Weil die Welt krankt, brennt und strauchelt. Heraus zum 1. Mai!

Liga für die Fünfte Internationale, Neue Internationale 255, Mai 2021

Die Dreifachkrise von globaler Rezession, Pandemie und Umweltzerstörung prägt die Lage der ArbeiterInnenklasse und aller Unterdrückten. Millionen starben im letzten Jahr an den Folgen einer Coronavirus-Infektion. Abermillionen haben ihre Jobs und Einkommen verloren. Die Menschen in den Ländern des globalen Südens, Frauen, Jugendliche und Alte, national und rassistisch Unterdrückte werden von der Krise besonders hart getroffen. Sie sind es, die die Hauptlast von Überausbeutung, kaputtgesparten oder fehlenden Gesundheitssystemen, von privater Reproduktionsarbeit, von Umweltkatastrophen, Kriegen und Besatzung tragen.

Historische Krise, historische Herausforderungen

Gleichzeitig werden viele von uns zur Zielscheibe des Rechtspopulismus und Faschismus auf der Straße, von zunehmend autoritären und repressiven Regimen und Diktaturen, von rassistischen Grenzabschottungen und Angriffen durch Polizei und reaktionäre Kräfte. Femizide, häusliche Gewalt, Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und LGBTIAQ-Personen nahmen weltweit zu und erreichten noch erschreckendere Ausmaße.

Die Rezession und Krise trifft jedoch nicht nur die große Masse der überausgebeuteten ArbeiterInnen und sozial Unterdrückten. Sie erfasst auch mit voller Wucht Millionen der bessergestellten Beschäftigten in  Großkonzernen und im öffentlichen Dienst. Ganze Branchen stehen vor Umstrukturierungen und Massenentlassungen in historischem Ausmaß, um die Profite zu steigern, Märkte zu erobern und in der globalen Konkurrenz zu siegen.

Die Rezession von 2020 wird durch keinen lang anhaltenden Aufschwung abgelöst werden. Vielmehr werden sich die Wachstumsraten der Weltwirtschaft als Strohfeuer milliardenschwerer Konjunkturpakete entpuppen. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte werden sich weiter verschärfen, denn es sind vor allem die Länder des globalen Südens die sich auch in diesem Jahr weiter im Würgegriff von Pandemie und Krise befinden. Während die Bevölkerung in den imperialistischen Staaten wenigstens auf Impfungen gegen Corona hoffen kann, müssen Milliarden Menschen in armen Ländern ohne Impfstoff und soziale Sicherungen auskommen.

Die andere große und langfristig für die Menschheit viel bedrohlichere Krise, die Umweltkatastrophe, schreitet trotz Video-Klimagipfeln und vollmundigen Ankündigungen eines „Green New Deal“ ebenfalls weiter voran. Die zunehmende globale Konkurrenz lässt eine international koordinierte Umweltpolitik nicht zu. Angekündigte Investitionen wie zum Beispiel in die Auto-E-Mobilität werden das Problem nicht lösen, sondern nur seine Form verändern, es teilweise sogar verstärken.

Die Zeichen der Weltwirtschaft und Globalpolitik zeigen eindeutig in Richtung verschärfter Konkurrenz. Der Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den USA und China sowie den anderen, schwächeren Mächten und Blöcken wie der von Deutschland geführten EU, Japan oder Russland verschärft sich. Unter dem neuen US-Präsidenten Biden nimmt dieser Kampf lediglich eine „neue“ Form an. Auf den populistischen und unilateralen Abenteurer Trump soll nun die Wiederbelebung des transatlantischen Bündnisses der „Demokratien“ unter US-Führung folgen. Die Kriegsgefahr wird damit nicht gebannt, vielmehr droht auch militärisch ein verschärfter Wettlauf zwischen alten und neuen Großmächten. Die allgemeine Aufrüstung sowie die Kriege in Syrien, der Ukraine oder im Kaukasus könnten sich schon in einigen Jahren als Vorspiele des nächsten Weltenbrands herausstellen.

Die herrschende Klasse hat keine Lösung

Die Strategien der herrschenden Klassen erweisen sich als Scheinlösungen auf unsere Kosten und sind unfähig, eine Antwort auf die großen Fragen unserer Zeit zu geben. Auf die globale Krise des Kapitalismus antworten die Herrschenden mit unterschiedlichen, letztlich aber nationalen Formen der Krisenbewältigung.

Die neuen, rechten Bewegungen und populistischen Kräfte antworten darauf auf ihre Weise. Rassismus, Chauvinismus, Nationalismus sind für sie unersetzbare Mittel, um kleinbürgerliche Schichten, aber auch rückständige ArbeiterInnen im Namen der „Nation“, im Namen eines pseudoradikalen Kampfes des „Volkes“ gegen die „Elite“ vor den Karren einer Fraktion der herrschenden Klasse zu spannen. Gezielt und bewusst schüren sie nationale, religiöse, rassistische und sexistische Ressentiments, befördern Rückständigkeit und Irrationalismus und formieren sie zu einer Bewegung gesellschaftlicher Verzweiflung mit aggressivem Rollback auf allen Ebenen. Wo sie an die Regierung kommen, befeuern sie diese, um demokratische und soziale Errungenschaften, demokratische Bewegungen, die Unterdrückten und die ArbeiterInnenklasse einerseits anzugreifen, andererseits, um die Klasse und die Unterdrückten selbst zu spalten.

Nationalismus und Konkurrenz

Doch auch die vorgeblichen DemokratInnen aus dem bürgerlichen Lager, die Liberalen, moderaten Konservativen oder Grünen setzen auf die nationale Karte. Während der eine Flügel des Kapitals einmal mehr neoliberale Angriffe und Kürzungen fordert, setzt der andere auf verstärkte staatliche Intervention. Aber auch der Green New Deal und die keynesianischen Reformversprechungen sind untrennbar mit einer Wirtschaftspolitik verbunden, die auf Marktbeherrschung durch die „eigenen“ Konzerne und die Sicherung der Weltherrschaft im Namen der „Demokratie“ zielt.

So entpuppt sich der Nationalismus als die unvermeidliche Folge der imperialistischen Konkurrenz, des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt. Für die ArbeiterInnenklasse bedeutet dies, dass sie beide politische Lager, die alten wie die neuen Imperialismen bekämpfen muss, dass sie die „eigene“ herrschende Klasse als Hauptfeind erkennen muss.

Die globalen Krisen – Wirtschaft, Pandemie, Umwelt – können nur international gelöst werden. Doch genau dazu erweist sich der Kapitalismus seinem Wesen nach als unfähig. So wichtig es ist, den Kampf für einen solidarischen Lockdown und gegen Sparprogramme, Betriebsschließungen, Umweltzerstörung sowie gegen Angriffe auf demokratische Rechte lokal oder national aufzunehmen, so kann dies nur der Anfang sein. Die Ursachen der Pandemie, des Klimawandels und der globalen Wirtschaftskrise können  nicht in einem Land oder gar nur einem Betrieb überwunden oder beseitigt werden. Die Lösung kann nur eine internationale sein.

Widerstand und Klassenkampf

Die globale Defensive und der Vormarsch reaktionärer Kräfte nährt auch bei vielen ArbeiterInnen und Linken die Vorstellung, dass wir in der aktuellen Lage nur zwischen zwei bürgerlichen Lagern, zwischen dem der pseudo-radikalen, populistischen Reaktion und dem der „demokratischen“ Mitte wählen könnten. Eine eigenständige Klassenpolitik scheint für viele nur als erträumtes Ziel in einer unbestimmten Zukunft. „Zuerst“ müssten wir die Übel des Rechtspopulismus und Bonapartismus, ja müssten wir Trump, Bolsonaro, Modi, Orbán, Le Pen, Putin oder das Pekinger Regime im Bündnis mit dem demokratischen Flügel der Bourgeoisie bekämpfen. „Realistisch“ wären allenfalls eine anti-neoliberale Reformpolitik oder eine linkere Version des Green New Deal. Eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses wäre nur im Bündnis mit einem Flügel der herrschenden Klasse möglich – sei es mit der liberalen Bourgeoisie oder mit den vorgeblich „sozialeren“ und „antiimperialistischen“ Großmächten wie China und Russland.

Aber alle diese Strategien führen in die Sackgasse. Sie ordnen die Interessen der ArbeiterInnenklasse und der unterdrückten Massen dem Interesse des einen oder andere Flügels der Bourgeoisie unter.

Fatale Rolle der Bürokratie

Eine besonders erbärmliche Rolle spielen dabei die großen Apparate der ArbeiterInnenbewegung, die bürokratisierten, von oben kontrollierten Gewerkschaften, die reformistischen, bürgerlichen ArbeiterInnenparteien wie auch linkspopulistische Regime und Bewegungen in den Ländern des globalen Südens.

Letztlich läuft die Politik der Gewerkschaftsbürokratien und der Sozialdemokratie – aber schließlich auch der Linksparteien – auf eine Politik der nationalen Einheit mit dem Kapital, auf Koalitionsregierungen und  SozialpartnerInnenschaft in den Betrieben hinaus. Unter bürokratischer Kontrolle können diese Organisationen, die trotz Mitgliederverlusten weiter Millionen und Abermillionen Lohnabhängige umfassen, ihr Potential nicht realisieren. Im Gegenteil, die bürokratischen Führungen fungieren als Hindernis, als Bremse, oft sogar als direkte GegnerInnen jeder Massenmobilisierung. Sie verfolgen nicht nur eine verfehlte Politik, sie verbreiten auch falsches Bewusstsein in der Klasse.

Eine Spielart dieser Abhängigkeit von den liberalen imperialistischen Mächten und Parteien ist der weit verbreitete Versuch, eine radikale Version der Sozialdemokratie wiederzubeleben, entweder durch die Gründung neuer Parteien auf der Grundlage eines radikalen keynesianischen Programms, das soziale Bewegungen mit Elektoralismus kombiniert, oder durch die versuchte Übernahme bürgerlich-liberaler oder tradierter sozialdemokratischer Parteien. Tatsächlich haben wir Ersteres im Fall von Syriza und Podemos scheitern sehen und Letzteres in Form des Corbynismus in der britischen Labour Party. Ehemalige stalinistische „Linksparteien“ haben lange mit der gleichen Methode experimentiert.

Heute sehen wir eine Mischung aus beidem im Fall der Demokratischen SozialistInnen von Amerika und ihrem sogenannten „schmutzigen Bruch“ mit der Partei von Joe Biden und Hillary Clinton. IdeologInnen dieses Neoreformismus versuchen, einen seiner revolutionären Essenz entledigten Marxismus mit Hilfe eines wiederbelebten Luxemburgismus, Gramscianismus oder Kautskyianismus in ihre Politik zu inkorporieren. „TrotzkistInnen“, die sich dem anpassen, beschreiten einfach den Weg des ursprünglichen Revisionismus und Eurokommunismus und sind ein Teil des Problems der ideologischen Verwirrung, nicht von dessen Lösung.

Mobilisierungen

Trotz dieser mächtigen Hindernisse, trotz Pandemie und Krise, regte sich auch im letzten Jahr ein beeindruckender Widerstand auf der ganzen Welt. Die Revolution in Myanmar, die Streikbewegung der indischen ArbeiterInnen und BäuerInnen sind beeindruckende Höhepunkte demokratischer und sozialer Kämpfe. Sie stellen die Frage, wie der Kampf um grundlegende demokratische und soziale Forderungen mit dem für die sozialistische Revolution verbunden werden kann, sie zeigen: es braucht ein Programm der permanenten Revolution.

In Belarus, im Libanon, in Nigeria und vielen anderen Ländern mobilisierten Massenbewegungen gegen reaktionäre Regime und die soziale Misere, sodass sich vorrevolutionäre Situationen und Krisen entwickelten. Die explosive Lage in Lateinamerika, im Nahen Osten, in Afrika und großen Teilen Asiens bedeutet, dass Massenkämpfe auch in der kommenden Periode weiterhin wahrscheinlich sind und zu revolutionären Situationen eskalieren können. Wie in den Arabischen Revolutionen nach 2011 stellt sich dann die Frage, wie diese Bewegungen zum revolutionären Sieg gelangen können.

In den imperialistischen Ländern wiederum – allen voran in den USA – mobilisierten riesige Massenbewegungen, allen voran Black-Lives-Matter, Millionen Menschen und inspirierten die rassistisch unterdrückte Jugend auf der ganzen Welt. Ähnliche Ansätze eines spontanen Internationalismus zeigen auch die Frauenstreikbewegung  und wichtige Teile der Umweltbewegung,  die beide selbst in der Pandemie  weltweit wieder Millionen mobilisierten. Auf der Ebene gewerkschaftlicher und betrieblicher Kämpfe erlebten wir Ansätze länderübergreifender, koordinierter Aktionen in einzelnen Konzernen wie z. B. bei Amazon.

Führungskrise

Doch trotz einer historischen Krise und drohender tiefer Einschnitte blieben die Kernschichten der ArbeiterInnenklasse v. a. in den imperialistischen Ländern oft am Rande dieser Bewegungen und Mobilisierungen. Die betrieblichen Abwehrkämpfe gegen Schließungen und Massenentlassungen waren zwar durchaus zahlreich, aber blieben in der Regel voneinander isoliert und unter fester Kontrolle von Gewerkschaftsbürokratie und betrieblichen FunktionärInnen.

Diese bremsende Stillhaltepolitik der reformistischen Apparate und Parteien erklärt auch, warum die ArbeiterInnenklasse in den meisten Bewegungen keine führende Rolle einnehmen konnte. Die Führung von Widerstandsbewegungen fiel dann fast unwillkürlich politisch kleinbürgerlichen Kräften und solchen Ideologien zu. Die Dominanz dieser Ideologien – z. B. Identitätspolitik, Intersektionalismus, Postkolonialismus, Feminismus, Linkspopulismus – in den Bewegungen der letzten Jahre ist selbst ein Resultat der vorherrschenden bürgerlichen Politik und des damit verbundenen verbürgerlichten Bewusstseins in der ArbeiterInnenklasse. Dass viele AktivistInnen in radikalen kleinbürgerlichen Theorien und Programmen eine Alternative erblicken, ist die zwangsläufige Strafe für die sozialpartnerschaftliche und sozialchauvinistische Politik der Gewerkschaftsbürokratien und reformistischen Parteien sowie die Duldung dieser Hoheit durch viele Kräfte, die sich links von ihnen wähnen.

AktivistInnen der kleinbürgerlich geführten Bewegungen können nur für eine revolutionäre ArbeiterInnenpolitik gewonnen werden, wenn RevolutionärInnen die Kämpfe um Befreiung ohne Wenn und Aber unterstützen, wenn sie ihre Kritik an deren Programmen und Theorien geduldig erklären und einen schonungslosen Kampf gegen die bürokratischen und reformistischen Führungen in der ArbeiterInnenklasse selbst führen.

Konkret heißt das, dass sie um die klassenkämpferische Erneuerung der Gewerkschaften kämpfen müssen und oppositionelle demokratische Basisbewegungen gegen die Bürokratie aufzubauen haben. Um deren Vormacht zu brechen, müssen sie Forderungen an eben diese Führungen stellen, ohne ihre Kritik zu verschweigen. Sie müssen für den Bruch aller ArbeiterInnenorganisationen mit der Bourgeoisie kämpfen. Das heißt in Ländern wie den USA in der DSA, für die konsequente Abkehr von der Demokratischen Partei und für den Aufbau einer Massenpartei der ArbeiterInnenklasse einzutreten. Das heißt in anderen Ländern wie Deutschland, für die Schaffung einer neuen revolutionären ArbeiterInnenpartei einzutreten.

Einheitsfront

In allen Fällen müssen RevolutionärInnen eine Einheitsfront aller Parteien, Organisationen und Bewegungen der ArbeiterInnenklasse sowie der Unterdrückten auf der Basis eines Aktionsprogramms gegen Krise, Pandemie, Umweltzerstörung, Rassismus und Sexismus vorschlagen. Ein solches Programm muss z. B. Forderungen gegen drohende Entlassungen, gegen Arbeitslosigkeit, Mietpreiserhöhungen und für den freien Zugang zu einem Gesundheitssystem für alle, für einen solidarischen Lockdown umfassen. Das bedeutet auch, das Privateigentum an den Produktionsmitteln in Frage zu stellen, indem wir z.B. die Enteignung der Pharmaindustrie und einen globalen Plan zur Produktion und kostenlosen Verteilung von Impfstoffen für alle fordern. Es geht um die entschädigungslose Enteignung aller privaten Konzerne im Gesundheitssektor unter ArbeiterInnenkontrolle;  die Enteignung aller Konzerne, die mit Massenentlassungen und Kürzungen drohen.

Diese und alle anderen großen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen können nur gewonnen werden, wenn sie sich auf Massenmobilisierungen der ArbeiterInnenklasse stützen. Daher müssen alle ihre Organisationen dazu aufgefordert werden, sich am gemeinsamen Kampf zu beteiligen, um so die großen Massenorganisationen in Bewegung zu bringen und zugleich deren Führungen dem Test der Praxis auszusetzen.

Ein solcher Kampf erfordert demokratische Strukturen: er muss sich auf Versammlungen in den Betrieben und Stadtteilen, auf gewählte Aktionskomitees und Ausschüsse stützen.  Schließlich muss eine Massenbewegung auch Selbstverteidigungsorgane aufbauen, die sie vor den Angriffen von StreikbrecherInnen, rechten Banden oder der Polizei schützen können.

Internationalismus und Internationale

Um den Widerstand auf kontinentaler und globaler Ebene zu verbinden, braucht es eine internationale Bewegung, eine Wiederbelebung der Sozialforen, die jedoch nicht nur Organe zur Diskussion, sondern beschlussfähige Koordinierungen des gemeinsames Kampfes sein sollen.

Aber dies alleine wird nicht reichen, denn notwendig ist eine politische Antwort auf die Führungskrise der ArbeiterInnenklasse selbst:  neue revolutionäre Parteien und eine neue, Fünfte Internationale, die sich auf ein Programm von Übergangsforderungen für die sozialistische Revolution stützen; eine Weltpartei, die eine wirklich internationale, globale Antwort auf die Dreifachkrise der Menschheit vertritt.




Riexingers Green New Deal: “System Change” statt Sozialismus

Mattis Molde, Neue Internationale 252, Dezember 2020/Januar 2021

Bernd Riexinger, der scheidende Vorsitzende der LINKEN, geht unter die BuchautorInnen. Schon 2018 legte er mit „Neue Klassenpolitik“ einen Text vor, in dem er die strategische Ausrichtung der Linkspartei zu begründen suchte. Mit seinem vor wenigen Monaten beim Hamburger VSA-Verlag erschienenen „System Change, Plädoyer für einen linken Green New Deal“ versucht er, eine langfristige, strategische Antwort auf die derzeitige Krise vorzulegen.

Er will deshalb die herrschenden Zustände angreifen, den „Status quo in Frage stellen“. Auch wenn er den Kapitalismus nicht abschaffen will, so will er eine andere „Formation“ desselben erreichen. Dass der Vorsitzende einer reformistischen Partei dem Reformismus treu bleibt, überrascht nicht weiter. Die Beschäftigung mit seinem Buch erweist sich dennoch als sinnvoll. Reformistische Parteien und ParteichefInnen begründen ihre „Realpolitik“ in der Regel erst gar nicht theoretisch, da sie diese ohnedies, ganz im Sinne ihres engen, pragmatischen Horizonts, für alternativlos betrachten.

Riexinger hingegen hält dies für nötig, weil er einen „neuen“ Linksreformismus begründen will, dessen Vorstellung von Systemwandel (System Change) und Green New Deal sich nicht nur vom revolutionären Marxismus, sondern auch von den Konzepten der Sozialdemokratie und der Grünen unterscheiden und abgrenzen soll.

Krisenerscheinungen

Dabei greift er reale Probleme auf: „Lange schon schwelen verschiedene Krisen des Kapitalismus: Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, Klimawandel, Grenzen des Wachstums, soziale Ungleichheit, Zusammenbruch der öffentlichen Daseinsvorsorge und das Gefühl von vielen, dass die Gesellschaft nicht mehr zusammenhält. Corona hat diese Vielfachkrise des Kapitalismus verschärft und zugespitzt.“ (System Change, S. 9) Er beschreibt Erscheinungen und Probleme, die mit dem Kapitalismus zu tun haben bzw. von ihm produziert werden. Punkte, an denen man spürt, dass etwas nicht in Ordnung ist auf dieser Welt. Aber eine marxistische Krisenanalyse stellt dies nicht dar. Die kommt auch später nicht.

Ein Beispiel: „Soziale Ungleichheit“: Ist das eine „Krise des Kapitalismus“? So wie dieses System funktioniert, produziert und reproduziert es immer Ungleichheit, da die BesitzerInnen von Kapital dieses ständig vermehren, während die Arbeitenden im Normalfall nur sich und ihre Familie reproduzieren können. Man könnte die Frage stellen, ob die Ungleichheit gewachsen ist oder ob soviel Kapital angehäuft worden ist, dass seine Verwertung so schwierig wird, dass dies zu einer Krise des Systems wird, die aus der Entfaltung seiner eigenen Gesetzmäßigkeiten erfolgt. Das wäre eine „Krise des Kapitalismus“ im marxistischen Sinne. Da solche Analysen in dem Buch nicht vorkommen, will uns Riexinger wohl nur sagen, dass die Ungleichheit zunimmt, dass dies ungerecht ist und bekämpft gehört.

Letztere Aussage ist ja unbestreitbar richtig. Wir werden später aber sehen, dass dieses Herumwerfen mit Begriffen eine politische Funktion hat.

Krisenursachen

Die Untersuchung des Kapitalismus findet also nicht statt und auch nicht, wie diese einzelnen „Krisen“ zusammenhängen. Er beschreibt die Erscheinungen meist ganz treffend und belegt, dass die vorgeblichen Bemühungen von Bundesregierung oder EU-Kommission, bestimmte Probleme, z. B. die globale Erwärmung, anzugehen, hilflos sind, Einzelmaßnahmen darstellen und durch die generelle Ausrichtung der Politik konterkariert werden.

Ein Beispiel: „ EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bereits Ende 2019 ein Konzept für einen Green Deal auf den Weg gebracht, der die Klima- und Wirtschaftspolitik stärker aufeinander abstimmen soll. Ziel sind massive Investitionen in neue Technologien zur effizienteren Ressourcennutzung und zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen. Das klingt gut, erweist sich aber bei näherem Hinsehen wie eine Mischung aus „Greenwashing“ und Wettbewerbspolitik. Das Ziel, bis 2050 eine „grüne Null“ zu erreichen, ist für die EU ein Fortschritt, reicht aber nicht aus, um die Klima-Katastrophe zu verhindern. Während aus einem Fonds Investitionen in den Klimaschutz finanziert werden sollen, fördern zahlreiche EU-Töpfe mit Milliarden Euro klimaschädliche Großprojekte.“ (System Change, S. 24)

Aus all diesen Beispielen folgt für Riexinger, dass eine neue Politik nötig ist.

Wer soll es richten?

Riexingers Verdienst besteht darin, ein Projekt vorzulegen, das versucht, die ganzen Probleme in ihrer Vielfältigkeit anzugehen. Sein Ziel ist es, alle Bewegungen, die gegen diese aktiv sind, zu einer einzigen zu vereinen, die dann alles für alle erreicht, was sozial und ökologisch ist, unabhängig von Geschlecht und Herkunft.

Dieses Projekt stellt politisch sehr viel mehr dar, als was andere reformistische Führungen derzeit zu bieten haben: Die Sozialdemokratie besinnt sich gerade darauf, dass es ein Jahr vor den Bundestagswahlen vielleicht opportun wäre, wenigstens ein paar Forderungen zu haben, die klarmachen, wo sie steht, bzw. die den schäbigen sozialen Flicken der SPD am Kostüm der Großen Koalition mehr Glanz verleihen sollen. Die Gewerkschaften im DGB sind komplett unfähig, irgendeine Gemeinsamkeit für die ökonomischen und ökologischen Herausforderungen zu formulieren. Jeder Teil der Bürokratie bleibt borniert bei den Leisten seiner Branche.

Riexinger fasst sein Projekt so zusammen: „Entscheidend ist, ein Bündnis sozialer Bewegungen für den sozial-ökologischen Umbau und unteilbare Solidarität aufzubauen. Dafür ist der Green New Deal kein Masterplan, sondern ein strategischer Vorschlag, wie wir eine bessere Welt gewinnen können.“ (System Change, S. 132 f.)

Die Ziele, die er vorschlägt, basieren auf den bekannten Forderungen der Linkspartei:

  • Löhne, die zum Leben reichen, 13 Euro Mindestlohn, Leiharbeit verbieten, prekäre Arbeit abschaffen, Arbeitszeit um die 30-Stunden-Woche mit Lohnausgleich,
  • Rentenniveau auf 53 % anheben, Mindestrente von 1.200 Euro, AlG I auf 24 Monate verlängern, Elterngeld auf 24 Monate anheben.

Für die „Transformation der Auto-Industrie“ stellt Riexinger sich unter anderem vor, Fahrzeuge für kollektive Mobilitätskonzepte herzustellen und einen Ausbau der Bahn zu forcieren.

Utopie

Der Weg, diese guten Dinge zu erreichen, geht darüber, dass die Bewegungen, die es schon gibt und die sich ja noch mehr verbinden müssen, soviel Druck auf den Staat ausüben, dass dieser die Konzerne und das Kapital dazu zwingt. Am Beispiel der Auto-Industrie liest sich das so: „Der Staat muss die Auto-Konzerne auf einen sozial gerechten, ökologischen Transformationspfad verpflichten. Das wird nur gelingen, wenn Belegschaften, Gewerkschaften, Umweltverbände und Klimabewegung an einem Strang ziehen.“ (System Change, S. 59 f.) Er verweist darauf, dass es im Konjunkturpaket Gelder der Regierung für Transformation gebe.

Für die Zukunft will er dann die Wirtschaft demokratisieren. DAX-Unternehmen sollen mindestens zu 21 % in öffentlichem Eigentum stehen, 30 % Belegschaftseigentum, den Rest dürfen private AktionärInnen behalten (System Change, S. 62). Was er nicht sagt, ist wie den DAX-Konzernen 51 % ihres Kapitals genommen werden sollen.

Solche Utopien kann man nur schreiben, wenn man alles ignoriert, was MarxistInnen über den bürgerlichen Staat formuliert haben. Die Marx’sche Sichtweise erledigt Riexinger, indem er die Aussage, der „Staat sei nur ein Instrument in den Händen von Kapital und Konzernen“ (System Change, S. 103) so interpretiert, als würde sie bedeuten, dass sich der Kampf zwischen Lohnarbeit und Kapital nicht im Staat reflektieren würde, als könnten überhaupt keine politischen Reformen errungen werden. Darüber hinaus unterstellt er der marxistischen Staatstheorie, sie würde Staat und Kapital als identisch betrachten. Zwar weist er die platte bürgerliche Idee, dass „der Staat ein neutrales Instrument sei“ (ebenda) zurück und erklärt stattdessen, „dass sich im Staat Kräfteverhältnisse verdichten. Er ist das Feld, auf dem die verschiedenen Interessen (Klasseninteressen) ausgetragen werden.“ (ebenda)

Hinter diesen Ideen, die auf u. a. auf Poulantzas zurückgehen, steckt zwar ein Körnchen Wahrheit, nämlich dass rein gewerkschaftliche oder soziale Kämpfe alleine nicht ausreichen, um grundlegende Veränderungen zu erzielen, sondern dass ein politischer Kampf notwendig ist. Aber durch die Weigerung, den bürgerlichen Klassencharakter dieses Staates anzuerkennen, verkommt das Ganze nur zu einer komplexeren Begründung einer reformistischen, bürgerlichen Reformstrategie. Letztlich muss und kann die ArbeiterInnenklasse in Riexingers Augen den Staat in einem langwierigen gesellschaftlichen und institutionellen Kampf übernehmen und verändern.

Genau hier liegt der entscheidende Unterschied zur marxistischen Staatstheorie, die den bürgerlichen Staat als Herrschaftsinstrument des Kapitals begreift, das über tausende Fäden materieller Spitzenprivilegien die Armee, den Repressionsapparat, die Justiz- und Staatsbürokratie auf sich als herrschende Klasse verpflichtet, um die Interessen des Gesamtkapitals wahrzunehmen. Die Crux besteht gerade darin, dass der bürgerliche Staat als ideeller Gesamtkapitalist fungieren kann, weil er nicht mit einzelnen Kapitalien oder der ökonomischen Vertretung der Bourgeoisie identisch ist. So kann er deren Gesamtinteresse auch gegen einzelne dieser Fraktionen durchsetzen – wie ironischerweise beim New Deal der 1930er Jahre.

Das ist auch der Grund, warum ein revolutionäres kommunistisches Programm immer auf die Zerschlagung des bürgerlichen Staates und seine Ersetzung durch einen Rätestaat der ArbeiterInnenklasse, die Diktatur des Proletariats, zielt.

Kein Ausrutscher

Es würde aber auch reichen, die politische Realität wahrzunehmen: Es ist ja kein Ausrutscher, wenn in den Konjunkturpaketen keine Auflagen für die Lufthansa oder die Autokonzerne enthalten sind, denn es geht diesem Staat, seiner Regierung und seinem Apparat dabei immer um das, was im Wortsinn „systemrelevant“ ist: den Erhalt der Profitmaschinen der deutschen Bourgeoisie im Konkurrenzkampf mit ihren internationalen Konkurrentinnen. Dem werden alle sozialen und ökologischen Fragen untergeordnet.

Es zeigt sich an dieser Stelle, dass die Schwammigkeit zu Beginn des Buches bei der Darstellung der vielfältigen „Krisen des Kapitalismus“ ihre Ergänzung und Fortsetzung findet, wenn es um den Staat im Kapitalismus geht. Die Utopie schließt auch ein, dass dieser sozial und ökologisch gebändigte Kapitalismus funktioniert und nicht weiter Krisen produziert.

Riexinger hält seine Utopie für Realismus. Sein Credo ist, man müsse an den realen Bewegungen anknüpfen, weil nur Menschen in Bewegung etwas verändern können. Sein Irrtum besteht darin, dass er auch an den Irrtümern der Bewegungen festhält, ja sie zu seinen eigenen macht. Die Führung der Umweltbewegung beispielsweise glaubt, dass eine ökologische Wende in diesem System, ja sogar mit diesen Regierungen möglich sei.

RevolutionärInnen vertreten einen anderen Ansatz: Sie wollen, dass Menschen in der Bewegung lernen und ihre Ziele ändern. Dafür gilt es immer, Vorschläge zu unterbreiten, die realistisch sind, weil sie funktionieren können. Wir hoffen nicht, dass der Staat der Bourgeoisie durch eine Bewegung gezwungen werden könnte, Maßnahmen gegen jene durchzusetzen und sie teilweise zu enteignen. Wir propagieren, dass die ArbeiterInnenklasse ihre eigene Macht aufbaut. Dass die Beschäftigten Betriebe besetzen, die geschlossen werden sollen. Dass sie unter ihrer eigenen Kontrolle die Produktion oder die Umstellung dieser organisieren. Dass sie sich gegen die Übergriffe des Staates selbst verteidigen.

Eine solche Perspektive ist im revolutionären Sinne realistisch, weil sie von den realen gegensätzlichen Interessen der Klasse und der Rolle des Staates ausgeht und nicht selbst Luftschlösser produziert. Indem sie die Kämpfenden in den Bewegungen darauf vorbereitet, deren Illusionen und falschen Vorstellungen solidarisch kritisiert und darlegt, welche Aktionen und Forderungen notwendig sind, um kurz- und langfristige Ziele zu erreichen, tritt sie für einen revolutionären Realismus ein.

Gewerkschaften

Für seine Vision muss sich Riexinger aber nicht nur den Kapitalismus und seinen Staat schönreden, sondern auch die AkteurInnen seiner Bewegung. Das fängt an bei der Linkspartei, die sich „behauptet“ und die „stabil“ ist, aber auch in „ständiger Veränderung“ (System Change, S. 16). Dafür nennt er neue Mitglieder und WählerInnen im Westen. Meint er auch diejenigen, die die Linke an die AfD verloren hat? Stellt er sich die Frage, warum die Linke so gut wie nichts aus den Verlusten der SPD gewinnen konnte? Was ist mit der Politik der Linken an der Regierung? Martin Schulz sagt zu Recht: „Eine Regierung SPD-Grüne-Ramelow, zum Beispiel, vor der hat in Deutschland keiner Angst.“ Das sollte den Parteivorsitzenden der Linken Angst machen.

In den Gewerkschaften sieht Riexinger völlig zu Recht eine entscheidende Kraft für jede Veränderung. Er sieht auch, dass diese sich entscheiden müssen, „ob sie sich als mobilisierende, organisierende und konfliktorientierte Interessenvertretung stärken oder ob sie sich auf die korporatistische Zusammenarbeit mit (exportorientiertem) Kapital konzentrieren wollen.“ (System Change, S. 96) Dann lobt er das IG Metall-Vorstandsmitglied Urban, um anschließend festzustellen: „Selbstverständlich gibt es auch ganz andere Stimmen. Betriebsräte und GewerkschafterInnen, die Abwrackprämien auch für neue Dieselautos fordern.“ (System Change, S. 97) Diese „anderen“ Stimmen sind in der IG Metall die absolute Mehrheit. Auch Urban hat der Forderung nach Kaufanreizen für Verbrenner-Autos nicht widersprochen.

Aber die SozialpartnerInnenschaft floriert nicht nur in der Exportindustrie. Die maßgeblich von der Linkspartei und ihren FunktionärInnen in ver.di angestoßene Pflegekampagne wurde trotz breiter Wirkung von der ver.di-Bürokratie auf einzelne Betriebe beschränkt, eine Politisierung durch die Verbindung mit der Forderung nach Rekommunalisierung der Krankenhäuser bekämpft und die ganze Kampagne in die Sackgasse von BürgerInnenbegehren gelenkt.

Um die Gewerkschaften und ihre Millionen Mitglieder für antikapitalistische Kampagnen jeder Art zu gewinnen, ist also eine systematische Auseinandersetzung mit der SozialpartnerInnenschaft und ihrer Trägerin, der Gewerkschaftsbürokratie, nötig. Schon die Debatte darüber, wie diese aussehen könnte und sollte, wird in der Linken nicht geführt und auf den Streikkonferenzen der Luxemburg-Stiftung konsequent unterdrückt.

No Deal

Die Idee eines sozial gebändigten Kapitalismus‘ ist nicht neu. Riexinger legt dem Raubtier nur noch eine neue ökologische Schleife an. Dieser Traum ist immer wieder befeuert worden, weil es Phasen gab, in denen die Bourgeoisie Zugeständnisse an die ArbeiterInnenbewegung machen musste. Er wurde auch genährt, weil in Krisenperioden die gängigen bürgerlichen Ideologien selbst fraglich werden. Daher suchen auch viele nach radikalen Alternativen. Auch das versuchen Riexinger und die Linkspartei wie auch viele ähnliche Strömungen in Westeuropa, den USA und auf der gesamten Welt aufzugreifen, indem sie einen scheinbar radikaleren Reformismus als gangbare quasi-revolutionäre, antikapitalistische Politik zu begründen versuchen.

Wir wollen was anderes. Die Aufgabe für SozialistInnen und KommunistInnen bleibt es, in einer historischen Krise des kapitalistischen Systems nicht für eine neue sozialere Formation des Kapitalismus zu kämpfen, welche dieses verrottete System sofort wieder zerlegen würde, sobald es kann. Unser Ziel ist der Sieg über dieses System – seine endgültige Abschaffung!




Die globale Krise, die ArbeiterInnenklasse und die Linke

Internationales Exekutivkomitee der Liga für die Fünfte Internationale, Juli 2020, Infomail 1111, 21. Juli 2020

In der ersten Hälfte des Jahres 2020 erlebten alle Länder einen massiven Schrumpfungsprozess des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der Industrieproduktion. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt (Juni 2020), dass das globale BIP im Laufe des Jahres um 4,9 Prozent schrumpfen wird – die US-Wirtschaft um rund 8 Prozent, die der Europäischen Union (EU) um durchschnittlich 10,2 Prozent. Das chinesische Wachstum wird für 2020 auf 1,0 Prozent geschätzt – und all dies basiert auf der eher fragwürdigen Annahme, dass es keine zweite Welle der SARS-CoV-2-Pandemie geben wird.

In dieser Situation versuchen die Regierungen und Zentralbanken der reichen, imperialistischen Länder das Schlimmste mit Milliarden von Dollar, Euro oder Yuan zu verhindern, um ihre Wirtschaft anzukurbeln – mit anderen Worten, um die Großindustrie, den Handel und das Finanzkapital vor dem Zusammenbruch zu schützen. Offensichtlich verwenden sie auch einige kleinere Teile dieser Pakete, um die Auswirkungen auf Teile der Mittelschicht, der Kleinbourgeoisie, abzufedern.

Folgen für die Lohnabhängigen

Aber sie werden nicht die Einkommen und das Leben der Masse der ArbeiteInnenrklasse schützen, ganz zu schweigen von ihren am meisten unterdrückten Teilen wie den People of Colour in den USA oder den ArbeitsmigrantInnen in Europa. Mehr als 40 Millionen Arbeitslose in den USA machen deutlich, womit wir es zu tun haben. In Großbritannien berichtete das Amt für nationale Statistik am 15. Mai, dass die Zahl der Anträge auf Arbeitslosenunterstützung auf 2,1 Millionen gestiegen ist, den höchsten Stand seit 1996. Am 14. Juni arbeiteten rund 9,1 Millionen Beschäftigte nicht, sondern waren im Rahmen des Arbeitsbeibehaltungsprogramms der Regierung „beurlaubt“.

Lohnkürzungen und verstärkte Ausbeutung werden für diejenigen, die noch arbeiten, die Norm sein. Dramatische Kürzungen bei Löhnen, Transferleistungen und sozialen Diensten: so sieht die Zukunft für Arbeitslose und Menschen in prekären  Arbeitsverhältnissen aus. Für die KapitalistInnen steht der Schutz der Bevölkerung, die Sicherung von Einkommen und Gesundheit, nicht im Vordergrund. Ganz im Gegenteil, die schwarze Bevölkerung in den USA hat die höchste Todesrate des Coronavirus zu tragen. Die Bourgeoisie drängt darauf, die Wirtschaft für ihre Profitmacherei um fast jeden Preis wieder zu öffnen.

Ende April warnte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), dass 1,6 Milliarden Beschäftigte in der informellen Wirtschaft, fast die Hälfte der weltweiten Erwerbsbevölkerung, unmittelbar von der Zerstörung ihrer Existenzgrundlage bedroht seien. „Der erste Monat der Krise hat schätzungsweise zu einem Rückgang des Einkommens der informellen ArbeiterInnen weltweit um 60 Prozent geführt. Von diesem Rückgang sind 81 Prozent in Afrika und Amerika, 21,6 Prozent in Asien und dem Pazifik und 70 Prozent in Europa und Zentralasien betroffen.“

Das bedeutet natürlich nicht, dass es überhaupt keine Maßnahmen gibt, um die Last der Krise und der Pandemie für die ArbeiterInnenklasse zu mildern. Viele imperialistische Länder haben Kurzarbeit oder Zwangsbeurlaubung für 2020 zu 60 bis 80 Prozent des vorherigen Lohns angesetzt; ebenso haben einige Länder Formen der staatlichen Planung im Gesundheitssektor eingeführt, um das Schlimmste zu verhindern.

Solche Maßnahmen sollten jedoch nicht mit einer Hinwendung zur Umverteilung von Reichtum verwechselt werden, sondern vielmehr als Teil einer Politik zur Verteidigung des längerfristigen allgemeinen Interesses des Kapitals verstanden werden. Denn der normale Kapitalkreislauf ist unterbrochen worden und wird wahrscheinlich wieder unterbrochen werden, so dass ein „freies“ Spiel der Marktkräfte die Sache noch verschlimmern würde. In dieser Situation muss der Staat eingreifen, aber es ist klar, dass dies nur vorübergehend sein wird.

Wir können bereits jetzt Schlüsselelemente beobachten, wie die ArbeiterInnenklasse die Kosten zu tragen hat, sogar in den imperialistischen Kerngebieten; Forderungen nach einer Durchlöcherung der arbeitsrechtlichen Standards; Schließung ganzer Standorte; Drohung mit Massenentlassungen; Reduzierung der Ausgaben für öffentliche Dienstleistungen und Kultur, … und schließlich neue Privatisierungswellen. Aber es ist auch klar, dass die Krise nicht nur die Widersprüche zwischen den GroßkapitalistInnen in der imperialistischen Welt und ihren Staaten massiv verschärfen wird, sondern auch den Kampf für die Neuaufteilung der Welt,

Lage in den Halbkolonien und der Unterdrückten

Nichtsdestotrotz ist es überdeutlich, dass die Pandemie und die Wirtschaftskrise die halbkolonialen Länder noch härter treffen werden als die imperialistischen Kernländer.

Erstens sind ihre Gesundheitssysteme durch Neoliberalismus, Sparmaßnahmen und imperialistische Ausplünderung noch stärker als in den kapitalistischen Zentren heruntergewirtschaftet worden. In den meisten dieser Länder gibt es kaum ein Gesundheitssystem für die Armen, die ArbeiterInnenklasse, die Bauern-/Bäuerinnenschaft oder sogar große Teile der Kleinbourgeoisie.

Zweitens ist die ArbeiterInnenklasse mit einem anderen System der Ausbeutung konfrontiert. Die meisten LohnarbeiterInnen werden in ein Vertragssystem gezwungen, in unsichere, prekäre Arbeitsverhältnisse, oft ohne jegliche Kranken- und Sozialversicherung. Das bedeutet, dass Millionen und Abermillionen mit Armut, Hunger und Unterernährung konfrontiert oder gezwungen sind, weiterhin unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen zu arbeiten.

Drittens wird die Landfrage (und damit implizit auch die Umweltfrage) eine noch schärfere Form annehmen. Die extreme Ungleichmäßigkeit der kapitalistischen Entwicklung wird die Situation in einer Reihe der fortgeschrittensten Halbkolonien mit großen ArbeiterInnenklassen und gleichzeitig einer riesigen Landbevölkerung und Agrarsektoren, die selbst voller innerer Widersprüche sind, sehr explosiv machen. Selbst in China kann diese extreme Form der ungleichmäßigen und kombinierten Entwicklung eine explosive und destabilisierende Form annehmen, wenn sie über einen längeren Zeitraum anhält.

Wie in jeder solchen Krise sind die am stärksten unterdrückten Schichten und Teile der ArbeiterInnenklasse und der Bauern-/Bäuerinnenschaft am härtesten betroffen, d. h. die MigrantInnen, die rassisch und national Unterdrückten, die Jugend, die Frauen, die älteren Menschen. Während der Pandemie haben wir eine massive Zunahme der Doppelbelastung erlebt, der Frauen als Lohnarbeiterinnen ausgesetzt sind, oft in gesellschaftlich äußerst wichtigen Berufen wie dem Gesundheitssektor, und der Hausarbeit, die durch die Schließung von Schulen zugenommen hat. Wir haben auch einen dramatischen Anstieg der häuslichen Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Familie oder „PartnerInnenschaft“ erlebt.

In der letzten globalen Rezession war die Reaktion auf die Krise durch einen Anstieg der Revolutionen, wie im Arabischen Frühling, sowie der ArbeiterInnenklasse und der Linken, vor allem in Griechenland, gekennzeichnet. Dieses Mal ist es ganz anders. In den letzten Jahren hat es einen Aufstieg der Rechten in verschiedenen Formen gegeben: autoritäre, rechte oder bonapartistische Regime und reaktionäre Massenbewegungen des Rechtspopulismus, des Rassismus und sogar des (Halb-)Faschismus. Während die internationale Bourgeoisie in der Zeit nach 2007/2008 befürchtete, dass die (äußerste) Linke politisch aus der Krise Vorteile ziehen könnte, leben wir jetzt in einer Situation, in der rechte, antidemokratische Kräfte die Krise ausnutzen können.

Es liegt auf der Hand, dass wir vor einer Situation stehen, in der die gesamte Phase der Globalisierung nach den 1980er Jahren weltweit in eine historischen Krise geraten ist, eine Krise des gesamten Systems der Bourgeoisie. Es gibt weder in ihren internationalen Institutionen, der UNO, dem IWF, der Welthandelsorganisation (WTO), der Weltbank, ja nicht einmal in der Weltgesundheitsorganisation (WHO), noch innerhalb der einzelnen Staaten eine einvernehmliche oder einheitliche strategische Antwort. In der Tat hat die Krise an vielen Orten (USA, Brasilien, die meisten europäischen Länder …) innere Spaltungen aufgezeigt, und diese werden wahrscheinlich auch in der nächsten Zeit anhalten.

Reformismus, Populismus, Gewerkschaftsbürokratien als Hindernisse

In den meisten Ländern haben die etablierten Führungen der ArbeiterInnenbewegung (Sozialdemokratie, Labour, viele „Kommunistische Parteien“, linksreformistische Parteien, GewerkschaftsführerInnen und LinkspopulistInnen) im Allgemeinen nach einem Bündnis mit dem „vernünftigen“ Teil der herrschenden Klasse gesucht und (informelle) Koalitionen unter dem Banner der nationalen Einheit und SozialpartnerInnenschaft angestrebt. In Ländern wie Deutschland nimmt dies weiterhin eine Regierungsform an, in anderen, wie den USA, bedeutet es, dass GewerkschaftsführerInnen oder LinkspopulistInnen wie Sanders versuchen, die ArbeiterInnenklasse an vermeintlich fortschrittlichere Flügel der Bourgeoisie zu binden, in diesem Fall den Präsidentschaftskandidaten Biden, und ihm gegen die Bedrohung durch Trump Wahlunterstützung geben.

Dies ist im Allgemeinen die Politik der offiziellen Führungen der ArbeiterInnenbewegung. Der Aufstieg der Rechten, selbst ein Ergebnis früherer Zugeständnisse und Bewegungen der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie nach rechts, fließt auf tragische Weise in die Politik der „nationalen Einheit“ ein, d. h. in die Pakte mit den „antipopulistischen“, „demokratischen“ Teilen der Bourgeoisie.

Dies erklärt, warum die FührerInnen der ArbeiterInnenbewegung (einschließlich der meisten linken ReformistInnen) und ihre Kontrolle über die Gewerkschaften sich als Hindernis für Kampfmaßnahmen der ArbeiterInnenklasse erwiesen haben. Wo sie z .B. in Italien stattfanden, um Sicherheit am Arbeitsplatz zu fordern, wurden sie oft von der Basis, von oppositionellen oder lokalen Sektoren initiiert, die keine Unterstützung von ihren nationalen Führungen erhielten, selbst wenn sie wichtige Streiks durchgeführt haben. Dies zeigt auch, dass es starken Druck und Schläge entweder vom Feind oder von der Linken und den Massenbewegungen braucht, um die reformistischen oder bürokratisierten ArbeiterInnenbewegungen zum Handeln zu zwingen.

Die scharfen Widersprüche und Wucht der Konfrontation werden jedoch zu Widerstand, Gegenwehr und spontanen Ausbrüchen des Klassenkampfes führen.

Zentrale Bedeutung der Lage in den USA

Die Rebellion in den USA und die weltweite Ausbreitung der Black Lives Matter-Bewegung zeigen dies. Sie zeigen das Potential, das in der gegenwärtigen globalen Situation steckt. Die Ausbreitung dieser Massenbewegung der Unterdrückten mit Millionen von Menschen auf den Straßen und Millionen von Menschen der ArbeiterInnenklasse und insbesondere der Jugend, die weltweit solidarisch mobilisiert werden, kann in dieser Situation eine echte Veränderung bewirken.

In den USA eröffnete sie eine vorrevolutionäre Situation, die den weltweit schlimmsten Ausbruch der Pandemie, die schlimmste Reaktion einer Regierung darauf mit einem grotesk ungleichen Gesundheitssystem, Massenarbeitslosigkeit und, mit der Ermordung von George Floyd durch die Polizei, das Wiederaufflammen des historischen rassistischen Widerspruchs an den Wurzeln des US-Kapitalismus verband.

Dabei geht es nicht nur um die Zahl der Polizeimorde, die in den letzten zehn Jahren erbarmungslos zugenommen hat. Auch die Ex-Präsidenten Obama und Clinton erzürnten eine große Minderheit der weißen Mittelschicht und rückständiger ArbeiterInnen, deren Arbeitsplätze und Löhne in der Tat während der Globalisierungszeit gelitten hatten. Dadurch wurden sie anfällig für die Verschwörungstheorie der „großen Vertreibung“, die auf ImmigrantInnen abzielte. Auch für diese Schicht besteht ein tiefes Gefühl des Verlustes rassischer Privilegien (weitaus mehr symbolisch als real) gegenüber den 13 Prozent der Bevölkerung, die schwarz sind, und eine Identifikation mit der Polizei/Polizeigewerkschaft, die sich der jede, auch bloß symbolischer Form von Antirassismus und dem Verlust der automatischen Straflosigkeit widersetzt. All dies wird bei den Präsidentschaftswahlen im November im Mittelpunkt stehen, die wahrscheinlich die erbittertsten  seit Menschengedenken sein werden.

Trump und seine „Bewegung“ richteten eine Reaktion der weißen RassistInnen auf Obama aus, weil er schwarz war. Trumps Eintreten für die „Birther“, die Bewegung der AbtreibungsgegnerInnen, war ein früher Sammelpunkt, und seine obsessiven Umkehrungen des sogenannten Obama-Vermächtnisses stellen auch eine Weigerung der RassistInnen dar, die Legitimität von dessen Präsidentschaft zu akzeptieren. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Trump die Legitimität einer Niederlage anerkennen würde, und daher besteht die reale Möglichkeit, dass seine „Bewegung“ zu einer vollwertigen faschistischen Massenbewegung mutieren wird.

Die sozialen Spannungen während der Trump-Präsidentschaft haben auch zu einer Linksbewegung wichtiger Teile der US-Linken geführt, wie sie sich in Erklärungen der Demokratischen Sozialisten Amerikas, der DSA, des Magazins Jacobin und anderer widerspiegelt, sowie zu wirklichen Schritten zur Vereinigung der antirassistischen Massenrebellion mit  den Basiseinheiten der Gewerkschaftsbewegung. Darüber hinaus zeigt die Debatte um die Frage der „Untergrabung“ und Abschaffung der Polizei, auch wenn sie eine reformistische oder utopische Form annimmt, die Tatsache, dass das Wesen des US-Staates und seine Demokratie für Millionen von Menschen, für eine ganze Bewegung und nicht „nur“ für kleine Gruppen zu einem echten Problem geworden ist.

Die Tatsache, dass große Teile und prominente Persönlichkeiten der US-Bourgeoisie versuchen, Zugeständnisse an die BLM-Bewegung zu machen, verdeutlicht sowohl die Gefahr einer erneuten Integration ihrer führenden VertreterInnen als auch den Druck von unten, den die Bewegung aufgebaut hat. Sie hat die herrschende Klasse vorerst in die Defensive gedrängt. Darüber hinaus hat die Erkenntnis, dass der US-Imperialismus, das Herz der Bestie, erschüttert werden konnte, Millionen Menschen rund um den Globus inspiriert. Sie hat das Potenzial für einen gemeinsamen, internationalistischen Kampf gegen die Krise, gegen die Bedrohung durch die Pandemie und gegen Rassismus, Nationalismus und Unterdrückung durch die Rechte und den Staat aufgezeigt.

Natürlich dürfen wir nicht blind sein für die Grenzen der BLM-Bewegung, ihrer bürgerlichen, kleinbürgerlichen oder reformistischen Führungen und Ideologien. Wir dürfen auch nicht erwarten, dass die Massenbewegung gegen Rassismus und polizeiliche Repression ständig wächst und sich weiterentwickelt. Vielmehr wird sie Phasen durchlaufen und an ihre eigenen Grenzen stoßen. Ob sie an die ArbeiterInnenbewegung anknüpfen kann, und das bedeutet natürlich, die Barriere des Chauvinismus innerhalb der ArbeiterInnenklasse selbst anzugreifen und zu überwinden, wird nicht nur vom Kampf und bewussten Eingreifen der RevolutionärInnen abhängen, sondern auch von der internationalen Entwicklung der Kämpfe gegen die Krise. Schließlich müssen wir uns bewusst sein, dass die nächste Periode auch spontan zum Aufstieg anderer Massenbewegungen führen kann.

Aufgaben

In dieser Situation müssen selbst kleine kämpferische Propagandagruppen Wege finden, um in solche Bewegungen oder Kämpfe der ArbeiterInnenklasse dort einzugreifen, wo sie ausbrechen. Das bedeutet, dass wir strategische, programmatische Antworten für die Bewegungen geben müssen; wir müssen die Einheitsfronten, Forderungen und Organisationsformen, die notwendig sind, um die Bewegungen und Kämpfe der Unterdrückten mit der ArbeiterInnenklasse zu vereinen, präsentieren und dafür argumentieren. Dazu gehört eindeutig eine offene und scharfe Kritik an den Führerungen der ArbeiterInnenbewegung sowie der Unterdrückten.

Der Schlüssel dazu werden der Aufruf und die Argumente für Kampfformen sein, die die Masse der ArbeiterInnen, der Jugend und der Unterdrückten einbeziehen können. Wir müssen uns auch mit der Frage auseinandersetzen, wie wir sicherstellen können, dass die Verbindung zwischen der ArbeiterInnenbewegung und den Unterdrückten auf einer Grundlage stattfindet, die den rassisch, national, geschlechtlich und sexuell Unterdrückten dieser Welt, d. h. die Mehrheit unserer Klasse, ermächtigt.

Während in der gegenwärtigen Situation Bewegungen spontan und in Sektoren entstehen können, in denen die reformistische oder bürokratische Kontrolle schwächer ist, führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass diese Bewegungen vernetzt und in die ArbeiterInnenbewegung und in den Kampf für den Aufbau neuer ArbeiterInnenparteien und -führungen integriert werden müssen.

Die Bewältigung der Führungskrise wird von entscheidender Bedeutung sein, und dies muss innerhalb der Bewegung aufgegriffen werden, mit dem Ziel, die engagiertesten und politisch fortschrittlichsten KämpferInnen zu vereinen. Dies wird die flexible Anwendung der Taktik wie des Entrismus, der Umgruppierungstaktik und des Eintretens für revolutionäre Einheit, die Taktik der ArbeiterInnenpartei erfordern. Es wird den Kampf gegen eine Wirtschaftskrise durch ein Programm von Übergangsforderungen sowie die Aufdeckung von Verbindungen zwischen kapitalistischer Ausbeutung und sozialer Unterdrückung, einschließlich einer Kritik an falschen Ideologien und Irreführung, erfordern.

Die kommenden Monate werden durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet sein:

  • Erschütterung der imperialistischen US-Macht und eine offenkundige politische Krise, eine vorrevolutionäre Situation, im Herzen der Bestie. Die USA werden der Schlüssel für die globale Situation sein. Die BLM-Bewegung und die Rebellion werden nicht nur zentral für die politische Entwicklung der US-ArbeiterInnenklasse und der Linken sein, sondern auch ein globaler Bezugspunkt.
  • Vertiefung der Weltwirtschaftskrise und weitere Ausbreitung der Pandemie, vor allem in der halbkolonialen Welt. Dadurch werden Länder wie Brasilien oder Indien zu wichtigen Schauplätzen des globalen Kampfes.
  • Anhaltende interne Spaltungen innerhalb der Bourgeoisien der meisten imperialistischen Mächte. Nicht nur die Wahlen in den USA, sondern auch die Krise in der EU werden dabei eine Schlüsselarena sein, auch wenn Länder wie Deutschland im Vergleich zu den meisten anderen Ländern der Welt kurzfristig relativ stabil sein mögen.
  • Aufrechterhaltung der Strategie der Klassenzusammenarbeit, der nationalen Einheit und der Pakte mit den verschiedenen Flügeln der Bourgeoisie durch den rechten Flügel und die FührerInnen der „Mitte“ der ArbeiterInnenbewegung. Sogar die linken Parteien und die linken PopulistInnen befürworten im Wesentlichen die gleiche Strategie, wenn auch mit einer eher linken Färbung, wie z .B. Forderungen nach einer „echten“ transformativen Politik, nach einem „echten“ grünen und sozialen New Deal.
  • Gleichzeitig können und werden sich auch Teile des Linksreformismus und des radikaleren Kleinbürgertums, zum Beispiel die linken Flügel des Feminismus oder der BLM-Bewegung und des Zentrismus, unter dem Einfluss, dem Druck und der echten Inspiration durch die Massenrebellion und ähnliche Bewegungen nach links bewegen. Dabei geht es nicht nur darum, dass die Gruppen, die diese Richtung einschlagen, mit ihrer Vergangenheit brechen und für revolutionäre Politik und Programme gewonnen werden können, sondern dass sie auch der ideologische Ausdruck eines Linksrucks viel breiterer Schichten, ganzer Flügel oder Strömungen innerhalb der Massenbewegungen sind.
  • Das bedeutet, dass unsere Sektionen und unsere Propaganda diese Schichten in einer Weise ansprechen müssen, die sie zu einem Linksruck ermuntert. Das bedeutet nicht, dass wir unsere Kritik verbergen oder herunterspielen oder irgendwelche theoretischen oder programmatischen Zugeständnisse machen, aber es bedeutet, dass wir unsere Kritik in einer ermutigenden, engagierten und „pädagogischen“ Weise vortragen. Gleichzeitig müssen wir sehr scharf auf rechtsgerichtete oder passive Strömungen und auf die klassenkollaborationistischen FührerInnen der Massenorganisationen achten und die Notwendigkeit erklären, auch an diese FunktionsträgerInnen Forderungen zu stellen.

Die gegenwärtige, sich entfaltende Krisenperiode stellt alle politischen Strömungen auf die Probe. Sie stellt uns vor die historische Alternative Sozialismus oder Barbarei. Sie zugunsten der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten zu lösen, erfordert eine revolutionäre Antwort – ein revolutionäres Programm, revolutionäre Parteien und eine neue, Fünfte Internationale.




Die EU – das nächste Corona-Opfer?

Markus Lehner, Neue Internationale 246, Mai 2020

Seit Beginn der Corona-Krise schien es so, als seien die EU-Regularien nur noch Schall und Rauch: Grenzschließungen, Verschuldung für Rettungspakete, Unternehmensstützungen, Beschaffung von medizinischen Gütern und Schutzkleidung etc. – alles wurde rein nach Gutdünken der einzelnen Staaten durchgeführt, ohne die EU-Institutionen auch nur zu fragen, und oft in Konkurrenz zueinander. Dies trifft allerdings nicht zu auf eine Einrichtung mit Adresse in Frankfurt: die Europäische Zentralbank (EZB).

Widersprüche und Gemeinsamkeiten

Als im März neben dem Zusammenbruch der Gesundheitssysteme auch der allgemeine Finanzcrash drohte, griff die EZB in Kooperation mit der US-Zentralbank durch Billionen schwere Stützungskäufe von Staats- und Unternehmensanleihen sofort ein. Schneller noch als in der Euro-Krise von 2010-12 verhinderte die EZB so die Ausweitung der Krise zu einem Währungs- und Finanzdesaster im Euroraum. Was immer die politischen Maßnahmen derzeit an Auseinanderdriften in Europa anzeigen – die gemeinsame Währungspolitik (auch die Nicht-Euro-Länder der EU sind praktisch an die EZB gefesselt) und ihre Wirkungsweise in der Krise weisen auf das Weiterbestehen des Zwangs zum Zusammenwirken hin.

Diese Widersprüchlichkeit kommt nicht zuletzt in dem immer heftiger werdenden Gerangel um die Bewältigung der kommenden Wirtschaftskrise im EU-Raum zum Ausdruck. Allein in der Euro-Zone wird dieses Jahr mit einem Einbruch von über 10 % des BIP gegenüber dem Vorjahr gerechnet. So unterschiedlich die Länder auch betroffen sind – man denke nur an die katastrophale Lage in Spanien und Italien mit monatelangem Lockdown -, so sehr trifft der wirtschaftliche Einbruch alle EU-Staaten. Was Absatzmärkte, Produktionsketten, Dienstleistungen, Investitionsbewegungen betrifft, sind auch die großen „nordischen“ Kapitale stark von einem Wiederanlaufen aller EU-Ökonomien abhängig.

Italien gehört neben Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Schweden zu den Ländern mit den größten Vermögen und Kapitalen in der EU. Insbesondere Norditalien ist Endpunkt vieler Produktionsketten und Sitz großer Dienstleistungs- und Bankenkonzerne. Letzteres gilt auch für Spanien. Beide Länder wiesen schon vor der Krise enorme Verschuldungsprobleme auf. Italien allein sitzt auf einem Schuldenberg von 2,5 Billionen Euro mit einer 135 %-Staatsverschuldungsquote gemessen am BIP. Auch Spanien steht mit 97 % am oberen Ende der Verschuldung. Das Stocken der Produktion in den Zentren und das Ausbleiben von Geldflüssen von ArbeitsmigrantInnen trifft aber auch die osteuropäischen EU-Ökonomien schwer, wie auch viele andere Länder den enormen Rückgang des Tourismus (wahrscheinlich für das ganze Jahr) fühlen werden (z. B. Griechenland). Während alle diese Länder gerade ihre Corona-Sonderpolitik betreiben, rufen sie gleichzeitig nach den ökonomischen Rettungsringen der EU. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären?

Nationalstaaten, internationale Kooperation und Imperialismus

Friedrich Engels bemerkte in „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ (MEW 19, S. 189-228), dass die Widersprüche von vergesellschaftender Tendenz und privater Aneignung (die sich auch in einer immer stärker werdenden Konzentration und Internationalisierung der Kapitale ausdrücken) speziell in Krisenzeiten dem kapitalistischen Staat eine spezielle Rolle zuteilen: „Und der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußeren Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten“ (MEW 19, S. 222) und agiert so als „ideeller Gesamtkapitalist“.

Längst ist das Kapital der ursprünglichen Form dieses ideellen Gesamtkapitalisten, der Form des Nationalstaates, entwachsen. Gleichzeitig hat es sich aufgrund der ungleichen ökonomischen Entwicklung als unmöglich erwiesen, über die Nationalstaaten hinausgehende staatliche Vereinigungen hervorzubringen, die über Teilaspekte und -kompromisse hinausgehen. In der Ära des Monopol- und Finanzkapitals ist die einzige übernationale Form der Regelung der gemeinsamen weltweiten „allgemeinen äußeren Bedingungen“ der Imperialismus: die weltweite Dominanz einiger großer Kapital- und Militärmächte, die mal mehr miteinander kooperieren, mal mehr gegeneinander konkurrieren.

