohnverlust vereinbart, garniert mit 3000 Euro steuer- und abgabenfrei, was im Sommer in der Konzertierten Aktion zwischen Regierung, Kapital und Gewerkschaftsspitzen ausgemacht worden war. Für den öffentlichen Dienst droht ein ähnliches Ergebnis, das Reallohnverlust auf dem Konto und ein Niederlage im Klassenkampf bedeutet.

Es ist strategisch nötig, eine kämpferische Basisopposition aufzubauen, gegen die sozialpartner:innenschaftliche Bürokratie in den Gewerkschaften, die stets die Interessen der Arbeitenden denen des Kapitals und seines Staates unterordnet.

Für die noch laufenden Tarifrunden heißt dies:

  • Aufbau von unabhängigen Aktionsgruppen mit allen Kolleg:innen, die sich nicht verkaufen lassen wollen!

  • Volle Transparenz bei Aktionen, Verhandlungen und den Schlichtungsgesprächen einfordern!

  • Mit den im Tarifkampf aktiven Kolleg:innen Betriebsgruppen oder Vertrauensleutestrukturen aufbauen!

  • Das Schlichtungsabkommen zeigt deutlich, dass es eine konstant arbeitende Basisopposition benötigt, die für seine Kündigung eine Kampagne innerhalb von ver.di anschiebt, damit es uns nicht bei den nächsten Verhandlungen wieder auf die Füße fällt.

  • Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) hat sich in dieser Tarifrunde als Hebel erwiesen, an einigen Orten zum Sammelpunkt gegen die Gewerkschaftsbürokratie zu werden.

Das ist ein notwendiger Anknüpfungspunkt! Sollte auch in dieser Tarifrunde die Bürokratie einen miesen Abschluss zu verantworten haben, dann muss die Konsequenz sein, dass sich an der Basis eine dauerhafte Opposition aufbaut!




Tarifrunde öffentlicher Dienst: Konsequenter Kampf oder fauler Verhandlungspoker?

Helga Müller, Neue Internationale, April 2023

So nahe an branchen- und gewerkschaftsübergreifenden gemeinsamen Streiks – nicht nur Warnstreiks – wie jetzt waren wir seit Gründung der sogenannten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di noch nie!

Gemeinsamer Warnstreik

Selbst sog. Tarifexpert:innen aus dem bürgerlichen Lager schreiben, dass dies eine neue Situation darstelle – und hetzen gegen angebliche „Erpressung“. Am Montag, den 27. März organisierten EVG (Verkehrsgewerkschaft im DGB) und ver.di einen gemeinsamen Warnstreik im gesamten öffentlichen Verkehr. In 7 Bundesländern wurde der kommunale Nahverkehr aufgerufen (in anderen blieb dies aus, da die Tarifverträge für den Nahverkehr in den Bundesländern unterschiedlich sind). Damit wäre der öffentliche Verkehr in mehreren Bundesländern lahmgelegt. In mehreren Städten, u. a. auch in München, gab es Solidaritätsaktionen zwischen den streikenden Post- und ver.di-Kolleg:innen. Die EVG rief die Beschäftigten zu einem eintägigen, zeitgleichen Warnstreik auf, was die Bahn AG dazu brachte, den Fernverkehr gleich einzustellen.

Und natürlich rennen die Unternehmer:innenverbände Amok dagegen. Die CDU-Mittelstandsvereinigung – also der „christliche“ Unternehmer:innenzusammenschluss – forderte bereits aufgrund der zweitägigen Warnstreiks an mehreren Flughäfen im Februar eine Einschränkung des Streikrechts. „Das Streikrecht dürfe nicht missbraucht werden, um im ‚frühen Stadium von Tarifverhandlungen unverhältnismäßig Druck auszuüben und durch die Einbeziehung kritischer Infrastrukturen schweren Schaden auszurichten‘, heißt es in einem Papier der Mittelstandsunion.“ (nd-aktuell, 20.2.23).

Während ver.di und EVG in den Warnstreik treten, geht unsere Zeitung in Druck. Eine Bilanz können wir an dieser Stelle daher noch nicht ziehen, aber eine solche werden wir auf unserer Homepage veröffentlichen. Eines wird aber schon jetzt deutlich: Der gemeinsame Warnstreik ist nicht nur ein längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung. Er verdeutlicht auch, dass alle Gewerkschafter:innen vor einer entscheidenden Frage stehen.

Entweder antworten wir auf massive Einkommensverluste mit einem gemeinsamen, branchenübergreifenden Abwehrkampf. Dann müssen die Warnstreiks als Auftakt für Urabstimmungen und befristete Erzwingungsstreiks für alle unsere Forderungen genutzt werden; dann müssen wir sie als Auftakt für eine über Lohnfragen hinausgehende politische Konfrontation mit Kabinett und Kapital führen, die auch den Kampf um Neueinstellungen von Hunderttausenden, für die Rekommunalisierung privatisierter Unternehmen und für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich umfassen muss.

Oder die gemeinsamen Warnstreiks bleiben nur ein einmaliges Signal, eine Drohgebärde an die sog. Arbeitgeber:innen, doch zum üblichen – und üblen! – Tarifrundenritual zurückzukehren. Dann werden Abschlüsse wie bei Metall, Chemie und Post folgen, die deutlich unter der Inflationsrate bleiben und uns mit zweijährigen Laufzeiten an die sog. Friedenspflicht fesseln.

Das steht an. Wir müssen jetzt die Chance ergreifen, alles zu tun, damit die volle Kampfkraft der Gewerkschaften entfaltet wird und die Tarifkommission und die Vorstände keine faulen Kompromisse am Verhandlungstisch aushandeln und uns nicht, wie jüngst bei der Post, ausverkaufen können.

Neue Lage

In einer Hinsicht haben die Kapitalist:innen nämlich recht. Wir befinden uns in einer neuen Situation: Die galoppierende Inflation, die zwar derzeit ein wenig abgeflacht ist, treibt viele Kolleg:innen aus dem öffentlichen Dienst, bei den Flughäfen, der Bahn, im öffentlichen Nahverkehr und vor allem auch bei der Post dazu, mit mehr Nachdruck für eine Lohnerhöhung, die auch tatsächlich die Inflation ausgleicht, zu kämpfen. Diese dringende Notwendigkeit nach einem realen Inflationsausgleich tendiert dazu, sich über die Branchen hinweg zu vereinen. Wir haben eine Inflation, die viele Kolleg:innen – nicht nur in den Niedriglohnsektoren – in Existenznöte bringt!

Diese Dringlichkeit eines existenzsichernden Einkommens und sicherlich auch die eindrucksvollen Massenstreiks und -demonstrationen in Frankreich gegen die Rentenreform von Macron und die vielen Streiks in Britannien gegen Personalnotstand und Unterfinanzierung der Gesundheitsversorgung tun ihr Übriges dazu, dass der Wille auch hier steigt, die aufgestellten hohen Forderungen durchzusetzen. Selbst der Apparat muss dem Rechnung tragen. Seit Jahrzehnten gab es keine so hohen Forderungen mehr: 15 % bei der Post, 10,5 %, mindestens aber 500 Euro im öffentlichen Dienst und 650 mehr bei der Bahn.

Landauf, landab wurden gemeinsame Warnstreiks des gesamten öffentlichen Dienstes – angefangen bei der Stadtverwaltung, über die Müllentsorgung, Arbeitsagenturen bis zu Kitas und Krankenhäusern – vor den vorerst letzten Verhandlungen am 27. bis 29. März inszeniert! Und die Beteiligung an den Arbeitskämpfen ist gut, besser als von manchem/r Gewerkschaftsverantwortlichen erwartet: So haben in München insgesamt über 6.000 Kolleg:innen aus dem gesamten öffentlichen Dienst am 21.3. bei einer Kundgebung ihrem Unmut gegen die öffentlichen Arbeit„geber“:innen von Bund und Kommunen Luft verschafft, in Köln waren es um die 12.000, in Gelsenkirchen um die 20.000 Beschäftigte, in Nürnberg 8.500 am 22. März!

