Gefangen im Schatten der Unterdrückung: Patriarchale Gewalt an Dalit-Frauen in Indien

Night Ophelia, REVOLUTION, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung 12, März 2023

Die Situation von Frauen in Indien ist alles andere als homogen. Ihre Realität wird von Faktoren wie gesellschaftlicher Herkunft, Klassen- und Kastenzugehörigkeit, Nationalität und Religion geprägt. Ein kritischer Blick offenbart, dass insbesondere Dalit-Frauen, Angehörige der untersten Kaste, einer besonders unsicheren Lage ausgesetzt sind.

Allgemeines zum Kastenwesen

Das indische Kastensystem ist ein soziales Hierarchiesystem, das die Gesellschaft in verschiedene Gruppen oder Kasten einteilt, basierend auf Beruf und sozialer Stellung. Der Begriffe Kaste selbst stammt ursprünglich aus dem Portugiesischen und überlappt sich nur teilweise mit den indischen Begriffen jati (Gattung, Wurzel) und varna (Farbe), was der Einteilung in vier große Kasten am nächsten kommt: Brahmanen (traditionell intellektuelle Elite, Priester:innen), Kshatriyas (traditionell Krieger:innen, höhere Beamt:innen), Vaishyas (traditionell Händler:innen, Kaufleute, Grundbesitzer:innen, Landwirt:innen) und Shudras (traditionell Handwerker:innen, Pachtbauern/-bäuerinnen, Tagelöhner:innen).

Darunter stehen die Dalits und Adivasi (Indigene). Dazu ist zu sagen, dass die jeweiligen Kasten sich auch noch mal in Subkasten teilen können und das Kastensystem bereits jahrtausende vor der Kolonialisierung zurückreicht. Die Einteilung der Gesellschaft in Kasten entspricht historisch einer Produktionsweise, die selbst auf Gemeineigentum an Produktionsmitteln, einer relativ statischen Arbeitsteilung unter den Gemeindemitgliedern, die Agrikultur und Manufaktur verbindet, sowie einem zentralisierten Staatsapparat, der Beamte, Heer und allgemeine Infrastruktur zur Verfügung stellt, fußt.

Durch die Kolonisierung seitens der Brit:innen wird das Kastensystem keineswegs abgeschafft, sondern vielmehr für die Reproduktion kapitalistischer Verhältnisse umgewandelt, in gewisser Weise noch prägender. Während der Kastenwesen in der vorkapitalistischen Gesellschaft, die von Marx an mehreren Stellen als „asiatische Produktionsweise“ charakterisiert wurde, Ausdruck eine Gesellschaftsformation war, die auf dem Gemeineigentum an Grund und Boden basierte, so wurde das Kastensystem mit der Kolonisierung, mit der ökonomischen und gewaltsamen Zerstörung der traditionellen Dorfgemeinschaften zu einem Mittel, die privilegierte Rolle der nun mit der kolonialen Herrschaft verbundenen Eliten und das Privateigentum an Grund und Boden (wie an allen andere wichtigen Produktionsmitteln) zu legitimieren.

Vereinfacht gesagt sichert das Kastenwesen die Klassenverhältnisse, erschwert bis verunmöglicht sozialen Aufstieg und verfestigt somit die Spaltung der Gesellschaft wie auch innerhalb der Klasse der Lohnabhängigen. Klasse und Kaste sind miteinander verwoben, jedoch nicht als Synonym zu verwenden, da  die kapitalistische Produktionsweise selbst Druck auf das Kastenwesen ausübt und es formt.

Dies wird beispielsweise daran deutlich, dass in Indien Diskriminierung aufgrund der Kastenherkunft zwar formal verboten ist (Artikel 15 der indischen Verfassung oder bswp. Scheduled Castes and Scheduled Tribes [Prevention of Atrocities] Act). In Wirklichkeit verhindert aber ungleiche Kastenherkunft oft Heiraten und bestimmt generell Bildungschancen, Gesundheitsversorgung sowie rechtlichen Schutz.  Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Situation von Dalit-Frauen, auch als „Unberührbare“ bekannt, näher anschaut. Sie stehen am untersten Ende dieser Hierarchie und wurden historisch marginalisiert und diskriminiert.

Wer sind Dalit-Frauen?

Laut Zensus (Volkszählung) des indischen Staates von 2011 machen Dalits 16,6 % der indischen Bevölkerung aus, also rund 240 Millionen. Diese sind vor allem in den Bundesstaaten Uttar Pradesh (21 %), Westbengalen (11 %), Bihar (8 %) und Tamil Nadu (früher: Madras; 7 %) konzentriert und machen dort zusammen fast die Hälfte der Dalit-Bevölkerung des Landes aus. Gleichzeitig leben sie auch häufig in ländlichen Regionen und sind deswegen infrastrukturell schlechter angebunden.

Rund die Hälfte der Dalitbevölkerung sind Frauen und auch wenn sich die Diskriminierung auf beide Geschlechter erstreckt, sind diese doppelter Benachteiligung ausgesetzt. Die Verbindung zwischen dem Kastensystem und Patriarchat zeigt sich durch die Kontrolle über die weibliche Sexualität. Das Kastensystem wird durch die Einschränkung der sexuellen Autonomie von Frauen aufrechterhalten. Dies führt zu einem Klima, in dem sexuelle Gewalt und Vergewaltigung als Mittel der Unterdrückung und Machtausübung eingesetzt werden. Diese Gewaltakte dienen nicht nur der physischen, sondern auch der symbolischen Kontrolle, um die soziale Hierarchie aufrechtzuerhalten. Der Widerstand gegen diese Unterdrückung nimmt zu, da Dalit-Frauen und ihre Gemeinschaften für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung kämpfen. Doch bevor wir dazu kommen, ein paar Fakten.

Ökonomische Lage

Das Kastenwesen im Kapitalismus hat eine gesellschaftliche Arbeitsteilung manifestiert, die die unterste Kaste als landlos zurücklässt. So arbeitet der Großteil im informellen Sektor und Dalits sowie Adivasi stellen landesweit den größten Anteil an temporären Arbeitsmigrant:innen dar. Obwohl sie nur 25 % der Bevölkerung ausmachen, stellen sie offiziellen Schätzungen zufolge mehr als 40 % der saisonalen Migrant:innen. Praktisch arbeiten sie in der Landwirtschaft sowie im Baugewerbe und werden häufig in den gefährlichsten, anstrengendsten und umweltschädlichsten Bereichen der Wirtschaft eingesetzt. Auch Anstellung in Bereichen wie der Abwasserreinigung sind nicht untypisch,  die vor allem für den Status der „Unreinheit“ gesorgt haben, da diese von den oberen Kaste als entwürdigend angesehen wurden. Insbesondere diese Arbeit, die zwar gesetzlich verboten wurde, wird heute mehrheitlich von Frauen verrichtet und sorgt dafür, dass sie weniger verdienen als Männer.

Durch die strukturelle Einstellung in schlechter bezahlte, prekäre Jobs kommt es zu größeren Einkommensunterschieden zwischen den Kasten. Zwar hat sich das in den vergangenen Jahren geringfügig verbessert – an der generellen Ungleichheit ändert das jedoch wenig. Für Frauen kommt noch der Gender Pay Gap hinzu, der dafür sorgt, dass sie im gleichen Beruf weniger verdienen.

Ebenso problematisch ist Schuldknechtschaft, die nicht anderes ist als Zwangsarbeit oder moderne  Sklaverei. So können jüngere Mädchen beispielsweise – um Kosten für die Mitgift zu bezahlen – in Spinnereien angeworben werden. Die Eltern warten oft mehrere Jahre, bevor sie das Geld erhalten, das in der Regel niedriger ist als ursprünglich vereinbart. Aber auch die Vererbung von Schulden über Generationen  ist möglich.

Grundsätzlich dient das Kastenwesen dazu, einen segregierten Arbeitsmarkt zu verfestigen und reproduzieren, auf dem die Dalits einen Kern einer permanent überausgebeuteten Arbeiter:innenschaft darstellen, die strukturell gezwungen ist, in ihrer großen Mehrheit unter den Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft zu leben. Allein schon deshalb bildet das Kastensystem keineswegs einen „Überrest“ der Vergangenheit, sondern vielmehr einen integralen Bestandteil des indischen Kapitalismus.

Bildung

Eine Analyse der ILO auf Basis der Daten der Nationalen Stichprobenerhebung (NSS) deutet darauf hin, dass der Bildungsstand unter Dalits zugenommen hat, jedoch nicht in demselben Tempo wie bei den oberen Kasten. Während in den zwei Jahrzehnten nach 1983 Dalit-Männer eine Verbesserung von 39 Prozentpunkten (56 Prozentpunkte bei anderer Kastenzugehörigkeit) des Bildungsniveaus nach der Grundschule erreichten, sind es bei Dalit-Frauen nur 21 (38 Prozentpunkte bei Angehörigen der oberen Kaste). Ebenso ist die Abbruchquote innerhalb des Grundschulzeitraums hoch. Laut einer Analyse des IndiaGoverns Research Institute machten Dalits im Zeitraum 2012 – 2014 fast die Hälfte der Grundschulabbrecher:innen in Karnataka (früher: Mysore) aus. Das liegt jedoch nicht nur an der Diskriminierung, die während des Schulalltags passiert. Eine 2014 von ActionAid finanzierte Stichprobenerhebung ergab, dass von den staatlichen Schulen in Madhya Pradesh 88 Prozent Dalit-Kinder diskriminieren: So war es in 79 % der untersuchten Schulen Dalit-Kindern verboten, das Mittagessen anzurühren, und in 35 % befohlen, beim Mittagessen getrennt sitzen.