In der Globalisierungsperiode ist die Konkurrenz zwischen den großen Kapitalen um Marktanteile und politische Kontrolle über wichtige Regionen enorm angestiegen – nicht zuletzt aufgrund des Auftretens neuer Mächte wie China und Russland, aber auch durch die Risse in der US-Hegemonie. Das EU-Projekt ist gerade in dieser Situation als Bündnis großer europäischer Kapitalinteressen entstanden, die ansonsten in der Weltmarkt- und Weltmachtkonkurrenz unterzugehen drohten. Die EU-Verträge dienten der Schaffung eines geschützten Wirtschaftsraumes, der einheitliche Handels- und Investitionsbedingungen, insbesondere für die großen Kapitale schaffen sollte. Insofern ist die EU ein Bündnis imperialistischer Staaten, das auch seine eigene halbkoloniale Peripherie teilweise mit einbezieht. Mit den „Freizügigkeitsregelungen“ und der gemeinsamen Währungspolitik wurden dabei inzwischen tatsächlich die Profitabilitätsbedingungen stark angeglichen. Die Verflechtungen der Märkte für Waren und Dienstleistungen wie auch der Produktionsprozesse sind daher so weit gediehen, dass selbst Britannien mit all seinen Sonderwegen mit dem Brexit enorme Probleme mit der Entflechtung hat.

Zerstrittenheit über die Krisenlasten

Andererseits gehört zum EU-Kompromiss, dass die wichtigen Einzelstaaten auf einer Eigenständigkeit in wichtigen Politikfeldern bestanden: nicht nur in der Sicherheits-, sondern auch in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Nicht nur in internationalen Konflikten oder in der Migrationsfrage ist die EU daher zutiefst handlungsunfähig und zerstritten. Insbesondere in wirtschaftlichen Krisenzeiten bricht der Widerspruch von gemeinsamem Wirtschafts- und Währungsraum auf der einen Seite und der Frage von Haushaltspolitik und Schuldenmanagement auf der anderen Seite mit großer Schärfe aus. Schon in der letzten Euro-Krise mussten sich hochverschuldete Euro-Länder zu immer schlechteren Zinsen und Kreditbedingungen refinanzieren, während die „Nordländer“ das Geld auf den Kapitalmärkten quasi nachgeschmissen bekamen. Schon damals wurde der Vorschlag gemeinsamer europäischer Anleihen als Ausgleichsmechanismus dafür abgelehnt.

Die FinanzministerInnen Deutschlands, der Niederlande und anderer „Sparländer“ gerierten sich als KämpferInnen gegen eine „Transferunion“, in der angeblich „reformunwillige“ Südländer (insbesondere Griechenland) von den Ländern mit „ordentlicher Finanzpolitik“ ausgehalten würden. Wie heute auch waren aber die Südländer nicht selbstverschuldet in die Krise geraten. Die Finanzmarktderegulierungen (auch der EU) hatten ihnen in der Finanzkrise eine Bankenkrise beschert, an der auch die großen „Nord“-Kapitale stark beteiligt waren. Die schließlich beschlossenen „Rettungspakete“ waren dann eine Transformation dieser Bankenkrise in eine Staatsschuldenkrise, an der diese Länder bis heute leiden. Denn der Hauptmechanismus, der ESM („Europäischer Stabilisierungsmechanismus“) verband die Refinanzierung dieser Schulden mit enormen Auflagen, was Einsparungen, Steuerpolitik, „Rentenreformen“ und Ausverkauf von bisher geschützten Bereichen betraf.

Es ist daher kein Wunder, dass mit der jetzigen schweren Krise der Streit um Euroanleihen, umbenannt in „Coronabonds“, neu ausgebrochen ist. Unter Führung von Frankreich wurde diesmal der Konflikt mit den Sparmeisterländern mit harten Bandagen geführt. Immerhin geht es nicht nur um einen ökonomischen Konflikt. Inzwischen sitzen den meisten Regierungen euroskeptische PopulistInnen im Nacken, die jede Gelegenheit von „Diktaten aus Brüssel“ dazu nutzen, ihre Art von Pseudo-Opposition zu betreiben. Insbesondere in Italien war Salvini, als er noch in der Regierung war, ein Meister darin, sich als Anti-Brüssel-Held zu inszenieren – womit er mit dem Gewicht der italienischen Ökonomie weitaus mehr Aussichten hatte als die Tsipras-Regierung mit Griechenland zuvor. Die jetzige Regierung Conte steht angesichts der Schwere der Krise und der harschen Reaktion der Nordländer nun unter dem Druck einer starken EU-Ablehnung in der Bevölkerung, die Salvini wieder an die Regierung bringen könnte. Macron und die französische Bourgeoisie brauchen nach dem Brexit Länder wie Italien und Spanien unbedingt als Gegengewicht zur deutschen Vorherrschaft – und streben sowieso eine weitergehende Fiskalunion an.

Auch die wackelige niederländische Regierung unter dem „liberalen“ Premier Rutte steht unter starkem Druck der eurokritischen RechtspopulistInnen vor den Wahlen nächstes Jahr. Als Führungskraft der „Hansegruppe“ (nordeuropäische Länder, die sich als „liberale“ MusterschülerInnen sehen) fiel es daher Anfang April dem niederländischen Finanzminister Hoekstra zu, den Gegenspieler zu Macron/Conte/Sánchez zu spielen. Nach der Telefonkonferenz vom 9. April, auf der Hoekstra 36 Stunden lang jegliche Form von Eurobonds ablehnte, verkündeten einige EU-PolitikerInnen schon das mögliche Ende der EU. Portugals Ministerpräsident erwog sogar den Ausschluss der Niederlande aus der Euro-Gruppe.

Zwei Lager vor dem Hintergrund einer neuen Euro-Krise

Dabei waren die realen Positionen scheinbar gar nicht so weit auseinander. Die Notfallfonds der Europäischen Investitionsbank (EIB) für angeschlagene Unternehmen von 200 Milliarden und der EU-Kommission von 100 Milliarden für KurzarbeiterInnengeld („Sure“) waren unumstritten. Es ging letztlich darum, dass sich alle Staaten bis zu 2 % ihres BIP für ihre unmittelbaren Finanznöte in der Corona-Krise über den ESM ausleihen können sollten. Hoekstra wollte dem nur zustimmen, wenn damit auch die altbekannten Auflagen des ESM, was „Reformpolitik“ betrifft, unterschrieben würden – also die Haushaltspolitik der betroffenen Länder praktisch unter Kontrolle der EU-SparkommissarInnen gestellt würde.

Angesichts der Situation in Italien konnte dies nur als ungeheure Provokation aufgefasst werden, die den Gipfel insgesamt zum Platzen brachte. Dies führte die EU damit tatsächlich an den Rand einer schweren Krise. Für was wäre sie noch zu gebrauchen, wenn sie nicht eines ihrer zentralen Mitglieder vor dem finanziellen und politischen Kollaps bewahren kann, andererseits aber das rechts-autoritäre Orbán-Regime problemlos weiterfinanziert wird, weil es sich an die finanzpolitischen Regeln hält?

Damit kam es am 23. April zu einer weiteren „Entscheidungsschlacht“ per Videoschaltung. Als typischer weiterer EU-Kompromiss erschien nunmehr eine Art europäischer Marshallplan, ein Corona-Wiederaufbauprogramm finanziert aus dem EU-Haushalt. Da es sich dabei um ein Programm in der Größenordnung von 1 bis 1,5 Billionen Euro handelt, ist das natürlich nichts, was direkt aus dem Haushalt finanziert, – sondern nur über Kapitalaufnahme auf „den Märkten“ aufgebracht werden kann. Natürlich handelt es sich daher (wie schon bei den Maßnahmen der EZB) eigentlich wieder um eine Form der Gemeinschaftsschulden, nur, dass anders als bei den Eurobonds nicht die Einzelstaaten, sondern die EU als Ganzes in die Haftung ginge. Ironischerweise würde so die EU tatsächlich ein großer Player auf dem Gebiet der Fiskalpolitik werden (bisher ist die Agrarpolitik der größte Haushaltsbereich).

Damit ist klar, dass der alte Konflikt in neuer Form auftreten musste: um die Bedingungen des Zugangs zum Wiederaufbaufonds. Angesichts der schon vor der Krise verzweifelten Schuldenlage verlangt die Macron/Conte/Sánchez-Front, dass die Mittel als Zuwendungen („Investitionen“) fließen, während Hoekstra/Scholz darauf bestehen, dass es um Kredite (also weitere Verschuldung) geht. Auch diesbezüglich waren die Fronten so verhärtet, dass es weiterhin keine Einigung gibt. Nunmehr soll die EU-Kommission einen Kompromiss mit einem Mix aus Investitionen und Krediten finden.

Schreckgespenst EU-Kapitalismus …

Die Lösung der Zwickmühle zwischen Verschuldung, Rettung von Betrieben und langfristiger Neuausrichtung von Industrien ist natürlich schwer, wenn man von der „Unantastbarkeit“ des Privateigentums ausgeht – dieses also nur durch den Bankrott enteignet. Für SozialistInnen ist die Antwort einfacher: Streichung aller Schulden, EU-weite Verstaatlichung maroder Betriebe unter ArbeiterInnenkontrolle und Entwicklung eines Planes zur sozial und ökologisch gerechten Umgestaltung der europäischen Industrien.

Angesichts der Dimension der zu erwartenden Krise ist diese Verschärfung der Widersprüche in der EU eine Vorbereitung auf Heftigeres. Einerseits wirken die ökonomischen Zwänge zum Erhalt der Wirtschafts- und Währungsunion weiterhin dahin, dass das EU-Schiff durch immer neue Kompromisse auf stürmischer See zusammengeflickt wird. Dabei kann die EU während der Krise sogar zu weiteren Schritten Richtung Fiskalunion stolpern. Genauso möglich ist aber auch, dass sich der politische Streit und der weitere Aufstieg des Anti-EU-Populismus zu einer Zerfallskrise der EU aufschaukeln.

Für SozialistInnen ist klar, dass die EU insgesamt ein imperialistisches Projekt vor allem im Interesse der großen EU-Kapitale ist. Auch die jetzigen „Rettungspakete“ werden aus den Kapitalzuflüssen nicht zuletzt auch aufgrund der Weltmarktstellung der EU und des Euro finanziert. Leidtragende gerade in Krisenzeiten sind damit vor allem halbkoloniale Regionen – und denjenigen, die dann logischerweise aufgrund der angerichteten Situation zur Flucht gezwungen sind, wird dann auch noch das „demokratische“ EU-Grenzregime der „Festung Europa“ entgegengehalten. Diese EU verteidigen wir in keiner Weise – sie muss überwunden werden!

Andererseits ist die Rückkehr zur Nationalstaatlichkeit ein Rückschritt und keine Alternative. Die erreichte Europäisierung der Produktivkraftentwicklung, die übernationalen Verbindungen auf vielen Ebenen, die kulturellen Vereinigungstendenzen – all das sind auch tatsächliche Fortschritte, die nicht auf dem Altar von Nationalismus, Protektionismus und wahrscheinlich auch neuem Militarismus geopfert werden sollten. Daher muss die kriselnde EU nicht durch ein Weniger, sondern durch ein Mehr an Europa ersetzt werden – etwas wozu die europäischen Bourgeoisien mit ihrer kleinlichen Krämerpolitik nicht in der Lage sind.

… oder Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa?

Trotzki fasste dies schon nach dem Ersten Weltkrieg so zusammen: „Eine mehr oder weniger vollständige wirtschaftliche Vereinigung Europas von oben durch eine Übereinkunft der kapitalistischen Regierungen ist eine Utopie. Weiter als zu Teilkompromissen und zu halben Maßnahmen kann auf diesem Wege die Sache niemals gedeihen. Umso mehr wird eine wirtschaftliche Vereinigung Europas, welche sowohl für die Produzenten als auch die Konsumenten und für die kulturelle Entwicklung überhaupt von großem Vorteil wäre, zu einer revolutionären Aufgabe des europäischen Proletariats in seinem Kampf gegen den imperialistischen Protektionismus und dessen Werkzeug, den Militarismus“ (Trotzki, Friedensprogramm). Die Vereinigten Staaten von Europa werden also erst als ein sozialistisches Projekt Wirklichkeit werden!




Die Krise der Globalisierung und die sozialistische Revolution

Ein Aktionsprogramm für die internationale Revolution

11. Kongress der Liga für die Fünfte Internationale, Juni 2019

Einleitung

Der Optimismus, der auf den Feiern zur Jahrtausendwende verbreitet wurde, ist schon lange verflogen. Zwei furchtbare Kriege und Besatzungsregimes sowie eine große Wirtschaftskrise haben das Vertrauen erschüttert, das ExpertInnen und JournalistInnen damals in die Globalisierung und die Neue Weltordnung gesetzt hatten. Heute, am Ende des zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, besteht nur wenig Anlass zu Optimismus. Neben Handelskriegen werden an den Grenzen Europas und Nordamerikas Mauern und Stacheldrahtzäune hochgezogen und multilaterale Verträge und Institutionen auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen.

Vom Weißen Haus aus torpedierte ein Leugner des Klimawandels praktisch das Pariser Abkommen, das auch nur einen halbherzigen und ungenügenden Versuch der kapitalistischen Welt darstellt, die globale Umweltkatastrophe zu verhindern. Es ist heute klarer denn je, dass dies nur der Sozialismus erreichen kann. So stehen wir in den kommenden Jahrzehnten nicht nur vor einem neuen Kalten Krieg, der zu heißen, regionalen Kriegen führen kann und der nächsten großen Wirtschaftskrise, sondern auch vor der Gefahr, dass in großen Landstrichen die Lebensmittelproduktion von Dürreperioden bedroht ist, was zu Hungersnöten und zur Ausbreitung von Seuchen führen kann. Unwetterkatastrophen nehmen bereits jetzt zu und mittelfristig sind Küstenstädte mit 15-20 Millionen EinwohnerInnen von Überschwemmungen bedroht.

Für Trump und einen Teil der herrschenden Klasse in den Vereinigten Staaten ist das vorrangige Problem das drohende Ende der unangefochtenen Vorherrschaft der USA, die diese von 1989 bis 2008 inne hatten – unabhängig davon, wie hoch die Kosten für den Weltfrieden, für das wirtschaftliche Wohlergehen von Milliarden Menschen oder für die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit waren. Tatsächlich war die sogenannte „neue Weltordnung“ der Globalisierung, die sich auf die Vereinten Nationen, den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Weltbank und die Welthandelsorganisation (WTO) stützte, zugleich eine, in der diese Institutionen nach der nordamerikanischen Pfeife tanzten.

Diese Anfangsphase der Globalisierungsperiode, in der die USA unangreifbar erschienen, erzeugte jedoch zwangsläufig ihre eigenen Widersprüche. Insbesondere, weil in dieser Phase auch Russland und China als neue imperialistische Mächte auftauchten. Die Wiederherstellung des Kapitalismus vollzog sich in diesen ehemaligen degenerierten ArbeiterInnenstaaten auf sehr unterschiedliche Weise. In Russland ermöglichte die „Urknall“-Zerstörung der zentralen Planwirtschaft eine Form der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals durch eine Schicht ehemaliger DirektorInnen, FunktionärInnen und Krimineller, die zum fast vollständigen Zusammenbruch der Wirtschaft führte. Dieses Schicksal wurde nur dadurch abgewendet, dass unter Wladimir Putin die Schlüsselinstitutionen der alten Staatsmaschine, die Sicherheitsorgane, die Ordnung wieder herstellten. Dies erlaubte dem russischen Staat langsam, aber sicher, die innere Opposition zu zerschlagen und sich international wieder zu stabilisieren. Wie das alte zaristische Russland, so verdankt auch das heutige kapitalistische Russland seinen Status als Großmacht und damit als imperialistische Macht nicht seiner wirtschaftlichen Stärke, sondern vor allem seiner militärischen Potenz.

In China entschied sich die Führung der Kommunistischen Partei, die im Gefolge des Massakers auf dem Tian’anmen jeden inneren Widerstand zerschlagen und zugleich den Zerfall der Sowjetunion beobachtet hatte, dafür ihre eigenen Herrschaft durch eine systematische Abwicklung der Planwirtschaft, durch die Umwandlung der staatlichen Großindustrie in staatskapitalistische Konzerne und durch die Privatisierung kleinerer Unternehmen zu sichern. Damit verbunden beschloss sie die Wiedereinführung privater Landwirtschaft und Kleinindustrie in den riesigen ländlichen Gebieten sowie die Errichtung von Sonderwirtschaftszonen für ausländische Investitionen in den Küstenprovinzen. Diese Formel erlaubte die längste und nachhaltigste Periode von kapitalistischer Entwicklung in der Geschichte, bei der rund 200 Millionen Bauern und Bäuerinnen in ein neues Industrieproletariat umgewandelt wurden. Dessen massive Ausbeutung erzeugte das notwendige Kapital, um die wirtschaftliche Basis Chinas selbst zu transformieren und gleichzeitig das Land als einen wichtigen Faktor in der Weltwirtschaft zu etablieren, wo es heute hinter den USA an zweiter Stelle steht. Seine Fähigkeit, die Krise von 2008/09 nicht nur zu überstehen, sondern sogar gestärkt aus ihr hervorzugehen, bestätigte Chinas Status als Großmacht, als imperialistische Macht – als eine Macht, die jetzt versucht ihre wirtschaftliche Stellung zu halten und auszubauen, indem sie ihren Einfluss weltweit entfaltet.

Die Erholung Russlands unter Putin und der Aufstieg Chinas unter der Kommunistischen Partei Chinas haben die absolute Dominanz der USA beendet. Die daraus resultierenden Reibungen und Rivalitäten erhöhen die Gefahr von Kriegen, ja selbst eines Weltkrieges zwischen Großmächten. Wie schon zweimal im letzten Jahrhundert steht die Menschheit wieder vor einer Periode, in welcher sich die Alternative so stellt wie es Rosa Luxemburg formulierte: „entweder Übergang zum Sozialismus oder Rückfall in die Barbarei.“

Auch Lenins „Der Imperialismus als höchste Stufe des Kapitalismus“ erweist sich mit seiner Beschreibung desselben als Epoche des „besonders intensiven Kampfes um die Teilung und Neuaufteilung der Welt“ wieder einmal als erstaunlich treffend. Die Entstehung zweier neuer imperialistischer Mächte, Russland und China, im neuen Jahrtausend hat die von den Bushs und Clintons verkündete „neue Weltordnung“ destabilisiert. Die Geschichte scheint doch nicht zu Ende zu sein und der Neoliberalismus wird heute, zumindest als Ideologie, sowohl von der rechten als auch von der linken Seite an den Pranger gestellt: Er wird weithin für die Übel verantwortlich gemacht, die mit diesem Zusammenbruch einhergingen. Nicht nur in Ost- und Südasien und Lateinamerika, sondern auch in der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten entwickelt sich das aggressive und anmaßende nationalistische Auftreten der rechten DemagogInnen. Alles hängt jetzt von einer Wiederbelebung einer kämpferischen ArbeiterInnenbewegung ab, um sie in Schranken zu weisen und ihre Angriffe rückgängig zu machen.

Donald Trumps „America First“ oder das „Take back control“ der britischen Brexit-BefürworterInnen sind die prägnantesten Parolen einer wachsenden Liste „starker“ FührerInnen wie Viktor Orbán, Matteo Salvini, Recep Tayyip Erdoğan, Mohammed bin Salman, Narendra Modi, Xi Jinping, Rodrigo Duterte, Jair Bolsonaro. Rassistische populistische Parteien sind in Europa auf dem Vormarsch: Frankreichs Rassemblement National, die Alternative für Deutschland (AfD), die „Schwedendemokraten“ und die italienische Lega. Viele der links von der Mitte stehenden Parteien, die in der Ära von Clinton, Schröder und Blair, sowie von Lula und Chávez in Lateinamerika, zu triumphieren schienen, kamen nicht an die Regierung oder konnten sich nicht an der Macht halten. Im Nahen Osten sind die demokratischen Hoffnungen des Jahres 2011 und des Arabischen Frühlings, in dem Millionen auf die Straße gingen und Diktatoren stürzten, von der totalen Barbarei in Libyen, Syrien und Jemen verdrängt worden, während der Irak und Afghanistan sich nicht von den Invasionen und Besetzungen von 2002/2003 erholen konnten.

Die westlichen Medien, die einst ihren Blick auf den ägyptischen Tahrir-Platz gerichtet hatten, verschließen heute die Augen, wenn General Abdel Fatah El-Sisi weitaus brutaler vorgeht als damals Mubarak. Er begann seine Herrschaft mit dem Massaker an 817 DemonstrantInnen auf dem Rabaa al-Adawiya-Platz in Kairo und hat sie für den Preis von 60.000 politischen Gefangenen und verschwundenen Menschen aufrechterhalten. Doch all das wird ausgeblendet. Auch der mordende saudische Kronprinz bleibt ein geschätzter Verbündeter der USA, Großbritanniens und der westlichen Unternehmen, deren Auslandsinvestitionen zu einem Quell der Unterstützung für den Diktators geworden sind.

Die Hoffnungen der „neuen“ Linken dieser Ära, der AntikapitalistInnen, der PopulistInnen und der SozialistInnen des 21. Jahrhunderts, sind verblasst oder zusammengebrochen ebenso wie die Erinnerungen an die Gipfelbelagerungen, die Welt- und Regionalsozialforen und die Occupy-Bewegung, die durch den Arabischen Frühling inspiriert worden war. Die Tiefe und die Länge der Großen Krise 2008–10 und ihrer Folgezeit stellten die Ideen von Horizontalismus, „direkter Aktion“ und Neo-Utopismus auf den Prüfstand und befanden sie jeweils nach zwei oder drei Jahren alle als untauglich. Eine Neuauflage des linken Reformismus und Neo-Keynesianismus wurde in Griechenland ausprobiert und wird noch in den USA und Westeuropa versucht, aber mit engeren, national begrenztem Horizont und bescheidenen Zielen, die es nicht wagen, den Kapitalismus selbst in Frage zu stellen.

Der Wendepunkt in der Weltlage war die Krise ab 2008. Die Liga für die Fünfte Internationale hielt auf ihrem Kongress 2010 fest, dass damit eine längere Periode eröffnet worden war, die erneut von der historischen Krise des Kapitalismus bestimmt sein würde. Ja, wir hatten dies in den Jahren vor dem eigentlichen Ausbruch der Krise vorhergesagt und diese Vorhersage mit der deutlich sichtbaren Überakkumulation des Kapitals und dem starken Rückgang der Profitrate in den alten kapitalistischen Zentren begründet.

Wir haben vorausgesagt, dass auf die Rezession eine schwache Erholung und eine anhaltende Stagnation in den imperialistischen Kernländern der USA und der Europäischen Union folgen würde. Die anhaltende und sich vertiefende soziale und politische Krise der Europäischen Union, die nicht nur ihre deutsch-französische Führung, sondern auch ihr Überleben als solches in Frage stellt, hat dies bestätigt. Gleiches gilt auch für die regionalen Rezessionen, wie sie Lateinamerika und Südafrika, unter anderem aufgrund der nachlassenden Wachstumsraten Chinas, heimgesucht haben.

Neben diesen wirtschaftlichen Folgen erklärte die Liga, dass diese Krisenperiode die politischen Parteien und Gewerkschaftsorganisationen der ArbeiterInnenklasse auf den Prüfstand stellen würde. Ein Jahrzehnt später müssen wir nun feststellen, dass sie diese Prüfung nicht bestanden haben. Im Großen und Ganzen waren ihre FührerInnen nicht bereit, die kapitalistischen Wurzeln dieser tiefen sozialen Krise zu erkennen und daher nicht in der Lage, wirksamen Widerstand gegen ihre Folgen zu leisten, die auf dem Rücken der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten abgeladen wurden.

Die Krisenperiode schrie nach radikalen, ja revolutionären Kampfmethoden: nach politischem Massenstreik, ArbeiterInnenkontrolle, Aktionskomitees und -räten, Enteignung und Sozialisierung der Produktion. Radikale Jugendliche und ArbeiterInnen der Basis reagierten so gut sie konnten mit heroischen, aber isolierten Kämpfen. Die Gewerkschaftsbürokratie hielt sich zurück und ließ diese Kämpfe an Erschöpfung und mangelnder Solidarität scheitern. Die Kernaussage dieser Ohnmacht der alten Massenorganisationen und auch der neuen, improvisierten Bewegungen war, dass ein alternatives politisches Programm auf der Grundlage der sozialistischen Transformation der Gesellschaft nötig ist oder wenigsten eine wirksame Strategie zur Lösung der Krise auf Kosten der herrschenden und ausbeutenden Klasse.

Dennoch sind diese Niederlagen und der Aufstieg der Rechten noch lange nicht das „Ende der Geschichte“. Wie in der Zeit der neoliberalen Globalisierung wird das gegenwärtige Kräftegleichgewicht durch seine inneren Widersprüche zusammenbrechen. Aufgrund des von ihnen hervorgerufenen Konkurrenzkampfes üben Handelskriege, Kalte Kriege, der Rüstungswettlauf sowie tatsächliche Kriege enormen Druck auf die ArbeiterInnenklasse und die Mittelschichten aus. Im kapitalistischen Konkurrenzkampf zwingen die Bosse ihre Belegschaften dazu, für den verschärften Wettbewerb zu bezahlen und erreichte wirtschaftliche und soziale Errungenschaften, Reallöhne und Arbeitsplätze zu opfern.

Hartnäckig niedrige Profitraten treiben die KapitalistInnen dazu, den Ersatz lebendiger Arbeitskräfte durch „Maschinen“, durch Digitalisierung, Robotisierung und künstliche Intelligenz zu beschleunigen. Anstatt ihr Potenzial zur Verkürzung der Arbeitszeiten und zur Befreiung der Menschen von anstrengenden und gefährlichen Formen der Arbeit zu nutzen, bedrohen diese technologischen Fortschritte die Existenzgrundlagen von Millionen „KopfarbeiterInnen“ und hochqualifizierten TechnikerInnen, genau wie frühere Fortschritte diejenigen der ProduktionsarbeiterInnen bedroht hatten.

Die Globalisierung und die Krise haben die ArbeiterInnenklasse verändert: ihre räumliche Verteilung, die Art der Branchen, in denen sie arbeitet, die Technologien und Kulturen, von denen sie geprägt ist. Sie haben aber auch zu ihrem absoluten Wachstum geführt. All dies spricht dafür, dass eine neue Ära des Klassenkampfes bevorsteht. Zweifellos wird es nicht nur radikal neue Formen des Kampfes geben, sondern auch die Wiederentdeckung derjenigen, die in der Vergangenheit notwendig waren. Was diese Kämpfe jedoch vor allem zeigen werden, ist, dass eine Strategie zur Machteroberung der ArbeiterInnenklasse notwendig ist und jede Strategie braucht StrategInnen, die sich in Parteien organisieren.

Darüber hinaus bedeutet die zunehmende Internationalisierung von Produktion, Finanzwesen und Handel, dass die neue Periode der imperialistischen und kapitalistischen Rivalitäten revolutionäre Situationen schaffen wird, die ganze Kontinente, ja die ganze Welt erfassen können. Niemals zuvor hat die ArbeiterInnenklasse ihren ureigenen Internationalismus mehr gebraucht als heute. Er ist notwendig, nicht nur um der Ausbreitung des nationalen Chauvinismus entgegenzuwirken, sondern auch um unsere Kräfte über Grenzen und Ozeane hinweg zu vereinen. Eine solche Entwicklung erfordert wieder eine internationale Führung, die über die nationale Engstirnigkeit hinausgeht, die die Lehren aus den vergangenen Niederlagen, aber auch den Siegen ziehen kann und diese dann auch verbreiten.

Kurz gesagt, die Ereignisse des kommenden Jahrzehnts werden einmal mehr die Wahrheit von Trotzkis Beobachtung am Vorabend des Zweiten Weltkriegs bestätigen, dass „die historische Krise der Menschheit auf die Krise der revolutionären Führung zurückgeht“. Um diese Krise zu lösen, ist jede revolutionäre Gruppierung verpflichtet, ihren politischen Ausweis, also ihr Programm für die kommenden Kämpfe zur Überprüfung durch die militanten KämpferInnen vorzulegen. Dazu gehören auch die Taktiken, die notwendig sind, um revolutionäre Parteien in jedem Land wiederaufzubauen und sie zu einer neuen Internationalen, der Fünften, zu vereinen, die auf den Errungenschaften ihrer Vorgängerinnen aufbaut.

Eine anhaltende Krisenperiode

Das zaghafte Wachstums des Bruttoinlandsprodukts der Obama-Jahre erhielt 2017 durch Trumps Steuergeschenke einen gewissen Schub, was zu einem Boom an der Wall Street und steigenden VerbraucherInnenausgaben führte. Aber ein Großteil des Wachstums seit dem Finanzcrash von 2008 war auf einer Kombination aus Quantitative Easing (QE), der Politik der gelockerten Geldvergabe, und niedrigen Zinsen begründet. Die US-amerikanische Bundesbank Fed war sehr vorsichtig mit Zinserhöhungen, da schon eine Erhöhung des Leitzinses um 0,25 Prozent zu einem abgeschwächten Wachstums geführt hatte. Die gegenwärtige Rate liegt auf dem Niveau von 2,8%, auf das es langsam von den 0,25 Prozent des Jahres 2008 angehoben worden ist. Das ist nur die Hälfte des durchschnittlichen Zinssatzes seit 1971 und wird der Fed wenig Spielraum in der nächsten Krise lassen.

Sowohl kapitalistische als auch marxistische ÖkonomInnen prognostizieren den nächsten großen Abschwung der Weltwirtschaft für 2020. Dies geschieht nach einem Jahrzehnt, das von einer schweren Rezession geprägt war, gefolgt von einer langen Phase der Stagnation, unterbrochen von regionalen Krisen und einer fieberhaften Erholung auf der Grundlage von Krediten. Dies war verbunden mit einer stark zunehmenden Ungleichheit und einer Stagnation, wenn nicht sogar einem Rückgang der Reallöhne. Eine scharfe Wende im Handelskrieg zwischen den USA und China, eine durch den Brexit ausgelöste schwere Krise der EU oder anhaltende rezessive Ereignisse in den „Schwellenländern“ Brasilien, Argentinien, Südafrika, der Türkei usw. könnten einen weiteren schweren Crash auslösen. Kein Wunder also, dass die wirtschaftliche Erholung keine politischen Bedingungen geschaffen hat, die den derzeitigen Regierungen zugutekommen.

Die Verschuldung dürfte wieder einmal im Zentrum der kommenden Probleme stehen. Außerordentlich reichlicher und billiger Kredit war das Ergebnis der Art und Weise, wie die Zentralbanken die Große Rezession milderten, d.h. durch Quantitative Easing. Die US-Notenbank kaufte giftige Anlagepapiere in drei Wellen auf, bis in das Jahr 2017 hinein, was auch als „ Umverteilung von unten nach oben“ bezeichnet  worden ist (Reason Foundation, eine linksliberale US-Denkfabrik). Infolgedessen sind die US-VerbraucherInnen mit jeweils mehr als einer Billion Dollar in jedem der folgenden Bereiche verschuldet: Hypothekenkredite, studentischen Darlehen und Kreditkartenschulden. Die Verschuldung der Unternehmen ist zweieinhalb Mal so hoch wie 2008, ein Großteil der Firmen ist als „Subprime“ eingestuft, d.h. gefährlich überbewertet. Der in Dallas lebende Ökonom John Mauldin schätzt, dass sich die Schulden, die ungedeckten Pensionszusagen und die anderen Verbindlichkeiten auf dieser Welt auf fast „eine halbe Billiarde Dollar“ oder 500 Billionen Dollar summieren, was er als „nicht aufrechtzuerhalten“ bewertet.

Die negativen Langzeitauswirkungen des Crashs 2008 haben politische Reaktionen sowohl  der Rechten als auch der Linken gezeitigt. Der anhaltende Rechtsruck im politischen Kräfteverhältnis der letzten Jahren ist das Ergebnis des Scheiterns verschiedener Widerstandsbewegungen, unter anderem des Arabischen Frühlings, der lateinamerikanischen „Rosa Flut“ sowie der griechischen und anderer europäischer Anti-Austeritäts-Bewegungen. Er gipfelte in den Wahlerfolgen verschiedener rechter Persönlichkeiten auf der ganzen Welt. Zum Teil ist er auf Verrat der Führungen und auf strategische Fehler und Niederlagen der Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse und ihrer Verbündeten zurückzuführen. Jetzt kann es keinen Zweifel mehr daran geben, dass die ArbeiterInnenbewegung, mit wenigen Ausnahmen, in der Defensive ist.

Rechtsgerichtete Regierungen und PräsidentInnen, allen voran Donald Trump, nutzen den bürgerlichen Staat, um Wohlfahrts-, Gesundheits- und Bildungssysteme zu zerschlagen und Dauerarbeitsplätze mit gewerkschaftlich ausgehandelten Löhnen durch unsichere Arbeit auf Basis von Armutseinkommen zu ersetzen. Einige, wie Bolsonaro, setzten sich offen das Ziel neoliberaler „Reformen“, d.h. den Abbau der Wohlfahrtsleistungen sozialdemokratischer Regierungen und sogar die Zerschlagung der ArbeiterInnen- und Volksbewegungen, die sich für sie eingesetzt haben. Solche Regierungen zielen darauf ab, demokratische Freiheiten und Gewerkschafts-/Arbeitsrechte zu zerstören, die in den letzten Jahrzehnten und sogar Jahrhunderten erreicht worden sind.

In vielen Ländern beobachten wir auch den Aufstieg reaktionärer populistischer Straßenbewegungen, die auch an der Wahlurne Massenunterstützung gewinnen können, indem sie rassistische Demagogie benutzen und ArbeitsmigrantInnen, nationale und religiöse Minderheiten und Menschen, die vor Krieg und Armut flüchten, angreifen. Viele dieser Bewegungen zeigen zunehmend proto-faschistische Tendenzen einschließlich einschüchternder Straßenmobilisierungen und offenen Drohungen gegen die organisierte ArbeiterInnenbewegung. Wenn der ArbeiterInnen- und Volkswiderstand nicht wächst und effektiver wird, wird die nächste Wirtschaftskrise diese Trends verstärken. Deshalb müssen wir die Krise der Führung der ArbeiterInnenklasse lösen.

Konflikte zwischen imperialistischen Staaten

Die Maßnahmen der herrschenden Klassen zur Verteidigung ihres eigenen Reichtums und Status’ gehen in zwei Richtungen. Wie schon immer bestehen sie aus einer Reihe von Angriffen auf den Lebensstandard und die Lebensbedingungen der ArbeiterInnenklasse und der ländlichen und städtischen Armen. Heute, wo sie die multilateralen Wirtschaftsvereinbarungen ignorieren oder verworfen haben, haben sie jedoch auch begonnen, sich gegenseitig die Kosten der Krise aufzuzwingen. Der Gipfel dieser Strategie stellt Trumps „Make America Great Again“ dar, seine Drohungen mit Handelskonflikten und Aufrüstung an die Adresse von China, Russland und indirekt auch der Europäischen Union. Trump hat die USA aus dem Streitschlichtungsorgan der Welthandelsorganisation WTO abgezogen und gedroht, diese ganz zu verlassen.

Insbesondere für China bedeutet weiteres Wachstum zwangsläufig die Dominanz der Vereinigten Staaten in immer mehr Regionen der Welt in Frage stellen. Dies verkörpert das Ziel von Xi Jinping, sein Land zu einer globalen Supermacht zu machen. Bei Auslandsinvestitionen in Süd- und Ostasien, in Lateinamerika und Afrika ist China bereits global aufgestellt. Im Jahr 2009 hat China die Vereinigten Staaten als Afrikas größter Handelspartner überholt, seine Unternehmen verdienen 180 Milliarden Dollar pro Jahr. Wer glaubt, dass Chinas einfach nur Entwicklungshilfe leisten wolle, sollte beachten, dass seine Zinssätze tatsächlich höher sind als die der Bretton-Woods-Institutionen (Weltbank, IWF usw.) und dass Sri Lanka, als es mit seinen Kreditzahlungen in Verzug geriet, um eine riesige neue Hafenanlage in Hambantota zu bauen, verpflichtet wurde, diese für 99 Jahre an China zu vermieten – so wie Großbritannien Hongkong für 99 Jahre gepachtet hatte, was China sein „Jahrhundert der Demütigung“ nennt.

China baut auch seine Marine und seine Landstreitkräfte aus, um sein Besitz zu schützen, wenn es auch noch viele Jahre dauern wird, bis es mit den US-Flotten mithalten kann. Die informelle Allianz mit Russland hat dazu geführt, dass chinesische Kriegsschiffe bei Marinemanövern auftauchen, nicht nur im Nordpazifik, sondern auch im Mittelmeer und sogar in der Ostsee. Pekings Strategie besteht darin, lokale „starke FührerInnen“ zu fördern, die ihre Pläne befürworten wie die berühmte „neue Seidenstraße“-Initiative (OBOR, One Belt One Road: eine Zone, eine Straße), die Donald Trump so angeprangert hat. Dies deutet darauf hin, dass die OBOR in den kommenden Jahrzehnten zu einer Verwerfungslinie wird, entlang der es zu politischen Erdbeben und Eruptionen kommen kann.

Für die ArbeiterInnenklasse und ihre Verbündeten stellen keine der imperialistischen Mächte – weder die alten noch die neuen noch deren Bündnisse – historisch fortschrittliche Kräfte, ja nicht mal „kleinere Übel“ dar. SozialistInnen dürfen sich weder auf die Seite der einen noch der anderen stellen, egal ob „kritisch“ oder nicht. Natürlich ist es eine andere Sache, die Konflikte und Rivalitäten der imperialistischen Mächte untereinander taktisch zu nutzen. Wo immer Bewegungen gegen Repression und die Verweigerung demokratischer Rechte entstehen, sei es in den imperialistischen Ländern selbst oder in von ihnen abhängigen „Klientel“-Staaten, werden andere imperialistische Länder versuchen, sich mit diesen Bewegungen zu verbinden und diese für ihre eigenen Zwecke auszunutzen. SozialistInnen können und müssen sich mit demokratischen und revolutionären Kräften solidarisieren, die gegen innenpolitische Repression, militärische Intervention oder wirtschaftliche Blockade kämpfen. Während wir einerseits solchen demokratischen Bewegungen das Recht zugestehen, sich finanzielle und militärische Mittel aus jeder möglichen Quelle zu beschaffen, warnen wir anderseits in jedem Fall vor der Illusion, dass die imperialistischen FeindInnen ihrer einheimischen FeindInnen ihre FreundInnen seien. Wir müssen nachdrücklich davor warnen, sich diesen falschen FreundInnen unterzuordnen und sich von ihnen instrumentalisieren zu lassen.

Kalte Kriege werden heißer

Die momentan ruhigen Konflikte zwischen den USA, der Europäischen Union und Russland drohen in dem Moment auszubrechen, in dem die jeweiligen ProtagonistInnen in innenpolitische Schwierigkeiten geraten. Die von Obama nach der russischen Besetzung der Krim 2014 eingeleitete Europäische Rückversicherungs-/Abschreckungsinitiative kostet im Haushaltsjahr 2018 10 Milliarden Dollar. Trotz aller feindseligen Äußerungen Trumps, die die EU-Länder verängstigen und zu höheren Militärausgaben treiben sollen, bleibt das militärische Bekenntnis der USA zur NATO mit fast 64.000 in Europa stationierten US-SoldatInnen nach wie vor stark. Trump hält auch an dem von der Obama-Administration begonnenen eine Billion Dollar teurem nuklearen Modernisierungsprogramm fest.

Die imperialistischen Mächte haben direkt oder indirekt in zwei Bürgerkriege in der Ukraine und in Syrien eingegriffen und sie blutiger und zerstörerischer gemacht. In der Ukraine förderten die USA eine ihrer „Farben-Revolutionen“, die darauf abzielte, die Reichweite der Nato weit in die Nachbarschaft Russlands auszudehnen. Die „Maidan-Revolution“ von 2014 war eine von reaktionären und rechten Kräften geführte Massenbewegung, die in einem, von faschistischen Milizen angeführten, Staatsstreich mündete, unterstützt durch das Pogrom von Odessa und dem Angriff auf die russischsprachigen Regionen im Osten. Dies hatte Putins Annexion der Krim zur Folge und führte zu 10.000 Toten und 1,7 Millionen Flüchtlingen. Die Rolle Russlands im anschließenden Bürgerkrieg zwischen Kiew und der Ostukraine war jedoch durch und durch reaktionär, da sie zur effektiven Ausschaltung der unabhängigen antifaschistischen und sozialistischen Kräfte führte, analog zur Vernichtung der revolutionär-demokratischen Kräfte in Syrien. Diejenigen Linken, die dem imperialistischen Russland nicht entgegentreten, können keine wirksame Anti-Kriegsbewegung führen.

Das Ergebnis ist, dass die gesamte Ukraine jetzt schrecklich verarmt und gespalten ist, von einem nationalistischem Antagonismus geplagt wird, von Faschisten verseucht ist und von korrupten OligarchInnen ausgebeutet wird. Gegen Russland hat der Westen Sanktionen verhängt und ein neuer Kalter Krieg brach aus, der Putins Ansehen als starker Führer, der sein Land gegen die Aggression der USA und der EU verteidigt, vorübergehend erhöht hat.

Syrien ist das Land, wo sich die neu entflammte Rivalität zwischen den imperialistischen Mächten am zerstörerischsten ausgewirkt hat. Putin unterstützte die bösartige Konterrevolution, die Baschar al-Assad gegen den syrischen Frühling und die demokratischen RevolutionärInnen des Landes entfesselte. Der Intervention Russlands bzw. der iranischen/Hisbollah-Truppen gelang es, das Blatt mit der Luftwaffe der ersten und den disziplinierten brutalen KämpferInnen der letzteren zu wenden. Das Eingreifen der USA unter Obama und Trump verdand humanitäre Heuchelei mit sehr begrenzter logistischer Hilfe, die sorgfältig dosiert wurde, um nicht offen mit der russischen Hegemonie in Syrien zusammenzustoßen.

Das Ergebnis ist so barbarisch wie das der US-Invasion im Irak nach 2003, bis heute hunderttausende Tote; fünf Millionen SyrerInnen sind aus ihrem Land geflüchtet und sechs Millionen wurden innerhalb der Landesgrenzen aus ihren Häusern vertrieben – die Hälfte der Vorkriegsbevölkerung des Landes – und mehrere Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe abhängig. Viele derjenigen, die in Europa Zuflucht suchten, wurden schließlich von den EU-Staaten zu Wasser und auf dem Landweg ausgesperrt.

Die Verantwortung für diese Barbarei liegt nicht nur bei den ImperialistInnen, sondern auch bei den rivalisierenden Regionalmächten, die sich an diesem Krieg beteiligen: Katar, Saudi-Arabien, Türkei, Iran und in geringerem Maße Israel. Sie unterstützten die verschiedenen Seiten und trugen zum blutigen Chaos   bei. In Verbindung mit dem anhaltenden Chaos im Irak ermöglichte dies die Ausweitung des Islamischen Staates (IS) und das ungeheuerliche Ausmaß seines „Kalifats“. Dies war der Vorwand für ein US-amerikanisches Engagement im Bündnis mit den Rojava-KurdInnen, aber auch die de facto Duldung von Assad als geringerem Übel. Das provozierte wiederum Erdoğans Eingreifen, um seinen Krieg gegen die KurdInnen zu führen. Nicht zuletzt trug der Dschihad-Terrorismus sowohl zur Erhöhung der Zahl der Asylsuchenden in Europa als auch durch terroristische Anschläge zur rassistischen Feindseligkeit bei, mit der viele dieser unschuldigen Opfer nun konfrontiert sind.

Ein weiteres reaktionäres Nebenprodukt ist die Völkermord-Intervention Saudi-Arabiens in den Jemen und die dortige Version einer Revolution, die zum Bürgerkrieg wurde. Obwohl regionale Mächte und dschihadistische TerroristInnen die unmittelbaren VerursacherInnen all dieser Zerstörung und des Terrors waren, sind es die imperialistischen Mächte, Russland, die USA und deren Verbündete Großbritannien und Frankreich, die die größte Verantwortung für die Barbarei, der die Region ausgesetzt wurde, tragen. Nicht zu vergessen sind die von Saudi-Arabien und dem Westen unterstützte Konterrevolution von Abdel Fatah El-Sisi in Ägypten und Trumps Zusammenspiel mit den Saudis bei der Vorbereitung eines Angriffs gegen den Iran und die PalästinenserInnen. Im Jemen leiden 14 Millionen ZivilistInnen Hunger und nach Angaben der Organisation Save the Children dürften zwischen April 2015 und Oktober 2018 bereits 84.700 Kinder gestorben sein.

Tragischerweise versagte die Linke in Westeuropa und den USA vollkommen dabei ernstzunehmende starke Solidarität mit den angegriffenen demokratischen RevolutionärInnen in Ägypten, Syrien und dem Jemen mobilisieren oder die imperialistischen Mächte und ihre eigentlichen Beweggründe an den Pranger stellen. Der Glaube, dass „Imperialismus“ mit den USA gleichzusetzen ist, dem einige Linke anhängen, insbesondere diejenigen mit stalinistischem Hintergrund, führte dazu den russischen und chinesischen Imperialismus nicht zu verurteilen und anzugreifen. Die Verwirrung, die sich in dem internationalen Kontext sowohl um Syrien als auch um die Ukraine ergab, führte zu wenig internationale Solidarität mit den fortschrittlichen Kräften in beiden Ländern und organisierte auch generell keine internationale Opposition gegen den „Krieg gegen den Terrorismus“ oder koordinierte ArbeiterInnensolidarität mit den Opfern der „Flüchtlingskrise“ in Europa.

Der Nahe Osten ist weiterhin das explosivste Pulverfass der Welt. Die Versuche Trumps, des saudischen Kronprinzen, Israels und des ägyptischen Diktators, ein Bündnis gegen den Iran und seine Verbündeten zu schmieden, haben andere Staaten in der Region dagegen aufgebracht und drohen, einen Flächenbrand in der gesamten Region zu entfachen. Allerdings könnte in den kommenden Jahrzehnten Ost- und Südasien als dem Schauplatz der Rivalität zwischen den USA und China zur Arena einer noch größeren und tödlicheren Auseinandersetzung werden. Im pazifischen Raum führt die Siebte Flotte der US-Marine jährlich rund 160 bilaterale und multilaterale Übungen durch, beispielsweise die jährliche Malabar-Übung mit Indien und Japan mit Flugzeugträgern aus allen drei Ländern. Im Südchinesischen Meer provozieren die Navigationsfreiheitsoperationen (FONOPs) die von China beanspruchten Gebiete.

Die „Dritte Welt“

Trotz aller seiner Übel bewirkt die fortgesetzte Herrschaft des Kapitalismus auch soziale Veränderungen und teilweise sogar Entwicklung. Immerhin wurde in China die größte ArbeiterInnenklasse geschaffen, die die Welt je gesehen hat. Obwohl ihr immer noch das Recht auf unabhängige Organisierung verweigert wird, hat diese Klasse bereits gezeigt, dass sie sowohl den KapitalistInnen als auch dem Staat große Zugeständnisse abringen kann, durch Kämpfe für sicherere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und für soziale Rechte in den Megastädten, in denen sie arbeitet.

Nicht weniger bedeutend gewesen ist die Einbeziehung von Millionen von Frauen, in der Regel jungen, in die moderne Industrieproduktion in Ländern auf der ganzen Welt. Sie müssen oft unter fast sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten und haben dennoch mutige Kämpfe sowohl gegen die wirtschaftliche Ausbeutung als auch gegen ihre eigene soziale Unterdrückung geführt und sind eine dynamische und lebendige Kraft in die Reihen der ArbeiterInnenklasse der Welt.

Der krisenhafte Charakter des modernen Kapitalismus spiegelt sich auch in den plötzlichen Ausbrüchen von sozialer Krise und Revolution wider, die auch Regimes treffen, die seit langem für ihre repressive Stabilität bekannt sind. Mehr als jede andere Bewegung drückte der Arabische Frühling nicht nur die Sehnsucht nach Demokratie und Menschenrechten aus, sondern auch den notwendigerweise internationalen Charakter jeder ernsthaften revolutionären Bewegung.

Innerhalb kurzer Zeit zeigte sich jedoch auch hier die entscheidende Rolle der Führung. Da es keine etablierte und organisierte ArbeiterInnenpartei gab, mit einer verbindlichen Strategie die Macht der Polizei und des Militärs zu brechen und diese durch die ihre eigenen Klassen-Organisationen, also durch die Macht von Gewerkschaften, Parteien, Milizen und ArbeiterInnenräte zu ersetzen, übertrug die Massenbewegung in Ägypten, die eine Schlüsselrolle spielte, die Führung der Bewegung an klerikale Kräfte, die später durch einen bonapartistischen Militärputsch unter El-Sisi blutig zerschlagen wurden. Die daraus resultierende Diktatur ist sogar noch repressiver als die Mubaraks.

In einer von wirtschaftlicher Unsicherheit und zunehmender nationalistischer Rivalität geprägten Welt wird ein Schock in einem Land schnell auf andere Länder übertragen. Der Arabische Frühling inspirierte Massenbewegungen, oft von Jugendlichen angeführt, rund um den Globus und führten zur Besetzung  sogar der Wall Street und öffentlichen Plätzen in vielen Ländern. Aber auch diese waren nicht in der Lage, geraden Kurs zu halten, da sie der Aufstandspolizei mit nichts Handfesteres entgegen zu setzen hatten als die Überzeugung, für die Rechte der „99 Prozent“ einzustehen.

In anderen Teilen Nordafrikas und des Nahen Ostens führte die Instabilität zu Interventionen sowohl von globalen als auch von regionalen Mächten. Dies wiederum verbreitete die Instabilität noch weiter und führte nicht nur zur zunehmenden Konfrontation zwischen den USA und Russland, sondern auch zur „Flüchtlingskrise“ innerhalb der Europäischen Union, an deren Grenzen Millionen verzweifelter Geflüchteter standen.

Diese Krise hat die Ausbreitung rassistischer populistischer Erfolge bei Wahlen (Aufstieg der AfD in Deutschland, Brexit-Referendum) und auf den Straßen (Pegida, Tommy Robinson-Marsch in Großbritannien) massiv beschleunigt. Der Aufstieg der Rechten und der extremen Rechten und die Aktionen der rechten Regierungen in Polen, Ungarn und sogar Italien drohen die Europäische Union zu zersetzen, wobei letztere sicherlich auch die Idee eines föderalen europäischen Superstaates prüfen wird, der in der Lage ist, sich der Konkurrenz Chinas und den USA zu stellen.

Donald Trump repräsentiert eindeutig die US-Version des Aufstiegs der populistischen Rechten, während der des hinduistischen Nationalismus und der Wahlsieg Narendra Modis in Indien 2019 deutlich machen, dass Nationalismus sich nicht auf die etablierten „Metropolen“ beschränkt. Myanmars Völkermord an den Rohingyas und die Verfolgung der UigurInnen in China sind Beispiele dafür, wie lange etablierte Diktaturen sich in eine noch totalitärere Richtung bewegen und mit „demokratischen“ HeuchlerInnen wie Aung San Suu Kyi im Schlepptau. Der atemberaubende Triumph des halbfaschistischen Jair Bolsonaro, während Lula im Gefängnis verrottete, bestätigt das Ausmaß der Rechtsverschiebung in den letzten Jahren. Bemerkenswert ist auch die Rolle der Religion in diesen reaktionären Bewegungen (nicht nur die verschiedene Islamismen, sondern auch evangelikale ChristInnen in Nord- und Südamerika sowie hinduistische und buddhistische Chauvinismen in Südasien usw.). Diese sind Beete zur Aufzucht neuer faschistischer Ideologien und Massenbewegungen.

Die Krise der Europäischen Union

Die Europäische Union mit 513 Millionen Menschen, einem gemeinsamer Binnenmarkt und mit freiem Personen-, Kapital- und Warenverkehr macht 24,6 Prozent des Welt-BIP aus. Die Produktivkräfte des europäischen Kapitalismus sind längst über die Staatsgrenzen in Europa hinausgewachsen und schaffen Produktionsketten, in denen Komponenten mehrere Grenzen überschreiten, bevor sie die VerbraucherInnen erreichen. Just-in-time-Produktion ist der dramatische Ausdruck dafür. MarxistInnen haben immer die Idee abgelehnt, dass die Auflösung großer Einheiten ein Weg wäre deren Macht und Dominanz einzuschränken. Vielmehr sind wir dafür, sie so zu transformieren, zu vergesellschaften und zu planen, dass die Menschheit vorankommt. Der Sozialismus erfordert eine kontinentale (und schließlich globale) Dimension der integrierten Produktion. Die Perspektive des „Sozialismus in einem Land“ ist heute noch reaktionärer als damals, als Stalin dieses Dogma verkündete.

Die Produktivkräfte in 28 verschiedene Nationalstaaten einzusperren, die Grenzkontrollen und Zollschranken wieder einzuführen, den wirtschaftlichen und kulturellen Austauschs einzuschränken, die zwischenstaatlicher Rivalitäten anzuheizen, die Arbeiterklassen dieser Staaten im Namen einer fiktiven nationalen Unabhängigkeit weiter zu spalten – all das kann nur den wirtschaftlichen Zusammenbruch fördern und den Trend zu einem neuen Wettrüsten und letztlich zu einem dritten imperialistischen Weltkrieg verstärken.

Die Krise, die die EU seit 2008 heimsucht, zeigt, dass die kapitalistischen Klassen Europas nicht in der Lage sind, die historisch fortschrittliche Aufgabe der Vereinigung des Kontinents zu erfüllen. Die dominanten Mächte des Kontinents, insbesondere das wiedervereinigte Deutschland, haben sich als unfähig erwiesen, ihren nationalen kapitalistischen Egoismus zu überwinden. Wie das Schicksal Griechenlands und in geringerem Maße Portugals, Spaniens, Italiens und Irlands zeigt, hat das imperialistische Zentrum über den Euro die Peripherie niederkonkurriert und in Schuldknechtschaft geworfen. Wenn diese Dominanz nicht überwunden wird, wird sie unweigerlich zu einer Revolte und einem Zerfall der Union führen.

Die Vereinigung Europas ist eine Aufgabe, die schon vor einem Jahrhundert notwendig gewesen wäre  – wie die KommunistInnen schon damals richtig erkannt hatten – bevor das Blutbad der beiden Weltkriege Millionen europäischer ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen, Angehörige unterdrückter Nationen und „Rassen“ vernichtete. Diese Aufgabe fällt heute der ArbeiterInnenklasse zu. Das Mittel, mit dem sie erreichen werden kann, ist die europaweite Revolution.

Diese Revolution ist steht auf der Tagesordnung, weil sie objektiv notwendig ist, um die Zerstörung von Mensch und Material durch Krise und Krieg zu vermeiden, und weil sie von den ArbeiterInnen Europas ausgehend von den heutigen Kämpfen gegen Austerität, Privatisierung, Ungleichheit, Rassismus und Umweltzerstörung realisiert werden kann.

RevolutionärInnen können die Europäische Union, wie sie ist, mit ihren Institutionen wie der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank mit ihrem Euro und den ihnen zugrunde liegenden Regeln, die dafür sorgen, dass die südeuropäischen Staaten streng gemaßregelt werden, nicht einmal eine Minute lang und auch nicht „kritisch“ unterstützen. Ebenso wenig können wir ihre militärische und diplomatische Hilfe für das von den USA betriebene Abenteuer in der Ukraine, ihre Kriege im Nahen Osten, ihre rassistische Politik der Festung Europa gegen Einwanderung unterstützen. Die EU braucht mehr als Reformen, sie braucht eine Revolution.

Die Hindernisse, die einer solchen Perspektive im Wege stehen, sind keine objektiven. Sie liegen in der Spaltung der europäischen ArbeiterInnenklasse, ihrer bürokratischen und bürgerlichen Gewerkschafts- und Parlamentsparteienführungen. Aber auch schon eine europaweite Widerstandsbewegung gegen die Austerität, gegen die Zerstörung des Wohlfahrtsstaates und der Gewerkschaftsrechte, die Opposition gegen den imperialistischen Kriegszug erfordert politische Koordinierung und so bald wie möglich die Gründung einer neuen internationalen Partei der ArbeiterInnenklasse, einer Fünften Internationale.

Nur in diesem Zusammenhang kann verstanden werden, wie rassistisch, nationalistisch und reaktionär der Brexit ist. Große Teile der britischen Linken, die „Lexiteers“ der Kommunistischen Partei Großbritanniens, Corbyn’s Labour-Führung, die SWP und die Sozialistische Partei (CWI) sind von der Idee besessen, die große Mehrheit der Mitglieder der Labour Party und der Gewerkschaften, die weiterhin für die Integration mit Europa eintreten, zu übergehen, um die rückständigeren Schichten der Klasse anzusprechen. Dies ist kein zufälliger Wahrnehmungsfehler, sondern ein Ausdruck ihrer strategischen Schwäche, sei es der Theorie des „Sozialismus in einem Land“ oder (in Wirklichkeit der wahrscheinlichere Grund) ihre sozialdemokratische Politik der kleinen Schritte.

Daher ist unser Slogan nicht der Austritt aus der EU und die Rückkehr zu „unabhängigen“ (kapitalistischen) Nationalstaaten, sondern der Weg zu einem vereinten sozialistischen Europa, einer Föderation von ArbeiterInnenstaaten, hervorgegangen aus der europaweiten sozialen Revolution. Das bedeutet nicht, dass wir zögern, gegen die Politik der EU oder der Eurozone in einzelnen Staaten zu kämpfen wie z. B. gegen das Sparprogramm der Troika gegenüber Griechenland oder sie daran zu hindern, Industrien, Infrastrukturen oder Dienstleistungen zu privatisieren oder ihre Verstaatlichung zu blockieren. Wir kämpfen für sofortige demokratische Änderungen oder Übergangslosungen in der EU (z. B. europaweiter Verzicht auf Sparprogramme, demokratische Kontrolle und ArbeiterInnenkontrolle über die EZB und die nationalen Bankensysteme, Aufhebung aller auf Privatisierung abzielenden Maßnahmen in den EU-Verträgen). Aber eine Strategie mit europaweiten Aktionen, Generalstreiks usw. kann zusätzlich dazu beitragen, den Widerstand durch Solidaritätsaktionen von den nationalen Krisenherden auf die anderen Staaten auszuweiten.

Alte und neue ArbeiterInnenparteien

In der Regel führten die politischen Auswirkungen der neuen Periode dazu, die Basis etablierter Parteien und Gewerkschaften in der Bevölkerung zu untergraben und manchmal zu beseitigen und gleichzeitig die Gesellschaft sowohl nach links als auch nach rechts zu radikalisieren. Die neue Periode hatte auch Auswirkungen auf die Bewegungen, die bereits vor 2008 existierten. Dies zeigt sich besonders deutlich in Lateinamerika, wo die bolivarischen, populistischen und sozialdemokratischen Regime, die im letzten Jahrhundert ins Amt gekommen waren und in den frühen 2000er Jahren aufblühten, jetzt mit dem Rücken zur Wand stehen. Die Wirtschaftsmodelle des (reformistischen) Sozialismus des 21. Jahrhunderts, die weitgehend auf dem Export von Rohstoffen basierten, erwiesen sich als rein temporäre Vorteile, die von Chinas nicht nachhaltigen zweistelligen Wachstumsraten abhingen.

Auf der linken Seite haben wir den Aufstieg von Syriza, Podemos und des Bloco und die Bewegung gehabt, die Jeremy Corbyn zum ersten linken Führer der Labour Party in Großbritannien seit Anfang der 1930er Jahre gewählt hat. Auch in den USA verzeichneten wir das Wachstum von Black Lives Matter, Bernie Sanders’ gutes Abschneiden in den Vorwahlen 2016 der Demokraten und eine Reihe von „demokratischen sozialistischen“ KandidatInnen für die Bundesstaats- und Stadtregierungen bei den Halbzeitwahlen 2018.

In den reichen imperialistischen Ländern Europas und einigen privilegierten Ländern des Südens dienen sozialdemokratische Pateien, Labour-Parteien und kommunistische Massenparteien den KapitalistInnen seit langem als alternative Regierungsparteien, wie auch die beiden wichtigsten kommunistischen Parteien in Indien (CPI und CPI-M) auf regionaler Ebene. Die südafrikanische Kommunistische Partei innerhalb des Bündnisses des Afrikanischen Nationalkongresses hat dies seit dem Ende der Apartheid ebenfalls getan. In Brasilien hat die ArbeiterInnenpartei (PT) im neuen Jahrhundert den gleichen Weg eingeschlagen.

Was sie gemeinsam haben, ist eine privilegierte Schicht von BürokratInnen und ParlamentarierInnen, die den Kapitalismus in der Praxis als ein ewiges System betrachten und den Bossen dienen, ob in der Regierung oder in der Opposition. Sie vereiteln die Versuche ihrer ArbeiterInnenbasis, diese Parteien als effektive Kampfmittel zu nutzen. In Europa und Asien haben diese Parteien, obwohl sie für ihre Dienste einst im Gegenzug begrenzte soziale Reformen erhalten hatten, in den letzten zwanzig Jahren unter dem Diktat der KapitalistInnenklasse die neoliberale, marktfreundliche Politik übernommen. In der Zeit nach 2008 wurden aus ihren „Reformen“ stattdessen Sparprogramme, Privatisierung und Lohnsenkung. Sogar die PT tat dasselbe, als der Ölboom endete.

Mit der Wiedereinführung des Kapitalismus in den Republiken der ehemaligen Sowjetunion, in Osteuropa und in China sind auch die stalinistischen kommunistischen Parteien der Welt weit nach rechts gegangen. In West- und Mitteleuropa haben sie einen Teil des politischen Raumes eingenommen, den die neoliberale Sozialdemokratie verwaist hinterlassen hatte. Mit anderen Worten, sie haben zwar den Neoliberalismus kritisiert, aber in der Praxis, sobald sie auch nur ein bisschen Regierungsbeteiligung bekamen, haben Parteien wie Rifondazione Comunista in Italien, die Parti Communiste Français und Die Linke in Deutschland auch Sozialabbau und Privatisierungen durchgeführt.

Als prokapitalistische Regierung handelte die CPI-/ CPI-M-Regierung in Westbengalen als Vollstreckerin der Interessen des ausländischen und inländischen Kapitals gegen die DorfbewohnerInnen und Stammesvölker, deren Land es beschlagnahmen wollte. Die Repressionen gegen die DorfbewohnerInnen von Nandigram in Westbengalen wurden weltweit bekannt. Der Dank für diesen Verrat war eine erdrutschartige Niederlage im Jahr 2011 durch die Allianz Allindischer Trinamul Congress/Indischer National Congress (INC). Und im Mai 2019 ging fast ihre ganze WählerInnenbasis zur BJP über, einer Hindu-nationalistischen Partei.