In München z. B. – sicherlich auch in anderen Bezirken – wurde zum ersten Mal eine überbetriebliche und branchenübergreifende Arbeitskampfleitung gegründet, in der gewerkschaftliche Aktivist:innen und Gewerkschaftssekretär:innen aus dem öffentlichen Dienst, der Post, des öffentlichen Nahverkehrs gemeinsame Aktionen und Warnstreiks besprechen und vorbereiten.

Schulterschluss mit anderen Bewegungen und Kampfbereitschaft

Was noch zusätzlich als neues Element in dieser Tarifbewegung dazukommt ist der „Schulterschluss“ mit fortschrittlichen Bewegungen.

Im Bereich Nahverkehr – der großteils erst 2024 in Verhandlungen einsteigt – gibt es aus früheren Tarifrunden noch zahlreiche Verbindungen zur Klimabewegung. Am 3. März 2023 – dem weltweiten Klimastreiktag – kam es in vielen Städten zu gemeinsamen Aktionen und Kundgebungen, verbunden mit mehrtägigen Warnstreiks der Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr, von Gruppen der Klimabewegung wie FFF und streikenden Kolleg:innen.

Hier gibt es auch ein ganz klares gemeinsames Interesse: Ausbau des öffentlichen Nah- statt Individualverkehrs und Aufbau des entsprechenden Personals – eine der Forderungen der dort tätigen Beschäftigten. Dies durchzusetzen, geht nur gemeinsam mit Aktivist:innen aus der Klimabewegung und Kolleg:innen anderer Bereiche. Ein sinnvolles „Nebenprodukt“ dabei ist auch, dass diese gemeinsamen Aktionen von Klimabewegung und streikenden Kolleg:innen den Weg aufzeigen, wie die Klimabewegung aus ihrer Krise herauskommt und eine wichtige Verbindung mit der Arbeiter:innenbewegung eingeht!

Auch am 8. März, dem  Internationalen Frauenkampftag, kam es in vielen Städten zu gemeinsamen Kundgebungen und Demonstrationen von Frauenbewegung und streikenden Kolleg:innen aus dem Sozial- und Erziehungsdienst. Ein Manko dabei war, dass sich der ver.di-Bundesvorstand nicht dazu entscheiden konnte, alle Bereiche – nicht einmal jene, in denen vor allem überwiegend weiblich Beschäftigte arbeiten, also der ganze Bildungs- und Gesundheitsbereich –  zu Warnstreiks aufzurufen.

Aufgrund der großen Mobilisierungen – mehrere Hunderttausend Kolleg:innen waren und befinden sich in Warnstreiks – und der Notwendigkeit, einen Inflationsausgleich in diesen Tarifrunden durchzusetzen, sind über 45.000 neue Kolleg:innen in ver.di eingetreten.

Warnung Post

Bei der Post hat der Kampfeswillen dazu geführt, dass fast 86 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Kolleg:innen für einen unbefristeten Streik gestimmt hatten. Dazu hat sicherlich auch die Ignoranz der Konzernführung beigetragen, die Forderung nach 15 % mehr Lohn als unrealistisch zu bezeichnen, obwohl sie gleich zwei Jahre hintereinander ihre höchsten Gewinne eingestrichen hat bei gleichzeitiger Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und Löhne für die Kolleg:innen. Interessanterweise lief die Urabstimmung bei der Post über unbefristete Streiks bis zum 8. März, dem Internationalen Frauenkampftag. Trotz dieser großen Zustimmung ging die Tarifkommission in Verhandlungen und vereinbarte ein unterirdisches Ergebnis – das nichts anderes als einen Reallohnverlust bedeutet (siehe dazu den Artikel in diese Ausgabe).

Worüber nun die Kolleg:innen zwar wieder in einer Urabstimmung bis zum 30. März abstimmen müssen, es aber nur ein Quorum von 25 % braucht, um angenommen zu werden. Ein absolut undemokratisches Vorgehen von Seiten der Verhandlungsführung, aber auch kein, Wunder sitzen doch viele ver.di Verantwortliche wie die Verhandlungsführerin Andrea Kocsis im Aufsichtsrat und streichen dort Gelder ein, auch wenn sie einen bestimmten Teil an ver.di abgeben müssen. Laut Satzung sind sie doch schon aufgrund dieser materiellen Besserstellung weit von den Interessen der Kolleg:innen entfernt und verstehen sich als Vermittler:innen zwischen den Kapitalinteressen und denen der Kolleg:innen, anstatt sich für diese ohne Wenn und Aber einzusetzen!

Darüber hinaus ist der Bund immer noch größter Anteilseigner der Post AG. Über die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau hält die Bundesregierung über 20 Prozent der Aktienanteile und dies garantiert ihm eine jährliche Dividendenauszahlung. Dieses Jahr erhält der Bund fast eine halbe Milliarde Euro, auf die die ver.di-Führung nicht verzichten will. Dafür opfert sie dann gerne einen konsequenten Kampf für die Durchsetzung der Forderungen! Gleichzeitig fürchtet sie natürlich in einer solchen Situation eine unkontrollierbare Mobilisierung der Kolleg:innen, die über ihren eigene Branche hinausgehen könnte und Beispielfunktion für die Beschäftigten in den anderen Bereichen, die sich gerade im Tarifkampf befinden, ausüben könnte. Damit würde sie ihre Rolle als Garantin für eine geregelte Tarifauseinandersetzung in Frage stellen und wäre für die Kapitalseite unbrauchbar!

Kein Vertrauen in den Bürokratie!

Auch wenn derzeit – kurz (zur Zeit des Redaktionsschlusses) vor den vorerst letzten Verhandlungen im öffentlichen Dienst – überall beeindruckende und gemeinsame Streiks stattfinden mit guter Beteiligung der aufgerufenen Bereiche, heißt das aufgrund dieser Erfahrungen nicht, dass die Verhandlungsführung rund um den ver.di-Vorsitzenden Werneke und die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Behle (zuständig im Bundesvorstand für den öffentlichen Dienst) auch tatsächlich einen besseren Abschluss als der bei der Post aushandelt!

In der Regel ist es immer so, dass, wenn kurz vor den entscheidenden Verhandlungen in einem anderen Bereich von ver.di ein Ergebnis zustande kommt, dieses die Grundlage für den nächsten Tarifbereich darstellt. Von daher ist zu befürchten, dass es zu einem schlechten Abschluss kommen könnte. Aber bisher scheinen die öffentlichen Arbeit„geber“:innen nicht gewillt, ver.di entgegenzukommen, es sei denn das Kalkül der ver.di-Führung geht auf und der gemeinsame Warnstreiktag von ver.di und EVG entwickelt soviel Druck, dass sie doch noch nachgibt, bevor es zu unvorhersehbaren Mobilisierungen kommt. Gleichzeitig ist und bleibt der Druck und damit auch die Erwartungshaltung der Gewerkschaftsmitglieder hoch, so dass durchaus zu erwarten ist, dass es zu einem Scheitern der bisher letzten Verhandlungen kommen könnte.

Doch bevor es im öffentlichen Dienst zu einer Urabstimmung über unbefristete Streiks kommen wird, die aller Wahrscheinlichkeit nach derzeit auch so eindeutig wie bei der Post ausgehen würde, wird es zu einem Schlichtungsverfahren kommen. Dieses hat ver.di trotz mehrerer Beschlüsse aus Gremien nicht gekündigt, solange noch Zeit war. Mit Sicherheit werden die Arbeit„geber“:innen dieses einleiten wollen. Damit ist auch ver.di gezwungen, sich daran zu beteiligen. Hier wird unter einem/r Vorsitzenden – meistens ein/e erfahrene/r Politiker:in – unter Einhaltung der Friedenspflicht weiterverhandelt. Auch hier ist die Gefahr groß, dass sich die Beteiligten auf einen faulen Kompromiss einigen. Darüber hinaus übt dieses Schlichtungsverfahren auch die Funktion aus, die Dynamik aus den Streiks rauszunehmen. Je länger die Schlichtung dauert, desto umwahrscheinlicher wird ein unbefristeter Streik!

Wir dürfen darüber hinaus nicht zulassen, dass die Gegenseite über den Weg des Schlichtungsverfahrens den Streik aushebeln kann. Deswegen haben auch Versammlungen in mehreren Städten wie Berlin und Leipzig mit großer Mehrheit, teilweise sogar einstimmig, beschlossen, dass es keinen Alleingang der Tarifkommissionen und Vorstände bei der Festlegung der Kampftaktik geben darf, sondern dass diese von der Basis kontrolliert und bestimmt werden muss (siehe: https://vernetzung.org/resolutionen-zur-tarifrunde-des-oeffentlichen-diensts).