Der Hauptgrund dafür ist, dass die Einkommen der Familien nicht ausreichen, um diese zu ernähren und Kinder somit gezwungen werden, zu arbeiten, was wiederum schlechtere Anstellungsverhältnisse begünstigt.

Gewalt

Während Gewalt gegenüber Frauen ein Klassen (und Kasten) übergreifendes Problem und kastenbasierte Gewalt ebenfalls Alltag sind, wird hier das Ausmaß der gesellschaftlichen Stellung von Dalit Frauen sichtbar. Eine dreijährige Studie über die Erfahrungen von 500 Dalit-Frauen mit Gewalt in vier indischen Bundesstaaten zeigt, dass die Mehrheit mindestens eine der folgenden Erfahrungen gemeldet hat:

  • verbale Gewalt (62,4 %),

  • körperliche Übergriffe (54,8 %),

  • sexuelle Belästigung und Übergriffe (46,8 %),

  • häusliche Gewalt (43,0 %),

Ebenso werden nach Angaben des National Crime Records Bureau jeden Tag mehr als vier Dalit-Frauen vergewaltigt. Die Dunkelziffer ist jedoch viel höher, da viele solcher Verbrechen nicht gemeldet werden aufgrund Angst vor Gewalt und Einschüchterung sowie Tatenlosigkeit der Polizei und Gerichte. Die mangelnde Erfassung solcher Daten ist dabei ein großes Problem. Zwar gibt es lokale Statistiken, die aufzeigen, dass Sexualstraftaten mehr geahndet und verurteilt werden, wenn die Betroffenen höheren Kasten angehören, das Ausmaß lässt sich aber nur vermuten. Gleiches gilt für Zwangsheiraten sowie verbindliche Aussagen, wie viele Frauen als Devadasis (Prostituierte; ursprünglich bezeichnete der Begriff Tempeltänzerinnen; d. Red.) arbeiten müssen. Ein Bericht von Sampark (niederländische Stiftung für Bildungsfragen; d. Red.) aus dem Jahr 2015 an die ILO stellt fest, dass 85 % der befragten Devadasis aus Dalit-Gemeinschaften stammen. Wie viele es jedoch an sich gibt, ist unklar aufgrund der Weigerung mancher Bundesstaaten, zuverlässige Daten zu erfassen.

Widerstand

Der Widerstand gegen das Kastensystem an sich existiert schon lange. So engagierten sich in den 1920er Jahren beispielsweise Dalit-Frauen in Bewegungen gegen Kasten und Unberührbarkeit, in den 1930er Jahren in der Non-Brahman-Bewegung und haben dafür gekämpft, dass die eigenen Forderungen auch in der Frauenbewegung Indiens aufgenommen werden, was seit den 1970er Jahren auch Wirkung zeigt. Während der Widerstand gegen die gesellschaftliche Unterdrückung von Dalits in Indien zunehmend an Bedeutung gewinnt, steigt jedoch auch die Gewalt gegen diese, vor allem durch Unterstützer:innen der BJP und faschistische Kräfte. Nach besonders schockierenden Vorfällen von Gewalt, Femiziden oder Sexualstraftaten finden dabei regelmäßig Protestbewegungen statt wie im Fall von Manisha. Sie wurde am 14. September 2020 von vier Männern vergewaltigt, ihre Zunge durchgeschnitten und Wirbelsäule gebrochen, sodass sie nach 15 Tagen ihren Verletzungen erlag. Solche Taten sind keine Einzelfälle und führen regelmäßig zu Mobilisierungen und Aufschrei, gegen die anhaltende Gewalt und Unterdrückung vorzugehen. Auch am 4. Dezember 2023 gab es in Jantar Mantar einen größeren Protest, bei dem verschiedene Organisation für die Rechte von Dalits auf die Straße gingen. Ihre Forderungen waren mitunter: Schutz der bestehenden Wohlfahrtsprogramme für Dalits, Anerkennung von Dalit-Siedlungen, indem Eigentumsrechte eingeräumt werden. Landlose sollten für Wohngrundstücke identifiziert und der Besitz sollte für ihre Erben gesichert werden. Ferner wurde die sofortige Umsetzung des Gesetzes zur Abschaffung der Schuldknechtschaft (Bonded Labor Abolition System Act, 1976).

Was tun?

Die Realität zeigt: Formale Gleichheit auf dem Papier ist zwar ein wichtiger Schritt, reicht aber lange nicht aus, um diese auch in der Praxis umzusetzen. Dabei muss auch klar sein, dass der Kampf gegen den Chauvinismus, den das Kastensystem mit sich bringt, notwendig ist. Schulungen und Aufklärungskampagnen alleine werden jedoch nichts verändern.

Aufgabe muss sein, das Kastenwesen zu zerschlagen und mit ihm die kapitalistische Gesellschaftsordnung, die es aufrechterhält. Große Worte, die in der Praxis bedeuten, für ein Sozialversicherungssystem, kollektive Organisation der Reproduktionsarbeit sowie ein Mindesteinkommen, gekoppelt an die Inflation, für alle zu kämpfen. Verbunden werden müssen diese Forderungen mit dem Kampf um ein Programm gesellschaftlich nützlicher öffentlicher Arbeiten unter Arbeiter:innenkontrolle, finanziert aus den Profiten der Unternehmen, um für alle freie, kostenlos zugängliche Bildungs-, Gesundheits- und Altenvorsorge zu gewährleisten.

Denn nur wenn die grundlegende Lebensabsicherung für alle gegeben ist, kann die Ungleichheit anfangen zu verschwinden. Dies umzusetzen, ist jedoch einfacher geschrieben als getan. Zum einen kann das Vertrauen, wenn es darum geht, solche Maßnahmen umzusetzen, nicht bei Regierung und Staat liegen. Vielmehr braucht es Komitees von Arbeiter:innen und Unterdrückten, die die Umsetzung kontrollieren. Dabei muss durch eine Quotierung sichergestellt werden, dass auch aus den untersten Schichten Repräsentant:innen sicher vertreten sind.

Zum anderen sorgt Indiens Stellung auf dem Weltmarkt für die massive Überausbeutung großer Teile der Bevölkerung. Um die Kosten der Ausweitung der Sozialversicherung und die Abschaffung des informellen Sektors zu tragen, muss man mit der Politik, die die Überausbeutung schützt, brechen. Das heißt: Schluss mit der Politik für die Interessen von Weltbank, Währungsfonds, USA, Japan und EU! Schuss aber auch mit einer Politik, die die indischen Großkapitale und Monopole fördert! Ansonsten wird es nie möglich sein, fundamentale Verbesserung für die Mehrheit der Bevölkerung einzuführen.

Kurzum: Der Kampf für konkrete Reformen muss mit dem gegen Kapitalismus und Imperialismus verbunden werden. Um die Umsetzung sicherzustellen, braucht es Selbstverteidigungskomitees von Arbeiter:innen und Unterdrückten, die sich gegen die Angriffe von jenen wehren, die das System der Unterdrückung aufrechterhalten wollen.

Der Kampf für die Verbesserung der Situation von Dalit-Frauen ist darin unmittelbar eingebunden. Er bedeutet, für jene Forderungen zu mobilisieren, aktiv zu kämpfen und den Protest zu nutzen, um seitens der Gewerkschaften für organisierte Kampagnen in Stadtvierteln und Dörfern einzutreten, die über den Chauvinismus, der mit dem Kastensystem einhergeht, sowie Sexismus aufklären.

  • Für regelmäßige statistische Erhebungen über die Auswirkungen des Kastenwesens, Geschlecht, sowie Religion auf Beschäftigung und Lebensqualität – kontrolliert durch Gewerkschaften und Ausschüsse der Dalit!

  • Weg mit dem informellen Sektor! Für die flächendeckende Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Berufen!

  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: Weg mit dem Gender Pay Gap, Einführung eines Mindestlohns sowie Mindesteinkommen, das automatisch an die Preissteigerung angepasst wird!

  • Schluss mit Chauvinismus: Zerschlagung des Kastensystems, Kampf dem Hinduchauvisismus und Sexismus, für Aufklärungskampagnen seitens der Gewerkschaften in den Wohnvierteln und Dörfern!

  • Kampf gegen die Reproduktion des Kastensystems in der Linken und den Gewerkschaften, Recht auf gesonderte Treffen von Dalit und Frauen!