Im Gegensatz dazu haben einige maoistische Parteien, insbesondere in Nepal und Indien, eine radikalere Rolle gespielt. Die Kommunistische Partei Nepals (NCP), die aus einer Fusion der CPN (Unified Marxist Leninist; Vereinigte Marxistinnen-Leninistinnen) und des CPN (Maoist Centre; Maoistisches Zentrum) 2018 entstanden ist, die beide bei den Wahlen 2017 einen überwältigenden Sieg errungen hatten, erhielt in beiden Parlamentskammern und den meisten Provinzen die absolute Mehrheit. Ihr Bekenntnis zur stalinistisch-maoistischen Strategie der „Revolution in Etappen“, die sozialistische Maßnahmen und ArbeiterInnenmacht rundweg ablehnt, lässt es aber als sicher erscheinen, dass sie auch die anderen Fehler und den Verrat ihrer Schwesterparteien anderswo wiederholen wird.

Die Kommunistische Partei Indiens (MaoistInnen) entstand als Guerilla-Truppe unter den landlosen und armen Bauern und Bäuerinnen und Adivasi (Stammesvölker; wörtlich: UreinwohnerInnen), die darum kämpften, dass ihr Land nicht von multinationalen Unternehmen oder indischen MilliardärInnen übernommen wurde. Sie verfolgen die alte maoistische Strategie, „die Städte zu umzingeln“, aber in einem Land mit einer riesigen und wachsenden ArbeiterInnenklasse sind die Grenzen der Etappen-Theorie und der Guerilla-Strategie offensichtlich, sie können keine Strategie für eine sozialistische Revolution in Indien liefern.

Die „bolivarischen sozialistischen“ Regierungen von Hugo Chávez und Evo Morales führten echte Reformen für die ArbeiterInnenklasse und die städtischen Armen durch. Die beiden Anführer, die Anfang der 2000er Jahre an die Macht kamen, nutzten kurzfristig die Rohstoffexporte, profitierten von der scheinbar unersättlichen chinesischen Nachfrage und schütteten Mittel an ihre Klientel-Netzwerke aus. Staaten wie Brasilien und Venezuela waren in der Lage, die Staatsausgaben zu erhöhen und öffentliche Arbeiten durchzuführen, die ihre FührerInnen populär machten. In den Folgejahren hielt das Wirtschaftswachstum die WählerInnen bei Laune und die gewählten FunktionärInnen im Amt.

Die radikalsten Führer der lateinamerikanischen Linken, Hugo Chávez aus Venezuela, Evo Morales aus Bolivien, Rafael Correa aus Ecuador und Luiz Inácio Lula da Silva aus Brasilien, versprachen große Veränderungen. Die ersten drei konnten dank der massiven sozialen Bewegungen und im Falle von Chávez auch wegen des gescheiterten Putsches der Geschäfts- und Militärelite an die Macht kommen, der dazu führte, dass die Massen der Chavez-AnhängerInnen die entscheidende Unterstützung der unteren Dienstgrade und der NachwuchsoffizierInnen der Streitkräfte in einer echten Volksrevolution gewinnen konnten.

Lula gewann die Präsidentschaftswahl, nachdem die ArbeiterInnenpartei (PT) durch die Mobilisierung der Bevölkerung der Favelas (Elendsviertel) regional und in Städten Regierungspositionen erobert hatte und er konnte ab 2002 sich 14 Jahre lang als Präsident halten. Die Reformen der PT wurden in den Boomjahren durch den Export von Rohstoffen, insbesondere von Öl und Soja, finanziert. Die „bolsa familia“, eine soziale Unterstützung an 12 Millionen arme Familien (50 Millionen Menschen), half, die extreme Armut in Brasilien von 9,7 auf 4,3 Prozent der Bevölkerung zu reduzieren.

Nach 2012, als die Rohstoffpreise fielen, kam das Wirtschaftswachstum zum Stillstand und Argentinien, Brasilien und Venezuela traten Mitte des Jahrzehnts in schwere Rezessionen ein. Die Wirtschaft Venezuelas wurde unter Chávez’ Nachfolger Nicolás Maduro von einer Hyperinflation geradezu verwüstet, was zu einer Flucht von fast drei Millionen Menschen aus dem Land führte und einer riesigen Zahl, die unterhalb der Armutsgrenze lebt. Maduro war gezwungen, harte Sparmaßnahmen durchzusetzen und zu schwerer Repression zu greifen, einschließlich manipulierter Wahlen und illegalen Morden. So wie Venezuela vor zehn Jahren das Ansehen des „Sozialismus“ erhöht hatte, ist Maduros Unterdrückung heute eine Waffe in den Händen der Eliten Lateinamerikas und ihrer US-HerrInnen, um ihn zu diskreditieren. Die Verschärfung der Sanktionen der USA und der EU, insbesondere gegen die staatliche Ölgesellschaft PDVSA, hat bereits zu einem Massenexodus von Menschen, zu Medikamenten- und Nahrungsmittelknappheit und Stromausfällen in Caracas geführt.

Trotz ihrer linkspopulistischen Maßnahmen haben Chávez, Morales und andere bolivarische FührerInnen nie die entscheidenden Sektoren der Großbourgeoisie oder der ausländischen KapitalistInnen enteignet. ArbeiterInnenstreiks und -besetzungen unterdrückten sie oft mit Polizei und Gerichten und verhafteten ihre AnführerInnen. Ihr Kompromiss zwischen Sozialismus und Kapitalismus war nicht nachhaltig. Soziale Reformen und Verstaatlichungen werden erst dann „sozialistisch“, wenn ein ArbeiterInnenstaat sie koordiniert und verteidigt. Nur mit ArbeiterInnenkontrolle im Betrieb und mit ArbeiterInnenmacht im Staat kann es möglich werden, die Verschwendung und das Chaos des Marktes zu beseitigen und durch eine demokratische Planung zu ersetzen.

Eine wiederauflebende Rechte, unterstützt von den USA, konnte eine massenhafte Opposition auf die Straßen Brasiliens und Venezuelas mobilisieren. Im August 2016 führte der brasilianische Kongress einen Verfassungs-Staatsstreich durch, mit dem er die Präsidentin Dilma Rousseff des Amtes enthob und die sozialen Errungenschaften der Lula-Jahre angriff, Lula inhaftieren ließ und ihm die Teilnahme an den Wahlen 2018 verweigerte. Dank dieser Schritte wurde der Rechtsextreme Jair Bolsonaro zum Präsidenten gewählt, der damit droht, die Bewegungen der ArbeiterInnen, der armen Bevölkerung und der indigenen Völker zu zerschlagen.

Im Vergleich zum „Antikapitalismus“ der ersten Jahre des Jahrhunderts und zur vom Arabischen Frühling inspirierten „Occupy“-Bewegung zeigen AktivistInnen wie die von Syriza, Podemos und der Corbyn-Bewegung oder die Sanders-AnhängerInnen und Demokratischen SozialistInnen Amerikas ein viel größeres Verständnis dafür, dass Handlungen und Antworten auf Regierungsebene nötig sind. Damit bewiesen sie in dieser Hinsicht eine größere politische Reife. Aber ihr Internationalismus ist bisher geringer entwickelt als bei den früheren Bewegungen und sie sind weniger radikal als die reformistischen Nachkriegsparteien oder die AntikapitalistInnen vor zehn Jahren. Diese Stärken und Schwächen und die Gefahren eines raschen Aufstiegs ohne ausreichende organisatorische Solidität, werden am deutlichsten am Schicksal von Syriza sichtbar.

Syriza, die durch die Abspaltung seines eigenen rechten Flügels nach links getrieben worden war, bekam Unterstützung durch die Massenmobilisierungen der griechischen ArbeiterInnenklasse, weil sie offen seine Weigerung erklärt hatte, an den Sparprogrammen der Troika mitzuwirken. Es überrascht nicht, dass Syriza angesichts seines Ursprungs als Koalition verschiedener Tendenzen kein Programm zur Bekämpfung der Auflagen der Troika entwickelt hatte. Insbesondere sah sich die Partei nicht in der Pflicht, die ad-hoc-Organisationen der Massenbewegung in demokratisch kontrollierte Organe umzuwandeln, die Maßnahmen gegen den Troika-Sparkurs ergreifen konnten.

Viele auf der Linken, angeführt von der Vierten Internationale, dem früheren Vereinigten Sekretariat, sahen in Syrizas schnellem Aufstieg eine Bestätigung ihrer Ablehnung des „leninistischen“ Modells der Partei zugunsten von „breiten“ Bündnissen, die sowohl revolutionäre als auch reformistische Strömungen umfassen. Zwar ist es richtig, sich auf solche Formationen wie Syriza zu beziehen oder sich ihnen sogar anzuschließen, wo immer sie einen Schritt einer großen Anzahl von ArbeiterInnen und Jugendlichen weg vom Liberalismus, der rechten Sozialdemokratie oder dem Populismus darstellen, aber der Verzicht auf Kritik an den grundlegenden Schwächen des Syriza-Projekts bedeutete die Abkehr von revolutionärer Politik. Ebenso trugen sogenannte RevolutionärInnen, die passiv zuschauten und Syrizas Scheitern voraussagten, nichts zur Vorbereitung der ArbeiterInnenklasse auf die bevorstehenden Schlachten bei.

Die schlagartige Kapitulation der Regierung Syrizas am 12. Juli 2015, trotz der über 60-prozentigen Unterstützung für das „Nein“ (Oxi) im Referendum, war nicht nur ein Beweis für einen Punkt der politischen Theorie – sie war der Wendepunkt im Kampf der griechischen ArbeiterInnenklasse, eine strategische Niederlage. Wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit brutaler Ehrlichkeit sagte: „Abstimmen ändert nichts“.

Die Lehren aus Lateinamerika und Westeuropa sind immer noch die von Rosa Luxemburg um die Jahrhundertwende gezogenen: Reform und Revolution sind nicht einfach nur verschiedene Wege zum gleichen Ziel, nicht nur eine Frage des Tempos des Wandels, von Geduld oder Ungeduld. Wie sie betonte, verkörpern Reform und Revolution unterschiedliche Ziele. Der Reformismus versucht, den Kapitalismus durch Gesetzgebung von oben, durch die Maschinerie des kapitalistischen Staates, vor sich selbst zu retten. Die Revolution versucht, die ArbeiterInnenklasse vor der kapitalistischen Ausbeutung zu bewahren – indem sie sich selbst befreit.

Aufbau einer revolutionären Partei

Es war Karl Marx, der zuerst erklärt hatte, dass die Befreiung der ArbeiterInnenklasse von der kapitalistischen Herrschaft ihre eigene Aufgabe sei und niemals von „RetterInnen von oben“ erreicht werden könnte und dass eine ArbeiterInnenpartei unabhängig von allen kapitalistischen Parteien oder Persönlichkeiten sein müsse. Eine solche Partei, betonte er, müsse internationalistisch sein, wie es der Kampfruf aus dem Kommunistischen Manifest und die Grundprinzipien der Ersten Internationale zum Ausdruck bringen: ArbeiterInnen aller Länder, vereinigt euch!

Sie muss die Einheit von revolutionärer Theorie und Praxis verkörpern. Ausgehend vom Verständnis der Bewegungsgesetze des Kapitalismus, des Charakters der Ausbeutung, dem unvermeidlichen Wiederauftreten wirtschaftlicher, sozialer und politischer Krisen, der Befreiung nicht nur der ArbeiterInnen, sondern aller Unterdrückten – existiert ihre Theorie, um angewendet zu werden und die Welt zu verändern. Im Gegenzug bereichert und entwickelt die Praxis einer solchen Partei ihre Theorie.

Es war der russische Revolutionär Lenin, der diese Lektionen zu einem praktischen Leitfaden für den Aufbau einer revolutionären Partei destillierte, deren Aufgabe es sein sollte, die ArbeiterInnenklasse in einem revolutionären Angriff auf den kapitalistischen Staat mit all seinen ausgefeilten Instrumenten der Unterdrückung und Täuschung zu führen. Das Modell der Partei, das Lenin entwickelt hat, kann nicht als feste Formel auf jede Situation angewendet werden. Das Aussehen einer revolutionären Partei kann und wird sich ändern und an die historischen und nationalen Bedingungen anpassen.

Es gibt jedoch grundlegende Prinzipien, die notwendig sind und das Fundament jeder wirkungsvollen revolutionären Partei bilden müssen. Diese wurden zunächst in Lenins klassischem Werk „Was tun?“ beschrieben. Dazu gehörte auch die Aussage, die bis heute sehr umstritten ist:

„Das politische Bewusstsein der Klasse kann der ArbeiterInnenklasse nur von außen, d. h. nur von außerhalb des ökonomischen Kampfes, vermittelt werden.“

Dies bestreitet weder, dass im Kapitalismus das Klassenbewusstsein seinen Ursprung im täglichen Kampf gegen die Bosse und ihren Staat hat, noch bedeutet es, dass sich die ArbeiterInnenklasse nicht selbst emanzipieren könne, dass die ArbeiterInnen von „Außenstehenden“, von einer Elite von Intellektuellen der Mittelschicht oder „BerufsrevolutionärInnen“ geführt werden müssten. Es bedeutet ganz einfach, dass sich die Kämpfe um Löhne und Arbeitsbedingungen, um ausschließlich wirtschaftliche Fragen, die von Gewerkschaften allein geführt werden, nicht spontan zu einem Kampf für den Sozialismus entwickeln, nicht automatisch ein revolutionäres sozialistisches Bewusstsein schaffen werden. Die Perspektive der Gewerkschaften ist die einer abgegrenzten Branche oder eines bestimmten Betriebs, weshalb diese Abgrenzung an einem bestimmten Punkt dazu tendiert, den Blick auf die ganze Klasse zu verstellen. Außerdem sind die ArbeiterInnen immer starken Einflüssen „von außen“ ausgesetzt: der unaufhörlichen Propaganda durch Schulen, Medien, Kirchen, Moscheen, Tempel, die alle verkünden, dass der Kapitalismus das einzig mögliche System sei.

Dieses Propagandafeuer, das darauf abzielt, die ArbeiterInnen zu spalten und ihnen die Ideen der herrschenden Klasse aufzuzwingen, kann nur durch die Ideen des Sozialismus und der Revolution bekämpft werden und diese kommen „von außerhalb“ der Sphäre des reinen und einfachen gewerkschaftlichen Kampfes, nämlich von einer politischen Partei, deren Ziel es ist, zersplitterte und sektorale Kämpfe in einen politischen Kampf zu verwandeln, der den Kapitalismus als Feind identifiziert. Diese Partei kann nicht außerhalb der Kämpfe der ArbeiterInnenklasse bleiben. Sie muss sich grundlegend von den reformistischen parlamentarischen Parteien unterscheiden, die den Kampf am Arbeitsplatz den Gewerkschaften oder besser gesagt ihren FunktionärInnen überlassen.

Eine leninistische Partei braucht Mitglieder, die die am härtesten arbeitenden AktivistInnen sind, die nicht nur in der Lage sind, zu erklären, was im gegenwärtigen Kampf notwendig ist, sondern auch, dass der Kapitalismus die Wurzel nicht nur für niedrige Löhne, Arbeitslosigkeit und Sozialabbau ist, sondern auch für Ausbeutung, Rassismus, Sexismus und Krieg. Sie müssen an den gefährlichsten Orten des Klassenkampfes zu finden sein. Sie müssen sich die Anerkennung ihrer KollegInnen als die zuverlässigsten AnführerInnen, die Vorhut des Klassenkampfes erarbeiten.

Lenins Idee ist, dass die Parteimitglieder Kader sein müssen, eine militärische Analogie, die sich auf die UnteroffizierInnen und FrontoffizierInnen einer Armee bezieht. Sie müssen professionelle RevolutionärInnen sein, also Menschen, die nicht nur ein paar freie Abende der Politik widmen, sondern diese zum Mittelpunkt ihres Lebens machen. Die große Mehrheit dieser Menschen müssen ArbeiterInnen sein, wenn sie Führung im Klassenkampf sein wollen. Eine revolutionäre Partei kann das Wachstum einer Massenbewegung der ArbeiterInnenklasse, mit der sie untrennbar verbunden ist, enorm ankurbeln. So war es bei der bolschewistischen Partei, die die „spontane“ Revolution vom Februar 1917 in die bewusste Machtergreifung durch die ArbeiterInnenräte im Oktober verwandeln konnte. Diese Schlüsselprinzipien revolutionärer Politik, des revolutionären Programms und des Internationalismus sind heute so relevant wie damals, als Lenin sie entwickelte, und es ist die brennende Aufgabe revolutionärer SozialistInnen, sie in den gewaltigen Kämpfen, denen wir heute gegenüberstehen, in die Tat umzusetzen.

Leider kamen während der großen Massenkämpfe von 2009-2015 viele junge KämpferInnen, die gesehen hatten, dass die Parteien, die sich „Sozialdemokratisch“ ,„Kommunistisch“ oder „Labour“  nennen, generell ein Hindernis für den Kampf waren, zu dem Schluss, dass politische Parteien als solche den Kampf nicht voranbringen konnten. Sie sahen in ihnen das Gegenteil zu den spontanen sozialen Bewegungen wie der Besetzung von Kairos Tahrir-Platz, New Yorks Wall Street, Madrids Puerta del Sol oder Athens Syntagma-Platz. Die Antwort, so dachten sie, sei, sich auf eine direkte Massendemokratie zu beschränken. Aber das Leben hat bewiesen, dass die Demokratie eines einzelnen Platzes und eines kurzen Moments, auch wenn sie manchmal Regierungen oder Diktatoren stürzen kann, diese nicht durch die Macht der einfachen ArbeiterInnen ersetzen kann und daher unzureichend ist. Eine solche Übertragung der tatsächlichen Macht innerhalb der Gesellschaft kann nur stattfinden, wenn eine politische Alternative zu den alten Parteien entsteht, mit der Entschlossenheit und der Fähigkeit, dies auch zu verwirklichen.

Eine revolutionäre Partei muss mit dem Reformismus der alten Linken brechen. Ihre eigenen Mitglieder müssen sie demokratisch kontrollieren. Ihre Rolle besteht nicht in erster Linie darin, Wahlen zu gewinnen, und deshalb sollte sie nicht von ihren Abgeordneten und örtlichen FührerInnen kontrolliert werden, die über die Mitgliedschaft regieren, ihre eigene Politik festlegen und die dafür über Spitzengehälter und Finanzmittel verfügen. Im Gegensatz zu den kapitalistischen Parteien darf die revolutionäre Partei keine großen Versprechungen machen und dann an der Macht das tun, was die Bosse und die Bankiers ihr vorschreiben. Ihre Hauptaufgabe ist es, die Unterstützung von Millionen Menschen zu gewinnen, indem sie diese in Kämpfen anführt. Wahlen sollten von der Partei genutzt werden, um ihr Programm für Massenaktionen bekannt zu machen, VolkstribunInnen in Räte und Versammlungen zu schicken, um die VertreterInnen der KapitalistInnen anzuprangern, aber vor allem, um „Fensterreden“ an die Massen zu richten. Ihre Aufgabe ist es nicht, mit Ideen zu spielen, die als populär gelten, aber doch nur von den Millionärsmedien diktiert werden. Wenn Parteiangehörige Mandate als Abgeordnete bzw. Ratsmitglieder gewinnen, dürfen nicht diese die Partei kontrollieren, sondern müssen umgekehrt unter Kontrolle der Partei stehen.

Eine solche revolutionäre Partei könnte heute einen enormen Einfluss innerhalb der Widerstandsbewegungen haben, indem sie für Taktiken argumentiert, die die Bewegung voranbringen, indem sie allen Ausgebeuteten und Unterdrückten eine Stimme verleiht und Rassismus, Sexismus und imperialistische Kriege sowie Ausbeutung und Armut bekämpft. Es ist die Rolle einer revolutionären Partei, sich in jede Bewegung zu stürzen, sei es für höhere Löhne oder mehr Demokratie, für Gerechtigkeit für die national, rassisch oder geschlechtsspezifisch Unterdrückten, wobei sie einerseits den Kampf für die Einheitsfront in jedem dieser Kämpfe damit kombiniert, dass sie anderseits ihre Politik und ihr Programm geduldig erklärt und die besten KämpferInnen in ihre Reihen holt. In den Gewerkschaften würde eine solche Partei die Basis organisieren, um die Führung zu übernehmen. Während die GewerkschaftsführerInnen noch darüber nachdenken, ob sie wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung von Kürzungen ergreifen sollen, würde eine revolutionäre Partei, die diesen Namen verdient, die Werktätigen darauf vorbereiten, einen Generalstreik zu koordinieren, mit oder ohne die GewerkschaftsführerInnen, und immer für eine revolutionäre Situation vorbereitet sein, in der der Kapitalismus gestürzt werden kann.

Für eine neue, Fünfte Internationale!

Der Kampf für den Aufbau einer revolutionären Partei muss von Beginn an mit dem Kampf für eine neue Internationale verbunden werden. Die Vorstellung, dass starke, national verankerte Organisationen aufgebaut werden müssten, bevor überhaupt eine Internationale möglich wäre, ist grundsätzlich falsch. Sie verkennt und verneint praktisch den internationalen Charakter des Klassenkampfes. In der Praxis muss sie zur Anpassung an den Druck nationaler Milieus – sei es nationalistischer, populistischer oder sozialchauvinistischer Kräfte führen. Die Revolution des 21. Jahrhunderts und eine erneuerte ArbeiterInnenbewegung müssen von Beginn an auf dem Grundsatz des Internationalismus aufbauen – das heißt, hier und jetzt den Aufbau einer neuen, proletarischen internationalen Kampforganisation in Angriff nehmen.

Die aktuelle Weltkrise, die großen Probleme, denen die Menschheit gegenübersteht, können nur im globalen Maßstab gelöst werden. Der Kampf gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, die Internationalisierung der Produktion, die Angriffe auf die Bewegungsfreiheit von Flüchtenden und MigrantInnen, die drohende Gefahr von Handelskriegen und heißen Kriegen zwischen rivalisierenden imperialistischen Blöcken – um nur einige Probleme zu nennen – erfordern einen grenzüberschreitenden, koordinierten gemeinsamen Kampf und revolutionäre Veränderungen im Weltmaßstab. Ein Rückzug auf nationale „Lösungen“ kann nur die Reaktion stärken, ja stellt selbst einen Ausdruck der Stärkung der Reaktion dar.

Die Antiglobalisierungsbewegung hatte am Beginn des 20. Jahrhunderts die Notwendigkeit einer neuen Masseninternationale auf die Tagesordnung gesetzt. Sie hatte Foren des Austausches entwickelt und an ihrem Höhepunkt Massenaktionen – darunter Demonstrationen von Millionen gegen den Irakkrieg – in Gang gesetzt oder koordiniert. Aber letztlich scheiterte sie aufgrund ihrer reformistischen und kleinbürgerlichen Führungen, die in den jeweiligen national verankerte Massenorganisationen – seien es Gewerkschaften oder politische Parteien – nicht für  international getroffene verpflichtende Beschlüsse kämpfen wollten.

Die große Rezession und die verheerenden Auswirkungen der Krise, die Massenbewegungen des arabischen Frühlings, die Kämpfe in Griechenland und die Platzbesetzungen setzten erneut die Notwendigkeit einer Internationale auf die Tagesordnung. Aber auch hier versagte die Linke auf globaler und kontinentaler Ebene. So versagte die europäische reformistische, aber auch die radikale und anti-kapitalistische Linke vollständig vor der Aufgabe, den Widerstand gegen die Austerität europaweit zu bündeln. Sie erwies sich als unfähig, ein europäisches Aktionsprogramm gegen Krise und Kapitalismus auch nur in Ansätzen zu entwickeln. Der Chavismus und die bolivarische Bewegung hatten hingegen trotz ihres populistischen Charakters zeitweilig den gemeinsamen Kampf in Lateinamerika und darüber hinaus proklamiert. Doch dies erwies sich Märchen.

Nach dem Beginn einer neuen, globalen Krisenperiode, nach der größten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg zog sich die reformistische ArbeiterInnenbewegung auf nationales Terrain zurück. Ihr „Internationalismus“ beschränkt sich im wesentlichen auf Sonntagsreden und Grußadressen. Dies entspricht der Stellung der ArbeiterInnenbürokratie, deren „Verhandlungsmacht“ auf Gedeih und Verderb an eine nationale KapitalistInnenklasse gebunden ist und die dabei hinter der Internationalisierung des Kapitals selbst zurückbleibt.

Aber auch die „radikale“, linksreformistische, zentristische, anarchistische oder libertäre Linke sucht heute ihr Heil in der Konzentration auf das nationale Terrain. Selbst den meisten „internationalen Organisationen“ erscheint es heute unmöglich, ihre Strömung auf ein internationales Programm, eine gemeinsame Strategie und Taktik zu gründen. Entweder sind sie national gelenkte Sekten, um die andere Sektionen wie Satelliten kreisen, oder es sind zunehmend lose Netzwerke, die sich weigern, verbindliche Beschlüsse zu fassen. Sie werfen damit sämtliche Lehren nicht nur des Scheiterns der Anti-Globalisierungsbewegung, sondern auch der Degeneration der Zweiten und Dritten Internationale über Bord.

Dies bedeutet, dass der größte Teil der globalen Linken gegenüber den spontanen Tendenzen zur Bildung internationaler Bewegungen eine politisch passive, wenn nicht gar eine bremsende Haltung einnimmt. Dabei haben sich in den letzten Jahren immer wieder internationale Kampagnen und Bewegungen entwickelt, die über nationalstaatliche Beschränkungen hinausgehen wollten und auch gingen: Die Frauenbewegung, die seit einigen Jahren ihre Aktionen gegen die globalen sexistischen Angriffe koordiniert; der Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels und die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit; die Flüchtlingsbewegungen, die sich gegen die Grenzregime der EU und anderer Blöcke wenden; Ansätze von grenzübergreifender Koordinierung von ArbeiterInnenkämpfen; Solidaritätsbewegungen gegen imperialistische Interventionen und reaktionären Putschversuche. Alle diese Mobilisierungen stellen Ansätze für internationale Abwehrkämpfe, für koordinierte Aktionen dar. Sie gehen jedoch bisher nicht über die „Vernetzung“ eigenständiger nationaler Kampagnen hinaus – erst recht entwickeln sie kein internationales Programm zur koordinierten Aktion.

Diese ist jedoch nicht die Schuld der Massen, die dabei in Bewegung gekommen sind. Es ist vor allem das Versäumnis der organisierten Linken. Viel von ihnen haben aus den Niederlagen die grundfalsche Schlussfolgerung gezogen, dass der Aufbau einer Internationale, der internationale Kampf heute nicht auf der Tagesordnung stünde, dass zuerst größere Organisationen und Bewegungen im nationalen Maßstab aufgebaut und entwickelt werden müssten. Erst auf dieser Basis wäre eine grenzüberschreitende Koordinierung von Kämpfen und Organisierung möglich und sinnvoll. Dieses platonische Verhältnis zum internationalen Klassenkampf stellt ein politisches Grundproblem unserer Periode dar – es ist selbst Ausdruck des globalen Rechtsrucks und der Stärkung des Nationalismus und diese national-beschränkte Politik verschärft das Problem.

Revolutionäre MarxistInnen, InternationalistInnen und Anti-KapitalistInnen müssen diese reaktionäre Tendenz unversöhnlich bekämpfen. Sie müssen sich aktiv den spontanen, internationalistischen Tendenzen unter den ArbeiterInnen, in der Frauenbewegung, der Jugend, den Kämpfen gegen Imperialismus und Umweltzerstörung zuwenden. Nur so wird es möglich sein, diese AktivistInnen und KämpferInnen für ein revolutionäres Programm zu gewinnen. So wie RevolutionärInnen für die Transformation der Gewerkschaften auch auf internationaler Ebene kämpfen müssen, so müssen sie für länderüberschreitende Aktionskonferenzen und demokratisch verantwortliche Koordinierungen des Kampfes eintreten. Die Sozialforen, die sich Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts entwickelten, können dabei als Vorbild dienen, ohne deren Schwächen – den Mangel an verbindlicher Beschlussfassung und gemeinsamer Aktion – zu wiederholen.

In den entstehenden globalen Bewegungen der Unterdrückten wie auch in Aufständen auf nationaler Ebene müssen RevolutionärInnen immer die Notwendigkeit einer neuen Internationale hervorheben. Wir treten von Beginn an für ein revolutionäres Programm ein – ohne jedoch die Zustimmung zu diesem zur Vorbedingung für gemeinsame internationale Kampfstrukturen und reale Schritte zum Aufbau einer neuen Masseninternationale zu machen. Um für eine solche Perspektive effektiv und gezielt eintreten zu können, müssen RevolutionärInnen selbst auf der Basis eines gemeinsamen Programms von Übergangsforderungen, eines Programm der sozialistischen Weltrevolution kämpfen. Wir fordern alle GenossInnen, alle sozialistischen und kommunistischen Strömungen, die eine solche Perspektive teilen, zur Vereinigung auf einem internationalen Programm auf, das wir hier zur Diskussion stellen, um gemeinsam für eine revolutionäre Antwort auf die kommenden Angriffe einzutreten.

Befreiung unserer Gewerkschaften von bürokratischer Kontrolle

Überall auf der Welt werden unsere Gewerkschaften von den KapitalistInnen angegriffen. Wenn wir uns bemühen unsere Gewerkschaften wachzurütteln und so aufzustellen, dass sie den Angriffen der Bosse widerstehen können, ist stets das größte Hindernis der lähmende Einfluss der Kaste von BürokratInnen, die unsere Organisationen den Bossen, ihren Regierungen und ihren Gesetzen unterwerfen. Die Angriffe der Bosse sind unerbittlich und bösartig. In den schwächeren und weniger entwickelten Ländern (den Halbkolonien) haben diktatorische Regime die Gewerkschaften zu Instrumenten des Staates gemacht, Streiks verboten und die freie Wahl von GewerkschaftsführerInnen verboten. Unabhängige Gewerkschaften und Betriebsorganisationen müssen aus der Illegalität heraus kämpfen und sind mit Verhaftungen, Folter und Mord konfrontiert. In den letzten Jahrzehnten wurden Gewerkschaften im globalen Süden angegriffen. Sehr große Teile der ArbeiterInnenklasse, auch in der Großindustrie und im staatlichen Sektor, sind aufgrund neoliberaler Angriffe und repressiver Gesetzgebung überhaupt nicht gewerkschaftlich organisiert. Die Zersplitterung der Gewerkschaften spiegelt dies wider und verstärkt es ebenso wie die politische Konfusion, die Beschränkung auf abgegrenzte Branchen und der Verrat der Gewerkschaftsführungen. Revolutionäre müssen nicht nur die Organisation der Unorganisierten fordern und dafür kämpfen, dass diese Politik in den bestehenden Gewerkschaften überwunden wird, sondern auch die Initiative zum Wiederaufbau der Gewerkschaftsbewegung ergreifen.

In den entwickelten kapitalistischen Demokratien wurden gesetzliche Rechte der Gewerkschaften in jahrzehntelangen Klassenkämpfen errungen ,so dass der Staat die Gewerkschaften integrierte statt sie in die Illegalität zu treiben, indem er ihren FührerInnen Privilegien gewährte und sie in Strukturen der Klassenzusammenarbeit einband. Aber die KapitalistInnen hörten nicht auf Rechte abzubauen und unterwarfen die Gewerkschaften immer größeren rechtlichen Beschränkungen, um eine effektive Gewerkschaftsarbeit und Massenanwerbung zu behindern. Westliche Gerichte demonstrieren immer wieder den Klassencharakter des bürgerlichen Rechts, indem sie eingreifen, um Streikbeschlüsse zu kippen, Gewerkschaftsgelder zu beschlagnahmen und gewerkschaftsfeindlichen Firmen den Rücken zu stärken.

Heute findet das Kapital unabhängige Gewerkschaften immer unerträglicher. Wir müssen unsere Gewerkschaften verteidigen, für ihre Unabhängigkeit von KapitalistInnen und Staat kämpfen, den Kampf aufnehmen und Millionen neuer Mitglieder aus bisher nicht organisiertenBereichen, aus den prekären und überausgebeuteten Teilen der ArbeiterInnenschaft, also vor allem junge Menschen, MigrantInnen oder „Illegale“, zu gewinnen. Dieser Kampf wird auf unnachgiebigen Widerstand von innen, von der hoch bezahlten und undemokratischen Gewerkschaftsbürokratie treffen, die ihre Aufgabe als ewig begreift: Vereinbarungen in einer auf ewig kapitalistischen Wirtschaft auszuhandeln. In Krisenzeiten werden diese Deals dann zu Zugeständnissen an die Bosse, Löhne und Arbeitsbedingungen werden für Arbeitsplätze geopfert oder umgekehrt.

Die Ideologie der bürokratischen Gewerkschaftsführungen ist Gift für das Klassenbewusstsein des Proletariats. Anstelle des Internationalismus setzten sie vor allem in den imperialistischen Zentren auf Standortlogik und Wettbewerbsfähigkeit „ihres“ Unternehmens. Auf diese Weise tragen die GewerkschaftsbürokratInnen zusammen mit dem sozialchauvinistischen Reformismus der Sozialdemokratie und der selbsternannten „SozialistInnen“ Verantwortung dafür, dass sich in Zeiten des Rechtsruck rassistische Ideologien und nationale Borniertheit auch in Teilen der ArbeiterInnenklasse einnisten kann bzw. diese nicht wirkungsvoll bekämpft wird.

Die BürokratInnen fungieren oft als Polizei für Staat und Unternehmen, indem sie AktivistInnen schikanieren und mithelfen, sie vom Arbeitsplatz zu entfernen. RevolutionärInnen organisieren sich innerhalb der Gewerkschaften, um ihren Einfluss zu erhöhen bis hin zur Übernahme der Führung, während sie gleichzeitig immer ehrlich zur Basis sind und so offen bezüglich ihrer Ziele, wie es die staatliche Repression und die Gewerkschaftsbürokratie zulassen. In den bürokratischen Gewerkschaften regen wir die Bildung von Basisbewegungen an, die darauf abzielen, die Durchführung von Streiks und anderen Formen des Kampfes zu demokratisieren und die feste und überbezahlte Kaste der SpitzenfunkionärInnen durch gewählte und jederzeit abwählbare VertreterInnen zu ersetzen, die den gleichen Lohn wie alle erhalten.

Aber auch die demokratischste Gewerkschaftsbewegung hat ihre Grenzen. Die syndikalistische Idee, dass Gewerkschaften unabhängig sein sollten nicht nur von den Bossen, sondern auch von den politischen Parteien der ArbeiterInnenklasse, kann den Widerstand der ArbeiterInnen und den Kampf für ArbeiterInnenmacht nur schwächen. Stattdessen zielen RevolutionärInnen darauf ab, die Gewerkschaften so auszurichten, dass sie nicht nur für die Interessen einer Branche, sondern auch für die der ArbeiterInnenklasse als Ganzes kämpfen: über Industriesektoren, Berufs- und Betriebsgrenzen hinweg, für Befristete ebenso wie für das Stammpersonal, für die gegenwärtigen und auch die zukünftigen Beschäftigten, nicht nur in einem Land, sondern auch international. Wir fördern Klassenbewusstsein, nicht nur beschränktes, gewerkschaftliches Bewusstsein. Auf diese Weise können die Gewerkschaften wieder zu echten Schulen des Sozialismus und zu einer massiven Stütze für eine neue revolutionäre ArbeiterInnenpartei werden.

Eine neue ArbeiterInnen-Internationale und revolutionäre Parteien in jedem Land haben die Pflicht, die bestehenden Gewerkschaften wo immer möglich zu erneuern, aber auch nicht vor einem formalen Bruch und der Bildung neuer Gewerkschaften zurückschrecken, wo die reformistische Bürokratie die Einheit unmöglich macht. Unorganisierte prekär Beschäftigte können ebenso organisiert werden wie diejenigen in neuen Hightech-Industrien trotz tyrannischer UnternehmerInnen und trotz Strukturen, die gemeinsame Aktionen durch Klassenkollaboration im Betrieb untergraben. Wir brauchen Organisationen in den Betrieben, die weder dem Diktat noch den Schmeicheleien der Bosse nachkommen (wie die meisten Betriebsräte), sondern die ArbeiterInnen mit militanten Kampfmethoden wie Massenstreiks, Besetzungen und, wenn nötig, einem Generalstreik verteidigen. Die Gewerkschaften dürfen nicht bürokratisch von oben nach unten kontrolliert werden, sondern müssen demokratisch sein, wo Unterschiede frei diskutiert werden können, wo FührerInnen kontrolliert und, wenn nötig, sofort abgewählt werden können.

Wir können nicht warten, bis die Gewerkschaften umgewandelt worden sind; wir müssen jetzt kämpfen. Wir fordern deshalb unablässig von den derzeitigen FührerInnen für die dringenden Bedürfnisse der Massen kämpfen, und wir warnen zugleich die Basis davor, ihnen zu vertrauen. Wir kämpfen für die Bildung von Basisbewegungen in den bestehenden Gewerkschaften, damit der Würgegriff der BürokratInnen gebrochen und trotz allem Aktionen durchgeführt werden können.

Obwohl wir für politische Organisierung innerhalb der Gewerkschaften sind, sind wir gegen politisch gespaltene Gewerkschaften, denn das fördert nur die Uneinigkeit und überlässt viele dem Einfluss der ReformistInnen oder sogar noch weiter rechtsstehenden Führungen. Wir kämpfen für die Bildung von Industriegewerkschaften, um das Gewicht der Beschäftigten gegenüber den UnternehmerInnen zu erhöhen. Dort wo noch mehrere Gewerkschaften in einer Branche oder in Konzernen und Betrieben bestehen, treten wir für ihre Vereinigung auf einer klassenkämpferischen Grundlage ein und für gemeinsame Komitees unter Basiskontrolle für Aktionen und Verhandlungen.

Wir kämpfen für die gewerkschaftliche Organisierung der großen Zahl unserer noch nicht organisierten Schwestern und Brüder, um die Gewerkschaften für junge ArbeiterInnen und rassistisch Unterdrückte zu öffnen. Wenn GewerkschaftsbürokratInnen dies verhindern, müssen neue Gewerkschaften gegründet werden. Unsere Leitlinie lautet: Zusammenarbeit mit den offiziellen FührerInnen, wo immer möglich, aber ohne sie, ja gegen sie, wo nötig!

Wir brauchen Gewerkschaften und Massenorganisationen, die die Masse der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten wirklich vereinen können und nicht von Männern oder Angehörigen von bessergestellten Schichten dominiert werden, die ausschließlich aus der bestimmenden nationalen oder ethnischen Gruppe innerhalb eines bestimmten Landes stammen. Das bedeutet, dass wir die Forderung nach vollen Rechten und volle Vertretung in den gewerkschaftlichen Führungsstrukturen für die unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse und der Armen unterstützen, für Frauen, Jugendliche, Minderheiten und MigrantInnen. Deshalb kämpfen wir für:

  • Die Organisierung der nicht organisierten ArbeiterInnen, einschließlich Frauen, MigrantInnen und Befristeten!
  • Gewerkschaften, die unter der Kontrolle ihrer Mitglieder stehen!
  • Für das Recht auf unabhängige Treffen (Causus) für alle sozial unterdrückten Gruppen: Frauen, rassistisch unterdrückte Minderheiten, LGBTIA-Menschen.
  • Einheit aller Gewerkschaften auf demokratischer und kämpferischer Basis, völlig unabhängig von den Bossen, ihren Parteien und ihren Staaten!

Ein Aktionsprogramm, das den Widerstand mit dem Kampf für die soziale Revolution verbindet

Allzu lange zerfielen die Programme der ArbeiterInnenparteien weltweit in ein Minimalprogramm stückweiser Reformen, die jederzeit von den KapitalistInnen wieder weggenommen werden können, solange diese die Macht im Staate haben, und andererseits– wenn es überhaupt auftauchte – ein Maximalprogramm, welches das Fernziel Sozialismus aufstellt, das aber von den aktuellen Forderungen abkoppelt ist und als weit entfernte Utopie präsentiert wird, anstatt es mit den wirklichen Auseinandersetzungen, die um uns herum stattfinden, zu verknüpfen.

Das Programm einer neuen Internationale muss mit diesem gescheiterten Modell brechen. Es muss eine Reihe zusammenhängender Übergangsforderungen vorschlagen, die die Losungen und Kampfformen, die nötig sind, um die kapitalistische Offensive abzuwehren, mit den Methoden verbindet, die wir brauchen, um die Herrschaft der Bourgeoisie zu stürzen, die ArbeiterInnenklasse an die Macht zu bringen und mit sozialistischen Produktionsplanung zu beginnen.

Dieses Übergangsprogramm greift alle lebenswichtigen sozialen, ökonomischen und politischen Tagesforderungen auf einschließlich jener unmittelbaren und demokratischen Forderungen, die auch vor der Abschaffung des kapitalistischen Eigentums erfüllt werden können: garantierter Mindestlohn, tatsächliche gleiche Bezahlung für Männer und Frauen, spürbare Besteuerung der Reichen und Großkonzerne. Gleichzeitig warnt es, dass der Kapitalismus in seiner historischen Krise solche Reformen nur angesichts der Bedrohung seiner Macht und seines Eigentums zugestehen wird. Selbst dann werden die KapitalistInnen versuchen, ihre Zugeständnisse rückgängig zu machen, sobald die unmittelbare Gefahr vorüber ist und der Druck durch den Klassenkampf nachlässt.

Heute ist die Vorstellung, wir könnten den Sozialismus auf einem langsamen und friedlichen Weg sozialer  Reformen und gewerkschaftlicher Verhandlungen erreichen, noch utopischer als in der Vergangenheit. Ein Programm für Sozialismus muss die grundlegenden „Rechte“ der KapitalistInnen in Frage stellen: das Recht auf Ausbeutung, darauf den Profit über Menschen zu stellen, darauf auf Kosten der Armen reich zu werden, auf Umweltzerstörung und darauf unseren Kindern eine Zukunft zu verweigern.

Die heutigen Schlachten zu gewinnen, heißt, mit Blick auf die Zukunft zu kämpfen. Eine 5. Internationale wird deshalb Forderungen aufstellen und Organisationsformen vorschlagen müssen, die nicht nur die aktuellen Probleme des Kampfes lösen, sondern die Werktätigen dazu befähigen die Macht zu ergreifen und auszuüben. Die Kombination dieser Elemente ist keine künstliche Übung. Sie hängen aufgrund der realen Klassenkampfbedingungen in dieser Periode des kapitalistischen Niedergangs eng miteinander zusammen.

Um das Tor zur zukünftigen Gesellschaft aufzustoßen, fordert unser Programm die Durchsetzung der ArbeiterInnenkontrolle über die Produktion und deren Ausweitung auf immer weitere Bereiche, von Fabriken, Büros, Transportwesen und Einzelhandelsketten, auf Banken und Geldinstitute. Das bedeutet: Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses; Vetorecht der Beschäftigten gegen Entlassungen; ArbeiterInneninspektion und -kontrolle darüber, was und wie produziert wird; automatische Lohnerhöhung für jede Preissteigerung zur Inflationsbekämpfung und die Verstaatlichung (Enteignung) ohne Entschädigung von KapitalistInnen, deren Sabotage zu Störungen führen soll.

Außerdem muss der Kampf dafür, diese Forderungen durchzusetzen, sie den Bossen aufzuzwingen ganz neue Organisationsformen anwenden, die über das traditionelle Vorgehen von GewerkschafterInnen oder einer Partei, die ausschließlich darauf orientiert ist, Wahlen zu gewinnen, hinausgehen. Bei jeder Ebene des Kampfes muss es zur Norm werden, dass demokratische Versammlungen aller Beteiligten die Entscheidungen treffen. Diesen Versammlungen verpflichtete, gewählte und absetzbare Delegierte sollten mit der Durchführung der Entscheidungen und der Kampfleitung beauftragt werden. Von durch die gesamte Belegschaft gewählten Streikkomitees über Preiskontrollkomitees, die alle Lohnabhängigen des Wohnbezirks, Männer wie Frauen einschließen und ArbeiterInneninspektionsteams, die die Firmenbilanzen prüfen, bis zu bewaffneten Streikposteneinheiten, die Streikende schützen, sind solche Organisationen nicht nur erforderlich, um heutige Schlachten zu gewinnen, sondern die Grundlagen für die Kampforganisationen von morgen zu bilden in der Auseinandersetzung um die Staatsmacht und danach in den zukünftigen Organen des ArbeiterInnenstaats.

ArbeiterInnen, die heute im Kampf gegen Sozialabbau und Sparprogramme stehen, können einzelne oder mehrere dieser Forderungen gegen bestimmte Angriffe erheben, aber das sozialistische Ziel des Programms wird nur erreicht werden können, wenn sie als zusammenhängendes System von Losungen für die Umwandlung der Gesellschaft aufgegriffen und erkämpft werden. Das volle Übergangsprogramm stellt eine Strategie für ArbeiterInnenmacht dar. Aus diesem Grunde sind unsere Forderungen auch keine passiven Appelle an Regierungen oder UnternehmerInnen, sondern Parolen für die Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse zum Sturz und zur Enteignung der KapitalistInnen.

Wir zahlen nicht für ihre Krisen – gegen Arbeitslosigkeit, Unsicherheit und Ungleichheit

Vor dem Ausbruch der Großen Krise im Jahr 2008 lag die Arbeitslosigkeit in den USA, dem reichsten Land der Welt, bei rund 5 Prozent. Bis Oktober 2010 hatte sie sich auf einen Höchststand von 10 Prozent verdoppelt. Nach Angaben der Behörde für Arbeitsstatistik (Bureau of Labor Statistics) gingen bis zu diesem Zeitpunkt 8,8 Millionen Arbeitsplätze verloren. Obwohl die Arbeitslosigkeit im Jahr 2018 infolge der Erholung im Februar 2018 auf 4,1 Prozent und im August auf 3,9 Prozent gesunken war, lebten laut Bundesstatistik noch 12,6 Prozent der AmerikanerInnen unter der Armutsgrenze, rund 43,1 Millionen. Wo ist also der ganze Reichtum? Nun, in den Taschen von 540 US-MilliardärInnen mit einem Gesamtnettobetrag von 2.399 Billionen Dollar, mehr als einem Viertel sowohl der weltweiten Gesamtsumme der Vermögenswerte als auch der weltweiten Personenzahl. Die reichsten 1 Prozent der Haushalte erhielten 2013 rund 20 Prozent des Einkommens vor Steuern. Die untersten 50 Prozent verdienten 2014 13 Prozent.

Weltweit leben drei Milliarden Menschen, fast die Hälfte der Weltbevölkerung, von weniger als zweieinhalb Dollar pro Tag. Mindestens 80 Prozent der Menschheit lebt von weniger als 10 Dollar pro Tag. Weit über eine Milliarde Menschen leben in absoluter Armut. Rund 2,6 Milliarden Menschen haben keine sanitäre Grundversorgung und 1,6 Milliarden leben ohne Strom. Mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung leben in Ländern, in denen sich die Ungleichheit unerbittlich vergrößert. Es ist empörend, dass die KapitalistInnen Millionen und Abermillionen von Arbeitslosen, prekär Beschäftigten und Teilzeitkräften als ihre Reservearmee einsetzen, die nur dann beschäftigt wird, wenn die Gewinne auf ihrem Höhepunkt sind, und in Zeiten der Rezession oder Stagnation beiseitegeschoben wird und für sich selbst sorgen muss. Ob kleine Unternehmen oder internationale Konzerne, sie verlagern ihre Fabriken, Banken und Büros dorthin, wo sie den maximalen Profit erzielen können, angetrieben vom Wettbewerb mit ihren KonkurrentInnen. Die kapitalistische Produktion saugt die ArbeiterInnen ständig auf, bevor sie sie wieder ausspuckt, wobei die KapitalistInnen erwarten, dass die Kosten für deren Unterhalt von der ganzen ArbeiterInnenklasse, dem Familienverband oder zunehmend von den Lebensmittelspenden/Tafeln und von Flüchtlingslagern getragen werden. Wir fordern, dass sie ihre Rechnung bezahlen.

Darüber hinaus droht mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und Robotern eine massiver Ersetzung lebender Arbeitskraft. Autonome Waffen ersetzen bereits SoldatInnen und selbstfahrende Autos FahrerInnen. Wie alle früheren Wellen der Mechanisierung gezeigt haben, träumen im Kapitalismus die UnternehmerInnen nur davon, die Arbeitskosten zu senken, nicht die Arbeitsstunden. Die KI bedroht die Arbeitsplätze von Büroangestellten in großem Umfang. Doch die ArbeiterInnenklasse hat schon vor langer Zeit gelernt, dass die Einschränkung der Anwendung neuer Technologien („Maschinenstürmerei“ oder Luddismus) eine hoffnungslose Reaktion ist. ArbeiterInneninspektion und -kontrolle, Arbeitszeitverkürzung und die Beseitigung gefährlicher Formen der Arbeit müssen zu sozialen Zielen werden. KI und Roboter könnten im Rahmen einer geplanten und sozialisierten Wirtschaft die Menschheit enorm befreien, die menschliche Arbeit verbessern und mehr Möglichkeiten für die menschliche Intelligenz schaffen, kreativ tätig zu werden.

Angesichts der Offensive der alten und neuen Bosse müssen wir für eine ArbeiterInneneinheitsfront kämpfen, für die gemeinsame Aktion der ArbeiterInnenklasse sowohl in jedem Land als auch über die Grenzen und Meere hinweg:

  • Gegen alle Betriebsschließungen und Entlassungen, gegen jede Lohnkürzung!
  • Gegen Massenentlassungen – Weiterbeschäftigung der ArbeiterInnen bei vollem Lohn durch die Unternehmen oder den Staat!
  • Für Streiks und Besetzungen von allen Betrieben, die von Schließung bedroht sind!
  • Entschädigungslose Verstaatlichung aller Firmen, die Entlassungen ankündigen, mit Produktionsverlagerung drohen, weniger als den Mindestlohn bezahlen, Arbeitsschutzrichtlinien nicht beachten oder keine Steuern zahlen! Die gesamte Belegschaft soll die Produktion unter ArbeiterInnenkontrolle und eigener Leitung weiterführen!
  • Entschädigungslose Verstaatlichung der Banken und Fusion zu einer einheitlichen Staatsbank unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für ein Programm öffentlicher Arbeiten zwecks Verbesserung von Sozialdiensten, der Gesundheitsversorgung, des Wohnungswesen, des öffentlichem Verkehrsnetzes und des Zustands der Umwelt unter Kontrolle der ArbeiterInnen und ihrer Wohngemeinden!
  • Kürzt die Arbeitswoche, nicht die Stellen! Aufteilung der verfügbaren Arbeit auf alle Arbeitsfähigen! Gleitende Skala der Arbeitszeit zur Verkürzung des Arbeitstages und Eingliederung der Arbeitslosen ohne Lohnverlust oder sonstige Einbußen!
  • Für einen nationalen Mindestlohn, festgelegt von ArbeiterInnenkomitees in einer Höhe, die allen ein erträgliches Leben sichert!
  • Gegen unsichere Beschäftigungsverhältnisse: gegen alle Arten ungeschützter, informeller oder befristeter Arbeitsverträge (Prekarisierung)! Alle solche Verträge sollen in unbefristete mit vollen Schutzrechten umgewandelt werden! Löhne und Arbeitsverhältnisse sollen durch Kollektivvereinbarungen geregelt und durch Gewerkschaften und betriebliche VertreterInnen kontrolliert werden!
  • Gegen Inflation! Für eine gleitende Lohnskala: 1 % Lohnzuwachs bei jedes Prozent Anstieg der Lebenshaltungskosten! Wahl von VertreterInnen aus Betrieben, Elendsvierteln, ArbeiterInnenorganisationen, Frauen, KleinhändlerInnen und VerbraucherInnen zur Ermittlung eines Lebenshaltungskostenindexes für die ArbeiterInnen! Renten/Pensionen müssen gegen Inflation indexiert und vom Staat garantiert werden und dürfen nicht dem Auf und Ab der Aktienbörsen überlassen bleiben!
  • Offenlegung der Bücher: Auf der ganzen Welt feuern Regierung und PrivatunternehmerInnen ArbeiterInnen, melden Konkurs an, fordern Sparmaßnahmen und mehr Effizienz, nötigen zu Produktivitätsverbesserungen. Die Antwort der Beschäftigten in den privaten Industrie und im Öffentlichen Dienst muss lauten: „Offenlegung der Bücher! Öffnet alle Konten, Datenarchive, Finanz-, Bank-, Steuer- und Geschäftsführungsinformationen zur Einsichtnahme für die ArbeiterInnen!“
  • Kampf der Arbeitsverdichtung! Nieder mit der Verschärfung des Arbeitstempos und der „Effizienzsteigerungen“ durch die Bosse! Sie sind nur Versuche, die Ausbeutung zu steigern und Profite hochzutreiben und gefährden unsere Gesundheit, Sicherheit und Leben.
  • Nein zu Ausgliederung und Verlagerung ohne Zustimmung der Arbeitenden! Statt Konflikten zwischen LohnarbeiterInnen unterschiedlicher Nationalität um die selben Arbeitsplätze: Angleichung der Bezahlung nach oben, Bildung internationaler Verbände aus ArbeiterInnen in gleichen Firmen und Branchen! Kollektivabmachungen und Rechtsgleichheit für Angestellte von Subunternehmen, als wären sie Beschäftigte bei dem Generalunternehmen!
  • Für ArbeiterInnenkontrolle gegen Managemententscheidungen! Nein zu Co-Management, „Sozialpartnerschaft“ o. a. Formen von Klassenzusammenarbeit, mit denen unsere Gewerkschaften die Angriffe der Bosse verwalten! Stattdessen: Für ArbeiterInnenkontrolle über die Produktion und die Einführung neuer Technologien zum Nutzen der ArbeiterInnen und ihrer Familien, nicht zu Zwecke des Jobverlustes oder zur Verarmung.

Besteuerung der Reichen, nicht der Armen

Während Milliarden in Armut leben, lebt eine winzige Minderheit in unvorstellbarem Luxus. Im Jahr 2016 erreichte die Zahl der MilliardärInnen 1.810. Die Investitionsentscheidungen dieser Finanziers und Industriellen können ganze Länder in die Knie zwingen. Direkt unter den MilliardärInnen leben Hunderttausende von MultimillionärInnen in schamlosem Luxus auf unsere Kosten, während 852 Millionen Menschen hungern und 16.000 Kinder jeden Tag an den Folgen des Hungers sterben.

Diese Klasse von ParasitInnen erhebt bei jedem Versuch, sie zu besteuern und ihren Reichtum neu zu verteilen, ein lautes Geschrei. Sie verschieben ihr Geld in „Steuerparadiese“ und manipulieren ihre Staatsangehörigkeit oder ihren aufenthaltsrechtlichen Status, um Steuerzahlungen überhaupt zu umgehen. Gleichzeitig starten sie ständig Kampagnen, dafür dass die ArbeiterInnenschaft das Gros der Steuerlast bezahlt mittels indirekter Steuern auf Waren des Grundbedarfs wie Treibstoff, Lebens- und Genussmittel, und die Steuern auf Geschäftstätigkeit und Vermögen dafür drastisch gesenkt werden.

Nicht ArbeiterInnen und kleine Selbständige sollen zahlen, sondern die Reichen, KapitalistInnen, Industrielle, Bankiers und Finanzleute!

  • Beschlagnahme des Privatvermögens der MilliardärInnen und Superreichen!
  • Für starke Besteuerung der Reichen zwecks Finanzierung von Sozialwesen, Schulen, Krankenhäusern und eines massiven Programms zur Beseitigung der Armut!
  • Kampf der Steuerhinterziehung! Abschaffung der Steueroasen und Steuervermeidungs-Branche!
  • Weg mit allen indirekten Steuern! Streichung aller staatlichen und privaten Schulden!
  • Verstaatlichung der Aktienbörsen!
  • Übernahme der kapitalistischen Großindustrie! Für entschädigungslose Verstaatlichung der Konzerne unter ArbeiterInnenkontrolle!

Stopp der Privatisierung – für eine massive Ausweitung öffentlicher Dienstleistungen

Vor dem Hintergrund von Arbeitslosigkeit und sinkenden Lohneinkünften in Aufschwüngen wie Rezessionen zielen eine Reihe von erbarmungslosen Austeritätsprogrammen – zynisch „Reformen“ genannt – darauf ab, die Steuerlast für die Reichen zu mindern und ArbeiterInnen sowie Arme dazu zu bringen, immer mehr für immer schlechtere Leistungen im Gesundheitswesen, in der Bildung und für Sozialeinrichtungen zu bezahlen. Öffentliche Dienstleistungen außerhalb des Bereichs privaten Profits, die die ArbeiterInnen als Ergebnis von mehr als einem halben Jahrhundert Kampf abgetrotzt haben, werden abgebaut oder dem privaten Kapital übergeben, um daraus ein Vermögen zu machen. Die MillionärInnen, die bereits von unserer Arbeit profitieren, wollen auch aus unserer Kindheit, unserem Alter, unserer Krankheit Kapital schlagen. Sie besitzen die Frechheit zu fordern, dass Wohlfahrt und Renten gekürzt werden sollen, „um die Selbstständigkeit zu fördern und die Kultur der Abhängigkeit zu bekämpfen“!

  • Keine einzige Streichung öffentlicher Dienstleistungen, keine einzige Privatisierung!
  • Verteidigung der besten bestehenden Sozial- und Gesundheitssysteme und Ausweitung auf die Milliarden Menschen, die bislang überhaupt noch nicht in den Genuss dieser Einrichtungen kommen konnten! Verstaatlichung privater Schulen und Kliniken! Erziehung und Krankenhäuser unter Kontrolle von ArbeiterInnen und NutzerInnen! Schulen, Hospitäler, ÄrztInnen, Arzneimittel und Universitäten sollen für alle frei zugänglich und kostenlos sein!
  • Keine Rentenabsenkungen, sondern Erhöhung und Ausdehnung auf alle noch nicht Bezugsberechtigten! Verstaatlichung privater Rentenfonds und Verschmelzung zu einer einheitlichen, staatlich garantierten Rente/Pension!
  • Keine weiteren Privatisierungen! Verstaatlichung grundlegender Infrastruktur wie Wasser, Energie und Verkehr! Kündigung aller Verträge zur (teilweisen) Vergabe von öffentlichen Diensten an Private, Aufhebung aller Sonderwirtschaftszonen und aller staatlicher Vergünstigungen an Unternehmen; Forschung und Entwicklung unter staatliche Kontrolle, finanziert aus der beschlagnahmten privaten Profiten!
  • ArbeiterInnen und Arme sollen sich zusammentun, um einen Forderungskatalog für grundlegende Infrastruktur-Verbesserungen, für ein umfangreiches Programm öffentlicher Arbeiten zu erstellen.
  • Für entschädigungslose Enteignung!

Jahrelang schien die Idee der Verstaatlichung im Staub der Geschichte verschwunden. Weit entfernt davon die Verstaatlichung von Privateigentum auch nur zu erwägen, privatisierten prokapitalistische Regierungen rund um den Globus den öffentlichen Sektor. Elementare Dienste und Einrichtungen wie Wasser- und Elektrizitätswerke, Gesundheits- und Bildungswesen wurden den KapitalistInnen übergeben, die sie zu Profitzwecken und nicht zur Befriedigung von Bedürfnisse betrieben.

So wichtig öffentliche Dienstleistungen auch sind, vor allem, wenn sie zum Zeitpunkt der Erbringung nicht bezahlt werden müssen, sondern aus einer progressiven Besteuerung oder aus einer Pflichtsozialversicherung finanziert werden, sind sie doch immer noch kein Sozialismus. Wenn sie ihre notwendigen Materialien und Dienste von KapitalistInnen kaufen müssen, Entschädigungen an ehemalige EigentümerInnen zahlen müssen, mit Privatunternehmen konkurrieren oder kapitalistische Managementmethoden anwenden und allgemein immer  von Kürzungen durch kapitalistische Regierungen bedroht sind, können sie sich nie ganz aus der Zwangsjacke des Profitsystems befreien. Die ArbeiterInnen müssen lernen, die kapitalistische Verstaatlichung von der Sozialisierung und Enteignung durch die ArbeiterInnenklasse zu unterscheiden, deren Ziel es ist, die Bosse für immer zu enteignen. Nur so können öffentliche Dienste von der Wiege bis zur Bahre von höchster Qualität geplant und erbracht werden, um die Bedürftigkeit abzuschaffen und die Gleichheit zu verwirklichen.

  • Keine Überbrückungskredite oder Lohnstundungen für KapitalistInnen auf Kosten der ArbeiterInnen und Angestellten!
  • Keine Sozialisierung von Verlusten oder Rettung bankrotter Unternehmen durch Steuergelder!
  • Verstaatlichung der Vermögen, nicht der Verluste!
  • Der Staat als neuer Eigentümer muss sich konsequent der Methode verweigern, Teile der Belegschaft zu entlassen, um dann die Firma billig wieder an KapitalistInnen zu verscherbeln.
  • Keine Entschädigung für enteignete KapitalistInnen!

Anstelle einer Mischung aus Staats- und Privateigentum innerhalb des chaotischen  Fressen-und Gefressenwerdens der Marktwirtschaft, wollen wir einen demokratischen Produktionsplan, gemäß dem alle Ressourcen der Welt inklusive der menschlichen Arbeit rational und entsprechend dem Willen der Menschen eingesetzt werden. Dann können wir wirklich gemäß den Bedürfnissen der Menschen produzieren, nicht für die Habgier einiger weniger. Letztlich verknüpfen KommunistInnen den Kampf um Enteignung dieser oder jener Industrie immer mit der Notwendigkeit, die Kapitalistenklasse als ganze zu enteignen. Denn das Staatseigentum wird günstige Resultate liefern „nur, wenn die Staatsmacht selbst vollständig aus den Händen der AusbeuterInnen in die der Werktätigen übergeht“, wie es Trotzki formulierte.

Abschaffung des internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank

Das System und die Machenschaften der internationalen Finanzinstitutionen (IWF, Welthandelsorganisation WTO und Weltbank) wurden durch eine Reihe von mutigen, weltumspannenden Massenbewegungen aufgedeckt und angeprangert. Die heuchlerischen Versprechen dieser imperialistischen Einrichtungen, Schuldenerlasse für die „Dritte Welt“ vorzunehmen und neue Entwicklungsimpulse zu setzen, haben sich als völlig haltlos erwiesen, weil die reichen Länder ihre Versprechen brachen und stattdessen ihre Entwicklungshilfebudgets noch kürzten. Ihre Behauptung, sie hätten ein „neues Modell“ für eine krisenfreie Welt entworfen, brach mit dem Platzen der Finanzblase 2008 zusammen. Die Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die geglaubt hatten, die internationalen Finanzinstitutionen würden irgendwie verschwinden oder sich selbst reformieren, haben sich schwer getäuscht. Als die angebliche „Gegensteuerung gegen die Krise“ wieder Kürzungsprogrammen Platz machte, gingen der IWF und seine Hilfstruppen wieder zur Offensive über. Heute ist es nötiger denn je, den Widerstand aufzunehmen und zu fordern:

  • Bedingungslose und vollständige Streichung der Schulden aller halbkolonialen Länder!
  • Die imperialistischen Staaten müssen die halbkoloniale Welt für die Ausplünderung ihrer natürlichen und menschlichen Ressourcen entschädigen!
  • Nein zum Protektionismus der entwickelten Länder gegen Produkte des globalen Südens! Abschaffung der amerikanischen Wirtschaftszone NAFTA, der gemeinsamen Agrarpolitik (der EU) u.a. protektionistischer Waffen des Imperialismus! Umgekehrt treten wir jedoch für das Recht von Ländern der „Dritten Welt“ ein, ihre Märkte vor Billigimporten aus den imperialistischen Ländern zu schützen.
  • Abschaffung von IWF, Weltbank und WTO!
  • Verstaatlichung der großen Banken und Konzerne unter ArbeiterInnenkontrolle!