Kampfesführung

Ver.di und EVG haben sich zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieser Zeitung dazu entschieden, am Montag, den 27. März, dem ersten Tag der vorerst letzten Verhandlungen im öffentlichen Dienst, einen bundesweiten gemeinsamen Warnstreik zu organisieren. Aufgerufen sind neben der Bahn der gesamte Verkehr des öffentlichen Dienstes – von Flughäfen, über kommunale ÖPNV-Betriebe in sieben Bundesländern, Teile der kommunalen Häfen, Autobahngesellschaften bis hin zur Wasser- und Schifffahrtsverwaltung. Ein Megastreik – wie ver.di diesen Warnstreiktag bezeichnet!

Ja, ein veritabler Massenstreik, aus dem sich die politische Kraft entwickeln könnte, die die Forderungen gegen die derzeitige Front der öffentlichen Dienstherr:innen und Konzernleitungen für Millionen Kolleg:innen durchsetzen könnte. Mehr noch, die Kraft, die wir brauchen, um den Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf unseren Rücken, gegen Klimakatastrophe und Aufrüstung – diese kapitalistische Weltordnung hat uns nur Chaos, Krieg und Verwüstung zu bieten – aufnehmen zu können!

Diese Entscheidung widerspiegelt ganz offensichtlich, dass sowohl ver.di als auch EVG unter einem doppeltem Druck stehen: einerseits von den vielen Hunderttausenden Kolleg:innen, die sich derzeit in Tarifkämpfen mobilisieren und von Seiten der Arbeit„geber“:innen, die gerne ungeschoren aus diesen Tarifrunden herausgehen wollen. Letzteres kann dazu führen, dass der Apparat weiter zu gehen gezwungen ist, als er will.

Wie der Kampf weitergeht, hängt aber entscheidend davon ab, wie viel Druck die Kolleg:innen an der Basis entwickeln können und vor allem, ob sie in der Lage und auch bereit sind, einen Schritt weiter zu gehen und zu beginnen, Instrumente und Strukturen aufzubauen, mit Hilfe derer sie in der Lage sind, den Gewerkschaftsführungen ihren Willen aufzuzwingen! Anstatt am Schluss der Tarifrunde enttäuscht wieder zurück zur Arbeit zu gehen, auf die Gewerkschaftsspitze zu schimpfen und die Gewerkschaftsbücher hinzuwerfen!

Das A und O dafür, dass dieser gemeinsame Kampf nicht eine Eintagsfliege bleibt, um Druck auf die Unternehmen auszuüben, und die Kämpfe erfolgreich geführt, also alle Forderungen erfüllt werden können, liegt darin, dass die Kolleg:innen sich dafür einsetzen, auf breiten Streikversammlungen über den Verhandlungsstand informiert zu werden, diskutieren und entscheiden zu können, wie ihr Kampf weitergeführt wird. Diese Entscheidungen müssen sowohl für die Tarifkommission als auch den Bundesvorstand, der letztlich über die Streiks entscheidet, bindend sein!

Um diese Diskussionen organisiert führen zu können, sind gewählte Streikkomitees notwendig, die gegenüber den streikenden Kolleg:innen rechenschaftspflichtig und von ihren Vollversammlungen jederzeit abwählbar sind. D. h., diese müssen sich dafür einsetzen, dass sie selbst die Kontrolle darüber erringen. Erste Elemente dieser elementaren Arbeiter:innendemokratie haben sich in den beiden Krankenhausbewegungen von Berlin und NRW herauskristallisiert. Letzten Endes ist das nur möglich, wenn sich eine politische Kraft in ver.di und allen DGB-Gewerkschaften herausbildet, die bewusst den Kurs der Anpassung aller Gewerkschaftsführungen an Kapitalinteressen und angebliche Sachzwänge in einer antibürokratischen Basisbewegung bekämpft. Einen Ansatz dafür stellen heute die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften und ihre lokalen Strukturen dar.

  • Einzelne Streiktage reichen nicht! Schluss mit der Zersplitterung! Gemeinsame Aktionen mit der Bahn und allen anderen Kämpfen! Aufbau von Unterstützungskomitees, um die Öffentlichkeit zu informieren!

  • Wir brauchen einen Erzwingungsstreik! Vorbereitung und Einleitung der Urabstimmung anstatt monatelanger Verhandlungsrituale oder gar Schlichtung!

  • Für gläserne Tarifverhandlungen! Nein zu allen Gesprächen hinter verschlossenen Türen! Verhandlungen sollen öffentlich über das Internet übertragen werden! Keine Abschlüsse ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Rechenschaftspflicht und Wahl der Tarifkommission durch die Basis!

  • Regelmäßige Streikversammlungen in allen Betrieben und Abteilungen! Wahl und Abwählbarkeit der Streikleitungen durch die Mitglieder!



Warum stellen wir nur Lohnforderungen?

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftsinfo der Gruppe Arbeiter:innenmacht zur Tarifrunde im Öffentlichen Dienst, Infomail 1214, 21. Februar 2023

10,5 % mehr Lohn für alle, mindestens aber 500 Euro mehr pro Monat bei einer Laufzeit von 12 Monaten und Erhöhung der Ausbildungsvergütung sind die Hauptforderungen der diesjährigen TVöD-Runde bei Bund und Kommunen.

Sollten die Ziele erreicht werden, würden sie nicht nur in Hinblick auf die Inflationsraten eine längst überfällige Verbesserung für alle darstellen, sondern gäben auch ein wichtiges Signal für alle anderen Lohnabhängigen. Dennoch kann durchaus die Frage gestellt werden, warum nicht Forderungen mit aufgenommen wurden, die über Lohnerhöhungen hinausgehen?

Die Vorbereitung unserer Tarifrunde begann schon vor der Sommerpause 2022 und durchaus vielversprechend: Ver.di organisierte bundesweit Treffen unter der Mitgliedschaft, um ihr die obigen Forderungen mitzuteilen. Die klare Absage an Einmalzahlungen wie auch die hohen Lohnforderungen waren vor allem Auswirkung innergewerkschaftlichen Drucks:

1) Ver.di möchte ihrem Mitgliederverlust entgegenwirken, indem sie ihren Mitgliedern zu zeigen versucht, dass sie sie ernst nimmt.

2) Die großen Bewegungen der Krankenhausbeschäftigten in Berlin und NRW, die erst 2021 und 2022 für einen Tarifvertrag Entlastung gekämpft haben, zeigten, dass es möglich ist, im Bereich der Gesundheitsversorgung – wenn nötig auch wochenlang – Streiks durchzuführen. Das hat nicht nur zu einem Zuwachs von ver.di-Mitgliedern geführt, sondern auch eine hohe Erwartungshaltung unter der Belegschaft geschaffen, dass sie gut organisiert Kämpfe gewinnen kann.

3) Die Inflation und die hohen Energiekosten üben ebenfalls Druck auf die Mitgliedschaft und dadurch vermittelt auf die Tarifkommission aus. Diese muss dafür sorgen, dass die Löhne ihrer Mitgliedschaft für deren Lebenshaltungskosten reichen.

Trotzdem wurden neben finanziellen Aspekten auch von den Beschäftigten immer wieder Forderungen nach Verbesserung der Arbeitsbedingungen genannt, die in einem weiteren Punkt, der Druck aufbaut, wirken: gegen Personalmangel! Die Entlastungsfrage für die Beschäftigten in Krankenhäusern, Kindertagesstätten, Reinigungsfirmen, bei Behörden, usw. wurde durch verschiedene Forderungen deutlich wie z. B.:

  • Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich!

  • Früheren Renteneintritt ermöglichen, Altersteilzeitregelung verlängern!

  • Mehr Urlaub bei Dauerschichtdienst!