  • Kein Vertrauen in die Polizei: Für demokratisch gewählte sowie organisierte  Selbstverteidigungskomitees sowie Meldestellen für Diskriminierung von Organisationen der Arbeiter:innenbewegung!

  • Nein zur Doppelbelastung: Für die Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit unter Arbeiter:innenkontrolle!

Ein solches Programm, das wir hier nur knapp skizzieren können, ist unvereinbar nicht nur mit der Herrschaft der hinduchauvinistischen BJP, sondern mit dem indischen Kapitalismus selbst. Es muss daher im Rahmen eines Programms der permanenten Revolution mit dem Kampf um die Enteignung des indischen und imperialistischen Großkapitals und die Errichtung einer demokratischen Planwirtschaft verbunden werden. Dazu braucht es den revolutionären Sturz der bürgerlichen Herrschaft in Indien und die Errichtung einer Arbeiter:innen- und Bauern-/Bäuerinnenregierung, die sich auf Räte stützt.




Der Kampf gegen soziale Unterdrückung

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 6, Sommer 1989

Alle ausgebeuteten Klassen sehen sich Unterdrückung gegenüber. Die systematische Verweigerung von wirklicher politischer und wirtschaftlicher Gleichheit und persönlicher Freiheit ist sowohl ein Ausdruck als auch eine Verstärkung der Ausbeutungsverhältnisse zwischen der herrschenden Klasse und den direkten Produzenten. Zusätzlich zu dieser Klassenunterdrückung aber gibt es andere systematische wirtschaftliche, soziale, gesetzliche und politische Ungleichheiten, die speziell Frauen, Jugendliche, verschiedene rassistisch unterdrückte und nationale Gruppen sowie Lesben und Schwule betreffen.

Diese spezifischen Formen der sozialen Unterdrückung sind ein grundlegendes Merkmal der Klassengesellschaften und in den sozialen Strukturen der Familie und des Nationalstaates verwurzelt. Die Unterdrückung der Frauen war die erste Form systematischer Unterdrückung und entstand im Zusammenhang mit der Herausbildung von Klassen. Sie bleibt die grundlegendste Form der sozialen Unterdrückung. Aber die jeweiligen Formen der sozialen Unterdrückung wurden mit jeder Produktionsweise verändert. Sie erreichten ihre entwickeltste und in mancher Weise unverhüllteste Form in der imperialistischen Epoche.

Die gesellschaftlichen Strukturen, auf denen die soziale Unterdrückung aufbaut, sind für den Kapitalismus wesentlich. Ihre Funktionen sind innig und untrennbar mit dem Prozeß der Ausbeutung verbunden, aber sie schaffen eine Unterdrückung, die nicht auf die Arbeiterklasse beschränkt ist. Frauen aller Klassen sehen sich Diskriminierung und Benachteiligung gegenüber, und zwar als Resultat der Rolle, die sie innerhalb der Familie ihrer Klasse einnehmen. Aber es sind die Frauen der Arbeiterklasse, und ebenso Jugendliche, Schwarze und Lesben und Schwule aus dem Proletariat, die sich der stärksten sozialen Unterdrückung gegenübersehen.

Die Arbeiterklasse ist die einzige Klasse mit dem entscheidenden Interesse und der Kraft zur Überwindung jenes Systems, das alle diese Formen der Unterdrückung aufrechterhält. Nur unter der Führung der Arbeiterklasse können besonders unterdrückte Sektionen der ausgebeuteten Klassen in den Kampf für die Diktatur des Proletariats gezogen werden, der die Voraussetzung für eine Beendigung aller Unterdrückung ist. Die Arbeiterklasse muß daher jederzeit an der vordersten Front des Kampfes gegen alle Ungleichheiten, gegen Unterdrückung und Ausbeutung stehen.

Dennoch versagen die existierenden Arbeiterorganisationen, den Kampf gegen die soziale Unterdrückung aufzunehmen. Tatsächlich ist es häufig der Fall, daß die reformistischen Bürokraten, die die Arbeiterbewegung beherrschen, aktiv zu feindlicher Haltung unter den Massen gegenüber den Bedürfnissen und der Notlage der Unterdrückten ermutigen. Die Unterdrückten sind in einem solchen Ausmaß Opfer von Sexismus, Rassismus und Heterosexismus, daß ihre Teilnahme in Gewerkschaften und am politischen Leben blockiert wird. Die Aufgabe der revolutionären Avantgarde liegt in der Bekämpfung dieser Vorurteile und darin, die Massenorganisationen der Arbeiterklasse in die Vorderfront des Kampfes gegen Unterdrückung zu bringen.

Die Unterdrückten selbst sind nicht notwendigerweise schon allein deswegen, weil sie die unterdrücktesten Sektionen der Gesellschaft bilden, in der Avantgarde der Kämpfe. Die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung erzeugt nicht nur revolutionäre Kämpfer und Kämpferinnen, sondern auch rückständige und gehorsame Schichten. Vieles ist der Ausdruck reaktionärer Ideen oder des Rückzugs ins Privatleben. Nur die klassenbewußtesten Elemente der Unterdrückten werden in der Avantgarde der Kämpfe für ihre eigene Befreiung zu finden sein. Diese Teilnahme der Avantgarde innerhalb des gesamten Klassenkampfes gibt die Möglichkeit, daß ihre Interessen aktiv von der Arbeiterklasse aufgegriffen werden.

Spezielle Methoden der Agitation und der Propaganda sowie besondere Arbeitsformen müssen verwendet werden, um die sozial Unterdrückten für das kommunistische Programm zu gewinnen. Es können aber auch spezielle Organisationsformen notwendig sein, um die Unterdrückten sowohl dazu zu mobilisieren, ihre eigene Unterdrückung zu bekämpfen, als ihnen auch zu ermöglichen, auf einer gleichberechtigten Basis mit allen anderen Arbeitern und Arbeiterinnen in die Reihen der organisierten Arbeiterbewegung einzutreten. Innerhalb der Bewegung des Proletariats müssen Revolutionäre das Recht der Unterdrückten verteidigen, sich zu organisieren und sich gesondert zusammenzuschließen, um Druck dafür zu erzeugen, daß ihre Forderungen von der ganzen Klasse aufgegriffen werden. Unter bestimmten Bedingungen waren auch eigene Arbeiterorganisationen der Unterdrückten notwendig, um dieses Ziel zu erreichen. Solche speziellen Methoden und Organisationsformen haben nichts mit Separatismus gemeinsam. Sie sind ein Mittel, um die Kampfeinheit in der Arbeiterklasse zu erleichtern und abzusichern, daß die Arbeiterbewegung als ganzes den Kampf der Unterdrückten anführt.

An erster Stelle hat die revolutionäre Partei die Pflicht sicherzustellen, daß sie in ihrer Tagesarbeit und in ihrer internen Organisation gegenüber den Bedürfnissen der Unterdrückten aufgeschlossen ist. Wenn revolutionäre Massenparteien existieren, können für diese daher Parteisektionen oder parteigeführte Bewegungen gebildet werden. Diese Sektionen werden die Unterdrückten für den kommunistischen Kampf als Parteimitglieder organisieren und den Kampf gegen die Unterdrückung in das Herz der Arbeiterbewegung tragen.

Wenn revolutionäre Kommunistinnen und Kommunisten noch eine kleine Minderheit in der Arbeiterbewegung sind, müssen an die Stelle der Bildung von Massensektionen der Partei, die die Ausübung von speziellen Arbeitsformen organisiert, andere Formen der Einheitsfront treten. In vielen Ländern führte die gemeinsame Erfahrung der Unterdrückten zur Entwicklung von Bewegungen und Kampagnen unter Frauen, Lesben und Schwulen, Jugendlichen und rassistisch Unterdrückten. Die Partei kann nicht die Führung dieser Bewegungen den kleinbürgerlichen Utopisten, den Sozialdemokraten oder den Stalinisten überlassen.

Wir unterstützen die Bildung von kämpfenden Einheitsfronten gegen die Unterdrückung und argumentieren, daß sie sich auf das Proletariat stützen, von diesem geführt und auf der Verwendung der Methoden des Klassenkampfes aufbauen müssen. In bestimmten Fällen können diese Einheitsfronten die Form von vollständig entwickelten Bewegungen (mit regionalen Gruppen, Kongressen und Exekutivkomitees etc.) annehmen. Aber in jedem Fall muß die Organisationsform mit den konkreten Umständen in Verbindung gesetzt werden. Wie lange solche Organisationen benötigt werden, hängt vom Grad ab, in dem wir erfolgreich sind, die Arbeiterbewegung als ganzes für unser Programm zu gewinnen. Außerdem werden wir, wenn unsere zeitlich begrenzten Verbündeten den Kampf zu spalten oder auszuverkaufen versuchen, nicht davor zurückschrecken, auch selbst zum Mittel der Spaltung dieser Einheitsfronten zu greifen.

