Politischer Streik in Deutschland: Wie kommen wir dahin, am 8. März zu streiken?

Ramona Summ, Valentin Lambert, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung 12, März 2024

„Wenn wir streiken, steht die Welt still“. Dieser Slogan untermalte 2018 den feministischen Generalstreik in Spanien zum Internationalen Frauenkampftag. Die spanischen Frauen haben bezahlte und unbezahlte Arbeit niedergelegt und so ökonomischen und gesellschaftlichen Druck ausgeübt, indem hunderte Züge ausfielen, Straßen blockiert wurden und Schulen sowie Kitas geschlossen blieben. Auch in Deutschland ist diese Parole verwendet worden. Der Unterschied:  Hierzulande wird in der Regel die Arbeit nicht niedergelegt, sondern die Wut über die alltägliche sexistische Unterdrückung durch Demonstrationen und Kundgebungen an die Öffentlichkeit getragen. Diese Aktionen sind wichtig und zeigen, wie viele Menschen auch hierzulande für Frauenforderungen auf die Straße gehen. Doch es wirft auch die Frage auf: Wie kommen wir in Deutschland dazu, dass alles stillsteht? Denn Gründe zu streiken, gibt es allemal.

Was möglich wäre

Erinnern wir uns an die Coronapandemie: Während alle ihr Mitgefühl und Unterstützung durch Klatschen am Fenster oder auf dem Balkon kundtaten, musste das medizinische Personal massive Überstunden zu schlechten Arbeitsbedingungen schieben. Das Gesundheitssystem stand damals vor dem Kollaps und wird seitdem auch nur durch die Bereitschaft des existierenden Personals zusammengehalten. Von der miserablen Versorgung bezüglich Abtreibung sowie Häusern zum Schutz vor Gewalt ganz zu schweigen. Frauen sind die doppelten Krisenverliererinnen und die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern hat sich weiter verschärft. Kurzum: Die Liste an Missständen ist ewig lang. Doch all das muss nicht so bleiben, sondern sind Dinge, die verändert werden könnten. Demos, Petitionen, vereinzelte Proteste reichen jedoch dafür nicht aus. Um den nötigen Druck zu erzeugen, für feministische Forderungen zu kämpfen, bedarf es eines ökonomischen Stillstandes. Denn erst wenn die Profite des kapitalistischen Systems nicht mehr fließen, wird eine politische Kraft ausgespielt, die die Kapitalistenklasse nicht mehr ignorieren kann.

Stellen wir uns jetzt vor, dass der DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund) mit seinen 5,6 Millionen Mitgliedern sich dazu entscheiden würde, für einen Streik einzutreten: Es gäbe in tausenden von Betrieben Vollversammlungen, wo man nicht nur über die Forderungen reden könnte, sondern auch Raum hätte, darüber zu diskutieren, wie und wo Sexismus im Betrieb sowie in der Gesellschaft stattfinden. Das würde nicht nur helfen, die Forderungen durchzusetzen, sondern auch einen Beitrag leisten, wie innerhalb der Gesellschaft über antisexistische Themen geredet wird. Wie also kommen wir dahin?

Ein kurzer historischer Abriss

Während in vielen EU-Ländern politische Streiks rechtlich erlaubt sind und wir in den letzten Jahrzehnten Generalstreiks in Belgien oder Frankreich miterleben konnten, ist im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit verankert, dass hier keine politischen Streiks, geschweige denn Generalstreiks, möglich sind. Doch woran liegt das genau? Rechtlich ist ein Verbot von politischen Streiks nicht geregelt. Das Grundgesetz schützt das Recht zu streiken und auch historisch gab es in der deutschen Geschichte immer wieder politische Streiks – wenn auch deutlich weniger als in anderen Ländern. Beispiele dafür sind aus der Vergangenheit der Generalstreik für die Beendigung des 1. Weltkrieges 1918, welcher trotz Verbots Hunderttausende auf die Straßen brachte oder der 1948 für die Demokratisierung und Sozialisierung der Wirtschaft. Doch auch in der neueren Geschichte kam es zu Protesten: 1996 gegen die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder 2007, als die IG Metall zu einer Arbeitsniederlegung aufgerufen hatte, um gegen die Rente mit 67 zu protestieren. 2023 sorgte der Schulterschluss zwischen ver.di und Fridays For Future (FFF) für hitzige Debatten, ob dies denn überhaupt legitim sei oder nicht schon ein politischer Streik. FFF unterstützte mit der Kampagne #wirfahrenzusammen insbesondere die Forderungen des ÖPNV in den Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes und setzte auf Streikkundgebungen Akzente und Forderungen für eine nachhaltige Verkehrswende. Woher kommt also die Annahme, dass politische Streiks verboten sind?

Scheinbares Verbot und Angriffe auf das Streikrecht

Dies leitet sich aus einem Urteil des Freiburger Landgerichts von 1952 ab. Damals streikten Beschäftigte der Zeitungsbetriebe für mehr Rechte im Betriebsverfassungsgesetz. Das Gericht urteilte dabei, dass die Streiks rechtswidrig sind, unterstrich aber ausdrücklich, dass sie nicht verfassungswidrig sind: „Sollte durch vorübergehende Arbeitsniederlegung für die Freilassung von Kriegsgefangenen oder gegen hohe Besatzungskosten oder gegen hohe Preise demonstriert werden, dann könnte dieser politische Streik wohl kaum als verfassungswidrig angesehen werden.“

Das im Grundgesetz festgeschriebene Recht zu streiken ergibt sich aus dem Artikel 9 Absatz 3. Dort wird geregelt, dass Arbeitskämpfe „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ geführt werden können. Ein Grundrecht auf Streik, losgelöst von seiner funktionalen Bezugnahme auf die Tarifautonomie, gewährleistet der Artikel allerdings nicht. Darüber hinaus wurde in den vergangenen Jahrzehnten das Streikrecht immer weiter ausgehöhlt, während zeitgleich die Arbeitsbedingungen sich verschlechterten durch Privatisierung sowie Ausbau des Niedriglohnsektors. Beispiele dafür sind das Gesetz zur Tarifeinheit oder die diversen Schlichtungsvereinbarungen, die dazu genutzt werden, „Ruhepausen“ in Streiks zu erzwingen.

Kurzum: In Deutschland ist Streikrecht Richter:innenrecht. Ein politischer Streik ist faktisch möglich. Er ist nicht explizit verboten, bestehende Gesetze legalisieren jedoch nur Streiks für Tarifverträge. Diese Begrenztheit wird jedoch von der internationalen sowie europäischen Rechtsprechung kritisiert und Jurist:innen wie Theresa Tschenker meinen, dass die Grenzen des Legalen z. B. verschoben werden können. Zu Recht sieht sie in den Tarifkämpfen um Entlastung der Krankenhausbeschäftigten das Manko, dass sie nicht am Finanzierungssystem gerüttelt hätten. Dies ist sicher einer der Gründe, warum diese Bewegung dem Kahlschlag durch die jüngsten Lauterbach’schen Krankenhaus„reformen“ wehr- und hilflos gegenübersteht. Sie fordert: „Man müsste die Rechtsprechung zum Verbot des politischen Streiks herausfordern. Dazu bräuchte es einen bundesweiten Krankenhausstreik … Es müsste klar werden, dass alle Beschäftigten dafür streiken, dass die Finanzierung geändert wird …“ Auch die Beispiele nach 1952 machen deutlich, dass es eher eine Frage der Entschlossenheit bleibt als eine der Rechtslage. Hinzu kommt, dass, objektiv betrachtet, selbst ein existierendes Verbot nicht bedeutet, dass man dieses bei massenhaften Protesten nicht auch kippen könnte – schließlich ist der politische Streik ein notwendiges Mittel, um Druck auszuüben. Als Marxist:innen lassen wir uns nicht von den Gesetzen des bürgerlichen Staates begrenzen und die Rechtsprechung vertritt die Interessen des deutschen Staates und des Kapitals, indem durch Verbot eines Streiks keine Profiteinbußen auf Kosten der Kapitalist:innen anfallen. Natürlich könnten Konsequenzen drohen, aber im Falle einer Bewegung könnten Repressionen mit erneuten Streiks abgewehrt werden. Was also hindert uns daran zu streiken?

Der Unwillen der Gewerkschaften

Eines der häufigsten Argumente ist, dass die Gewerkschaften Schadenersatzforderungen befürchten, wenn sie zu einem Streik aufrufen, der nicht den rechtlichen Kriterien entspricht. Man sollte meinen, dass der DGB sich zu wehren wüsste und seine Mitgliedschaft tatkräftig dagegen mobilisieren könnte. Doch so einfach ist das nicht. Denn in der Realität sehen wir selbst bei bloßen Tarifrunden ein Anbiedern ans Kapital statt kämpferischer Streiks, wie die Beschäftigten bei den den Tarifverträgen TVöD, TV-L , der Post und Bahn am eigenen Leibe gespürt haben. Zehntausende Neueintritte zeigten die enorme Kampfkraft,  stattdessen kam es jedoch zu enttäuschenden Reallohnverlusten bei den Abschlüssen. Mit zahlreichen Trickser- und Zahlendrehereien wird versucht, diese als Erfolge zu verkaufen. Nullmonate und überlange Laufzeiten, die vorher kategorisch abgelehnt wurden, wurden auf einmal akzeptiert. Der Informationsfluss, wie der Abschluss denn zu bewerten sei, läuft einseitig und die Gewerkschaft behält sich hier ein Informationsmonopol vor. Möglichkeiten, sich über den Abschluss auszutauschen und gegebenenfalls weitere Schritte zu diskutieren, gibt es wenig. Der vermeintlich demokratische Prozess zur Befragung aller Gewerkschaftsmitglieder über das Ergebnis ist tatsächlich nicht rechtlich bindend. So verkommen die Tarifrunden zu reinen Ritualen und dienen lediglich der

Abwehr der schlimmsten Verelendung. Aber wieso? Die Verantwortlichen der Misere sind schnell gefunden. Es ist die Gewerkschaftsbürokratie und deren Programm der Sozialpartnerschaft.

Wurzeln der Bürokratie und Sozialpartnerschaft

Die Sozialpartnerschaft zwischen Gewerkschaften und Unternehmer:innen sorgt für ein vermeintlich harmonisches Miteinander zwischen Arbeiter:inneninteressen und denen des Kapitals gemäß dem Sprichwort „zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig“ und basiert auf der Idee der kapitalistischen Mitverwaltung. Reformistische Politiker:innen in den Führungen der Gewerkschaften, der Betriebsräte in den Großkonzernen, der SPD, aber auch der Linkspartei setzen in ihrer Politik auf die Strategie der Zusammenarbeit mit vermeintlich „vernünftigen“ Teilen der herrschenden Klasse. Letzten Endes versprechen sie an der Regierung, „das größere Übel“, also noch mehr Entlassungen und Sozialabbau, zu verhindern – und bereiten damit nur ebendieses vor, indem sie die Klasse spalten und ihre Kampfkraft schwächen. Die Gewerkschaftsführungen und Betriebsräte spielen dasselbe Spiel in der Hoffnung, dass Lohnverzicht und Kurzarbeit Arbeitsplätze sichern. Doch zeigt es vor allem eins: dass sie Frieden mit dem Kapitalismus geschlossen haben, wohingegen die objektiven Interessen der Beschäftigten dem diametral gegenüberstehen.

Diese  Politik wird von der Gewerkschaftsbürokratie getragen. Dabei gibt es Momente, in denen sie gezwungen ist, zu mobilisieren und radikal aufzutreten. Denn ihre Position ergibt sich eben daraus, dass sie als Vermittlerin zwischen Lohnarbeit und Kapital fungieren kann – im Interesse der Beschäftigten Verbesserungen erkämpfen, aber eben nur so viel, dass es dem Kapital nicht schadet, um „den eigenen Standort“ und die „Wettbewerbsfähigkeit“ zu sichern. Dabei entwickelt sie als bürokratische Schicht selbst ein materielles Interesse, ihre Rolle als Vermittlerin zwischen Lohnarbeit und Kapital zu verewigen – und damit auch, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse zu verteidigen. Dass sie sich etablieren konnte, ist ein historischer Prozess, den wir an dieser Stelle nicht näher beleuchten können. Gefördert wird das aber durch die Extraprofite und Überausbeutung der halbkolonialen Welt. Auch wenn es sicher Individuen gibt, die es als Gewerkschaftssekretär:innen gut meinen – wir können nicht auf den guten Willen Einzelner  vertrauen – insbesondere nicht, wenn deren Position auf Überausbeitung von Kolleg:innen in anderen Ländern basiert.

Das wirft berechtigterweise die Frage auf: Kann man sein Vertrauen in solche Hände legen? Die klare Antwort lautet: Nein. Doch es hilft nicht, sich komplett von den existierenden Strukturen der Gewerkschaften abzuwenden. Schließlich zeigen die Beispiele aus anderen Ländern, was möglich sein könnte. Deswegen ist es notwendig, die existierenden Tarifkämpfe zu politisieren sowie systematisch gegen Gewerkschaftsbürokratie und Sozialpartnerschaft vorzugehen.

Klassenkämpferische Basisbewegung aufbauen!

Es steht also an, den existierenden Interessenkonflikt offenzulegen und weiter zu politisieren. Das kann beispielsweiseweise bedeuten, konkret aufzuzeigen, dass unser Geld nicht weg, sondern schlichtweg nach oben umverteilt wurde, wie wir an den Abschlüssen von 2023 sehen. Das Geld, was dem öffentlichen Dienst fehlt, ist nämlich bei den Rüstungsausgaben der Bundesregierung zu finden. Gleiches gilt für antisexistische Forderungen. Doch was bedeutet das in der Praxis?

Während #wirfahrenzusammen zeigt, wie Teile der Umweltbewegung versuchen, ein Bündnis mit den Beschäftigten im ÖPNV zu schließen, bleibt es Aufgabe für die feministischen Strömungen, es ihnen gleichzutun und beispielsweise die Streiks im Caresektor wie der Krankenhausbewegung aktiv zu unterstützen. Bei all den positiven Momenten, wäre es jedoch wichtig, die Fehler der #wirfahrenzusammen-Kampagne nicht zu wiederholen. Das bedeutet, dass man sich nicht von Gewerkschaftsführung & Co abhängig machen darf, um auch klare Kritik üben zu können für den Fall, dass beispielsweise die Abschlüsse so enttäuschend ausfallen wie die 2023:

  • Nein zu allen Gesprächen hinter verschlossenen Türen! Verhandlungen sollen öffentlich über das Internet übertragen werden! Keine Abschlüsse ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Rechenschaftspflicht und Wahl der Tarifkommission durch die Basis!
  • Streikleitung den Streikenden: Für flächendeckende Streikversammlungen bei Streiks in den jeweiligen Branchen, die bindend entscheiden, wie ihr Kampf geführt wird!