Umweltkatastrophe stoppen, Umweltimperialismus bekämpfen

Die Verschlechterung und Zerstörung der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen auf der Erde schreitet unvermindert fort und nimmt immer bedrohlichere Ausmaße an. Die immer häufigeren extremen Wetterereignisse, immer heftigere Stürme, Überschwemmungen und Waldbrände, ausgedehntere Dürreperioden, das Abschmelzen der Eiskappen, welches zu einem bedrohlichen Anstieg des Meeresspiegels führen wird und viele Länder mit totaler Überschwemmung bedroht, sind alle Indizien für den fortschreitenden Klimawandel auf der Erde.

Der Klimawandel, verursacht durch den massiven Ausstoß von Treibhausgasen, stellt die größte Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen auf unserem Planeten dar. Aber er ist wahrlich nicht die einzige. Die Versauerung und zunehmende Vermüllung und Verschmutzung der Ozeane, die Überlastung und Unterbrechung von Nährstoffkreisläufen, die Übernutzung von Trinkwasserressourcen und Verschmutzung von Gewässern, die Dezimierung der Biodiversität und die Anreicherung von giftigen Chemikalien in der Umwelt – all das sind sehr bedrohliche Entwicklungen für die Existenz der gesamten Menschheit.

Während Eingriffe in die Umwelt und die Nutzung der Umwelt für menschliche Bedürfnisse notwendig sind und auch im Sozialismus fortbestehen werden, ist es der Kapitalismus, der aus seinem grenzenlosen Drang nach Kapitalakkumulation die Umwelt um der Profite willen zerstört. Die großen Wirtschaftsmächte der Welt weigern sich hartnäckig, wirksame Maßnahmen für ein Umsteuern zu ergreifen. Die Unvereinbarkeit kapitalistischer „Entwicklung“ mit der Erhaltung und Wiederherstellung eines für menschliche Gesellschaften wünschenswerten Zustands der Umwelt, von der alles Leben abhängt, wird hier besonders deutlich. Der unstillbare Drang des Kapitals nach maximalem Gewinn forciert nicht nur die Ausbeutung der Menschen, sondern auch der natürlichen Ressourcen, die für den künftigen menschlichen Fortschritt erforderlich sind.

Diese Phänomene, neben der Bedrohung durch einen globalen Krieg, zeugen davon, dass der Kapitalismus ein im Sterben liegendes System ist. Die entscheidende Frage ist, ob er rechtzeitig durch eine revolutionäre Umwälzung überwunden wird, oder ob die Menschheit mit ihm den Weg in die Barbarei und sozialen Rückschritt beschreitet. Trumps Ankündigung von 2017, dass die USA das Pariser Abkommen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen und anderer „Klimakiller“ zurückweisen wollen, bestätigt dies. Doch der US-Rückzug verhüllt die Tatsache, dass weder die „entwickelten“ Hauptemittenten der Welt wie die USA, Japan und die Europäische Union noch die „sich entwickelnden“ Giganten wie China und Indien wirklich bereit sind, die Gewinne der Konzerne zu gefährden, um die notwendigen Emissionsminderungen vorzunehmen. Schlimmer noch: die meisten Regierungen und Großkonzerne ignorieren weiterhin alle Pläne und Vorschläge von WissenschaftlerInnen und UmweltaktivistInnen, wie die bevorstehende Katastrophe zu verlangsamen oder umzukehren ist.

Der Kapitalismus zerstört nicht nur die natürlichen Lebensgrundlagen, sondern hat sich global zu einem System des Umweltimperialismus entwickelt. Die Ausbeutung in den halb-kolonialen Ländern wird systematisch ohne Rücksicht auf die ökologischen und sozialen Folgen intensiviert, um die Profite in den imperialistischen Zentren zu vermehren. Die sozio-ökologischen Auswirkungen werden systematisch in die Halbkolonien ausgelagert. Der Umweltimperialismus ist gekennzeichnet durch unregulierte Weltmärkte, in denen der Handel zugunsten der reichen, imperialistischen Länder organisiert wird. Grundlage dafür ist die immer weiter zunehmende Konzentration von Kapital und die Unterdrückung der halb-kolonialen Länder mithilfe der Kontrolle über entscheidende Technologien und mittels des Kapitalexports.

Alle Proteste der Betroffenen in den Halbkolonien gegen die Projekte der großen Agro-, Saatgut-, Bergbau-, Energiekonzerne etc. führen sofort zum Auftreten der internationalen Geldgeber und Institutionen, die die Regierungen vor Ort dann meist als willige Vollzugsorgane vorfinden. In den imperialistischen Zentren wird der tatsächlich betriebene Raubbau an Mensch und Natur dann mit zynischen Kampagnen über angeblich „nachhaltige“ Produktion verbunden, die es aber nur für die Menschen dort gibt . Jedes Programm im Kampf gegen den Imperialismus muss, ausgehend von den Betroffenen und den globalen Interessen der ArbeiterInnenklasse, auch zentral Forderungen zum Kampf gegen den weltumspannenden ökologischen Raubbau zu Lasten vor allem der Halbkolonien entwickeln.

Klimawandel und Umweltzerstörung können nur gemildert und umgekehrt werden, wenn die Kontrolle über die Produktion den Händen der großen Kapitalformationen entzogen wird, die die Menschheit an den Rand der Katastrophe gebracht haben. In den letzten Jahrzehnten hat sich starker Widerstand gegen Umweltzerstörung und die Bedrohungen des Klimawandels herausgebildet, ausgehend von lokalen Initiativen gegen bestimmte Großprojekte, großen Bewegungen gegen die falschen politischen Antworten z.B. zur Klimapolitik, Widerstand in Halbkolonien, aber auch Umweltbewegungen in den imperialistischen Zentren. In Europa waren es die Jugendlichen, die mit weltweiten Schüler- und Schulstreiks und direkten Aktionen die Vorreiterrolle spielten. Die Arbeiterbewegung muss sich mit ihnen verbinden, ihre Aktionen und Kampagnen unterstützen und erweitern, ohne zu versuchen, ihre Begeisterung zu unterdrücken. In gewissen Bereichen konnte das bisher ungehemmte Handeln der Großkonzerne und ihrer Helfershelfer in Bezug auf Umweltfragen gebremst werden. Es ist notwendig, diese Erfolge zu einer gesellschaftlichen Kontrolle über die sozio-ökologischen Auswirkungen von ökonomischen Entscheidungen auszubauen. Demokratische legitimierte Kontrollorgane aus Beschäftigten, KonsumentInnen, Betroffenen von Großprojekten, um ihre Zukunft kämpfenden Jugendlichen etc. müssen gebildet und befähigt werden, um über Projekte, Gefährdungsstufen, Grenzwerte, ökologische Maßnahmen etc. zu entscheiden. Dem Kapital muss systematisch die gesellschaftliche Kontrolle in Bezug auf die sozio-ökologischen Auswirkungen seines Handelns entgegengesetzt werden. Letztlich wird nur die sozialistische Revolution das System des Umweltimperialismus überwinden und die geplante optimale Nutzung der Ressourcen unter Kontrolle der Mehrheit weltweit ermöglichen.

Die folgenden Forderungen richten sich nicht einfach an staatliche und supra-nationale Umweltpolitik, sondern sind Forderungen, die sich nur in einer internationalen Bewegung umsetzen lassen, die die zuvor dargestellte Form demokratisch legitimierter gesellschaftlicher Kontrolle über die hier geforderten Maßnahmen durchsetzt.

  • Für einen Notfallplan zum Umbau des Energie- und Transportsystems – weg vom weltumspannenden Verbrauch fossiler Brenn- und Treibstoffe!
  • Die großen Konzerne und imperialistischen Staaten wie die USA und die EU müssen für die Umweltzerstörung bezahlen, die sie im Rest der Welt verursacht haben. Für Reparationszahlungen, um die halb-kolonialen Ländern darin zu unterstützen, den notwendigen ökologischen Wandel herbeizuführen.
  • Für einen Plan zum Ausstieg aus der fossilen und nuklearen Energieerzeugung. Für massive Investitionen in regenerative Energieformen wie Wind-, Wasser- und Sonnenenergie sowie in geeignete Speichertechnologien!
  • Für ein großes globales Programm zur Wiederaufforstung zerstörter Wälder bei gleichzeitigem Schutz der noch vorhandenen naturnahen Ökosysteme!
  • Für den Schutz und das Recht auf Selbstbestimmung der indigenen Völker!
  • Für die Unterstützung der Kämpfe der von Umweltzerstörung bedrohten Bevölkerungen und indigener Völker!
  • Für ein globales Programm zum Schutz der Wasserressourcen. Für massive Investitionen in Trinkwasserversorgung und Abwasserbehandlung!
  • Für ein globales Programm zur Ressourcenschonung, Müllvermeidung und Abfallmanagement.
  • Für die Umstellung der Landwirtschaft auf nachhaltige Anbaumethoden. Für die Enteignung des Großgrundbesitzes und eine Verteilung von Land an die Menschen, die es bebauen (wollen). Für tiergerechte Haltungsbedingungen in allen landwirtschaftlichen Betrieben! Für die Intensivierung der Erforschung nachhaltiger Anbausysteme unter Kontrolle der BäuerInnen und ArbeiterInnen! Wo nötig auch die Verpflichtung zur Anwendung von ökologisch nachhaltigen Anbaumethoden wie der ökologischen Landwirtschaft unter Berücksichtigung der Ernährungssicherheit.
  • Kostenloser Nahverkehr für alle und massive Investitionen in öffentliche Verkehrssysteme! Umbau des Verkehrssystems zu einem auf Schienenverkehr basierenden System, sowohl bei der Personen, als auch bei der Güterbeförderung. Gleichzeitig massive Reduktion von Auto, LKW und Flugverkehr!
  • Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses! Abschaffung des Patentschutzes! Für die Zusammenführen dieses Wissens, um nachhaltige Alternativen zu bestehenden Technologien zu schaffen. Echte Unterstützung der weniger entwickelten Ländern durch Technologietransfer!
  • Verstaatlichung aller Umweltressourcen, wie Agrarflächen, Wälder und Gewässer.
  • Verstaatlichung aller Energiekonzerne und aller Unternehmen mit Monopolen auf grundlegende Güter wie Wasserwirtschaft, der Agrarindustrie sowie aller Luftverkehrsgesellschaften, Schifffahrts- und Eisenbahnunternehmen unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für eine restriktive Chemikalienpolitik nach dem Vorsorgeprinzip, dh keine Zulassung solche Stoffe, die im Verdacht stehen schädlich zu sein! Für das Verbot von Chemikalien, die erwiesenermaßen oder wahrscheinlich gesundheitsgefährend und/oder umweltzerstörend sind, wie z.B. Glyphosat! Grenzwerte oder Gefahrenstufen in der Chemikalienverwendung müssen von Organen demokratisch legitimierter gesellschaftlicher Kontrolle bestimmt werden!

Für den Umbau unserer Städte

Mehr als die Hälfte der Menschheit lebt heute in Städten, aber die Mehrheit von ihnen in Baracken- und Elendsvierteln ohne richtige Straßen, Beleuchtung, sauberes Trinkwasser oder Abwasser- und Abfallentsorgung. Ihre behelfsmäßigen Konstrukionen werden von Erdbeben, Wirbelstürmen, Überschwemmungen und Tsunamis weggerissen, wie wir es in Indonesien, Bangladesch, New Orleans und auf Haiti gesehen haben. Hunderttausende sterben nicht einfach an diesen „natürlichen“ Ereignissen, sondern an einer von Armut geprägten Infrastruktur. Die Flucht der Menschen in die Städte wird durch die Unfähigkeit des Kapitalismus, des Großgrundbesitzes und der Agrarindustrie getrieben, ein Leben auf dem Land zu ermöglichen.

Nur wenige BewohnerInnen dieser Viertel haben dauerhafte und sichere Arbeitsplätze. Ihre Kinder haben keinen Zugang zu Tagesstätten, Kliniken oder Schulen. Kriminelle Banden, DrogendealerInnen und Polizei nötigen und erpressen die BewohnerInnen. Frauen und Jugendliche werden in Prostitution und sexuelle Sklaverei oder Sklavereiarbeit in gefährlichen und gesundheitsschädigenden Klitschen (Sweatshops) gezwungen. Echte Sklaverei und der Handel mit Menschen nehmen wieder zu. Dies ist ein weiteres Phänomen, das nach Abschaffung des Kapitalismus schreit! Dieses entsetzliche Anhäufung menschlichen Elends muss ein Ende haben.

Dies kann aber nicht mit dem bisschen Hilfe aus reichen Ländern, Spendenveranstaltungen, NGOs oder von Kirchen, Moscheen und Tempeln betriebenen Wohltätigkeitsorganisationen erreicht werden. Auch Selbsthilfe- oder Mikrokreditprogramme können diese enormen Probleme nicht lösen. Die Bevölkerung der Barrios, Favelas und Townships kann, wie sie gezeigt hat, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Durch Massenmobilisierungen in Venezuela, Bolivien und Südafrika konnte sie bereits Reformen durchsetzen. Im Verbund mit der ArbeiterInnenklasse kann sie mittels einer gemeinsam durchgeführten sozialen Revolution den repressiven Staat und die wirtschaftliche Ausbeutung zerschlagen und an ihrer Stelle eine auf Komitees und Räten der ArbeiterInnen und Armen gegründete Gesellschaft aufbauen als Instrument zur vollständigen Transformation unserer Städte.

  • Wohnungen, Licht und Strom, Abwasser- und Müllentsorgung, Krankenhäuser und Schulen, Straßen und öffentliche Verkehrsmittel für die EinwohnerInnen der riesigen und rasch wachsenden Armutsviertel, die alle Großstädte der „Entwicklungsländer“ umgeben, von Manila und Karatschi bis Mumbai, Mexiko-Stadt und Sao Paulo!
  • Für ein Programm öffentlicher Arbeiten unter der Kontrolle der ArbeiterInnen und der Armen! Für einen kostenlosen Personennahverkehr und Berufsverkehr für die ArbeiterInnen!
  • Massive Investitionen in Sozial- und Gesundheitsdienste, Wohnungswesen, öffentliche Verkehrsmittel und eine saubere, nachhaltige Umwelt!
  • Unterstützung der Kämpfe von Kleinbauern/-bäuerinnen, LandarbeiterInnen und Landlosen!

Die Landfrage und das Leben auf dem Land

Noch leben 45 Prozent der Menschheit in Dörfern, auf Plantagen und in den ländlichen Gemeinschaften indigener Völker. Bis 2050, so schätzt die UNO, wird sich diese Zahl auf ein Drittel reduzieren. Die Landflucht ist nicht nur durch den Reiz des Stadtlebens motiviert. Für die meisten MigrantInnen überwiegen die Nachteile der Slums, der Kriminalität und der Überausbeutung die Vorzüge des Stadtlebens bei weitem. Verantwortlich ist vielmehr die Unfähigkeit des Kapitalismus, ein Minimum an würdigem Leben auf dem Land zu bieten. Das Ausbleiben und Scheitern von Landreformen hat die Arbeitslosigkeit in den Dörfern und Landlosigkeit verstärkt. Die Kluft zwischen Einkommen, Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Kommunikation dort und dem in den Städten verfügbaren ist oft enorm. Darüber hinaus sind die LandbewohnerInnen von der Zerstörung der ländlichen Umwelt durch Industriezweige wie Holzwirtschaft, Bergbau sowie durch Monokulturen und andere wirtschaftliche Aktivitäten betroffen, die zu Überschwemmungen oder zur Auslaugung des Bodens führen. Zugleich konzentriert der Kapitalismus unermüdlich Landbesitz in den Händen einer wohlhabenden Elite oder des internationalen Agrobusiness. Von China und Bengalen bis Südamerika und Afrika werden Bauern/Bäuerinnen und indigene Gemeinschaften vom besten Land vertrieben und müssen in die Slums der Städte wandern.

Das Leben auf den Plantagen, auf denen Zucker, Kaffee, Tee, Baumwolle, Sisal, Gummi, Tabak und Bananen erzeugt werden, reproduziert viele der Merkmale der Sklaverei und von unfreien Vertragsarbeitsverhältnissen. PlantagenarbeiterInnen werden oft in Schuldknechtschaft gezwungen. Eine Revolution auf dem Lande, angeführt vom Proletariat, den landlosen Bauern/Bäuerinnen oder kleinen LandbesitzerInnen, bleibt immer noch eine mächtige Verbündete der städtischen ArbeiterInnenschaft und diese ist wiederum eine unverzichtbare Unterstützung für ihre Schwestern und Brüder auf dem Land.

  • Enteignung der OligarchInnen, ehemals kolonialer Plantagen und des multinationalen Agrobusiness unter Kontrolle von ArbeiterInnen, armen Bauern/Bäuerinnen und LandarbeiterInnen!
  • Das Land denen, die es bebauen!
  • Abschaffung der Pachtrente und Streichung aller Schulden der armen Bauern/Bäuerinnen!
  • Kostenlose Kredite für den Kauf von Maschinen und Dünger; Anreize, um die SubsistenzbäuerInnen zu ermutigen, freiwilligen Produktions- und Vermarktungsgenossenschaften beizutreten!
  • Freier Zugang zu Saatgut, Abschaffung aller Patente in der Landwirtschaft!
  • Modernisierung des ländlichen Lebens. Volle Elektrifizierung, Internetzugang und moderne städtische Einrichtungen. Stopp der Abwanderung der Jugend aus dem ländlichen Raum durch die Förderung kreativer und kultureller Aktivitäten.
  • Gegen die Armut auf dem Land; Einkommen, Zugang zu Gesundheit, Bildung und Kultur an die Städte angleichen! Dies allein kann die pathologische Form der Verstädterung des Kapitalismus verlangsamen und umkehren und den Weg zu dem im Kommunistischen Manifest festgelegten Ziel ebnen: „Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land.“

Für Frauenbefreiung!

Die kapitalistischen Demokratien versprachen Frauen Gleichheit, aber das galt nicht für alles und vieles bleibt unerfüllt. Im 20. Jahrhundert wurde auch Frauen das Wahlrecht zugestanden, auch dank der ersten Welle feministischer und sozialistischer Agitation vor dem Ersten Weltkrieg und weil die Kriegsanstrengungen der Großmächte es erforderten, Frauen in der Produktion zu beschäftigen und am öffentlichen Leben teilhaben zu lassen. Das Frauenwahlrecht wurde parallel zum allgemeinen Stimmrecht eingeführt und damit auch für die bis dahin nicht stimmberechtigten männlichen Arbeiter. Aber dies bedeutete weder für Frauen noch für die ArbeiterInnenklasse, dass sie von nun an wirklich die politische Macht innehatten. Der Zweite Weltkrieg zog noch mehr Frauen in die Produktion wie es auch die Planwirtschaft in der UdSSR tat. Sie traten in wachsenden Zahlen den Gewerkschaften bei.

Die anhaltende Belastung durch Kinderbetreuung und Hausarbeit behinderte ihren Zugang zu gleich gut bezahlten Arbeitsplätzen oder ununterbrochenen Berufslaufbahnen. Die militante ArbeiterInnenbewegung und die zweite Welle des Feminismus in den imperialistischen Ländern sowie die nationalen Befreiungsbewegungen in der sogenannten Dritten Welt errangen eine Reihe wichtiger Siege für Frauen, darunter das Recht auf selbstbestimmte Verhütung und in einigen Ländern auch darauf, Schwangerschaften abzubrechen. Dies gab Frauen die Wahlmöglichkeit bezüglich der Anzahl und Zeitpunkt von Geburten.

In dieser Zeit rückte auch die patriarchalische Ideologie sowie die geringe Anzahl von Frauen in Führungspositionen in Bildung, Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft stärker ins Blickfeld. Auch gegen häusliche Gewalt in der Familie, Vergewaltigung und sexuelle Belästigung wurde vorgegangen. Dennoch entsprechen in Europa und Nordamerika die Frauenlöhne trotz der Lohngleichstellungsgesetze im Durchschnitt nur 70 Prozent der Männerlöhne und sind oft sogar noch viel niedriger. Frauen tragen (neben ihrer beruflichen Tätigkeit) immer noch die doppelte Belastung durch Kinderbetreuung, Altenpflege und Haushaltsführung. Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe und häusliche Gewalt sind nach wie vor weit verbreitet. Die reproduktiven Rechte der Frauen sind beschränkt und unterliegen ständigen Angriffen.

Selbst diese Teilerfolge der Frauenbefreiung sind auf globaler Ebene äußerst uneinheitlich. Im globalen Süden verstärken die internationale Arbeitsteilung, uralte patriarchalische Beziehungen auf dem Land und religiöse Vorurteile, die von FundamentalistInnen aller Glaubensrichtungen wiederbelebt werden, diese Ungleichheiten. Frauen wird das Recht über ihre eigenen Körper verweigert und das Recht zu entscheiden, ob sie Kinder haben möchten und wenn ja, wann und wie viele. Häusliche Gewalt, Vergewaltigung in der Familie, sogar Mord (sogenannte Ehrenmorde) bleiben häufig weitgehend ungestraft.

In den letzten Jahrzehnten wurden jedoch Millionen von Frauen in die Massenproduktion gezogen, insbesondere in Gewerbebetriebe der Städte Süd- und Ostasiens sowie Lateinamerikas. In Krisenzeiten waren sie in der Textil-, Elektronik- und Dienstleistungsbranche, in denen sie etwa 80 Prozent der Beschäftigten ausmachen, oft die ersten, die entlassen wurden, wobei die Unternehmen oft ihnen ihre Löhne nicht bezahlten, die gesetzlichen Kündigungsauflagen brachen und dabei weder von der jeweiligen Regierung noch von den zuständigen Gerichten behelligt wurden. Am grausamsten ausgebeutet werden dabei die vielen Wanderarbeiterinnen, deren Familien zu Hause ohne ihre Überweisungen verhungern.

Auch heute noch sind von Männern dominierten Regierungen auf der ganzen Welt gierig bemüht, die Frauen bei der Wahl ihrer eigenen Kleidung zu kontrollieren. In Europa fordern RassistInnen Einschränkungen beim Tragen des Hidschab (Kopftuch) oder des Niqab („Gesichtsschleier“) und verhängen Verbote für Frauen, die nach islamischen Vorschriften ihr Gesicht verhüllen. In „islamischen Staaten“ wie Saudi-Arabien und Iran setzt andererseits die Religionspolizei die obligatorische islamische Kleiderordnung durch. Radikale Salafistengruppen und DschihadistInnen haben versucht, alte und unterdrückerische Regeln gegen Frauen wieder durchzusetzen. Wir stehen für folgende Positionen:

  • Gegen jede Form der rechtlichen Diskriminierung von Frauen! Gleiche Rechte für Frauen zu wählen, zu arbeiten, auf Bildung und an allen öffentlichen und sozialen Aktivitäten teilzunehmen!
  • Hilfe für Frauen, um Beschränkung ihrer Beschäftigung im informellen und familiären Bereich zu entgehen! Öffentliche Arbeitsprogramme zur Schaffung von Vollzeitstellen mit angemessenen Löhnen für Frauen!
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!
  • Alle Frauen sollten unabhängig von ihrem Alter Zugang zu kostenloser Verhütung und Abtreibung haben!
  • Kampf gegen sexuelle Gewalt in all ihren Formen! Ausbau von in öffentlichem Besitz befindlichen, selbst organisierten Unterkünften zum Schutz vor häuslicher Gewalt und Vergewaltigung! Selbstverteidigung gegen sexistische Gewalt, unterstützt durch die ArbeiterInnen- und Frauenbewegung!
  • Nein zu Gesetzen, die Frauen entweder dazu zwingen, religiöse Kleidung zu tragen, oder es ihnen verbieten! Frauen müssen das gesetzliche Recht haben, sich nach Belieben kleiden zu dürfen!
  • Verbot der Verheiratung von Kindern und von Zwangsehen!
  • Abschaffung der Doppelbelastung von Frauen durch die Sozialisierung der Hausarbeit! Kostenlose 24-Stunden-Kinderbetreuung und ein breites Angebot von preiswerten, guten öffentlichen Restaurants und Wäschereien!

Wir können niemals eine Gesellschaft erreichen, in der alle Menschen gleich sind, wenn wir nicht unsere Entschlossenheit zeigen, sexuelle Ungleichheit in unseren eigenen Widerstandsbewegungen zu überwinden. Wir müssen das Recht von Frauen in der ArbeiterInnenbewegung einfordern, sich unabhängig zu treffen, um Diskriminierung zu erkennen und zu bekämpfen. Für das Recht von Frauen auf eine angemessene Vertretung in Führungsstrukturen und auf die Bildung formeller eigener Strukturen in Parteien und Gewerkschaften.

  • Für eine internationale proletarische Frauenbewegung, um Frauen im Kampf für ihre Rechte zu mobilisieren und ArbeiterInnenkämpfe überall zu stärken! Für die Verbindung des Kampfes gegen das Kapital mit dem für die Frauenemanzipation und für eine neue sozialen Ordnung, die auf wirklicher Freiheit und Gleichheit beruht! Die Aufgabe kommunistischer Frauen besteht darin, eine solche Bewegung aufzubauen und dafür einzutreten, sie auf den Weg der sozialen Revolution zu führen.

Gegen sexuelle Unterdrückung: für die Befreiung von Lesben, Schwulen und Trans-Personen

Die historische Ungleichheit der Geschlechter, die auf die Entstehung der Klassengesellschaft und des Staates als Instrument der Ausbeutenden über die Ausgebeuteten vor Jahrtausenden zurückgeht, führte zu repressiven Regeln und Gebräuchen in Bezug auf Sexualität sowie männliche und weibliche Geschlechterrollen. Heterosexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe oder Familien- bzw. Kastenarrangements und Homosexualität wurden streng sanktioniert bis hin zur Todesstrafe. Menschen, die das binäre Geschlechtermodell oder die herrschenden Geschlechterrollen übertreten, wurden stigmatisiert, gemobbt, zum Selbstmord getrieben oder ermordet. In vielen Ländern ist dies auch heute noch der Fall.

Lesben, Schwule und Trans-Personen sind nur in einer Minderheit von Ländern rechtlich gleichgestellt. In vielen Ländern drohen ihnen staatliche Strafen, körperliche Belästigungen und sogar der Tod. In Afrika wurden Schwule und Lesben mit einer Welle von Gewalt und Repressionen überzogen, als sie Forderungen nach gleichen BürgerInnenrechten stellten. Die meisten Religionen billigen diese hasserfüllte Unterdrückung. Die ArbeiterInnenbewegung und die sozialistische Jugend müssen überall für die Verteidigung von Lesben, Schwulen und Transsexuellen einstehen.

  • Volle rechtlicher Gleichheit für lesbische, schwule und transsexuelle Menschen, einschließlich dem uneingeschränkten Recht zu Lebenspartnerschaften und Ehen!
  • Für ein Ende aller Verfolgungen durch Staat, Kirchen, Tempel und Moscheen! Respekt vor jeder Art von sexueller Orientierung! Jede einvernehmliche sexuelle Aktivität ist eine rein persönliche Entscheidung!
  • Verbot jeglicher Diskriminierung und Hassverbrechen gegen Lesben, Schwule und Trans-Personen! Für das Recht von Trans-Persone zu leben, sich zu kleiden und sich öffentlich zu verhalten entsprechend dem Geschlecht/der Geschlechterrolle, mit dem/r sie sich identifizieren! Keine Diskriminierung bei der Wohnungsvergabe, beim Zugang zur Lebensversicherung und bei medizinischer Behandlung, beim Zugang zu Arbeit oder zu Dienstleistungen!
  • Für das Recht von Schwulen, Lesben und Trans-Personen, Kinder großzuziehen!
  • Kein Verbot Menschen entsprechend ihrer sexuellen Orientierung zu erziehen! Kein Eingriff in das von Individuen gemeinsam bestimmte Sexualleben. Für den freien Ausdruck aller Formen von Sexualität und Beziehungen!
  • Für das Recht von LGBTIA, in Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien separate Treffen (Caucus) von ihresgleichen zu organisieren, um Unterdrückung zu bekämpfen!

Für die Befreiung der Jugend!

Kapitalistische Krisen treffen die Jugendlichen am härtesten, weil sie der am wenigsten abgesicherte Teil der ArbeiterInnenklasse sind und als erste entlassen werden können. In den Jahren nach der Großen Krise von 2008 lag die Jugendarbeitslosigkeit doppelt so hoch wie die von Erwachsenen. Es gab weniger Arbeitsplätze für SchulabgängerInnen und Kürzungen der staatlichen Bildungshaushalte, die die Alternative eines Vollzeitstudiums stark einschränkten. Verarmung der Familien verstärkt die brutale Behandlung von Kindern in den Slums der Dritten Welt. Es steht fest, dass die nächste Krise ähnliche Folgen haben wird.

Weit davon entfernt, sich für die Jugend einzusetzen, unterdrücken Gewerkschaftsbürokratie und reformistische Apparate der ArbeiterInnenparteien deren Begeisterungsfähigkeit und Rechte. Kein Wunder: Jugendliche sind in allen Ländern eine mächtige revolutionäre Kraft, erfüllt von Kampfgeist, frei von vielen Vorurteilen und konservativen Gewohnheiten, die bürgerliche und reformistische Parteien sowie Gewerkschaften geprägt haben. Sie sind ein wesentliches Element der revolutionären Avantgarde. Eine Fünfte Internationale muss ihnen ermöglichen, aus ihren eigenen Erfahrungen zu lernen und ihre eigenen Kämpfe zu führen, indem sie die Gründung einer Revolutionären Jugend-Internationale fördert. Wir kämpfen für:

  • Arbeitsplätze für alle jungen Menschen, mit gleichen Löhnen und Arbeitsbedingungen wie für ältere Beschäftigte!
  • Abschaffung schlecht bezahlter Praktika und deren Ersetzung durch eine voll bezahlte Ausbildungsstelle mit Übernahmegarantie!
  • Schluss mit jeder Kinderarbeit!
  • Kostenlose Bildung für alle vom Kindesalter bis zum 16. Lebensjahr sowie höhere Bildung und Ausbildung für alle ab 16, die das wollen, mit garantiertem Stipendium oder Ausbildungsgehalt! Streichung aller Schulden aus Studienkrediten!
  • Für das Wahlrecht ab 16 Jahren oder ab dem Erwerbsalter, falls dies früher beginnt!
  • Keine Verbote von Kleidungsstilen, Musikstilen und Jugendkultur. Volle Meinungsfreiheit!
  • Nieder mit dem verlogenen „Krieg gegen Drogen“. Legalisierung aller Drogen unter einem staatlichen Monopol, um deren Reinheit zu gewährleisten und die Drogenbanden auszuschalten, mit Bildungs- und Gesundheitsdiensten zur Eindämmung und Beseitigung von Sucht und gesundheitsgefährdendem Missbrauch.
  • Für Jugendzentren und menschenwürdige Unterkünfte, die vom Staat finanziert werden, jedoch unter demokratischer Kontrolle der Jugendlichen stehen, die sie nutzen!
  • Für ein Ende aller Kürzungen im Bildungssektor! Für massive Investitionen ins öffentliche Bildungssystem! Mehr LehrerInnen und bessere Bezahlung für diese! Bau von mehr staatlichen Schulen! Verstaatlichung von Privatschulen!
  • Gegen alle Beschränkungen des freien Zugangs zur Bildung! Keine Schul- und Universitätsgebühren!
  • Nein zu allen religiösen oder privaten Kontrollen über das Schulwesen und für weltliche, staatlich finanzierte Bildung!
  • Bei der Entwicklung ihres Sexuallebens sind junge Menschen mit Intoleranz, Unterdrückung und Verfolgung konfrontiert. Sexualerziehung muss in staatlichen Schulen ohne religiöse oder elterliche Einmischung möglich sein, damit die Jugendlichen ihre Sexualität im Laufe ihrer Entwicklung entsprechend ihrer sexuellen Orientierung und ihrer eigenen Entscheidungen leben können.
  • Für strenge Gesetze gegen Vergewaltigung und sexuelle Belästigung in der Familie, zu Hause, in Schulen und Kinderheimen oder bei der Arbeit! Kinder vor Missbrauch schützen, ob von Priestern/PfarrerInnen, LehrerInnen, Eltern!
  • Keine Kontrolle des Bildungssystems durch den bürgerlichen Staat! SchülerInnen, LehrerInnen und VertreterInnen der ArbeiterInnenbewegung sollten die Lehrpläne festlegen und die Schulen demokratisch verwalten.

Verteidigung demokratischer Rechte

Im In- und Ausland stellen sich die westlichen ImperialistInnen gerne als VerteidigerInnen und BefürworterInnen von Demokratie dar. Sie lügen. Nach dem 11. September und den Terroranschlägen des Dschihads in Europa im letzten Jahrzehnt verhängten die nordamerikanischen und europäischen Regierungen Anti-Terror-Gesetze, die eine Überwachungsgesellschaft schufen und die Rechte einschränkten oder abschafften, die über Jahrhunderte in Kämpfen der Bevölkerung gewonnen worden waren.

Im globalen Süden werden genau die demokratischen Rechte, die es der ArbeiterInnenklasse, den BäuerInnen, den städtischen und ländlichen Armen ermöglichen, Widerstand zu organisieren und zu mobilisieren, von den Gerichten, der Polizei, den Schlägerbanden der Bosse ausgehöhlt. Auf den Philippinen hat die Polizei in Rodrigo Dutertes Krieg gegen die Drogen innerhalb von zwei Jahren in einem wahren Blutrausch illegale Morde verübt, deren Zahl auf 12.000 bis 20.000 geschätzt wird. In Mexiko und anderen mittel- und südamerikanischen Staaten haben Militär- und Polizei im Namen des „Krieg gegen Drogen“ ebenfalls Morde verübt, vor allem an Linken, GewerkschafterInnen und BauernführerInnen . In Brasilien steht unter Jair Bolsonaro ein schwerer Angriff auf die demokratischen Rechte an.

In Palästina und insbesondere in dem blockierten und wiederholt bombardierten Gazastreifen sind die PalästinenserInnen eine ständige Zielscheibe des zionistischen SiedlerInnenstaats. In Israel und im Westjordanland praktiziert dieser ein Regime, das dem früheren Apartheidsregime in Südafrika nicht unähnlich ist. Der unaufhörliche und heldenhafte Kampf des palästinensischen Volkes verdient die uneingeschränkte Unterstützung einschließlich der BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen). Unser Ziel muss das Recht auf Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge sein, die Auflösung des zionistischen Staats und die Schaffung eines einzigen Staates für beide Nationen, ob hebräisch oder arabisch sprechend, in Israel-Palästina sein. Ein solcher Staat kann den vom Zionismus geschaffenen Antagonismus zwischen den beiden Völkern nur auflösen, indem er zu einem sozialistischen wird, in dem also die landwirtschaftlichen Betriebe, die Fabriken usw. Gemeinbesitz werden und ein demokratischer Wirtschaftsplan erstellt wird, um die soziale Gleichheit herzustellen.

Das Gift des Rassismus und von Pogromen gegen Minderheiten und EinwanderInnen wird benutzt, um den Widerstand zu spalten und zu untergraben. Überall auf der Welt sind es die eigenen Massenorganisationen, die den Kampf zur Verteidigung und Ausweitung der demokratischen Rechte aufnehmen müssen. Unsere demokratischen Kampforganisationen sind das Fundament jeder echten „Herrschaft des Volkes“. Durch regelmäßige Wahlen, die Abwählbarkeit von Delegierten und RepräsentantInnen, durch Opposition gegen die Bürokratie und ihre Privilegien kann die ArbeiterInnenbewegung das Sprungbrett zu einer neuen Gesellschaft werden.

  • Verteidigung des Streikrechts, der Rede- und Versammlungsfreiheit, der politischen und gewerkschaftlichen Organisation, der Presse- und Sendefreiheit! Aufhebung aller Anti-Gewerkschaftsgesetze!
  • Abschaffung aller undemokratischen Elemente in kapitalistischen Verfassungen: Weg mit Monarchien, zweiten Kammern, ExekutivpräsidentInnen, ungewählten Gerichten und Notstandsgesetzen!
  • Für das uneingeschränkte Recht auf Gerichtsverfahren vor einem Geschworenengericht und für die Wahl der RichterInnen durch das Volk!
  • Bekämpfung der zunehmenden Überwachung unserer Gesellschaft, einschließlich des Internets, und der zunehmenden Macht der Polizei und Sicherheitsdienste! Nieder mit dem Unterdrückungsapparat, für seine Ersetzung durch Milizen, die sich aus der ArbeiterInnenschaft und der Masse der Bevölkerung rekrutieren und von ihnen kontrolliert werden! Gewinnt SoldatInnen für den Bruch mit ihren Vorgesetzten, um Teile von ihnen für die Revolution zu gewinnen!

Wo immer grundlegende Fragen der politischen Ordnung gestellt werden, fordern wir eine konstituierende Versammlung, die die demokratischen Rechte neu definiert und die letztlich über die gesellschaftliche Grundlage des Staates entscheidet. Die ArbeiterInnen sollten dafür kämpfen, dass die Abgeordneten der Versammlung auf demokratischste Weise gewählt werden, unter der Kontrolle ihrer WählerInnen stehen und von ihnen abberufen werden können. Die Versammlung muss gezwungen werden, sich mit allen grundlegenden Fragen demokratischer Rechte und sozialer Gerechtigkeit zu befassen: Agrarrevolution, Verstaatlichung der Großindustrie und der Banken unter ArbeiterInnenkontrolle, Selbstbestimmungsrecht für nationale Minderheiten, Abschaffung der politischen und wirtschaftlichen Privilegien der Reichen.

Entreißt die Digitalisierung der Kontrolle durch Staat und Konzerne!

Seit den 1960er-Jahren gehören die Fortschritte in Computertechnologie, Vernetzung und ihre Anwendung auf viele Bereiche in Produktion und Alltag zu den wesentlichen Faktoren im Fortschritt der Produktivkräfte. Mit Internet, mobiler Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz wurden in den letzten Jahren neue Stufen der Entwicklung mit immer höherem Tempo erreicht. Cloud-Computing und andere Elemente im Sharing von Ressourcen, immer engere Koppelung von Produktanforderung und Produktbereitstellung, die abgesicherte Abwicklung von Transaktionen und komplexer Logistik-Ketten über blockchain haben in den letzten Jahren große Potentiale für Produktivitätssteigerungen hervorgebracht. Tatsächlich sind in allen diesen Bereichen jedoch große Monopole vorherrschend (Amazon, Microsoft, Alphabet, Facebook,…), die diese Produktivitätsgewinne für ihre Monopolprofite verwerten. Ein wesentlicher Faktor dafür ist ihre enorme Kontrolle über Daten und Informationen der Nutzer, aus deren Verkauf sie große Gewinne erzielen. Viele Firmen versuchen inzwischen Daten ihrer Beschäftigten unter allen nur möglichen Aspekten zu ermitteln, um sie entsprechend besser kontrollieren und die Konkurrenz untereinander anheizen zu können. Ebenso nutzen Staaten (nicht nur China und die USA) künstliche Intelligenz und ihren Zugriff auf die Netze, um immer umfassendere Informationen über ihre BürgerInnen zu sammeln, sie zu bewerten und gegebenenfalls schnell nutzen zu können.

Die modernen Computertechnologien werden von den Geheimdiensten dieser Welt verwendet, um eine allumfassende Überwachung zu realisieren. Die Enthüllungen um den NSA-Skandal im Jahre 2013 zeugen davon. Seitdem hat sich der Ausbau der Überwachung noch beschleunigt. RevolutionärInnen muss bewusst sein, dass Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, Trojaner-Programme und die massenhafte Speicherung von Daten ein Teil des Klassenkampfes der Herrschenden sind und massiv gegen sie und die ArbeiterInnenbewegung verwendet werden und nicht der „Sicherheit“ der Bevölkerung dienen.

Die Versuche, diese Gefahren einzudämmen, etwa durch Datenschutzbestimmungen (wie die europäische Datenschutzgrundverordnung) oder Vorschriften zur Eindämmung von Hasspostings, sind kaum mehr als Feigenblattaktionen. Kaum jemand kann die angeblichen Möglichkeiten zur Kontrolle über die eigenen Daten wirklich nutzen. Die Masse an Missbrauchsmöglichkeiten durch Staat, Konzerne und rechte Organisationen wächst in einem Tempo, hinter dem alle diese Maßnahmen nur hoffnungslos hinterherhinken.

  • Enteignung der großen IT-Monopole unter Kontrolle der Beschäftigten und demokratisch legitimierter User-Komitees!
  • Für einen Plan zur gesellschaftlich sinnvollen Nutzung der produktiven Fortschritte der IT-Technologie
  • Für die gesellschaftliche Kontrolle (durch demokratisch legitimierte User-Komitees) der von Staat und Betrieben gesammelten Daten und der Verfahren ihrer Nutzung und Vernetzung
  • Keine Überwachung durch das Kapitals und durch Konzernen wie Google, Facebook oder durch Vorgesetzte, die IT nutzen um BürgerInnen und Beschäftigten zu kontrollieren. Eine erste Forderung könnte sein, dass sie die Algorithmen und Datensammelsysteme offen legen müssen.
  • Nein zu Überwachungstools, die das Netzverhalten von Usern und Beschäftigten ausspionieren! Nein zu Uploadfiltern und anderen Verfahren, die die freie Verfügung über die im Netz geteilten Inhalte verhindern sollen und den Netzinhalten die Warenform aufzwingen wollen! Stattdessen Ausdehnung der Share-economy und staatliche Finanzierung ihrer Basis (z.B. staatliche Finanzierung von Open Source unter ProduzentInnenkontrolle statt Abhängigkeit von den „Spenden“ der IT-Konzerne)! 

Von der Verteidigung von Streiks zur ArbeiterInnenmiliz

Alle entschlossenen Streikenden kennen die Notwendigkeit von Streikposten, um von Streikbruch abzuschrecken. Kein Wunder also, dass die KapitalistInnen überall auf der Welt auf drakonische gewerkschaftsfeindliche Gesetze drängen, die unsere Streikposten so schwach und ineffektiv wie möglich machen sollen. Gleichzeitig dürfen die Bosse Sicherheitskräfte und private Schlägertrupps einstellen, um die ArbeiterInnen einzuschüchtern. Von Angriffen auf ArbeiterInnendemonstrationen durch hochgerüstete Polizei wie in Griechenland bis zur Verhaftung und Inhaftierung von GewerkschafterInnen wie im Iran reicht die andauernde Verfolgung kämpferischer ArbeiterInnen. Wenn die Polizei und die SchlägerInnenbanden der Unternehmen zu offener Repression greifen, kann selbst die kämpferischste Streikpostenkette unzureichend sein, wie wir beim historischen britischen BergarbeiterInnenstreik von 1984–1985 gesehen haben. Der dramatischste Fall in diesem Jahrhundert war das Massaker von Marikana, bei dem die südafrikanische Polizei auf Anweisung des heutigen Präsidenten und ehemaligen Bergleuteführers Cyril Ramaphosa 42 streikende Bergleute tötete. Jede ernsthafte Auseinandersetzung zeigt die Notwendigkeit eines disziplinierten Schutzes, indem man Waffen einsetzt, die es mit den gegen uns eingesetzten aufnehmen können.

Wir sollten mit der organisierten Verteidigung von Demonstrationen, von Streikposten und von Minderheiten beginnen, die mit rassistischen und faschistischen Übergriffen konfrontiert sind, wie auch mit der Selbstverteidigung sexuell Unterdrückter. Kämpferische ArbeiterInnen müssen immer das demokratische Recht auf Selbstverteidigung geltend machen und eine öffentliche Kampagne für eine Selbstverteidigungsgarde der ArbeiterInnen und des Volkes starten, die sich auf eine Massenbewegung stützt.

In Ländern, in denen es ein Recht auf das Mitführen von Waffen gibt, sollte die proletarische Verteidigungsgarde dieses Recht voll ausschöpfen. Wo die KapitalistInnen und ihr Staat über ein Gewaltmonopol verfügen, sind alle Mittel berechtigt, um dieses Monopol zu brechen. RevolutionärInnen müssen innerhalb der Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse und der KleinbäuerInnenschaft für die Bildung von Verteidigungstruppen kämpfen, die diszipliniert, im Kampf erfahren und mit den entsprechenden Erfolg verheißenden Waffen ausgestattet sind. In Schlüsselmomenten des Klassenkampfes sind Massenstreikwellen, ein Generalstreik und die Schaffung einer MassenarbeiterInnenmiliz unerlässlich oder die Bewegung wird im Blut ertrinken wie 1973 in Chile oder 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tian’anmenplatz in Peking). Wenn wir uns in einer solchen Situation der Herausforderung stellen, können diese Mittel der Volksverteidigung zum Instrument der Revolution werden.

Für eine ArbeiterInneneinheitsfront gegen den Faschismus

Die kapitalistische Krise ruiniert die Mittelschichten und lässt sie krampfhaft nach Sündenböcken suchen, während Langzeitarbeitslose immer tiefer in Verzweiflung versinken, was sie anfällig für RassistInnen, RechtsnationalistInnen, religiöse DemagogInnen und regelrechte FaschistInnen macht.

In den imperialistischen Ländern nimmt dies oft die Form des klassischen Faschismus an, der auf Nichtweiße, auf Angehörige nationaler und religiöser Minderheiten, auf MigrantInnen und Roma als Sündenböcke abzielt. Insbesondere in Europa verbreiten sich Islamophobie, Hass auf MuslimInnen, eine schnell wachsende Bedrohung mit Märschen gegen Moscheen und der Hetze gegen Hidschab und Burka, die sich unter dem Deckmantel der offiziellen Ideologie der „Terrorismusbekämpfung“ und der angeblich drohenden „Islamisierung Europas“ ausbreitet. Auch der Antisemitismus ist nicht tot. Die schnell wachsende ungarische Nazi-Bewegung Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn) vereint beides in einer giftigen Mischung aus reaktionären Demagogien.

In der halbkolonialen Welt entstehen oft faschistische Kräfte aus Kommunalismus und religiösem Fanatismus, die die Emotionen der Massen auf Minderheiten lenken wie zum Beispiel gegen die MuslimInnen in Indien, die TamilInnen in Sri Lanka, die Hindud, ChristInnen, Ahmadis und SchiitInnen in Pakistan.

Der Faschismus ist ein Mittel des Bürgerkriegs gegen die ArbeiterInnenklasse. Indem er alten Hass aufweckt und irrationale Ängste schürt, mobilisiert er die kleinbürgerlichen und lumpenproletarischen Massen, um die ArbeiterInnenklasse und demokratische Organisationen zuerst zu spalten und dann zu zerstören. Danach konzentriert der Faschismus den gesamten staatlichen Machtapparat  in seinen Händen, um den ArbeiterInnen unter der direkten Aufsicht der Polizei und ihrer Hilfstruppen ein Regime der Überausbeutung aufzuzwingen. Die Bewunderung der FaschistInnen für Massenmörder wie Anders Breivik und Brenton Tarrant belegt ihre brutalen Ziele.

Sein Wachstum als Massenbewegung zeugt von der Tiefe der Krise, die Millionen wütend macht und sie zur Verzweiflung treibt, sowie vom Verrat und dem Versagen der Führung der ArbeiterInnenklasse. Man kann den Faschismus nur besiegen, wenn die revolutionäre Bewegung der ArbeiterInnenklasse und ihrer Verbündeten freigesetzt wird und zu einer ArbeiterInneneinheitsfront aller ArbeiterInnenorganisationen gegen den Faschismus und zu einer antifaschistischen ArbeiterInnenmiliz aufruft, um die Angriffe auf die ArbeiterInnenbewegung und alle Minderheiten abzuwehren. Wie Leo Trotzki sagte: „Wenn der Sozialismus der Ausdruck revolutionärer Hoffnung ist, so ist der Faschismus der Ausdruck konterrevolutionärer Verzweiflung.“ Um dieser Verzweiflung der Massen entgegenzutreten, muss sie eine revolutionäre Klassenoffensive gegen den krisengeschüttelten Kapitalismus umgewandelt werden, gegen das System, das immer wieder den Faschismus hervorbringt. Da der Faschismus seine Stärke daraus bezieht, die Massen zu mobilisieren, die die Auswirkungen der kapitalistischen Krise wütend gemacht haben, wird der Kampf gegen den Faschismus erst dann abgeschlossen sein, wenn seine Wurzel, der Kapitalismus, ausgerottet ist.

  • Für eine ArbeiterInneneinheitsfront gegen die FaschistInnen!
  • Kein Vertrauen in den kapitalistischen Staat und seinen Unterdrückungsapparat!
  • Für die organisierte Selbstverteidigung von ArbeiterInnen, nationalen Minderheiten und Jugendlichen! Eine antifaschistische Miliz kann es schaffen, faschistische Kundgebungen, Demonstrationen und Treffen aufzulösen und den rassistischen und faschistischen DemagogInnen jede Redetribüne zu verwehren.

Gegen Militarismus und imperialistischen Krieg

Jede kapitalistische Wirtschaftskrise geht auch mit der Gefahr eines Krieges schwanger. Die Konkurrenz zwischen Staaten verschärft sich. Die Herrschenden versuchen, die Menschen vom Klassenkampf abzulenken und in den Kampf gegen den äußeren Feind zu schicken. Von Afghanistan und Irak bis Honduras und Sierra Leone nutzen die großen imperialistischen Mächte wie die USA und Großbritannien ihre direkte Besatzungsmacht oder schüren Putsche und fördern Bürgerkriege, um ihre Marionettenregierungen durchzusetzen. Sie ermutigen die von ihnen abhängigen Regierungen, als regionale PolizistInnen aufzutreten, mit dem Auftrag, konkurrierende Regimes zu untergraben und die Unterdrückung der Bevölkerung zu fördern.

Heute hat der starke wirtschaftliche Abschwung eine Periode der revolutionären Krise des Systems als Ganzem eröffnet und den Kampf zwischen den imperialistischen Mächten um die Neuverteilung der Ressourcen der Welt verstärkt. Zunächst sind die Konturen dieser neuen Rivalitäten, Spannungen und Abgrenzungen zwischen den USA und China, Russland und der EU nur schwach erkennbar. Dennoch drohen damit tödliche Regional- und Stellvertretungskriege und letztendlich ein neuer Weltkrieg, ein verzweifelter Vernichtungskonflikt zwischen den untergehenden Weltmächten und den neuen, aufstrebenden Imperien.

Wenn die ArbeiterInnenklasse die internationale Diplomatie, die Entscheidung über Krieg und Frieden denen überlässt, die uns beherrschen, dann ist es unser Schicksal, deren Kanonenfutter zu werden. Deshalb braucht die ArbeiterInnenklasse eine neue Internationale – wie schon die Erste Internationale in ihrer Gründungserklärung erklärte, um „in die Geheimnisse der internationalen Politik einzudringen, die diplomatischen Akte ihrer respektiven Regierungen zu überwachen, ihnen wenn nötig entgegenzuwirken“.

Die große Anti-Kriegsmobilisierung 2003, die 20 Millionen Menschen in jeder Großstadt der Welt auf die Straße brachte, hat eindeutig bewiesen, dass dies möglich ist. Dass die Bewegung es nicht schaffte, den Krieg zu stoppen, war allein darauf zurückzuführen, dass die Initiatoren, das Europäische Sozialforum und das Weltsozialforum nicht bereit und in der Lage waren, weitere Massenaktionen einschließlich Streiks, Straßenblockaden und Meutereien zu organisieren.

Das riesige Ausmaß der weltweiten Märsche zeigte das Potenzial für globales Handeln der ArbeiterInnenklasse, um Kriege zu stoppen oder in Revolutionen zu verwandeln. Das Versagen der Bewegung, den Irakkrieg zu stoppen, zeigte wie notwendig eine diszipliniertere Organisation mit festen Zielen ist, eine Fünfte Internationale.

Im Kapitalismus haben die ArbeiterInnen kein Vaterland. In den imperialistischen Ländern darf die ArbeiterInnenbewegung niemals die „nationale Verteidigung“ unterstützen und muss immer die Niederlage ihrer MachthaberInnen anstreben, sei es in kolonialen Besatzungskriegen wie im Irak und in Afghanistan oder in jedem Konflikt mit konkurrierenden imperialistischen Staaten. Es ist die Pflicht der RevolutionärInnen, den Krieg auszunutzen, um den Untergang des Systems herbeizuführen, um den imperialistischen Krieg in einen BürgerInnenkrieg zu verwandeln.

Die ArbeiterInnenklasse muss auch die verbliebenen degenerierten ArbeiterInnenstaaten gegen wirtschaftliche Blockaden und militärische Bedrohungen durch imperialistische Mächte verteidigen, ohne dabei deren herrschenden bürokratischen Kasten zu unterstützen. Der Kampf gegen die kapitalistische Restauration erfordert vielmehr dafür zu kämpfen, diese Regime durch eine politische Revolution zu stürzen.

In halbkolonialen Ländern ist es notwendig, die Nation gegen jeden Angriff einer imperialistischen Macht oder ihrer regionalen Handlanger oder Hilfs-Sheriffs zu verteidigen. Gleichzeitig unterstützen RevolutionärInnen die Kriegsführung der Bourgeoisie in keiner Weise. Indem sie für eine Einheitsfront aller nationalen Kräfte gegen den Imperialismus kämpfen, indem sie die Schwächen, das Schwanken und die Zurückhaltung der besitzenden Klassen im antiimperialistischen Kampf aufdecken, streben RevolutionärInnen danach, von anderen Klassen unabhängige Kräfte der ArbeiterInnenklasse an die Spitze des Kampfes zu heben, um die Nation vom Imperialismus zu befreien und zugleich den Weg zum Sozialismus zu öffnen.

In Auseinandersetzungen zwischen Halbkolonien über Territorium oder Ressourcen, die Geschwistermorden gleichen, ist die Niederlage des „eigenen“ Landes das geringere Übel als das Aussetzen des Klassenkampfes im Inneren. Der Krieg muss in einen Aufstand für ArbeiterInnenmacht und Frieden verwandelt werden.

Die großen imperialistischen Mächte, die USA, Großbritannien, China und die EU-Staaten geben Hunderte Milliarden für ihre Kriegsmaschinerie aus. Heute behaupten sie, im humanitären Interesse zu handeln, aber das ist Tarnung für ihr eigentliches Ziel, ihre militärische Herrschaft über die Welt zu behaupten und zu sichern. Auch in ärmeren Ländern werden große Teile des Staatshaushalts für die Armee ausgegeben. In Ländern wie Pakistan und der Türkei versucht das Militär, selbst eine direkte politische Rolle zu spielen.

  • Nein zu imperialistischen Kriegen und Aggressionen! Kampf der imperialistischen Besatzung Afghanistans, des Irak, Palästinas, Tschetscheniens und Venezuelas! Unterstützt den Widerstand! Hände weg vom Iran und von Nordkorea!
  • Für die Schließung aller imperialistischen Militärstützpunkte auf der ganzen Welt! Nein zu US-, EU- und anderen imperialistischen Militärinterventionen!
  • Auflösung aller imperialistisch ausgerichteten Militärbündnisse wie der NATO!
  • Kein Geld, kein Personal für eine kapitalistische Streitmacht, weder für eine Berufs- noch für eine Wehrpflichtigenarmee! Abgeordnete von ArbeiterInnenparteien in Parlamenten müssen gegen alle Militärausgaben kapitalistischer Regierungen stimmen!
  • Militärische Ausbildung für alle unter der Kontrolle der ArbeiterInnenbewegung!
  • Für uneingeschränkte BürgerInnenrechte der SoldatInnen, für die Gründung von SoldatInnenausschüssen und -gewerkschaften sowie die freie Wahl der OffizierInnen! Verteidigung von SoldatInnen, die illegale oder unmoralische Befehle verweigern!
  • In jedem reaktionären Krieg steht die Feindin der ArbeiterInnenklasse im eigenen Land, die eigene Bourgeoisie! Für die Niederlage imperialistischer Regierungen in Kriegszeiten! Für den Sieg von Kolonial-, Halbkolonial- und ArbeiterInnenstaaten über imperialistische Armeen!

Für die Befreiung unterdrückter Nationen und Völker

Der Ausgangspunkt der InternationalistInnen ist, dass die ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen aller Nationalitäten sich vereinigen müssen, denn in keiner Nation können sie ihre Probleme isoliert lösen. Eines der größten Hindernis dafür diesen Internationalismus zu verwirklichen ist die nationale Unterdrückung: die Tatsache, dass das Weltsystem auf der systematischen Unterdrückung einiger Nationen durch andere beruht. Dauerhafte Einheit zwischen Nationen kann es nicht geben, solange die eine die andere unterdrückt. Heute wird ganzen Nationen, der palästinensischen, der kurdischen, den Rohingyas, der uigurischen Nation, der belutschischen, den tamilischen in Sri-Lanka, der kaschmirischen, der tschetschenischen, der tibetischen Nation und vielen anderen das Recht auf Selbstbestimmung verweigert. Das gilt auch für viele indigene oder in Stämmen lebende Völker. Sie sind ethnischen Säuberungen, der Einsperrung in Konzentrationslager, der Unterdrückung ihrer Sprache und Kultur und im schlimmsten Fall sogar dem Völkermord ausgesetzt. Die ArbeiterInnenklassen, insbesondere diejenigen, deren nationale herrschende Klassen für die jeweilige Unterdrückung verantwortlich sind, müssen Unterstützung und praktische Hilfe im Kampf der unterdrückten Nationen für ihre Befreiung leisten.

  • Für das Recht auf Selbstbestimmung der unterdrückten Nationen einschließlich des Rechts, einen eigenen Staat zu gründen, wenn sie dies wünschen!
  • Für das Recht der indigenen Völker auf ihr Land, frei von Siedlungen, die darauf abzielen, sie zu einer Minderheit zu machen!
  • Gleiche Rechte und Staatsbürgerschaft für Angehörige nationaler Minderheiten!
  • Gegen offizielle Landessprachen! Gleiche Rechte für nationale Minderheiten, ihre Sprachen in Schulen, vor Gericht, in den Medien und im Umgang mit der öffentlichen Verwaltung zu verwenden! Für das Recht von MigrantInnengemeinschaften, ihre Kinder in der Schule auch in ihrer Muttersprache zu unterrichten!

Rassismus bekämpfen

Rassismus ist eine der tiefsten und bösartigsten der vielen Formen von Unterdrückung, die der Kapitalismus erzeugt. Seine Wurzeln liegen tief in der Geschichte der kapitalistischen Entwicklung. Der Weltmarkt und der Welthandel wuchsen unter der Herrschaft der starken kapitalistischen Mächte, die schwächere Staaten ausplünderten. Die Sklaverei in Amerika, die Früchte des britischen Empire, und entsprechen der Großmächte Niederlande und Frankreich, die Eroberungskriege Deutschlands und Japans erforderten alle, dass die UnterdrückerInnen denjenigen, die sie versklavten, die Eigenschaft Menschen zu sein absprachen. Die AfrikanerInnen, InderInnen, IndianerInnen, die ChinesInnen und SüdostasiatInnen und das jüdische Volk wurden von den neuen Imperialmächten als Untermenschen dargestellt, die der Rechte, die sie widerwillig der eigenen Bevölkerung zu Hause zugestanden hatten, unwürdig wären.

Indem sie systematisch die neue Ideologie des Rassismus verbreiteten, rechtfertigten die imperialen Mächte ihre Verbrechen in Übersee, banden ihr eigenes Volk an die Unterstützung nationaler militärischer Abenteuer, wie kriminell auch immer diese sein mochten, schotteten ihre eigenen ArbeiterInnen vom rebellischen Geist ihrer kolonialen Schwestern und Brüder ab und förderten tiefe Spaltungen zwischen den einheimischen und migrantischen Teilen der ArbeiterInnenklasse im Heimatland.

Heute, nach der großen BürgerInnenrechtsbewegung in den USA und den siegreichen nationalen Bewegungen, die die KolonialistInnen aus Indien, Algerien und Vietnam vertrieben und die Apartheid in Südafrika besiegt haben, schwört die Bourgeoisie der imperialistischen Mächte auf Antirassismus. Dennoch diskriminieren dieselben Regierungen systematisch schwarze, afrikanische, asiatische und migrantische Gemeinschaften in ihren Heimatländern, verhängen rassistische Einwanderungskontrollen und halten für nicht-weiße Minderheiten die schlimmsten Wohnverhältnisse, den niedrigsten Löhne und ständige Schikanen durch die Polizei bereit. Die „Black Lives Matter“-Bewegung hat die Aufmerksamkeit auf die Morde bewaffneter Cops an jungen AfroamerikanerInnen und ähnliche Verfolgungen gegen AsiatInnen und Latinos/-as gelenkt. In Europa, Ost und West, sind Roma und muslimische Gemeinschaften das Opfer von Polizeirazzien und Zwangsabschiebungen, angestachelt durch eine andauernde abscheuliche rassistische Propaganda der Medien.

Bei der sogenannten Flüchtlingskrise der EU, der Flucht von SyrerInnen, AfghanInnen, IrakerInnen und JemenitInnen vor dem Krieg sowie SchwarzafrikanerInnen vor der Armut und den Auswirkungen des Klimawandels, werden all diese daran gehindert, das Mittelmeer zu überqueren und sie werden von Lagerhaft und Abschiebung bedroht. Die ArbeiterInnenbewegung muss die ArbeitsmigrantInnen in den gemeinsamen Kampf gegen Rassismus und Kapitalismus integrieren.

  • Nieder mit allen Formen der Diskriminierung von MigrantInnen! Gleiches Entgelt und gleiche demokratische Rechte, unabhängig von Hautfarbe, Nationalität, Religion oder Staatsangehörigkeit! Volle StaatsbürgerInnenrechte für alle MigrantInnen, einschließlich des Wahlrechts!
  • Weg mit allen speziellen Gesetzen und Einschränkungen für Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit! Für offene Grenzen! Bekämpfung rassistischer Grenzkontrollen, die die Freizügigkeit der ArbeiterInnen und der Unterdrückten über die Grenzen hinweg verhindern.
  • Für das Recht muslimischer Frauen, religiöse Kleidung (Schleier, Niqab, Burka) in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu tragen, wenn sie dies wünschen, und für das Recht der Frauen in muslimischen Ländern und Gemeinschaften, keine religiöse Kleidung zu tragen, frei von gesetzlichem, klerikalem oder familiärem Zwang!
  • Volles Asylrecht für alle, die vor Krieg, Unterdrückung und Armut aus ihren Heimatländern fliehen!
  • Bekämpfung von Rassismus und allen Formen der Rassendiskriminierung! Beginnen wir einen Kampf gegen Rassismus in allen Bereichen der ArbeiterInnenbewegung! Gegen Aktionen oder gar Streiks gegen die Beschäftigung von ausländischen oder migrantischen Arbeitskräften!
  • Die ArbeiterInnenbewegung, insbesondere die GewerkschafterInnen, die in den Medien arbeiten, muss eine Kampagne führen, unterstützt durch direkte Aktionen, um rassistische Hasspropaganda zu beantworten und zu stoppen!