Wir stellen diese Taktik allen Formen der autonomen und klassenkollaborationistischen Bewegungen der Unterdrückten gegenüber. Wo bürgerliche Kräfte in Bewegungen der Unterdrückten involviert sind, versucht die revolutionäre Avantgarde die Arbeiterklasse und andere Unterdrückte von jedem Bündnis mit ihnen wegzubrechen. In der Tat bekämpfen wir durch den Aufbau von proletarischen Bewegungen und durch den schonungslosen Kampf für die kommunistische Führung innerhalb dieser die Tendenzen des Separatismus und der Volksfront, die unter den Unterdrückten auftreten. Unser Ziel ist der Aufbau kommunistischer Bewegungen, obwohl nicht alle an einer solchen Bewegung Teilnehmenden Mitglieder, und damit unter der Disziplin der revolutionär-kommunistischen Partei, sein werden.

Der Kampf gegen Diskriminierung

Andere Sektionen der Gesellschaft sind, auch wenn sie nicht sozial unterdrückt sind, trotzdem im Kapitalismus das Opfer von Diskriminierung. Die Alten, die Behinderten und die Kranken, die nicht die Voraussetzungen des Kapitalismus für die Lohnarbeit erfüllen, werden ausgestoßen und als Belastung für die Gesellschaft behandelt. Bedeutende Teile der Armen werden für Handlungen stigmatisiert und kriminalisiert, die sie nur unternehmen, um zu überleben. Andere werden als geistig krank bezeichnet und von der Gesellschaft ausgeschlossen. Die bürgerliche Gesellschaft nutzt die Marginalisierung dieser Gruppen, um ihr Konzept von „Normalität“ und ihren moralischen Kodex der ganzen Arbeiterklasse aufzuerlegen und ihre Strategie des teile und herrsche fortzusetzen.

Zum Beispiel macht die erzwungene Isolation der Alten sie zu einer Beute des Konservativismus, die Menschen mit Behinderungen aufgezwungenen Beschränkungen erlauben es, sie als nicht gewerkschaftlich organisierte billige Arbeitskräfte zu verwenden. Revolutionärinnen und Revolutionäre müssen den Kampf der Alten, Kranken und Behinderten gegen die Diskriminierung, von der sie betroffen sind, unterstützen. Dies wird ihre Integration in die Arbeiterklasse erleichtern und damit den Kampf gegen den gemeinsamen Feind stärken. Revolutionäre sollen für die Sicherstellung kämpfen, daß die Arbeiterbewegung allen Mitgliedern der Arbeiterklasse den größtmöglichen Zugang zu ihren Organisationen, Treffen und zu ihrem sozialen Leben gewährleistet. Die revolutionäre Partei sollte dabei ein Beispiel für den Rest der Arbeiterbewegung geben.

Revolutionärinnen und Revolutionäre versuchen, die militanten Kämpfer und Kämpferinnen aus den Reihen jener, die von der Diskriminierung betroffen sind, zu gewinnen. Während sie alle Kämpfe für Reformen und Verbesserungen unter dem Kapitalismus unterstützen, versuchen Kommunistinnen und Kommunisten zu erklären, daß das Profitmotiv es dem Kapitalismus unmöglich macht, die Bedürfnisse jener zu erfüllen, die er auf den Müllhaufen wirft. Außerdem schafft sein gieriger Charakter Krankheit und Behinderung. Nur eine sozialisierte und geplante Produktion kann die notwendigen Ressourcen freisetzen, um diese Gruppen vollständig in die Gesellschaft zu integrieren und die Grundlage für ihre Befreiung zu legen.

Frauen

In der imperialistischen Epoche sind Millionen Frauen in der ganzen Welt dazu verurteilt, die Misere des Kinderaufziehens und der Haushaltsführung unter Bedingungen enormer Entbehrungen zu erleiden. Frauen tragen weltweit die Hauptlast unzulänglicher Wohnverhältnisse, ungenügender Lebensmittelversorgung und des Kampfes zur Abwehr bzw. der Bewältigung der Auswirkungen von Krankheiten. Für die Mehrheit von ihnen ist Überausbeutung in der Fabrik und auf den kapitalistischen oder kleinbäuerlichen Landwirtschaftsbetrieben ebenfalls die Norm.

Den Frauen aller Klassen wird die ökonomische, soziale, rechtliche und politische Gleichheit mit den Männern verwehrt. Der globale Charakter der Unterordnung der Frauen läßt diese als natürliche Folge ihrer Rolle in der Fortpflanzung erscheinen. Doch die systematische gesellschaftliche Unterdrückung der Frauen begann erst mit der Geburt der Klassengesellschaft und der Schaffung der patriarchalen Familie als grundlegende Einheit, in der die Reproduktion, das Aufziehen der Kinder und der Kampf um das tagtägliche Überleben stattfinden. In den verschiedenen Formen der Klassengesellschaft veränderten sich zwar auch die speziellen Merkmale der Frauenunterdrückung, doch in ihrem Innersten beinhalteten sie alle die privatisierte Hausarbeit, also einen Lebensbereich, der die wesentlichste oder ausschließliche Verantwortung der Frauen ist.

In der imperialistischen Epoche verrichten Frauen einen großen Anteil der Arbeit am Land und in den Fabriken, doch bleibt ihre erste Verantwortung die gegenüber ihrem Haushalt und ihrer Familie. Das bedeutet, daß die Geschlechter ein ungleiches Verhältnis zur bezahlten Arbeit haben, was die Wurzel der fortgesetzten Frauenunterdrückung darstellt. In vielen Halbkolonien behält die Familie die Funktion einer produktiven Einheit, wobei Frauen und Kinder integraler Bestandteil der kollektiven Produktion sind. Doch noch immer sind Frauen hauptsächlich für Hausarbeit und Kinderaufziehen verantwortlich und nehmen daher eine den männlichen Haushaltsvorständen untergeordnete Position ein.

Der Kapitalismus hat sich als unfähig und unwillig erwiesen, die im Haushalt verrichtete Arbeit systematisch zu vergesellschaften. Er ist daher unfähig, die Unterdrückung der Frauen zu beenden. Die Bereitstellung vergesellschafteter Wäschereien, von Kinderbetreuungseinrichtungen und Kantinen hat sich als zu großer Abfluß vom Mehrwert der Bosse erwiesen, als daß sie es sich außer in der Ausnahmesituation eines Krieges leisten würden.

Für die Frauen, die nicht der Arbeiterklasse angehören, nimmt die Unterdrückung eine stark verschiedene Form an. Sogar in manchen herrschenden Klassen werden den Frauen die vollen Rechte über Eigentum und Erbe verweigert und sie werden von ihren Ehemännern als dekorative Besitztümer und Produzentinnen der Nachkommen gehalten. Auch wenn ihre fortgesetzte Unterdrückung weit von der Plackerei und dem Elend der Arbeiterinnen dieser Welt entfernt ist, ist sie doch ebenso eine Folge ihrer Rolle in der Familie. Die Produktion von Nachkommen bedarf der striktesten Beibehaltung der Monogamie der Ehefrauen. Die Frauen aus der herrschenden Klasse können jedoch viele der schlimmsten Aspekte ihrer Unterdrückung durch die Beschäftigung von Frauen aus der Arbeiterklasse ausgleichen, die deren Hausarbeit und das Aufziehen von deren Kindern verrichten. Außerdem können sie niemals wirkliche Verbündete der Frauen aus der Arbeiterklasse sein, da ihr Platz in der bürgerlichen Gesellschaft ihre vollständige Bindung an eben jene Gesellschaft bedeutet, die die materielle Grundlage der Frauenunterdrückung ist.

In den imperialistischen Ländern erhöhte sich seit dem Zweiten Weltkrieg die Zahl der Frauen, die in einem Lohnarbeitsverhältnis stehen, beträchtlich. In vielen Ländern geht nun die Mehrheit der verheirateten Frauen einer bezahlten Beschäftigung nach. Während diese Entwicklung Tendenzen in Richtung der Unterminierung der wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeit der Frauen in sich trägt, erwiesen sich die Umstände, unter denen dies geschah, als zweischneidig. Nun müssen sie in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit sowohl die Arbeit in Büro oder Fabrik als auch die Hausarbeit verrichten. Da es nur einen kleinen Anstieg im Ausmaß der Hausarbeit, die von den Männer verrichtet wird, gab, müssen Frauen nun sogar mehr Stunden für die Errungenschaft, nun selbst lohnabhängig zu sein, arbeiten. Und da Frauen noch immer wesentlich geringere Löhne als Männer erhalten, bleibt auch ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit weitgehend eine Fiktion. In den meisten imperialistischen Ländern verstärken gesetzliche Beschränkungen die anhaltende Abhängigkeit der Frauen von ihren Ehemännern oder Vätern.