Doch es darf nicht dabei bleiben, Tarifkämpfe zu kommentieren. Auch innerhalb von Gewerkschaften kommt es zu Sexismus, Rassismus, sowie LGBTIA+-Unterdrückung. Deswegen muss auch  – neben dem Kampf zur Demokratisierung der Gewerkschaften an sich –  darauf eingegangen werden. Neben möglichen Quotierungen ist es essentiell, dafür einzustehen, dass es das Recht auf gesonderte Treffen und eigene Strukturen ohne jede Bevormundung durch den Apparat für gesellschaftlich Unterdrückte gibt. Darüber hinaus müssen aktiv Mechanismen zum Umgang mit, aber auch zur Prävention von Übergriffen und diskriminierendem Verhalten erarbeitet werden – denn bloße Phrasen reichen an der Stelle nicht aus, um den gemeinsamen Kampf zu gewährleisten.

  • Für das Recht auf gesonderte Treffen und eigene Strukturen ohne jede Bevormundung durch den Apparat für gesellschaftlich Unterdrückte: Frauen, Jugendliche, MigrantInnen, trans Personen, Schwule und Lesben! Für den aktiven Kampf zur Organisierung dieser Gruppen und gegen jede rassistische, sexistische oder homophobe Diskriminierung!
  • Für das Recht aller politischen und sozialen Gruppierungen (mit Ausnahme faschistischer und offen gewerkschaftsfeindlicher), sich in den Gewerkschaften zu versammeln, zu artikulieren und Fraktionen zu bilden!

Zusammengefasst bedeutet das, dass wir innerhalb der Gewerkschaften eine klassenkämpferische Basisbewegung aufbauen müssen, die auch bereit ist, nicht nur als „linke Bürokrat:innen“ Entscheidungen zu treffen, sondern sich gegen die Bürokratie selbst richtet. Deswegen ist es auch zentral, dass man dafür eintritt, dass Streik- und Aktionskomittees in Betrieben, an Unis und Schulen gebildet werden. Diese helfen nicht nur, Proteste stärker im Alltag zu verankern, sie sowie weitere Aktionen zu planen, sondern sollten letzten Endes über die Forderungen des Streiks, die Durchführung dessen und den Fortgang der Bewegung an sich entscheiden, beispielsweise indem Delegierte gewählt werden, die rechenschaftspflichtig sowie wähl- und jederzeit abwählbar sind – anders als in bürokratisierten Gewerkschaften.

  • Für die Wählbarkeit und jederzeitige Abwählbarkeit der Funktionär:innen! Niemand darf mehr verdienen als ein durchschnittliches Facharbeiter:innengehalt!

Kämpfe verbinden und zuspitzen!

Kurzum: Auf den ersten Blick sind die Gewerkschaften nicht die liebsten Bündnispartnerinnen. Gleichzeitig können sie mächtige Kampforgane verkörpern, um die eigenen Ziele durchzusetzen, insbesondere wenn es darum geht, Bewegungen nicht nur anzustoßen, sondern zum Erfolg zu bringen und reale Verbesserungen zu erkämpfen. Das ist jedoch keine Zufälligkeit, nichts, was spontan aus dem Moment heraus passiert, sondern letzten Endes eine Frage der politischen Grundlage. Es ist also an uns, ob wir die Gewerkschaften in Instrumente verwandeln, die der Frauenstreikbewegung dienlich sind.

Gleichzeitig wollen wir als Marxist:innen nicht dabei stehen bleiben, Bewegungen aufzubauen, sondern glauben, dass Klassenbewusstsein nicht innerhalb des kapitalistischen Systems verbleiben darf. Ein Kleinkrieg gegen die Auswirkungen ist nicht ausreichend und wird soziale Unterdrückungen nicht beenden. Stattdessen muss gleichzeitig versucht werden, den Kapitalismus zu zerschlagen. Das ist auch vielen innerhalb der Frauenstreikbewegung klar. Wir treten deswegen  für Forderungen wie Kollektivierung der Sorge-/Carearbeit, finanziert durch die Enteignung der Reichen, ein – also solche, die das kapitalistische System an sich infrage stellen. Unserer Meinung nach kann  mit einem politischen Programm von Übergangsforderungen der Arbeiter:innenklasse eine Strategie und das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer proletarischen Revolution vermittelt werden. Also lasst das Motto „Wenn wir streiken, steht die Welt still“ auch hierzulande wahr werden! Lasst uns unsere Forderungen in die Frauen- und Bewegung anderer sozial Unterdrückter hineintragen und einen Frauenstreik organisieren, der nicht an Landesgrenzen haltmacht – mit dem Ziel, der Wurzel der Frauenunterdrückung – dem Kapitalismus – den Garaus zu machen!

Anhang: Beispielhaft Streiks

Beispiel 1: Der Kampf gegen die Streichung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall 1996

1996 verfolgte die Kohl-Regierung den Plan, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu kürzen.

Im Kampf dagegen nahmen die Beschäftigten der großen Automobilkonzerne eine Schlüsselrolle ein, indem sie gegenüber den ursprünglichen, zaghaften und halbherzigen Ansätzen der IG-Metall-Spitze vorpreschten und die Arbeit niederlegten. Neben der Wut und Entschlossenheit der Beschäftigten in diesen Betrieben war die Stärke gewerkschaftsoppositioneller Betriebsratsgruppierungen wie bei Daimler Mettingen oder im Bremer Mercedes-Werk wichtig, um diese Kampfbereitschaft zur Aktion zu bündeln und zu führen. Massenaktionen und wilde Streiks brachten das Gesetzesvorhaben schließlich zu Fall.

Beispiel 2: Frauenstreik am 8. März 2017 in Lateinamerika

2017 kam es in Lateinamerikas zu länderübergreifenden Frauenstreiks. Ursprung dieser Massenbewegung war die 2015 entstandene Kampagne „Ni una menos“ („Nicht eine weniger“), die sich gegen misogyne Gewalt, für das Recht auf Abtreibung und für Rechte Indigener Frauen einsetzte. Die Bewegung entstand in Argentinien und breitete sich in den folgenden Jahren in Lateinamerika und darüber hinaus aus. Einen Höhepunkt der Bewegung bildete der länderübergreifende Frauenstreik 2017. Er Streik wies eine breite gesellschaftliche Beteiligung von Akademikerinnen, Arbeiterinnen, Studentinnen und Erwerbslosen auf. Dadurch konnte in Argentinien Druck auf die Gewerkschaften ausgeübt werden, so dass diese die Forderungen der Frauen übernahmen und zur Arbeitsniederlegung aufgerufen hatten. Aber auch in Mexiko, Chile und Uruguay gab es unter anderem große Streiks, wo Frauen die Arbeit niedergelegt haben. Dies zeigt uns, wie eine breite Beteiligung Druck auf Gewerkschaften ausüben kann, feministische Themen und antirassistische Themen zusammengebracht werden können und ein solcher Kampf auch über Ländergrenzen hinweg geführt werden kann.

Beispiel 3: Un Dia Sin Nosotras – Frauenstreik 2020 in Mexiko

Am 8. März 2020 streikten Frauen in Mexiko unter dem Motto „Un Dia Sin Nosotras“ (Ein Tag ohne uns) aufgrund der steigenden Geschlechtergewalt und Femi(ni)zide im Land. Frauen und Gewerkschaften riefen dazu auf, ihre berufliche und häusliche Arbeit an diesem Tag niederzulegen. Neben den Demonstrationen und Kundgebungen, gab es an dem Tag auch Versammlungen, Veranstaltungen und Diskussionsrunden, bei denen Frauen Ihre Forderungen äußern konnten, was zu einer Förderung des Bewusstseins und der Solidarität beigetragen hat. Durch den Streik zeigten die mexikanischen Frauen die Wichtigkeit ihrer Präsenz und ihrer Arbeit für die Gesellschaft und, wie sie in Form eines Streiks Druck auf den Staat ausüben können.




Bahn: 35 Stunden für die 35-Stunden-Woche!

Martin Suchanek, Infomail 1246, 5. März 2024

Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit der Bahn AG nimmt die GDL die Streiks zur Durchsetzung ihrer Tarifforderungen wieder auf. Die Arbeitsniederlegung beginnt am 6. März, 18.00, im Güterverkehr, am 7. März, 2.00 morgens, folgt der Personenverkehr.

Befristet ist der Streik auf 35 Stunden, um damit noch einmal der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung für die Beschäftigten im Schichtdienst Nachdruck zu verleihen.

Warum scheiterten die Verhandlungen?

Nach gut einem Monat Geheimverhandlungen samt Friedenspflicht verließ die Gewerkschaft die bis zum 3. März terminierten Unterredungen am 29. Februar vorzeitig. Offizieller Grund: Der DB-Vorstand hätte Interna an die Bild-Zeitung weitergegeben und damit die vereinbarte „Vertraulichkeit“ gebrochen. Was immer man davon halten mag, so lässt diese Begründung tief in die Bürokrat:innenseele der GDL-Spitze um Weselsky blicken. Wie die GDL bei Tarifabschlüssen mit der privaten Konkurrenz selbst immer wieder hervorhebt, stellen für sie Geheimverhandlungen und Sozialpartner:innenschaft nicht das Problem dar, sondern der mangelnde „Respekt“ des Bahnvorstandes für ihre Gewerkschaft. Schon deswegen – aber noch vielmehr wegen ihrer unkritischen Haltung zur AfD, der Gründung einer eigenen GDL-Verleihfirma und ihrer Unterstützung der Bahnprivatisierung – ist ein unkritisches Abfeiern von Weselsky und Co. unangebracht.

Doch immerhin. Die Verhandlungen sind gescheitert, ein fauler Kompromiss konnte bei den Geheimgesprächen unter Ausschluss der Öffentlichkeit und „natürlich“ auch der GDL-Mitglieder nicht erzielt werden. Und das ist eine gute Nachricht für alle Gewerkschafter:innen und Linken.

Der Bahnvorstand, die bürgerliche Presse und die Bundesregierung schieben die Schuld dafür natürlich einseitig der GDL zu. Diese habe nur stur ihre Maximalforderungen wiederholt, statt diese am Verhandlungstisch aufzuweichen. Selbst das ist Unsinn. Die GDL hatte schon vor Beginn der Verhandlungen einen Kompromiss gegenüber einer sofortigen Umsetzung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ins Spiel gebracht – nämlich die Tarifvereinbarungen bei den Privatbahnen, die eine schrittweise Umsetzung der Forderung vorsehen.

So beinhalten die Abschlüsse bei Netinera Deutschland (u. a. ODEG und vlexx; Töchter der italienischen Staatsbahn Trenitalia), metronom und Go-Ahead, dass dort ab 2028 die 35-Stunden-Woche kommt. Bis dahin sollen eine schrittweise Anpassung der Arbeitszeit, eine Inflationsausgleichsprämie über 3.000 Euro in zwei Schritten, eine Entgelterhöhung 2024 in zwei Schritten um brutto 420 Euro und Zuschläge von +5 % erfolgen. Die Entgeltlaufzeit beträgt 24 Monate, die Laufzeit der Arbeitszeit geht bis Ende 2027. Erkauft wird das Ganze wohl damit, dass das Wahlmodell mit zusätzlichem Urlaub wegfällt – die kürzere Arbeitszeit bringt unterm Strich zwar mehr Freizeit, aber eben bestimmt durch Dienstpläne und nicht nach den selbst ausgewählten Urlaubszeiträumen, wobei über diese letztlich auch die Disponent:innen und Personaleinsatzplaner:innen entscheiden.

Die GDL wäre sicher bereit gewesen, einen solchen Abschluss mit den dazu gehörigen Kröten auch bei der DB AG hinzunehmen und abzufeiern. Er hätte die Umsetzung der 35-Stunden-Woche deutlich gestreckt, die geforderte Laufzeit hätte sich von einem Jahr auf 2 Jahre verdoppelt und die Entgelterhöhung wäre klar unter den 550 Euro für alle geblieben.

Ebenso wie die Mär von der ultrasturen GDL können wir die psychologisierenden Einschätzungen beiseitelassen, die die Länge bzw. Kürze der Verhandlungen nur der Profilierungssucht des GDL-Vorsitzenden Weselsky zuschreiben.

Wirkliche Ursachen

Ein Licht auf die wirklichen Ursachen des Scheiterns wirft ironischer Weise die Erklärung des Bahnvorstandes. Die GDL, so heißt es, hätte sich seit Beginn der Verhandlungen Anfang Februar über Wochen nicht bewegt und „bis zuletzt dogmatisch auf der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich“ beharrt. Lassen wir einmal beiseite, dass die GDL so dogmatisch gar nicht war, so läuft der ganze Vorwurf darauf hinaus, dass die Gewerkschaft bei den Verhandlungen ihre eigenen Forderungen nicht gänzlich zurückgenommen hat oder jedenfalls nicht in einem für die DB akzeptablen Maß.

Nach Jahrzehnten sozialpartnerschaftlicher Tarifrundenrituale gilt es mittlerweile als normal, dass eine Gewerkschaft ohnedies nicht ernsthaft für ihre aufgestellten Forderungen eintritt. Das steht jetzt ein Stück weit infrage. Und das geht natürlich nicht. Daher rufen Unternehmerverbände und Unionsparteien einmal mehr nach Zwangsschlichtungen bei „kritischer Infrastruktur“. Dort sollten Streiks erst möglichst werden nach einer etwaigen gescheiteren Schlichtung und auch dann nur innerhalb enger Grenzen.

Dass sich die GDL bei der Bahn zu einer härteren Gangart gezwungen sieht, hat nichts mit einer grundsätzlich fehlenden Kompromissbereitschaft oder einem grundlegend anderen Charakter der Gewerkschaft zu tun, sondern damit, dass sie vor dem Hintergrund des reaktionären Tarifeinheitsgesetzes einen Existenzkampf nicht nur gegen das Management, sondern um ihre Anerkennung als Gewerkschaft führt. Daher muss sie sich gegen die größere und bei Lohnverhandlungen moderatere EVG zu profilieren versuchen.

Und das bringt Forderungen nach weiteren Einschränkungen des Streikrechts zutage, eine öffentliche Hetze gegen den Streik, der auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen würde. Anders als bei früheren Arbeitskämpfen stimmt mittlerweile auch der Fahrgastverband Pro Bahn in diesen Chor ein. Bahn AG und GDL würden die Verkehrwende, die die Regierung ohnedies nur im Schneckentempo voranbringt und die Verkehrsminister Wissing sabotiert, wo er nur kann, kaputtmachen. Die Regierung müsse jetzt intervenieren, fordert Pro Bahn – ein Aufruf, das Streikrecht der GDL zu beschneiden!

Solidarität mit dem Streik!

In Wirklichkeit stellt der Vorwurf, die GDL (oder im Frühjahr 2023 auch die EVG) würde mit Streiks die Verkehrwende kaputtmachen und die Menschen von der Schiene vertreiben, reinen Zynismus dar. Schließlich sind die Gewerkschaften und die Beschäftigten ganz sicher nicht schuld, dass die Bahn seit Jahrzehnten kaputtgespart wird, ein unsinniger und chaotisierender Privatisierungsvorschlag dem nächsten folgt, die Preise stetig erhöht werden, statt den kostenlosen ÖPNV einzuführen oder wenigstens das Deutschlandticket für die nächsten Jahre bei 49 Euro zu fixieren. Selbst dazu sind jene nicht willens oder fähig, die jetzt über ein angeblich drohendes Streikchaos wettern.