Die Begründung der Tarifkommission, solche Forderungen nicht in die für diese Tarifrunde zu integrieren, lautete, dass es damit zu einem gegenseitigen Ausspielen der Forderungen käme. Besonders die Entlastungsfrage soll laut ver.di anschließend in den Bundesländern einzeln aufgegriffen werden, wo es dazu noch keine Tarifverträge gibt. Dies stellt aber eine unbefriedigende Entscheidung der Tarifkommission dar. Diese kam somit dem Bedürfnis der Belegschaften nicht nach, auch Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen aufzustellen, um alte Kolleg:innen im Beruf zu halten und ihn attraktiver für neue zu gestalten. Beides kann unserer Meinung nach nicht getrennt und sollte dadurch in Streikversammlungen angesprochen und kritisch diskutiert werden.




Fahimi muss zurücktreten! Schluss mit Interessensverrat und Sozialpartnerschaft!

Stellungnahme der VKG zu den Äußerungen der DGB-Vorsitzenden Yasmin Fahimi, 10. Januar 2023, Infomail 1210, 16. Januar 2023

Kurz vor Ende eines historischen Krisenjahres sorgt die Vorsitzende des DGB Yasmin Fahimi mit Statements für Unmut bei GewerkschafterInnen. Wie kann die Vorsitzende des DGB ernsthaft unterstützen, dass Konzerne, die mehr als 50 Millionen Euro „Krisenhilfe“ vom Staat erhalten, diese Millionen direkt als Dividende an die Aktionäre und als Boni an die Manager weiterreichen dürfen? Selbst die Regierung hat es nicht gewagt, sich hinter diese dreiste Forderung der Unternehmerverbände zu stellen. Aber sie, als Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbandes, der Vertretung von knapp 6 Millionen Beschäftigten, stellt sich auf die Seite des Kapitals. In einer Situation, in der Hunderttausende nicht wissen wie sie über die Runden kommen, unterstützt sie, dass Steuergelder an Bosse und Manager verschenkt werden.

Für Fahimi sind das „die normalen Mechanismen der Marktwirtschaft“. „Es mag ja sein, dass die einem nicht gefallen. Aber jetzt ist nicht die Zeit für kapitalismuskritische Grundsatzdebatten, sondern für effektives Handeln in der Realität.“ Mehr Zynismus wäre kaum denkbar von einer Gewerkschaftsführerin, die hier ohne Scham im Sinne des Kapitals argumentiert – gegen die Interessen der abhängig Beschäftigten, die sie als Vorsitzende vertreten sollte. Mit solchen Aussagen macht sie sich als Vorsitzende des DGB untragbar. Fahimi muss zurücktreten!

Zur Begründung ihrer Haltung, greift Fahimi die Schreckgespenster „Deindustrialisierung“, „Arbeitsplatzabbau“ und „Wertschöpfungskette Deutschland verlassen“ auf, die seit Jahrzehnten von Vertreter des Industriekapitals heraufbeschworen werden. Mit diesen Drohungen und Erpressungen haben die Konzerne in den letzten dreißig Jahren zahllose Verschlechterungen durchgesetzt. Sie haben Tausende Stellen abgebaut, die Löhne abgesenkt, in Tochterfirmen zu Niedrigstlöhnen ausgelagert…

Viele Mitglieder verlassen aufgrund solcher Stellungnahmen die Gewerkschaften, weil sie sich nicht mehr von ihnen vertreten fühlen. Solche Erklärungen setzen auch die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften auf’s Spiel.

Es ist nötig einen organisierten Kampf um eine politische und personelle Alternative in den Gewerkschaften zu führen, wenn wir diese als kämpfende Organisationen wieder und weiter aufbauen wollen. Gerade jetzt, gerade in der Krise, bei explodierenden Preisen, bei sinkendem Lebensstandard brauchen die Beschäftigten kämpferische Gewerkschaften an ihrer Seite, Gewerkschaften, die ihre Interessen vertreten, um sich gegen Angriffe und Erpressungen wehren zu können und die sozialen und tariflichen Errungenschaften zu verteidigen. Schluss mit Sozialpartnerschaft, Komanagement und Klassenverrat! Stärken wir einen kämpferischen Kurs und die innergewerkschaftliche Demokratie!




Kampf gegen Inflation: Warum blieb der heiße Herbst aus?

Martin Suchanek, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

Entgegen aller Erwartung und Ankündigung blieb der heiße Herbst aus. Dabei steigen die Preise und Lebenshaltungskosten wie nie seit Jahrzehnten. Die staatliche Hilfe dagegen ist völlig unzureichend. Jedoch von Klassenkampf keine Spur: Die Tarifabschlüsse blieben hinter der Inflation zurück. Protest von Linken und Gewerkschaften erfolgte nur zaghaft.

Noch nicht angekommen?

Es gibt die Behauptung, die Krise sei bei den Menschen noch nicht angekommen, doch das ist sehr fraglich. Fraglich angesichts der sozialen Lage der Ärmsten, die sich auf das neue Hartz IV (ach nein – Bürgergeld!) freuen können. Fraglich angesichts von Tafeln, die unter Lebensmittelknappheit leiden. Fraglich angesichts einer Rekordinflation, die sich, so die gute (!) Nachricht, bei unter 10 % „stabilisiert“ hätte.

Schließlich könnte es noch weniger Ausgleich und Hilfspakete geben, die Tarifabschlüsse könnten noch schlechter ausgefallen sein. Dass die Krise nicht angekommen sei, heißt nur: Das Schlimmste kommt noch. Die richtig fetten Rechnungen kommen im neuen Jahr und die Rezession wohl auch.

Wir wollen hier keineswegs bestreiten, dass die Hilfspakete der Regierung wie auch die viel zu moderaten Lohnabschlüsse die Auswirkungen der Inflation und Krise auch auf die Lohnabhängigen abmildern. Zumindest wichtige Teile der Mittelschichten und auch besser verdienende Lohnarbeiter:innen können damit erstmal befriedet werden.

Trotzdem kann das nicht erklären, warum der Widerstand auf der Straße verhalten, schwach blieb. Die größte bundesweite Mobilisierung gegen die Krise fand am 22. Oktober statt – gerade mal 24.000 bis, wohlwollend geschätzt, 30.000 Menschen beteiligten sich daran. Die Tatsache, dass es auch einzelne lokale oder regionale Demonstrationen mit respektablen Teilnehmer:innenzahlen gab – zuletzt am 12. November in Berlin mit rund 7.000 – darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Linke wenig zustande brachte.

Eher gelang es den rechtspopulistischen und sogar rechtsextremen Kräften, Menschen zu mobilisieren. Doch von einer Massenbewegung auf der Straße sind auch diese zum Glück noch weit entfernt – bisher.

Lähmung

Dass sich die Regierung trotz großer Unzufriedenheit und Wut einigermaßen halten kann, Parteien wie CDU und Grüne in den Umfragen sogar zulegen können, liegt vor allem daran, dass sich die Enttäuschung mit einer Perspektivlosigkeit und Krisenangst verbindet, die etwas Fatalistisches an sich hat.

Gerade weil die ökonomische Lage, der Krieg und der Kampf um die Neuaufteilung der Welt ein historisch bedrohliches Ausmaß annehmen, die Masse der Bevölkerung die aktuelle Lage tatsächlich als Zäsur erlebt und empfindet, lässt sich eine Bewegung gegen die Krise nicht so einfach entfachen. Die Mehrfachkrise und ihre Bedrohungen – zuerst die Pandemie, dann der vom russischen Imperialismus entfachte Krieg um die Ukraine, nun die damit verbundene Wirtschaftskrise und über allem die permanente ökologische Katastrophe – sie alle vermitteln ein Gefühl der Ohnmacht, der Ausweglosigkeit, rufen zugleich Abwehrmechanismen auf den Plan, wozu auch Schicksalsergebenheit zählt.

Dies zeigt sich schon bei den Schwierigkeiten, eine Bewegung gegen historische Aufrüstungsprojekte, die Kriegspolitik der NATO, der USA, der Bundesrepublik und ihrer Verbündeten zu verbreitern. Im Kampf gegen die Preissteigerungen, die vor demselben weltpolitischen Hintergrund stattfinden, erleben wir ein ähnliches, eher noch potenziertes Phänomen.

Bei rein ökonomischen Verteilungskämpfen oder direkt sozialen Angriffen wie den Hartz-Gesetzen sind zumindest Freund:in und Feind:in leicht auszumachen. Regierung und/oder Kapital stehen auf der einen Seite, die Lohnabhängigen oder Teile davon auf der anderen. Der Kampf nimmt die Form eines Umverteilungsgerangels an.