Der Kampf um die Macht

Unser Ziel ist die politische Macht, die Macht, die Welt für immer zu verändern, so dass Ungleichheit, Krisen und Krieg, Ausbeutung und Klassen zu einer fernen Erinnerung werden. Aber RevolutionärInnen allein machen nicht die Revolution. Objektive Voraussetzungen sind erforderlich; eine tiefe wirtschaftliche, politische und soziale Krise, die die herrschende Klasse nicht lösen kann, so dass sie selbst gespalten ist. Auch subjektive Bedingungen müssen erfüllt sein: Die ArbeiterInnenklasse und die untere Mittelschicht dürfen angesichts des Leidens und Chaos’, die die Krise hervorgerufen hat, nicht länger bereit sein, die alte Ordnung zu unterstützen. Unter diesen Bedingungen entsteht eine vorrevolutionäre oder revolutionäre Situation und unter solchen Voraussetzungen kann eine revolutionären Vorhut mit einer gewissen Anzahl von KämpferInnen die Mehrheit der ArbeiterInnenklasse für die Perspektive der Revolution gewinnen.

RevolutionärInnen müssen vorrevolutionäre und revolutionäre Situationen erkennen und in ihnen die mutigsten VorkämpferInnen für einen Umsturz der Gesellschaft sein. Sie müssen durch bestimmte und korrekte Propaganda und Agitation in Massenbewegungen, Aufständen oder Bürgerkriegen um die Führung kämpfen und mutig den Weg weisen. Für revolutionäre Organisationen und Parteien sind ein Verpassen von revolutionären Situationen, passives Kommentieren, ein von den Massen getrenntes Führen eigener Kämpfe, Furcht vor den revolutionären Massen oder gar ein Unterordnen unter nicht revolutionäre Kräfte unverzeihliche zentristische Fehler, die in der Vergangenheit immer wieder die ArbeiterInnen in Niederlagen geführt haben.

Der Wechsel der Macht von einer Klasse zu einer anderen kann nur durch den Aufstand der ausgebeuteten Massen unter der Führung einer revolutionären Partei und ihrer VorhutkämpferInnen erreicht werden. Da der bürgerliche Staat ein bewaffnetes Unterdrückungsinstrument ist, kann sein Einfluss nur gebrochen werden, indem man die Kontrolle über die bewaffneten Kräfte dem Oberkommando und dem Offizierskorps entreißt, die einfachen SoldatInnen für sich gewinnt und die Einheiten, die der Konterrevolution treu bleiben, gewaltsam auflöst.

Wir können den alten Staatsapparat nicht übernehmen. Wir müssen ihn zerstören und durch einen völlig neuen Staat ersetzen, einen, in dem die ArbeiterInnenklasse, die Bauern/Bäuerinnen und die städtischen Armen die Gesellschaft durch DelegiertInnenräte verwalten, die in den Unternehmen, den Stadtvierteln, den Dörfern, den Schulen und Universitäten gewählt werden. Immer wieder sind solche Gremien in revolutionären Krisen entstanden: von der Pariser Kommune über die russischen Sowjets, die Räte in Deutschland, die Cordones in Chile bis hin zu den Schoras im Iran. Sie entstehen als Kampforgane, als Aktionsräte, aber nur eine klare revolutionäre Führung kann sie befähigen, zu Organen des Aufstands und dann zu den Machtorganen eines neuen ArbeiterInnenstaates zu werden.

Solange es die alte herrschende Klasse gibt und sie in der Lage ist, die Macht zurückzuerobern, muss die ArbeiterInnenklasse alles Notwendige tun, um dies zu verhindern. Während ein ArbeiterInnenstaat die vollste und freieste Demokratie für die ehemals ausgebeuteten Klassen verkörpern wird,  handelt er gleichzeitig als eine Diktatur gegen diejenigen, die den Kapitalismus wiederherstellen wollen. Das, nicht mehr und nicht weniger, ist was die Diktatur des Proletariats wirklich bedeutet. Auf sie kann nicht verzichtet werden, solange die mächtigsten herrschenden Klassen unseres Planeten nicht entwaffnet und enteignet sind.

Ein ArbeiterInnenstaat darf jedoch nicht zulassen, dass eine Gruppe von BürokratInnen eine Diktatur über die ArbeiterInnenschaft ausübt, noch kann er ein Staat sein, in dem nur eine Partei existieren darf. Die arbeitenden Massen müssen in der Lage sein, ihre unterschiedlichen Ansichten in verschiedenen Parteien zum Ausdruck zu bringen, die im demokratischen Wettbewerb stehen sollen, um die Mehrheit in den ArbeiterInnenräten zu gewinnen und zu halten. Ebenso wenig darf unser Sozialismus einer sein, in dem ein/e PräsidentIn, ein/e Caudillo/a oder ein/e große/r FührerIn alle Initiative in den eigenen Händen konzentriert und sich mit einem Personenkult wie ein Stalin, Mao oder Castro umgibt.

Für eine ArbeiterInnen- und BäuerInnenregierung

Wirtschaftskrisen und Kriege schaffen revolutionäre Situationen und zwingen die ArbeiterInnenklasse, nach Wegen zu suchen, die Regierungsfrage in ihrem Interesse zu lösen. Aber solche sozialen Krisen warten nicht darauf, bis die ArbeiterInnenklasse eine revolutionäre Massenpartei gründet, die bereit ist, die Macht zu übernehmen. Wenn es sie nicht gibt, greift die ArbeiterInnenklasse auf ihre traditionellen Gewerkschafts- und reformistischen Parteiführungen zurück. Wenn rechtsgerichtete Parteien an der Macht sind, wollen unter Umständen selbst reformistische ArbeiterInnen nicht passiv auf die nächsten regulären Wahlen warten, sondern werden versuchen, diese Parteien durch direkte Aktionen (Generalstreiks, Fabrikbesetzungen) zu verjagen und „ihre eigenen“ Parteien an die Macht zu bringen.

RevolutionärInnen müssen davor warnen, dass die reformistischen Führungen, auch wenn sie durch Massenaktionen an die Macht gebracht worden sind, immer noch alles in ihrer Macht stehende tun werden, um der KapitalistInnenklasse zu dienen und den Kampf zu demobilisieren. Die Dinge jedoch auf der Ebene der Denunziation der ReformistInnen zu belassen, würde bedeuten, die Methode unseres Übergangsprogramms aufzugeben, das kein Ultimatum darstellt und nicht verlangt, dass die ArbeiterInnen ihre Organisationen aufgeben müssen, bevor sie für die lebenswichtigen Forderungen und die Losungen der Stunde kämpfen dürfen.

Unter diesen Umständen rufen wir alle existierenden Führungen der ArbeiterInnenklasse, sowohl Gewerkschaften als auch Parteien auf, mit den KapitalistInnen zu brechen und eine Regierung zu bilden, um die Krise im Interesse der ArbeiterInnenklasse zu lösen, wobei sie gegenüber den Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse rechenschaftspflichtig sein sollen. Die ArbeiterInnenorganisationen müssen verlangen, dass eine solche Regierung wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen die Sabotage der KapitalistInnen ergreift, ihre Industrien, Banken usw. enteignet und die ArbeiterInnenkontrolle über sie zuläßt.

Wenn die ArbeiterInnenklasse eine Regierung erstrebt, die die wirtschaftlichen, ökologischen und zwischenstaatlichen Krisen unserer Epoche lösen kann, kann sich diese nicht auf die bestehenden Organe des bürgerlichen Staates stützen, weder politisch, machtpolitisch noch wirtschaftlich, da diese untrennbar mit der Klasse verbunden sind und an der Spitze mit deren Gefolgsleuten besetzt, die diese Krise verursacht hat und die alles dafür tut eine Lösung der gesellschaftliche Krise zu blockieren. Die ArbeiterInnenregierung muss sich also auf die Kampforganisationen der ArbeiterInnenklasse stützen, die dafür organisiert und vorbereitet sind, ihr Programm zur Kontrolle und Enteignung des Großkapitals durchzusetzen. Diese Aufgabe erfordert eine andere Art von Staat oder, wie Lenin sagte, einen Halbstaat, der mit der Selbstverwaltung und der Selbstverteidigung der ProduzentInnen operiert.

Um die unvermeidliche Sabotage durch die Spitzen des BeamtInnenapparats, durch Polizeiprovokationen, durch militärische oder „verfassungskonforme“ Putsche zu verhindern, werden wir den Aufbau und die Bewaffnung einer ArbeiterInnenmiliz brauchen und werden die Kontrolle der OffizierInnenkaste über die einfachen Dienstgrade innerhalb der Armee brechen müssen.

In einer Phase, in der die RevolutionärInnen eine wachsenden Alternative gegenüber den ReformistInnen sind , kann eine solche ArbeiterInnenregierung eine Brücke zur revolutionären Eroberung der Staatsmacht durch die ArbeiterInnenklasse bilden, bei der alle Macht in die Hände direkt gewählter Räte aus jederzeit abwählbaren ArbeiterInnendelegierten (Sowjets) übergeht und sich die Gründung eines revolutionären Staates vollzieht.

  • Bruch mit der Bourgeoisie: Alle ArbeiterInnenparteien müssen strenge Unabhängigkeit wahren und sich weigern, mit den Parteien der KapitalistInnen Koalitionsregierungen auf lokaler oder nationaler Ebene einzugehen!
  • Für eine ArbeiterInnen- und BäuerInnenregierung: Enteignung der KapitalistInnenklasse! Verstaatlichung aller Banken, Unternehmen, Großhandels-, Verkehrsunternehmen, Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Kommunikationsindustrien und -dienstleistungen ohne Entschädigung und unter Kontrolle der ArbeiterInnenschaft!
  • Die verstaatlichten Banken sollten zu einer einzigen Staatsbank unter der demokratischen Kontrolle der ArbeiterInnenklasse verschmolzen werden, wobei die Entscheidungen über Investitionen und Ressourcen demokratisch getroffen werden als Schritt zur Etablierung eines zentralen Plans unter Kontrolle der ArbeiterInnenklasse und Entwicklung einer sozialistischen Wirtschaft!
  • Einführung eines Außenhandelsmonopols und Kontrolle der Kapitalbewegungen!
  • Eine Arbeiter- und BäuerInnenregierung, die sich auf die Räte (Sowjets) und bewaffnete Milizen der ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen und der städtischen Armen stützt!
  • Die volle Staatsmacht der ArbeiterInnenklasse kann nur durch die Auflösung der bewaffneten Streitkräfte des kapitalistischen Staates, seines militärischen und bürokratischen Apparats und seine Ersetzung durch die Herrschaft der ArbeiterInnenräte und der eigenen ArbeiterInnenmiliz errungen werden!

Für die permanente Revolution

In den halbkolonialen Ländern, die nur dem Namen nach unabhängig sind und unter politischer Einflussnahme und wirtschaftlicher Kontrolle durch die großen imperialistischen Mächte stehen, konnten sich die Massen bis heute nur wenige der Grundrechte sichern, die in den ersten kapitalistischen Ländern in der Englischen Revolution der 1640er Jahre, der Amerikanischen Revolution von 1776 und der Französischen Revolution von 1789 festgeschrieben wurden. Ebenso sind in der halbkolonialen Welt von heute viele der grundlegenden Aufgaben der sich entwickelnden Kapitalismus wie nationale Unabhängigkeit, Agrarrevolution, demokratische Rechte und die rechtliche Gleichstellung der Frauen unerfüllt.

Infolgedessen glauben viele nationalrevolutionäre Kräfte heute, die vom bürgerlichen demokratischen Denken und von der „Etappentheorie“ Stalins beeinflusst sind, die auch heute noch von offiziellen kommunistischen Parteien vertreten wird, dass der Weg aus der halbkolonialen Unterentwicklung darin besteht, die demokratische Revolution zu vollenden, echte nationale Unabhängigkeit zu verwirklichen und eine moderne Republik zu errichten mittels eines Bündnisses aller Klassen, die sich der ausländischen Herrschaft widersetzen und die demokratische Entwicklung unterstützen.

Dieses Schema ist die gemeinsame Strategie von unterschiedlichen Kräfte in der halbkolonialen Welt: von der Fatah und der PFLP in Palästina bis hin zur demokratischen Bewegung im Iran, der Kommunistischen Partei der Philippinen und den MaoistInnen in Nepal. Doch die Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass die nationale Bourgeoisie in diesen Ländern zu schwach und zu eng mit dem ausländischen Kapital und den imperialistischen Mächten und Unternehmen liiert ist, um eine klassische bürgerliche Revolution zum Sieg zu führen.

Diese Aufgabe fällt jetzt der ArbeiterInnenklasse zu. Um die nationale Revolution im Bündnis mit den Bauern und Bäuerinnen zu leiten, müssen die ArbeiterInnen ihre strikte Unabhängigkeit von den KapitalistInnen bewahren und nicht nur die uneingeschränkten demokratischen Rechte sichern, sondern auch die Beschränkungen des Kapitals überwinden. Sie können die Macht nicht in den Händen einer bürgerlichen Klasse lassen, die von Natur aus nicht in der Lage ist, mit dem Imperialismus zu brechen, wohl aber dazu ihre eigenen Privilegien vor den Massen zu sichern. Die ArbeiterInnen müssen direkt die soziale Revolution ansteuern. Dies ist die Strategie der ununterbrochenen oder permanenten Revolution.

Die ArbeiterInnenklasse muss sich für die Verwirklichung voller demokratischer und nationaler Rechte in unterdrückten und halbkolonialen Nationen einsetzen. Sie muss an die Spitze des Kampfes gegen die imperialistische Herrschaft treten, die sich entweder auf Verschuldung, Besatzung, Kontrolle durch multinationale Konzerne oder aufgezwungene und abhängige Regierungen stützt.

  • Die Organisationen der ArbeiterInnenklasse müssen sich für die Bildung einer antiimperialistischen Einheitsfront aller Bevölkerungsklassen unter Wahrung ihrer eigenen Unabhängigkeit einsetzen!
  • Keine Beteiligung der ArbeiterInnenorganisationen an einem bürgerlichen Regime, so radikal seine antiimperialistische Rhetorik auch sein mag!
  • Für ArbeiterInnen- und BäuerInnen-Delegiertenräte!
  • Für eine ArbeiterInnen- und BäuerInnenregierung, die von der demokratischen zur sozialen Revolution übergeht, das Eigentum vergesellschaftet und Industrie und Landwirtschaft unter ArbeiterInnenkontrolle stellt, die Schulden bei imperialistischen Ländern streicht und die Ausbreitung der Revolution in andere Ländern, die Förderung regionaler Föderationen von ArbeiterInnenstaaten und die sozialistischer Entwicklung in Angriff nimmt!

Der Übergang zum Sozialismus

Der Sozialismus, für den wir streiten, braucht Produktionsmittel in großen Maßstäben in den Händen der ArbeiterInnenklasse, die deren Entwicklung demokratisch planen kann, um den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden, und die Ungleichheit wie auch die Gesellschaftsklassen allmählich aufzulösen.

Unter einem revolutionären ArbeiterInnenstaat wird es keinen monströsen, bürokratischen Plan geben, wie er beispielsweise unter dem Stalinismus existierte, wo eine Kaste von privilegierten BürokratInnen versuchte, alles zentral zu entscheiden. Nach der Revolution wird die ArbeiterInnenklasse die Banken, die wichtigsten Finanzinstitute, die Transport- und Versorgungsunternehmen sowie alle wichtigen Industriebetriebe vergesellschaften. Dies wird die Grundlage für eine Reihe von ineinandergreifenden Plänen bilden, die auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene integriert und koordiniert werden, jeweils von ArbeiterInnen- und VerbraucherInnen debattiert und demokratisch beschlossen.

Dies ist kein Traum, wie die bürgerlichen PropagandistInnen behaupten. Moderne Technologien machen es möglich, Bedürfnisse und Erfordernisse auf dem gesamten Erdball innerhalb von Sekunden herauszufinden und zu kommunizieren und darauf aufbauend die Produktion und die Versorgung zur Befriedigung der Bedürfnisse zu koordinieren. Jedes moderne multinationale Unternehmen arbeitet heute so. Aber im Gegensatz zu kapitalistischen Konzernen werden wir die modernen technologischen Errungenschaften nicht für den Profit einer Handvoll Reicher, sondern für das Wohl aller nutzen.

HandwerkerInnen, LadeninhaberInnen und Kleinbauern und -bäuerInnen werden ihre Familienunternehmen im Privatbesitz behalten können, wenn sie dies wollen. Zugleich werden sie ermutigt, sich von der Unsicherheit der Märkte und der mörderischen Konkurrenz zu befreien, indem sie ihre Produktion in den Dienst des gesamtgesellschaftlichen Plans für die Wirtschaftsentwicklung stellen. Die Idee, dass der Sozialismus auf kleinem Privatbesitz oder Kooperativen beruhen kann, ist eine rückwärtsgewandte Utopie, die über kurz oder lang nur die Bedingungen einer Marktökonomie wieder herstellen und die Akkumulation von Kapital wieder fördern kann. Nichtsdestotrotz muss die Vergesellschaftung von kleinbäuerlichem Privateigentum, kleinen Läden u.ä. allmählich und freiwillig vor sich gehen und darf nicht zwangsweise geschehen wie unter Stalin.

Unser Ziel: die Weltrevolution

Gleichgültig, ob die Revolution zuerst in einem rückständigen halbkolonialen oder in einem fortgeschrittenen imperialistischen Land ausbricht und triumphiert, es ist lebenswichtig, dass sie sich schnell über deren Staatsgrenzen hinaus ausbreitet. Das ist sowohl notwendig, um die Errungenschaften zu verteidigen, als auch um das volle Potenzial der sozialistischen Gesellschaft auszuschöpfen. Wo auch immer die ArbeiterInnen die Macht erobern werden, werden sie von ausländischen kapitalistischen Mächten, v.a. den großen imperialistischen, attackiert werden. Die wirksamste Form der Verteidigung ist deshalb die Ausbreitung der Revolution auf genau diese Länder durch Unterstützung ihre ArbeiterInnenklassen im Kampf um die Macht. Außerdem ist es unmöglich, den Aufbau des Sozialismus auf nationaler Ebene zu vollenden, wie der Niedergang und schließlich der Zusammenbruch der Sowjetunion bewiesen hat. „Sozialismus in einem Land“ ist eine reaktionäre Utopie.

Die in Jahrhunderten vom Kapitalismus entwickelten Produktivkräfte erfordern eine internationale Ordnung. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Nationalstaat selbst zu einer Fessel für ihre weitere Entfaltung. Deshalb ergibt sich die Notwendigkeit einer Strategie für die Permanente Revolution nicht nur aus dem Kampf gegen den fortdauernden Widerstand seitens der alten herrschenden Klassen, sondern auch aus dem Umstand, dass eine vernünftige und nachhaltige Entfaltung der Produktivkräfte der Menschheit schließlich nur auf Weltebene erfolgen kann.

Auf Grundlage einer weltumspannenden Planwirtschaft und einer Weltföderation sozialistischer Republiken können wir schließlich zu einem gemeinsamen Lebensstandard gelangen und Rechtsgleichheit für die ganze Menschheit erreichen. Als Ergebnis dieses Prozesses werden soziale Klassen und die repressiven Züge des Staates allmählich absterben. Aber zunächst müssen wir das Werk in Gang setzen. In einem Land nach dem anderen, das von der historischen Systemkrise gebeutelt wird, muss der Kapitalismus in den Abgrund gestoßen werden. Die Weltrevolution – und nichts anderes – ist die Aufgabe der künftigen Fünften Internationale.

  • ArbeiterInnen und unterdrückte Völker der Welt – vereinigt Euch!
  • Vorwärts zu einer neuen, einer Fünften Internationale!



Feminismus für die 99 Prozent – eine Kritik

Urte March, Red Flag, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung, Nr. 8, März 2020

Frauenbewegungen auf der ganzen Welt sind auf dem Vormarsch.
Seit 2017 haben Frauenstreiks Millionen auf die Straße gebracht, um eine
gleichberechtigte Gesellschaft zu fordern und die geschlechtsspezifischen
Auswirkungen des Neoliberalismus und der Austerität aufzuzeigen.

Während konservative und populistische Regime von Indien bis
zu den Vereinigten Staaten hart erkämpfte soziale und reproduktive Freiheiten
als Teil eines globalen Wandels hin zu konservativem Nationalismus attackieren,
greifen feministische Bewegungen zunehmend nach systemischen Erklärungen für
die Unterdrückung von Frauen.

Dies ist die historische Konjunktur, für die der „Feminismus für die 99 % – Ein Manifest“ (1) geschrieben worden ist. Cinzia Arruza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser, drei in den USA ansässige Akademikerinnen, die in der Frauenstreikbewegung einflussreich und als feministische Theoretikerinnen sehr etabliert sind, stellen sich die Aufgabe, „eine neue, antikapitalistische Vorstellung von Geschlechtergerechtigkeit“ zu „entwickeln – eine, die über die aktuelle Krise hinaus – und in eine neue Gesellschaft führt“. (S. 12)

Antikapitalismus und Internationalismus

„Feminismus für die 99 %“ wurde in über 20 Sprachen veröffentlicht und international weit verbreitet, so dass es sich lohnt, die Bedeutung der Popularität der Broschüre zu bewerten, bevor man die im Manifest dargelegten Perspektiven hinterfragt.

Die Autorinnen beginnen damit, dass sie den liberalen oder „korporativen“ Feminismus – beschrieben als den Wunsch nach einem besseren Gleichgewicht der Geschlechter innerhalb der ausbeuterischen Strukturen der Gesellschaft – als völlig unzureichend für die Lösung der drängenden sozialen Probleme der heutigen Welt abtun. Auf den ersten Seiten nennen sie den Kapitalismus, jenes „System, das den Chef hervorbringt, nationale Grenzen produziert und die Drohnen herstellt, die diese Grenzen überwachen“, als den Feind, der besiegt werden muss, um die Befreiung der Frauen zu erreichen. (S. 10 f.)

Die Autorinnen beschreiben die Unterdrückung der Frauen als wesentlich für das Funktionieren des Kapitalismus und betonen, dass die Befreiung der Frauen ein Kampf zwischen widerstreitenden Kräften in der Gesellschaft ist und nicht das langsame Wachstum der Chancengleichheit. Die Broschüre kehrt häufig zu der Idee der „Transformation des zugrunde liegenden Gesellschaftssystems“ zurück, das die Unterdrückung der Geschlechter diktiert. In der Erkenntnis, dass der Kapitalismus ein globales System ist, bekräftigen sie die zentrale Bedeutung der Frauenstreiks für einen neuen globalen Widerstand und erkennen die Notwendigkeit internationalen Handelns an, indem sie erklären, dass der Feminismus für die 99 Prozent „entschieden internationalistisch ist“. (S. 27)

Hier gibt es viel, dem man zustimmen kann. Die rhetorische
Betonung von Antikapitalismus und Internationalismus in der Broschüre, wie vage
oder falsch sie auch immer definiert sein mag, zeigt ein wachsendes Bewusstsein
in der Frauenbewegung für die Beziehung zwischen kapitalistischen sozialen
Verhältnissen und Frauenunterdrückung auf. Gleichzeitig enthüllen die Mängel in
der Herangehensweise der Autorinnen den anhaltenden Einfluss der
Identitätspolitik und des postmodernen Akademismus auf die Frauenstreikbewegung.

Für den Erfolg einer weltweiten antikapitalistischen
Bewegung wird es nicht ausreichen, die destruktiven und unterdrückerischen
Tendenzen des Kapitalismus anzuerkennen – es muss die richtige Strategie für
seinen Sturz und seine Ersetzung durch ein neues System vorangetrieben werden.

Soziale Reproduktion

Im Nachwort der Broschüre identifizieren sich die Autorinnen als soziale Reproduktionstheoretikerinnen, und der Inhalt, den sie dieser Identifikation geben, definiert ihre Methode und ihre Schlussfolgerungen. Wie andere TheoretikerInnen der sozialen Reproduktion argumentieren sie, dass die marxistische Tradition fehlerhaft ist, weil ihre Erklärung der Rolle der gebärenden, erziehenden und anderen unbezahlten sozialen Arbeit im Gesamtzyklus der Produktion unvollständig ist. Die zentrale Aussage ihrer besonderen Variante der Theorie der sozialen Reproduktion ist, dass „die kapitalistische Gesellschaft aus zwei untrennbar miteinander verwobenen und doch sich wechselseitig ausschließenden Imperativen besteht“ – der Notwendigkeit, Profit zu schaffen (Produktion), und der Notwendigkeit, dass die Menschen sich selbst erhalten müssen (soziale Reproduktion), und dass diese Spaltung auf eine tief sitzende „Spannung im Herzen der kapitalistischen Gesellschaft“ hinweist. (S. 87, 91)

Die praktische Bedeutung dieses Ansatzes wird in erster Linie durch den Kontrast zum „traditionellen“ marxistischen Denken gefördert, dem die Autorinnen vorwerfen, den Kapitalismus als „lediglich ein Wirtschaftssystem“ vorzustellen und nicht anzuerkennen, dass der Kapitalismus „eine institutionalisierte Gesellschaftsordnung“ ist, „zu der auch jene scheinbar ,außerwirtschaftlichen‘ Verhältnisse und Praktiken gehören, von denen die offizielle Ökonomie getragen wird“. (S. 82) Diese Aussage für sich genommen ist einfach eine eigennützige Vulgarisierung des Marxismus, der in der Tat immer erkannt hat, dass die Produktionsverhältnisse den Überbau der Ideologie, den Staat und eine Vielzahl anderer sozialer Institutionen, darunter die Familie, hervorbringen. Ebenso würde keinE MarxistIn der Aussage widersprechen, dass es „die entlohnte Arbeit des Plusmachens [ … ] ohne die (überwiegend) nicht entlohnte Arbeit des Menschenmachens nicht geben“ könnte. (S. 89 f.)

Die Autorinnen argumentieren ferner, dass MarxistInnen die Produktionssphäre fälschlicherweise als dominant über die Reproduktionssphäre betrachten und die „traditionelle ArbeiterInnenbewegung“ dazu bringen, den wirtschaftlichen Kampf um bessere Löhne gegenüber sozialen Kämpfen zu privilegieren, auf Kosten der Interessen der Frauen. Hier gibt es eine echte Meinungsverschiedenheit. Für MarxistInnen, wie Engels erklärt, geht „die materialistische Anschauung der Geschichte [ … ] von dem Satz aus, daß die Produktion, und nächst der Produktion der Austausch ihrer Produkte, die Grundlage aller Gesellschaftsordnung ist“. (2)

In diesem Sinne ist es die Sphäre der Produktion, die die
Sphäre der Reproduktion beherrscht und formt. MarxistInnen sehen die Gewinnung
von Profit und die Akkumulation von Kapital als treibende Kraft und
bestimmendes Merkmal des kapitalistischen Systems. Es war die Entwicklung der
Klassengesellschaft, die zur Entstehung der Familie als einer für die
herrschende Klasse wesentlichen Institution führte. Der Übergang zum
Kapitalismus konsolidierte die Kernfamilie als die effizienteste Art und Weise
der Verwaltung der sozialen Reproduktion.

Dies bedeutet nicht, dass die Familie nicht ein Ort der
Unterdrückung ist oder soziale und politische Forderungen zweitrangig sind. Der
revolutionäre Marxismus versucht, den Kampf der ArbeiterInnenklasse nicht nur
für bessere Arbeitsbedingungen, sondern für die Abschaffung des gesamten
sozialen Systems, das die ArbeiterInnen unterdrückt und ausbeutet, anzuführen.
Der politische Kampf über jede Manifestation der aus dem kapitalistischen
System resultierenden Ungerechtigkeiten, einschließlich der sozialen
Unterdrückung der Frauen und der Aneignung ihrer unbezahlten Arbeit durch das
Kapital, ist wesentlich für die Bildung von Klassenbewusstsein und den
Zusammenhalt einer sozialistischen Bewegung.

In der Tat geht es in Lenins Schlüsselwerk „Was tun?“ fast ausschließlich darum, dieses Argument vorzubringen: „Daher ist es begreiflich, dass die Sozialdemokraten sich nicht nur nicht auf den ökonomischen Kampf beschränken können [ … ] Es ist notwendig, jede konkrete Erscheinung dieser Unterdrückung auszunutzen [ … ] auf den verschiedensten Lebens- und Tätigkeitsgebieten, dem beruflichen, dem allgemein-bürgerlichen, dem persönlichen, dem der Familie, dem religiösen, dem wissenschaftlichen usw.“ (3)

Wo die Autorinnen „altmodische Verständnisse“ des
Kapitalismus kritisieren, denen gemäß sie sich die ArbeiterInnenklasse
„ausschließlich aus denen zusammensetze, die für Löhne in Fabriken oder
Bergwerken arbeiten“, antworten sie nicht auf die marxistische Tradition,
sondern auf die stalinistischen und reformistischen Entstellungen des
Marxismus. Die Tendenz zum Ökonomismus ist nicht ein Merkmal revolutionärer,
sondern einer im Wesentlichen bürgerlichen Politik, die sich darauf beschränkt,
bessere Bedingungen für die ArbeiterInnen innerhalb der Grenzen des
Kapitalismus zu suchen.

Die wirtschaftlichen Auseinandersetzungen durch den Kampf um
die soziale Reproduktion zu ersetzen, ohne eine revolutionäre Strategie
voranzutreiben, das kann diesen Fehler nicht überwinden, sondern verlagert ihn
lediglich auf ein anderes Terrain von Teilreformen.

Kapitalismus und Krise

Die Ablehnung des „Feminismus für die 99 %“ dessen, was das Manifest als den ökonomischen Determinismus der marxistischen Tradition bezeichnet, führt dazu, dass es den Begriff der kapitalistischen Krise neu theoretisiert und lässt die Autorinnen einer sinnvollen Definition des Kapitalismus beraubt bleiben. Sie behaupten, dass die allgemeine Krise historisch gesehen bedeutende Möglichkeiten für eine gesellschaftliche Transformation geboten hat und dass die Existenz von Krisenbedingungen den Imperativ für FeministInnen und Radikale schafft, darauf zu reagieren und den Prozess zu „lenken“. Die Autorinnen stellen ihr Manifest als Strategie zur „Lösung“ der allgemeinen Krise vor, die wir heute durchleben.

Obwohl die Autorinnen sagen, dass sie auf eine „Krise des Kapitalismus“ reagieren, bestehen sie darauf, dass sie „diese Begriffe nicht im üblichen Sinn“ (S. 82) verstehen, und zeigen mit dem Finger auf die marxistische Konzeption der inneren Widersprüche des Kapitals. Stattdessen erkennen sie „als Feministinnen“ an, dass der Kapitalismus auch „weitere, außerökonomische Widersprüche und Krisentendenzen“ (S. 83) beherbergt, was bedeutet, dass die kapitalistische Krise „nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine ökologische, politische und auf die gesellschaftliche Reproduktion bezogene“ ist. (S. 84) Für sie besteht die Wurzel all dieser Krisen im Bestreben des Kapitals, freie Ressourcen aus verschiedenen Quellen (Frauen, Umwelt, ärmere Länder) zu extrahieren und sie in den Prozess der Akkumulation einzubringen, der auf lange Sicht nicht nachhaltig ist und Krisen in jeder dieser parallelen sozialen Sphären verursacht.

MarxistInnen würden zustimmen, dass die Tendenz zur Krise in
die Natur des kapitalistischen Systems selbst eingebettet ist und die
Überausbeutung „freier“ Arbeit und Ressourcen ein Merkmal des Kapitalismus ist.
Aber die Marx’sche Theorie hat eine viel spezifischere Definition von Krise. Sie
behauptet, dass die Quelle der Krise der innere Widerspruch des Kapitals selbst
ist, definiert durch die Ausbeutung der lebendigen Arbeit. In ihrer ständigen
Suche nach Mehrwert werden die KapitalistInnen dazu getrieben, die
Arbeitsproduktivität zu erhöhen, indem sie das Niveau der in der Produktion
eingesetzten Technologie erhöhen.

Dabei sinkt der Anteil des Kapitals, der in die
Arbeitskosten fließt, im Vergleich zu dem, der in Maschinen und Rohstoffe eingeht.
Da es aber nur  ArbeiterInnen aus
Fleisch und Blut sind, die einen Mehrwert schaffen, bedeutet dies im Laufe der
Zeit einen Rückgang der Rentabilität des Kapitals – die Profitrate sinkt tendenziell.
Wenn die Profitrate sinkt, kann das Kapital kein ausreichendes
Rentabilitätsniveau aufrechterhalten, und eine Krise bricht aus. Die Symptome dieser
Wirtschaftskrise – Kapitalabzug, Zins- und Preiserhöhungen – sind das Ergebnis
des verzweifelten Versuchs des Kapitals, seine Rentabilität aufrechtzuerhalten,
was für die ArbeiterInnen verheerende Auswirkungen in Form von Arbeitslosigkeit
und sinkenden Lebensstandards mit sich bringt und in soziale und politische
Unruhen übergreift.

Für MarxistInnen ist das, was der „Feminismus für die 99 %“ als „Krise der sozialen Reproduktion“ beschreibt – wenn „eine Gesellschaft der gesellschaftlichen Reproduktion die öffentliche Unterstützung“ entzieht und „zugleich diejenigen, die das Gros der Reproduktionsarbeit leisten, für anstrengende, aber niedrig bezahlte Arbeit, die zudem noch mit langen Arbeitstagen einhergeht“ (S. 93 f.), rekrutiert – ein untrennbarer Teil der Krise des Kapitals. Das Kapital versucht, sinkende Gewinnraten auszugleichen, indem es den Mehrwert auf Kosten der ArbeiterInnen zurückgewinnt, sowohl die tatsächlichen Löhne als auch den Soziallohn kürzt (einschließlich kostenloser oder subventionierter Kinderbetreuung, staatlicher Bereitstellung von Sozialleistungen usw.). Dies hat den beschriebenen Effekt, dass die Belastung durch unbezahlte soziale Reproduktionsarbeit zunimmt und überwiegend auf Frauen entfällt. Daher sind die Kämpfe gegen die Schließung öffentlicher Dienste, für die Sozialisierung der Kinderbetreuung usw. kein gesonderter feministischer Imperativ, sondern Teil des Klassenkampfes insgesamt.

Im „Feminismus für die 99 %“ hingegen liegt die Notwendigkeit eines antikapitalistischen Ansatzes nicht in einer Antwort auf die Gesetze des Kapitalismus begründet, sondern in einer allgemeinen sozialen Krise, die sich aus einer Vielzahl von Krisen in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft zusammensetzt und sich zu einer „gesamtgesellschaftlichen Krise“ (S. 27) summiert. Obwohl sie argumentieren, dass FeministInnen in jeder dieser Arenen kämpfen müssen und es für alle diese Kämpfe wesentlich ist, sich miteinander zu verbinden, sehen sie jede dieser Auseinandersetzungen in einer eigenen und separaten Sphäre stattfinden. Als Feministinnen sind sie am meisten damit beschäftigt, in der Krise der sozialen Reproduktion eine Führungsrolle zu übernehmen und die Führung von Kämpfen in parallelen Bereichen wie Antirassismus oder Umweltschutz anderen zu überlassen.

Aber wenn jeder Kampf in einer separaten Sphäre stattfinden
kann, um eine bestimmte Krise zu lösen, dann ist jeder soziale Kampf
gleichermaßen wichtig für die „Überwindung“ des Kapitalismus, und der Erfolg
der „sozialen Transformation“ erfordert nur eine bessere Koordination zwischen
den verschiedenen Bewegungen, nicht aber eine bewusste Strategie zur
Entmachtung der herrschenden Klasse. Die Frage, was die Bewegungen wirklich tun
müssen, um zu einer „nichtkapitalistischen Gesellschaft“ zu gelangen, wird
weiter dadurch verdunkelt, dass die Broschüre den Kapitalismus nie wirklich
definiert. Obwohl die Arbeitswerttheorie zusammengefasst wird, erscheint der
Kapitalismus im gesamten Buch vor allem unter dem Deckmantel seiner Symptome,
einer Ansammlung schrecklicher sozialer Folgen, gegen die verschiedene
Bewegungen sich aufzustellen ermutigt werden.

Wo in der Broschüre vom Kapitalismus als System gesprochen
wird, tritt er als eines in Erscheinung, das aus miteinander verbundenen,
konstitutiven Teilen besteht, und nicht als eines, das als ein einziges nach
den Gesetzen der kapitalistischen politischen Ökonomie funktioniert. Wenn sie
ihre Erklärung dafür, warum sich der Kapitalismus in einer so tiefen Krise
befindet, ausarbeiten, beziehen sie sich manchmal auf den Neoliberalismus, das
Finanzkapital oder den Imperialismus. Aber diese Begriffe werden nicht klar
definiert oder mit politischem Inhalt versehen – Neoliberalismus wird nur als
eine „besonders räuberische Form des Kapitalismus“ (S. 27) und Imperialismus
als wirtschaftlich ausbeuterische Beziehungen zwischen Ländern definiert, die
durch Rassismus bedingt sind.

Dies zeigt, dass – trotz der ständigen Betonung ihrer „antikapitalistischen“ Ausrichtung – der Ausgangspunkt der Autorinnen eine Ablehnung des historischen Materialismus und der Kapitalkritik von Marx ist. Da diese Konzepte am Ende den revolutionären Charakter und die Aufgaben des Subjekts in Gestalt der ArbeiterInnenklasse innerhalb des Kapitalismus umreißen, folgt daraus natürlich, dass die Autorinnen die ArbeiterInnenklasse als geschichtliche Trägerin des gesellschaftlichen Wandels ablehnen. Keine Passage fasst dies besser zusammen, als die, wo die Autorinnen, nachdem sie anerkannt haben, dass ihr Manifest auf den Schultern von Marx und Engels steht, ihre Anerkennung sofort einschränken: „Da wir uns heute einer gespalteneren und heterogeneren politischen Landschaft gegenüber sehen, ist es für uns nicht so einfach, uns eine weltweit geeinte revolutionäre Kraft vorzustellen.“ (S. 78)

Populismus

Nachdem er so die Zentralität der Klasse im Kampf gegen den Kapitalismus beseitigt hat, ersetzt „Feminismus für die 99 %“ diese durch „einen Universalismus, der seine Form und seinen Inhalt aus der Vielzahl der Kämpfe von unten erhält“. Konkret wird dies durch eine aggregierte Masse von sozialen Bewegungen verkörpert, die die „99 %“ repräsentieren. Die Autorinnen skizzieren die Konturen ihrer Allianz, indem sie sagen „Wir lehnen nicht nur den reaktionären Populismus ab, sondern auch den fortschrittlichen Neoliberalismus. Tatsächlich beabsichtigen wir unsere Bewegung genau dadurch aufzubauen, dass wir das Bündnis mit diesen beiden aufkündigen“. (S. 72) Die Schreiberinnen berufen sich auf einen progressiven oder „antikapitalistischen“ Populismus, die politische Ideologie der Mittelschichten.

Ihr erklärtes Ziel ist es, die Frauenstreiks zu verstärken und Sympathie und Unterstützung zwischen der Frauenbewegung und anderen sozialen Kämpfen aufzubauen, um „sich jeder Bewegung anzuschließen, die für die 99 % kämpft“. Da die Autorinnen ihre antikapitalistische Strategie als ein Bündnis von sozialen Bewegungen definiert haben, die in verschiedenen Bereichen kämpfen, steht es ihnen frei, die Tugenden der verschiedenen Bewegungen nacheinander zu preisen, wobei sie der Frage ausweichen, wie sich die Bewegungen zueinander verhalten sollen, und sich stattdessen auf die Aufgaben von FeministInnen im Kampf um die soziale Reproduktion konzentrieren.

In der gesamten Broschüre gibt es eine Spannung zwischen dem Wunsch der Schreiberinnen, FeministInnen als FührerInnen dieser antikapitalistischen Allianz zu positionieren, und ihrer Neigung zu einem diffusen Horizontalismus. Manchmal wird die Frage „Werden dann Feministinnen an vorderster Front beteiligt sein?“ (S. 31) als entscheidend für den Erfolg ihres antikapitalistischen Aufstandes gestellt. Doch im gesamten Buch bleibt die Frage unbeantwortet, wer die kollektiven Aufgaben ihres so genannten „antikapitalistischen Aufstands“ festlegen oder leiten wird, und es gibt keine Diskussion über die Organisationsformen, die notwendig sind, um ein Bündnis so unterschiedlicher Bewegungen aufrechtzuerhalten. Das Zusammentreffen der Vielzahl von Bewegungen wird als eine spontane Annäherung von Subjekten vorgestellt: „Nur durch bewusste Bemühungen, Solidarität aufzubauen, durch den Kampf in und durch unsere Vielfalt, können wir die kombinierte Kraft erreichen, die wir brauchen, um die Gesellschaft zu transformieren“.

Obwohl wir  mit „Feminismus für die 99 %“ darin übereinstimmen, dass es wichtig ist, Solidarität zwischen den verschiedenen Bewegungen aufzubauen, ist unser Endziel nicht nur, die Vielfalt zu feiern und voneinander zu lernen, sondern unsere Unterschiede zu überwinden und die große Vielfalt spontaner und themenspezifischer Bewegungen zu einer einzigen, facettenreichen Bewegung zu vereinen, die sich ihres gemeinsamen Ziels bewusst wird. Das Ziel muss der Sturz des Kapitalismus sein, der notwendig sein wird, um eine dauerhafte Befreiung aller Ausgebeuteten und Unterdrückten zu erreichen, einschließlich derer, die auf der Grundlage von Geschlecht, Gender und Sexualität unterdrückt werden. Es ist gerade die politische Führung, die durch die Zusammenführung der verschiedenen Elemente unter einem gemeinsamen Programm die politischen Ziele der verschiedenen Bewegungen erhöhen und sie auf den Sozialismus ausrichten kann.

Hier ist die Frage der Handlungsfähigkeit von größter
Bedeutung. Welche Gruppe kann sich vereinen und eine globale
antikapitalistische Bewegung anführen? Die Antwort, die der Marxismus gibt, ist
die ArbeiterInnenklasse – sowohl Frauen als auch Männer, die aus allen
Nationalitäten und Rassen stammen. Ihr revolutionäres Potenzial ergibt sich aus
ihrer Rolle in der Produktion, durch die die Klasse die kollektiven Fähigkeiten
und das Ethos erwirbt, um sich gegen ihre AusbeuterInnen zu vereinigen. Der
familiäre Rahmen spaltet und atomisiert, anstatt die Klasse zu vereinen, wenn er
vom Arbeitsplatz und der Gemeinschaft der ArbeiterInnenklasse getrennt ist.

Aber die Notwendigkeit unbezahlter und bezahlter Arbeit für
die KapitalistInnen gibt den ArbeiterInnen und ihren Familien – als Klasse und
nicht nur als Belegschaft – die Macht, sich zu wehren. Die ArbeiterInnenklasse
hat gezeigt, dass sie wie keine andere Klasse ihre eigenen Organisationen
aufbauen kann, und sie ist die einzige soziale Gruppierung, die eine
sozialistische Revolution erfolgreich geführt hat. Kein heterogenes „Volk“,
keine „Bewegung von Bewegungen“, die von Klassenunterschieden und Antagonismen
zerrissen ist, kann diese ersetzen und die Agentur eines wirklich
antikapitalistischen Projekts sein.

Indem sie die ArbeiterInnenklasse als universelles Subjekt
innerhalb des Klassenkampfes ablehnen, weisen die Autorinnen das Ziel des
Sozialismus zurück, d. h. die Übernahme der Staatsmacht durch die
ArbeiterInnenklasse und die demokratische Planung der Wirtschaft. Da sie sowohl
den bürgerlichen Feminismus als auch den Marxismus ablehnen, ist ihre Ideologie
letztlich eine solche des kleinbürgerlichen Feminismus, der Klasse nur als eine
von vielen Identitäten mit überlappenden und konkurrierenden Interessen sieht
und daher unfähig ist, eine Einheit im Kampf zu schmieden. Ihr Machtanspruch
kann nur ein allgemeiner „antisystemischer“ Linkspopulismus sein, in dem den 99 %
– d. h. allen Bevölkerungsklassen, die durch die sozialen Bewegungen
vertreten werden mit Ausnahme der MilliardärInnen – die zentrale Rolle
zugeschrieben wird, aber notwendigerweise ohne ein gemeinsames Ziel, geschweige
denn eine Strategie zur Erreichung dessen. Und genau hier, in der Frage der
Taktik und Strategie, zeigt sich die eklatanteste Schwäche des Buches.

Frauenstreiks

„Feminismus für die 99 %“ stellt die Frauenstreiks als eine wesentliche Taktik für den Aufbau einer „neuen, nichtkapitalistischen Gesellschaftsform“ dar und argumentiert, dass sie die Vorstellung der Menschen von Streiks auf der ganzen Welt neu beleben können. In Übereinstimmung mit der eklektischen Methode der Autorinnen bleibt im Buch unklar, ob die Frauenstreiks als eine Protestbewegung aufgebaut werden sollten, um den halbautonomen Kampf für Reformen im Bereich der sozialen Reproduktion voranzutreiben, oder ob sie ein bewusster Versuch sind, den Kapitalismus zu schwächen.

Für MarxistInnen hat ein Streik eine spezifische Funktion
als direkte Konfrontation zwischen ArbeiterInnen und Kapital. Durch den Streik
berauben die ArbeiterInnen die Bosse ihrer Profite und versuchen durch die
Androhung weiterer Störungen einige Zugeständnisse seitens der KapitalistInnen
zu erreichen. Wenn ein Streik zu einer Massenstreikbewegung verallgemeinert
wird, stellt sich die Frage, wer in der Gesellschaft die Macht. Unter den
richtigen Bedingungen und unter der richtigen Führung kann sie der Auslöser für
einen revolutionären Aufstand sein. Streiks am Arbeitsplatz haben diese
störende Wirkung, weil der Rückzug der produktiven Arbeit die Produktion von
Mehrwert behindert, der das Wesen des Kapitalkreislaufs ausmacht. Unbezahlte
Arbeit im Haushalt bringt per Definition keinen Profit, daher ist ihre
Niederlegung kein direkter Schlag gegen das Kapital.

„Feminismus für die 99 %“ scheint diese Prämisse zu akzeptieren, wenn es sagt, dass die Rolle der Frauenstreiks darin besteht, „die unverzichtbare Rolle“ sichtbar zu machen, „die geschlechtsspezifische, unbezahlte Arbeit in kapitalistischen Gesellschaften spielt“ (S. 17). In Wirklichkeit werden die Frauenstreiks als eine Protestbewegung dargestellt und nicht als ein bewusster Versuch, Kapazitäten zur Störung der kapitalistischen Wirtschaft aufzubauen. Aber da „Feminismus für die 99 %“ keine Vorstellung von den Gesetzen und Grenzen des Kapitals hat, sondern nur „ehrgeizige Projekte der sozialen Transformation“, behauptet es, dass ein solcher Protest immer noch ein transformativer Akt sein kann, „vor allem durch eine Erweiterung der Vorstellung dessen, was überhaupt als Arbeit zählt“. (ebd.)

Obwohl der Marxismus beschuldigt wird, eine künstliche Aufteilung der Bewegung in den wirtschaftlichen und sozialen Kampf als getrennte Sphären aufrechtzuerhalten, begeht „Feminismus für die 99 %“ in Wirklichkeit den gleichen Fehler in umgekehrter Richtung, indem es versucht, den sozialen reproduktiven Kämpfen Vorrang einzuräumen. Die Autorinnen übertreiben zwar die Fähigkeit des Entzugs von sozialer reproduktiver Arbeit, den Kapitalismus zu stören, untergraben aber gleichzeitig das tatsächliche politische Potenzial der Frauenstreiks, indem sie ihre Funktion künstlich auf die einer Protestbewegung zur Hebung des feministischen Bewusstseins beschränken. Selbst die grundlegendsten politischen Forderungen, die auf eine Verbesserung der materiellen Position der Frauen in der Gesellschaft abzielen wie allgemeine kostenlose Kinderbetreuung und gleiche Bezahlung, fehlen auffallend außer in ihrer negativen Form, als Beispiele für Dinge, die der Gesellschaft derzeit fehlen.

Tatsächlich kann die Nutzung der Rolle der Frauen in der
kapitalistischen Wirtschaft als Lohnarbeiterinnen
zur Organisation von Frauenstreiks die Grundlage einer Strategie zur Ausweitung
der Bewegung sein, die eine größere Zahl von ArbeiterInnen – einschließlich
Männern – in die Streiks hineinzieht. Einige der erfolgreichsten Frauenstreiks
haben in Ländern stattgefunden, in denen sie von großen Gewerkschaften
unterstützt wurden wie in Spanien und der Schweiz. Die Frauen hörten nicht nur
mit der Hausarbeit auf, sondern verließen ihre Arbeit auf der Grundlage
sozialer und wirtschaftlicher Forderungen: gleiche Bezahlung, soziale
Absicherung der Kinderbetreuung, Beendigung der Schikanen am Arbeitsplatz und
der häuslichen Gewalt.

Die Verbindung von sozialen und wirtschaftlichen Forderungen
verleiht der Bewegung einen politischen Charakter und stellt Frauen an die
Spitze eines Kampfes, der die Frage aufwirft, welches Sozialsystem all diese
Forderungen gleichzeitig erfüllen und die Errungenschaften dauerhaft machen
könnte. Wenn sich die Streiks am Arbeitsplatz ausbreiten, wird die
Unterstützung von arbeitslosen Frauen, die zu Hause arbeiten, die Umwandlung
der Bewegung in einen allgemeinen politischen Konflikt beschleunigen.

Wenn eine solche Bewegung erfolgreich wäre, würde sie
zweifellos auf den Widerstand des bürgerlichen Staates stoßen. Dieser Punkt
wäre ein entscheidender. Die Bewegung müsste sich entweder auf die
Machtübernahme oder auf eine Niederlage vorbereiten. Auch über das Wesen des
Staates schweigt „Feminismus für die 99 %“. Das Beste, was man daraus
schließen kann, ist, dass der Staat irgendwie obsolet wird, wenn verschiedene
soziale Bewegungen eine bestimmte Schwelle des Radikalismus und der
Zusammenarbeit überschreiten.

Schlussfolgerungen

„Feminismus für die 99 %“ beginnt mit der Behauptung: „Die Organisatorinnen des huelga feminista [Frauenstreiks] bestehen darauf, dem Kapitalismus ein Ende zu setzen“ (S. 10). Doch trotz ihrer Rhetorik ist der Antikapitalismus der Autorinnen eher ein utopischer Anspruch als eine revolutionäre Strategie.

Wie soll der Kapitalismus beendet werden? Kein Streik –
weder ein Streik, der die Produktion stoppt, noch einer, der in erster Linie
eine Massendemonstration ist – kann dies allein erreichen.
Massendemonstrationen von Frauen als Hausfrauen wie auch als Lohnarbeiterinnen
sind als Beweis unserer potenziellen Macht von unschätzbarem Wert. Aber wenn
diese wirklich auf der Beendigung des Kapitalismus „bestehen“ sollen, müssen
sie sich zunächst in politische Streiks verwandeln, die bewusst eine Regierung
und den Staat zur Kapitulation zwingen wollen und dann in einen Aufstand, eine
Revolution.

Wenn der Streik wirklich ein wesentliches Element der
Vorbereitung und ein potenzieller Katalysator für eine antikapitalistische
Revolution ist – und tatsächlich ist er das –, dann muss die
ArbeiterInnenklasse die zentrale oder führende Kraft darin sein. Sicherlich
wird sie Verbündete aus anderen unterdrückten und ausgebeuteten Klassen
brauchen, aber die ArbeiterInnenklasse muss die hegemoniale Klasse sein, weil
der Kapitalismus historisch gesehen nicht ohne sie auskommt, während die
ArbeiterInnenklasse auf den Kapitalismus verzichten kann.

Nur die ArbeiterInnenklasse kann die Massenproduktion und -verteilung und damit auch die Reproduktion sozialisieren, die Frauen von der Hausarbeit im individuellen Familienhaushalt befreien und die jahrhundertealte Unterdrückung der Frauen beenden. Seit den Tagen von Marx und Engels haben die RevolutionärInnen erkannt, dass diese Ziele untrennbar miteinander verbunden sind: „Mit dem Übergang der Produktionsmittel in Gemeineigentum hört die Einzelfamilie auf, wirtschaftliche Einheit der Gesellschaft zu sein. Die Privathaushaltung verwandelt sich in eine gesellschaftliche Industrie. Die Pflege und Erziehung der Kinder wird öffentliche Angelegenheit; die Gesellschaft sorgt für alle Kinder gleichmäßig, seien sie eheliche oder uneheliche“. (4)

Demzufolge müssen die revolutionären Ziele von Anfang an
anerkannt und hervorgehoben werden und dürfen nicht hinter verwirrender
populistischer Rhetorik oder in der Rede von Bündnissen unterdrückter Schichten
oder „Identitäten“ versteckt werden, von denen jede über ihre eigenen, nicht
miteinander verbundenen Ideologien, Tagesordnungen und bereits bestehende
Führungen und Organisationen verfügt. Für antikapitalistische Frauen muss der
Ausgangspunkt die proletarische Frauenbewegung sein, an der Frauen sowohl als
Produktionsarbeiterinnen wie auch als Dienstleisterinnen im Haushalt
teilnehmen. Als die Hauptorganisatorinnen im Bereich des Konsums, der
Kinderbetreuung und der Bildung spüren Frauen die Auswirkungen der
kapitalistischen Krise am unmittelbarsten. Es ist kein Zufall, dass sich in
jedem großen Klassenkampf, der die engen Grenzen eines Tarifstreits
überschreitet, Frauen organisiert haben.

Der Zweck der proletarischen, im Gegensatz zu einer
kleinbürgerlichen Frauenbewegung, liegt darin, Frauen in den Kampf für den
Sturz des Kapitalismus zu ziehen, basierend auf einer Strategie für die
revolutionäre Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse. Ihre Aufgabe ist es,
politische Forderungen zur Beseitigung der materiellen Basis der
Frauenunterdrückung zu formulieren, die in jedem gesellschaftlichen Kampf auftauchen,
der nach dem Prinzip handelt: kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung, keine
Frauenbefreiung ohne Sozialismus!

Endnoten

(1) Cinzia
Arruzza, Tithi Bhattacharya, Nancy Fraser, Feminismus für die 99 %:
Ein Manifest, Matthes & Seitz, Berlin 2019; alle Zitate nach der
deutschsprachigen Ausgabe.

(2) Engels, Friedrich: Die Entwicklung des Sozialismus von
der Utopie zur Wissenschaft, MEW 19, Berlin/O. 1974, S. 210

(3) Lenin, W. I.: Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung,
LW 5, Berlin/O. 1955, S. 413

(4) Engels, Friedrich: Der Ursprung der Familie, des
Privateigentums und des Staats, MEW 21, Berlin/O. 1975, S. 77




Ökosozialismus: Kritik der Konzeption von Michael Löwy

Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1980, 9. Dezember 2019

Mit diesem Artikel möchten wir unsere bisherige Kritik des Ökosozialismus zur Diskussion stellen. Dabei ist es schwierig, von dem Ökosozialismus zu sprechen, da es sich um einen politisch breit besetzten Begriff handelt. Eine der ausgeprägteren politischen Darstellungen lieferte Michael Löwy, Mitglied der Vierten Internationale (Vereinigtes Sekretariat), in seinem Buch „Ökosozialismus. Die radikale Alternative zur ökologischen und kapitalistischen Katastrophe“, weshalb wir uns vor allem darauf beziehen. Das bedeutet aber auch, dass dieser Artikel nicht schon unser letztes Wort zu diesem Thema sein kann. Die zunehmende Bedeutung der Ökologie, welche durch die Umweltbewegung eine beträchtliche öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hat, wird eine marxistische Auseinandersetzung mit den Ideen des Ökosozialismus auch in Zukunft erfordern.

Hintergrund unserer Auseinandersetzung mit dem Ökosozialismus ist die Tatsache, dass im Dezember 2018 das Netzwerk „Aufbruch – für eine ökosozialistische Alternative“ in Österreich gegründet wurde. Die beteiligten Organisationen Aufbruch Salzburg, Aufbruch Innsbruck, Revolutionär-Sozialistische Organisation (RSO), Sozialistische Alternative (SOAL) und Solidarische Linke Kärnten (SLK) bekennen sich damit zum gemeinsamen Aufbau einer antikapitalistischen und ökosozialistischen Organisation, ohne ihre eigenen Strukturen bisher aufgelöst zu haben. Dieser Gründung war ein Austausch über eine antikapitalistische und ökosozialistische Kooperation vorangegangen, an dem wir uns zwar nicht personell beteiligen konnten, aber zu dem wir in einem Diskussionsbeitrag unsere Offenheit gegenüber einer antikapitalistischen Kooperation klarstellten. Zur Frage des Ökosozialismus konnten wir damals noch keine fundierte Position beziehen. Deshalb schrieben wir: „Ist der Begriff des ‚Ökosozialismus‘ wirklich noch so offen oder stehen hinter dem Begriff teilweise nicht schon seit längerer Zeit linke Strömungen, die sich damit bewusst vom ‚orthodoxen‘ Marxismus abzugrenzen versuchten? Wir halten eine gewissenhafte Auseinandersetzung mit dem Ökosozialismus im Rahmen einer Kooperation jedenfalls für vernünftiger, als diesen als Ausgangspunkt einer solchen zu setzen.“ Unsere Bedenken wurden jedenfalls bei der Gründung dieser Kooperation nicht berücksichtigt, auch haben wir von keiner Seite eine Antwort auf unseren Beitrag erhalten.

Zum inhaltlichen Einstieg möchten wir klarstellen, dass sich unsere Kritik des Ökosozialismus nicht auf die hervorgehobene Bedeutung der Ökologie bezieht. Der Kapitalismus zerstört die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten in einem immer drastischeren Ausmaß und gefährdet damit nicht nur die Möglichkeit einer zukünftigen egalitären Gesellschaft, sondern die Existenz menschlicher Zivilisation überhaupt. Dementsprechend kann man der Umweltfrage gar nicht genug Aufmerksamkeit schenken. Unsere Kritik bezieht sich vielmehr auf die Revisionen, die zum Teil und unter anderem bei Löwy an den revolutionären Auffassungen des Marxismus vorgenommen werden und zu gefährlichen politischen Schlussfolgerungen verleiten. In diesem Zusammenhang ist es auch aufschlussreich zu erwähnen, dass einige dieser Revisionen – zumindest für den deutschsprachigen Raum – auf die historischen Ursprünge des Ökosozialismus in entsprechenden Debatten innerhalb der deutschen Grünen in den 1980ern zurückreichen. Eine lesenswerte Kritik an den damaligen ökosozialistischen Führungsfiguren Rainer Trampert und Thomas Ebermann findet sich schon bei Dieter Elken. Nun aber zu Michael Löwy.

Warum Ökosozialismus?

Löwy geht davon aus, dass die Rettung des ökologischen Gleichgewichts auf dem Planeten unvereinbar ist mit der „expansiven und zerstörerischen Logik des kapitalistischen Systems“. An dessen Stelle brauche es über den Weg einer Revolution eine nachhaltige Gesellschaft auf Grundlage einer demokratisch geplanten Wirtschaft. Soweit können wir ihm folgen. Aber schon beim eigentlichen Ausgangspunkt für seine Theorie des Ökosozialismus wird es schwierig: Löwy unterstellt der ArbeiterInnenbewegung sozialdemokratischer und stalinistischer Tradition eine „Fortschrittsideologie“ und eine „Ideologie des Produktivismus“. Er definiert nicht klar, was er darunter versteht, aber sofern er damit die Unterordnung der Ökologie unter die quantitative Ausweitung der Produktion meint, können wir ihm zustimmen – allerdings sind wir nicht wie er bereit, das Kind mit dem Bade auszuschütten und sogleich die Idee des Fortschritts zu verwerfen, sondern würden diese vielmehr unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit verteidigen. Wie dem auch sei, aufgrund des „Produktivismus“ müsse es eine „Konvergenz“ der ArbeiterInnenbewegung und der Umweltbewegung zum Ökosozialismus geben. Dabei handle es sich um eine „ökologische Theorie- und Aktionsströmung, die sich die grundlegenden Errungenschaften des Marxismus zu eigen macht und sich dessen Schlacken entledigt“. Man muss ihm zugutehalten, dass er entgegen anderen ÖkosozialistInnen Marx und Engels gegen den „Produktivismus“-Vorwurf letztlich verteidigt. Warum es daher abseits der noch zu diskutierenden Schlacken nicht ausreiche, den Marxismus gegen sozialdemokratische und stalinistische Entstellungen zu verteidigen und die Umweltbewegung für den Marxismus zu gewinnen, bleibt an dieser Stelle noch etwas unverständlich.

Zur Herrschaft über die Natur

Einen Teil der Antwort findet man in Löwys Auseinandersetzung mit Marx‘ und Engels‘ Bemerkungen zur Herrschaft über die Natur, die sich immer wieder in ihren Werken finden und immer wieder kritisiert wurden. So verweist er beispielhaft auf Engels‘ Aussage, dass die Menschen im Sozialismus zum ersten Male bewusste, wirkliche HerrInnen der Natur werden. Anschließend verweist er wohlwollend darauf, dass Marx den Mensch als Teil der Natur gesehen habe (was hier nicht als Widerspruch zu Engels gemeint ist). Er zitiert ein bedeutendes Zitat von Engels selbst, das da lautet: „Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. ( … ) Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand der außerhalb der Natur steht (…) und dass unsere ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen anderen Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“ Trotz dieser Klarstellung und Verteidigung von Marx und Engels gesteht er den falschen KritikerInnen zu, dass ihre Schriften Anlässe für unterschiedliche Interpretationen des Verhältnisses von Mensch und Natur böten. Und schlussendlich behauptet er, dass Marx am Ende den Sozialismus nicht mehr als „Herrschaft“ oder „Kontrolle“ des Menschen über die Natur gesehen habe, sondern eher als „Kontrolle des Stoffwechsels mit der Natur“ und offenbart zumindest seine Distanzierung zur marxistischen Terminologie – wozu man einwendend fragen könnte, wie der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur denn (nachhaltig) kontrollieren könne ohne Kontrolle und Beherrschung der Natur?