Dabei macht die GDL nur, was jede ernstzunehmende Gewerkschaft tun sollte. Sie versucht, ihren Forderungen mit eskalierenden Streiks Nachdruck zu verleihen. Daher kündigt sie für die nächsten Wochen an, die Arbeitsniederlegungen nicht mehr längerfristig vorher bekanntzugeben, so dass die Bahn AG keine Notfahrpläne erstellen kann. Diese sog. Wellenstreiks sind eine durchaus kluge und naheliegende Taktik, um den Druck auf die Gegenseite zu erhöhen. Zugleich signalisiert sie auch, dass die GDL selbst vor einem unbefristeten Vollstreik zurückschreckt, ja, deren Vorsitzender Weselsky hat diesen wiederholt ausgeschlossen.

Die Bahn AG, die Regierung und sämtlich bürgerlichen Kräfte werden versuchen, die GDL durch öffentlichen Druck in die Knie zu zwingen – vor allem, indem sie sich als Vertreter:innen der Fahrgäste aufspielen. Die GDL hat zweifellos recht damit, wenn sie den Bahnvorstand für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich macht, weil dieser zu keinen substantiellen Zugeständnissen bei der 35-Stunden-Woche bereit ist.

Aber es reicht gegen eine offensive öffentliche Medienkampagne sicher nicht, das nur bei einer Pressekonferenz zu erklären. Damit die GDL den weiteren Arbeitskampf erfolgreich bestehen kann, muss sie auch anfangen, diesen anders als bisher zu führen. Es reicht nicht, dass die Mehrzahl der Streikenden einfach zuhause bleibt. Vielmehr wird es für einen längeren Arbeitskampf nötig sein, dass diese aktiv mit Infoständen, Demonstrationen, Flugblättern, auf sozialen Medien für ihren Streik werben und erklären, warum ein Sieg der GDL im Interesse aller Lohnabhängigen liegt. Der Kampf muss auch auf öffentlicher und politischer Ebene geführt werden, nicht nur auf einer rein gewerkschaftlichen.

Das erfordert auch, dass der Streik und erst recht die Verhandlungen nicht mehr als reine Top-Down-Veranstaltungen von Claus Weselsky geführt werden können oder sollen. Das liegt zum einen daran, dass die GDL-Spitze wie schon bei Aufnahme der Geheimverhandlungen Ende Januar durchaus auch faule Kompromisse einzugehen imstande ist und daher von den Beschäftigten kontrolliert werden muss. Es ist auch deutlich, dass ein längerer Streik nur durch die Aktivierung der Mitgliedschaft in Vollversammlungen und gewählten, abwählbaren und rechenschaftspflichtigen Streikkomitees durchhaltbar sein wird, also durch eine massive Verbreiterung der Basis der aktiven Gewerkschafter:innen.

Schließlich erfordert ein solcher Arbeitskampf die aktive Unterstützung durch die gesamte Gewerkschaftsbewegung und die Bildung von Solidaritätskomitees, um Gegenöffentlichkeit zu erzeugen und Solidaritätsaktionen und -streiks durchzuführen.

Und die EVG?

Die Solidarisierung mit der GDL wäre dabei zuerst die Aufgabe ihrer „Konkurrenz“ bei der Bahn AG. Doch was tut die EVG? Sie schweigt sich aus – bestenfalls!

Wer beim Angriff auf andere Gewerkschafter:innen, die für Arbeitszeitverkürzung und höhere Löhne streiken, nichts tut, der unterstützt letztlich die Kapitalseite! Im Tarifkampf „unparteiisch“ zu bleiben, hilft nur der Konzernleitung und sonst niemand.

Es schwächt letztlich sogar die EVG selbst, die bei ihren nächsten Tarifrunden und Arbeitskämpfen dem GDL-Vorstand schon jetzt die Argumente liefert, dann seinerseits die Füße stillzuhalten. Diese wechselseitige Entsolidarisierung stellt letztlich ein Kernproblem der Bahnbeschäftigten dar – und muss durchbrochen werden.

Die durchaus berechtigten und richtigen Kritikpunkte der EVG an der GDL, wie z. B., keine klare Kante gegen die AfD und gegen Rassismus zu zeigen und der von Unionsparteien, FDP und Grünen forcierten Zerschlagung der Bahn keinen Widerstand entgegenzubringen, werden letztlich hohl und verlieren ihre Wirkung, wenn sie nur als Vorwand dienen, der GDL jede Solidarität, jede Unterstützung zu versagen, wenn sie richtig, also im Interesse der Gewerkschaftsmitglieder handelt.

Die EVG-Spitze belässt es dabei keineswegs nur bei reiner Passivität. Sie geht vielmehr offen gegen eigene Gliederungen wie die EVG-Betriebsgruppe DB Systel Frankfurt vor, die sich offen mit dem GDL-Streik solidarisierte. Statt diese Solidarität zu verallgemeinern, drohen den Vorstandsmitgliedern der Betriebsgruppen jetzt Rügen und Funktionsverbote. In Wirklichkeit müssten solche gegen die Spitze der EVG wegen ihres unsolidarischen und gewerkschaftsschädigenden Verhaltens verhängt werden.

Bei der Bahn ist Solidarität eine unerlässliche Grundvoraussetzung für den laufenden Streik und zukünftige Kämpfe. Ein GDL-Erzwingungsstreik braucht die Solidarität aller Beschäftigen, aller Gewerkschafter:innen. In der EVG und unter den Bahnbeschäftigten braucht es Versammlungen von Abteilungen und Betriebsgruppen, um nicht nur die Solidarität mit der GDL zu erklären, sondern auch die Forderung zu erheben, selbst den Kampf um eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich für den gesamten Konzern aufzunehmen, so also den Kampf und die Streikfront direkt auszuweiten – und letztlich auch gemeinsame, gewerkschaftsübergreifende Streikkomitees zu bilden.




Claus Weselsky – ein Gewerkschaftsbürokrat wie andere auch

Leo Drais / Martin Suchanek, Infomail 1243, 28. Januar 2024

Der Bahn-Streik wird vorzeigt abgebrochen, verkündete GDL-Chef Weselsky zur Überraschung der Öffentlichkeit am 27. Januar. Die Bahn AG sei bei den Verhandlungen zum Verhandeln bereit, frohlockt der große Vorsitzende in der Presserklärung der Gewerkschaft: „Insbesondere die Verhandlungsbereitschaft der DB zur Arbeitszeitabsenkung für Schichtarbeiter ist zentral bedeutsam. Die Bereitschaft, auch über einen Tarifvertrag für die Infrastruktur zu verhandeln, ist nunmehr vorhanden. Im Falle einer Einigung wäre das ein starkes Signal für das gesamte Eisenbahnsystem und ein Schub hin zur Attraktivitätssteigerung der Eisenbahnberufe.“

Ist damit die Umsetzung der Forderungen der GDL gewährleistet? Wohl nicht. Ein mehr oder minder fauler Kompromiss – orientiert an den Abschlüssen bei privaten Verkehrsunternehmen und nicht an den Forderungen, für die die Mitglieder im Streik angetreten sind – zeichnet sich schon jetzt am Ende der Verhandlungen ab. Diese beginnen am 5. Februar beginnen und sollen bis zum 3. März dauern – Verlängerung möglich.

Offenkundig reicht die bloße Erklärung der Verhandlungsbereitschaft zu „allen Themen“ durch die Bahn AG – und der gestern noch als unbelehrbar, selbstherrlich, geldgierig und beratungsresistent denunzierte Bahnvorstand mutiert zum vertrauenswürdigen Sozialpartner nach Weselskys Geschmack.

Der GDL-Löwe erweist sich als zahmes Kätzchen. Für die Dauer der Verhandlungen wurde eine Friedenspflicht vereinbart, ein bisschen vom DB-Vorstand am Bauch gekrault, ein kleiner sozialpartnerschaftlicher Finger zum reinbeißen, und schon miaut der große Claus zufrieden. Die Gewerkschaft verzichtet freiwillig auf jedes gewerkschaftliche Druckmittel.

Vor allem liegt die Vermutung nahe, dass es am Ende mal wieder um die Konkurrenz der EVG geht. Deren Tarifverträge gelten dank des reaktionären Tarifeinheitsgesetzes im Zuckerstück schlechthin des deutschen Eisenbahnuniversums – der DB InfraGO (ehemals Netz) als Infrastrukturbetreiber. Hier einen Fuß in die Tür zu kriegen, allein schon das bloße Versprechen des DB – Vorstandes darüber zu sprechen, hat gereicht, um den Streik vorzeitig zu beenden. Claus Weselsky ist wieder das, was er eigentlich sein will – ein anerkannter Sozialpartner am Verhandlungstisch anstatt ein Kampfpartner der Eisenbahner:innen.  

In kleinen Kreis soll unter Ausschluss der Öffentlichkeit und „natürlich“ auch der GDL-Mitglieder verhandelt werden. „Alle Inhalte, Zwischenstand, Zwischenergebnisse etc. unterliegen der strengen Vertraulichkeit und werden nicht nach außen getragen,“ heißt es auf der Homepage der GDL.

Über jeden Winkelzug der Verhandlungen, über das Ergebnis, über das Ende des Streiks entscheidet in Gutsherrenmanier der große Vorsitzende der GDL, Herr Weselsky, samt Stab. In strenger Vertraulichkeit mit den Kapitalvertreter:innen fährt der letzte Rest von Gewerkschaftsdemokratie an die Wand. Die Mitglieder werden nach gelungener Mauschelei allenfalls von ihrem „Erfolg“ informiert.

Die GDL-Spitze agiert in dieser Tarifrunde ähnlich der Konkurrenzgewerkschaft EVG, bloß dass diese sich auch noch zur Schlichtung hinreißen ließ. Der Abschluss der GDL wird – allein, um ihn gegenüber der eigenen Mitgliedschaft besser zu verkaufen – voraussichtlich etwas besser als jener der EVG-Konkurrenz werden. Faktisch verzichtet der GDL-Vorstand mit den Geheimverhandlungen auf den Kampf um die volle Durchsetzung der Forderungen und wird sich im Rahmen der meisten anderen Abschlüsse der letzten Jahre bewegen. 

Es reicht ein bisschen besser zu sein als die EVG-Konkurrenz. Die Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts bei den Privatbahnen wurde erkauft mit einer Aufgabe des Wahlmodels 12 Tage mehr Urlaub. Und doch ist Claus Weselsky nicht komplett wie andere Gewerkschaftsbürokrat:innen – er spricht und bandelt auch offen mit der AfD, die nicht nur rassistisch, queerfeindlich und sexistisch und daher schon feindlich gegen vielen Eisenbahner:innen gegenüber ist, sondern als Autopartei schlechthin auch absolut eisenbahnfeindlich ist! Aber solange der große Claus mitreden darf, ist ihm das alles egal. Er hat Autodeutschland längst akzeptiert, ein Eisenbahndeutschland will er nicht – sonst würde er die Cargoverkleinerung bekämpfen, sonst wäre er nicht für die weitere Zerschlagung der DB. 

Die Mitglieder der GDL, die in den letzten Tagen ihre Entschlossenheit beim Streik eindrucksvoll bewiesen haben bleibt nur, den sozialpartnerschaftlichen Kuschelkurs Weselskys nicht mitzumachen. Bei Mitgliederversammlungen und in den Ortsgruppen sollten sie den neuen Kurs nicht nur besprechen, sondern ablehnen. Sie sollten einen Entscheid der GDL-Mitgliedschaft über das Abkommen mit der Bahn AG fordern, die Geheimverhandlungen und die Friedenspflicht ablehnen und die Durchführung eines Streiks zur Durchsetzung aller Forderungen verlangen. Sie müssen dafür eintreten, dass die Streikführung und die Verhandlungskommission unter Kontrolle der Mitglieder gestellt werden, dass diese von ihnen gewählt und abwählbar sein müssen. Nur so kann sichergestellt werden, dass ein Arbeitskampf nicht in der üblichen, üblen bürokratischen Manier abgebrochen wird, dass die Streikenden nicht am Katzentisch der Sozialpartner:innenschaft abgespeist werden statt bei voller Entfaltung ihrer Kampfkraft einen wirklichen Durchbruch zu erzielen.




Erklärung der VKG zur Bilanz der großen Tarifrunden

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, 19. Januar 2024, Neue Internationale 280, Februar 2024

Reallohnverlust trotz Kampfkraft und Mobilisierung – Die Lehren für kämpferische Gewerkschafter:innen

Die Tarifergebnisse seit Herbst 22 sind für alle großen Branchen sehr ähnlich. Als Gewerkschafter:innen müssen wir uns fragen, ob das Zufall ist. Wir müssen den Blick über den Tellerrand unserer Branche heben. Wir müssen uns fragen, ob die gewohnte Beurteilung von Tarifergebnissen so noch taugt.

Tarifforderungen orientieren sich immer hauptsächlich an der Inflation, in den Industriegewerkschaften auch an der Produktivitätssteigerung. Das Ergebnis wird daran gemessen, wie viele der Forderungen erfüllt worden sind. Innerhalb der jeweiligen Gewerkschaften geht es immer darum, ob mehr drin gewesen wäre. Von Seiten der kämpferischen Belegschaften und Mitglieder, genauso von der Gewerkschaftslinken gibt es seit Jahrzehnten die wiederkehrende Kritik, dass mehr hätte erreichen werden können, dass die Kampfkraft nicht ausgeschöpft worden sei.

Die übliche Argumentation der Tarifverantwortlichen und der Sekretär:innen war stets, dass nicht genug gekämpft worden sei, entweder von den Kritiker:innen oder von anderen Teilen der Mitgliedschaft oder auch von anderen Teilen des Gewerkschaftsapparates, der nicht so toll ist wie man selber. Letztlich gingen die Debatten immer darum, ob die fehlende Kampfkraft Schuld des Apparats oder der Kolleg:innen war.

Diese Art der Ergebnisdiskussion, die von allen Seiten die Frage der Kampfkraft ins Zentrum stellt, ist uns allen in Fleisch und Blut übergegangen, ja sie war im Grunde ein Teil des Tarifrituals geworden. Nach den letzten Tarifrunden müssen wir uns selbst eingestehen, dass wir als kämpferische Kolleg:innen oder als Gewerkschaftslinke darüber hinausgehen müssen, denn diese Tarifrunden waren einfach etwas anders.

Keine Diskussion der Forderungen …

Es gibt seit Jahren eine Entwicklung in den DGB-Gewerkschaften, dass die Basis aus dem Prozess der Forderungsdiskussion und -aufstellung herausgedrückt wird. Bei der IGM durften zum Beispiel  nur vorgegebene  Forderungsniveaus angekreuzt werden, wobei 8 % das Höchstmögliche war – zu dieser Zeit war das gerade die aktuelle Inflationsrate. Die Zeiten, als einfach jeder Vertrauensleutekörper seine Forderungen auf einer örtlichen Funktionärskonferenz präsentieren und diskutieren konnte, sind lange vorbei.