Die aktuelle Krise aber, die im Grunde eine viel tiefere des Kapitalismus und des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs als die vorhergehenden bedeutet, erscheint an der Oberfläche und damit im Bewusstsein der Massen wie eine undurchschaubare Verkettung von quasi Naturkatastrophen: Krieg, Klima, Hunger, Irrationalismus und rechter Wahn, Corona und obendrauf Inflation und Wirtschaftskrise.

Ausbruch und Verlauf der aktuellen kapitalistischen Krise sind und werden zwar eng mit den geopolitischen Kämpfen, mit der Umweltkatastrophe und der Pandemie verbunden, ihr innerer Zusammenhang erscheint aber verkehrt, geradezu mystifiziert – und er wird durch die bürgerliche Propaganda zusätzlich ideologisiert. Deutlich tritt das bei den Sanktionen zutage, wo diese nicht als Resultat bewusster, westlicher Regierungsentscheidungen vorkommen, sondern vor allem als von Putin verursachte (indem er bösartig Gegensanktionen verhängt).

Krise und Gerechtigkeit

Die Forderung nach Gerechtigkeit im Allgemeinen wie nach einem „gerechten“ Lohn im Besonderen stellt selbst eine Ideologie dar, die davon ausgeht, dass es so etwas wie eine allgemeine, über den Klassen stehende Gerechtigkeit im Kapitalismus gebe. Daher unterziehen sie Marxist:innen auch einer scharfen Kritik.

Zugleich stellen diese Parolen Mittel zur Mobilisierung in wirklichen Kämpfen dar. Der Ruf nach gerechter Verteilung entspricht dabei der Forderung, den gesellschaftlichen Reichtum zugunsten der Lohnabhängigen oder anderer unterdrückter Schichten umzuverteilen. Die politisch bewussteren Arbeiter:innen wissen aus Erfahrung, dass das nur durch Kampf zu erreichen ist, da sich hier die Ansprüche von Kapital und Arbeit gegenüberstehen. Dieser Gegensatz reflektiert, wie Marx bei der Analyse des Arbeitstages im „Kapital“ zeigt, die entgegengesetzten Interessen unterschiedlicher Warenbesitzer:innen, ja unterschiedlicher Klassen – von Kapitalist:innen und Arbeiter:innen.

Normalerweise – in „normalen Zeiten“ – gehen die um ihren Anteil am Reichtum Ringenden von einem stabilen System aus, innerhalb dessen sie Konflikte um Umverteilung und Gerechtigkeit austragen. Genau diese „Stabilität“ ist jedoch in historischen Krisen wie der aktuellen in Frage gestellt. Deren tiefere Ursache liegen in der strukturellen Überakkumulation von Kapital und fallenden Profitraten. Diese Ursachen, die innerhalb des Systems nur durch die Vernichtung von überschüssigem Kapital, Arbeitsplätzen und Erhöhung der Ausbeutungsrate „gelöst“ werden können, erfordern auch einen Kampf zwischen großen Konzernen und den führenden imperialistischen Staaten, wessen Kapital zerstört, wie der Weltmarkt und die halbkoloniale Welt sowie die Lasten der ökologischen Krise neu aufgeteilt werden.

Eigentlich erfordert eine solche Systemkrise eine systemsprengende, antikapitalistische, revolutionäre Antwort, legt sie gewissermaßen nahe. Doch damit das Bewusstsein dafür in der Arbeiter:innenklasse Fuß fassen kann, müssen auch die Grenzen des aktuellen, am Rahmen des Lohnarbeitsverhältnisses verhafteten Bewusstseins gesprengt werden.

Für den Kampf um „gerechten“ Lohn, um einen „fairen“ Anteil am gesellschaftlichen Reichtum, um „gerechte“ Verteilung insgesamt stellt das kapitalistische System – und in der Regel sogar nur die jeweilige Nationalökonomie – eigentlich den Referenzpunkt dar. Solange das Gesamtsystem einigermaßen funktioniert und expandiert, vergrößert sich schließlich auch der Verteilungs-, um nicht zu sagen: der Gerechtigkeitsspielraum. In einer allgemeinen Krise bricht dieser „verlässliche“ Rahmen aber tendenziell weg.

Verharren die kämpfenden Klassen in ihm, so ist es nur logisch, dass der Kampf um die Verteilung des Reichtums zugunsten der Sicherung des Gesamtsystems Kapitalismus, genauer der jeweiligen Nationalökonomie und des Nationalstaats, relativiert werden muss.

Rolle der Apparate

Genau auf dieser Vorstellung fußt die Politik der Gewerkschaftsbürokratie wie sämtlicher reformistischer Arbeiter:innenparteien – ob nun der SPD oder der Linkspartei.

Es geht um einen „gerechten Anteil“ am kleiner werdenden Kuchen; die Bäckerei soll aber unbedingt erhalten bleiben.

Diese Ideologie entspricht der Rolle der Gewerkschaftsführungen und der reformistischen Apparate, auch wenn sie selbst ihre Vorstellungen von gerechtem Ausgleich der Lasten teilweise nur mit Kampfdrohungen durchsetzen können. Aber sie entspricht leider auch dem spontanen Bewusstsein der Arbeiter:innenklasse selbst. Anders als ihre Führungen, die schließlich nicht zu den Tarifen bezahlt werden, die sie für ihre Mitglieder aushandeln, müssen die Arbeiter:innen jedoch damit auskommen.

Das bildet die Basis für das Aufbrechen des Widerspruchs zwischen bürokratischem Apparat sowie reformistischer Führung einerseits und deren proletarischer Basis andererseits – aber es ist unbedingt auch notwendig, dieser Basis und das heißt zuerst den politisch fortgeschritteneren Arbeiter:innen zu erklären, warum ein bloß besonders radikal geführter Umverteilungskampf in einer allgemeinen Krise letztlich nicht ausreicht. Nicht weil ein solcher Kampf im Einzelnen nicht gewonnen werden könnte, sondern weil er letztlich die inneren Widersprüche befeuert und damit die Systemfrage weiter zuspitzt.

Ein radikaler Verteilungskampf – z. B. ein politischer Massenstreik für die Anpassung der Löhne, Renten und anderer Sozialleistungen an die Inflation – würde den Klassenkampf massiv verschärfen und auch die Gegenseite, also die herrschende Klasse und die Rechte radikalisieren. Er markierte nur eine Etappe hin zu weiteren Konflikten.

Dies spüren im Grunde auch die meisten Lohnabhängigen heute – und genau deshalb stehen sie radikalen Lösungsansätzen, die den Klassenkampf zuspitzen, ambivalent gegenüber. Einerseits empfinden auch sie, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher, andererseits fürchten sie noch mehr Unsicherheit und Instabilität. Die Masse der Lohnabhängigen will nicht in Konflikte um ihre Existenz gezogen werden, deren Grund wie Ziele sie im Unterschied zu einem reinen Verteilungskampf nicht nur oder nur sehr unvollständig versteht.

Was tun?

Schon gar nicht wollen Arbeiter:innen in perspektivlose Kleinaktionen hineingezogen werden. Dahinter steht ein gesunder Realismus, nämlich die Erkenntnis, dass nur große Aktionen und klare Forderungen an der aktuellen Lage etwas ändern und ihre unmittelbaren Anliegen voranbringen können.

Daher erweisen sich lokale Kleinst- oder sog. linksradikale Bündnisse in der aktuellen Situation als nutzlos. Natürlich spricht nichts gegen Aktionen von anfänglich kleinen Gruppen – aber sie sind politisch nur zweckmäßig, wenn sie dazu dienen, größere Organisationen wie Gewerkschaften, Migrant:innenorganisationen, Mieter:inneninitiativen oder reformistische Parteien zur Aktion zu zwingen. Tun sie das nicht, stellen sie nicht mehr als linksradikale Gymnastik dar.