Zusätzlich zu ihrer Rolle im Bereich der Reproduktion der Arbeitskraft hat die Familie auch eine wesentliche Funktion bei der Erhaltung der sozialen Ordnung der kapitalistischen Gesellschaft. Die Familie handelt als Verstärkerin der vorherrschenden Ideen der herrschenden Klasse, indem sie die jeweiligen Rollen der Männer, Frauen und Kinder erhält sowie Gehorsam und Unterwürfigkeit einprägt. Sogar dann, wenn die Kernfamilie wie in vielen imperialistischen Ländern aufgehört hat, die häufigste Form des Haushalts zu sein, liegt ihre Stärke immer noch darin, als „Ideal“ jeden Aspekt des Lebens der Frauen zu beeinflussen. Angefangen von der Art der Ausbildung der Mädchen über die von Frauen ausgeübten Berufe bis zu den von ihnen angestrebten Beziehungen – all dem drückt die „Norm“ der bürgerlichen Familie ihren Stempel auf. Diese Familie baut auf Monogamie und Heterosexualität auf und übt einen starken Anpassungsdruck auf Frauen und Mädchen aus. Die Rollen von Frauen und Männern in der Familie beschränken die Entwicklung beider Geschlechter, doch haben sie besonders repressive Auswirkungen auf Frauen.

Die Familie führt zu einer Spaltung in der Arbeiterklasse, die durch die Ideologie des Sexismus erhalten wird. In der Arbeiterbewegung ist das nicht nur eine Frage von rückständigen Ideen über die Rolle von Frauen, sondern schließt ein, daß beim Ausschluß von Frauen aus vielen Gewerkschaften mitgewirkt oder dieser entschuldigt wird. Dieser Sexismus führt zu einem Versagen im Kampf für gleichen Lohn und zu einer Weigerung, Frauen im Kampf zu unterstützen. Obwohl die Frauenunterdrückung nicht durch die Einstellung männlicher Arbeiter verursacht wird, wird sie beständig durch ihren Sexismus befestigt. Dies zeigt sich oft in brutalster Form durch häusliche Gewalt und Mißbrauch.

Die männlichen Arbeiter genießen in Folge der Frauenunterdrückung wirkliche Vorteile. Sie haben einen höheren Status im Haushalt und im gesellschaftlichen Leben. Sie sichern sich bessere Jobs und Löhne und tragen eine geringere Last bei der Hausarbeit. Diese Privilegien helfen mit, sexistische Vorstellungen und Verhaltensweisen in der Arbeiterklasse zu bestärken. Jedoch werden die Männer der Arbeiterklasse bei weitem wichtigere Errungenschaften von der endgültigen Befreiung der Frauen erhalten – die kollektive Verantwortung für Wohlfahrt, Freiheit in den Beziehungen, sexuelle Befreiung und die wirtschaftlichen Errungenschaften des Sozialismus. All dies bedeutet, daß – historisch betrachtet – die Männer der Arbeiterklasse keinen entscheidenden Nutzen aus der Frauenunterdrückung ziehen, sondern bei der Verwirklichung ihrer grundlegenden Klasseninteressen behindert werden. Denn es ist die herrschende Klasse, unterstützt von ihren Agenten in der Arbeiterbürokratie, die aus der zwischen Männern und Frauen geschaffenen Spaltung ihren Nutzen zieht.

Der Kampf gegen Frauenunterdrückung in den Halbkolonien

Von frühester Kindheit an sind proletarische Frauen gezwungen, für erbärmliche Löhne zu arbeiten, und müssen nach einem extrem langen Arbeitstag die Hausarbeit erledigen oder noch zusätzliche Arbeit auf sich nehmen, um ein Auskommen für die Familie zu gewährleisten. Nicht besser ergeht es armen Bäuerinnen, die oft zusätzlich zur Hausarbeit das Land bearbeiten müssen, da ihre Männer gezwungen sind, in den Städten zu arbeiten. Armut, miserable Arbeitsbedingungen und Arbeitslosigkeit zwingen viele Frauen in die Prostitution.

Der Imperialismus untergrub zwar die ökonomische Grundlage für traditionelle, patriarchale Systeme in diesen Ländern, doch blieben alte Formen der Frauenunterdrückung, wie Mitgift, Brautpreis, Klitorisbeschneidung und Polygamie, erhalten. Die Witwenverbrennung in Indien ist ein brutales Bespiel dafür. Unter den Frauen in den Halbkolonien ist der Analphabetismus noch größer als unter den Männern. Trotz medizinischer Fortschritte hat die Masse der Frauen in den Halbkolonien keine Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit. In Afrika und Asien sterben jedes Jahr eine halbe Million Kinder bei der Geburt. Nur eine sehr dünne gesellschaftliche Oberschicht kann Nutzen aus den Vorteilen des Kapitalismus, wie z.B. Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, ziehen.

Unter diesen Bedingungen ist es kein Wunder, daß tausende Frauen an den antiimperialistischen Kämpfen in Vietnam, Nikaragua, Palästina und auf den Philippinen teilgenommen haben und einen hohen Preis, oft sogar mit ihrem Leben, bezahlen mußten. Doch ihre Interessen wurden immer verraten. Die kleinbürgerlichen und stalinistischen Bewegungen haben sich bei der Durchführung der Frauenbefreiung als völlig unfähig erwiesen. Die „Volksdemokratische Partei Afghanistans“ war zum Beispiel bereit, die Kampagne gegen den Analphabetismus unter den Frauen zu stoppen, um mit den islamischen Stammesfürsten zu einem Kompromiß zu kommen.

Gegen solchen Verrat setzen wir den Kampf für die Frauenbefreiung als untrennbaren Bestandteil der proletarisch-revolutionären Strategie. Proletarische und bäuerliche Frauen müssen um ökonomische Forderungen ebenso organisiert werden wie für Schutzmaßnahmen gegen Vergewaltigung, erzwungene Sterilisierung, Frauenhandel und für eine zwangsweise Beschränkung des Sextourismus.

Auch wenn Frauen aus den Halbkolonien dieser Misere entkommen, werden Millionen Immigrantinnen und Wanderarbeiterinnen in das Arbeitskräftepotential der imperialistischen Kernländer hineingezogen. Dort erfüllen sie die niedrigsten Aufgaben für sehr geringen Lohn und unter miserablen Arbeitsbedingungen.

Einwanderungskontrollen und Beschränkungen für Visa und Arbeitsbewilligungen stellen eine andauernde Bedrohung für Wanderarbeiterinnen dar. Insbesondere wird ihnen der Zugang zu vielen Arbeiten verwehrt, und sie werden so in Arbeitsbedingungen hineingezwungen, die sie von den anderen Arbeiterinnen und Arbeitern, den Gewerkschaften, ja der Arbeiterbewegung überhaupt isolieren. Sie werden oft für häusliche Dienste bei reichen Familien eingestellt, wo sie unorganisiert bleiben und stark ausgebeutet werden. Oft haben sie keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung oder auf Schutz vor willkürlichen Entlassungen. Außerdem werden ihnen politische Rechte und Sozialleistungen verwehrt. In allen Ländern fordern wir das Recht der häuslichen Angestellten und Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter auf gewerkschaftliche Organisierung, einen Achtstundentag, einen Leben ermöglichenden Mindestlohn und das Recht auf Sozialleistungen. Von der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung fordern wir, daß sie spezielle Maßnahmen zur Organisierung dieses Teils der Arbeiterklasse setzt.

Für eine proletarische Frauenbewegung!

Um die Frauenunterdrückung zu beenden, muß die grundlegende Trennung der Hausarbeit von der Gesamtheit der gesellschaftlichen Produktion abgeschafft werden. Nur wenn Frauen voll und gleich in die Produktion einbezogen sind und die Hausarbeit in einer sozialistischen Planwirtschaft kollektiv organisiert ist, können Frauen von Unterdrückung frei sein. Allein das sozialistische Programm garantiert die Vergesellschaftung der Hausarbeit und der Kindererziehung. Doch können wir sogar unter dem Kapitalismus diesem Ziel näher kommen, indem wir für das Recht der Frauen auf Lohnarbeit kämpfen. Wo die Bosse behaupten, daß es keine Arbeit für Frauen gibt, argumentieren wir für eine gleitende Skala der Arbeitsstunden, also eine Aufteilung der vorhandenen Arbeit ohne Lohnverlust. Die Teilzeitarbeit für Frauen wird von den Bossen verwendet, die Ausbeutung von Arbeiterinnen durch niedrigen Lohn und mangelnde Arbeitsplatzsicherheit zu erhöhen, während diese Frauen ein flexibles Arbeitskräftepotential darstellen. Wir fordern volle Arbeitsplatzsicherheit für Teilzeitarbeit, verbunden mit einem Kampf für die Verringerung der Arbeitszeit für alle Arbeiterinnen und Arbeiter ohne Lohnverlust. Wir fordern die Bereitstellung vergesellschafteter Betreuung von Kindern und anderen Abhängigen, um Frauen die gleiche Teilnahme mit den Männern an der gesellschaftlichen Produktion zu ermöglichen.