Beim TV-L wurde diesmal eine neue Qualität erreicht. In GEW und ver.di wurden Diskussionen über die Forderungen zugunsten einer „Befragung“ abgesagt/verhindert (??).  Die dann von der Führung aufgestellte Forderung wurde in dieser Befragung nicht erwähnt, dann aber als „deren Ergebnis“ verkündet.

Eine solche Art von gesteuerter „Diskussion“ erlaubte es der Führung, eine Forderung aufzustellen, die sie offensichtlich von vornherein beabsichtigt hatte. Warum aber haben die Spitzenbürokrat:innen nicht im Vorfeld offen für diese geworben? Die Argumente, mit denen sie diese Forderung rechtfertigten, hätten sie auch schon 2 Monate zuvor in einer demokratischen Debatte innerhalb der Gewerkschaften vorbringen können, nämlich dass der öffentliche Dienst doch eine Gemeinschaft sei, egal ob Bund, Länder oder Kommunen, dass die wirtschaftliche Lage ähnlich, die Inflation vielleicht sogar etwas zurückgegangen sei. Ganz offensichtlich sollte nicht nur genau diese Forderung durchgedrückt, sondern auch eine innergewerkschaftliche Debatte vermieden werden. [i]

Ergebnis abseits der Forderungen …

In den meisten anderen Branchen war das anders. Trotz aller Bemühungen der Führung, die Forderungen niedrig zu halten, hatte es bei Metall und Elektro, bei der Post, der Bahn oder dem TVöD eine lebhafte Debatte gegeben, angeheizt von der Inflation, den fetten Gewinnen in vielen Bereichen und den miesen Abschlüssen in den Jahren davor. Teilweise wurden die Forderungen sogar höher gedrückt. Aber im Rückblick war das vergeblich, denn offensichtlich waren für die Ergebnisse diese Forderungen nicht maßgebend.

Branche Gewerkschaft Laufzeit gefor-dert Laufzeit verein-bart 1. Tab.-Erhöh. nach x Monaten Einmal-zahlungen steuer- +abgabenfrei Tab.-Erhöhung Warnstreik, Streik , usw
Chemische Industrie IG BCE   27 14 1.500+1.500 3,25 %+3,25 % Fehlanzeige
Metall- und Elektroind. IG Metall 12 24 8 1.500+1.500 5,2 %+3 3 % Ca. 900.000 in Warnstreiks
Post Ver.di 12 24 14 In Summe 3.000 4,7 % 85,9 % für Streik in Urabstimmung, kein Streik
TVöD Ver.di 12 24 14 1.240+8*220 200+5,5 %(min 340 Euro) Starke Warnstreiks
Bahn EVG 12 25 9 2.850 200+210 2 halbe Tage Warnstreik Schlichtung 48 % gegen Schlichterspruch
TV-Länder Ver.di, GEW,.. 12 25 12 1.800+10*120 200+5,5 % Durchschnittlich 3 Tage Warnstreiks
Stahlindustrie IG Metall 12 22 14 1.500+10*150 5,5 % 18.000 in Warnstreiks, 30.000 in Tagesstreiks

Es ist nichts Neues, dass die Ergebnisse immer weniger mit den jeweiligen Forderungen vergleichbar sind. Andere Laufzeiten, die Vermengung von Festbeträgen, prozentualer Steigerung, Einmalzahlungen, Besserstellung einzelner Beschäftigtengruppen oder neue Sonderzahlungen wie bei der IGM haben einer Diskussion in der Mitgliedschaft schon die Grundlage weitgehend entzogen, die Ergebnisse mit den Forderungen wirklich zu vergleichen.

Die steuer- und abgabenfreien Einmalzahlungen („Inflationsausgleichsprämie“) als bestimmendes Element für das jeweils erste Jahr der Tariflaufzeit bringen noch eine neue Qualität hinzu: Sie wirken sich für jede/n individuell unterschiedlich aus.

Die Tatsache, dass aber in keiner Tarifrunde diese Einmalzahlungen gefordert oder bei der Forderungsaufstellung diskutiert wurden, obwohl gerade bei den Beschäftigten der Länder ja mit der Übernahme der Forderung von Bund+Kommunen klar war, dass die Übernahme des Ergebnisses angestrebt wird, zeigt noch mal mehr die tiefsitzende Verachtung der Gewerkschaftsführung für innergewerkschaftliche Demokratie.

Kampfkraft spielt offensichtlich keine Rolle

Aber nicht nur die Forderungsaufstellung hatte wenig Einfluss auf die Ergebnisse, auch der Verlauf der jeweiligen Tarifrunde. Ein Überblick über die großen Tarifrunden zeigt, dass sich die Ergebnisse sehr ähnlich sind, der Verlauf der Tarifrunden aber extrem unterschiedlich. Zum Zweiten enthalten alle steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen, meist in Summe von 3.000 Euro, etwas, was in keiner einzigen Tarifforderung auch nur ansatzweise aufgetaucht war. Drittens haben alle mit erheblich längerer Laufzeit als gefordert abgeschlossen.

Die Tarifkämpfe, in denen, für sich betrachtet, die gezeigte und entwickelbare Kampfkraft am wenigsten genutzt wurde, um einen Reallohnverlust zu verhindern, waren Metall- und Elektroindustrie, Post, TVöD, Bahn(EVG) und Stahlindustrie.

Die Tarifrunde TV-L, die erst im Herbst 2023 abgewickelt wurde, war also nicht diejenige, in der die Mobilisierung der Beschäftigten am krassesten einem schlechten Ergebnis gegenüberstand. Der TV-Länder leidet nach wie vor daran, dass die Belegschaften in den Flächenländern schlecht organisiert bzw. verbeamtet sind, im Unterschied zu den Stadtstaaten. Aber aus ihrem ganzen Verlauf wurde klar, dass sie nach dem Willen der Gewerkschaftsführung genau zu diesem Ergebnis führen sollte, das abgeschlossen wurde: Auf die Unterdrückung der Forderungsdiskussion folgte die diktierte Übernahme der Forderung für den TVöD, dann die Übernahme desselben Ergebnisses, bis auf 25 statt 24 Monate Laufzeit.

Mehr Kampfkraft alleine hätte also dieses Ergebnis nicht verbessert, sondern nur schneller erreicht; Mit weniger Kampfkraft wäre vielleicht noch eine Runde Warnstreiks mehr nötig gewesen. Es reicht also nicht, wenn wir weiter über Kampfkraft und ihre Entwicklung reden, ohne zu verstehen, warum und wie dieser offensichtliche Zielkorridor für die Tarifergebnisse zustande kam und welche Konsequenzen wir daraus ziehen müssen.

Konzertierte Aktion

Die Erklärung für den besonderen Verlauf der Tarifrunden finden wir in der Konzertierten Aktion, einem Treffen von Regierung, Arbeit„geber“:innen-Verbänden und Gewerkschaftsspitzen. Von 1967 bis 1977 fanden auf der Basis des „Stabilitätsgesetzes“ regelmäßig entsprechende Treffen statt. Im Sommer 2022 wurde das Modell wieder aus dem Hut gezaubert. Eigentlich hatten diese Treffen keine Regeln, sie sind freiwillig. Aber wer hingeht und selbst Vorschläge macht, macht dann auch beim Gesamtpaket mit. In mehreren Paketen wurden im Sommer und Herbst alle möglichen Entlastungen für die verschiedensten Teile der Bevölkerung vereinbart, die dann z. B. von der Regierung umgesetzt wurden. Was die Kapitalvertreter:innen forderten, kann man sich leicht vorstellen – das, was sie eh ständig und laut für sich reklamieren. Ob sie sich zu irgendwas verpflichteten, bleibt unklar. Auf jeden Fall bekamen sie etwas geschenkt, nämlich die Möglichkeit, jedem/r Beschäftigten 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei als Inflationsausgleich zu zahlen – statt diesen die dringend nötigen und von diesen stark eingeforderten Lohn- und Gehaltserhöhungen zuzugestehen.

Die Gewerkschaftsspitzen haben das nicht nur zugelassen, sondern pro-aktiv unterstützt. Es gibt sogar Gerüchte aus der IG BCE, dass diese Idee von Seiten der IG Metall und IG BCE eingebracht worden sei. Auf jeden Fall war das erklärte Ziel der Konzertierten Aktion (K. A.), die „Inflation zu bekämpfen“, was für Kapital und Regierung nie heißt, die Preiserhöhungen zurückzunehmen. Schon gar nicht 2021 – 2022, wo in kurzer Zeit die Preise, vor allem die Verbraucherpreise hochschnellten und das, nachdem die Gewerkschaften schon in der Coronakrise praktisch keine Lohnerhöhungen hatten durchsetzen können.

Dennoch haben sich die Gewerkschaftsspitzen dieser Logik der K. A. unterworfen. Für ein angebliches Gesamtinteresse des Landes wurden ganz offensichtlich durchgehend flächendeckende Reallohnverluste vereinbart. Das ist eine Verschärfung der üblichen Sozialpartner:innenschaft, die sich vor allem in Unterordnung unter bestimmte Branchenbedingungen, unter konjunkturelle Erscheinungen oder unter die Krisen einzelner Betriebe zeigt. Das ist mehr als die gewohnte Zurückhaltung im Kampf, das war die geplante Akzeptanz und Umsetzung eines nationalen Krisenprogramms, das voll zugunsten der herrschenden Klasse geht:

  • Ökonomisch, denn sie konnten ihre Gewinne sichern, z. T. beispielsweise in der Autoindustrie auf neue Rekordhöhen steigern;

  • politisch, weil es eine notwendige Antwort der Klasse auf die verbundenen Angriffe auf sie verhinderte: eine Bewegung gegen die Inflation, die Sozialkürzungen und gegen die Aufrüstung.

Dieses Ausbleiben einer solchen Bewegung ist letztlich der Grund für die massive Rechtswende in der Gesellschaft und auch in großen Teilen der Arbeiter:innenklasse. Statt Konzertierter Aktion hätte es eine von den Gewerkschaften angeführte Bewegung für „Brot, Heizung, Frieden“ geben müssen, um den Namen eines kleinen Versuches in diese Richtung zu benutzen.

Letztlich müssen wir davon ausgehen, dass es für Regierung und Kapital bei der K. A. nicht nur um die Inflation ging, sondern darum, die Gewerkschaften in das Programm einzubinden, Deutschland in der globalen Konkurrenz mit den anderen Großmächten USA, Russland, China usw. neu und aggressiver aufzustellen, aufzurüsten und Kriege vorzubereiten. Ob sie das wollten oder nicht, die Gewerkschaften sind da mit reingezogen worden.

Die Mogelpackung

Das Instrument für dieses Manöver war die steuer- und abgabenfreie Sonderzahlung. Die Regierung hat legalisiert, was normalerweise als Steuerhinterziehung und Sozialversicherungsbetrug schwer bestraft wird. Die Bosse haben sich gefreut. Die Gewerkschaften haben den Deal mitgemacht: Reallohnverzicht und Streikvermeidung für eine Einmalzahlung, die kurzfristig eine Geldklemme löst, aber nicht in tarifliche Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) eingeht, zukünftige Renten mindert, die Finanznot des Gesundheitswesens verschärft und von Menschen, die in der Folge Arbeitslosen-, Eltern- oder Krankengeld beziehen, zu 60 bzw 66 % zurückgezahlt wird.

Die Komplizenschaft der Gewerkschaftsspitzen wird deutlich daran, dass es kein einziges Stück Text gibt, das sich mit den Folgen dieser Zahlung auseinandersetzt.

Unter den halbkritischen Funktionär:innen gibt es schon ein paar kritische Bemerkungen dazu, die aber mit der Aussage, dass diese Zahlung „obendrauf“, also zusätzlich zu einer Tabellenerhöhung okay gewesen wäre, relativiert wurden. Diese Ansicht ist eine bewusste oder unbewusste Verschleierung der Realität. Diese Zahlung war nur für eine bestimmte Zeit zulässig und nur für einen bestimmten politischen Zweck gedacht. Niemand konnte bislang in irgendeiner Tarifrunde herkommen und vollen Ausgleich der Inflation in den Tabellen und dann noch steuerfreie Sonderzahlungen „obendrauf“ verlangen und niemand wird es zukünftig tun können. Die Gewerkschaften konnten auch nicht bei diesen Tarifrunden „obendrauf“ vereinbaren, weil sie dem Gesamtpaket zur Eindämmung der Inflation zugestimmt haben. Die steuer- und abgabenfreie Sonderzahlung ist nicht irgendein materieller/ökonomischer optionaler Baustein, sondern war das Schmierfett für eine politische Weichenstellung für eine noch engere Form der Sozialpartner:innenschaft, der direkten Unterwerfung unter das Kriegs- und Krisenprogramm der deutschen Bourgeoisie.

Unsere Antwort

Wir haben als VKG die Konzertierte Aktion kritisiert, aber wir haben ihre politische Bedeutung unterschätzt. Spätestens in der Metalltarifrunde war klar, wie das Strickmuster aussehen würde, und in dieser Runde haben wir das auch thematisiert. Ab diesem Zeitpunkt hätten wir eine Kampagne über alle Branchen gebraucht unter dem Slogan: Tabelle statt Mogelpackung Einmalzahlung! Absage an die Konzertierte Aktion und ihre Ergebnisse! Verbunden mit einer breiten Aufklärungskampagne über die finanziellen Auswirkungen und Anträgen, Unterschriftensammlungen etc. gegen die Mogelpackung und für die Aufkündigung der Konzertierten Aktion. Wir hätten klarmachen müssen, dass eine erfolgreiche Tarifrunde nur möglich wird, wenn der Rahmen der K. A. durchbrochen wird. Sozialpartner:innenschaft hat einen sehr konkreten Inhalt gehabt und sehr konkrete Form angenommen. Sie war nicht ganz die Dimension der Zustimmung zur Agenda 2010, die uns einen massiven Niedriglohnsektor, Hartz IV/Bürgergeld und eine endlose Zersplitterung der Tariflandschaft beschert hat, aber eine deutliche Steigerung über das übliche Niveau der Konfliktvermeidung und Klassenkollaboration. Wir hätten sie viel konkreter bekämpfen können und müssen.

Das wäre zugleich eine gute Gelegenheit für uns als VKG gewesen, diese Vermittlung der Erfahrungen aus der Chemie- und Metallindustrie für die anderen Branchen zu leisten. Auch wenn das manche Kolleg:innen anfangs schockiert hätte, hätten wir mit der Voraussage, auf welcher Schiene die Niederlagen organisiert werden würden, uns viel Vertrauen einbringen können.