Zur Frage der Produktivkräfte

Kommen wir aber zum eigentlichen Kritikpunkt von Löwy am Marxismus. Diesen verortet er in einer bestimmten Formulierung des historischen Materialismus von Marx selbst, im Vorwort der „Kritik der politischen Ökonomie“: „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in einen Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen ( … ). Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein.“ Dazu meint Löwy: „Diese Konzeption scheint den Produktivapparat als ,neutral‘ zu betrachten: und wenn er einmal von den durch den Kapitalismus auferlegten Produktionsverhältnissen befreit sei, könne er sich unbegrenzt entwickeln. Der Irrtum dieser theoretischen Konzeption muss heute nicht einmal mehr bewiesen werden. ( … ) [Der Produktivapparat ist] nicht neutral, er dient der Akkumulation des Kapitals und der unbegrenzten Expansion des Marktes. Er steht im Widerspruch zu den Erfordernissen des Umweltschutzes ( … ). Man muss ihn daher ‚revolutionieren‘ ( … ) Das kann für bestimmte Produktionsbranchen bedeuten, sie zu ‚brechen‘ ( … ).“ Und gegen Ende des Buches erklärt er, dass „eine sozialistisch-ökologische Transformation zugleich sowohl die Produktionsverhältnisse als auch die Produktivkräfte und, damit verbunden, die Konsummodelle, die Transportsysteme sowie letztlich die gesamte kapitalistische Zivilisation umwandeln muss.“

Die ökologische Frage fordere laut Löwy daher von den MarxistInnen eine Revision der traditionellen Konzeption der Produktivkräfte und er zitiert wohlwollend einen italienischen „Ökomarxisten“, der meint: „Die Formel, nach der sich eine Transformation potenzieller Produktivkräfte in reale Destruktivkräfte vor allem in Bezug auf die Umwelt vollzieht, erscheint uns angemessener und bedeutsamer als das altbekannte Schema des Widerspruchs zwischen (dynamischen) Produktivkräften und (den sie in Ketten haltenden) Produktionsweisen.“ Zum besseren Verständnis sei hier Marx selbst zu den Destruktivkräften zitiert: „In der Entwicklung der Produktivkräfte tritt eine Stufe ein, auf welcher Produktionskräfte und Verkehrsmittel hervorgerufen werden, welche unter den bestehenden Verhältnissen nur Unheil anrichten, welche keine Produktionskräfte mehr sind, sondern Destruktionskräfte (… ).“

Dass Löwy Marx‘ Konzeption des Verhältnisses von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen als Irrtum (ohne Beweis!) einfach beiseiteschiebt, ist höchst problematisch, immerhin bildet sie den Kern seiner materialistischen Geschichtsauffassung. Der Verweis, dass eben alles revolutioniert werden müsse, bietet dafür keinen Ersatz, denn dabei handelt es sich nur um eine Schlussfolgerung und um keine materialistische Herleitung gesellschaftlicher Veränderung. Obendrein basiert diese auf der falschen Unterstellung, dass die Veränderung der Produktionsweise nicht auch eine qualitative Veränderung der Produktivkräfte nach sich ziehe, und impliziert eine „produktivistische“ Deutung. Was die Entwicklung von Produktivkräften tatsächlich bedeutet, wird klar, wenn man sich vor Augen hält, was Marx eigentlich unter Produktivkräften verstanden hat – was Löwy in seinem Buch unterlässt. Im ersten Band von „Das Kapital“ schreibt Marx: „Die Produktivkraft der Arbeit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter anderen durch den Durchschnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Kombination des Produktionsprozesses, den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Produktionsmittel und durch Naturverhältnisse.“ Die Produktivkräfte umfassen also nicht nur Wissenschaft, Technik oder Maschinerie, sondern (wie an anderer Stelle formuliert) die Naturbedingungen, unter denen produziert wird, und die menschliche Arbeitskraft selbst, die es natürlich beide zu bewahren gilt. Somit wird klar, dass Umweltzerstörung bei Marx Zerstörung von Produktivkraft ist!

Zur ökosozialistischen Ethik

Oberflächlich betrachtet könnte man meinen, dass es sich bei der Frage der Produktivkräfte nur um ein belangloses Missverständnis handelt. Tatsächlich folgen aus der falschen Theorie aber irreführende Folgerungen für die Praxis. Löwy problematisiert die Hemmung der Produktivkräfte durch den Kapitalismus nämlich kaum, sondern vorwiegend deren falsche Entwicklung und Handhabung. Dementsprechend spielt der offensichtlichste Ausdruck von Produktivkrafthemmung und -zerstörung, die Wirtschaftskrise, keine zentrale Rolle in seiner politischen Konzeption. Wirtschaftskrisen werden bei ihm vor allem aufgrund der darauf folgenden hemmungsloseren Ausbeutung der Natur als Verschärfung der Umweltkrise thematisiert. Natürlich gibt es auch Menschen, die darunter leiden und sich gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur wehren, aber er skizziert keine revolutionäre Situation, in der die herrschende KapitalistInnenklasse in eine politische Krise gerät und die ausgebeutete und unterdrückte ArbeiterInnenklasse die bestehenden Verhältnisse nicht mehr ertragen möchte. Stattdessen widmet er ein eigenes Kapitel einer „ökosozialistischen Ethik“, die der nicht-ethischen Logik des Kapitals radikal entgegengesetzt sei. Sie müsse sozial, egalitär und demokratisch sein und der Ökosozialismus würde letztendlich als Ethik der Verantwortung zum humanistischen Imperativ. Hier verlässt Löwy den Boden des wissenschaftlichen Sozialismus, der sich von seinen utopischen Vorläufern dadurch abgrenzte, dass er ihn aus den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen und deren Entwicklung begründete und nicht aus moralischen oder sonstigen Prinzipien, nach denen sich die Welt zu richten habe.

Zur Revolution

Im Marxismus ist es die ArbeiterInnenklasse, die aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess den Kapitalismus nicht nur beseitigen kann, sondern daran auch ein objektives Interesse hat. Wer ist das „revolutionäre Subjekt“ bei Michael Löwy? Eine wirklich eindeutige Antwort bleibt er schuldig. Natürlich bezieht sich Löwy implizit beim Ökosozialismus als Konvergenz von ArbeiterInnenbewegung und Umweltbewegung auf die ArbeiterInnenklasse. Auch spricht er davon, die Produktionsmittel in die Hände der ArbeiterInnen zu geben. Aber die Rolle der ArbeiterInnenklasse wird nicht weiter ausgeführt, und wo es um politische AkteurInnen geht, hebt er vor allem indigene Gemeinschaften hervor und als besonders entscheidend die globalisierungskritische Bewegung. Aufschlussreicher ist die „Internationale ökosozialistische Erklärung von Belém (Brasilien)“, die Löwy am Ende des Buches anfügt. Dort heißt es: „Die am stärksten unterdrückten Schichten der menschlichen Gesellschaft, die Armen und die indigenen Bevölkerungsgruppen, müssen ein prägender Teil dieser ökosozialistischen Revolution werden ( … ) Gleichzeitig ist die Geschlechtergerechtigkeit eine grundlegende Komponente des Ökosozialismus ( … ) In allen Gesellschaften gibt es darüber hinaus noch weitere mögliche TrägerInnen für eine revolutionäre ökologische Veränderung. ( … ) Die Arbeiterkämpfe, die Kämpfe der Bauern und Bäuerinnen, die Kämpfe der Landlosen und der Arbeitslosen für soziale Gerechtigkeit sind untrennbar mit den Kämpfen für Umweltgerechtigkeit verbunden.“ Es ist unbestreitbar, dass all die genannten sozialen Gruppen wichtig sind im Kampf gegen den Kapitalismus. Aber zumindest in der Erklärung von Belém, die Löwy unterzeichnet hat, sind die Kämpfe der ArbeiterInnen nur ein Teil vieler Kämpfe, ohne herausragende Rolle. Wir wollen hier keinen rein ökonomischen ArbeiterInnenkampf beschwören – es geht um die Frage, wer die notwendige revolutionäre Umgestaltung tatsächlich vollziehen kann und auf wen sich eine sozialistische Organisation daher orientieren und stützen muss.

Diese Frage wird in Löwys Buch allerdings nicht gestellt.
Überhaupt findet sich bei ihm keine wirkliche Begründung einer politischen
Organisation, geschweige denn Partei. In der marxistischen Tradition müssen
sich die klassenbewussten Teile des Proletariats zur ArbeiterIinnenpartei
formieren, zum politischen Subjekt werden, um den Rest ihrer Klasse für den
Sozialismus zu gewinnen. Auch bleibt in diesem Zusammenhang bei ihm die Frage
offen, wie ein revolutionäres Klassenbewusstsein in der ArbeiterInnenklasse
hergestellt werden soll. Die ÖkosozialistInnen haben sich in einem
internationalen Netzwerk organisiert, der Aufbau einer Partei gehört nicht zu
dessen Zielen.

Zu guter Letzt wollen wir noch auf eine zentrale Frage eingehen, nämlich die programmatische Methode. Löwy kommt wie wir aus einer politischen Tradition, die sich die Methode von Trotzkis Übergangsprogramm auf die Fahnen schreibt. Er stellt richtig fest, dass die Notwendigkeit der Revolution nicht bedeutet, auf den Kampf für Reformen, also für Verbesserungen innerhalb des Kapitalismus zu verzichten. Er formuliert das so, dass der Kampf für ökosoziale Reformen zugleich Träger einer Veränderungsdynamik ist, eines Übergangs von Minimal- zu Maximalforderungen. Mit Minimalforderungen werden im Marxismus Reformen bezeichnet, während Maximalforderungen die nach einer zukünftigen Gesellschaft beinhalten. Übergangsforderungen wie zum Beispiel diese, dass die ArbeiterInnen in ihren Betrieben Komitees schaffen, mit denen sie eine Kontrolle über die kapitalistische Produktion ausüben, sollen am Kampf um Verbesserungen im Hier und Jetzt anknüpfen (in diesem Beispiel könnte es um die Umweltverträglichkeit des Unternehmens gehen), aber die ArbeiterInnenklasse zur Eroberung der politischen Macht befähigen. Löwy formuliert in Wahrheit keine solchen Übergangsforderungen. Stattdessen scheint es, als ob er darunter nur Forderungen versteht, die in der kapitalistischen Profitlogik nicht umsetzbar sind, etwa die öffentliche Umgestaltung des Verkehrssystems, und somit über den Kapitalismus hinausweisen. Allerdings handelst es sich dabei nicht um Übergangsforderungen, weil sie in ihrer Konsequenz nicht zur Selbstermächtigung der ArbeiterInnen gegen das Kapital führen. Übergangsforderungen bestehen eben nicht nur im Kampf für ökosoziale Reformen. Somit weist der Ökosozialismus von Michael Löwy programmatisch nicht über einen Kampf um radikale Reformen gepaart mit einem ökologischen Maximalismus hinaus.




Die verratene Revolution

Trotzkis Analyse des Stalinismus

Martin Suchanek, Revolutionärer Marxismus 52, November 2019 (Erstveröffentlichung 2001)

Die russische Revolution war die erste erfolgreiche
proletarische Revolution, die einen ArbeiterInnenstaat errichtete. Sie wurde
somit zum wichtigen Bezugspunkt für alle, welche die kapitalistische
Gesellschaft ablehnen und nach einer Alternative suchen. Sie hat das Leben der
russischen ArbeiterInnenklasse, der Bauern-/Bäuerinnenschaft, der ganzen
Bevölkerung revolutioniert, den Frauen historisch erstmals das allgemeine und
gleiche Wahlrecht zugestanden, Abtreibung und Homosexualität legalisiert und
eine grundlegende Umgestaltung der Ökonomie unter ArbeiterInnenkontrolle und
-verwaltung begonnen.

Die Politik und Herrschaft Stalins sowie des Stalinismus
allgemein bedeuteten einen Bruch mit den revolutionären Zielen der Bolschewiki
und fügten dem Ansehen des Kommunismus in der ArbeiterInnenklasse und bei den
Unterdrückten weltweit immensen Schaden zu, indem er mit dieser reaktionären
Politik gleichgesetzt wurde.

„Die Sowjetunion ist aus der Oktoberrevolution als ein ArbeiterInnenstaat hervorgegangen. Die Verstaatlichung der Produktionsmittel als notwendige Voraussetzung der sozialistischen Entwicklung hat die Möglichkeit eines raschen Anwachsens der Produktivkräfte ermöglicht. Der Apparat des ArbeiterInnenstaates hat unterdessen eine völlige Entartung durchgemacht, wobei er sich von einem Werkzeug der ArbeiterInnenklasse zu einem Werkzeug der bürokratischen Gewalt gegen die ArbeiterInnenklasse verwandelt hat. Die Bürokratisierung eines rückständigen und isolierten ArbeiterInnenstaates und die Verwandlung der Bürokratie in eine allmächtige privilegierte Kaste sind die überzeugendste – nicht nur theoretische, sondern praktische – Widerlegung der Theorie des Sozialismus in einem Lande.

So schließt die Herrschaftsform der Sowjetunion bedrohliche Widersprüche ein. Aber sie bleibt immer noch die Herrschaftsform eines entarteten ArbeiterInnenstaates. Das ist die soziale Diagnose.

Die politische Prognose stellt sich als Alternative: entweder beseitigt die Bürokratie, die immer mehr zu einem Organ des Weltimperialismus in dem ArbeiterInnenstaat wird, die neuen Eigentumsformen und wirft das Land in den Kapitalismus zurück; oder die ArbeiterInnenklasse stürzt die Bürokratie und öffnet den Weg zum Sozialismus.“ (1)

Bevor wir auf Trotzkis Analyse näher eingehen, wollen wir
kurz einige Schwierigkeiten darstellen, die uns bei seinen Arbeiten begegnen.

Womit beginnen?

Erstens hat sich seine Analyse im Laufe der Entwicklung des
Stalinismus selbst verändert. Anders als wir hatte er es nicht mit einem
fertigen Phänomen zu tun, sondern mit einer komplexen, im Werden begriffenen
Erscheinung. Daher ändern sich auch Trotzkis Positionen zur stalinistischen
Bürokratie und seine politisch-programmatischen Schlussfolgerungen.

Zweitens ist Trotzki wie alle großen marxistischen
TheoretikerInnen zugleich Revolutionär, Politiker, Praktiker im besten Sinne
des Wortes. Seine Analyse erarbeitet er im Kontext der polemischen
Auseinandersetzung, der damit einhergehenden Zuspitzung einzelner Punkte und in
praktischer, revolutionärer Absicht. Ein bürgerlicher, anschauender Marxismus
ist ihm fremd.

Die dritte und wichtigste Schwierigkeit liegt im
widersprüchlichen Wesen nicht nur des Stalinismus, sondern des Übergangs vom
Kapitalismus zum Sozialismus selbst begründet. Der bleibende Wert von Trotzkis
Beitrag zum Verständnis der Sowjetgesellschaft und des Stalinismus liegt gerade
darin, den Ausgangspunkt der Betrachtung richtig zu wählen.

Entgegen etlichen zeitgenössischen und heutigen Vorwürfen,
die Trotzkis Theorie als „historisch befangen“ erklären, die seine Konzeption
des degenerierten ArbeiterInnenstaates zurückweisen, weil er „emotional“ an der
Oktoberrevolution hänge (Cliff u. a.) und sich trotz Stalin von der SU
nicht lösen könne oder umgekehrt wegen Stalin deren Entwicklungspotential
übersehen hätte (z. B. Deutscher), ist bei Trotzki ein enormes Maß an
Objektivität zu spüren. Sein Eintreten für die verbliebenen Errungenschaften
der Oktoberrevolution und den revolutionären Sturz der Bürokratie hat – wie wir
zeigen werden – nichts mit persönlicher Eitelkeit oder gar einer „Revanche an
Stalin“ zu tun.

Nach einem vergleichenden Überblick über die soziale und
politische Situation in der Sowjetunion 1935 wendet sich Trotzki der eigentlichen
Analyse der Sowjetgesellschaft zu. Er beginnt dabei nicht bei Stalin, ja
überhaupt nicht mit der Untersuchung einzelner Aspekte der frühen Sowjetunion,
sondern mit grundlegenden Betrachtungen des Übergangs vom Kapitalismus zum
Sozialismus. Der sozioökonomische Charakter der Sowjetunion und der Stalinismus
müssen aus den inneren Widersprüchen dieser Übergangsperiode erklärt werden.
Dieser Methode bleibt Trotzki grundsätzlich treu. Das weist ihn als großen
Vertreter des historischen Materialismus aus.

Er lehnt jede normative Herangehensweise ab. Es reicht, so
Trotzki, nicht aus nachzuprüfen, ob ein ArbeiterInnenstaat oder jedes andere
Phänomen der „Norm“, unseren Idealen entspricht.

„Das übliche Denken arbeitet mit solchen Vorstellungen wie Kapitalismus, Moral, Freiheit, ArbeiterInnenstaat usw. als festgelegten Abstraktionen, wobei es voraussetzt, dass Kapitalismus gleich Kapitalismus, Moral gleich Moral ist usw. Das dialektische Denken untersucht alle Dinge und Erscheinungen in ihrer unablässigen Veränderung, wobei es in den materiellen Voraussetzungen dieser Veränderungen jene kritische Grenze bestimmt, jenseits derer ‚A‘ aufhört ‚A‘ zu sein, ein ArbeiterInnenstaat aufhört, ein ArbeiterInnenstaat zu sein.

Der grundlegende Fehler des üblichen Denkens liegt darin, dass es sich mit bewegungslosen Eindrücken der Wirklichkeit zufrieden gibt, die aus ewiger Bewegung besteht. Durch weitere Annäherungen, Berichtigungen, Konkretisierungen gibt das dialektische Denken Vorstellungen einen reicheren Inhalt und größere Anpassungsfähigkeit (…).“ (2)

Trotzki verdeutlicht das anhand eines Vergleiches mit
Gewerkschaften:

„Die geschichtliche Entwicklung hat uns mit den unterschiedlichsten Gewerkschaften bekannt gemacht: kämpferischen, reformistischen, revolutionären, reaktionären, liberalen und katholischen. Anders verhält es sich mit dem ArbeiterInnenstaat. Diese Erscheinung beobachten wir zum ersten Mal. Daher resultiert die Neigung, die UdSSR ausschließlich unter dem Blickwinkel der Normen des revolutionären Programms zu betrachten. Indessen ist der ArbeiterInnenstaat eine objektive geschichtliche Tatsache, auf die verschiedene geschichtliche Kräfte einwirken und die, wie wir sehen, in vollen Widerspruch zu den ‚traditionellen Normen‘ geraten ist.“ (3)

Hier und an anderer Stelle verweist er darauf, dass wir
wenig gewonnen haben, wenn wir einfach eine Idealvorstellung des
ArbeiterInnenstaates mit dem Phänomen Sowjetunion vergleichen und zur
Schlussfolgerung gelangen, dass sie diesem Modell nicht entspricht.

Die wissenschaftliche Charakterisierung hat immer auch
programmatische und politische Konsequenzen. Ist die Sowjetunion nur ein
anderer, totalitärer, imperialistischer Staat, würde daraus z. B. im Krieg
gegen das faschistische Deutschland eine defaitistische Haltung des
Proletariats folgen.

Hinter der Charakterisierung degenerierter
ArbeiterInnenstaat steht für Trotzki jedoch, dass die Sowjetunion trotz der
Monstrosität der Stalin‘schen Herrschaft noch immer auf der Enteignung der
Bourgeoisie gründet, dass sich keine neue Kapitalistenklasse an die Macht
geschwungen hat und dass eine ArbeiterInnenrevolution gegen Stalin diese
Aufgabe nicht erneut erfüllen muss. Daher traten die TrotzkistInnen vor dem und
im Zweiten Weltkrieg für die Verteidigung der Sowjetunion gegen Nazi-Deutschland
und für den Sieg der UdSSR ein.

Revolutionäre Klasse

Trotzki versucht, das Problem des Übergangs im Anschluss an
Marx, Engels und Lenin sowohl theoretisch zu erschließen wie auch historisch –
in der Analyse der Entwicklung der Sowjetunion. In seinen Arbeiten greift
Trotzki die wichtige Erkenntnis des Marxismus auf, dass der Übergang zur
klassenlosen Gesellschaft, zum Kommunismus, nur über die politische
Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse möglich ist.

Sie ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die aufgrund
ihrer Stellung im Produktionsprozess zur vollständigen Umwälzung der
Gesellschaft, zur Befreiung der Menschheit von Ausbeutung und Unterdrückung
fähig ist. Der gesellschaftliche Charakter der kapitalistischen
Produktionsweise schafft die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit, das Leben der
Menschen bewusst zu gestalten und jede Form von Ausbeutung und Unterdrückung zu
überwinden.

Möglich ist das aber nur, wenn sich die Arbeitenden, die den
Reichtum der Gesellschaft schaffen, dieser Notwendigkeit bewusst werden. Das
passiert nicht spontan. Das Proletariat ist vielmehr selbst in der
Warenwirtschaft verhaftet, es ist von chauvinistischen, sexistischen, usw.
Vorurteilen geprägt, die sie an die bestehende Gesellschaft fesseln.

Damit diese Klasse wirklich revolutionär wird und einen
konsequenten Kampf für ihre eigene Emanzipation führen kann, muss gegen alle
Formen der Unterdrückung und Ausbeutung agiert werden. Es bedarf dazu des
Kampfes gegen bürgerliches und kleinbürgerliches Bewusstsein und jede Form
unterdrückerischen Verhaltens unter den Ausgebeuteten. Nur durch die Verbindung
von Kampf, Organisierung und Bewusstsein wird das Proletariat befähigt, den
revolutionären Sturz des bestehenden Ausbeutungssystems herbeizuführen und dem
Marktwahnsinn der Profitwirtschaft ein Ende zu bereiten. Das ist die notwendige
Vorbedingung, damit die Potenzen der Gesellschaft zur freien und allseitigen
Entfaltung aller Menschen genutzt werden können. Es gibt nur eine
Gesellschaftsformation, in der das möglich ist: die kommunistische, das Ziel
der proletarischen Revolution.

Diese Erkenntnis muss zusammen mit einem weiteren wichtigen
Unterschied zwischen bürgerlicher und sozialistischer Revolution verarbeitet
werden. Beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus konnte sich die
entstehende Bourgeoisie auf eine lange historische Phase der Entwicklung
kapitalistischer Produktionsverhältnisse im Schoße der Feudalgesellschaft
stützen. Schon lange bevor die Aristokratie ihre politische Macht verlor und
diese an die Kapitalistenklasse abzutreten gezwungen war, begannen die
bürgerliche Produktionsweise, das Vordringen von Geldwirtschaft und Manufaktur,
die feudale Produktionsweise von innen zu zerstören.

Wie Engels zu Recht feststellt, war die Umwälzung der
politischen Verhältnisse, die Zerstörung der feudalen Ordnung nicht einfach ein
„Nachvollzug“ des ökonomischen Voranschreitens, sondern notwendig, um die neue
Produktionsweise von den feudalen Fesseln zu befreien. Dem/r KönigIn musste der
Kopf abgeschlagen werden. Die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse mussten
über die Landesgrenzen ausgedehnt werden – und sei es mit den Bajonetten der
napoleonischen Armee.

In den bürgerlichen Revolutionen gelangte die Bourgeoisie
auf Basis der Mobilisierung der Volksmassen an die politische Macht. Auch dort,
wo es der Feudalaristokratie gelang, diese wieder zu erlangen, wo die
Revolutionen scheiterten und die Exekutivgewalt in den Händen der
konterrevolutionären Aristokratie blieb, war an eine Restauration des
gesellschaftlichen Systems des Feudalismus nicht mehr zu denken. Der
Kapitalismus und erst recht das Fabriksystem hatten die Mauern der alten
Ordnung zu diesem Zeitpunkt schon so gründlich zerstört, dass der ehemals
herrschenden Klasse nur übrig blieb, sich mit der Kapitalistenklasse zu
arrangieren und, wie z. B. in Deutschland oder der Habsburger Monarchie,
die rasch wachsende Angst der BürgerInnen vor dem sich bildenden Proletariat zu
einem möglichst großzügigen Arrangement für KaiserIn, KönigIn und JunkerIn zu
nutzen.

In jedem Fall aber blieb die kapitalistische
Produktionsweise die vorherrschende, weil sie schon in der Feudalgesellschaft
ihre historische Überlegenheit gezeigt hatte, weil sich die Bourgeoisie mit
ihrer Entwicklung zur herrschenden Klasse bereits auf ein überlegenes,
bürgerliches System der Produktion und Distribution stützen konnte.

Die Bedeutung der politischen Machtergreifung

Die ArbeiterInnenklasse kann sich jedoch vor der
revolutionären Machtergreifung auf kein solches System stützen. Der
Kapitalismus entwickelt zwar die Voraussetzungen des Kommunismus und seine
inneren Widersprüche drängen notwendig zum Sturz dieser Klassengesellschaft –
aber im Kapitalismus entwickelt sich keine zukünftige sozialistische
Produktionsweise.

Die Kapitalistenklasse entwickelte sich organisch aus
Geldwirtschaft, Handel und Handwerk im Feudalismus. Sie konnte ihre ökonomische
Vorherrschaft, lange bevor sie zur politisch herrschenden Klasse wurde, auf der
Grundlage einer neuen, historisch überlegenen Produktionsweise vorbereiten, die
sich neben der und gegen die feudale Produktionsweise entwickelte.

Die Kapitalistenklasse entwickelte sich aus den
Zwischenklassen, Mittlerinnen der Feudalgesellschaft, nicht aus der
unterdrückten Produzentenklasse der Leibeigenen, Hörigen oder abhängigen
Bauern/Bäuerinnen. Sie entwickelte sich aus dem Kampf der Stadt gegen das Land,
aus dem Kampf neu entstehender Mittelklassen, die sich oft selbst aus
ehemaligen, entflohenen Leibeigenen rekrutierten. So war es möglich, dass sie
sich nach der politischen Machtergreifung bereits auf die ökonomische
Vorherrschaft stützen konnte.

Für das Proletariat besteht diese Möglichkeit nicht. Gerade
weil die kapitalistische Produktionsweise auf der Ausbeutung der Arbeiterinnen
und Arbeitern als Klasse von LohnrbeiterInnen basiert, die Mehrwert und Kapital
produzieren, kann diese Klasse nicht im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft
ihre eigene Produktionsweise schaffen. Sie muss vielmehr zuerst ihre
gesellschaftliche Stellung zur politischen Machtergreifung nutzen, zur eigenen
Klassenherrschaft gelangen, um auf dieser Grundlage die Gesellschaft gründlich,
bewusst und planmäßig umzugestalten. Nach der Machtergreifung muss sich die
ArbeiterInnenklasse nicht nur mit der bürgerlichen Konterrevolution
auseinandersetzen, sie kann nur über die bewusste Umwälzung der vom
Kapitalismus übernommenen Verhältnisse zur klassenlosen Gesellschaft
voranschreiten.

„In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtische Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: jeder nach seinen/ihren Fähigkeiten, jedem/r nach seinen/ihren Bedürfnissen.“ (4)

Der Sturz der bürgerlichen Herrschaft erfordert eine
bewusste Klassenführung, erfordert ein Bewusstsein von der Aufgaben der Klasse.
Nach der Revolution wird die Frage des Bewusstseins der Klasse nicht weniger
bedeutend. Das Proletariat kann nach Marx´ Auffassung den Staat nicht einfach
„abschaffen“, wie die AnarchistInnen glauben, es muss vielmehr für eine Periode
des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus selbst die Staatsmacht ausüben,
um sich gegen die innere und äußere bürgerliche Konterrevolution zu verteidigen
und diese zu unterdrücken.

„Zwischen der kapitalistischen und kommunistischen Gesellschaft liegt eine Periode der revolutionären Umwälzung der einen in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“ (5)

Welchen Staat braucht das Proletariat?

Schon vor der Revolution von 1848 vertraten Marx und Engels die Auffassung, dass die ArbeiterInnenklasse die politische Macht erringen müsse, um ihre ökonomische Befreiung erwirken, um Ausbeutung und Unterdrückung beseitigen und schließlich den Weg zu einer klassenlosen Gesellschaft ebnen zu können. Das kommt auch im Kommunistischen Manifest zum Ausdruck: „Wir sahen schon oben, dass der erste Schritt in der ArbeiterInnenrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist.“ (6)

Welche Staatsform zur Befreiung des Proletariats notwendig
sei, was mit dem schon existierenden Staatsapparat geschehen müsse – das war
damals noch nicht mit Inhalt gefüllt. Doch schon die Errichtung der
bonapartistischen Diktatur Napoleons III. 1851 in Frankreich führte Marx und
Engels zu wichtigen neuen Erkenntnissen in Bezug auf den Staat. Der bürgerliche
Staat ist nicht einfach eine Institution, die der Herrschaft jeder beliebigen
Klasse – egal ob ausbeutend oder nicht – dienen kann.

Im Gegenteil, er dient in jeder Form – egal ob als
parlamentarische Demokratie oder als Diktatur, ob als Republik oder Monarchie –
der Aufrechterhaltung und Befestigung der Macht des Bürgertums. Das trifft
selbst dann zu, wenn VertreterInnen des Proletariats z. B. die Mehrheit im
Parlament hätten, da das eigentliche Machtzentrum des Staates nicht bei den
Abgeordneten, sondern im Staatsapparat selbst liegt, bei der Bürokratie, der
Justiz vor allem bei Armee und Polizei.

Das Proletariat kann daher die bürgerliche Staatsmaschine,
so die Schlussfolgerung von Marx und Engels, nicht einfach übernehmen. Sie muss
vielmehr zerbrochen oder, wie sich Lenin in „Staat und Revolution“ ausdrückt,
zerschlagen werden. In einem berühmten Brief an Ludwig Kugelmann vom 12. April
1871 macht Marx seine Auffassung besonders deutlich:

„Wenn Du das letzte Kapitel meines ,Achtzehnten Brumaire‘ nachsiehst, wird Du finden, dass ich als nächsten Versuch der französischen Revolution ausspreche, nicht mehr wie bisher die bürokratisch-militärische Maschinerie aus einer Hand in die andere zu übertragen, sondern sie zu zerbrechen, und dies ist die Vorbedingung jeder wirklichen Volksrevolution auf dem Kontinent.“ (7)

Genau das, so Marx, habe die Kommune im Unterschied zu allen
Revolutionen vor ihr gemacht. Sie hat nicht mehr den bestehenden Staatsapparat
einfach übernommen, ihre Leute auf hoch dotierte Bürokratenposten gesetzt und
ihnen damit ermöglicht, sich über jene zu stellen, die sie in diese Position
gebracht haben. Sie hat den Staatsapparat sozusagen vom Himmel auf die Erde
geholt – indem sie ihn zerschlagen und durch einen völlig neuartigen „Staat“,
die Kommune, ersetzt hat.

Die Kommune wurde durch Abgeordnete gebildet, die in den
Bezirken von Paris durch allgemeines Stimmrecht gewählten wurden. Das Besondere
dabei war erstens, dass diese ihren WählerInnen jederzeit verantwortlich und
von diesen absetzbar waren. Anders als in der bürgerlichen Gewaltenteilung
üblich, waren gesetzgebende und ausführende Tätigkeit in einer Körperschaft
vereint. Zweitens durften alle Mitglieder der Kommune und Ausführende sonstiger
öffentlicher Tätigkeiten nicht mehr als einen ArbeiterInnenlohn beziehen, um
dem im bürgerlichen Staat üblichen Karrierismus vorzubeugen.

Alle öffentlichen Funktionen, die auch unter der Herrschaft
des Proletariats notwendig sind, wurden in die direkte Selbstverwaltung der
arbeitenden Bevölkerung überführt. Sie verwirklichte auf ihre Art den
„schlanken Staat“ – ohne MinisterialbeamtInnen, HofrätInnen und tausende andere
HonoratiorInnen, die das „Wohl der Allgemeinheit“ vor allem zum Mittel ihrer
eigenen Bereicherung auf Kosten der Allgemeinheit machen.

Gleich im ersten Dekret, das die Kommune erließ, räumte sie
auch entschlossen mit der bewaffneten Macht des alten Staatsapparats auf. Das
stehende Heer wurde abgeschafft und durch die Bewaffnung des ganzen Volkes
ersetzt. Ebenso wurden alle RichterInnen und sonstigen JustizbeamtInnen ihrer
scheinbaren Unabhängigkeit entkleidet und sollten wie alle übrigen Ämter
gewählt, verantwortlich und jederzeit absetzbar sein.

Die Diktatur des Proletariats

Die Kommune ging natürlich auch daran, die geistigen
Hilfsmächte der alten Ordnung, vor allem den Klerus, in die Schranken zu weisen
und Symbole des Kaiserreichs, der Reaktion und des Chauvinismus zu zerstören.
Die Religion wurde aus den Schulen verbannt und Grundbesitz und sonstige
kommerzielle Unternehmungen der Kirche wurden enteignet. Die Siegessäule
Napoleons und die als Sühne für die Hinrichtung Ludwigs XVI. errichtete
Bußkapelle wurden geschliffen, die Guillotine öffentlich verbrannt.

Nicht zuletzt ging auch die Kommune in den wenigen Wochen
ihres Bestehens daran, in die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse einzugreifen.
Mietschulden der ArbeiterInnen wurden für nichtig erklärt und die Nachtarbeit
bestimmter Berufe wie der BäckerInnen verboten. Am 16. April wurde eine
statistische Erfassung der von den Unternehmern stillgelegten Fabriken und die
Ausarbeitung von Plänen für ihren Betrieb und ihre Leitung durch in
Kooperativen vereinigte Arbeiter und Arbeiterinnen begonnen.

In nur wenigen Wochen hatte die Kommune, getragen vom
arbeitenden Paris, für das Interesse der Massen mehr geleistet als sämtliche
bürgerliche WeltverbessererInnen der Geschichte zusammen. Zweifellos hatte auch
die Kommune ihre Schwächen. Sie hatte es versäumt, rechtzeitig der bürgerlichen
Konterrevolution in Versailles militärisch entgegenzutreten, bevor diese
ähnliche Versuche in großen französischen Städten niederschlagen und
schließlich das Pariser Proletariat im Bürgerkrieg niedermachen konnte. Sie
hatte es versäumt, solche grundlegenden ökonomischen Maßnahmen wie die
Beschlagnahme der Bank von Frankreich durchzuführen und damit der bürgerlichen
Konterrevolution ein wichtiges Machtmittel zu entreißen.

Doch all das ändert nichts an der weltgeschichtlichen
Bedeutung dieser ersten Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse, dieser ersten
Errichtung der Diktatur des Proletariats in der Geschichte. Auf den ersten
Blick erscheint es seltsam, diese demokratischste aller Demokratien, die
direkte Selbstverwaltung der arbeitenden Bevölkerung als Diktatur zu
bezeichnen. Doch das ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Entgegen den
bürgerlichen ApologetInnen erkennen wir, dass jeder demokratische Staat in
seinem Kern eine Diktatur ist. Der bürgerliche Staat – egal welche Partei auch
an seiner Spitze steht und welche Herrschaftsform er annimmt – bleibt immer ein
Instrument zur Aufrechterhaltung der Profitwirtschaft und des Privateigentums
an den Produktionsmitteln, also ein Instrument zur Diktatur der herrschenden
Klasse, des Kapitals, über die von ihr ausgebeutete Klasse, die
ArbeiterInnenklasse.

In der Diktatur des Proletariats verkehrt sich die Diktatur
einer winzigen Minderheit über die große Mehrheit der Bevölkerung in jene der
überwältigenden Mehrheit über die Minderheit, um deren Ausbeutung und
Unterdrückung national wie weltweit zurückzudrängen. Wenn wir hier von Diktatur
sprechen, anerkennen wir, dass der ArbeiterInnenstaat einen bewussten Kampf
gegen Unterdrückung und Ausbeutung führen muss. Um dabei erfolgreich zu sein,
stützt er sich – wie die Kommune – auf die weitestgehende Demokratie (tagtäglich
und nicht bloß alle vier Jahre) in Form eines Rätesystems. Dies ist die
Herrschaftsform des ArbeiterInnenstaates für die Übergangsperiode zum
Sozialismus, während der in der Gesellschaft der Klassenwiderspruch (etwa in
Form des Kleinbürgertums) noch existiert.

Während die Bourgeoisie wie alle ausbeutenden Klassen die
Unterdrückten zu täuschen versucht, indem sie den Klassencharakter des
bürgerlichen Staats und der Demokratie leugnet, haben KommunistInnen nichts zu
verbergen. Uns geht es darum, den Arbeitern und Arbeiterinnen politische
Klarheit zu vermitteln. Wir treten offen für unsere Auffassungen ein. Wir
bezeichnen den Staat der Übergangsperiode als Diktatur, weil er wie jeder Staat
ein Herrschaftsinstrument einer Klasse gegen eine andere ist und weil wir aus
allen bisherigen Versuchen des Sturzes des Kapitalismus wissen, dass wir ein
solches Instrument zum Kampf gegen die bürgerliche Konterrevolution brauchen.
Wer die proletarische Diktatur ablehnt, ist in Wirklichkeit gezwungen, weiter
die Diktatur der KapitalistInnen zu dulden.

Schon wenige Tage nach der Niederlage der Kommune, am 30.
Mai, präsentierte Marx vor dem versammelten Generalrat der Internationalen
ArbeiterInnenassoziation, die später als die Erste Internationale in die
Geschichte eingehen sollte, die Schrift „Der Bürgerkrieg in Frankreich” (MEW
Bd. 17, S. 313–365). Dort legt er erstmals die wesentlichen Schlussfolgerungen
über die Pariser Kommune nieder.

„Die Mannigfaltigkeit der Deutungen, denen die Kommune unterlag, und die Mannigfaltigkeit der Interessen, die sich in ihr ausgedrückt fanden, beweisen, dass sie eine durch und durch ausdehnungsfähige politische Form war, während alle früheren Regierungsformen wesentlich unterdrückend gewesen waren. Ihr wahres Geheimnis ist dies: Sie war wesentlich eine Regierung der ArbeiterInnenklasse, das Resultat des Kampfes der hervorbringenden gegen die aneignende Klasse, die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte.

Ohne diese letzte Bedingung war die Kommunalverfassung eine Unmöglichkeit und Täuschung. Die politische Herrschaft des/r ProduzentIn kann nicht bestehen neben der Verewigung seiner/ihrer gesellschaftlichen Knechtschaft. Die Kommune sollte daher als Hebel dienen, um die ökonomischen Grundlagen umzustürzen, auf denen der Bestand der Klassen und der Klassenherrschaft ruht.“ (8)

Mit der Kommune war endlich die Form gefunden, durch die die
bürgerliche Staatsmaschinerie in der proletarischen Revolution zu ersetzen ist
– ein Ziel jedes wirklich sozialistischen Programms, das sowohl durch
sozialdemokratische wie durch stalinistische Staatsgläubigkeit fast verloren
ging.

Anders als der bürgerliche Staat ist die Kommune eine
Staatsform, die in dem Maß, wie der Aufbau des Sozialismus im internationalen
Maßstab voranschreitet, die, je mehr die Klassengegensätze planmäßig überwunden
werden, selbst aufhört, ein Staat, ein Mittel einer Klasse zur Unterdrückung
einer anderen zu sein. Gerade weil die Kommune einen Mechanismus darstellt zur
Aufhebung der Trennung von Staat und Gesellschaft (jederzeitige Wahl- und
Abwahl öffentlicher FunktionärInnen, ArbeiterInnengehalt), ist sie eine
Staatsform, die schon die Möglichkeit des Absterbens des Staates in sich trägt.

Mit ihr – nicht mit den stalinistischen Imitationen des
bürgerlichen Staates – ist der Übergang zur klassenlosen Gesellschaft und damit
zur Überwindung des „ganzen Staatsplunders“ (Engels) möglich. Lenin und die
Bolschewiki knüpften an diese Tradition von Marx und Engels an. In seiner Schrift
„Staat und Revolution“ greift Lenin die Erkenntnis auf, nicht nur die
Staatsmacht zu ergreifen, sondern auch die existierende bürgerliche
Staatsmaschinerie zu zerschlagen und durch einen proletarischen Halbstaat zu
ersetzen.

„Beamtentum und stehendes Heer, das sind die ‚SchmarotzerInnen‘ am Leib der bürgerlichen Gesellschaft, SchmarotzerInnen, die aus den inneren Widersprüchen, die diese Gesellschaft zerklüften, entstanden sind, aber eben ParasitInnen, die die Lebensporen ‚verstopfen‘.“ (9)

Das Programm der Bolschewiki

Er schlägt daher in der Tradition der Pariser Kommune
Maßnahmen vor, um die Herausbildung einer neuen Bürokratie und deren
Verfestigung zu einer Kaste zu verhindern:

Erstens tritt er entschieden für die Wahl und jederzeitige
Abwählbarkeit aller staatlichen FunktionärInnen ein; zweitens darf das Gehalt
dieser FunktionärInnen den Lohn der ArbeiterInnen nicht überschreiten; drittens
sollen die Aufsichts- und Kontrollfunktionen unter allen Mitgliedern der
Gesellschaft rotieren, so dass für eine begrenzte Zeit jede/r „BürokratIn“ wäre
– und somit niemand lebenslang BürokratIn werden kann.

Zweifellos haben die Bolschewiki schon zu Lebzeiten Lenins
von diesem Programm viele Abstriche machen müssen. Sie haben, um die russische
Revolution zu verteidigen, sogar in vielen Fällen zu ganz und gar dem Programm
entgegengesetzten Maßnahmen greifen müssen. Deutlich wird das z. B. im
Fall der Gründung der Roten Armee.

Wollte man einen normativen Maßstab an die Russische
Revolution und die Sowjetunion anlegen, so müsste man die Oktoberrevolution vom
ersten Moment der Machtergreifung an für gescheitert erklären. Die
AnarchistInnen tun das konsequenterweise – in totaler Verkennung und Ignoranz
gegenüber den inneren Widersprüchen der Übergangsperiode. Für die AnarchistInnen
und Ultralinken löst sich die Frage im Endeffekt in der Losung nach sofortiger
Umsetzung bestimmter programmatischer „Marotten“ auf. Schaffen wir den Staat ab
– dann hat sich alles gelöst. Dasselbe trifft auf die frühen ultralinken
KritikerInnen zu. Warum wird das Geld, wird der Warentausch nicht einfach
„abgeschafft“? Warum gehen die Bolschewiki gegen die Kronstädter Matrosen vor?
Verletzt das nicht alles die Reinheit der Revolution und ihrer „Prinzipien“?

Das Problem der Übergangsperiode besteht aber gerade darin,
dass wir es hier mit einem Widerstreit zweier gesellschaftlicher Prinzipien –
dem Wertgesetz und bewusster gesellschaftlicher Planung, der alten bürgerlichen
Gesellschaft und der zukünftigen sozialistischen – zu tun haben. Die Übergangsgesellschaft
ist – anders als Sozialismus und Kommunismus – keine eigene
Gesellschaftsformation, sie ist vielmehr ein Übergangsregime, wo sich die alte,
bürgerliche Produktionsweise und die neue, erst embryonal vorhandene
sozialistische einen Kampf auf Leben und Tod liefern.

Die übernommenen, mehr oder weniger starken bürgerlichen
Elemente können nur auf Basis einer Entwicklung der Produktivkräfte, die weit
höher als die des fortgeschrittensten Kapitalismus ist, überwunden werden. Auch
bei günstigen inneren und äußeren Umständen (und die lagen in der frühen
Sowjetunion nicht vor) kann das zur Macht gekommene Proletariat das Wertgesetz
nicht einfach „abschaffen“. Es muss vielmehr die gesellschaftlichen
Bedingungen, und das bedeutet u. a. ein bestimmtes Niveau der
Vergesellschaftung der Produktion, herstellen, um diesen Schritt auch real
durchführen zu können. Ansonsten wird sich das Wertgesetz nur blind zur Geltung
bringen.

Wurzeln der Stalinisierung

Ein typisches Beispiel ist der in den stalinistischen Staaten
florierende Schwarzmarkt, der überall dort wucherte, wo die offizielle
Produktion nicht ausreichte und Engpässe existierten. Ein historisches Beispiel
für einen Kompromiss mit den gesellschaftlichen Bedingungen stellt die
Zulassung von Marktmechanismen im Zuge der Neuen Ökonomischen Politik 1922 dar,
als der Staat nicht fähig war, den Bauern/Bäuerinnen im Tausch für ihre
landwirtschaftlichen Produkte Maschinen anzubieten, und diese daher wenig
Anreiz zur Produktion hatten, solange sie ihre Produkte nicht verkaufe konnten,
sondern an den Staat abliefern mussten.

Trotzki beschreitet auf dieser Linie einen grundsätzlich
anderen Weg als die AnarchistInnen und Ultralinken, einen grundsätzlich anderen
Weg als alle normativen AnalytikerInnen. Er erklärt die bürokratische Entartung
der Diktatur des Proletariats in der Sowjetunion mit der Rückständigkeit und
der internationalen Isolierung des Landes, dem Ausbleiben der internationalen
Revolution.

„Die revolutionäre Nachkriegskrise führte jedoch nicht zum Sieg des Sozialismus in Europa: Die Sozialdemokratie rettete die Bourgeoisie. Die Periode, die Lenin und seine erfahrenen KampfgenossInnen als eine kurze ‚Atempause‘ (gemeint ist der Frieden von Brest-Litowsk und die Phase unmittelbar danach; d. A.) erschien, dehnte sich auf eine ganze historische Epoche aus. Die widersprüchliche gesellschaftliche Situation der UdSSR und der ultra-bürokratische Charakter ihres Staates sind direkte Folgen dieser einzigartigen, ‚unvorhergesehenen‘ historischen Stockung, die gleichzeitig in den kapitalistischen Ländern zum Faschismus oder zur präfaschistischen Reaktion führte.“ (10)

Die Rückständigkeit der Sowjetunion (und in diesem Sinne die
Problematik jedes Landes, das „selbstständig“ den Weg zum Sozialismus
einschlagen wollte) drückt sich in inneren Klassenwidersprüchen aus, den
gegensätzlichen Interessen von Proletariat und Bauern-/Bäuerinnenschaft, in der
Rückständigkeit der Produktivkräfte und damit in der Unmöglichkeit, Preise,
Geld, Wert usw. einfach abzuschaffen. Aus dieser inneren Widersprüchlichkeit
erklärt Trotzki den Aufstieg der Bürokratie in der frühen Sowjetunion.

„Scheiterte der anfänglich unternommene Versuch, einen vom Bürokratismus gereinigten Staat zu schaffen, vor allem an der Unerfahrenheit der Massen in der Selbstverwaltung und am Mangel von dem Sozialismus ergebenen, qualifizierten ArbeiterInnen, so tauchten schon sehr bald hinter diesen unmittelbaren Schwierigkeiten andere, tiefer liegende auf. Die Reduktion des Staats auf die Funktionen eines ‚Revisors und Kontrolleurs‘ bei ständiger Verminderung seiner Zwangsfunktionen, wie es das Programm fordert, setzt doch ein gewisses Maß von allgemeinem materiellen Wohlstand voraus. Gerade diese notwendige Voraussetzung aber fehlte. Die Hilfe des Westens blieb aus. Die Macht der demokratischen Sowjets erwies sich als hinderlich, ja, als unerträglich, als es darum ging, die für Verteidigung, Industrie, Technik und Wissenschaft unentbehrlichen privilegierten Gruppen zu versorgen. Auf Grund dieser keineswegs ‚sozialistischen‘ Operationen, ,zehnen wegnehmen, um einem/r zu geben‘, kam es zur Absonderung und Vermehrung einer mächtigen Kaste von SpezialistInnen an der Futterkrippe.“ (11)

Die frühe Sowjetunion war aufgrund ihrer imperialistischen
Umkreisung, des Bürgerkriegs und v. a. der ökonomischen Rückständigkeit
gezwungen, die Entwicklung der Produktivkräfte voranzutreiben – nicht zuletzt,
um den Gegensatz zwischen ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen, aber auch
innerhalb der ArbeiterInnenklasse – überbrücken zu können. Statt Überfluss und
Reichtum wurde vor allem der Mangel vergesellschaftet – und wo Mangel herrscht,
stellt sich die Notwendigkeit eines/r RegulatorIn der Verteilung ein, eines/r
„SchiedsrichterIn“ über den Klassen. Diese Funktion nahm der Staat wahr. Das
gesellschaftliche Gewicht, und damit auch die Bedeutung der Bürokratie, nahmen
zu.

Bis zu einem gewissen Grad ist das eine innere Notwendigkeit
(auch eines gesunden) ArbeiterInnenstaates. Aber die bürokratischen Tendenzen
führen beim Ausbleiben der internationalen Revolution zu einer inneren
Entartung, zu einer politischen Konterrevolution – gegen Sowjetdemokratie,
gegen die Partei, gegen den Kommunismus. Trotzki greift dabei die Marx‘sche
Sicht auf, dass die Entwicklung zum Sozialismus nicht durch die automatische Entwicklung
der Eigentumsverhältnisse garantiert wird. Anders als beim Übergang vom
Feudalismus zum Kapitalismus haben sich im Kapitalismus keine überlegenen,
sozialistischen Produktionsverhältnisse herausgebildet, die nach der Revolution
den Weg zum Sozialismus unabhängig von bewusster menschlicher Tätigkeit,
Lenkung – d. h. von ArbeiterInnendemokratie und Planung – sichern könnten.

In der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus
bedarf es einer als Staatsmacht organisierten ArbeiterInnenklasse: der Diktatur
des Proletariats. Doch was passiert, wenn die politische Herrschaft dem in
Räten organisierten Proletariat entgleitet, wenn die revolutionäre Vorhut der
Klasse liquidiert, wenn die politische Herrschaft des Proletariats zur
Herrschaft der Bürokratie wird, wenn die revolutionäre Partei selbst entartet?

Der degenerierte ArbeiterInnenstaat

Es findet, so Trotzki, eine politische Konterrevolution
statt. Während die ökonomischen Grundlagen der Oktoberrevolution
(Verstaatlichung, Planwirtschaft, Außenhandelsmonopol) weiter in Kraft sind,
während das Wertgesetzt noch nicht dominierender Regulator der Wirtschaft ist,
wird die politische Macht bei der einstigen „Schiedsrichterin“ im
Verteilungskampf des nachkapitalistischen Mangels konzentriert. Dadurch wird
die Bürokratie aber noch nicht zu einer neuen herrschenden Klasse.

„Die Verstaatlichung von Grund und Boden, industriellen Produktionsmitteln, Transport und Verkehr bilden mitsamt dem Außenhandelsmonopol in der UdSSR die Grundlage der Gesellschaftsordnung. Diese von der proletarischen Revolution geschaffenen Verhältnisse definieren für uns im wesentlichen den Charakter der UdSSR als den eines proletarischen Staates.“ (12)

Die Bürokratie als herrschende Schicht reproduziert sich auf
Grundlage dieser sozialen Verhältnisse, d. h. auf Grundlage der Enteignung
der Kapitalistenklasse. Zweifellos erwachsen daraus soziale Privilegien,
plündert die Bürokratie das gesellschaftliche Mehrprodukt und verteilt es nach
ihren Interessen. Das macht sie zwar zu einer überaus repressiven und
reaktionären Erscheinung, es macht sie jedoch zu keiner neuen herrschen Klasse
oder einer „kollektiven“ Kapitalistenklasse.

Die Bourgeoisie im Kapitalismus reproduziert sich über ihr
Eigentum an den Produktionsmitteln, das sie innerhalb ihrer Klasse weiterreicht
(vererbt). Zum/r KapitalistIn aufzusteigen, setzt eine Mindestmenge Kapital in
eigenen Händen voraus. Zur Reproduktion der Klasse ist es keinesfalls
notwendig, dass die KapitalistInnen die politische Macht persönlich ausüben. Das
können sie ruhig bezahlten FunktionärInnen – bürgerlichen, kleinbürgerlichen,
reformistischen PolitikerInnn – überlassen. In der Tat ist das gerade in den
fortgeschrittenen bürgerlichen Staaten üblich.

Die herrschende Bürokratenkaste in der Sowjetunion und in
den späteren stalinistischen Ländern Osteuropas, in China, Kuba usw. hat sich
nicht so reproduziert. Die Macht des/r BürokratIn, vor allem aber die
Reproduktion der Bürokratie als Gesamtheit war wesentlich politisch, über
Staats- und Parteifunktionen, über die Hierarchie einer politischen Institution
vermittelt. Das drückt auch der Terminus Nomenklatura deutlich aus.

Fällt der/die BürokratIn aus der Rolle, gibt es innerhalb
der Bürokratie politische Säuberungen, so kann ein/e BürokratIn seine/ihre gesellschaftliche
Macht und Privilegien verlieren. Er/Sie besitzt kein Privateigentum, das er/sie
an seine/ihre Kinder weiterreichen könnte. Er/Sie hat auch keine
Verfügungsgewalt, sobald er/sie aus dem Kreis der politischen Macht verstoßen
ist.

Das ist nicht nur individuelles Schicksal eines/r
FunktionärIn, es ist ein Problem der gesamten Kaste. Sie kann sich auf keine
besonderen Eigentumsformen stützen. Sie ist vielmehr gezwungen, mit ihren
Methoden das staatliche Eigentum zu verteidigen.

„Der Versuch, die Sowjetbürokratie als eine Klasse von ‚StaatskapitalistInnen‘ hinzustellen, hält der Kritik sichtlich nicht stand. Die Bürokratie hat weder Aktien noch Obligationen. Sie rekrutiert, ergänzt, erneuert sich kraft einer administrativen Hierarchie, ohne Rücksicht auf irgendwelche, ihr eigenen Besitzverhältnisse. Der/Die einzelne BeamtIn kann seine/ihre Anrechte auf die Ausbeutung des Staatsapparates nicht weitervererben. Die Bürokratie genießt ihre Privilegien in missbräuchlicher Weise. Sie verschleiert ihre Einkünfte. Sie tut, als existiere sie gar nicht als besondere soziale Gruppe.“ (13)

Genau diese gesellschaftlich widersprüchliche Lage der
Bürokratie bringt auch Isaac Deutscher in „Die unvollendete Revolution“ sehr
gut zum Ausdruck. Die Einkünfte des Staatsapparates, der Parteihierarchie, der
Militärs, der Managergruppen stammen aus dem Mehrprodukt der Arbeitenden. Das
hat die Bürokratie mit jeder Ausbeuterklasse (nicht nur mit den
KapitalistInnen) gemein.

„Aber was dieser sogenannten neuen Klasse fehlt, ist Eigentum. Sie besitzen weder Produktionsmittel noch Boden. Ihre materiellen Privilegien sind auf die Sphäre des Verbrauchs beschränkt. (…) Sie können ihren Nachkommen keinen Reichtum hinterlassen; das heißt, sie können sich nicht als Klasse verewigen.“ (14)

Auch die Darstellung, dass die Bürokratie als „kollektive“
Kapitalistin fungiere, lässt sich nur aufrechterhalten, wenn der Begriff des
Kapitals vollkommen seiner wissenschaftlichen Bedeutung entleert wird.
Kapitalismus bedeutet Produktion für Profit – und zwar immer wiederkehrende,
fortgesetzte Aneignung von Mehrwert, seine Verwandlung in Profit und
Wiederverwendung des angeeigneten Mehrwerts, um noch mehr Profit zu
erwirtschaften. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos, rastlos, führt zu
immer wiederkehrender Umwälzung und Revolutionierung der Produktion (wie auch
der Zirkulationssphäre). Kapital ist sich selbst verwertender Wert, der/die
KapitalistIn ist Personifikation dieser Bewegung.

Diese rastlose, ständige Suche nach immer profitableren
Anlagemöglichkeiten des Kapitals, dessen Zweck die Vermehrung abstrakten
Reichtums ist (und nicht irgendein bestimmter Gebrauchswert), ist der
Bürokratie fremd. Die Wirtschaft der UdSSR oder der DDR war nicht dadurch
bestimmt oder getrieben, immer mehr Wert zu schaffen. Im Gegenteil: die
Wirtschaftspolitik der Bürokratie war auf die Produktion bestimmter
Gebrauchswerte ausgerichtet – wenn auch in erster Linie solcher, die ihrer
eigenen Machterhaltung, ihren Konsumbedürfnissen und dem Druck der
ArbeiterInnenschaft entsprachen.

Das Wertgesetz machte sich natürlich auf verschiedene Art
und Weise auch in den degenerierten ArbeiterInnenstaaten geltend. Wie jede
Übergangsgesellschaft waren sie von einem Wettstreit zwischen Planung und
Wertgesetz gekennzeichnet, zwischen zwei verschiedenen gesellschaftlichen
Systemen.

Der kapitalistische Weltmarkt wirkte ebenso ins Innere der
Planwirtschaft, wie auch bestimmte, für die kapitalistische Ökonomie typische
Formen – z. B. die Lohnform – erhalten blieben (und bis zu einem gewissen
Grad aufrechterhalten werden mussten). Aber diese Formen waren dem System der
(bürokratischen) Planung untergeordnet. Sie machten die herrschende Bürokratie
zu keiner neuen Kapitalistenklasse, so sehr das manche/r FunktionärIn insgeheim
vielleicht auch wollte.

Ebenso wenig konnte das vom Westen angestachelte Wettrüsten
die internen Mechanismen der bürokratischen Planwirtschaft außer Kraft setzen,
auch wenn es die sowjetische Wirtschaft zunehmend belastete. Die Konkurrenz auf
dem Weltmarkt, das Wettrüsten sowie die zunehmende Verschuldung trugen
eindeutig zur Beschleunigung des Niedergangs der Wirtschaft der degenerierten
ArbeiterInnenstaaten bei. Die lange wirtschaftliche Instabilität nach 1989 und
die Schwierigkeiten bei der Wiedereinführung der Profitwirtschaft verdeutlichen
jedoch, wie tief verankert die nachkapitalistische Produktionsweise nach wie
vor war.

Die Monopolisierung der politischen Macht in den Händen der
Bürokratie verleiht ihr auf Grundlage der nachkapitalistischen Verhältnisse
zweifellos eine Machtfülle, wie es für die Bürokratie im Kapitalismus unüblich
ist (und wie sie am ehesten in faschistischen oder staatskapitalistischen
Regimes der halbkolonialen Welt, aber auf anderer, kapitalistischer Grundlage,
anzutreffen ist).

Die Kontrolle über die Verteilung des gesellschaftlichen
Reichtums darf daher nicht auf die Aneignung persönlicher Privilegien und
Plünderung im Eigeninteresse von Partei- und StaatsfunktionärInnen eingeengt
werden. Das ist ein, gerade für „sozialistische“ Staaten besonders
abscheulicher Vorgang. Das politische Machtmonopol der Bürokratie bedeutet
auch, dass die Wirtschaftsentwicklung von ihr kontrolliert wird, neue Vorhaben,
die Verteilung des Reichtums auf verschiedene Sektoren, von ihren politischen
Entscheidungen bestimmt werden.

Dies führt dazu, dass die Grundlagen der Planwirtschaft von
innen unterhöhlt werden. Die Bürokratie ist nicht einfach eine schlechte
Sachwalterin des Übergangs zum Sozialismus, ihre Herrschaft ist ein Hindernis,
das – wird es nicht rechtzeitig durch eine ArbeiterInnenrevolution beseitigt –
früher oder später zur Rekapitalisierung führt.

Die Bürokratie ist weder willens noch fähig, eine bewusste
Lenkung der Wirtschaft in Richtung Sozialismus zu gewährleisten. Dazu ist eine
funktionierende ArbeiterInnendemokratie unabdingbar. Hinzu kommt, dass die
Herrschaft der Bürokratie gleichzeitig dazu führt, dass das Klassenbewusstsein
des Proletariats, der noch immer gesellschaftlich herrschenden Klasse, mehr und
mehr zerstört wird.

Der Staat der Bürokratie

Die politische Machtergreifung der Bürokratie bedeutet in
der frühen Sowjetunion den Vollzug einer inneren politischen Konterrevolution.
Sie geht mit der Zerstörung aller Elemente des proletarischen Halbstaates, der
Räte und räteähnlicher Strukturen, aller Formen der ArbeiterInnen- und
Parteidemokratie einher.

Wie wir oben gesehen haben, war auch die frühe Sowjetunion
gezwungen, im Interesse der Sicherung der Revolution auf bürgerliche Strukturen
und Formen zurückzugreifen. Solche Schritte können auch für zukünftige
Revolutionen nicht ausgeschlossen werden, wenn auch ihre weltgeschichtliche
Dramatik geringer sein mag. Auch der revolutionärste ArbeiterInnenstaat kann,
ja wird für eine bestimmte Phase gezwungen sein, auf bürgerliche Organe wie
eine Bürokratie zurückzugreifen. Diese Schritte „prinzipiell“ abzulehnen,
bedeutet in Wirklichkeit nur, die Notwendigkeit einer Übergangsperiode vom
Kapitalismus zum Kommunismus, einer Diktatur des Proletariats, die organisierte
Herrschaft der Mehrheit gegen die alten AusbeuterInnen abzulehnen.

Es stellt jedoch einen qualitativen Schritt dar, wenn sich
die bürokratischen Auswüchse, die vom Proletariat notgedrungen benutzten
bürgerlichen Organe in ein Vehikel der politischen Machtergreifung einer
Staatsbürokratie verwandeln. Es ist kein Zufall, dass dieser Prozess in der
Sowjetunion erst nach einem langen, für alle Oppositionellen, vor allem aber
für genuine kommunistische InternationalistInnen vom Schlage Trotzkis,
tödlichen Kampf abgeschlossen war.

Das Proletariat ist für Trotzki daher eine gleichzeitig
herrschende und unterdrückte Klasse:

„,Wie soll sich unser politisches Gewissen nicht empören‘, sagen die Ultralinken, ‚wenn man uns glauben machen will, in der UdSSR, wo Stalin regiert, sei das ‚Proletariat‘ die ‚herrschende‘ Klasse …?! In so abstrakter Form kann diese Behauptung tatsächlich ‚empören‘. Aber es ist doch so, dass abstrakte Kategorien, die für eine Analyse notwendig sind, für eine Synthese, die so konkret wie möglich sein soll, überhaupt nicht taugen. Das Proletariat in der UdSSR ist die herrschende Klasse in einem zurückgebliebenen Land, wo nicht einmal die elementarsten Lebensbedürfnisse befriedigt sind. Das Proletariat in der UdSSR herrscht in einem Land, das nur ein Zwölftel der Menschheit umfasst, über die übrigen elf Zwölftel herrscht der Imperialismus. Die Herrschaft des Proletariats, die schon aufgrund der Rückständigkeit und Armut des Landes missgestaltet ist, wird durch den Druck des Weltimperialismus doppelt und dreifach deformiert. Das Herrschaftsorgan des Proletariats, der Staat, wird zu einem Organ des imperialistischen Drucks (Diplomatie, Armee, Außenhandel, Ideen und Sitten). Historisch gesehen findet der Kampf um die Herrschaft nicht zwischen Proletariat und Bürokratie statt, sondern zwischen Proletariat und Weltbourgeoisie. Die Bürokratie nimmt in diesem Kampf nur die Funktion eines Transmissionsriemens ein. (…) Der faschistischen und demokratischen Bourgeoisie reichen Stalins einzelne konterrevolutionäre Taten nicht aus; sie benötigt eine vollständige Konterrevolution in den Eigentumsverhältnissen und die Öffnung des russischen Marktes. Solange das nicht der Fall ist, hält sie den Sowjetstaat für feindlich. Und hat recht damit.“ (15)

Im Zuge ihrer politischen Machteroberung musste die Bürokratie
einen ihren Bedürfnissen entsprechenden Staatsapparat, einen seiner Form,
seinem Typus nach bürgerlichen schaffen. Trotzki verweist in seinen Schriften
mehrmals darauf. Er erkennt, dass der Staatsapparat in der Sowjetunion geradezu
abstoßende Ähnlichkeit mit dem im Faschismus aufweist.