Sogar dort, wo Frauen in großem Ausmaß in die Lohnarbeit hineingezogen worden sind, wurden sie nicht ökonomisch unabhängig. Es muß ihnen gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit garantiert werden, um sie vor der gegenwärtig erlittenen Überausbeutung zu schützen. Dies ist im Interesse der gesamten Arbeiterklasse. Denn weit entfernt davon, einen Schutz für die Löhne der Männer darzustellen, wie es viele reformistische Gewerkschaftsführer behauptet haben, haben die niedrigen Löhne der Frauen eine Tendenz zur Untergrabung der Lohnraten der Männer und damit auch des Lebensstandards der gesamten Klasse. Für einen gleichen Mindestlohn für Männer und Frauen, dessen Höhe durch die Arbeiterklasse bestimmt wird. Das Einkommen der Frauen muß daher durch eine gleitende Lohnskala, durch die steigende Preise an steigende Löhne gekoppelt sind, geschützt werden. Die Frauen der Arbeiterklasse werden in den Komitees zur Festsetzung der Preissteigerungen und der Lohnforderungen wesentliche Teilnehmerinnen sein. Für die Frauen in den Halbkolonien gibt es ein zusätzliches dringendes Bedürfnis nach gleichen Rechten auf Landbesitz und -eigentum.

Die Ungleichheit, die Frauen und Mädchen in Erziehung und Ausbildung erfahren, verunmöglicht es ihnen, dieselben Arbeiten wie Männer zu bekommen. Frauen müssen aber durch Aus- und Weiterbildung gleiche Möglichkeiten erhalten – von den Bossen bezahlt und unter der Kontrolle der Gewerkschaften, der Arbeiterinnen und Lehrlinge. Mädchen müssen gleichen Zugang zur Bildung haben, und in Ländern mit weitverbreitetem weiblichen Analphabetismus müssen Alphabetisierungsprogramme für Frauen eingerichtet werden.

Da Frauen noch immer die Hauptverantwortung in der Kindererziehung tragen, ist eine kostenlose Kinderbetreuung für alle unter der Kontrolle der Arbeiterinnen und Gewerkschaften und voller Lohn für die Karenzzeit notwendig, damit Frauen die gleiche Möglichkeit haben, Lohnarbeit anzunehmen. Weiters sollte eine Karenzierung auch für Väter möglich sein. Wir fordern, daß der Staat volles Arbeitslosengeld in einer Höhe, die von der jeweiligen nationalen Arbeiterbewegung bestimmt wird, all den Frauen bezahlt, denen es aufgrund der Unfähigkeit des Kapitalismus, soziale Unterstützung für abhängige Kinder und andere Verwandte zu leisten, nicht möglich ist, eine entlohnte Arbeit anzunehmen. Diese Forderung muß mit dem Kampf der Arbeiterklasse für soziale Einrichtungen, die es Frauen mit Kindern, kranken oder behinderten Verwandten ermöglichen zu arbeiten, verbunden werden. Wir treten für die kollektive Bereitstellung von Wäschereien und Restaurants ein, subventioniert vom Staat und unter Arbeiterkontrolle.

Die reproduktive Rolle der Frauen bedeutet auch, daß es verschiedene Arten von Arbeit gibt, die ihre Gesundheit oder die ihrer Kinder gefährden. Um dadurch entstehenden Schaden zu verhindern, müssen Schutzbestimmungen eingeführt werden. Wo diese vom bürgerlichen Staat gewährt wurden, geschah das einerseits aufgrund des Drucks der Arbeiterklasse, andererseits aufgrund der Einsicht von Teilen der herrschenden Klasse, daß die ungezügelte Ausbeutung zwar kurzfristigen Profitinteressen dient, aber langfristig die Reproduktion der Arbeiterklasse – und somit die Basis der Profitwirtschaft selbst – gefährdet. Zusätzlich erkannten die großen Kapitalisten, daß diese Gesetze mithelfen, kleinere Konkurrenten aus dem Geschäft zu werfen. Die Arbeiterklasse muß jedoch die Einhaltung der Schutzgesetze überwachen, da sonst die Bosse das Proletariat betrügen und immer wieder Wege finden werden, die Gesetze zu umgehen, um die Ausbeutung der Frauen zu maximieren. Die Arbeiteraristokratie und die Gewerkschaftsführer haben die Idee einer Schutzgesetzgebung dazu verwendet, Frauen aus bestimmten qualifizierten Berufen auszuschließen, um die Standesinteressen in ihrem Bereich zu schützen. Frauen dürfen aus keinem Beruf oder Gewerbe ausgeschlossen werden. Arbeiterinnenkomitees, nicht die Gewerkschaftsbürokraten, müssen entscheiden, welche Aufgaben eines jeweiligen Berufs den Frauen schaden könnten.

Den Frauen wird die Kontrolle über ihre eigenen Körper systematisch verwehrt. Sie werden gezwungen, ungewollte Kinder zu gebären, oder gehindert, Kinder auf die Welt zu bringen, die sie wollen. Weiters werden Frauen zu arrangierten Eheschließungen gezwungen und an Scheidungen gehindert. Kurz gesagt: Den Frauen wird die Kontrolle über ihre eigene Fruchtbarkeit verweigert. Die Frauen müssen wählen können, ob sie ein Kind gebären oder nicht, um gleichberechtigt mit den Männern in der Produktion, am sozialen und politischen Leben teilnehmen zu können. Die Bereitstellung von kostenloser Verhütung und Abtreibung für alle Frauen auf Wunsch ist unbedingt notwendig. In weiten Teilen der halbkolonialen Welt erleiden Frauen Unterdrückung, die das Ergebnis vorkapitalistischer Produktionsweisen und der Präsenz religiöser Ideologien ist. Wir sind gegen die Zwangsbeschneidung von Frauen, die ein Teil dieser Unterdrückung ist. Die Halbkolonien leiden auch unter dem Druck des Imperialismus, ihr sogenanntes „Bevölkerungsproblem“ auf Kosten der Rechte der Frauen zu lösen. Keine Frau darf zwangssterilisiert werden. Frauen werden von der Teilnahme am sozialen Leben durch rechtliche, soziale und religiöse Normen ausgeschlossen und werden oft psychisch und physisch mißbraucht. Zwangsheirat, Verkauf und Handel mit Frauen müssen gesetzlich verboten und diese Gesetze von der Arbeiterklasse durchgesetzt werden. Die vollen gesetzlichen Rechte und Sozialleistungen müssen für alle Frauen unabhängig von Alter und Familienstand zugänglich sein. Nieder mit dem Schleierzwang für Frauen und ihrem Ausschluß von jedem Teil des öffentlichen Lebens.

Die Frauen können nur befreit werden, wenn diese Forderungen für ihre unmittelbaren Interessen einen Teil des Programms für die proletarische Machtergreifung bilden. In den vereinten Kampf der Arbeiter für dieses Ziel können die proletarischen und bäuerlichen Frauen durch den Kampf für unmittelbare Ziele und Übergangsforderungen gezogen werden. Wenn die Frauen für diesen vereinten proletarischen Kampf nicht gewonnen werden, können sie ein passiver oder gar rückständiger Teil der Klasse bleiben, der für den Einfluß bürgerlicher Propaganda, im besonderen der Religion, offen ist. Werden Frauen jedoch für diese Aktionen gewonnen, können sie die männlichen Arbeiter von der sexistischen Ideologie, die die Arbeiterbewegung spaltet und schwächt, wegbrechen und gleichzeitig wirkliche Errungenschaften für sich auf dem Weg zu den Zielen der sozialistischen Revolution und der Frauenbefreiung sichern.

Die Frauen müssen für die Gewerkschaften gewonnen und dort organisiert werden, um ihren Forderungen gegenüber den Gewerkschaftsführern Nachdruck zu verleihen. In Industrien, wo Frauen mit Männern zusammenarbeiten, lehnen wir die Forderung nach einer eigenen Frauengewerkschaft ab, selbst wenn der Sexismus der Gewerkschaftsbürokraten die Teilnahme von Frauen sehr schwer macht. Der Kampf für die Vereinigung von Arbeiterinnen und Arbeitern muß geführt werden, während wir das Recht der Frauen auf gesonderte Treffen, auf Organisierung in den Gewerkschaften und auf allen Ebenen der Arbeiterbewegung verteidigen. Wir müssen fordern, daß die Gewerkschaftsführer Kampagnen für die Rekrutierung von Frauen (unter Einschluß der Teilzeitarbeiterinnen, die die vollen Mitgliedsrechte erhalten und reduzierte Mitgliedsbeiträge zahlen sollten) finanzieren und unterstützen.

Wir anerkennen, daß das Erbe der kapitalistischen Rolle der Frauen als die hauptsächlichen Pflegerinnen und Kindererzieherinnen bedeutet, daß viele Frauen durch die Organisierung der Versorgung in Zeiten scharfer Klassenkämpfe und revolutionärer Krisen in die Auseinandersetzung gezogen werden. Aber die revolutionäre Partei muß für spezielle Maßnahmen agitieren, die sicherstellen, daß Frauen eine vollwertige Rolle in allen Bereichen des Kampfes spielen und von keiner Art der politischen Betätigung wegen ihrer Versorgungsrolle zurückgehalten werden.