Auch in Zukunft müssen wir uns mit einer Tarifpolitik auseinandersetzen, die nicht nach den Strickmustern des überholten Tarifrituals – mehr Mobi bringt mehr Ergebnis – funktioniert, sondern politisch determiniert wird. Das kann andere konkrete Schritte gehen, aber die Fragen der innergewerkschaftlichen Demokratie und die konkreten Abläufe werden auf jeden Fall eine Rolle spielen.

Wir müssen schon zu Beginn die Erfahrungen aufnehmen und klarstellen:

  • Forderungsaufstellung ohne Vorgaben von oben durch demokratische Debatte unter Kontrolle der Mitglieder, Vertrauensleute und Betriebsgruppen.

  • Demokratische Wahl der Tarifkommissionen. Stimmberechtigung nur für diejenigen, die dem Tarifvertrag unterworfen sind – also nicht für Hauptamtliche.

  • Keine Verschwiegenheits-, sondern Rechenschaftspflicht. Jederzeitige Abwahl durch die Gewerkschaftsmitglieder des entsprechenden Bereiches.

  • Öffentliche Verhandlungen.

  • Beim Auftauchen von Themen, die nicht Bestandteil der beschlossenen Forderungspakete waren, erneute Diskussion von unten nach oben, ob das als Thema überhaupt zugelassen wird.

  • Demokratische Wahl von Aktions- und Streikkomitees.

  • Vollständige Veröffentlichung der Verhandlungsergebnisse vor der Beratung und Urabstimmung.

  • Ersatzlose Kündigung von Schlichtungsvereinbarungen, so vorhanden.

Diese Forderungen zur Demokratisierung der Tarifbewegungen sind nicht alle neu, aber das verschärft undemokratische Vorgehen der Gewerkschaftsführungen rückt sie für die Zukunft mehr ins Zentrum.

Aber entscheidend für den Erfolg in zukünftigen Tarifrunden wird sein, dass die politischen Ziele ge- und erklärt werden müssen. Wir werden niemandem/r Ultimaten stellen und verlangen, dass man gegen den Krieg sein müsse, um in der Tarifrunde richtig kämpfen zu können. Aber wir müssen mit aller Deutlichkeit erklären, dass wir diese Tarifrunden verlieren sollen, damit die Steuerentlastungen und Subventionen für das Kapital und die Aufrüstung der Bundeswehr finanziert werden können.

Wir wenden uns mit dieser Bilanz an alle, die sich mit Ergebnissen und Abläufen der letzten Tarifrunden und dem Geld, der Kampfkraft und der Motivation, die dabei geopfert wurden, nicht zufriedengeben wollen. Diskutiert mit uns, macht mit beim Aufbau einer Vernetzung von kämpferischen Kolleginnen und Kollegen! Nach der Tarifrunde ist vor der Tarifrunde, wir müssen sie vorbereitet angehen!

Anmerkung

[i] Diese rigide Politik bezüglich der Aufstellung der Forderung und der Durchsetzung des Ergebnisses steht bei ver.di durchaus einer offeneren Gestaltung der Tarifrunden gegenüber: Die Einrichtung von „Tarifbotschafter:innen“ und „Arbeitsstreiks“ erlaubt der Basis mehr Gestaltung bei der Durchführung von Aktionen. Das ist an sich positiv und wird auch von vielen Aktivist:innen so wahrgenommen. Aber gerade der krass undemokratische Gesamtrahmen zeigt, dass die Führung hier offensichtlich nur eine Spielwiese für Aktivist:innen und linke Gewerkschaftssekretär:innen aufmachen wollte oder auf Druck von unten aufmachen musste.




Tarifvertrag Länder: Ausverkauf neu aufgelegt

Mattis Molde, Infomail 1238, 12. Dezember 2023

Das Ergebnis der Tarifverhandlungen ist nicht wirklich eine Überraschung. Nachdem in ver.di und der GEW die gleiche Forderung wie beim TVÖD, dem Tarifvertrag für die Beschäftigten beim Bund und bei Kommunen, aufgestellt worden war, war klar, dass die Gewerkschaftsführung dieses Ergebnis auch für die Beschäftigten bei den Ländern anstrebt.

„Mit diesem Ergebnis knüpfen die Beschäftigten der Länder an die Tarifentwicklung bei Bund und Kommunen an.“, sagt der Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Werneke. Mehr sollten sie wohl auch nicht bekommen:

  • Inflationsausgleich von insgesamt 3000 Euro in Teilzahlungen. 1800 Euro davon sollen bereits in diesem Dezember fließen, weitere 120 Euro dann jeweils in den Monaten von Januar bis Oktober 2024.

  • Für Auszubildende, Dualstudierende und Praktikant:innen gäbe es dementsprechend 1000 Euro im Dezember 2023 und sie erhalten von Januar bis Oktober 2024 jeweils 50 Euro pro Monat.

  • Zum 1. November 2024 sollen die Entgelte in einem ersten Schritt um einen Betrag von 200 Euro angehoben werden.

  • In einem zweiten Schritt soll im Februar 2025 der dann erhöhte Betrag noch einmal um 5,5 Prozent steigen. Die gesamte Erhöhung soll allerdings in jedem Fall 340 Euro betragen (was nur für ganz wenige in der Entgeltstufe 1 zutrifft ).

  • Die Laufzeit soll sich auf 25 Monate (bis 30.10.2025). erstrecken, also einen Monat länger als beim TVÖD.

Im März hatte Werneke den damaligen Abschluss so gelobt: „Das ist eine nachhaltige Steigerung der Einkommen, die beachtlich ist“.

Das ist damals wie heute eine Lüge. Der Abschluss bedeutet einen heftigen Reallohnverlust. Die prozentuale Steigerung auf 12 Monate bezogen, liegt zwischen 4,2 und 8,1 Prozent, für die Mehrheit der Beschäftigten bei 5-6 Prozent. Das liegt unter der Inflation der letzten 2 Jahre und vermutlich auch der kommenden Zeit. Zur Erinnerung: Für die vergangenen 24 Monate hatte es gerade mal 2,8 Prozent gegeben und eine steuerfreie Prämie von 1300 Euro.

Einmalzahlungen

Die Einmalzahlungen von insgesamt 3000 Euro sehen auf den ersten Blick gut aus. Das ist jedoch eine mehrfache Täuschung:

  • Dieser Betrag geht wieder nicht in die Tabelle ein. Das Gesamteinkommen über die Laufzeit des Tarifvertrages fällt also nach dessen Ende automatisch. Die erreichten Preiserhöhungen werden mit Sicherheit nicht wieder entfallen.

  • Er geht auch nicht in Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld ein und in alle Zulagen, die sich prozentual auf das Grundgehalt beziehen.

  • Auch in den vergangenen Jahren waren in den Tarifverträgen Einmalzahlungen von insgesamt 1300 Euro vereinbart worden, die jetzigen sind also teilweise nur eine Fortsetzung dieser Zahlungen. Eine „Entwicklung“(Werneke) stellen nur weniger als 1700 Euro dar, die, bezogen auf 25 Monate, knapp 70 Euro „Inflationsausgleich“ monatlich darstellen.

  • Aus diesen Einmalzahlungen werden keine Rentenbeiträge abgeführt. Die Beschäftigten zahlen also auch mit zukünftigem Rentenminus;

  • Weil diese Prämie kein „regelmäßiges Einkommen“ darstellt, wird sie auch nicht bei „Transferleistungen“ berücksichtigt, z.B. Elterngeld, Arbeitslosengeld oder Krankengeld. Wer z.B. am 1.11. 2024 in Elternzeit geht, erhält 150 Euro weniger Elterngeld im Monat als wenn sie/er eine Gehaltserhöhung von 3000 Euro netto während des ersten Jahres der Tarifvertrags- Laufzeit bekommen hätte. Der Staat holt sich als einiges davon zurück, so bei Eltern, Leuten, die länger krank sind oder arbeitslos werden.

Diese Inflationsausgleichprämie war als gesetzliche Möglichkeit bei der „Konzertierten Aktion“ (also einvernehmlich zwischen Regierung, Gewerkschaften und den KapitalvertreterInnen) im Herbst 2022 ausgehandelt worden, und sie fließt seitdem in alle Tarifverträge ein, ohne von Gewerkschaftsseite je in den Forderungen aufgetaucht zu sein. Genauso sind die Folgen dieser Prämie in keiner Gewerkschaft wirklich dargestellt und diskutiert worden. Einzige Ausnahme ist die NGG, bei der einige Tarifverträge auf die volle Ausschöpfung der 3000 Euro verzichten und stattdessen höhere Tabellenerhöhungen angestrebt wurden.

Weitere Ergebnisse

Weitere Aspekte sind Zulagen für Psychiatrien, den Justiz- und Maßregelvollzug, die Sozial- und Erziehungsdienste sowie den Straßenbetriebsdienst. Pflegekräfte im Gesundheitsbereich sind etwas „besser“ gestellt worden, indem sie dynamisierte Zulagen erhalten. Aber auch diese sind weit weg von einem Inflationsausgleich oder Anreiz im Beruf zu bleiben oder um neue Kräfte zu gewinnen. Darüber hinaus wird in Berlin die Hauptstadtzulage des TV-ÖD übernommen, die Stadtstaaten Bremen und Hamburg haben warme Worte erhalten: eine Gesprächszusage für Mitte 2025.

Es wurde kein TV-Stud, der angestrebte Tarifvertrag für studentische Beschäftigte, auf Bundesebene durchgesetzt. Dieser TV ist auf den Sankt Nimmerleinstag abgeschoben worden. Hier werden ein paar popelige Lohnerhöhung ab dem Sommersemester 2024 auf 13,25 Euro/Stunde und ab dem Sommersemester 2025 auf 13,98 Euro in Aussicht gestellt. Auch einige kleine Änderungen bei Befristungen gibt es. Zum Vergleich, die GEW hatte ursprünglich 22 Euro gefordert. Was der „erste wichtige Schritt hin zu einem zukünftigen Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte“, von dem Werneke spricht, sein soll, hat er wohl aus gutem Grund nicht ausgeführt.

Auf die Beamt:innen soll dieser Vertrag wertgleich übertragen werden. Die vielen Beschäftigten, die nicht direkt dem TV-L unterliegen, aber für die selbiger angewendet wird, („Anwender:innen“) werden bisher überhaupt nicht erwähnt, ihnen drohen weitere Abstriche je nach Arbeit“geber:in“.

Warum diese Niederlage?

Das Ergebnis kann nicht ohne den Ablauf der Tarifrunde bewertet werden. Am Anfang wurden bei GEW und ver.di alle Diskussionen über die Forderungen unterdrückt und gegebenenfalls abgewürgt. Stattdessen wurde eine „Befragung“ organisiert, bei der keine eigenen Vorschläge gemacht werden konnten.

Eine solche Art von gesteuerter „Diskussion“ erlaubte es der Führung, eine Forderung aufzustellen, die sie offensichtlich von vornherein beabsichtigt hatte. Warum aber haben die Spitzenbürokrat:innen nicht im Vorfeld offen für diese geworben? Die Argumente, mit denen sie diese Forderung rechtfertigten, hätten sie auch schon 2 Monate zuvor in einer demokratischen Debatte innerhalb der Gewerkschaften vorbringen können, nämlich dass der Öffentliche Dienst doch eine Gemeinschaft sei, egal ob Bund, Länder oder Kommunen, dass die wirtschaftliche Lage ähnlich sei, die Inflation vielleicht sogar etwas zurückgegangen sei.

Ganz offensichtlich sollte nicht nur genau diese Forderung durchgedrückt, sondern auch eine innergewerkschaftliche Debatte vermieden werden. Diese hätte auch die soziale Lage, die Politik der Regierung, die diese mitverursacht hat, die TVöD-Runde, in der die Gegenseite mal wieder das berüchtigte Schlichtungsabkommen zog (an dem die Bürokratie aber festhält, obwohl es der Gewerkschaft immer nur Nachteile verschafft), und den Abschluss einbezogen.

Es wären also die Kritik gekommen, die jetzt nach dem erneut vollzogenen Reallohnverlust kommt, und den Spielraum für Manöver eingeschränkt. Es hätte im Übrigen auch Raum für ein Kritik an der Ampel von links, von den Gewerkschaften her, geschaffen, stattdessen wird diese Kritik völlig den Rechten überlassen, die Gesellschaft und Ampel in eine wüste rassistische Debatte hineintreiben.

Was bedeutete dieses Vorgehen?

Das antidemokratische Vorgehen der Führung schon während der laufenden Tarifrunde hat eine klare Botschaft: Wir entscheiden, wie die Forderung aussieht, wir entscheiden, ob und wie gekämpft wird, und wir entscheiden, was abgeschlossen wird.

Es bekräftigt die Aussage des TVöD-Tarifkampfes: Ihr könnt die Forderung von unten hochdrücken, ihr könnt Euch und Eure Kolleg:innen besser mobilisieren als die letzten 15 Jahre, wir drücken trotzdem das durch, was wir für richtig halten, was wir mit der Regierung in der Konzertierten Aktion vor einem Jahr abgesprochen haben, und wir werden es schaffen, uns durch unverbindliche „Befragungen“ oder „Voten“ eine Legitimation zu holen. Die Zustimmung der Bundestarifkommission zu diesem Ergebnis, die erneute Durchführung eines „Votums“ statt Vollversammlungen in den Ämtern, Behörden und Betrieben, ja, die Weigerung der GEW selbst eine solche „Befragung“ durchzuführen, bestätigt diesen Durchgriff von oben!

Es bekräftigt die Gesamtaussage aller großen Tarifauseinandersetzungen des letzten Jahres, dass, egal wie hoch der Organisationsgrad und die Kampfbereitschaft sind, sie schützen nicht davor, in Tarifverhandlungen von der Führung ausverkauft zu werden. Im Verlauf des letzten Jahres haben Chemie, Metall, TVöD, Post und EVG sehr ähnliche Abschlüsse erzielt. Jetzt wurde bei dem angeblich so schlecht organisiertem Öffentlichen Dienst der Länder an  wenigen, zersplitterten Streiktagen das gleiche Ergebnis erzielt, wie bei Bund und Kommunen mit 29 Streiktagen! Viele Gewerkschaften, aber eine Politik!

Was bedeutet dies für kämpferische Gewerkschafter:innen?

Die Tatsache, dass offensichtlich die ver.di-Spitze ein abgekartetes Spiel spielt, darf keinesfalls bedeuten, auf Tarifkampf zu verzichten. Das würde gerade den rechten Bürokrat:innen in der Gewerkschaft entgegenkommen. Die verzichten gern auf kämpferische Leute und stützen sich auf Trägheit und Gehorsam. Letztlich macht das auch der „linke“ Flügel des Apparates, der zwar auf mehr Dynamik und organisierte Mobilisierung setzt, aber nicht minder energisch auf die Kontrolle der Tarifbewegung und des Ergebnisses pocht. Zum Des Weiteren würde die Gegenseite eine Schwäche der Gewerkschaft sofort ausnutzen, einen noch schlechteren Abschluss durchzudrücken.