Es ist unbedingt erforderlich, dass die Linke ihr Gesicht den Gewerkschaften und Betrieben zuwendet, versucht, in Tarifrunden einzugreifen und diese voranzutreiben. Das hat mehrere Gründe. Erstens können die Angriffe auf Einkommen, Löhne, Renten, Sozialleistungen nicht einfach wegdemonstriert werden. Es braucht die Kampfkraft, die nur die Arbeiter:innenklasse entfalten kann – den politischen Streik. Zweitens werden gerade die skeptischen, ambivalenten  breiten Schichten der Lohnabhängigen viel eher selbst zu Aktion und Aktivität bewegt werden können, wenn große Mobilisierungen – und sei es in den Tarifrunden – nicht nur die Richtigkeit eines Anliegens demonstrieren, sondern auch mächtig genug ausfallen, damit sie Erfolg haben können. Erfolgreiche Massenaktionen bieten auch am ehesten die Chance, die oben beschriebene innere Ambivalenz in der Klasse zu überwinden.

„Genug ist genug“ (GiG)

Die Orientierung auf gewerkschaftliche Kämpfe stellt sicher den größten Vorzug der bundesweiten Kampagne „Genug ist Genug“ (GiG) dar, die sich am britischen „Enough is enough“ orientiert.

Ins Leben gerufen wurde es von der Redaktion von Jacobin/Deutschland im Verbund mit Teilen der Gewerkschaftsbürokratie, genauer des ver.di-Apparates. Außerdem wird es von Teilen der Linkspartei (Bewegungslinke, marx21) und der Grünen Jugend getragen.

Ähnlich wie bei „Enough is enough“ gibt es auch bei GiG keine formalen, also formal-demokratischen Bündnisstrukturen. Die Koordinierung wird von oben kontrolliert. Finanziert (und letztlich kontrolliert) wird es von ver.di.

Dabei kombiniert GiG auch pseudodemokratische Elemente (offene „Teams“ und lokale Gruppen) mit einer sehr zentralisierten eigentlichen Führung, die die Rallys organisiert, die Werbung und Öffentlichkeitsarbeit leitet und letztlich auch bestimmt, was wo getan wird. Dies eröffnet wohl einen gewissen lokalen Spielraum für einzelne Gruppen.

So positiv aber die Orientierung auf und Verbindung zu Gewerkschaften wie auch die Einschätzung ist, dass deren Kämpfe (Tarifrunden, Warn-, Flächenstreiks) von enormer Bedeutung für den Klassenkampf sind, so negativ ist die politische Unterordnung unter den Apparat (was im Zweifelsfall auch finanziell sichergestellt ist: Ohne ver.di-Gelder und -Räume würde GiG nicht existieren).

GiG bezeichnet sich zwar selbst offiziell nicht als Bündnis, sondern als Plattform – als „Tool“, als „Projekt“, das eine Bewegung mit hervorbringen soll. Im Grunde setzt es darauf, dass im öffentlichen Dienst ein heftiger Kampf entbrennt und GiG dazu mobilisiert. Für den Gewerkschaftsapparat soll es dabei als Hilfstruppe dienen.

GiG hat mittlerweile mehr als 30 lokale Ableger und etliche Themengruppen. Es ist sicherlich das größte und wichtigste, wenn auch das undemokratischste bundesweite Bündnis. Dennoch macht es Sinn, in GiG zu arbeiten, insbesondere um Unterstützer:innenstrukturen für Streiks im öffentlichen Dienst zu organisieren.

Außerdem erhebt GiG oder jedenfalls ein Teil seiner Führung auch die Forderung nach einer bundesweiten Aktionskonferenz (wenn auch einer, die letztlich von den Apparaten kontrolliert werden soll; aber auch das wäre ein Schritt vorwärts). Wir sollten dies unterstützen.

Aber: Letztlich kann aber auch GiG eine bundesweite, demokratische Bündnisstruktur nicht ersetzen, die bei einer Aktionskonferenz entstehen muss, wenn von ihr mehr als nur Reden bleiben soll. Als Forderungen schlagen wir dazu vor:

1. Automatische Anpassung von Löhnen, Renten und Sozialleistungen an die Inflation!

2. Kampf um höhere Löhne! Unterstützung der Tarifrunden! Mindestlohn und Mindestrente von 1.600 Euro!

3. Bundesweite Deckelung der Preise für Mieten, Strom, Gas und Lebensmittel!

4. Massive Besteuerung der großen Unternehmen und Vermögen!

5. Verstaatlichung von Energiekonzernen unter Kontrolle der Lohnabhängigen!




Tarifrunde öffentlicher Dienst – Mit dem üblichen Ritual ist nichts zu gewinnen

Helga Müller, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

Auch die ver.di-Tarifkommission verspürt Druck – zumindest ansatzweise. Am 11. Oktober beschloss sie aufgrund des Aufbegehrens von Kolleg:innen aus vielen Dienststellen und Betrieben die Forderungen für die Tarifrunde bei Bund und Kommunen: 10,5 % für alle, 500 Euro Festgeld für die unteren Lohngruppen, eine Laufzeit von 12 Monaten.

Die Festgeldforderung würde für die unteren Lohngruppen eine Steigerung bis zu 20 % – also tatsächlich einen Inflationsausgleich – bedeuten. Angesichts einer Preissteigerung von rund 10 % ist die volle Durchsetzung der Forderungen für die 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen dringend nötig.

Darüber hinaus bemängelt ver.di in ihrer Tarifbroschüre die nach wie vor existierende Lohnlücke zwischen dem Verdienst im öffentlichen Sektor und der Privatwirtschaft: „Gegenüber dem Jahr 2000 sind die Einkommen der Beschäftigten bei Bund und Kommunen um 59 Prozent gestiegen. In der Gesamtwirtschaft hingegen betrug das Plus in diesem Zeitraum 63,1 Prozent.“

Übliches Tarifrundenritual?

Ver.di attestiert der kommenden Auseinandersetzung eine „historische Dimension“. Trotzdem wird in der Planung am üblichen, um nicht zu sagen üblen, Tarifritual festgehalten. Drei schon lange vor den Kampfmaßnahmen angesetzte Verhandlungen mit den öffentlichen Arbeit„geber“:innen mit ein paar Warnstreiks dazwischen, um ein bisschen Druck auf Kommunen und Bund auszuüben. Am dritten und letzten Verhandlungstag wird dieser Regie zufolge nach einer Marathonsitzung schweißgebadet ein fauler Kompromiss verkündet werden. Dass das nicht ausreichen wird, um die Forderungen auch nur annähernd durchzusetzen, wissen eigentlich alle.

Kein Wunder also, dass schon jetzt die betrieblichen Funktionär:innen darauf vorbereitet werden, dass ein Abschluss wie in der IG Metall zu erstreben sei und es ein Erfolg wäre, wenn dieses Ergebnis auch im öffentlichen Dienst durchgesetzt werden würde. Dabei wissen wir alle, dass dieser Abschluss in der noch immer mobilisierungsstarken Metall- und Elektroindustrie einen Reallohnverlust bedeutet (siehe dazu auch die Analyse des Abschlusses in dieser Ausgabe der NI).

Vor allem aber stellt diese „Vorbereitung“ der Tarifrunde einen Schlag ins Gesicht der Kolleg:innen – z. B. aus dem Krankenhausbereich – dar, die sich mit Vehemenz für die hohen Forderungen ein-und diese durchgesetzt hatten. In einzelnen Dienststellen wurden Forderungen um die 19 % erhoben, um die Tarifrunde auch zu einem Kampf gegen die Auswirkungen der Inflation geraten zu lassen.

Auch wenn die Mobilisierungsfähigkeit in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes sehr unterschiedlich ist, das Arbeiten im Home-Office diese nicht gerade fördert und die Forderungen auch auf unterschiedliche Resonanz stoßen, so ist es doch möglich, angesichts der Inflation eine größere Bewegung im öffentlichen Dienst hinzubekommen. Die Situation ist günstig: Auch der Tarifvertrag der Beschäftigten bei Bussen und Bahnen läuft Ende diesen Jahres ab. Die Kolleg:innen haben für ihre Tarifrunde bewusst die Forderungen des öffentlichen Dienstes übernommen, weil auch sie sich als einen Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge verstehen, und wollen auch gemeinsame Streiks und Kundgebungen mit den Kolleg:innen aus dem öffentlichen Dienst organisieren. Hier kommen nochmal 100.000 Kolleg:innen dazu, die die Kampfkraft noch steigern können.

Was tun?