Eine proletarische Frauenbewegung ist von zentraler Bedeutung, wenn die Frauen eine positive und wesentliche Rolle im revolutionären Kampf spielen sollen. Sie muß außerdem von Revolutionärinnen geführt werden, die mit einem Programm für die proletarische Diktatur bewaffnet sind. Eine Bewegung, die breite Arbeiterinnenschichten umfaßt, ist ein unentbehrliches Mittel zur Organisierung jener Frauen, die von der Produktion ausgeschlossen sind, das heißt der Hausfrauen, der arbeitslosen und behinderten Frauen. Eine solche Bewegung, die auf den Frauen aufgebaut ist, die in Fabriken, in Büros, in der Landwirtschaft, in den Gemeinden und in den Gewerkschaften organisiert sind, kann gleichzeitig für die Interessen der Frauen, gegen die Vorurteile männlicher Arbeiter und für den revolutionären Sturz des Kapitalismus kämpfen. In entscheidenden Schlachten des Klassenkampfes organisieren sich Frauen oft in eigenen Komitees und Gruppen. Welche Form diese Frauenorganisationen anfänglich auch annehmen: Revolutionäre müssen für ihre Umwandlung in eine proletarische Bewegung eintreten, die die Frauen aller Schichten der Arbeiterinnen, der armen Bauernschaft und der unterdrückten Teile des Kleinbürgertums in die Bewegung hineinzieht.

In der gegenwärtigen Periode, wo Revolutionäre nicht die Führung der großen Masse der Arbeiterinnen stellen, stellt sich dennoch die Aufgabe eine solche Bewegung zu organisieren. Wir fordern von den sozialdemokratischen und stalinistischen Führerinnen und Führern des Proletariats, daß sie die Mittel und die Unterstützung für den Aufbau solch einer Bewegung zu Verfügung stellen. Auf diese Art können wir in eine Einheitsfront mit den militantesten Teilen der proletarischen Frauen eintreten und versuchen, diese durch gemeinsame Aktionen und kommunistische Propaganda von ihren falschen Führern loszureißen und schließlich zu gewinnen.

Die Frauen aus anderen Klassen, vor allem die Bäuerinnen, aber auch die städtischen Kleinbürgerinnen besonders der imperialisierten Länder, werden unter der Führung der proletarischen Frauen in diesen Kampf gezogen werden. Der feministischen Linie einer klassenübergreifenden Bewegung zu folgen, würde die Preisgabe der Interessen der Arbeiterinnen bedeuten. Ein zeitweiliges Bündnis mit Teilen der bürgerlichen Frauenbewegung ist nur in einigen halbkolonialen Ländern möglich. Aber dazu müssen diese Bewegungen für zumindest bürgerlich-demokratische Rechte kämpfen und mobilisieren (z.B. der Kampf der Kongreß-Partei in Indien gegen die Witwenverbrennung). Weiters muß für eine Einheitsfront die Propaganda- und Organisationsfreiheit aller zum Kampf bereiten Tendenzen gegeben sein. Es darf keine Beschränkungen für Trotzkisten und Trotzkistinnen in ihrer revolutionären Arbeit geben.

Wir lehnen die Vorstellung einer „autonomen“ Frauenbewegung ab, da diese die Möglichkeit einer Gewinnung der Frauenbewegung für das revolutionäre Programm ausschließt und die Intervention kommunistischer Frauen als disziplinierte Mitglieder ihrer Organisation zu verhindern sucht. Kommunistinnen versuchen die Mehrheit der proletarischen Frauenbewegung dafür zu gewinnen, das revolutionäre Programm zu unterstützen und Kommunistinnen in ihre Führung zu wählen.

Die Losung der „Autonomie“ beinhaltet auch den Ausschluß der Männer von den Organisationen (und oft auch den Veranstaltungen) der Frauen. Die proletarischen Frauen können weder den Kapitalismus zerstören, noch ihre eigene Unterdrückung beenden, ohne sich im Kampf mit dem Rest ihrer Klasse, den Männern, zu vereinen. Der Ausschluß der Männer von den Aktivitäten einer Frauenbewegung erzeugt eine unnötige Barriere auf dem Weg des Kampfes gegen den Sexismus, der auch die Erziehung der Arbeiter im Prozeß des gemeinsamen Kampfes mit den Frauen beinhalten muß.

Kinder und Jugendliche

Die Söhne und Töchter der Arbeiter und Bauern erfahren die schärfsten Formen der kapitalistischen Ausbeutung und des Mißbrauchs. Den Jugendlichen werden die elementarsten Rechte auf Unabhängigkeit verwehrt. Die Jugendlichen haben keine gesetzlich garantierten Rechte, über ihre Löhne zu verfügen, keinen unabhängigen Zugang zu staatlichen Unterstützungen und de facto kein Recht zu wählen, wo und wie sie ihr Leben leben wollen. Trotzdem werden Jugendlich für reif genug gehalten, in die bewaffneten Streitkräfte zwangseingezogen zu werden, um dort zu Millionen für die militärische Verteidigung der bürgerlichen Ordnung geopfert zu werden.

Die soziale Struktur, die die Unterdrückung der Jugend erzeugt und aufrechterhält, ist die Familie. Diese Unterordnung ist wie bei der Unterdrückung der Frauen kein Kennzeichen des menschlichen Lebens schlechthin, sondern ein Produkt der Klassengesellschaft. In den einzelnen Familien werden die Kinder und Jugendlichen aufgezogen und grundlegende Kenntnisse erlernt. Zusätzlich dient sie dazu, den Jugendlichen jene Regeln einzuimpfen, mit denen sie sich im Erwachsenenalter halten sollen. Die proletarischen Kinder werden aufgezogen, um gehorsame Arbeiter zu sein. Die männlichen Kinder der Bourgeoisie werden gelehrt, erfolgreiche Industriekapitäne und Generäle der Streitkräfte zu sein, und die Mädchen dazu herangezogen, gehorsame Hausfrauen oder Produzentinnen zukünftiger Erben zu sein.

Die Jugendlichen der Arbeiterklasse und der armen Bauernschaft sind der schärfsten Unterdrückung ausgesetzt: Die Unterdrückung in der Familie geht mit der Überausbeutung in der Produktion und einem geringen Bildungsniveau einher. Diese Jugendlichen sind das Rückgrat der Billiglohnindustrien. Das spiegelt die Lage der Jugend in der Familie wider: Bei ihren Löhnen ist generell die Zugehörigkeit zu einer größeren ökonomischen Einheit vorausgesetzt. Das verstärkt umgekehrt die Abhängigkeit der Jugendlichen von den Eltern. Die proletarischen Jugendlichen an den Schulen und anderen Bildungseinrichtungen erhalten wenig oder kein Einkommen, eine qualitativ schlechte Ausbildung und eine Erziehung, die bestimmt ist, den Interessen der Bourgeoisie zu dienen.

In ihrer extremsten Form ist die Stellung der Jugend- und Kinderarbeit eine Form der Sklaverei, bei der alle Löhne an das Familienoberhaupt, normalerweise den Vater, bezahlt werden. Wo die Kinderarbeit üblich ist, wie in vielen Halbkolonien, kümmern sich die Bosse überhaupt nicht um das Wohl der heranwachsenden Kinder, sondern treiben sie in Krankheit und frühen Tod. Die Armut der Eltern ist so drückend, daß sie keine Alternative dazu sehen, ihre Kinder in die Hölle der Überausbeutung zu schicken. Die Gesetze zum Schutz der Kinder werden sowohl von den Unternehmern als auch von den Eltern ignoriert. Das bestätigt die Marx’sche Erkenntnis, daß das Recht in einer Gesellschaft niemals höher als ihre ökonomische Basis sein kann.

Eine andere Konsequenz dieser wirtschaftlichen und rechtlichen Abhängigkeit ist die Unterdrückung des Sexuallebens der jungen Menschen. In der Klassengesellschaft ist das ein notwendiger Ausgangspunkt, um den Jugendlichen Konformität und Unterordnung einzuimpfen. Den Kindern wird die Bildung eines rationalen Verständnisses ihrer sexuellen Gefühle bzw. deren Verbindung mit sozialer Verantwortung nicht gestattet. Der kindlichen Sexualität wird jeder freie Ausdruck verwehrt; selbst jene Gefühle werden unterdrückt, die mit der heterosexuellen Norm, die die bürgerliche Gesellschaft vorschreibt, nicht widersprechen. Statt dessen werden die jungen Leute moralischen und religiösen Tabus unterworfen, die zur Vernebelung ihres Bewußtseins mit irrationalen Ängsten dienen. Das ganze Seelenleben des Kindes wird dazu gezwungen, sich um seine Eltern zu konzentrieren und an diese zu binden. Dadurch werden die bürgerlichen Vorstellungen des Individuums und der Privatheit gegen jedes kooperative und kollektive Ideal anerzogen.

Um die Jugendlichen von ihrer ökonomischen, sozialen, rechtlichen und sexuellen Unterordnung zu befreien, bedarf es der Umwälzung der Gesellschaft, um sicherzustellen, daß der individuelle Familienhaushalt nicht länger der ausschließliche Ort zur Durchführung der Hausarbeit und der Kindererziehung bleibt. Dies würde es zugleich mit der Herausbildung der Bedingungen für die Frauenbefreiung auch den Jugendlichen ermöglichen, unabhängig von ihren Eltern zu sein, mit soviel oder sowenig Kontakt zu ihnen, wie sie wollen, aber mit von der Gesellschaft bereitgestellter Wohnung, Reinigungsdienst, Nahrung, Kleidung, Freizeiteinrichtung und Kinderbetreuung für alle.