Alle, die unzufrieden sind und ein anderes Ergebnis wollen, müssen sich zum Sprachrohr der teilweise großartigen Mobilisierung machen, die in den Stadtstaaten, aber auch in den Unikliniken der Länder und anderen Hotspots, z. B. Sozialwesen, deutlich stärker war als in früheren Runden. Woche für Woche beteiligten sich zehntausende Landesbeschäftigte – Erzieher:innen, Sozialarbeiter:innen, Lehrer:innen, Beschäftigte an den Hochschulen, an Kultur- und Bildungseinrichtungen der Länder, aus der Verwaltung, von Landesklinken, studentische Beschäftigte und viele mehr – an den Warnstreiks.

In vielen Städten und Regionen widerlegten sie so eindrucksvoll die Behauptung, dass die Landesbeschäftigten mobilisierungsschwach und faktisch kampfunfähig wären. Am Stadtstaatenstreik beteiligten sich in Berlin, Hamburg und Bremen am 22. November um die 20.000 Kolleg:innen. Am Bildungsstreiktag, dem 28. November, gingen lt. Gewerkschaften in Leipzig 7.000, in Berlin 6.000 Streikende auf die Straße, bundesweit wohl Zehntausende. Dabei hatten sich schon dem Branchenstreik der Sozial- und Erziehungsdienste, der studentischen und universitären Beschäftigten und anderer am 24. November lt. ver.di 42.000 Gewerkschaftsmitglieder angeschlossen. Aber letztlich waren sie im Kalkül der Führung nur Statist:innen für einen Abschluss, den sie immer schon anvisierte.

Vom Unmut über den Abschluss zum Kampf gegen die Bürokratie

Die Taktik der Bürokrat:innen nach einem solchen Abschluss ist es stets, die Diskussion in ein Klein-Klein zu zerreden, den heftigsten Kritiker:nnen einzelne kleine Fehler zuzugestehen und darauf zu vertrauen, dass die Masse der Unzufriedenen murrt, aber passiv bleibt.

Es gilt also einerseits klar zu machen, dass die Gewerkschaftsspitzen dieses und kein anderes Ergebnis wollten. Für sie sind die Interessen des Staates bzw. des Kapitals unantastbar, bestimmte Grenzen dürfen nicht überschritten werden: Die Firmen müssen weiterhin genügend Profit abwerfen und im Konkurrenzkampf bestehen, die Entscheidungen des Staates, z. B. zur Aufrüstung, für Waffenlieferungen oder Unternehmenssubventionen werden nicht in Frage gestellt. Dem ordnen sie die elementaren Lebensinteressen der Arbeitenden unter. Die Gewerkschaftsbürokratie hat eine andere Interessenslage als die Mitglieder.

Das zeigt sich in Tarifkämpfen und in diesem besonders deutlich. Aber was können wir tun? Eine große Kampfbereitschaft von Seiten der Basis ist zwar nötig, aber nicht ausreichend, wenn es darum geht, faule Kompromisse und Ausverkauf auf dem Rücken der Beschäftigten zu verhindern. Wir müssen gerade jetzt klare Forderung formulieren, die den Bürokrat:innen ihre Tricks und Manöver unterbinden. Unmittelbar heißt das:

Nein zum Abschluss!

  • Stimmt mit Nein bei der ver.di-Mitgliederbefragung! Fordert verbindliche Abstimmungen über das Ergebnis ein!

  • In allen Betrieben, Abteilungen, Schulen und Kitas müssen Mitgliederversammlungen und Treffen der Betriebsgruppen einberufen werden, die das Ergebnis nicht nur diskutieren und bewerten, sondern auch Beschlüsse fassen, die es klar ablehnen.

Alle, die mit Nein stimmen, sollten miteinander in Kontakt treten und diskutieren, wie wir weiter vorgehen. Auch wenn wir das Ergebnis kaum noch kippen können, so müssen wir uns für die weiteren Auseinandersetzungen koordinieren und nicht bis zur nächsten Tarifrunde warten.

Klassenkämpferische Alternative ist nötig!

Aber es braucht auch eine Perspektive und Lehren über die unmittelbare Ablehnung des Abschlusses hinaus. In den kommenden Jahren und Monaten stehen nicht nur Tarifrunden an. Die Haushaltkrise wird auch in Form von Kürzungen die Beschäftigten treffen. Wir können daher keine zwei Jahre warten, bis die nächsten Tarifverhandlungen ins Haus stehen, sondern müssen auch dazu mobilisieren. Wir müssen darum kämpfen, dass die Mobilisierung unter Kontrolle der Basis stattfindet. Sie soll entscheiden, ob und wann Arbeitsstreiks, Warnstreiks oder ein Flächenstreik stattfinden. Schluss mit der Zersplitterung bei Aktionen. Gemeinsamer Kampf der Beschäftigten bei Ländern, Bund und Kommunen u. a. durch Zusammenlegung der Tarifrunden TV-L und TVÖD! Kündigung der Schlichtungsabkommen!

Bei Tarifrunden darf es keinen Abschluss ohne Zustimmung der Basis geben. Alle Gewerkschaften sollen ihre Kämpfe und Streiks koordinieren, z. B. einen Schulterschluss mit der GDL und dem Handel herstellen und Solidaritätsaktionen in anderen Branchen bei ver.di, GEW, IG BAU wie in allen anderen DGB-Gewerkschaften organisieren.

Die Entscheidungen müssen transparent und demokratisch sein! Daher sollten nicht nur Mitglieder- und Belegschaftsversammlungen einberufen, sondern auch Streikkomitees gewählt werden. Die bundesweite Streikleitung und die Verhandlungsführung müssen diesen gegenüber rechenschaftspflichtig und durch sie wähl- und abwählbar sein, um einer wirklichen Kontrolle unterzogen zu werden. Statt Geheimverhandlungen brauchen wir öffentliche, transparente Tarifrunden.

Forderungen müssen von den Mitgliedern diskutiert und entschieden, nicht von oben diktiert werden! Die Tarifkommissionen müssen gewählt werden. Stimmrecht nur für Delegierte, die dem jeweiligen Tarifvertrag unterliegen, also kein Stimmrecht für die Angestellten der Gewerkschaften! Rechenschaftspflicht und jederzeitige Abwählbarkeit aller Kommissionsmitglieder! Schluss mit der Schweigepflicht!

Dazu ist nötig, dass wir uns auf allen Ebenen vernetzen und eine oppositionelle, klassenkämpferische Basisbewegung aufbauen, so dass wir von kritischen Betriebsgruppen zu einer bundesweiten ver.di-Opposition, z. B. im Rahmen der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), kommen. Nur so können wir die Tricks und Manöver der Bürokratie erkennen und bekämpfen und einen wirklichen Kurswechsel in den Gewerkschaften herbeiführen.




TV-Länder: Wo bleibt Plan B?

Martin Suchanek, Infomail 1238, 29. November 2023

Woche für Woche beteiligen sich zehntausende Landesbeschäftigte im Rahmen der Tarifrunde öffentlicher Dienst an den Warnstreiks. Erzieher:innen, Sozialarbeiter:innen, Lehrer:innen, Beschäftigte an den Hochschulen, an Kultur- und Bildungseinrichtungen der Länder, aus der Verwaltung, von Landesklinken, studentische Beschäftigte und viele andere gingen in den letzen Wochen auf die Straße.

In vielen Städten und Regionen widerlegen sie eindrucksvoll die Behauptung, dass die Landesbeschäftigten mobilisierungsschwach und faktisch kampfunfähig wären. Am Stadtstaatenstreik beteiligten sich in Berlin, Hamburg und Bremen am 22. November um die 20.000 Kolleg:innen. Am Bildungsstreiktag, dem 28. November, gingen lt. Gewerkschaften in Leipzig 7.000, in Berlin 6.000 Streikende auf die Straße, bundesweit wohl Zehntausende. Dabei hatten sich schon dem Branchenstreik der Sozial- und Erziehungsdienste, der studentischen und universitären Beschäftigten und anderer am 24. November lt. ver.di 42.000 Gewerkschaftsmitglieder angeschlossen.

Natürlich bedeutet das nicht, dass ein Vollstreik im öffentlichen Dienst nicht auch vor reale Probleme der Mobilisierung gestellt würde, weil in vielen Ländern die gewerkschaftlichen Strukturen schwächer geworden sind. Aber es zeigt auch, dass Zehntausende Beschäftige mobilisierbar sind und es möglich ist, eine über Warnstreiks und Verhandlungen hinausgehende Mobilisierung vorzubereiten, aufzubauen und durchzuziehen. Zumal dann, wenn ver.di, die GEW und die IG BAU auch eine echte Verbindung mit anderen Beschäftigtengruppen und Gewerkschaften suchen würden.

So läge es auf der Hand, wenn ver.di die Warnstreiks und Demonstrationen der Tarifrunden im Handel mit jener der Landesbeschäftigen koordinieren und so schlagkräftiger machen würde. So läge es auf der Hand, den Schulterschluss mit der GDL zu suchen, die derzeit die Urabstimmung durchführt. So läge es auf der Hand, bei ver.di, GEW, IG BAU wie in allen anderen DGB-Gewerkschaften die Mitglieder zu Solidaritätsaktionen und -streiks mit den Beschäftigten aufzurufen. Und so läge es auch auf der Hand, die Mobilisierung in einem gemeinsamen, bundesweiten Warnstreik kulminieren zu lassen, um so allen Beschäftigten ein Gefühl gebündelter Stärke zu vermitteln und deutlich zu machen, dass ein bundesweiter Streik möglich ist.

Und die Gewerkschaftsführungen?

Doch das passt offenkundig nicht zur Streiktaktik der Verhandlungsführung und der Gewerkschaftsspitzen. Diese werden zwar nicht müde zu betonen, dass die Länder bis heute kein Verhandlungsangebot vorgelegt haben. Doch was folgt daraus? Bereiten sie eine Eskalation vor? Was tun sie, wenn die Verhandlungen nicht einmal zu einem „vorzeigbaren Kompromiss“ führen, also zu einem faktischen Ausverkauf, der wie das Ergebnis des TVöD allenfalls schöngeredet werden kann? Und was tun, wenn es angesichts des offenkundigen Fehlens eines Plans B – also von Urabstimmung und Streik – nicht einmal dazu reicht? Warum sollen die sog. Arbeitergeber:innen im öffentlichen Dienst überhaupt Zugeständnisse machen, wenn die Gewerkschaften mit der Urabstimmung nicht einmal drohen?

Bis zum 7. Dezember, der dritten Verhandlungsrunde, werden die Länder wahrscheinlich noch etwas vorlegen. Man muss aber kein/e Prophet:in sein, um vorherzusehen, dass das hinten und vorne nicht reichen wird. Schließlich werden die Verhandlungsführer:innen der Länder nicht müde, das Lied von den leeren Kassen zu singen. Angesichts der aktuellen Haushaltskrise werden sie auch noch darauf verweisen, dass sie ohnedies „sparen“ müssen, also weitere Kürzungen vornehmen, jeder Cent Lohnerhöhung zu weniger Personal führen würde.

Dann reicht es nicht, wenn die Gewerkschaften darauf verweisen, dass bei den Reichen genug Geld da wäre, die Milliardengewinne der Kapitalist:innen nur abgeschöpft werden müssten. Schließlich geht es bei der Tarifrunde nicht um „bessere Argumente“, ein imaginäres, über allen Klassen stehendes „Gemeinwohl“, sondern um gegensätzliche Klasseninteressen. Daher entscheidet nicht der Appell ans „Verständnis“ der Gegenseite, an deren „Vernunft“, sondern die Kampf- und Durchsetzungskraft.

U wie Urabstimmung, S wie Streik

Damit die Forderungen der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst – 10,5 % Entgelterhöhung, mindestens aber 500 Euro, 200 Euro und Übernahme für die Azubis und das alles bei einer Laufzeit von einem Jahr – durchgesetzt werden können, braucht es einen Plan B der Gewerkschaften, genauer einen Plan U wie Urabstimmung und einen Plan S wie Streik. Die GDL, an der es sicher auch viel zu kritisieren gibt, macht zur Zeit vor, wie sich eine Gewerkschaft verhalten sollte, auf deren Forderungen die Gegenseite nicht eingeht. Sie sollte die ganzen Verhandlungsrituale bleiben lassen und den Streik vorbereiten. Und diese Mobilisierung sollte nach einer Urabstimmung auch durchgezogen und nicht wie bei der TVöD-Runde im Rahmen einer Schlichtung geopfert werden.

Daher sollten alle Gewerkschafter:innen bei ver.di, GEW und IG BAU von ihren Funktionär:innen die Durchführung von Mitglieder- und Belegschaftsversammlungen einfordern, wo offen über die weitere Mobilisierung, über die Kampfstrategie, Urabstimmung und Vollstreiks diskutiert und beschlossen wird.

Der Arbeitskampf muss demokratisiert werden. Zur Zeit wird er vollständig von den Gewerkschaftsapparaten und hier an erster Stelle vom ver.di-Apparat kontrolliert. Diese bestimmen die Kampftaktik, die Verhandlungsführung und letztlich auch, welcher Abschluss annehmbar sei.

Wenn wir uns darauf verlassen, wird bei der Tarifrunde allenfalls ein Ergebnis wie beim TVöD rauskommen. Und das ist einfach zu wenig, deckt es doch längst nicht die Preissteigerungen und Einkommensverluste der letzten Jahre und wahrscheinlich auch nicht die Kosten der kommenden. Hinzu droht im öffentlichen Dienst angesichts der Budgetkrise eine weitere Welle von Kürzungen, Personalabbau und Privatisierungen. Auch die müsste jetzt in der Tarifrunde thematisiert und zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht werden. Doch vor dieser Politisierung scheuen die Gewerkschaftsführungen zurück, weil sie eine direkte Konfrontation mit der Regierung, dem Parlament, Verfassungsgericht und anderen „heiligen“ Kühen fürchten.

Daher sollten nicht nur Mitglieder- und Belegschaftsversammlungen einberufen, sondern auch Streikkomitees gewählt werden. Die bundesweite Streikleitung und die Verhandlungsführung müssen diesen gegenüber rechenschaftspflichtig, durch sie wähl- und abwählbar sein, um einer wirklichen Kontrolle unterzogen zu werden. Statt Geheimverhandlungen brauchen wir öffentliche, transparente Tarifrunden.

Zur Zeit stehen die Beschäftigten der Länder in einer wichtigen Auseinandersetzung. Im Grunde ziehen die Gewerkschaftsspitzen bei dieser Tarifrunde aber nur einmal mehr durch, was sie seit der Pandemie und dem Beginn des Ukrainekrieges immer wieder tun. Sie betreiben Tarifpolitik im Rahmen der Konzertierten Aktion, mittels  sozialpartnerschaftlicher Abkommen zwischen Kapital, Arbeit und Regierung. Die Mobilisierungen verkommen dabei zur Begleitmusik für faule Kompromisse, die vor allem die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals und den Burgfrieden im Rahmen der globalen Konfrontation mit Russland, China und anderen wirtschaftlichen und geostrategischen Rival:innen sichern sollen. Eine solche Politik kann nur auf Kosten der Beschäftigten gehen.