Um die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Tarifrunde zu schaffen, dürfen und können wir uns nicht auf den Apparat verlassen. Es gilt vielmehr, dass wir schon in der Vorbereitung für einen kämpferischen Kurs eintreten. Dabei sollten wir uns in einem ersten Schritt auf jene Belegschaften beziehen, die hohe Tarifforderungen gestellt haben, aber diese auch in alle Bereiche ausweiten:

a) Die Vorbereitungen auf die ersten Warnstreiks – oder, wie ver.di das nennt, den Stärketest – müssen genutzt werden, um Mitglieder zu gewinnen. Die beiden Krankenhausbewegungen in Berlin und Nordrhein-Westfalen haben gezeigt, dass ein systematischer Aufbau von Mitgliedern auch in Bereichen wie der Pflege möglich ist, die noch vor wenigen Jahren von ver.di nicht als streikfähig angesehen wurden. Ihre Kämpfe der letzten Jahre haben bewiesen, dass sich auch längere Streikphasen durchstehen lassen.

b) Die Belegschaften müssen diesen Kampf als den ihren begreifen. Die Kolleg:innen in den beiden Krankenhausbewegungen haben bewiesen, dass auch dies möglich ist. Sie haben ihre Forderungen selbst aufgestellt und wurden auch in die Verhandlungen der Tarifkommission mit den Unikliniken miteinbezogen. So konnte ein 79-tägiger Streik in NRW auch wirklich durchgehalten werden.

c) Die Kolleg:innen müssen ihren Kampf – angefangen bei der Aufstellung der Forderungen bis hin zur Streikführung und Entscheidung darüber, wann der Streik zu Ende ist – selbst bestimmen und kontrollieren können. Dafür gab es in den Krankenhausbewegungen auch Elemente eines eher demokratisch geführten Tarifkampfes.

An der Uniklinik Essen ging das am weitesten: Ähnlich wie beim ersten Streik für einen TV Entlastung 2018 haben die Kolleg:innen ein Streikkomitee gegründet, gewählt aus den verschiedenen Abteilungen, mit Hilfe dessen sie ihren Kampf diskutiert, entschieden und kontrolliert haben.

d) Es braucht auch Diskussionen, Beiträge und Flyer, die auch die Frage der Finanzierung der öffentlichen Haushalte aufgreifen. Und es braucht Forderungen wie die massive progressive Besteuerung der großen Unternehmen und Dax-Konzerne, die auch während der Pandemie und Energiekrise hohe Profite eingestrichen haben, sowie die Wiedereinführung der Vermögens- und Einführung einer Übergewinnsteuer. Ein Verweis darauf – wie in der ver.di-Tarifbroschüre –, dass die finanzielle Situation der Kommunen gar nicht so schlecht sei, reicht nicht. Wichtig ist vielmehr, die Offenlegung der öffentlichen Finanzen und aller Verträge zur Auslagerung öffentlicher Dienste zu fordern. Vor allem aber muss die Frage ins Zentrum gestellt werden, welche Klasse – Kapital oder Lohnabhängige – für öffentliche Versorgung mittels Steuern aufkommen muss.

e) Last, but not least muss in den verschiedenen Dienststellen und Einrichtungen auch jetzt schon die Diskussion begonnen und den Kolleg:innen eine ernsthafte Perspektive geboten werden, wie dem Personalmangel entgegengesteuert werden kann. Er ist in den Krankenhäusern ebenso bekannt wie eklatant, aber auch im Erzieher:innen- und im Bildungsbereich hat die Pandemie mehr als deutlich gemacht, dass Personal fehlt. Ein Element ist sicherlich eine bessere Bezahlung, um mehr Kolleg:innen für diese Bereiche zu gewinnen. Wichtig ist aber, den Kampf um mehr Personal nicht nur auf einzelne Krankenhäuser oder Einrichtungen zu beschränken, sondern ihn gemeinsam und bundesweit zu führen mit einer Kampagne gegen Privatisierung und für eine Finanzierung der Krankenhäuser und aller Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge entsprechend dem realen Bedarf. Hier spielt auch die Frage der kollektiven Arbeitszeitverkürzung für alle bei vollem Lohn- und vor allem Personalausgleich eine große Rolle.

In dieser Tarifrunde ist es vor allem wichtig, in betrieblichen wie örtlichen gewerkschaftlichen Gliederungen Beschlüsse, Anträge zu formulieren, dass es darum geht, die Forderungen – vor allem das Festgeld von 500 Euro bezogen auf eine Laufzeit von 12 Monaten – auch wirklich durchzusetzen. Dafür muss die Urabstimmung für unbefristete Streiks nach den ersten Warnstreiks eingeleitet werden. Darüber hinaus geht es darum, dass die Tarif- und Verhandlungskommission nicht nur die „Stimmung der Beschäftigten in den Verwaltungen und Betrieben“ (wie es in der ver.di-Tarifbroschüre heißt) in Bezug auf den Abschluss einholt, sondern die Kolleg:innen in Streikversammlungen über das Ergebnis informiert werden, darüber diskutiert und entschieden wird – wie in der NRW Krankenhausbewegung geschehen. Etwaige Verhandlungen müssen öffentlich und offen geführt werden, nicht im Hinterzimmergesprächen sog. „Tarifexpert:innen“. Kein Abschluss ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Schnellstmögliche Einleitung der Urabstimmung statt monatelanger Verhandlungsrituale!

Dafür ist es notwendig, dass sich die Kolleg:innen über die Betriebe und Orte hinweg koordinieren und Absprachen treffen, wie am besten die Absicht der ver.di-Führung, auch diese Tarifrunde auf das übliche Ritual zu beschränken, durchbrochen werden kann. Ein Zusammenschluss von aktiven Kolleg:innen, die sich nicht mit den faulen Kompromissen abfinden, sondern einen ernsthaften Kampf gegen Inflation und Personalmangel führen wollen, ist mehr als notwendig. Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften bietet dafür einen Rahmen – und zugleich muss sie die Tarifrunde nutzen, um VKG-Gruppen vor Ort und in Betrieben aufzubauen.




Verhandlungsergebnis Metall- und Elektroindustrie: Ablehnen!

Mattis Molde, Infomail 1205, 19. November 2022

In der Nacht zu Freitag, den 18. November, haben sich die Bezirksleitung der IG Metall in Baden-Württemberg und der Verband Südwestmetall auf ein Ergebnis geeinigt. Auch wenn die Gewerkschaftsspitzen den Abschluss als „spürbare Entlastung“ und damit als Erfolg verkaufen, zeigt ein Blick auf die Eckdaten des Ergebnisses, dass sich die Kapitalseite in vielem durchsetzen konnte.

Die erste Erhöhung der Tarife kommt zum Juni 2023 mit 5,2 %, eine zweite Stufe erfolgt zum Mai 2024 mit 3,3 %. Der Vertrag läuft bis Ende September 2024, also 24 Monate. Januar 2023 und Januar 2024 gibt es Einmalzahlungen von je 1500 Euro, steuer- und abgabenfrei. Die IG Metall war mit einer Forderung von 8 % Tariferhöhung und einer Laufzeit von 12 Monaten gestartet. Das ursprüngliche Angebot der Arbeit„geber“:innenverbände belief sich auf 3000 Euro bei einer Laufzeit von 3 Jahren.

Zu wenig, zu lange

Die Monatsentgelte in der Metall- und Elektroindustrie sind seit 4,5 Jahren nicht erhöht worden. Jetzt kommen noch einmal 8 weitere Monate dazu. Die zweite Stufe, die im Mai 2024 erfolgen soll, kommt dann kurz, bevor der Tarifvertrag ausläuft, was schon jetzt die Bereitschaft zeigt, nicht sofort 2024 eine weitere Erhöhung zu erlauben.

Damit ergibt sich eine lange Periode von Reallohnverlusten, die insbesondere mit der derzeitigen Inflation von über 10 % zu einer dauerhaften Absenkung der Einkommen führt. Die jetzt beschlossenen Erhöhungen gleichen weder die Verluste der Vergangenheit noch die jetzigen aus und binden der Gewerkschaft für 2 Jahre die Hände, weitere Inflationssprünge zu kontern. Sie mildern für 4 Millionen Beschäftigte nur die Auswirkungen der Preissteigerungen ab.