„Seine Entstehung verdankt der Sowjetbonapartismus letzten Endes der Verspätung der Weltrevolution. Dieselbe Ursache aber erzeugte in den kapitalistischen Ländern den Faschismus. Wir gelangen zu einer auf den ersten Blick überraschenden, doch in Wirklichkeit unabweislichen Schlussfolgerung: Die Erstickung der Sowjetdemokratie durch die allmächtige Bürokratie geht, ebenso wie die Zerschlagung der bürgerlichen Demokratie durch den Faschismus, auf ein und dieselbe Ursache zurück – die Verspätung des Weltproletariats bei der Lösung der ihm von der Geschichte gestellten Aufgabe. Stalinismus und Faschismus sind trotz des tiefen Unterschiedes ihrer sozialen Grundlagen symmetrische Erscheinungen. In vielen Zügen sind sie sich erschreckend ähnlich. Der Weltrevolution den Rücken kehrend hat die Stalin‘sche Bürokratie auf ihre Weise recht: sie folgt lediglich ihrem Selbsterhaltungstrieb.“ (16)

Form und Inhalt

Der Widerspruch zwischen der Form des Staatsapparates und
der ökonomischen Struktur der Gesellschaft ist keineswegs einzigartig in der
Geschichte. Auch beim Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus finden sich
lange Perioden, wo ein Widerspruch zwischen Staatsform und ökonomischen
Verhältnissen zu finden ist. Engels verweist darauf z. B. im Anti-Dührung:

„Diesem gewaltigen Umschwung der ökonomischen Lebensbedingungen der Gesellschaft folgte indes keineswegs sofort eine entsprechende Änderung ihrer politischen Gliederung. Die staatliche Ordnung blieb feudal, während die Gesellschaft mehr und mehr bürgerlich wurde.“ (17)

Auch die ersten Monate nach der Oktoberrevolution, als die
proletarische Diktatur über eine kapitalistische Wirtschaft herrschte, waren
von einem solchen Widerspruch gekennzeichnet. Die Formel, dass der Charakter des
Staates durch die Eigentumsverhältnisse, die vorherrschen, bestimmt sei, hilft
uns also gerade in Übergangsperioden nicht weiter.

„Aber kennt die Geschichte nicht Fälle eines Klassengegensatzes zwischen Staat und Wirtschaft? Sehr wohl! Als der Dritte Stand die Macht eroberte, blieb die Gesellschaft noch mehrere Jahre lang feudalistisch. Während der ersten Monate des Sowjetregimes herrschte das Proletariat über eine bürgerliche Ökonomie. In der Landwirtschaft stützte sich die Diktatur des Proletariats mehrere Jahre lang auf eine kleinbürgerliche Wirtschaft (in erheblichem Maß ist das auch heute noch der Fall). Im Falle einer erfolgreichen bürgerlichen Konterrevolution in der UdSSR müsste sich die neue Regierung für eine längere Zeitspanne auf die nationalisierte Wirtschaft stützen. Was bedeutet dann aber ein derartiger zeitweiliger Gegensatz zwischen Staat und Wirtschaft? Er bedeutet Revolution oder Konterrevolution. Der Sieg einer Klasse über eine andere bedeutet doch, dass die Wirtschaft im Interesse des/r SiegerIn umgestaltet wird. Aber ein solcher zwiespältiger Zustand, der ein notwendiges Stadium jedes sozialen Umsturzes ist, hat nichts gemein mit der Theorie eines klassenlosen Staates, der wegen der Abwesenheit des/r wirklichen HerrIn von einem/r Kommis, d. h. der Bürokratie, ausgebeutet wird.“ (18)

Trotzki hat daher eine wesentlich dynamischere Sichtweise
des Verhältnisses von Inhalt und Form des Staatsapparates.

„Die Klassennatur eines Staates ist folglich nicht durch seine politische Form, sondern durch den sozialen Inhalt bestimmt, d. h. den Charakter jener Eigentumsformen und Produktionsverhältnisse, die der jeweilige Staat schützt und verteidigt.“ (19)

Diese Definition hat zwei Vorteile. Erstens erlaubt sie den
Widerspruch zwischen Form und Inhalt bzw. Funktion des Staatsapparates zu
beachten. Zweitens ist die Betonung des „Schützens“ und „Verteidigens“ der
Produktionsverhältnisse sehr viel dynamischer als z. B. die Aussage, der
Charakter des Staates beruhe auf den vorherrschenden Eigentumsverhältnissen.
Trotzki stellt damit die aktive, bewusste Rolle der Staatsmacht beim Übergang
vom Kapitalismus zum Sozialismus in Rechnung. Die Sicherung des Übergangs zum
Sozialismus hängt somit von der Staatsmacht ab.

„Die bürgerliche Gesellschaft hat in ihrer Entwicklung oft das politische Regime und die bürokratischen Kasten gewechselt, ohne ihre sozialen Grundlagen zu ändern. Gegen eine Wiederherstellung der Leibeigenschaft und des Zunftwesens schützte sie die Überlegenheit ihrer Produktionsweise. Die Staatsmacht konnte die kapitalistische Entwicklung fördern oder hemmen, doch im Allgemeinen verrichteten die Produktivkräfte auf Grundlage des Privateigentums und der freien Konkurrenz ihr Werk selbständig. Hingegen sind die aus der sozialistischen Revolution hervorgegangenen Besitzverhältnisse unlösbar an den neuen Staat, ihren Träger gebunden. Die Vorherrschaft sozialistischer Tendenzen über die kleinbürgerlichen ist keineswegs durch den Automatismus der Wirtschaft gesichert – bis dahin ist es noch weit –, sondern durch politische Maßnahmen der Diktatur. Der Charakter der Wirtschaft hängt somit völlig von dem der Staatsmacht ab.“ (20)

Für Trotzki ergeben sich aus der Analyse der Bürokratie und
ihrer Herrschaft zwei Alternativen: proletarische politische Revolution oder
Restauration des Kapitalismus.

Auch zur Restauration des Kapitalismus sieht er zwei Wege:
Sturz durch eine offen bürgerliche Partei; die Wandlung der (Spitze der)
Bürokratie zur herrschenden Klasse. In beiden Fällen geht die Eroberung der
Staatsmacht durch eine konterrevolutionäre Partei, die politischer Ausdruck
einer (neu) entstehenden herrschenden Klasse ist, der Umwandlung der Wirtschaft
in eine kapitalistische voraus!

Nach 1989 haben wir beide Wege erlebt, teilweise in
Mischform. In den beiden folgenden Artikeln werden wir uns sowohl der Expansion
wie dem Untergang des Stalinismus zuwenden.

Konterrevolutionäres Wesen des Stalinismus

Trotzki erkennt durchaus an, dass die stalinistische
Bürokratie aufgrund des Drucks anderer Klassenkräfte zu partiellen progressiven
Maßnahmen fähig war. Er nahm auch zur Kenntnis, dass das auch die territoriale
Expansion mit einschließen konnte. Diese analysierte er am Beispiel Finnlands
und Polens. Im Gegensatz zu den stalinistischen ApologetInnen erkannte er
jedoch den widersprüchlichen Charakter dieser Ausdehnung des degenerierten
ArbeiterInnenstaates, die in ihrer Gesamtheit in die konterrevolutionäre
Politik Stalins eingebettet war. Trotzki verdeutlicht das am
Hitler-Stalin-Pakt, der Teilung Polens, die mit der Umwälzung der
Eigentumsverhältnisse in Ostpolen einherging.

„Die ihrem Charakter nach revolutionäre Maßnahme der ‚Expropriation der AusbeuterInnen‘ wird im vorliegenden Fall auf militärisch-bürokratischem Wege durchgeführt. Der Aufruf zur Selbsttätigkeit der Massen in den neuen Gebieten – und ohne einen solchen Appell, mag er auch noch so vorsichtig sein, kann das neue Regime nicht errichtet werden – wird zweifellos morgen von unbarmherzigen Polizeimaßnahmen unterdrückt werden, um der Bürokratie das Übergewicht über die aufgerüttelten revolutionären Massen zu garantieren. Das ist die eine Seite der Sache. Doch gibt es auch eine andere. Um über ein militärisches Bündnis mit Hitler die Möglichkeit einer Okkupation Polens zu schaffen, hat der Kreml lange die Massen der UdSSR und der ganzen Welt getäuscht und täuscht sie weiterhin. Damit hat er den völligen Zerfall seiner eigenen Komintern heraufbeschworen. Das wichtigste Kriterium der Politik ist nicht die Umwandlung des Eigentums auf dem einen oder anderen Teilterritorium, wie wichtig es an und für sich auch sein möge, sondern der Wandel der Bewusstheit und Organisiertheit des internationalen Proletariats und die Steigerung seiner Fähigkeit, alte Errungenschaften zu verteidigen und neue zu machen. Unter diesem allein entscheidenden Gesichtspunkt aufs Ganze gesehen ist die Politik Moskaus nach wie vor reaktionär und bleibt das Haupthindernis auf dem Wege zur internationalen Revolution.“ (21)

Trotzkis Verständnis des konterrevolutionären Charakters der
Bürokratie und ihrer Politik schloss die generelle Einschätzung der
herrschenden Kaste als Krebsgeschwür, als Totengräberin des
ArbeiterInnenstaates ein. Diese Prognose hat sich mit dem Fall des Stalinismus
bestätigt.

Wie viele RevolutionärInnen vor ihm unterschätzte er jedoch
den Zeitrahmen, in dem sich die theoretische Vorhersage praktisch bewahrheiten
sollte. Trotzki ging davon aus, dass die Bürokratie als herrschende Kaste den
Zweiten Weltkrieg nicht überleben würde. Er war sich sicher, dass der Kreml
entweder von der faschistischen Konterrevolution oder von der proletarischen
politischen Revolution zu Fall gebracht würde. Wie wir wissen, traf diese
kurzfristige Prognose nicht ein. Der Stalinismus überlebte den Weltkrieg und
konnte sein Herrschaftsgebiet, sein Prestige, seine Macht ausdehnen.

Diese Expansion des Stalinismus und die ab Ende der 1940er
Jahre stattfindende Etablierung einer konterrevolutionären Nachkriegsordnung
hatte die revolutionäre Vierte Internationale nicht vorhergesehen. Sie
verwirrte die Kader politisch und führte zu einer Revision der Analyse Trotzkis
durch die Hauptströmungen dieser Tendenz, zur politischen Degeneration und zur
organisatorischen Zersplitterung.

Die politische Revolution

Trotzkis Programm im Kampf gegen den Stalinismus wandelte sich
in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens. In den 1920er Jahren vertrat
die Linke Opposition in der UdSSR einen Kurs der Reform des
ArbeiterInnenstaates, den Kampf um die Wiederbelebung der Partei- und
Sowjetdemokratie, den Kampf um einen umsichtigen Ausbau des staatlichen Plans
und den Kampf um einen klaren, internationalistischen Kurs der Sowjetunion und
der Komintern.

Die politischen Niederlagen der Kommunistischen
Internationale begünstigten Stalins Aufstieg und stärkten die Bürokratie. Auf
den ersten Blick ist das paradox. Es wird jedoch verständlich, wenn wir uns die
soziale Situation in den 1920er Jahren vor Augen halten. Die sowjetische
ArbeiterInnenklasse und ihre Avantgarde waren durch den Bürgerkrieg und die
ökonomischen Verwerfungen des Kriegskommunismus ermattet, der revolutionäre
Elan der Klasse verringert.

Gleichzeitig war die Partei gezwungen, auf wirtschaftlichem
Gebiet mit der Neuen Ökonomischen Politik einen umfassenden taktischen Rückzug
anzutreten, um angesichts des Ausbleibens der Revolution im Westen die
Produktion v. a. im Agrarsektor wieder anzukurbeln.

Zweifellos wurde dieser Prozess durch ökonomische Regularien
(Einpersonenleitung in den Betrieben) und falsche politische Maßnahmen
(Fraktionsverbot) begünstigt. Es wäre jedoch ganz und gar idealistisch, die
Degeneration der russischen Revolution und die politische Machtergreifung der
Bürokratie aus diesen Fehlern, aus Maßnahmen der politischen Führung erklären
zu wollen. Die Wurzeln liegen viel tiefer: in der ökonomischen Rückständigkeit
des Landes, in den inneren Klassenwidersprüchen, dem sozialen Bedarf nach einer
Bürokratie.

Das Proletariat und die Masse der Bauern/Bäuerinnen sind
oder werden passiv. Die Bürokratie – z. T. aus ExpertInnen und
FunktionärsträgerInnen des alten Regimes rekrutiert, zum Teil aus Partei- und
ArbeiterInnenkadern – erscheint als das tätige, aktive Element der
Sowjetgesellschaft. Was am Beginn als funktionaler Unterschied erscheint, die
Übernahme einer bestimmten gesellschaftlichen Funktion des Leitens, verfestigt
sich mehr und mehr zu einem sozialen Unterschied.

Es ist kein Zufall, sondern notwendiges Element des
Aufstiegs der Bürokratie, dass sie mit der revolutionären Tradition der
Oktoberrevolution theoretisch und praktisch brechen muss.

Theoretisch vollzieht sie das in der Abwendung vom
Internationalismus. Die Theorie vom Aufbau des Sozialismus in einem Land
ersetzt die Ausrichtung auf die Internationalisierung der Revolution.

Praktisch vollzieht sich das über die Unterordnung der
Interessen des Weltproletariats unter jene der Kremlbürokratie – zuerst, in
China, noch tastend, später mit der Volksfrontpolitik in Frankreich, dem
Hitler-Stalin-Pakt, der Liquidierung der Spanischen Revolution dann ganz offen
konterrevolutionär.

Die Herrschaft der Bürokratie kann keine Opposition dulden,
schon gar keine linke. Die Moskauer Prozesse sind ein notwendiges Element des
Stalinismus, nicht einfach „Fehler“ oder „Exzesse“.

Die Bürokratie muss gestürzt werden!

All das führt Trotzki zu einer zentralen programmatischen
Schlussfolgerung: Die herrschende Kaste muss vom Proletariat durch eine neue
politische Revolution hinweggefegt werden. Ansonsten sind die Errungenschaften
der Oktoberrevolution früher oder später vollständig verloren. Die Herrschaft
der Bürokratie ist keine lange Phase der Weltgeschichte, sondern eine nicht
notwendige Episode.

„Der neue Aufschwung der Revolution in der UdSSR wird ohne jeden Zweifel unter dem Banner des Kampfes gegen die soziale Ungleichheit und die politische Unterdrückung beginnen. Nieder mit den Privilegien der Bürokratie! Nieder mit dem Stachanowsystem! Nieder mit der Sowjetaristokratie und ihren Rangstufen und Orden! Angleichung der Löhne für alle Arten der Löhne!

Der Kampf für die Freiheit der Gewerkschaften und der Fabrikkomitees für die Presse- und Versammlungsfreiheit wird sich weiterentwickeln zum Kampf um das Wiedererwachen und die Entfaltung der Sowjetdemokratie. Die Bürokratie hat die Sowjets als Klassenorgane durch den Schwindel der allgemeinen Wahl im Stile von Hitler/Goebbels ersetzt. Es ist notwendig, den Sowjets nicht nur ihre freie demokratische Form, sondern auch ihren Klasseninhalt wiederzugeben. So wie früher die Bourgeoisie und die KulakInnen nicht zu den Sowjets zugelassen waren, ebenso müssen jetzt die Bürokratie und die neue Aristokratie aus den Sowjets verjagt werden. In den Sowjets ist nur Platz für die VertreterInnen der ArbeiterInnen, der KolchosenarbeiterInnen, der Bauern/Bäuerinnen und der roten SoldatInnen.

Die Demokratisierung der Sowjets ist undurchführbar ohne die Zulassung von sowjetischen Parteien. Die ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen selbst werden durch ihre freie Stimmabgabe zeigen, welche Parteien sowjetisch sind.

Reorganisation der Planwirtschaft von oben bis unten gemäß dem Interesse der ProduzentInnen und KonsumentInnen! Die Fabrikkomitees müssen die Kontrolle der Produktion wieder übernehmen. Die demokratisch organisierten Konsumgenossenschaften müssen die Qualität der Erzeugnisse und ihre Preise kontrollieren.

Neuorganisierung der Kolchosen in Übereinstimmung mit dem Willen der KolchosbewohnerInnen und nach ihren Interessen!

Die konservative internationale Politik der Bürokratie muss der Politik des proletarischen Internationalismus Platz machen. Die ganze diplomatische Korrespondenz des Kreml muss veröffentlicht werden. Nieder mit der Geheimdiplomatie!

Alle von der thermidorianischen Bürokratie inszenierten politischen Prozesse müssen unter den Bedingungen vollständiger Öffentlichkeit und freier Erforschung überprüft werden. Die OrganisatorInnnen der Fälschungen müssen ihre verdienten Strafen erhalten.

Ohne den Sturz der Bürokratie, die sich durch Zwang und Fälschung hält, kann dieses Programm nicht verwirklicht werden. Nur die siegreiche revolutionäre Erhebung der unterdrückten Massen kann die Sowjetherrschaft erneuern und ihre Weiterentwicklung zum Sozialismus sichern. Allein die Partei der IV. Internationale ist in der Lage, die sowjetischen Massen zum Aufstand zu führen.

Nieder mit der bonapartistischen Bande des Kain Stalin! Es lebe die Sowjetdemokratie! Es lebe die internationale sozialistische Revolution.“ (22)

Trotzki verdeutlicht in seiner Analyse, dass die
Degeneration der Sowjetunion und die Durchsetzung des Stalinismus aus der
historischen Situation erklärbar sind, diese jedoch weder unabwendbar noch
organisch aus der Oktoberrevolution entstanden. Vielmehr waren die Rolle der
internationalen ArbeiterInnenbewegung, das Ausbleiben der internationalen
Revolution sowie die Niederlage der RevolutionärInnen und der Linksopposition
im innerparteilichen Kampf entscheidend für die Entwicklung.

Der Stalinismus ist nicht Ergebnis der Ideen von Marx,
Engels, Lenin und Trotzki. Er ist vielmehr die Verkehrung dieser Ziele in ihr
Gegenteil. Die Entwicklung des Stalinismus zeigt, gegen welche Schwierigkeiten
und Gefahren wir auf dem Weg zum Kommunismus anzukämpfen haben. Ohne
revolutionäre Kritik am Stalinismus wird es keine kommunistische Revolution
geben – ohne revolutionäres Ziel ist die Kritik am Stalinismus irrelevant.

Endnoten

(1) Trotzki, Die Todesagonie des Kapitalismus und Aufgaben
der Vierten Internationale (Übergangsprogramm).

(2) Trotzki, In Verteidigung des Marxismus, Seite 78.

(3) Trotzki, Weder proletarischer noch bürgerlicher Staat?,
in: Schriften 1.2., S. 1127.

(4) Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 21.

(5) Marx, ebda., S. 28.

(6) Marx, Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW
4, S. 381.

(7) Marx, Brief an Kugelmann, 12. April 1871, MEW 33, S. 205.

(8) Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, S. 343.

(9) Lenin, Staat und Revolution, Lenin Werke 25, S. 420.

(10) Trotzki, Verratene Revolution, S. 751/752, in:
Schriften 1.2.

(11) Trotzki, a. a. O., S. 752/753.

(12) Trotzki, a. a. O. S. 952.

(13) Trotzki, Verratene Revolution, S. 954

(14) Deutscher, Die unvollendete Revolution, S. 67 f.

(15) Trotzki, Weder proletarischer noch bürgerlicher Staat?,
a. a. O.

(16) Trotzki, Verratene Revolution, S. 979.

(17) Engels, Anti-Dühring, MEW 20, S. 97.

(18) Trotzki, Weder proletarischer noch bürgerlicher Staat?,
a. a. O., S. 1123/24.

(19) Ebda., S. 1120.

(20) Trotzki, Verratene Revolution, S. 954.

(21) Trotzki, Die UdSSR im Krieg, Trotzki: Schriften über
Russland 1.2, S. 1292.

(22) Trotzki, Die Todesagonie des Kapitalismus und die
Aufgaben der Vierten Internationale (Übergangsprogramm).




Umwelt und Kapitalismus

Zu den grundlegenden Widersprüchen zwischen Nachhaltigkeit und der kapitalistischen Produktionsweise

Gruppe ArbeiterInnenmacht, Capitalism kills, Imperialismus, Kapitalismus und die Zerstörung von Mensch und Natur, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Juni 2019

Inhalt

Einführung

Seit 1987 der berühmte Bericht „Our Common Future“ der Weltkommission für
Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (auch bekannt als
Brundtland-Kommission) veröffentlicht wurde, hat der Begriff der Nachhaltigkeit
einen Siegeszug angetreten. Die UN-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 (Earth
Summit) benannte nach Jahrzehnten wichtiger außerparlamentarischer
Auseinandersetzungen die Umweltfrage als globales Problem und erklärte eine
„nachhaltige Entwicklung“ zum politischen und ökonomischen Ziel.

Seitdem hat die Bedeutung von Nachhaltigkeit und Umwelt-/Naturschutz im
politischen Diskurs weltweit an Bedeutung gewonnen und auch Eingang in die
bürgerliche Öffentlichkeit gefunden. Heute gibt es kaum noch eine Regierung,
kaum ein Unternehmen oder eine Institution, die nicht von sich behaupten,
„nachhaltig“ zu sein oder zumindest dieses Ziel anzustreben. Produkte, Konsum,
Politik, Entwicklung – alles bekommt heute den Stempel der Nachhaltigkeit.
Nachhaltigkeit ist heutzutage im öffentlichen Diskurs allgegenwärtig.

Damit einhergehend gab und gibt es unzählige Gipfel, Konferenzen,
Initiativen etc., die sich mit dem Thema auf verschiedensten Ebenen
auseinandersetzen. Seit nunmehr über 20 Jahren – 1997 wurde das Kyoto-Protokoll
zur Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen verabschiedet – wird auf
globaler, regionaler und nationaler Ebene auch versucht, wissenschaftliche
Erkenntnisse in praktische Politik umzusetzen.

Trotz all dieser Anstrengungen und Beteuerungen verschärft sich das Problem
der Umweltzerstörung, das mit der Entwicklung des Kapitalismus globale Ausmaße
erreicht und deren menschheitsbedrohende Folgen während der sogenannten
Globalisierung immer dramatischer hervortreten. Umweltprobleme können allgemein
in zwei große Kategorien eingeteilt werden: die Übernutzung von (erneuerbaren
oder nicht erneuerbaren) Ressourcen einerseits und die Überlastung von Senken
andererseits. Unter die erste Kategorie fällt z. B. der Raubbau an
Ressourcen wie Boden, (Grund-) Wasser, Bodenschätzen oder Holz. Unter die
zweite Kategorie fallen z. B. die zunehmende Verschmutzung von Flüssen, Seen
und Meeren sowie die Übernutzung der Atmosphäre als Senke für Treibhausgase.
Alle diese Umweltprobleme nehmen heute nie gekannte Ausmaße an, mit
dramatischen Folgen. Dazu zählen z. B. der Verlust von Biodiversität, die
Auslaugung, Versalzung und Versandung von Böden, der Zusammenbruch von
Fischpopulationen, die Akkumulation von Schadstoffen in den Nahrungsketten, die
Überdüngung, Vergiftung und Erschöpfung von Oberflächen- und
Grundwasserressourcen und nicht zuletzt die globale Klimaerwärmung. Die
Menschheit fördert nicht nur spürbare negative Einflüsse auf die globale
Umwelt, diese drohen mittlerweile auch, ihre eigenen Reproduktionsbedingungen
zu zerstören. Deshalb kann zusammenfassend von Umweltzerstörung gesprochen
werden, definiert als die Überausbeutung von Ressourcen und/oder die
Überlastung von Senken. Zusammenhängend mit der fortschreitenden
Umweltzerstörung steigt auch die Anzahl an Konflikten und Kämpfen, die durch
diese Entwicklung verursacht werden.

Trotz aller Beteuerungen, Werbung und Propaganda: Von „nachhaltiger Entwicklung“ kann keine Rede sein – weder in Deutschland, der EU, noch weltweit. Die tatsächliche Entwicklung steht in krassem Gegensatz zu den Beteuerungen und erklärten Absichten der herrschenden Eliten. Es bestehen offensichtlich tiefgründigere Ursachen, die einen „Politikwechsel“ in Richtung „nachhaltige Entwicklung“ und eine Lösung der Probleme verhindern. Diese liegen in der aktuellen Wirtschaftsform der Menschheit begründet – dem Kapitalismus.

Green Economy – die falschen Antworten des Kapitalismus

In dem Brundtland-Bericht wurde nachhaltige Entwicklung folgendermaßen definiert: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ (WCED 1987, S. 41)

Diese Definition lässt die soziale Frage weitgehend offen und stellt die
Frage zukünftiger Generationen (Generationengerechtigkeit) in den Mittelpunkt.
Sie impliziert zugleich, dass es ein weitgehend einheitliches, allgemeines
Interesse „der Menschheit“ – unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung
und ihren sozialen Interessen – gäbe. Die Definition war und ist deshalb zu Recht
Gegenstand vieler Kritik. Dass sie sich dennoch durchsetzte und einen so hohen
Stellenwert im politischen Diskurs erhielt, liegt nicht in erster Linie an
einem steigenden, abstrakten Umweltbewusstsein der Bevölkerung und/oder der
PolitikerInnen, sondern daran, dass die Grundlagen der Kapitalakkumulation
selbst langfristig durch die zunehmende Umweltzerstörung gefährdet werden und
zugleich Massenkämpfe und Bewegungen die Stabilität des bürgerlichen Systems
unterminieren könnten. Diese Besorgnis von Teilen der herrschenden Klassen
wurde bereits 1972 in dem berühmten Bericht „The Limits to Growth“ („Die
Grenzen des Wachstums“; Meadows et al. 1972) von dem elitären Club of Rome
zusammengefasst. Die zentrale Besorgnis der Eliten ist dabei nicht die Integrität
der Umwelt an sich oder die Auswirkungen der zunehmenden Umweltzerstörung auf
arme oder weniger privilegierte Bevölkerungsgruppen, sondern die
Aufrechterhaltung und Fortführung der kapitalistischen Wirtschaftsweise und
Kapitalakkumulation.

In diesem Sinne wurden und werden im Rahmen des Diskurses der nachhaltigen
Entwicklung nicht nur die Probleme im Zusammenhang mit Umwelt definiert,
sondern auch deren Lösungen: „Green Economy“ und „Green Growth“ sind hier die
wichtigsten Schlagworte. Sie umschreiben die Vorstellung, dass die Grundlagen
unserer Gesellschaft und Ökonomie – die kapitalistische Wirtschaftsordnung – weiter
bestehen und ihre negativen Umweltauswirkungen reduziert und/oder schließlich
ganz überwunden werden könnten bei gleichzeitiger Beibehaltung des Wachstums,
der kapitalistischen Akkumulation. Diese Konzepte sind heute im öffentlichen
Umweltdiskurs vorherrschend. Sie werden nur selten hinterfragt, geschweige denn
in Frage gestellt, sondern meistens als völlig selbstverständlich
vorausgesetzt.

Eine Schlüsselrolle tragen in diesen Konzepten neue, sog. „grüne“
Technologien. Kern der Vorstellung ist, dass der Kapitalismus weiter, wenn auch
nicht unbegrenzt, so doch „reguliert“ und zum Wohle von Mensch und Umwelt
wachsen könne, wenn er nur auf grüne Technologien umgestellt würde. Diese
müssten nur in „vernünftige“ staatliche und globale „Rahmenbedingungen“ eingebettet
werden, die die Interessen der verschiedenen Klassen, von Armen und Reichen,
zwischen den „reichen“ Nationen und der sog. „Dritten Welt“ zum Wohle aller
ausgleichen würden. Deshalb wird die Umwelt-Frage im vorherrschenden Diskurs
immer und vordergründig im Zusammenhang mit technologischen Aufgaben
diskutiert. Wo politische und gesellschaftliche Fragestellungen auftauchen,
werden diese gewissermaßen sozialtechnisch betrachtet, die im Rahmen eines
„Green New Deal“ prinzipiell lösbar wären. Die Frage, ob auf Basis der
kapitalistischen Produktionsweise, also der grundlegenden Verfasstheit der
gegenwärtigen Ökonomie und Politik, eine ökologische Nachhaltigkeit etabliert
werden kann, wird systematisch ausgeblendet.

Am deutlichsten wird dieser Ansatz im Bereich der Energiegewinnung und
-versorgung. Die Energieversorgung ist nicht nur für die kapitalistische,
sondern für jede Art von Ökonomie von zentraler Bedeutung. Die Entwicklung des
Kapitalismus ist aufs Engste mit der Erschließung und Nutzung von fossilen
Brennstoffen – Kohle, Öl und Gas – verbunden. Die gesamte moderne,
kapitalistische Gesellschaft ist auf diesen Energieträgern aufgebaut, ihre
ganze Infrastruktur darauf ausgelegt und danach geformt. Wie Marx im „Kapital“
im Kapitel über die relative Mehrwertproduktion zeigt, erfordert die
kapitalistische Produktionsweise eine Antriebsmaschinerie und ein
Energiesystem, das permanent, ohne Schwankungen und im großen Stil, Energie für
das Fabriksystem und die dazu passende allgemeine Infrastruktur bereitstellt.
Daher historisch die enorme Bedeutung der Dampfmaschine bei der Durchsetzung
der großen Industrie, als der dem Kapitalismus angemessenen technischen
Grundlage. Diese – und mit ihr die auf fossilen Brennstoffen entstandene
Energieversorgung – ist von Beginn an auf den Weltmarkt und die Expansion über
nationale Schranken hinaus angelegt, formt daher notwendigerweise auch die
technologische Basis der Weltwirtschaft. Mit den fossilen Energieträgern und
der dazu gehörigen Maschinerie (Dampfkraft, später Elektrizität) konnte die
kapitalistische Logik der permanenten Beschleunigung und Expansion etabliert
werden, die, im Kapital begrifflich schon vorausgesetzt, zur Wirklichkeit in
jedem Land wird. Die zunehmenden Erkenntnisse über die Auswirkungen des steigenden
Treibhausgasausstoßes bei ihrer Verbrennung hat die Einstellung gegenüber
fossilen Brennstoffen jedoch grundlegend geändert. Wurden sie während eines
Großteils des 20. Jahrhunderts als Grundlage von Entwicklung, Wachstum und
Reichtum verherrlicht, werden sie heute zunehmend als Problem angesehen.
Interessanterweise – und vom Mainstream der ökologischen Bewegung
totgeschwiegen – stellten Autoren wie Marx und Engels schon im 19. Jahrhundert
die unvermeidlichen negativen, gesellschafts- und naturzerstörenden
Auswirkungen des Kapitalismus dar und verwiesen auf die widersprüchliche Natur
des Fortschritts. Dieser kritische, der Marxschen Kapitalismustheorie
innewohnende Blick auf die ökologischen Folgen ging jedoch in der
ArbeiterInnenbewegung aufgrund der Vorherrschaft des sozialdemokratischen und
stalinistischen Reformismus verloren.

Doch zurück zum „grünen Kapitalismus“. In seiner Logik ist die Lösung für
dieses Problem schon in Sicht, schon lange sogar: erneuerbare Energien. Wind,
Sonne, Biomasse und Wasser (in etlichen Ländern auch Uran) sollen Öl, Gas und
Kohle ersetzen. Damit könne der Treibhausgasausstoß gesenkt werden, bei
gleichzeitigem Beibehalten der sog. „Versorgungssicherheit“ und
wirtschaftlichem Wachstum – sprich der stetigen, wenn auch ökologisch regulierten
Kapitalakkumulation.

Auch ein bedeutender Teil der klassischen Umweltbewegung, vor allem in den
reichen, imperialistischen Ländern, ist inzwischen auf diese Linie
eingeschwenkt. Dabei kann alles im Wesentlichen so bleiben wie heute, nur eben
mit erneuerbaren Energien versorgt. Die Umwelt- und sozialen Auswirkungen von
erneuerbaren Energien im Kapitalismus werden oft unterschätzt, übersehen oder
sogar ignoriert.

Der massive Anbau von Biomasse für die Produktion von Treibstoffen hat in
vielen Ländern zur Vertreibung der Landbevölkerung und der Konzentration von
Ackerland in der Hand von mächtigen Unternehmen und Konzernen geführt. Die mit
dem Anbau verbundenen Monokulturen verursachen die Übernutzung von Böden, den
massiven Einsatz von Kunstdüngern und Pestiziden und einen hohen Artenverlust.
Darüber hinaus trug die gestiegene Produktion von Biotreibstoffen zu einer
Erhöhung der Preise von Nahrungsmitteln, welche auf dem Weltmarkt gehandelt
werden, bei und damit auch zu den negativen Auswirkungen auf die
Nahrungsmittelsicherheit von Millionen Menschen. Noch heute werden native Wälder
für den Anbau von Biotreibstoffpflanzen gerodet z. B. in Kolumbien,
Indonesien oder Malaysia. Biotreibstoff aus diesen Quellen führt oft
absurderweise zu höheren Treibhausgasemissionen als fossile Brennstoffe
(Transport and Environment o. D.).

Auch Wind- und Sonnenenergie sind – anders als oft suggeriert – nicht frei
von negativen Auswirkungen. Beide Energieformen benötigen Rohstoffe zur
Herstellung der Turbinen bzw. Solarzellen und haben je nach Anwendung einen
hohen Landbedarf. In ihrer Produktion werden viele Materialien eingesetzt, die
teilweise unter schwer umweltschädigenden Bedingungen gefördert werden. Das
gilt z. B. für die „seltenen Erden“, die zu überwiegendem Teil in China
gewonnen werden, und für Coltan aus dem Kongo (zu den heftigen
Umweltauswirkungen der Gewinnung v. a.r Erden in China siehe z. B.
den Bericht von Maughan [2015]). Aber auch soziale Konflikte, die durch
erneuerbare Energien verursacht werden, zeichnen sich zunehmend ab. Z. B. hat
die Errichtung großer Windparks von ausländischen InvestorInnen in Oaxaca, Mexiko,
zu heftigen Konflikten mit der lokalen, kleinbäuerlichen Bevölkerung geführt,
die durch die Windparks massiv beeinträchtigt werden (siehe z. B. Schenk 2012,
oder – auf Spanisch – Castillo Jara 2011). Auch hier werden im Interesse des
Profits der KapitalistInnen die negativen Auswirkungen auf die lokale, weniger
privilegierte (Land-)Bevölkerung abgewälzt – dasselbe Prinzip wie bei fossilen Energieträgern,
auch wenn die Auswirkungen andere sind.

Wasserkraft, vor allem große Staudämme, hat durch die Förderung
erneuerbarer Energien eine Renaissance erlebt. Im Gegensatz zu den anderen
zitierten Energieformen ist ihre Nutzung schon lange im Kapitalismus etabliert.
2015 hatte sie einen Anteil von 16 % der weltweiten Stromerzeugung und
repräsentierte damit 70 % der weltweit erzeugten erneuerbaren Energien
(IEA 2017). Die heftigen sozio-ökonomischen Auswirkungen von Staudämmen, die
viel studiert und dokumentiert wurden und zu großen sozio-ökologischen
Konflikten geführt haben (siehe z. B. Hess et al. 2016 oder Hess und
Fenrich 2017), haben bis zur Jahrtausendwende zu einer abfallenden Dynamik des
Wasserkraftsektors beigetragen, zumindest bei den großen Projekten. Seitdem
haben sie aber vor dem Hintergrund der Treibhausgas-Diskussionen wieder an
Fahrt aufgenommen. Staudämme sind als (angeblich) treibhausgasarme Technologie
in dem Clean Development Mechanism (CDM) der UN anerkannt und können darüber
gefördert werden. Dabei sind die Auswirkungen oft gigantisch: von der
Umsiedelung bzw. Vertreibung von tausenden bis zu hunderttausenden von
Menschen, über die Zerstörung von Fischpopulationen und der Ökologie ganzer
Flusssysteme bis zu der Verletzung von Arbeitsrechten, offener Gewalt und
struktureller Korruption. Und selbst die angeblich niedrigen
Treibhausgasemissionen sind inzwischen widerlegt, da Stauseen enorme Mengen an
Kohlendioxid und Methan ausstoßen können (Mendonça et al. 2012).

Die Politik der Umstellung auf erneuerbare Energien, in Deutschland als
„Energiewende“ bekannt, suggeriert geradezu eine technologische Verengung des
Problems. Die neue grüne Ökonomie nimmt dies als eine ihrer ideologischen
Grundlagen. Auch in anderen Bereichen kann diese Logik beobachtet werden. So
werden die intensive Landwirtschaft und Gentechnik von der Agrarlobby als
Antworten auf Klimawandel und wachsende Bevölkerung propagiert – als wären die
massenhafte Vertreibung von Kleinbäuerinnen und -bauern und die Überausbeutung
von Böden und Wasserressourcen nicht gerade auf sie zurückzuführen. Das
Elektroauto gilt als neue Hoffnung für die Aufrechterhaltung nicht nur der
wirtschaftlichen Bedeutung der Autokonzerne und ihrer Profite, sondern auch der
Fixierung der Ober- und Mittelschichten, aber auch großer Teile der
ArbeiterInnenklassen auf den Individualverkehr. Selbstredend unterliegt auch
der Ökolandbau der Profitlogik und wird heute teilweise bereits in einer
ökologisch wie sozial schädigenden Art und Weise betrieben.

Neben dem Einsatz neuer, umweltfreundlicherer Technologien ist die
effizientere Nutzung von Ressourcen im Produktionsprozess das zweite
technologische Standbein der Green Economy. In der Tat konnte der Kapitalismus
in vielen Prozessen die Effizienz massiv steigern. Das führt aber keineswegs
automatisch zu einem geringeren tatsächlichen Verbrauch der betroffenen
Rohstoffe. Wird ein Produktionsprozess effizienter – im Sinne von der
benötigten Menge an Input von Energie und Rohstoffen zur Erstellung eines
bestimmten Produktes – so sinkt damit natürlich der Wert der einzelnen Ware,
weil weniger Rohstoff und/oder Energie zu ihrer Herstellung verbraucht werden
muss. Das günstiger produzierende Unternehmen erzielt damit einen Vorteil
gegenüber seinen Konkurrenten, da es die von ihm produzierten Waren billiger
oder mit mehr Gewinn verkaufen kann. Diese Situation dauert aber
notwendigerweise nur begrenzt an, nämlich solange, bis die KonkurrentInnen
ebenfalls billigere Rohstoffe oder Energie einsetzen. So unterliegt die technische
Basis der Produktion im Kapitalismus einem permanenten Druck zur
„Revolutionierung“, zur Umwälzung.

Darüber hinaus drängt die Konkurrenz auch zur Ausweitung der Produktion,
zum ständigen Wachstum, zur Erschließung neuer Märkte (damit auch zur Vernichtung
weniger effektiver Unternehmen), zur Überproduktion über den Bedarf, zur Krise
und auch zur Vernichtung „überschüssiger“ Produkte, also solcher, die auf keine
kaufkräftige Nachfrage treffen.

Daher kann die Verringerung des Verbrauchs an Rohstoffen und Energie für
das einzelne Produkt durchaus mit der Steigerung des Gesamtverbrauchs
einhergehen, gerade in Phasen massiven Wachstums und ungebremster Akkumulation.

Dieses Phänomen war auch im 19. Jahrhundert nicht unbekannt und lässt sich
im Übrigen, wenn auch in weitaus geringeren Zeitperioden, auch bei der
menschlichen Arbeitskraft beobachten, namentlich dann, wenn die Expansion eines
bestimmten Sektors so groß ist, dass trotz einer steigenden
Arbeitsproduktivität mehr Lohnabhängige in die Produktion gezogen werden. Da
die industrielle Produktion jedoch mit einer regelmäßigen Ersetzung
menschlicher Arbeitskraft durch Maschinerie einhergeht, ist eine solche
„paradoxe“ Entwicklung bei Rohstoffen und Energie ausgeprägter.

Der britische Ökonom William Stanley Jevons beschrieb diesen Effekt bereits
im 19. Jahrhundert an dem Beispiel des Verbrauchs von Kohle in Großbritannien
und führte diesen 1865 in seinem Buch „The Coal Question“ aus. Deshalb wird
dieser Effekt als das Jevons-Paradoxon bezeichnet (siehe z. B. Foster et
al. 2010, S. 169 ff.). Jevons verkennt, ja verklärt geradezu die Ursachen des
Paradoxons, das auf Grundlage der Marxschen Kapitalismusanalyse leicht
erklärbar ist. Jevons selbst war Malthusianer. Malthus bestritt, dass die
„Überbevölkerung“ (also die Masse von Armen, die ihre Arbeitskraft nicht
verkaufen können und als „Überschussbevölkerung“ kein Auskommen finden) als
Folge der kapitalistischen Akkumulation entsteht und erklärte sie zu einem
unabänderlichen Naturgesetz. In derselben Weise erklärt Jevons das Paradox
nicht aus den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise,
sondern er behauptet, dass es als Naturgesetz jeder industriellen
Großproduktion eigen wäre.

Heute wird dieses „Paradoxon“ auch oft unter dem Stichwort Rebound-Effekt
zusammengefasst. In der Autoindustrie führt es z. B. dazu, dass die
Automodelle größer und schwerer anstatt sparsamer werden. Das Ziel ist hierbei
nicht, möglichst sparsame und preiswerte Autos für KäuferInnen mit begrenzter
Kaufkraft herzustellen, sondern neue attraktive Angebote für die kaufkräftigen
Mittelschichten und ArbeiterInnenaristokratie zu schaffen (siehe hierzu z. B.
Brand und Wissen 2017, S. 125 ff.).

Die im Mainstream der „Green Economy“ vorherrschende Reduktion der
ökologischen Folgen des Kapitalismus wird hier zwar kritisiert, tendenziell
jedoch bloß umgekehrt. Während den bürgerlichen IdeologInnen alles technisch
lösbar erscheint, so wird die Technik oder eine bestimmte Produktionsform als
Ursache benannt, nicht die Produktionsweise. Der Zusammenhang von Produktion
und individuellem Konsum wird auf den Kopf gestellt. Wenn sich Autokonzerne in
den imperialistischen Ländern stärker auf höherpreisige Produkte fokussieren,
folgt dies aus keiner Präferenz gegenüber einkommensstärkeren KäuferInnen,
sondern einfach aus der Tatsache, dass die Einkommen der mittleren und unteren
Schichten der ArbeiterInnenklasse stagnieren, wenn nicht sinken. Höhere
Gewinnmargen lassen sich daher nur in den Premiumsegmenten erzielen.

Auch im institutionellen und ökonomischen Bereich hat die hohe Bedeutung
der Umweltfrage zu neuen Entwicklungen geführt. Diese sind allerdings, wie
bereits erwähnt, in der Regel den technologischen Innovationen untergeordnet.
Ein zentrales Beispiel hierfür ist der berühmte Emissionshandel, der mit dem
Kyoto-Protokoll geboren wurde. Hintergrund ist die Förderung der
Konkurrenzfähigkeit erneuerbarer Energien gegenüber fossilen Energieträgern.
Das Prinzip folgt der Logik, dass eines der zentralen Probleme des Kapitalismus
in Bezug auf Umwelt sei, dass viele Umweltfaktoren sich gar nicht oder nur
unzureichend in den Preisen von Gütern und Dienstleistungen widerspiegeln –
Auswirkungen auf die Umwelt werden von kapitalistischen Unternehmen, die einzig
und alleine den Profit als Antrieb kennen, externalisiert.

Die „Externalisierung“ gesellschaftlicher Kosten prägt die kapitalistische Produktionsweise von Beginn an. Marx selbst diskutiert im „Kapital“ eine Reihe dieser Phänomene. So weist er auf ein ganz allgemeines hin: „Indem das Kapital sich die beiden Urbildner des Reichtums, Arbeitskraft und Erde, einverleibt, erwirbt es eine Expansionskraft, die ihm erlaubt, die Elemente seiner Akkumulation auszudehnen jenseits der scheinbar durch seine eigne Größe gesteckten Grenzen, gesteckt durch den Wert und die Masse der bereits produzierten Produktionsmittel, in denen es sein Dasein hat.“ (MEW 23, S. 630/631)

So erfordert beispielsweise die extraktive Industrie kaum Ausgaben für den
Rohstoff, dieses Naturprodukt wird einfach „nur“ abgebaut. Der Wert, der dem
Produkt zugesetzt wird, besteht fast ausschließlich aus Arbeitskraft, Nutzung
von Arbeitsmitteln und Transport. Dasselbe trifft auch auf die Kooperation von
Arbeitenden zu, deren kombinierte Produktivkraft und planmäßiger Einsatz werden
vom Kapital während des Arbeitsprozesses einfach verwandt – da es sich die
Arbeitskraft selbst einverleibt, diese als Teil des Kapitals fungiert. Wie sich
die Arbeitskraft umgekehrt produziert, wie Lebensmittel hergestellt, Kinder
versorgt werden, ob es eine Schule gibt oder nicht, stellt sich dem/r
individuellen KapitalistIn als außerhalb ihrer/seiner Verantwortung, außerhalb ihrer/seiner
Interessen liegende „Naturbedingung“ dar. Sie/Er nutzt diese Verhältnisse
einfach, um so die Arbeitskraft möglichst effektiv und schrankenlos
auszubeuten.

Dasselbe gilt auch für die ohne sein Zutun vorgefundenen oder neu geschaffenen gesellschaftlichen Entwicklungen, Infrastruktur, Kommunikationsmittel. Diese eignet sich das einzelne Kapital „gratis“ mit jeder Umwälzung des Kapitals an. So wird der „gesellschaftliche Fortschritt“, den z. B. Wissenschaft, öffentliche Universitäten, … verkörpern, „in seine neue Form einverleibt“ (MEW 23, S. 632).

Diese „externalisierten“ Kosten umfassen also drei Elemente: erstens die
Erde (Rohstoffe, Wassser, Luft, „Natur“…), zweitens die Arbeitskraft, deren
private Reproduktion der „Familie“, also v. a. der Frau im Haushalt
überlassen wird, und drittens allgemeine gesellschaftliche Entwicklung der
Produktivkraft der Arbeit (Wissenschaft, Bildung, Infrastruktur, öffentlicher
Transport, …).

Auf die Umweltproblematik übertragen bedeutet Externalisierung, dass
Unternehmen umweltbezogene Kosten (z. B. Wasser- und Luftverschmutzung,
die Extraktion von Wasser und anderen Ressourcen als Produktionsmittel, der Ausstoß
von Treibhausgasen etc.) nicht in ihre Bilanzen mit einbeziehen und diese
Kosten deshalb auf die Allgemeinheit bzw. die Gesellschaft abwälzen. Es ist
allerdings keineswegs so, dass die Auswirkungen gleichmäßig auf die
Gesellschaft bzw. Gesellschaften (verschiedener Länder) verteilt würden. Dabei
können zwei grundlegende Praxen unter dem Begriff zusammengefasst werden: erstens
die Externalisierung von diffusen Umweltauswirkungen, die in ihren Auswirkungen
nicht oder nur schwer eindeutig örtlich und räumlich zugeordnet werden können (z. B.
Treibhausgasemissionen, die zu einem globalen Klimawandel mit vielfältigen
Auswirkungen führen), und zweitens die bewusste Auslagerung umweltschädlicher
Produktion in andere, meist ärmere Länder.

Im Falle von Treibhausgasemissionen wird die Atmosphäre der Erde als Senke
für Treibhausgase in Anspruch genommen – lange Zeit völlig sorgen- und
kostenlos. Kapitalistische Unternehmen ändern dieses Verhalten nur, wenn sie durch
gesellschaftliche Kämpfe und Bewegungen, vom Staat oder supra-staatlichen
Institutionen durch Regelungen und Gesetze gezwungen werden oder attraktive
finanzielle Anreize erhalten. Bei Treibhausgasen ist der Weg über staatliche
Regulierungen aus mehreren Gründen schwierig bis unmöglich – schließlich ist die
Verbrennung von fossilen Treibstoffen eng mit der vorherrschenden Ökonomie
verzahnt und kann nicht einfach per Gesetz beschränkt werden, ohne massive
Auswirkungen auf das Kerngeschäft der kapitalistischen Ökonomie, der
Kapitalakkumulation, zu haben. Die kapitalistische Lösung ist der
Emissionshandel. Treibhausgase sollen über Zertifikate einen Preis erhalten und
damit in die Bilanzen der Unternehmen einfließen. Unternehmen, die viel
Treibhausgas ausstoßen, müssen sich Zertifikate von anderen kaufen, die wenig
ausstoßen. Darüber soll die Förderung von treibausgasarmen Technologien und
Innovationen gefördert werden.

Während der Ansatz der Internalisierung von umweltbezogenen Kosten in die
Bilanzen der Produktion von Gütern und Dienstleistungen durchaus positiv und
richtig sein kann, wird er im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise oft
in sein Gegenteil verkehrt. Der Emissionshandel hat in der Praxis bislang nicht
zu einer Senkung von Treibhausgasemissionen geführt, dafür aber zu einer neuen
lukrativen Quelle von Profiten für große Konzerne. Die Europäische Union war
bisher die führende Institution bei dem Versuch, einen flächendeckenden Handel
mit Emissionsrechten einzuführen. Die Zertifikate wurden aber über Jahre hinweg
viel zu billig verkauft, was dazu geführt hat, dass sie im Überfluss gerade für
die Unternehmen und Konzerne zur Verfügung standen, die am meisten
Treibhausgase ausstoßen. Dadurch konnten sie sich billig Zertifikate erwerben,
ohne jedoch irgend etwas zu verändern, und diese auch noch weiterverkaufen, um
daran zu verdienen. Schließlich kann der Zertifikathandel grundsätzlich auch
spekulative Züge annehmen, sobald Emissionsrechte selbst zu einer Ware werden,
die auf eigenen Börsen gehandelt werden können. Die Treibhausgasemissionen steigen
derweil weiter an und der Emissionshandel ist als Instrument zur Reduzierung
von Treibhausgasemissionen in der Krise.

Wie bereits erklärt liegt der „Grünen Ökonomie“ die Vorstellung zu Grunde,
dass die Herausforderungen im Bereich von Umwelt und Klima im Wesentlichen
durch die Umstellung auf neue Technologien und regulative wirtschaftliche
Eingriffe bei gleichzeitiger Beibehaltung und sogar Intensivierung der
kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu meistern seien. So schafft der
Emissionshandel einen riesigen neuen Markt. Im Rahmen seiner anhängenden
Instrumente, wie z. B. des „Clean Development Mechanism“ (CDM), erschließt
er sogleich neue Märkte, Ressourcen und Flächen im globalen Süden zur
Ausbeutung (Energieprojekte) und/oder Rechtfertigung von umweltschädigenden
Aktivitäten anderswo (sog. Ausgleichsflächen). Das Prinzip der „Einpreisung“
von Umwelt-Faktoren („getting the prices right“) wird von vielen
internationalen Entwicklungsinstitutionen wie z. B. der GIZ (Deutsche
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, „Entwicklungshilfe“) als
Rechtfertigung für die (Teil-) Privatisierung von Umweltgütern oder -dienstleitungen
propagiert. In derselben Logik arbeitet das REDD (Reducing Emissions from
Deforestation and Forest Degradation)-Programm der Vereinten Nationen. Während
dessen löbliches Ziel die Reduzierung von Entwaldung (und den damit
zusammenhängenden Treibhausgasemissionen) ist, führt es in der Praxis oft dazu,
dass traditionelle Gemeinschaften die Kontrolle über ihr Territorium verlieren
und neue Gebiete für global agierende Konzerne erschlossen werden (Fatheuer et
al. 2015, S. 81). Im Bereich der Landwirtschaft ist gemäß der vorherrschenden
neoliberalen Logik nicht die massenhafte Vertreibung von Kleinbäuerinnen und -bauern,
die zunehmende Konzentration von Böden in der Hand multinationaler Konzerne
und/oder lokaler Eliten und die zunehmende Orientierung auf kapital-, wasser-
und pestizidintensive Cashcrops (Anbau von Feldfrüchten für den Export) das
Problem, sondern – ganz im Sinne der global agierenden Konzerne – die fehlende
Klarheit der privaten Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden (Fritz 2010,
S.115 f.).

Sicher spielen neue, weniger umweltschädigende Technologien eine
Schlüsselrolle in der Überwindung der aktuellen, ausbeuterischen und räuberischen
Wirtschaftsweise. Die Umstellung auf erneuerbare, emissionsarme Energien und
ressourcenschonende, effizientere Produktionsformen ist angesichts der
Erkenntnisse zu Klimawandel und dessen möglicher Folgen richtig und notwendig.
Jedoch zeigen die Erfahrungen der letzten zehn bis zwanzig Jahre deutlich, dass
eine rein technologische Umstellung im Rahmen der kapitalistischen
Produktionsverhältnisse nicht die erhofften Resultate und/oder neue Probleme
hervorbringt.

Technologien und deren Auswirkungen sind immer abhängig von ihrer
Verwendung, ihrer Einbettung in bestimmte sozio-ökonomische Verhältnisse und
welchen bzw. wessen gesellschaftlichen Interessen sie entsprechen. Im
Kapitalismus geht die technologische Entwicklung immer mit der Ersetzung menschlicher
Arbeitskraft durch Maschinerie einher. Dies würde in einer zukünftigen,
nachkapitalistischen Gesellschaft eine zentrale Quelle des gesellschaftlichen
Fortschritts und der Ausweitung freier Zeit für alle bedeuten. Im Kapitalismus
geht sie unvermeidlich mit der Festigung der Herrschaft des Kapitals über die
Arbeit, mit der Verschärfung der Ausbeutung der Beschäftigten und der
Freisetzung der „überflüssig“ gemachten Lohnabhängigen einher.

Und so werden auch erneuerbare Energien und andere neue Technologien oder Ansätze (wie z. B. auch der Ökolandbau) im Interesse des Kapitals eingeführt und eingesetzt und unterliegen der Logik der Profitmaximierung um (fast) jeden Preis. Und in dieser Logik gehen sie mit Vertreibung, Landraub, Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung einher, anstatt diese „Kollateralschäden“ der kapitalistischen Wirtschaftsweise zu überwinden. Mittlerweile sind erneuerbare Energien ein etablierter, florierender Wirtschaftszweig und für Teile des Kapitals von hohem Interesse. Das zeigt nicht zuletzt der Protest von Teilen des US-amerikanischen Kapitals (inklusive großer Energiekonzerne wie Exxon) gegen die Entscheidung von Präsident Trump, das Pariser Klimaschutzabkommen zu verlassen. Anderseits verdeutlicht dieser Schritt auch, dass in der globalen Konkurrenz und im Kampf um die Neuaufteilung der Welt selbst halbherzige, zu wenig bis nichts verpflichtenden Abkommen keinen Bestand haben werden, wenn es darum geht, wem die Kosten der Zerstörung der Umwelt aufgebürdet werden sollen.

Das „Umweltparadoxon“

Obwohl sich die globalen Umweltprobleme weiter verschärfen und zuspitzen,
ist die direkte Umweltverschmutzung und -zerstörung in den reichen,
imperialistischen Ländern (im Wesentlichen in West-Europa, USA, Kanada,
Australien und Japan) seit den 1970er Jahren in einigen Bereichen
zurückgegangen. Das mag angesichts von Dieselskandal und zunehmender
Grundwasserverschmutzung mit Nitrat in Zweifel gezogen werden, betrifft aber z.
B. die Wasserverschmutzung durch häusliches und industrielles Abwasser, die
Luftverschmutzung durch Schwefeldioxid und Stickoxide, die heftigen
Auswirkungen auf Boden und (Grund-) Wasser durch offene Mülldeponien oder
direkte industrielle Umweltbelastungen durch das Freisetzen von toxischen
Stoffen. In den meisten imperialistischen Ländern existieren heute umfangreiche
Umweltvorschriften und -gesetze und in vielen gibt oder gab es auch (mehr oder
weniger) bedeutende Umweltbewegungen und Parteien, die sich auf diese
Bewegungen stützen. Darüber hinaus führten v. a. die ArbeiterInnenbewegung
und die Gewerkschaften über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte einen
erbitterten Kampf um einigermaßen menschenwürdige Lebensbedingungen, also
solche, die eine dauerhafte Reproduktion der Arbeitskraft ermöglichen. Im
Frühkapitalismus war deren Existenz oft durch absolute Verelendung
gekennzeichnet. Die neu entstehende Industrie setzte sie in Fabrik und
Wohnviertel unerträglichen Bedingungen aus (fehlende oder schlechte
Kanalisation, kein Schutz vor gesundheitsgefährdenden Gasen und Chemikalien,
fehlende Kranken- und Altersvorsorge, Kinderarbeit, …), die in den Ländern
der sog. Dritten Welt bis heute fortbestehen.

Bei oberflächlicher Betrachtung scheint es, dass sich die reichen Länder
auf einem guten Weg befänden, während Umweltverschmutzung und –zerstörung heute
vor allem ein Problem der armen Länder im globalen Süden seien. Bei näherem
Hinschauen zeigt sich hier allerdings ein Paradoxon: In den Ländern, in denen
der Verbrauch von Ressourcen (total und vor allem pro Kopf) besonders hoch ist
(imperialistische Länder), scheint die Umweltzerstörung niedriger zu sein als
in den Ländern, in denen der Ressourcenverbrauch weitaus geringer ist. Dieser
Umstand wird in der bürgerlichen Soziologie als „environmental degradation
paradox“ (Jorgensen and Rice 2005) oder „ökologisches Paradoxon“ (vgl.
Lessenich 2016, S. 96 ff.) bzw. Umweltparadoxon bezeichnet.

Um dieses zu erklären, erweitert der Soziologe Stephan Lessenich das Prinzip der Externalisierung auf das Verhältnis zwischen Ländern. Mit der Entwicklung des kapitalistischen Weltmarktes konnten die reichen Länder dazu übergehen, systematisch energieintensive, besonders umweltschädigende und auch sozial schädliche Produktionsbereiche in andere Länder zu verlagern. Lessenich (2016, S. 96 ff.) fasst zusammen, „dass die reichen Industriegesellschaften in der Lage sind, die Voraussetzungen und Folgen ihres ,überbordenden Konsums‘ systematisch in andere Weltregionen, nämlich an die Gesellschaften der ärmeren, rohstoffexportierenden Länder, auszulagern. Auf diese Weise säubern sie konsequent ihre eigene Umwelt- und Sozialbilanz – und überlassen das schmutzige Geschäft anderen. Bis auf die ökonomischen Profite natürlich, die daraus zu ziehen sind.“

Diese Verlagerung hat besonders in drei Bereichen stattgefunden: (i)
Auslagerung naturzerstörender Rohstoffförderung (Energieträger wie Öl, Kohle
und Uran und Rohstoffe wie Eisen, Aluminium, Kobalt, Kupfer und viele andere
Metalle etc.); (ii) Auslagerung umweltschädlicher Industrieproduktion (z. B.
Stahlproduktion, Textilsektor, Zement- und Papierherstellung,
Elektronikindustrie); (iii) Auslagerung Land vernutzender Agrarwirtschaft (z. B.
Soja, Getreide, Fleisch, nachwachsende Rohstoffe wie Zuckerrohr oder ölhaltige
Pflanzen) und intensiver Aquakultur (Fisch und Garnelen). Diese Entwicklung
wurde in den vergangenen Jahrzehnten, während des Neoliberalismus, nochmals
verschärft und beschleunigt. Ein großer Teil der Umweltzerstörung der reichen
kapitalistischen Ökonomien wird somit auf dritte, ärmere Staaten abgewälzt. Das
bedeutet auch, dass die negativen wie positiven Umweltauswirkungen eines Landes
nicht alleine anhand interner Kenndaten beurteilt werden können (z. B. inländischer
Strom- oder Ressourcenverbrauch), sondern die Material- und Energieflüsse an
Ressourcen und Abfallprodukten mit anderen Ländern mit einbezogen werden
müssen.

An dieser Stelle könnte argumentiert werden, dass für viele der genannten
Auslagerungen nicht laxere Umweltauflagen, sondern niedrigere Lohnkosten die
Hauptmotivation waren und sind. Diese Faktoren widersprechen sich jedoch nicht,
sondern ergänzen sich. Die Motivation der KapitalistInnen für die Auslagerung
ist die Senkung der Produktionskosten und die Steigerung der Profite sowie der
Profitrate – dazu können sowohl niedrigere Löhne als auch laxere Umweltauflagen
beitragen. Das Verhältnis zwischen diesen Faktoren mag von Branche zu Branche
oder auch von Firma zu Firma unterschiedlich sein, die systematische
Externalisierung sozio-ökologischer negativer Auswirkungen in ärmere, halbkoloniale
Länder ist jedoch das Resultat.

Zweitens könnte eingewendet werden, dass manche natürlichen Rohstoffe wie
Agrarprodukte nur in bestimmten Weltregionen ab- bzw. angebaut werden können
und deshalb in den entsprechenden Ländern produziert werden. Oftmals hat die
billige Verfügbarkeit dieser Ressourcen (aufgrund niedrigerer Löhne und
Umweltauflagen in den Herkunftsländern) jedoch systematisch dazu beigetragen,
einheimische Produkte zu ersetzen oder bestimmte technische Entwicklungen und
Innovationen erst für das Kapital attraktiv zu machen. Ersteres gilt z. B.
für den Import von Zucker als Nahrungs- oder von Soja als Futtermittel.
Letzteres gilt z. B. für die billige, ständige Verfügbarkeit von Öl als
Vorraussetzung des öl-basierten, Individualverkehrssystems.