Zur Durchsetzung einer klassenkämpferischen Tarifpolitik braucht es eine Demokratisierung der Gewerkschaften. Diese muss aber Hand in Hand gehen mit dem Aufbau einer klassenkämpferischen politischen Alternative zum bürokratischen,  reformistischen Apparat. Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften stellt dafür einen Ansatz dar. Lasst sie uns gemeinsam aufbauen!




Italien: Kein sozialer Frieden mehr!

Flugblatt der Partito Comunista dei Lavoratori zum landesweiten Streik der Basisgewerkschaften, Infomail 1234, 20. Oktober 2023

Vorspann: Für den 20. Oktober haben die Basisgewerkschaften S. I. Cobas (Berufsgruppenübergreifende Gewerkschaft des Basiskomitees) zu einem landesweiten Streik gegen die Angriffe der Regierung Meloni und Krieg aufgerufen. Wir veröffentlichen ein Flugblatt der Partito Comunista dei Lavoratori (PCL), einer italienischen trotzkistischen Organisation, mit der wir in Diskussion stehen.

Kein sozialer Frieden mehr!

Vereint die Kräfte der Klassengewerkschaft! Für eine anhaltende Mobilisierung der Arbeiter:innenklasse!

Das neue Stabilitätsgesetz, das Meloni ankündigt, ist ein Betrug an den 18 Millionen Lohnempfänger:innen in unserem Land. Ein ganzes Jahr lang hat Giorgia Meloni eine arbeiter:innenfeindliche Politik betrieben. Dennoch hat sie einen sozialen Frieden genossen, der in Europa seinesgleichen sucht. Die maximale Aushöhlung der italienischen Löhne, die weitere Ausweitung der Arbeitsplatzunsicherheit, die Abschaffung des Bürgergeldes, die kriminelle Liberalisierung der Verträge, die Ablehnung jeder Form von Mindestlohn usw. haben nicht ausgereicht, um eine Massenmobilisierung der Lohnabhängigen wie in Frankreich, Großbritannien oder in Deutschland auszulösen.

Daher ist ein grundlegender Wandel erforderlich. Der heutige Generalstreik ist eine positive Tatsache. Aber es ist allen bewusst, dass er nicht ausreichen kann, um die Regierung zu stoppen. Er wird nur von einem Teil der Klassengewerkschaften unterstützt, und deshalb kann die Beteiligung trotz der Großzügigkeit und Selbstaufopferung seiner Organisator:innen nicht über einen bescheidenen Prozentsatz der Beschäftigten hinausgehen.

Es ist ein qualitativer Sprung erforderlich: ein Kampf für eine allgemeine Plattform, die Millionen von Lohnabhängigen als ihre eigene empfinden können – eine anhaltende Mobilisierung, die auf einen Sieg abzielt.

  • Für eine Lohnerhöhung von mindestens 400 Euro netto für alle Lohnarbeiter:innen

  • Für die Wiedereinführung der gleitenden Lohnskala

  • Für einen branchenübergreifenden Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde (1.500 Euro pro Monat)

  • Für einen angemessenen Lohn für Arbeitslose von mindestens 1.200 Euro

  • Für die Aufhebung aller Gesetze zur Prekarisierung der Arbeit, die in den letzten zwanzig Jahren von Regierungen aller Couleur verabschiedet wurden

  • Für Arbeiter:innenkontrolle über die Arbeitsbedingungen, angefangen bei der Sicherheit

  • Für eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit auf 30/32 Stunden bei gleichem Lohn

  • Für eine außerordentliche Vermögensabgabe von mindestens 10 % auf die reichsten 10 %, um die Investitionen in Gesundheit, Bildung, ökologische Bodensanierung und erneuerbare Energien zu verdoppeln

  • Für die Streichung der Militärausgaben und der öffentlichen Schulden bei den Banken (derzeit 100 Milliarden allein an Zinsen pro Jahr!).

Wir brauchen eine nationale Versammlung von gewählten Delegierten, die eine Plattform für den Wandel definieren und einen ernsthaften Kampfplan beschließen können. Eine radikale Änderung der Kampfformen muss auf den Weg gebracht werden, mit der Besetzung aller entlassenden Unternehmen (wie bei GKN) und ihrer Verstaatlichung ohne Entschädigung und unter Arbeiter:innenkontrolle. Alle Gewerkschaften der Arbeiter:innenklasse sollten ihre Kräfte in gemeinsamen Aktionen bündeln.

Schließlich können die Organisationen der Arbeiter:innenbewegung nicht gleichgültig bleiben gegenüber den Verbrechen, die der Staat Israel gegen das palästinensische Volk und die gemarterte Stadt Gaza begeht, wo zionistische Bomben auf Schulen, humanitäre Organisationen, Journalist:innen und Krankenhäuser abgeworfen werden. Die Regierungen, die die arbeitenden Menschen in Europa ausbeuten und verarmen lassen, sind dieselben, die die israelischen Vergeltungsmaßnahmen unterstützen.

Das Gefühl der Einheit mit den unterdrückten Nationen gehört zur besten Tradition der Arbeiter:innenbewegung, die aufgerufen ist, die italienische Regierung, die sich bedingungslos auf die Seite Israels und seiner mörderischen Truppen stellt, auch aus diesem Grund herauszufordern. Für die revolutionäre Zerstörung des Staates Israel! Für ein freies, säkulares und sozialistisches Palästina, mit vollem Respekt für die Rechte des jüdischen Volkes, im Rahmen einer sozialistischen Nahost-Föderation.




Warum wir die Schlichtung und ihr Ergebnis ablehnen und für einen gemeinsamen Kampf von GDL und EVG sind.

Bahnvernetzung. Vernetzung klassenkämpferischer Eisenbahner:innen, Infomail 1228, 13. Juli 2023

Die Deutsche Bahn AG hat nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen mit der EVG eine Schlichtung vorgeschlagen – der BuVo folgte mehrheitlich der Empfehlung des Vorstandes darauf einzugehen. Das Ergebnis der Schlichtung soll danach urabgestimmt werden.

Wir lehnen das ab und sagen:

  • Nein zur Schlichtung! Das Verfahren ist bereits formal undemokratisch. Am Ende reichen 25 % aller abstimmenden EVG-Mitglieder um das Ergebnis anzunehmen, während es 75% ablehnen müssen, um in einen Erzwingungsstreik zu treten. Kolleg:innen, die unter den EVG-Tarifvertrag fallen, werden ausgeschlossen, wenn sie in der GDL oder in keiner Gewerkschaft sind.

  • Wir fordern den Abbruch des Verfahrens und eine Urabstimmung JETZT und schnellstmöglich über den Erzwingungsstreik – und zwar bei allen Unternehmen, für die verhandelt wurde und wird. Der Transdev-Abschluss kann nicht das Ziel sein – Keine Kompromisse und keine Verschlechterung: 12 %, mindestens 650 Euro, 1 Jahr Laufzeit! Das Schlichtungsverfahren bedeutet weitere Geheimgespräche und Intransparenz hinter verschlossenen Türen. Wir geben in so einem Verfahren nicht nur die Kontrolle an gewerkschaftliche Verhandlungsführer:innen ab, die wir auch schon nicht wählen können, sondern auch an Schlichter:innen aus der Politik, die die immer auch das „Wohl des Konzerns“ im Auge behalten werden.

  • Anstatt uns Gegeneinader aufzustacheln und spalten zu lassen treten wir für die Zusammenarbeit zwischen EVG- und GDL-Kolleg:innen ein. Es braucht den unmittelbaren gemeinsamen Streik von beiden Gewerkschaften, dass kann nur von uns Bahner:innen selbst kommen, weder Burkert, noch Weselsky wollen das.

  • Statt einem undemokratischen Schlichtungsverfahren, das immer auch die Leiden des Managements berücksichtigen muss, brauchen wir einen Streik, der unter unserer direkten Kontrolle liegt. Auch wenn es diesmal viel transparenter läuft als 2020 ist das trotzdem nicht genug. Tarifkommission und zu bildende Streikkomitees müssen direkt wähl- und abwählbar sowie rechenschaftspflichtig sein, auf Betriebsversammlungen muss abgestimmt werden, wie gekämpft wird. Annahme / Ablehnung des Ergebnisses nach einfacher Mehrheit! Volle Transparenz: Wir wollen Einsicht in aller Verträge und Verhandlungsstände mit allen Unternehmen und Gewerkschaften.

  • Binden wir Reisende und Pendler:innen besser ein! Es braucht eine Kampagne unter Fahrgästen und die Forderungen, dass nicht sie mit Fahrpreiserhöhungen die Zeche zahlen. Wir müssen klar machen, dass höhere Löhne für das Bahnpersonal eine höhere Qualität für den Bahnbetrieb bedeutet. Der DGB steht hier in der Verantwortung eine Solidaritätskampagne zu fahren, die allen klar macht, warum der Streik der Bahner:innen unterstützt werden muss! Keine Abmahnung für Kolleg:innen, die wegen bestreikten Züge nicht zur Arbeit kommen! Genauso müssen EVG und GDL Arbeitskämpfe anderer Gewerkschaften unterstützen!



TVöD/Bund und Kommunen: Bürokratie redet sich auch die Mitgliederbefragung schön

Mattis Molde, Infomail 1223, 20. Mai 2023

27 % haben sich beteiligt, 66 % haben zugestimmt, also 34 % abgelehnt. Rund zwei Drittel der ver.di-Mitglieder in Bundesverwaltungen, Behörden, kommunalen Einrichtungen und Unternehmen haben also den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen (TVöD/BK) angenommen.

Rund ein Drittel lehnte einen Abschluss, der deutlich unter der Inflationsrate blieb und einem Reallohnverlust gleichkommt, ab. Es durchschaute offenkundig das sozialpartnerschaftliche Spiel der Bürokratie. Zur Einschätzung des Abschlusses siehe: Tarifverhandlungen öffentlicher Dienst: Nein zum Abschluss!

Doch klar, zwei Drittel sind auch genug, um den Abschluss nachträglich zu legitimieren. Zwei Drittel sind Grund genug für die Verantwortlichen in ver.di, dem Ergebnis zuzustimmen, nachdem auch das Störmanöver der sächsischen Nahverkehrsbetriebe ausgeräumt war.

Solche Einwände am Ende eines umstrittenen Abschlusses sind übrigens so häufig, dass sie geradezu als Bestandteil des Tarifrituals bezeichnet werden müssen. Ob inszeniert oder nicht, auch der dreckigste Deal der Gewerkschaftsführung bekommt dadurch am Ende nochmal den Glanz des erkämpften Erfolges.

Und so wie Gewerkschaftsspitzen schon das Verhandlungsergebnis schönredeten und -rechneten, so wird natürlich auch das Ergebnis der Befragung zum Beweis für funktionierende „Demokratie“ umgedeutet.

Was bedeutet das Ergebnis?

Ist es 73 % egal, was rauskommt? Sind sie unentschieden? Zwischen „gut oder schlecht“ oder „schlechter Abschluss, aber was jetzt noch ändern“? Es gibt auf jeden Fall Gründe, sich nicht an der Befragung zu beteiligen, die keineswegs eine passive Zustimmung zum Kurs der Gewerkschaftsführung signalisieren, sondern Ausdruck von Unzufriedenheit sind, verbunden mit der Unfähigkeit, eine bewusste Kritik am Abschluss, am Ablauf der Tarifverhandlungen oder an der Gewerkschaftspolitik allgemein zu entwickeln.

Natürlich bildet die verbreitete Passivität auch der organisierten Gewerkschaftsmitglieder die Grundlage dafür, eine Passivität, die aber aufs Beste und bewusst von der Bürokratie in Gewerkschaft, Betriebs- und Personalräten gefördert wird, die immer behauptet, „für Euch“ zu handeln, was das „statt Euch“ mit einschließt. Nur angesichts dieser Situation liegt Christine Behle nicht falsch, die eine Quote von 27 % eine gute Beteiligung nennt. Schließlich ist die Befragung ja in keiner Weise bindend. Auf das Ergebnis hat, das war immer klar, ihr Resultat faktisch keinen Einfluss. Das niedrige Engagement der Mitglieder ist aber zugleich das, was die Bürokratie gerne will. Sie sollen nur dann und nur so aktiv werden, wie es in ihre Konzepte passt. Außerhalb von Tarifrunden ist für die Masse der Mitglieder im Grunde keine Engagement vorgesehen, das über die Bezahlung von Beiträgen hinausgeht.

Die Befragung als solche ist ja durchaus so gestaltet, dass sie den Einzelnen eine Entscheidung überlässt, die eigentlich der Beratung und Debatte bedarf. So besitzen die Gewerkschaftsführung (und die bürgerlichen Medien!) die Hoheit über die Informationen zum Verhandlungsergebnis. Kritik wird unterdrückt, Alternativen können nicht oder nur in vergleichsweise gut organisierten und aktiven Sektoren diskutiert werden. Für die Masse der Mitglieder findet eine Diskussion faktisch nicht statt.

Wir müssen die Befragung folglich danach bewerten, wie hoch die aktive Unterstützung für die Politik der Führung ausfällt, und die ist mit 17,82 % nicht wirklich berauschend. Mehr als 9 % bewusste Ablehnung stellen ein echtes Potential für eine oppositionelle und kämpferische Bewegung von unten dar. Dieses muss aber organisiert werden.

Das einzelne Mitglied – und als solches wird es ja befragt – kann kaum eine volle Analyse eines Abschlusses durchführen, dessen Inhalt schon ausreichend kompliziert gestaltet worden ist. Schon gar nicht kann es beurteilen, wie die Kampfbereitschaft bundesweit ist und potentiell entwickelt werden kann.

Dazu ist eine Bewegung nötig, die nicht nur Aktive an der Basis vernetzt und den Informationsvorsprung der Bürokratie versucht auszugleichen, sondern die auch eine konkrete alternative Strategie und Taktik in Tarifrunden entwickelt, die von den Interessen der Beschäftigten und nicht denen des Staates und der Arbeit„geber“:innen ausgeht, also letztlich auf einer anderen Politik als der SozialpartnerInnenschaft basiert.

Die – am Beispiel dieser Tarifrunde – für die Kündigung des Schlichtungsabkommens kämpft, das der Gegenseite das Heft des Handelns in die Hand gibt, gegen die Beteiligung an einer „Konzertierten Aktion“ Sturm läuft, bei der die Spitzen der Gewerkschaften Deals mit Kapital und Kabinett ohne jegliche politische Legitimation durch die Basis aushandeln, und die dafür eintritt, dass Mitgliederversammlungen über Verhandlungsergebnisse entscheiden.




Schlechte Abschlüsse – nicht mit uns!

Was tun gegen Sozialpartner:innenschaft und Ausverkauf?