Die Einmalzahlungen von 2 mal 1500 Euro sehen auf den ersten Blick gut aus. Das ist jedoch eine mehrfache Täuschung. 125 Euro netto im Monat bedeuten auch für Beschäftigte der untersten Lohngruppen – je nach Steuerklasse – nur selten mehr als 8 %.

Der Schein wird weiter dadurch getrübt, dass

  • diese „Erhöhung“ nicht auf die Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, tarifliches Zusatzgeld und Transformationsgeld durchschlägt, die rund 16 % des Jahreseinkommens ausmachen;

  • auch in den vergangenen Jahren in den Tarifverträgen Einmalzahlungen vereinbart wurden, die jetzigen also teilweise nur eine Fortsetzung dieser Zahlungen und keine „Erhöhung“ darstellen;

  • aus diesen Einmalzahlungen keine Rentenbeiträge abgeführt werden. Die Beschäftigten zahlen also auch mit zukünftigem Rentenminus;

  • die Einmalzahlungen zur Hälfte um bis zu 6 Monate verschoben werden können.

Sozialpartner:innen

Die IG Metall wird von einer Schicht von Bürokrat:innen aus hauptamtlichem Gewerkschaftsapparat und Betriebsratsspitzen beherrscht, die die Interessen der Beschäftigten grundsätzlich dem Wohl der Unternehmen, vor allem der großen Player in der (Auto)-Exportindustrie unterordnen. Mit ihnen wird „Standortsicherung“ gemacht, die Arbeitszeit flexibilisiert, die sog. Transformation einvernehmlich gestaltet, auch wenn es Arbeitsplätze kostet. Mit ihnen wird die Abgaspolitik in Brüssel „mit“gestaltet, das Streikrecht weiter beschränkt, die Leiharbeit gefördert und vieles mehr. Den Beschäftigten und Gewerkschaftsmitgliedern wird diese Kooperation als letztlich vorteilhaft präsentiert, auch wenn sie Opfer bringt. Die Mehrzahl der Mitglieder hat dies in den letzten Jahren geschluckt, immer mehr Funktionär:innen haben sich dem rechten Kurs angepasst.

In dieser Tarifrunde wurde deutlich, wie diese Partner:innenschaft gegen die Interessen der Beschäftigten und Beschlüsse der Organisation gerichtet ist. Bei der Aufstellung der Forderung wurde alles getan, um bei 8 % den Deckel aufzudrücken. Im Sommer gab es die Gespräche zu den „Entlastungspaketen“ mit der Bundesregierung und den Kapitalvertreter:innen. Das nannte sich „Konzertierte Aktion“ und alles wurde im Konsens beschlossen. Dazu gehörte die Möglichkeit zu Sonderzahlungen von 3000 Euro netto. Es war der IG-Metallspitze völlig klar, dass das in den Tarifverhandlungen die Forderung von 8 % Tariferhöhung für 12 Monate aushebeln musste!

Schon für die chemische Industrie wurde im September ein Abschluss getätigt von je 3,25 % Tariferhöhung in zwei Stufen, 3000 Euro netto in zwei Raten und 20 Monaten Laufzeit. Also das gleiche Strickmuster.

Bundesweit haben 900.000 Metaller:innen gestreikt, alleine in Baden-Württemberg 300.000. Bei der IG BCE in der chemischen Industrie bundesweit 0. Die Ergebnisse unterscheiden sich minimal. Um wirkliche Differenzen festzustellen, müssten die Auszahl-, Erhöhungstermine und Vorgeschichte verglichen werden. Aber die Kampfbereitschaft unterscheidet sich. Die weitaus höhere der Metaller:innen hätte ein anderes Ergebnis möglich machen können, sie hätten es verdient. Eine Ausweitung der Streiks, eine Urabstimmung wäre angestanden. All das wurde vom IG-Metallvorstand verschenkt. Er wollte es nicht.

Empörung

Viele Aktive an der Basis sind wütend. Es gibt Enttäuschung in den Betrieben, unter den Vertrauensleuten und in den sozialen Netzen. Doch um zukünftige Ausverkäufe und Abschlüsse wie den aktuellen zu verhindern, muss aus der Empörung eine organisierte Opposition werden. Eine Opposition, die es den kämpferischen Mitgliedern, die es gibt, die aber überall in der Minderheit sind, erlaubt, sich unabhängig auszutauschen und eine Kraft zu bilden. Ansätze für eine Vernetzung gibt es bei der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), die in dieser Tarifrunde dafür eintrat:

„Die IG Metall hat das Angebot von Gesamtmetall als unzureichend bezeichnet. Das stimmt! Aber es ist ein Problem, dass die Forderungen in aktuellen Stellungnahmen nicht mehr benannt werden. Stattdessen ist nur noch die Rede von „8 % mehr Geld“ nicht von „8 % Tariferhöhung“. Wenn eine tabellenwirksame Tariferhöhung gefordert wird, dann immer ohne Zahl. Die 12 Monate werden gar nicht mehr erwähnt. Heißt das, dass die Spitze der IG Metall offen ist dafür, die 3000 Euro Einmalzahlung in die „8 % mehr Geld“ einzubauen, nachdem sie dies in der konzertierten Aktion mitverhandelt hat?“

Und deshalb hatte sie vorgeschlagen:

„Es wird allerdings notwendig sein, Urabstimmung und Vollstreik vorzubereiten. Das hat Gesamtmetall mit seinem Nullrundengeschrei und dem unverschämten Angebot deutlich gemacht. Deshalb ist es wichtig, dass die IG-Metall-Vertrauenskörper jetzt Beschlüsse fassen und den führenden Gremien der IG Metall den klaren Auftrag erteilen, Urabstimmung und Vollstreik vorzubereiten. ( … )

Wo noch nicht geschehen, sollten betriebliche Arbeitskampfleitungen gewählt werden. Es ist jetzt wichtig, möglichst alle Kolleg*innen in einen Arbeitskampf einzubeziehen und alle Arbeitskampfschritte gemeinsam zu diskutieren und gemeinsam zu beschließen. Außerdem sollte in Streikversammlungen über jedes neue Angebot umfassend informiert, diskutiert und abgestimmt werden. Annahme eines Angebots sollte erst nach Diskussionen und Abstimmungen in Streikversammlungen erfolgen. Es muss endlich wieder ernst gemacht werden: Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still!“

Auch die betriebliche Oppositionsgruppe MAHLE-SOLIDARITÄT hatte ihre Kolleg:innen im Betrieb auf das Übel vorbereitet, das in der Konzertierten Aktion ausgeheckt worden ist, und 6 Fragen an Jörg Hofmann gestellt:

„Jörg, erkläre uns:

  • War die IG Metall bei diesem Treffen vertreten, auf dem das beschlossen wurde?
  • Hatten da die Arbeitgeber auch schon so eine aggressive Haltung?
  • Wurde übersehen, dass das gegen unsere Forderung von 8 % Entgelterhöhung für 12 Monate gerichtet war und ist?
  • Wurde übersehen, dass das prima für die Profite ist, weil nicht nur wir, sondern auch die Unternehmen die Beiträge zu Rente, Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung sparen. Aber wir es sind, denen die Renten dann fehlen und die die Zusatzbeiträge zur Krankenversicherung zahlen?
  • Was ‚steuerfrei’ angeht: Wir als IG Metall wollen doch auch bei den Steuersätzen keine einmalige Erleichterung, sondern eine Steuerreform, die eine nachhaltige Korrektur gegen die ‚kalte Progression’ bringt?

Jörg, wir wollen kämpfen, warnstreiken und notfalls auch streiken!

Wir stehen zu unserer Forderung! Das erwarten wir von allen Ebenen der IG Metall!

Nein zur 3000 Euro Mogelpackung! Ja zu 8 % Tariferhöhung bei 12 Monaten!“

Nein!

Dieses Tarifergebnis wird kaum zu verhindern sein. Aber jede kritische Stimme, jede ablehnende Resolution in den Vertrauenskörpern, Delegiertenversammlungen und Tarifkommissionen kann eine Ermutigung sein und die Leute stärken, die eine andere Politik in der IG Metall und im Kampf gegen die aktuellen Preissteigerungen, die kommende Rezession und die gesamte sozialpartnerschaftliche Politik eine klassenkämpferische Alternative aufbauen wollen.