Die Ökonomie von Europa bzw. vor allem der EU ist dafür beispielhaft. Im
Vergleich zu den USA, Kanada oder Australien verfügen die europäischen Staaten
über weit weniger Flächen. Die Bedeutung der Landwirtschaft ist in den
westlichen europäischen Ländern seit dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich
gesunken. In Deutschland arbeiten heute nur noch ca. 2 % der Arbeitskräfte
in der Landwirtschaft (ca. 940.000 von 44,7 Mio. Beschäftigten, siehe
Statistisches Bundesamt 2017). Trotzdem hat sich die Ernährungssicherheit stark
gesteigert. Ein Grund hierfür liegt zweifellos in der gestiegenen Produktivität
der Landwirtschaft, ein anderer aber auch in der erfolgreichen Externalisierung
des Flächenverbrauchs für landwirtschaftliche Produktion. Heute deckt
Deutschland nur ca. 50 % seines Agrarflächen-, 25 % seines
Waldflächen- und ca. 35 % seines Grünlandbedarfs durch die Produktion im
eigenen Land (Umweltbundesamt 2017a). Für die EU sind die Anteile der
Eigenbedarfsdeckung 77 %, 74 % und 60 % (Fischer et al. 2017).
Auch bei der Bilanz von Energieträgern und metallischen Rohstoffen kann dieses
Verhältnis festgestellt werden. Obwohl die EU – und hier vor allem die
sogenannten Kernländer Deutschland, Frankreich sowie (noch) Großbritannien –
nach wie führend in der weltweiten Industrieproduktion ist, verfügt sie über
sehr wenige eigene Ressourcen. Eisen, Aluminium, Zement, Kupfer, Kobalt,
Seltene Erden, Kohle, Uran und Gas – viele der für die Produktion notwendigen
Ressourcen werden in anderen Teilen der Welt hergestellt und in die EU
importiert. Mit Ausnahme von Großbritannien und Norwegen gibt es in West- und
Zentraleuropa auch keine bedeutenden Erdölförderländer. Dazu kommt der
massenweise Import von Textilien und Konsumgütern (vor allem
Elektronikartikel), die in der EU verbraucht werden. Auf der Kehrseite steht
dann der massenhafte Export von erzeugten Abfallprodukten wie z. B. der
von Elektronikschrott in afrikanische Länder oder Plastik- und anderen Abfällen
nach China. Im Jahr 2016 hat die EU 1,6 Mio. Tonnen Plastikmüll, davon
Deutschland alleine 560.000 Tonnen, nach China exportiert (Tagesschau 2018).
Mit dem Aufstieg Chinas zur imperialistischen Macht verschieben sich freilich
die Gewichte. Ende 2018 verbot das Land die Einfuhr stark verschmutzenden und
schlecht sortierten Altmülls – der Dreck soll zukünftig in andere asiatische
Ländern verfrachtet werden. Gleichzeitig beginnt China, selbst Müll zu
exportieren.

Die Externalisierung von negativen Umweltauswirkungen hat allerdings ihre
Grenzen. Auch in den reichen Ländern ist sie natürlich nicht vollständig
gelungen und kann es auch nicht. Nach wie vor gibt es auch in diesen Ländern
viele gravierende alte und neue Umweltprobleme, die sich weiter zuspitzen oder
neu auftreten wie z. B. die Verschmutzung von Grundwasser mit Nitrat, Arten-
und Biodiversitätsverlust, Degradierung von Böden, Luftverschmutzung durch
Auto-, Kraftwerks- und Industrieabgase und Eintrag in die Umwelt von
schädlichen Chemikalien oder solchen, deren Auswirkungen unbekannt sind. In der
EU sind zehntausende von Chemikalien in der Industrie im Einsatz und gelangen
in die Umwelt und laufend kommen neue dazu. Nur die wenigsten (einige Hundert)
sind reglementiert und von einem Großteil gibt es überhaupt keine gesicherten
Erkenntnisse über ihre (Langzeit-)Wirkungen in der Umwelt. Darüber hinaus kommt
es bei der Externalisierung der negativen Auswirkungen von
Treibhausgasemissionen zu natürlichen Grenzen und die Konsequenzen fallen durch
den Klimawandel teilweise auch auf die reichen Länder zurück – wenn auch vermutlich
in geringerem Ausmaß.

Des Weiteren gibt es gegenläufige Tendenzen und Interessen. Die hohe
Subventionierung der Agrarproduktion in der EU ist z. B. ein Faktor, um weitere
Auslagerung zu verhindern oder abzubremsen und damit erstens nicht noch
abhängiger von Importen zu werden und zweitens selbst hochindustrialisierte
Agrarprodukte international gewinnbringend verkaufen zu können und damit die
importierenden Länder wiederum in Abhängigkeiten zu halten. Ein weiteres
Beispiel ist der Fracking-Boom in den USA. Dieser führt zu einer Verringerung
der Abhängigkeit von Erdölimporten zum Preis von sozio-ökologischen
Auswirkungen innerhalb der eigenen Grenzen (das sind jedoch neue, teilweise
unbekannte und/oder in ihrer Tragweite noch nicht bekannten Auswirkungen, die
bisher noch nicht in großen Ausmaß „an die Oberfläche“ gekommen sind und
deshalb noch nicht zu großen Konflikten geführt haben). Donald Trump hat als
Präsident eine aggressive Agenda der Re-Internalisierung von externalisierten
Umweltauswirkungen wie z. B. die Wiederansiedelung und Stärkung der Kohle-
und Erdölförderung zugesagt. Er verspricht der US-amerikanischen
ArbeiterInnenklasse dadurch Arbeitsplätze, verschweigt aber die
sozio-ökologischen Auswirkungen, die damit einhergehen.

Natürlich geht es dabei nicht um die Interessen der Lohnabhängigen. Auch
die kurzfristigen Gewinne, die die US-Ölindustrie daraus schöpfen kann und
wird, erklären diesen Kurs nur bedingt. Vielmehr bildet die Krise der
Globalisierung, die verschärfe Konkurrenz zwischen den alten und neuen
Großmächten den Hintergrund, vor dem solche Wendungen verstanden werden müssen.
Die Konkurrenz zwischen den imperialistischen Hauptmächten USA und China, aber
auch Japan, Russland und Führungsmächten der EU (insbes. Deutschland und
Frankreich) nimmt eine immer größere Schärfe an, was auch bedeutet, dass der
exklusive Zugang zu Märkten und ganzen Kontinenten umkämpft ist. So haben sich
die USA unter Trump von multilateralen Übereinkünften wie dem Pariser
Klima-Abkommen verschiedet, weil sie – durchaus nicht unrealistisch – davon
ausgehen, dass sie einzelnen Staaten politisch und wirtschaftlich (und
natürlich auch in Klimafragen) viel leichter und umfassender ihre Bedingungen
diktieren können als in multilateralen Verhandlungen und Abkommen. China vorfolgt
in dieser Konkurrenz ein eigenes Projekt aufgelegt – die „Neue Seidenstraße“.
Für Deutschland fungiert die EU auch als imperialer Herrschaftsraum, in den die
Länder Süd- und Osteuropas als halbkoloniale Gebiete inkorporiert sind.

All dies verdeutlicht, dass die Verschärfung der ökologischen Probleme untrennbar mit dem imperialistischen Entwicklungsstadium des Kapitalismus verbunden ist – und die ökologischen Fragen ohne Sturz des imperialistischen Weltsystems und dessen Ersetzung durch eine sozialistische Planwirtschaft nicht lösbar sind.

Umwelt-Imperialismus

Die Externalisierung von negativen sozio-ökologischen Auswirkungen entsteht
naturwüchsig in allen Ländern, wo kapitalistische Produktionsweise vorherrscht.
Die Expansion des Weltmarktes, die Abschaffung von Regulierungen und die
Durchsetzung des Neoliberalismus verschärfen diesen Prozess nur. Im Rahmen der
imperialistischen Weltordnung geht er notwendigerweise mit einer Abwälzung und
Auslagerung der Kosten der reichen, imperialistischen Länder auf die
halbkolonialen einher. Hierbei ist – wie in der Kapitalanalyse generell – immer
zwischen der stofflichen und der Wert-Seite dieser Transfers zu unterscheiden.

Die Stellung der „armen“, also halbkolonialen Länder innerhalb der
internationalen Arbeitsteilung reflektiert das. Die reichen Länder importieren
energie-, flächen- und umweltintensive Rohstoffe und Konsumgüter und
exportieren kapital- und mehrwertintensive Industrieprodukte und
Dienstleistungen.

Die armen Länder hingegen orientieren sich auf die Produktion für den
Export von entsprechenden Rohstoffen oder Gütern, wodurch ihre
sozio-ökologischen Probleme ständig verschärft werden. Grundlage hierfür ist
die sich immer weiter verstärkende Konzentration von Kapital in den
imperialistischen Zentren (USA, Kanada, West- und Mitteleuropa, Japan, China
und Russland). Die großen Kapitale kontrollieren einerseits die jeweils gerade
entscheidenden Technologien, die durch überlegene Produktivität Kosten- und
Preisvorteile ermöglichen. Dadurch sind sie in der Lage, sich immer mehr Wert
anzueignen, der von kleineren, unproduktiveren Kapitalen hergestellt wird (und
letztere sind zumeist in den nicht-imperialistischen Ländern angesiedelt).
Andererseits bestimmen die großen Kapitale auch durch massiven Kapitalexport
die für die abhängigen Länder ungünstige ökonomische Struktur. Dieser
Kapitalexport kann sich sowohl in direkten Investitionen und dem Aufbau von
Zulieferketten als auch in wachsender öffentlicher und privater Verschuldung
ausdrücken.

In der bürgerlichen ökonomischen Theorie wird von einer „Senke der
Wertschöpfungskette“ gesprochen: Die „wertvollsten“ Tätigkeiten bei der
Herstellung eines Produkts wie Erfindung, Design, Marketing und Verkauf werden
den „minderwertigen“ Tätigkeiten der Rohstoffextraktion und der nötigen
Handarbeit bei der Produktion gegenübergestellt. Hier werden die wahren Quellen
des Wertes, die Verausgabung von notwendiger menschlicher Arbeitskraft und
natürlicher Ressourcen, verschleiert. Es wird aber auch klar, dass sich diese
„Senken der Wertschöpfung“ immer mehr in die abhängigen Länder verschieben. Je
ausbeuterischer, ressourcenverbrauchender und umweltschädlicher, umso mehr
werden die Industrien und zugehörige Bereiche in die halbkoloniale Welt
ausgelagert. Energie-, flächen- und umweltintensive ebenso wie
arbeitsintensive, monotone und gefährliche Produktion verschwindet immer mehr
in diese Länder, während in den imperialistischen Zentren die „sauberen“
Dienstleistungen, die Steuerungstätigkeiten und immer weniger werdende Endfertigungen
verbleiben.

Dieser Prozess darf nicht einfach mit einer „Deindustrialisierung“ der
imperialistischen Länder verwechselt werden, sondern bedeutet vielmehr, dass
wir es mit einer internationalen Arbeitsteilung zu tun haben, die zu einer bloß
selektiven und abhängigen Industrialisierung der restlichen Welt unter der
Kontrolle durch die Großmächte führt. Daher gehen die Investitionen und
kapitalistischen Projekte in den „armen“ Ländern notwendigerweise mit einer
extremen Verschärfung der Ungleichheit einher – wie sich gerade in den „Schwellenländern“
wie Indien, Brasilien oder Südafrika zeigt. Diese ungleichzeitige und
kombinierte Entwicklung, bei der wichtige moderne Produktionsstätten mit
extremer Rückständigkeit und Armut einhergehen, stellt ein Kennzeichen der
gesamten imperialistischen Epoche dar, wie es heute handgreiflich in allen
„Mega-Cities“ des Südens hervortritt. Alle diese extreme Ungleichzeitigkeit der
Entwicklung verschärft die ökologische Frage im Verhältnis von Stadt und Land
wie auch im Rahmen der Urbanisierung.

Die ökonomische Entwicklung der semikolonialen Länder verharrt aufgrund der
Dominanz des Finanzkapitals, das institutionell, politisch und militärisch
durch die Großmächte abgesichert wird, in struktureller Abhängigkeit. Die Profite
werden von den international operierenden Konzernen und Unternehmen angeeignet,
deren Zentralen sich in den imperialistischen Ländern befinden, weshalb die
Profite kontinuierlich in diese abfließen – womit der Kreislauf von vorne
beginnt. Während zu Beginn der imperialistischen Epoche die kapitalarmen Länder
vor allem Lieferanten billiger Rohstoffe im Austausch gegen Industrieprodukte
aus den imperialistischen Zentren waren, so wurde dies inzwischen durch eine
neue Form der Arbeitsteilung ergänzt. Im Zuge einer immer globaleren Produktion
werden inzwischen auch die Endpunkte von globalen Wertschöpfungsketten in
halbkolonialen Ländern angesiedelt wie z. B. in der Elektronik- und
Textilindustrie. Die Hälfte des Welthandels besteht heute aus Zwischenprodukten.
Neben Rohstoffen und Konsumgütern sind die halbkolonialen Länder für die
Zentren auch als Standorte billiger Zulieferindustrien interessant. Dabei wird
nicht nur Ausbeutung und Umweltzerstörung in die halbkoloniale Welt
externalisiert – die zum Teil absurde Verteilung von Produktionsketten auf die
ganze Welt und die damit verbundenen riesigen Transportflotten in der Luft, auf
dem Wasser, der Straße etc. sind selbst schon eine massive Form ökologischer
Verschwendung im Interesse kurzfristiger Kostenvorteile der großen Konzerne.

Die Handelsbeziehungen zwischen armen, halbkolonialen Ländern einer- und
imperialistischen Ländern andererseits basieren auf einem Werttransfer, der
Aneignung eines großen Teils des geschaffenen Reichtums durch die
imperialistischen Zentren, wo nach wie vor der größte Teil des Kapitalstocks
konzentriert bleibt. Dieser Werttransfer spiegelt sich in einer Arbeitsteilung
wider, die mit der Fixierung der von den Zentren dominierten Ökonomien auf
bestimmte Produkte einhergeht. Der Werttransfer zugunsten des globalen
Finanzkapitals bestimmt wesentlich die Entwicklungsrichtung dieser Länder und
reproduziert, ja verstärkt beständig deren Abhängigkeit.

Diese Strukturen drücken sich in einem ökonomisch wie ökologisch „ungleichen“
Tausch aus. Die (verschiedenen) Theorien des ökonomischen ungleichen Tausch
beziehen sich auf ein quantitatives Problem im Austausch von Wert und gehen von
einem systemischen Werttransfer von den halbkolonialen zu den imperialistischen
Ländern aus, was sich einigen dieser Theorien zufolge auf den Tausch von mehr
Arbeitskraft für weniger zurückzuführen lässt.

Das Konzept des ökologisch ungleichen Tauschs hat analog dazu den Austausch von mehr ökologischem Gebrauchswert (oder Naturprodukten) gegen weniger als Grundlage und bezieht sich somit auf die qualitativen Aspekte von Gebrauchswert (vgl. Foster und Hollemann 2014, S. 205 und 207). Foster und Hollemann (2014, S. 227) definieren ökologisch ungleichen Tausch als „den disproportionalen und unterkompensierten Transfer von Materialien und Energie von der Peripherie zu den Zentren, und die Ausbeutung von Umweltraum innerhalb der Peripherie für intensive Produktion und Müllentsorgung.“

Während klassische marxistische Theoretiker wie Otto Bauer von den
Unterschieden in der organischen Zusammensetzung des Kapitals von
kapitalistisch fortgeschrittenen und rückständigeren Ländern als Ursache für
ökonomisch ungleichen Tausch ausgehen, haben spätere Autoren wie Emmanuel
argumentiert, dass die hohen Lohnunterschiede zwischen den Ländern die Ursache
seien (vgl. Howard und King 1992, S. 190). Aus diesen Theorien wurden
reformistische Konzepte abgeleitet, die zumeist davon ausgehen, dass durch
regulative Eingriffe und „Import-Substitution“ in den halbkolonialen Ländern
ein gerechter, freier Welthandel erreicht werden könne. Sie tragen den Fehler
in sich, dass sie ein Symptom (die ungleichen Bedingungen auf dem Weltmarkt)
für die (kurierbare) Ursache verkennen. Die ungerechten Weltmarktbedingungen
sind jedoch nur die Folge: Nicht die Organisation der Warenzirkulation ist das
Entscheidende, sondern die Form der Kapitalakkumulation, die ihren
Bewegungsschwerpunkt in den imperialistischen Zentren hat. Nur der
international koordinierte Kampf gegen die Macht der Konzerne und gegen die mit
ihnen verbundenen politischen Mächte kann diese strukturell bedingte
Abwärtsspirale der armen Länder brechen. Zu diesem koordinierten Kampf ist nur
die international organisierte ArbeiterInnenklasse in der Lage, die sich auch
mit denjenigen verbinden muss, die gegen die ökologischen und agrarischen
Zerstörungen dieses Systems aufstehen.

Die internationale Arbeitsteilung zu Gunsten der reichen Länder hat eine
extreme sozio-ökologische Ungleichheit zwischen den reichen und den armen
Ländern hervorgebracht. Diese unbestreitbare Tatsache ist auf dem Boden des
Kapitalismus selbst ein Resultat der von den imperialistischen Zentren
bestimmten Kapitalbewegung. Die Problematik bei den Theorien des ökologischen
ungleichen Tausches besteht freilich darin, dass sie in der stofflichen Seite
des Transfers die Ursache, wenn nicht den Kern des Problems erblicken, daher
die begriffliche Scheidung von Gebrauchswert und Wert/Tauschwert verwässern und
verwirren und damit einen Schritt zurück hinter die Errungenschaften der
Marxschen Theorie darstellen. Dies trifft auch auf die Arbeiten von Foster und
Hollman (2014) zu, wie ihre oben zitierte Definition des ökologisch ungleichen
Tausches und ihr positiver Bezug auf Howard Odums Konzept von „emergy“
verdeutlichen. Dieses Konzept soll ein gemeinsames energetisches Maß zur
Messung von realem Reichtum und Gebrauchswert darstellen, so dass ungleicher
Transfer von Gebrauchswert anhand ungleicher Energiebilanzen dargestellt wird.
Damit wird freilich selbst ein willkürliches und strittiges Moment zum
Vergleich von Gebrauchswerten eingeführt, das Odum und seine SchülerInnen
letztlich dazu führt, auf Geld als Maß des Gebrauchswerts zurückzugreifen (und
zu einem Streit darum, wie weit und ob das zulässig sei). Die ganze Konfusion
ergibt sich jedoch nicht zufällig, sondern daraus, dass versucht wird, eine
alternative, gemeinsame Substanz der Werte außerhalb der in den Waren
vergegenständlichten gesellschaftlichen Arbeit zu finden.

Typisch für diese Theorien ist dann, ein Hauptaugenmerk auf die Verteilung
von Einkommen und Ressourcen zu legen, nicht auf die Bewegung der
Kapitalakkumulation. So verweist Lessenich darauf, dass die Ungleichheit im
Weltmaßstab noch größer als die Ungleichheit zwischen den Reichsten und Ärmsten
innerhalb einzelner Länder sei. Solche Verweise haben eine Berechtigung, wenn
es darum geht, auf Unrecht und Ungleichheit hinzuweisen. Der Verweis auf „arm“
und „reich“ bezieht sich jedoch nur auf das Verhältnis von
EinkommensbezieherInnen. Die ihr zugrunde liegenden Klassenverhältnisse werden
ausgeblendet oder tendenziell als nachrangig betrachtet, womit die Ausbeutung
von Arbeitskraft in den imperialistischen wie in den halb-kolonialen Ländern
nicht mehr im Zentrum der Analyse steht.

Lessenich (2016) umschreibt diese Verhältnisse mit dem Begriff
„Externalisierungsgesellschaft“, Brandt und Wissen (2017) sprechen von
„imperialer Lebensweise“. Beide Begrifflichkeiten verfehlen den Kern der
kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Sie lassen die
Machtverhältnisse und die Möglichkeiten, die herrschende Ordnung zu gestalten
und zu verändern, außen vor oder räumen ihr einen untergeordneten Stellenwert
ein. Denn die herrschende Gesellschaftsordnung ist im Wesentlichen eine Ordnung
im Sinne der herrschenden Klasse, im Kapitalismus eine des Kapitals. Ob die
herrschende Klasse mehr oder minder erfolgreich darin ist, untergeordnete,
subalterne und ausgebeutete Klassen und Schichten dabei mit einzubeziehen und
ihre Ordnung damit zu stabilisieren oder nicht, ändert dieses grundlegende
Verhältnis nicht.

Wie Thomas Sablowski (2018) zeigt, blendet die These der „imperialen
Lebensweise“ die Klassenfrage letztlich aus. Die meisten Menschen in den
imperialistischen Ländern würden Bandt/Wissen zufolge „auf Kosten der Natur und
der Arbeitskräfte anderer Weltregionen“ leben. Alle Gesellschaftsmitglieder –
von der/dem superreichen KapitalbesitzerIn bis zum prekär Beschäftigten oder
Langzeitarbeitslosen – wären in eine gemeinsame „Lebensweise“ oder
„einheitliche Konsumnormen“ eingebunden, der Unterschied wäre letztlich bloß
quantitativ. So problematisch es schon ist, den Armen und Reichen eine
gemeinsame „imperiale Lebensweise“ zu unterschieben, so enthält die ganze
Theorie eine Reihe falsche politischer Konsequenzen. Erstens wird der Blick auf
den individuellen Konsum und weg von der Produktion gelenkt. Zweitens
unterstellt die Theorie ein gemeinsames Interesse von AusbeuterInnen und
Ausgebeuteten, dem gegenüber der Klassengegensatz in den Hintergrund tritt –
und zwar nicht nur in den Zentren, sondern spiegelbildlich natürlich auch in
den „peripheren Ländern“. Nicht die Klasse der Lohnabhängigen und deren
gemeinsamer internationaler Kampf, sondern entweder individuelles „Ausscheren“
aus der „imperialen Lebensweise“ (z. B. durch Kauf von regionalen Bioprodukten)
oder klassenübergreifende und letztlich nationalistische Allianzen in den
abhängigen Ländern bilden die politisch fatale, aber logische Folge aus dieser
Theorie.

So sehr diese Erklärungen auch das Verdienst haben mögen, den Blick auf
wichtige Erscheinungsformen der ökologischen Verheerungen zu werfen, so greifen
sie theoretisch zu kurz und führen politisch in eine Sackgasse, ja im
Extremfall zu reaktionären Schlussfolgerungen.

Die Ganzheit dieses globalen kapitalistischen Regimes kann treffender als
Imperialismus, bezogen auf die ökologische Frage als umweltbezogener
Imperialismus oder Umweltimperialismus bezeichnet werden. Der Begriff des
Imperialismus wurde und wird in der bürgerlichen Theorie heute oft als
geopolitischer Begriff verstanden, als Umschreibung des Kolonialismus der
europäischen Mächte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (auch wenn z. B.
der Schöpfer des Begriffs, der britische linksliberale Ökonom Hobson die Wurzel
des Imperialismus im ökonomischen Expansionsstreben des Kapitals ortete).

Lenin hat in seiner berühmten Schrift über Imperialismus den Begriff
weiterentwickelt und marxistisch interpretiert. Der Imperialismus beschreibt
ein bestimmtes Entwicklungsstadium des Kapitalismus, in dem sich Finanz- und
Industriekapital zu großen Kapitalgruppen vereinen – wobei ersteres die
Oberhand über letzteres gewinnt –, die ganze Welt der kapitalistischen
Verwertung erschlossen wird und der Kapitalexport der reichen,
imperialistischen Länder die Verhältnisse auf den Weltmärkten bestimmt (Lenin
1975 [Original: geschrieben 1916, zuerst veröffentlicht 1917]). Der Imperialismus
geht mit einer Aufteilung der Welt unter einige wenige Großmächte einher, die
auf einer gewaltigen Konzentration des Kapitals in den imperialistischen
Zentren beruht und zu deren Sicherung dient. Die politische Ordnung des
Imperialismus schafft Institutionen, die die weltweiten Geschäfte der großen
Kapitalgruppen absichern. War dies zu Beginn der imperialistischen Epoche der
Kolonialismus, so kann der Imperialismus heute zumeist auf direkte koloniale
Verwaltung verzichten. Die weltweiten Verschuldungs-, Währungs- und
Investitionsstrukturen erzeugen über Institutionen wie den Internationalen
Währungsfonds, die Weltbank, die internationalen Handelsorganisationen etc.
zusammen mit bilateralen Kredit- und Handelsabkommen zumeist genug Druck zur
indirekten Herrschaftssicherung. Sollte es dennoch Abweichungen geben, existieren
immer noch genug Mittel für militärische, para-militärische oder politische
Interventionen, die zur Unterwerfung führen. Oft genügt aber schon die
Androhung von Kapitalabzug oder von Handelssanktionen, verbunden mit Währungs-
und Börsenturbulenzen, um das Einlenken ungehorsamer Regierungen zu bewirken.
Die Form der Beherrschung hat sich zwar liberalisiert, aber dafür ist die
Ausbeutung umso intensiver geworden und hat die ganze Welt in eine immer
stärker vernetzte globale Arbeitsteilung eingebunden, die im Interesse der in
den imperialistischen Zentren konzentrierten Kapitale funktioniert. Der
koloniale Status für die armen Länder wurde daher durch einen halbkolonialen
ersetzt.

In seiner Imperialismustheorie verweist Lenin auch schon darauf, dass die
imperialistische Ausbeutung mit bestimmten Formen des materiellen Transfers von
Kolonie/Halbkolonie zu den imperialistischen Zentren einhergeht; vor allem aber
hebt er gegenüber dem Kolonialismus die zentrale Bedeutung des Kapitalexportes
hervor.

Um die ökologische Dynamik des Kapitalismus zu verstehen, muss an diesem
Verständnis angeknüpft werden und müssen die Material- und Energieflüsse
zwischen den imperialistischen und halbkolonialen Nationen als Teil des
imperialistischen Gesamtsystems begriffen werden.

Diese hat notwendigerweise auch Folgewirkungen auf die Klassenstruktur in
den imperialistischen Zentren – nicht nur hinsichtlich der Bereicherung der
herrschenden Klasse, der oberen Schichten des KleinbürgerInnentums und der
Mittelschichten, sondern auch für die ArbeiterInnenklasse. Ein bedeutender Teil
der Lohnabhängigen kann über einen Anteil an der Ausbeutung der „Dritten Welt“
integriert werden, kann über längere Perioden Einkommen erkämpfen, die über den
Reproduktionskosten liegen, die eine dem KleinbürgerInnentum ähnliche
Lebensweise erlauben, wenn auch oft mit enorm hoher Ausbeutung verbunden (was
sich z. B. in der enormen Arbeitsproduktivität und Intensität der Beschäftigen
in der Exportindustrie zeigt).

Der Kapitalismus kann sich das nur unter drei Bedingungen leisten: (i) eine
ständige Expansion der Kapitalakkumulation, (ii) die Extraktion von Extraprofiten
aus armen Ländern und (iii) die systematische Externalisierung seiner
sozio-ökonomischen Auswirkungen. Die soziale Stabilisierung „zu Hause“ durch
die Externalisierung negativer sozialer und ökologischer Folgen des
Kapitalismus bildet somit ein zentrales, herrschaftsstabilisierendes Element
dieses Systems. In den halbkolonialen Ländern werden dafür Rohstoffe
geplündert, Landstriche und Wasserressourcen zerstört, Bevölkerungen entwurzelt
und zwangsumgesiedelt, Kleinbäuerinnen und -bauern von ihren Felder vertrieben,
Wälder gerodet und geplündert. Das kennzeichnet das System des
Umweltimperialismus und erklärt das „Umweltparadoxon“.

Der Imperialismus hatte für die imperialisierte Welt immer schon
verheerende sozio-ökologische Auswirkungen. Die Art der imperialistischen
Ausbeutung hat sich jedoch verändert: Anfänglich waren Kolonialgesellschaften,
Aktiengesellschaften für bestimmte Ausbeutungsprojekte, große
Schuldverschreibungen an bestimmte Staaten etc. vor allem an der extensiven
Ausbeutung ganz bestimmter Reichtümer ausgerichtet. In der Epoche nach dem Zweiten
Weltkrieg wurde dies durch direkte Investitionen und Zweigstellen der großen
Kapitale in der halbkolonialen Welt ergänzt. Inzwischen wurde die extensive
Ausbeutung durch ein System der intensiven Ausbeutung in einer von den großen
Kapitalen global ausgerichteten Arbeitsteilung weiterentwickelt. Flexible
Finanzströme erlauben die rasche Verlagerung von Produktions- und
Handelsströmen gemäß den Ausbeutungsbedingungen. Direkte Zweigstellen wurden
durch Ketten von indirekt abhängigen Zulieferbetrieben abgelöst. Immer größer
konzentrierte Kapitalgruppen kontrollieren unüberschaubare Netze von
untergeordneten Firmengruppen, die weltweit vernetzt sind.

So wird der weltweite Agrarmarkt für Sojaöl, -mehl, -bohnen, Palm- und Rapsöl,
Mais, Weizen, Grobgetreide und Zucker heute von fünf Großkonzernen aus den USA,
den Niederlanden und China kontrolliert, die allein auf sich 70 % des
Weltmarktes konzentrieren (Herre 2017, S. 26). Diese beherrschen nicht nur die
Marktbedingungen für ZulieferInnen und AbnehmerInnen, sondern können sich auch
über Warenterminbörsen und ihre Derivate gegen Marktschwankungen absichern,
ganz im Gegensatz zu den von Preisschwankungen betroffenen Bevölkerungen. Dabei
sind die Rohprodukte nur noch das grundsätzliche Standbein der Konzerne,
während die Weiterverarbeitung nicht nur für Lebensmittel zur viel
interessanteren Gewinnquelle geworden ist (z. B. wird Palmöl auch für
Reinigungsmittel, Kosmetik und zur Energiegewinnung genutzt). Ähnliche Konzentrationsprozesse
finden sich auch bei der Fleischindustrie, Agrartechnologie und
Lebensmittelkonzernen. Darüber hinaus wird die Agrarproduktion immer stärker
von Pharmaunternehmen (Saatgutindustrie) und Chemiekonzernen (Pestizide,
Gentechnik) bestimmt. Mit der Fusion von Bayer und Monsanto wird der Weltmarkt
für Saatgut und Pestizide unter nur mehr 4 Großkonzerne aufgeteilt. Insgesamt
führt diese Konzentration und globale Ausrichtung von Agrar- und
Lebensmittelindustrie zu einer katastrophalen sozio-ökologischen Schieflage. Z. B.
hat die globale Konzentration der Agroproduktion zu einer Vernichtung der
agrarischen Selbstversorgung ganzer Regionen u. a. in Lateinamerika und Afrika
geführt, die abhängig von den Importen billiger Agrarprodukte der weltweiten
Agroindustrie geworden sind. Erschütterungen der Weltagrarmärkte – wie z. B.
nach 2009, als alle wesentlichen Agrarpreise sich in kurzer Zeit verdoppelten –
führen sofort zu massiven Versorgungsproblemen und Hungerkatastrophen.

Diese Aufzählung von Konzentrationsprozessen lässt sich auch in Bezug auf
die extraktiven Industrien wie z. B. Bergbau und Energie fortführen. Mit
ihren Großplantagen zum Anbau von Pflanzen für Energiegewinnung oder als
Rohstoffe für die verarbeitende Industrie überschneiden sich Agroindustrie und
klassische Industrie auch zunehmend. Ob durch die Agroindustrie, Energie- und
Bergbau oder Fleischindustrie – die von wenigen großen Konzernen für ihre
Kapitalverwertung beherrschten und vernutzten Flächen steigen jährlich in
atemberaubendem Tempo.

Alle Proteste der Betroffenen in den Halbkolonien gegen die Projekte der
großen Agro-, Saatgut-, Bergbau-, Energieunternehmen etc. führen sofort zum
Auftreten der internationalen GeldgeberInnen und Institutionen, die die
Regierungen vor Ort dann meist als willige Vollzugsorgane vorfinden. Ob
Proteste gegen Staudammprojekte, Landvertreibungen, Preis- und Abnahmediktaten
bei Saatgut oder Düngemitteln oder Lebensmitteln, gegen massive Rodungen z. B.
im Interesse der Fleischindustrie etc. – überall hier zeigt der
Umweltimperialismus sein wahres, brutales und repressives Gesicht. In den
imperialistischen Zentren wird die tatsächlich betriebene Raubbau-Politik dann
mit zynischen Kampagnen über angeblich „nachhaltige“ und für die Menschen vor
Ort gerechte Produktion verbunden. Öko-Siegel und Alibi-Öko-Projekte der
Großkonzerne sind zumeist nichts anderes als „green-washing“ für
imperialistische Ausbeutung und Zerstörung. Nur eine Zerschlagung der Macht der
großen internationalen Konzerne könnte es den Kleinbauern/-bäuerinnen und Landlosen
in der semikolonialen Welt ermöglichen, zu einem Ausgleich zwischen notwendiger
Selbstversorgung der einheimischen Bevölkerung und den inzwischen erreichbaren
Standards für ökologisch nachhaltige Landwirtschaft zu kommen (z. B. durch
regional selbst erzeugtes und gemeinschaftlich verwaltetes Saatgut).

Lenin hat im Zusammenhang mit seiner Imperialismustheorie auch auf die
Bildung einer privilegierten Schicht in den imperialistischen Ländern innerhalb
der ArbeiterInnenklasse, der sog. Arbeiteraristokratie, hingewiesen. Diese
ArbeiterInnenaristokratie wird in besonderem Maße in das weltweite System des
Imperialismus einbezogen und profitiert von guten, sich verbessernden
Arbeitsbedingungen und steigenden Löhnen. Sie ist die Basis für einen
weitverbreiteten Reformismus und eine ArbeiterInnenbürokratie in den
imperialistischen Ländern und einigen entwickelteren Halbkolonien. Die
ArbeiterInnenbewegung kann sich nicht internationalisieren und ihr
revolutionäres Potential entfalten, solange sie von diesen reformistischen
Strömungen dominiert ist.

Grundsätzlich unterminiert die Entwicklung des Kapitalismus heute die
Stellung der ArbeiterInnenaristokratie in den imperialistischen Zentren, was
einerseits den Nährboden für Konflikte und Klassenkampf, andererseits auch für
reaktionäre populistische und nationalistische Lösungen bilden kann. Um diese
Schichten wie die ArbeiterInnenklasse überhaupt für den Kampf um ihre
unmittelbaren Interessen wie für eine Lösung der ökologischen Fragen zu gewinnen,
muss freilich der sich objektiv verschärfende Klassenwiderspruch auch politisch
zugespitzt werden.

An dieser Stelle müssen wir auf unsere Kritik des Konzepts der imperialen Lebensweise zurückkommen. Diese TheoretikerInnen behaupten, dass auch die unteren Schichten in den reichen Ländern von der Verschiebung gewaltiger Ausbeutungs- und Umweltprobleme erfolgreich z. B. durch die günstigen Preise von Konsumgütern aller Art profitieren würden. Dadurch könnten die Ärmeren in den reichen Ländern ihren Lebensstandard – bzw. genauer gesagt: Konsumstandard – steigern. „So wäre es ohne die auf Kosten von Mensch und Natur andernorts hergestellten und ebendeshalb billigen Lebensmittel womöglich weitaus schwieriger gewesen, die Reproduktion der unteren Gesellschaftsschichten des globalen Nordens auch angesichts der tiefen Wirtschaftskrise seit 2007 zu gewährleisten.“ (Brand und Wissen 2017, S. 13)

Natürlich hat die Senkung der Lebenshaltungskosten durch günstigere
Konsumgüter auch einen stabilisierenden Aspekt. Vor allem aber erlaubte diese
(und zwar nicht erst seit 2007), sondern während der gesamten
Globalisierungsperiode, eine Senkung des Werts der Ware Arbeitskraft in den
imperialistischen Ländern. Diese hatte die Ausweitung des Billiglohnsektors
sozial erleichtert, mit zur Schaffung eines Millionenheeres von Working Poor
beigetragen und zur Steigerung der Ausbeutungsrate in den imperialistischen
Ländern!

Hier zeigen sich die reaktionären und antiproletarischen Seiten der
„Theorie“ von der imperialen Lebensweise, indem die Erhöhung der
Ausbeutungsrate der Lohnarbeit zu einem „Transfer“, nicht zugunsten des
Kapitals, sondern der ArbeiterInnenklasse umgedichtet wird. Denken wir diese
Annahme logisch zu Ende, so wäre jeder Lohnkampf, jeder Kampf gegen Hartz IV
usw. letztlich ein Kampf für einen höheren Anteil an der Ausbeutung der
halbkolonialen Welt und bloß ein Streit unter allen, die einer „imperialen
Lebensweise“ frönen würden.

Der Begriff „imperiale Lebensweise“ von Brand und Wissen (2017) suggeriert, dass die ArbeiterInnenklasse in den imperialistischen Ländern selbst zu einem Teil der herrschenden Klasse geworden sei. Das ist sie aber nicht. Sie stellt bloß einen im internationalen Kontext des globalen Kapitalismus relativ privilegierten Teil der unterdrückten und ausgebeuteten Klasse dar. Um den Kapitalismus zu bekämpfen, ist es zentral, diese Zusammenhänge und Mechanismen des Imperialismus und deren Wirkungen auf die ArbeiterInnenklassen sowohl in den imperialistischen, in den sog. Schwellenländern als auch in den Halbkolonien zu verstehen. Die ArbeiterInnenklasse des Nordens muss den Kampf gegen den sozio-ökologischen Raubbau im Süden als ihren aufgreifen, bei dem es letztlich um das Überleben der gesamten Menschheit geht. Wenn Menschen zu tausenden aufgrund dieses Raubbaus aus dem Süden in den Norden fliehen, heißt es schnell: „Fluchtursachen bekämpfen“ – tatsächlich bildet die eigentliche Ursache der Imperialismus und solche Phänomene, bei denen die Auswirkungen dieses imperialistischen Systems vor aller Augen sichtbar werden, müssen zu der Schlussfolgerung führen, dass dieses insgesamt bekämpft werden muss. Jedes Programm im Kampf gegen den Imperialismus muss daher von den Betroffenen und den globalen Interessen der ArbeiterInnenklasse ausgehend auch zentral Forderungen zum Kampf gegen den weltumspannenden ökologischen Raubbau zu Lasten vor allem der Halbkolonien entwickeln.

Der grundlegende Widerspruch zwischen Kapitalismus und der Umwelt

Eine nachhaltige Wirtschaftsweise ist im Kapitalismus unmöglich. Jede/r
einzelne KapitalistIn sowie das Gesamtsystem ist zu der permanenten Steigerung
der Kapitalakkumulation gezwungen. Foster et al. (2010, S. 201) bezeichnen
diesen Zwang als „Tretmühle der Akkumulation“. Im herrschenden Diskurs wird
Akkumulation allgemein als Wachstum bzw. Wirtschaftswachstum bezeichnet.
Dahinter verbirgt sich ein grundlegendes Missverhältnis zwischen Gebrauchswert
und Tauschwert. Im Kapitalismus werden Waren, Güter und Dienstleistungen nicht
primär hergestellt, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um Wert anzueignen.
Der in einer Ware vergegenständlichte Wert (Tauschwert) ergibt sich aus der
gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, die zu ihrer Produktion notwendig
ist. Das bedeutet, dass dieser Wert abhängig von der sich gesellschaftlich
durchsetzenden Produktivität von Arbeit ist. Die Natur geht in die Bestimmung
des Tauschwertes nur insofern als „Kostenfaktor“ ein, wenn menschliche
Arbeitskraft notwendig ist, um sie nutzbar zu machen (z. B. die notwendige
Arbeit zur Extraktion eines Rohstoffes). Die von menschlicher Arbeitskraft
unabhängige Natur wird im Kapitalismus als Quelle von Wert ausgeschlossen (vgl.
Foster und Hollemann 2014, S. 216). Die Reproduktion von Arbeitskraft oder
Natur ist dieser Frage der möglichst günstigen Produktion der Waren
untergeordnet. Die Produktion dient nicht der Reproduktion, sondern umgekehrt:
Die Reproduktion der ArbeiterInnen und der Natur wird nur anerkannt, insofern
sie der Produktion von Mehrwert für das Kapital dient.

Darüber hinaus besteht im Kapitalismus als der Produktionsweise der
verallgemeinerten Warenproduktion (vgl. Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23
[Original: 1867]) der Hauptzweck der Produktion nicht mehr nur in der
Produktion von Wert an sich, sondern vor allem von Mehrwert. Die Mehrarbeit
über die zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendige Arbeit hinaus
vergegenständlicht sich in diesem Mehrwert, der zur Quelle des Profits für das
investierte Kapital wird. Damit wird für das Kapital der Produktionsprozess zum
Verwertungsprozess. Dies bestimmt das Wesen der Entwicklung der Produktivkräfte
im Kapitalismus. Produktivitätsfortschritt aus Sicht des Kapitals bedeutet,
weniger Arbeitskraft für dieselbe Produktionsmenge einsetzen zu müssen als die
Konkurrenz. Dies erlaubt es, entweder (a) bei gleichbleibenden Preisen einen
größeren Teil des gesellschaftlich produzierten Mehrwerts anzueignen
(Werttransfer in Richtung produktiveres Kapital), oder (b) durch niedrigere
Preise die Konkurrenz aus dem Markt zu drängen (Konzentration des Kapitals).
Pro Stück wird durch die Reduktion eingesetzter Arbeitskraft gegenüber dem
notwendigen Einsatz von Maschinen und Rohstoffen dabei jedoch immer weniger
Mehrwert erzielt, was zu einem tendenziellen Fall der Profitrate führt. Als
Folge ist das Kapital zur ständigen Ausweitung der Produktion gezwungen, um den
relativen Fall der Profitrate mit einem absoluten Wachstum der Profitmasse
auszugleichen. Daher ist das Kapital aus seinem Wesen als Verwertungs„maschine“
heraus zu beständigem Wirtschaftswachstum gezwungen. Durch jeden Einbruch des
Wachstums muss die Tendenz zum Fall der Profitrate sofort in eine
Verwertungskrise des Kapitals umschlagen.

Das Kapital muss beständig Auswege aus dem Fall der Profitrate suchen.
Neben der Tendenz zur Kapitalkonzentration und der Erschließung billiger
Finanzierungsquellen (z. B. Aktienkapital), zählen hierzu u. a.
Methoden der Intensivierung von Arbeit und zur Einsparung bei den materiellen
Grundlagen der Produktion („konstantes Kapital“, z. B. Energie- und
Rohstoffquellen). Das Kapital ist daher auch zur rücksichtslosen Ausnutzung
möglichst kostengünstig anzueignender Umweltressourcen gezwungen, um
Verwertungskrisen zu vermeiden – und wälzt somit seine Verwertungsprobleme als
langfristige Kosten von Umweltzerstörung auf „die Allgemeinheit“ ab.

Die kapitalistische Wirtschaft, die sogenannte Marktwirtschaft, ist auf
globaler Ebene ineffizient, was die Verteilung von Waren und Dienstleistungen
anbelangt. Gerne wird auf die sehr viel höhere Effizienz einer Marktwirtschaft
im Vergleich zu den bürokratischen Planwirtschaften des „real existierenden
Sozialismus“ hingewiesen. Im globalen Maßstab allerdings – und der Kapitalismus
kann nur global verstanden und beurteilt werden – funktioniert die Verteilung
extrem schlecht und ungerecht: Diejenigen, die bereits sehr viel haben,
bekommen ständig mehr, während diejenigen, die fast nichts haben, nach wie vor
am Existenzminimum und oft auch darunter verharren. Die kapitalistische
Wirtschaft – und mit ihr der Großteil des produktiven und kreativen Potentials
der ArbeiterInnen – ist weit mehr damit beschäftigt, ständig neue Feinheiten
für die zahlungskräftigen Mittel- und Oberschichten zu entwickeln und zu
vermarkten, als die grundlegenden Probleme der Welt zu lösen. Und selbst in den
imperialistischen Zentren nimmt der Lebensstandard großer Teile der ArbeiterInnenklassen
seit Jahrzehnten tendenziell ab.

An diesem grundlegenden Verhältnis ändert auch der wirtschaftliche
„Aufstieg“ der sog. Schwellenländer nichts. Länder wie Brasilien, Mexiko oder
Indien können ihre strukturelle Abhängigkeit und Unterordnung innerhalb der
globalen Ökonomie nicht überwinden. Mit einer Änderung der wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen schlittern diese Länder schnell wieder in eine heftige Krise
und die bescheidenen Verbesserungen für die ArbeiterInnenklassen und das
KleinbürgerInnentum, die in Zeiten des Exportbooms tendenziell erreicht werden
können, stehen damit ständig auf dem Spiel (während die gewaltigen Privilegien der
Eliten geschützt werden). Zur Überwindung der Krise greifen die Regierungen
dieser Länder dann zu den altbewährten Mitteln: einer Intensivierung der
Ausbeutung und der Exporte zulasten der ArbeiterInnen, Kleinbauern/-bäuerinnen,
der traditionellen Bevölkerungen und – nicht zuletzt und damit zusammenhängend
– der Umwelt.

Die große Ausnahme in diesem Szenario stellt China dar. Das Land hat es
aufgrund spezieller politischer und ökonomischer Konstellationen geschafft,
selbst in den erwählten Kreis der imperialistischen Länder aufzusteigen. China
hat systematisch daran gearbeitet, produktive Sektoren und die industrielle
Entwicklung im eigenen Land zu verankern, zu festigen und zu fördern.
Gleichzeitig ging mit der Entwicklung des chinesischen Kapitalismus eine
Umweltzerstörung und –inwertsetzung einher, deren Ausmaß in der Kürze der Zeit
in der Geschichte der Menschheit vermutlich einzigartig ist. Heute hat China
begonnen, selbst daran zu arbeiten, Kapital und negative sozio-ökologische
Auswirkungen in andere Länder und Regionen zu exportieren, auch wenn es das diesbezügliche
Niveau der klassischen imperialistischen Länder noch nicht erreicht hat.

Der Zwang zur permanenten Steigerung der Kapitalakkumulation bewirkt, dass sich der Kapitalismus ständig einerseits revolutionieren und andererseits ausdehnen muss. Nie wurde das besser auf den Punkt gebracht als im Kommunistischen Manifest: „Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. […] Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.“ (Marx und Engels 1988 [Original: 1848], S. 48 f.) Wie Lessenich (2016, S. 41 f.) anmerkt, gilt dieses Bedürfnis nicht nur für neue Territorien, sondern auch für weitere Möglichkeiten, die Verwertung des Kapitals auszuweiten wie z. B. die Ausdehnung auf neue Wirtschaftszweige (Privatisierung), für neue Personengruppen und -kategorien, die als Arbeitskräfte in (weltweite) Produktionsketten eingegliedert werden, für Fähigkeiten und Eigenschaften dieser Arbeitskräfte oder für neu zu erschließende profitable Geschäftsfelder (z. B. Gentechnik oder Biotechnologie).

Die Intensivierung der Ausbeutung, zu der das Kapital als entgegenwirkende
Ursache zum Profitratenfall drängt, bedeutet aber auch, dass es den
Produktionsprozess immer mehr selbst nach seinen Prinzipien umstrukturiert.
Setzt sich das Kapital zunächst als Käufer von Produktionsmitteln und
Arbeitskraft am Anfang und als Verkäufer von Waren ans Ende des
Produktionsprozesses, so erfordert der kapitalimmanente Produktivitätssteigerungszwang
ein intensives Durchdringen des Arbeitsprozesses und damit auch des
Stoffwechselprozesses mit der Natur selbst („Subsumtion des unmittelbaren
Produktionsprozesses“). Der Arbeitsprozess wird zergliedert, mit (im
kapitalistischen Rahmen gesteuerter) Wissenschaft und Technik verknüpft und
nach dem Verwertungsprinzip neu zusammengesetzt. So wird eine umfassende
Wertschöpfungskette geschaffen von der kostengünstigen Rohstoffaneignung, über
ausbeuterische Zulieferbetriebe, logistischer Optimierung von Endfertigung und
dazwischen liegendem Transport bis zu ebenso ausbeuterischen Verkaufs- und
Auslieferbetrieben hin zu den EndkundInnen. In dieser Intensivierung und
Verwissenschaftlichung der Verwertungsprozesse kommen natürliche
Reproduktionssysteme im Wesentlichen als zu minimierende Kostenfaktoren und
verwertungskonform zu erschließende Quellen für die Expansion der Produktion
vor. Wenn hier von „Nachhaltigkeit“ die Rede ist, dann nur, insofern sie die
Kostenziele insgesamt nicht wesentlich berührt und dann als billige
Marketingstrategie verwendet werden kann. Natürlich können Umweltgesetzgebungen
und Imageprobleme dazu führen, dass KapitalistInnen reagieren müssen. In diesem
Fall fällt eine bestimmte Form von Produktivitätssteigerung auch für die
Konkurrenz zeitweise aus – bis man entsprechende Schlupflöcher durch
Produktionsverlagerung oder Gesetzesänderungen durch Lobbyarbeit etc. gefunden
oder erreicht hat.

Auch wenn es den Kapitalismus historisch kennzeichnet, dass er nicht
erschlossene Territorien oder Bereiche der Kapitalverwertung unterordnet, so
sollte diese „Inwertsetzung“ von bisher nicht genutzten Ressourcen für die
Kapitalverwertung nicht absolut gesetzt werden: Mit Bezug auf Rosa Luxemburg
behaupten (vor allem feministische) ReproduktionstheoretikerInnen, die
fortgesetzte Kapitalakkumulation würde ein beständiges nicht-kapitalistisches
„Außen“ erfordern, das erst die Kapitalreproduktion auf immer erweiterter
Stufenleiter ermögliche. Marx hat dagegen im zweiten Band des „Kapital“ im
Schema der erweiterten Reproduktion (Das Kapital, Band 2, MEW 24, S. 485–520) gezeigt,
dass das Kapital, sobald es an die Grenzen des rein expansiven Wachstums stößt,
durch Wechsel zu intensivem sogar zu beschleunigtem fortschreitet. Durch
Investieren in die Ausweitung der Produktion mithilfe der geschilderten
Methoden der Subsumtion unter Verwertungsprinzipien schafft sich das Kapital
gleichzeitig die Nachfrage für die steigende Kapitalakkumulation selbst.
Dadurch werden auch neue, nicht-kapitalistische Bereiche für die Inwertsetzung
und damit für extensive Akkumulation erschlossen (z. B. Rohstoffe,
Arbeitsbereiche, Techniken etc., die bisher für die Kapitalverwertung nicht von
Interesse waren). Damit verschiebt sich die „Grenze“ der Kapitalexpansion in
jedem Kapitalverwertungszyklus neu, der Kapitalismus definiert sich sein
„Außen“ immer wieder von Neuem selbst.

Die Steigerung der Kapitalakkumulation ist historisch eindeutig mit dem
Verbrauch einer immer größeren Material- und Energiemenge gekoppelt. Zwar gibt
es Diskussionen, wonach es für hoch-entwickelte kapitalistische Ökonomien
möglich sei, das Wirtschaftswachstum – sprich die Kapitalakkumulation – von dem
steigenden Verbrauch von Ressourcen und Energie zu entkoppeln. Die Mechanismen
des Umweltimperialismus lassen es auf den ersten Blick sogar so erscheinen, als
sei eine solche Entkoppelung für einige fortgeschrittene Ökonomien tatsächlich
gelungen. So sinkt in Deutschland z. B. der Primärenergieverbrauch sowie der
direkte Ressourcenverbrauch, der sog. abiotische direkte Materialeinsatz, seit
1990, während das Bruttoinlandsprodukt ansteigt. Der abiotische direkte
Materialeinsatz erfasst jedoch nicht die Ressourcen, die im Ausland gewonnen
und verarbeitet werden, um nach Deutschland importierte Halb- oder Fertigwaren
zu produzieren. Werden diese miteinbezogen, dann ergibt sich ein anderes Bild.
Zwischen den Jahren 1994 und 2015 stiegen die Einfuhren an Fertigwaren um 109 %,
während die von Halbwaren um lediglich 12 % zunahmen. Die Importe von
Rohstoffen erhöhten sich um 23 %. Im selben Zeitraum sank die Gewinnung
von Energieträgern in Deutschland um 30 %, während die Importe um 43 %
anstiegen. Auch die Importe von Erzen und ihren Erzeugnissen (überwiegend
Metallwaren) stiegen um 46 % an, während z. B. die inländische
Gewinnung von mineralischen Baurohstoffen um 34 % sank (Umweltbundesamt
2017b). Das Umweltbundesamt schlussfolgert: „Die starken Anstiege der
Fertigwaren gelten gleichermaßen für metallische Güter wie auch für Produkte
aus fossilen Energieträgern, etwa Kunststoffe. Mit dem zunehmenden Import von
Fertigwaren werden rohstoffintensive Herstellungsprozesse mitsamt den meist
erheblichen Umwelteinwirkungen der Rohstoffgewinnung und -aufbereitung
verstärkt ins Ausland verlagert.“ (Ebenda) Werden die Importe und Exporte in
die Statistik mit einbezogen, was in dem Indikator Rohstoffverbrauch der Fall
ist, dann ist dieser für Deutschland nicht nur deutlich höher als der direkte
Materialeinsatz, sondern hat auch zwischen 2000 und 2011 um ca. 2 %
zugenommen. Da das BIP im selben Zeitraum deutlich stärker zunahm, stieg die
sog. Gesamtrohstoffproduktivität (relative Entkopplung), es konnte jedoch keine
absolute Entkopplung erreicht werden. Für den Energieverbrauch stellt das UBA
keine analoge Statistik, unter Berücksichtigung der Im- und Exporte, für
Deutschland zur Verfügung.

Die Natur erscheint im Kapitalismus als reine Ressource zur Vermehrung von Kapital, als notwendige Variable im Akkumulationsprozess. In der klassischen bürgerlichen Ökonomie sowie in der Neoklassik werden natürliche Ressourcen und Senken als „kostenfreie Geschenke“ angenommen, die es auszubeuten gilt (Foster et al. 2010. S. 61). Auch Marx wurde oft vorgeworfen, dass er mit seiner ökonomischen Theorie den Wert einer Ware rein auf die in ihr enthaltene menschliche Arbeit reduziert und deshalb die ökologische Basis der Ökonomie außer Acht gelassen habe. Foster et al. (2010, S. 61 f.) haben gezeigt, dass dieser Vorwurf auf einer Verwechslung von Wert und Reichtum basiert, die in der bürgerlichen Ökonomie als Synonyme verwendet werden. Nicht so jedoch bei Marx: „Der Mensch kann in seiner Produktion nur verfahren, wie die Natur selbst, d. h. nur die Formen der Stoffe ändern. Noch mehr. In dieser Arbeit der Formung selbst wird er beständig unterstützt von Naturkräften. Arbeit ist also nicht die einzige Quelle der von ihr produzierten Gebrauchswerte, des stofflichen Reichtums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty sagt, und die Erde seine Mutter.“ (MEW 23, S. 57 f.) In diesem Sinne kritisiert Marx in seiner Kritik am Gothaer Programm der SPD die Behauptung, dass die Arbeit die Quelle allen Reichtums sei: „Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft.“ (MEW 19, S. 15, Hervorhebungen im Original).

Ohne Zweifel war der Kapitalismus sehr erfolgreich darin, Gebrauchswerte in
großer Masse zu produzieren und in diesem Sinne ein großer historischer
Fortschritt gegenüber vorkapitalistischen Produktionsformen. Er hat die
Grundlage dafür gelegt, materiellen Mangel und Not auf der Welt für alle
Menschen zu überwinden. Doch mit zunehmender Entwicklung des Kapitalismus hat
sich ein grundlegendes Missverhältnis zwischen Gebrauchswerten und Tauschwerten
eingestellt. Letztere werden zunehmend auf Kosten ersterer produziert und
hergestellt. So führt z. B. die zunehmend massenhafte Produktion von
Fleisch für eine kaufkräftige Minderheit auf der Welt zu einer enormen
Profitmasse für die immer mehr monopolisierten ProduzentInnen, richtet
gesamtgesellschaftlich gesehen jedoch immensen Schaden an, da sie mit
zunehmender Umweltzerstörung und extremer Ausbeutung von Mensch und Tier
einhergeht und dabei den Hunger eines großen Teils der Menschheit nicht
verringert oder sogar verschärft. Noch offensichtlicher ist dieses inverse
Verhältnis zwischen Gebrauchs- und Tauschwert z. B. bei der
Rüstungsproduktion.

Dieses Missverhältnis ändert sich auch nicht in der neuen, grünen Ökonomie.
Um eine nachhaltige Wirtschaftsweise zu erreichen, ist aber genau seine
Überwindung notwendig. Das ist im Kapitalismus unmöglich. Durch die permanente
Steigerung der Kapitalakkumulation wird erstens sichergestellt, dass sich die
Profite des Kapitals allgemein ständig vermehren können (auch wenn natürlich
einzelne KapitalistInnen immer auf der Strecke bleiben). Zweitens werden
dadurch die Mechanismen des Umweltimperialismus aufrechterhalten. Die sog.
„Post-Wachstum-Theorien“ gehen fälschlich davon aus, dass der Zwang zur
Kapitalakkumulation innerhalb des Kapitalismus überwunden werden könne. Was sie
dabei ausblenden oder ignorieren, ist dass ohne permanente Steigerung der
Kapitalakkumulation der Kapitalismus noch vermehrt Massenarbeitslosigkeit und
-armut verursachen würde, auch und vor allem in den imperialistischen Zentren. So
kann im Kapitalismus selbst bei steigender
Kapitalakkumulation Arbeitslosigkeit entstehen oder zunehmen, z. B. durch
Automatisierung und Rationalisierung. Wachstum ist also keine hinreichende
Bedingung oder Garantie dafür, dass sich Arbeitslosigkeit verringert, jedoch
eine notwendige Voraussetzung im Rahmen des Systems.

Damit im Zusammenhang steht, dass im Kapitalismus als einzige Möglichkeit
zur Steigerung der Lebensqualität der Menschen die Steigerung ihrer
Konsumfähigkeit erscheint. Während die steigende Produktion von
Massenkonsumgütern zunächst ein bedeutender Fortschritt gegenüber
vorkapitalistischen Produktionsweisen war, um z. B. die Ernährungssicherheit
der Bevölkerung sicherzustellen und deren Lebensstandard zu erhöhen, hat sich
diese mittlerweile auch in einen absurden Fetisch verkehrt. Während z. B.
Bildung, Gesundheitsversorgung und Kultur entweder vernachlässigt werden
(Bildung), degenerieren (Kultur) oder selbst zu großen Teilen privatisiert
werden (Gesundheit), sprießen Einkaufstempel in vielen Ländern geradezu aus dem
Boden und werden als Inbegriff des Fortschritts verherrlicht.

Der Zwang zur permanenten Kapitalakkumulation ist ein struktureller Grund, warum im Kapitalismus keine nachhaltige Produktionsweise möglich ist. „Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug“, stellte bereits der antike Philosoph Epikur von Samos im 4. Jahrhundert vor unserer Zeit fest. Dieser Zwang führt aber nicht nur zu einem immer größer werdenden Verbrauch von Material und Energie, während gleichzeitig elementare menschliche Bedürfnisse nicht befriedigt werden, sondern auch zu grundlegenden Brüchen in den natürlichen und gesellschaftlichen Stoffkreisläufen. Marx, inspiriert durch die Arbeiten des deutschen Chemikers Justus von Liebig, hatte bereits erkannt, dass die kapitalistische Landwirtschaft nicht nachhaltig ist: „Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z. B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Das Kapital, Band 1, S. 529 f.) In früheren Gesellschaften wurden die Nährstoffe aus der Landwirtschaft zu einem großen Teil den Böden wieder zugeführt. Im Kapitalismus jedoch ist ein „Riss“ in diesem Kreislauf entstanden: „Auf der anderen Seite reduziert das große Grundeigentum die agrikole Bevölkerung auf ein beständig sinkendes Minimum und setzt ihr eine beständig wachsende, in großen Städten zusammengedrängte Industriebevölkerung entgegen; es erzeugt dadurch Bedingungen, die einen unheilbaren Riß hervorrufen in dem Zusammenhang des gesellschaftlichen und durch die Naturgesetze des Lebens vorgeschriebnen Stoffwechsels, infolge wovon die Bodenkraft verschleudert und diese Verschleuderung durch den Handel weit über die Grenzen des eignen Landes hinausgetragen wird.“ (Marx, Das Kapital, Band 3, S. 821)

Der steigenden Auslaugung und dem Verlust an Fruchtbarkeit der Böden wurde mit der Erfindung des Kunstdüngers im Haber-Bosch-Verfahren (technische Synthese von Ammoniak als Ausgangsstoff) begegnet, der endgültig das Zeitalter der Expansion der kapitalistischen Landwirtschaft einläutete. Viele KritikerInnen aus der neo-klassischen Ökonomie argumentieren deshalb, dass das Argument des „unheilbaren Risses“ in der Landwirtschaft überholt sei. Die Realität hat die KritikerInnen aber inzwischen eingeholt. Die industrielle Landwirtschaft hat zwar kurz- und mittelfristig Produktionssteigerungen erzielt, führt aber langfristig durch die permanente Überdüngung der Böden, verursacht durch industrielle Düngemittel und die Konzentration tierischer Extremente in industriellen Großbetrieben, die stets steigende Anwendung von Pestiziden im Ackerbau und Antibiotika in der Tierhaltung sowie die durch die Herstellung von industriellen Düngemitteln verursachten Treibhausgasemissionen zu vielen, enormen ökologischen und sozialen Problemen. Der Verlust an fruchtbaren Böden ist heute ein zunehmendes sozio-ökologisches Problem in vielen Teilen der Welt (vgl. Fritz 2010). Foster et al. (2010, S. 78) argumentieren, dass der „Riss“ im Nährstoffkreislauf der Landwirtschaft nicht überwunden, sondern verlagert wurde – in diesem Fall durch die massenhafte Verwendung und die daraus resultierende Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, die notwendig sind, um die Düngemittel zu produzieren. Sie weisen auch darauf hin, dass dieses Prinzip nicht nur für die Landwirtschaft, sondern für die gesamte kapitalistische Produktionsweise gilt, und sprechen in Anlehnung an Marx von einem ökologischen Riss im Kapitalismus. Die Logik des Kapitals und die permanente Konkurrenz und Expansion „[…] führen zu einer Reihe von Rissen und Verlagerungen, wobei Risse im Stoffwechsel kontinuierlich erzeugt werden und ihnen durch die Verlagerung auf andere Risse begegnet wird – typischerweise erst nachdem sie das Ausmaß einer Krise erreicht haben. Einem kurzsichtigen Beobachter mag es erscheinen, dass der Kapitalismus zu einem bestimmten Zeitpunkt einige Umweltprobleme erfolgreich bearbeitet, da in diesem Moment eine Krise gemindert wird. Ein weitsichtigerer Beobachter wird jedoch erkennen, dass neue Krisen entstehen wo alte vermeintlich gelöst wurden. Das ist unvermeidlich, da das Kapital zu einer konstanten Expansion gezwungen ist.“

Deshalb ist die Lösung der ökologischen Frage aufs Engste mit der Überwindung des Kapitalismus verbunden. Die Schaffung einer Perspektive für eine sozialistische Gesellschaftsordnung, die in der Lage ist, diese grundlegende Widersprüche zwischen der menschlichen Ökonomie und den natürlichen Bedingungen zu überwinden, bei gleichzeitiger Befriedigung der materiellen und immateriellen Bedürfnisse aller Menschen, ist die zentrale Herausforderung für RevolutionärInnen im 21. Jahrhundert.

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