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftsinfo der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Mai 2023, Infomail 1222, 13. Mai 2023

Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst wie schon zuvor die bei Post und Metall haben Hoffnung gemacht. Hoffnung, dass nach Corona und trotz Krieg und Kriegshetze, trotz Krise oder gerade deswegen die Kampfbereitschaft an der Basis wieder steigt. Vor allem im Kampf um den TVöD hat sich gezeigt, dass eine Schicht neuer, junger und kämpferischer Kolleg:innen auf den Plan getreten ist. Es gab zehntausende Neueintritte.

Aber die Abschlüsse haben mehreres gemeinsam: Sie bringen einen massiven Reallohnverlust, das Kampfpotential wurde nicht ausgeschöpft und gerade die aktivsten Kolleg:innen wurden durch die Manöver der Gewerkschaftsspitzen frustiert. Ja, gerade dort, wo ungewohnte Aktionen wie der „Megastreiktag“ von ver.di und EVG das Mobilisierungs- und Machtpotential deutlich gemacht haben, ist der Frust am höchsten.

Wieso haben unsere Gewerkschaften solch nachteiligen Abschlüssen zugestimmt? An den historisch klammen Kassen der Bosse oder des Staates kann es nicht liegen, verzeichnen diese doch trotz Krisen starke Gewinne bzw. hohe Steuereinnahmen. Als klassenkämpferische Gewerkschafter:innen stellen wir uns die Frage, warum die Chancen nicht ergriffen worden sind, wirkliche Siege zu erringen und die Weichen für eine Umkehr des jahrzehntelangen Niedergangs zu stellen. Welche Rolle hat die Gewerkschaftsbürokratie bei diesen Abschlüssen gespielt und welche Lehren sollten wir für kommende Tarifauseinandersetzungen daraus ziehen?

Am Beispiel des öffentlichen Diensts können wir sehen, dass sich unsere Gewerkschafsführungen mit den Arbeit„geber“:innen aus Bund, Ländern und Kommunen auf unsere Kosten auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt haben: zahlreiche Nullmonate, überlange Laufzeit, steuerfreie Einmalzahlungen, obwohl diese lange und vehement als nicht akzeptabel abgelehnt wurden. Offiziell ist der Abschluss zwar nicht unterschrieben und die Gewerkschaftsmitglieder werden noch „befragt“. Dieses Votum ist aber nicht bindend, weder für den Vorstand noch für die Bundestarifkommission. Gleichzeitig findet es in einem Diskussionsklima statt, wo sich herbe Enttäuschung unter den Mitgliedern breitgemacht hat und unsere Führung ihre Positionen und Gesprächshoheit nutzt, um für die Annahme zu werben und den Abschluss als eine „historische Sensation“ darzustellen. Hierbei bedient sie sich auch billiger Rechentricks, um von ihrem Ausverkauf abzulenken.

Inflationsausgleich

Lange wurde uns gesagt, dass wir eine steuerfreie Inflationsausgleichszahlung nicht hinnehmen und nur tabellenwirksame Änderungen annehmen werden. Zwar hören sich für einige Kolleg:innen die 3.000 Euro gut an – vor allem in Verbindung mit der grassierenden, historisch hohen Inflation. Das Ergebnis bringt uns zwar kurzfristig mehr Geld, aber keine Punkte bei der Rente. Es gibt kein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld darauf und diese Sonderzahlungen gehen nicht in die Berechnung von Arbeitslosen- und Elterngeld mit ein. Die Arbeit„geber“:innen sparen aber richtig und der Staat zahlt durch Steuerverzicht. Wen werden die daraus resultierenden Sparmaßnahmen treffen? Die Bundeswehr oder uns durch Streichungen von Sozialausgaben?

Konzertierte Aktion

Steuer- und abgabenfreie Lohnzahlungen sind eigentlich gesetzwidrig. Dass sie in den derzeit stattfindenden Tarifrunden überhaupt Anwendung finden können, haben wir den gemeinsamen Gesprächen zwischen Regierung, Gewerkschaften und Arbeit„geber“:innen im Sommer 2022 zu verdanken. Den Spitzen von ver.di, aber auch den restlichen DGB-Gewerkschaften war klar, auf was sie sich bei dieser Konzertierten Aktion eingelassen haben und wo die Haken sind. Sie wussten ebenfalls, dass dies nicht nur zum Spaß vereinbart wurde, sondern ihre Aufgabe darin bestand und besteht, es uns Kolleg:innen zu verkaufen oder zur Not am Ende durchzudrücken.

Warum wurden die Tarifrunden nun ausverkauft?

Ein eindrucksvolleres Bespiel für Sozialpartner:innenschaft kann es eigentlich nicht geben. Anstatt ihrer Mitgliedschaft voll und ganz den Rücken zu stärken und in ihrem Sinne die Verhandlungen zu führen und Tarifauseinandersetzungen mit der vollen Kampfkraft der Kolleg:innen zuzuspitzen, konzentrieren sich die Gewerkschaftsspitzen eher darauf, den „am ehesten machbaren“ Kompromiss herauszuholen. Dieser konzentriert sich dann darauf, was am ehesten für den Staat oder die Unternehmen zu verkraften ist und stellt somit die Interessen der Belegschaften hintenan. Hinzu kommt, dass in der aktuellen angespannten Weltlage eine monatelange Streikauseinandersetzung nicht nur den Arbeit„geber“:innen, sondern auch der Bundesregierung ein Dorn im Auge wäre.

Das heißt: Wie auch bei der Corona-Krise werden wir Beschäftigte nun aufgrund des Krieges mit Krümeln vertröstet. In Zeiten der Inflation, nach Kurzarbeit ist das für viele nicht mehr tragbar. Vor allem zeigt das aber eines: Es reicht nicht, nur kämpferischer zu sein und unsere Streikbereitschaft zu zeigen. Wenn wir nicht wollen, dass unsere Kämpfe mit Kompromissen beendet werden, dann müssen wir grundlegend in den Gewerkschaften selbst etwas ändern.

Dabei ist es zentral zu verstehen, dass es nicht ausreicht, einfach nur die Posten in der Bürokratie mit Träger:innen politisch linker Positionen zu besetzen oder andere Organisierungsmodelle einzusetzen. Denn auch wenn einige kämpferisch rangehen, muss es vielmehr unser Ziel sein, die Bürokratie als System abzuschaffen. Das Problem ist nämlich, dass sie durch ihre Funktion selbst – als Vermittlerin zwischen Lohnarbeit und Kapital – ein Eigeninteresse entwickelt hat, nicht „zu radikal“ aufzutreten. Auf der einen Seite muss das Interesse der Beschäftigten berücksichtigt werden, aber eben nur so weit, wie es den Arbeit„geber“:innen nicht wirklich wehtut. Erfüllt sie diese Rolle nicht, würde sie ihre eigene Lebensgrundlage verlieren. Deswegen ist es wichtig, dafür einzutreten, dass solche Posten zum einen immer rechenschaftspflichtig sind sowie wähl- und abwählbar und niemand mehr verdient als den Durchschnittslohn. Das allein ist keine Garantie für kämpferische Entscheidungen, jedoch bringt es uns Kontrolle darüber, wer beispielsweise Abläufe von Tarifrunden organisiert.

Kündigt die Schlichtungsvereinbarungen!

Einen ersten praktischen Schritt kann eine Kampagne gegen die Schlichtungsvereinbarung setzen. Schließlich müssen wir aus Fehlern lernen, um nicht noch mehr Kolleg:innen zu demotivieren. Denn dass es in der Tarifrunde für den öffentlichen Dienst zu einem Schlichtungsverfahren gekommen ist, ist nicht weiter verwunderlich. Ver.di und der VKA trafen eine Vereinbarung, die eine der beiden Seiten dazu verpflichtet, einer Schlichtung zuzustimmen, wenn es die andere wünscht. Wie schon bei der Konzertierten Aktion spielte diese Vereinbarung in den Köpfen der ver.di-Verhandlungsführer:innen eine Rolle bei ihrer „Taktikfindung“. Gleichzeitig ermöglichte sie ihnen auch, sich rhetorisch bis zur Schlichtung kämpferischer darzustellen, um dann durch die Schlichtung den sozialpartner:innenschaftlichen Kompromiss auszuhandeln.

Weiterhin erfüllte die Schlichtung auch die Funktion, die Mobilisierungen der Kolleg:innen zu bremsen und die Diskussionen aus den Streikversammlungen/-cafés hin in die Schlichtungskommission zu lenken. Anstatt das Schlichtungsabkommen als in Stein gemeißelt anzuerkennen, hätte ver.di das Abkommen fristgerecht für diese Tarifrunde kündigen können. Hierzu wurden auch in unterschiedlichen Städten, z. B. in Berlin, Anträge in Streikversammlungen eingebracht und mit großer Mehrheit angenommen. Auch wenn diese Anträge für die Tarifkommission nicht bindend waren, konnten sie als Gradmesser verwendet werden, um die Stimmung der Kolleg:innen abzubilden sowie Druck auf die Tarifkommission und die ver.di-Führung auszuüben. Des Weiteren hätten die Verhandlungen als gescheitert erklärt werden sollen, um die Urabstimmung für einen unbefristeten Erzwingungsstreik für unsere Forderungen vorzubereiten und diesen auf den Weg zu bringen. Jetzt gilt es, uns zu organisieren und unter anderem dagegen aufzustellen, sodass sich das nicht erneut wiederholt!

Urabstimmung = Erzwingungsstreik?

Eine Urabstimmung wäre also der richtige nächste Schritt für die Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst gewesen. Diesen hätten wir entgegen der Taktik des Vorstands und der Verhandlungsführer:innen von unten durchsetzen müssen. Aber hätte ein positives Ergebnis auch gleichzeitig bedeutet, dass es zu einem Erzwingungsstreik gekommen wäre? Hier lohnt es, auf die Tarifverhandlungen bei der Post zu schauen. Auch hier war die Streikbeteiligung sehr hoch und kämpferisch, die Urabstimmung wurde von der ver.di-Führung eingeleitet, dann aber trotz breiter Zustimmung der Beschäftigten nicht als Mandat für einen Erzwingungsstreik verwendet, sondern ganz in sozialpartner:innenschaftlicher Manier als „Verhandlungsmasse“ angesehen. Es wurde nicht gemäß dem Wunsch der Kolleg:innen gehandelt, sondern nur der „Druck“ auf die Arbeit„geber“:innenseite forciert, um das Angebot zu verbessern. Dass dadurch der Abschluss in keinster Weise besser ausfiel als das letzte Angebot vor der Urabstimmung, störte die ver.di-Führung nicht. Sie verkaufte es dennoch als Gewinn für die Kolleg:innen, die ohne das klare Statement in der Urabstimmung nicht zustande gekommen wäre. Auch hier zeigt sich wieder, dass die Gewerkschaftsführung ihrem Charakter nach in erster Linie auf Kompromisse aus ist und nicht die Interessen der Beschäftigten vertreten kann und möchte. Das macht verständlicherweise wütend! Lasst uns diese Wut nutzen, um nachhaltig was zu verändern. Statt Geheimniskrämerei und Pseudointegration brauchen wir deswegen:

  • Nein zu allen Gesprächen hinter verschlossenen Türen, keine Geheimhaltungspflicht für die Tarifkomissionen! Verhandlungen sollen öffentlich über das Internet übertragen werden!
  • Keine Abschlüsse ohne vorherige Abstimmung unter den Mitgliedern! Rechenschaftspflicht und Wahl der Tarifkommission durch die Basis!
  • Regelmäßige Streikversammlungen in allen Betrieben und Abteilungen! Wähl- und Abwählbarkeit der Streikleitungen durch die Mitglieder!
  • Für den Aufbau einer klassenkämpferischen Basisopposition in den Gewerkschaften! 

Wut im Bauch? Aufbau einer Basisopposition statt Austritt!

Die Forderungen, für die wir mobilisiert wurden und für welche wir neue Kolleg:innen für die Gewerkschaften gewonnen haben, wurden erneut von ver.di nicht ernst genommen. Die Mobilisierungen wurden ausgebremst und die Argumente der Gegenseite übernommen. Es ist völlig verständlich, wenn sich viele nun verraten fühlen und sich ihre Mitgliedschaft nochmal durch den Kopf gehen lassen. Was wir aus diesen Erfahrungen jedoch lernen sollten, ist nicht, dass eine Mitgliedschaft in den Gewerkschaften sinnlos ist. Ganz im Gegenteil, sie zeigen, dass es eine organisierte Opposition gegen die Führungen innerhalb der Gewerkschaften braucht, um sich gemeinsam zu vernetzen und gegen die Argumente von oben zu bewaffnen und zu koordinieren. Dafür arbeiten wir als Gruppe Arbeiter:innenmacht in der „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)“ mit und rufen alle Kolleg:innen und Strukturen mit dem gleichen Ziel dazu auf, sich daran zu beteiligen. (Werbung für Workshop der VKG auf der Konferenz)

Klassenkämpferische Basisbewegung und politische Alternative

Eine organisierte, antibürokratische Opposition in den Gewerkschaften muss unserer Meinung nach nicht nur, wie oben skizziert, für Arbeiter:innendemokratie und eine konsequente Tarifpolitik kämpfen. Sie muss auch eine politische Alternative zur Sozialpartner:innenschaft und zum Reformismus der Bürokratie verkörpern.

Das heißt, eine klassenkämpferische Opposition braucht ein Programm des Klassenkampfes, das nicht nur gewerkschaftliche und betriebliche Forderungen konsequent vertritt, sondern alle Fragen von Unterdrückung und Ausbeutung wie Krieg, Rassismus, Sexismus, Imperialismus und ökologische Zerstörung thematisiert. Es braucht ein Programm, das über den rein gewerkschaftlichen Rahmen hinausgeht, nicht nur für höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten eintritt, sondern das System der Lohnarbeit, den Kapitalismus selbst in Frage stellt. Das heißt, wir müssen nicht nur den Aufbau eine Opposition in den Gewerkschaften diskutieren, sondern auch die Frage, welche politische Organisation wir brauchen, wie wir eine neue, revolutionären Arbeiter:innenpartei aufbauen können, welche Politik und welches Programm dazu notwendig sind.Mehr Demokratie?

Nach dem Streik ist vor dem Streik? Der TVöD/BK ist fast abgeschlossen und viele Kolleg:innen sind enttäuscht. Statt uns zu ärgern, den Kopf in den Sand zu stecken oder einfach auszutreten, wollen wir uns vernetzen und die Situation nutzen, um nachhaltig was zu verändern! Wenn du also Interesse hast, mit deinen Kolleg:innen die letzten Tarifrunden kritisch auszuwerten, dann komm vorbei! Unser Ziel ist, unsere Erfahrungen zu nutzen und unsere Kolleg:innen, bei denen Tarifverhandlungen direkt vor der Tür stehen, wie bei der EVG, direkt zu unterstützen. Denn die Probleme sind keinesfalls auf ver.di beschränkt, sondern haben System. Wenn wir also was verändern wollen, müssen wir uns zusammenschließen und gemeinsam für die Demokratisierung der Gewerkschaften kämpfen. Wie genau das aussehen kann und welche Initiative wir starten wollen, besprechen wir auf unserem Treffen!