Wirtschaftliche Unabhängigkeit, angemessene Ausbildung und Freiheit von Überausbeutung sind Schlüsselforderungen für die Jugend. Für all jene in Lohnarbeitsverhältnissen muß gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit unter Arbeiterkontrolle erreicht werden, um die gewaltigen Lohndifferenzen zwischen jugendlichen und erwachsenen Arbeitern zu überwinden. Jugendliche, die erstmals ins Erwerbsleben eintreten, sollten nur eine verringerte Stundenzahl arbeiten und das Recht auf längeren Urlaub als erwachsene Arbeiter haben. Bis zum Ende der Schulpflicht müssen für Jugendliche und Kinder die Arbeitsstunden streng begrenzt und die Arbeitsbedingungen durch die Arbeiterklasse und Komitees von jugendlichen Arbeitern überwacht werden. Schutzgesetze sind notwendig, die Nachtarbeit, lange Arbeitszeit und andere Tätigkeiten, die für die Entwicklung und Gesundheit der Jugendlichen schädlich sein könnten, verbieten. Diese müssen von den Arbeitern und Jugendlichen kontrolliert werden.

Erziehung und Ausbildung der Jugend ist eine Sache der ganzen Arbeiterklasse. Die Bosse müssen gezwungen werden, Ganztagsschulen und finanzielle Unterstützung, zuerst für die Familien und dann für die Schüler selbst, bereitzustellen. Bildung muß kostenlos sein, alle Ausgaben sollen vom Staat bezahlt werden. Es sollte eine allen zugängliche Gesamtschule sein, die bis zu einem von der Arbeiterbewegung festgesetzten Alter verpflichtend zu besuchen ist. Wir kämpfen für die Abschaffung von Tests und Prüfungen, die zur Aufnahmebeschränkung in den Bildungsinstitutionen geschaffen wurden. Allen, die nach dem schulpflichtigen Alter in Ausbildung stehen, muß ein ausreichendes Stipendium in einer Höhe, die von Komitees der Studenten, Arbeiter und Lehrer festgesetzt und gegen die Inflation geschützt ist, gezahlt werden.

Bildung muß für Mädchen und Buben gleichermaßen zugänglich sein, und die Arbeiterbewegung muß für die Integration der schulischen Ausbildung (Koedukation) der Buben und Mädchen kämpfen. Diese muß weltlich sein – keine religiöse Propaganda in Schulen, keine staatlichen Mittel für religiöse Schulen! Wir kämpfen gegen bürgerliche Vorurteile in den Lehrplänen, für Unterricht über die Geschichte der Arbeiterbewegung und das Wesen der kapitalistischen Ausbeutung. In den Schulen und anderen Bildungsstätten kämpfen wir für die Integration von Schulbildung und Erfahrung in der Produktion, und zwar mit dem Ziel, die Trennung von Hand- und Kopfarbeit – ein Kennzeichen bürgerlicher Erziehung – zu überwinden. Gleichzeitig muß die Arbeiterbewegung dagegen kämpfen, daß die Kapitalisten Studenten und Lehrlinge als billige Arbeitskräfte verwenden. Wir kämpfen für angemessene kulturelle und sportliche Ausstattung und für eine freie Diskussion über sexuelle, soziale und politische Fragen an den Schulen. Wir fordern die Ausbildung der Jugendlichen im Gebrauch von Waffen, wobei wir jedoch jede Anwesenheit der Polizei oder der Armee an den Schulen, Fachschulen und Universitäten ablehnen.

Wir kämpfen dafür, alle Erziehungsmittel unter die Kontrolle der Arbeiterklasse, der Studenten und Schüler zu stellen. Während wir gegen private Ausbildungsinstitutionen und für die Nationalisierung der Universitäten kämpfen, kämpfen wir für die Unabhängigkeit der Erziehungsinstitutionen vom kapitalistischen Staat. Die Führung der Ausbildungsinstitutionen muß unter die direkte Kontrolle der dortigen Arbeiter, Studenten und Lehrer und der Vertreter der Arbeiterbewegung gestellt werden. Diese müssen auf Massenversammlungen aller Beteiligten nach dem Prinzip „eine Person, eine Stimme“ gewählt werden. Wir treten für das Recht der Schüler und Studenten ein, Gewerkschaften und politische Organisationen zu bilden, und für das Zutrittsrecht von Arbeitervertretern zu Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Vertreibt die Faschisten von den Schulen, Fachschulen und Universitäten! Die Kontrollorgane der Arbeiter, Studenten und Schüler müssen für das Recht kämpfen, ein Veto gegen die Ernennung reaktionärer Lehrer aussprechen zu können.

Die Studenten und Studentinnen als ganzes sind nicht automatisch natürliche Verbündete der Arbeiterklasse. Viele Studenten kommen aus den höheren und mittleren Klassen. Studenten, die nicht arbeiten müssen, sind in einer privilegierten Position, da sie nicht dem Tagesablauf der Arbeiterklasse unterworfen sind. Weiters haben viele Studenten und Studentinnen aufgrund ihrer Ausbildung Privilegien. Trotzdem können und müssen viele Studenten – zukünftige Wissenschafter, Techniker, Rechtsanwälte und Künstler – auf die Seite der revolutionären Arbeiterbewegung gewonnen werden und sie dadurch stärken. Seit der Zeit von Marx und Engels wurden die besten Elemente der Intelligenz jeder Generation für die Sache des Proletariats gewonnen. Die Massenkämpfe der Studenten und Studentinnen zeigen – in den degenerierten Arbeiterstaaten ebenso wie in den kapitalistischen Ländern -, daß die Studenten und Studentinnen im Kampf für den Sozialismus, Schulter an Schulter mit der proletarischen Avantgarde, eine wichtige Rolle spielen.

Wir kämpfen daher für die Einheit der Arbeiter und Studenten, ausgedrückt in permanenten Verbindungen zwischen der Arbeiterbewegung und den Studentenorganisationen. Dadurch können Studenten und Studentinnen auf die Seite der Arbeiterklasse gewonnen werden. Der Enthusiasmus und Idealismus der Studenten und Studentinnen wiederum können den Arbeitermilitanten helfen, ihre bürokratischen und konservativen Führer zu vertreiben. Die Studenten sollten sich der Taktiken des Klassenkampfes bedienen – Streik und Besetzung -, um ihre Forderungen durchzusetzen. Sie sollten für die Kontrolle der Studentengewerkschaften durch die Basis und gegen staatliche Einmischung und Kontrolle kämpfen. In einigen Ländern existiert eine Studentenbürokratie, die, obwohl sie kein Teil der Gewerkschaftsbürokratie ist, aktiv dieselbe Ideologie und politische Methode wie diese propagiert. Diese Führungen müssen gestürzt und die Studentenorganisationen für die Unterstützung der wirklichen Kämpfe der Arbeiter gewonnen werden.

Arbeitslose Jugendliche müssen für eine gründliche Bildung und Ausbildung, volle wirtschaftliche Unterstützung und für eine gleitende Arbeitszeitskala zur Aufteilung der Arbeit auf alle Hände unter Arbeiterkontrolle kämpfen. All jene, die aus den Bildungsinstitutionen entlassen werden und keine Arbeit finden, müssen volle Arbeitslosenunterstützung erhalten, um sicherzustellen, daß die Arbeitslosigkeit nicht zur vollständigen wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Familie führt.

In der Familie sind es die Eltern, die für die Unterdrückung ihrer Kinder unmittelbar verantwortlich sind. Das trifft selbst dort zu, wo die Eltern fortschrittliche Ideen vertreten. Öfter allerdings unterdrücken die Eltern ihre Kinder auf brutale Art, bestrafen Ungehorsam mit Gewalt und Mißbrauch. Die Jugend benötigt daher volle gesetzliche und politische Rechte in der Familie und anderswo als Hilfe zur Brechung der Herrschaft und Macht, die die Eltern über sie ausüben. Die sozialen Einschränkungen, die die Familie auf die Jugendlichen oft in Verbindung mit der Religion ausüben, unterdrücken viele junge Männer und Frauen aufs Schärfste. Da ihnen die Familie das Recht auf die Ausübung der von ihnen gewählten sozialen und sexuellen Aktivitäten verwehrt, müssen soziale Zentren zur Verfügung gestellt werden, wo alle Einrichtungen für diese Aktivitäten frei zugänglich sind. In diesen sozialen Zentren sollten Information und Aufklärung über Sexualität zusammen mit kostenlosen Verhütungsmitteln und Hinweisen auf Abtreibungsmöglichkeiten erhältlich und zugänglich sein. Das gesetzliche (sexuelle) Mündigkeitsalter leistet nichts, um Jugendliche vor sexuellem Mißbrauch zu schützen. Es straft nur beidseitig gewollte sexuelle Beziehungen von Individuen unter einem bestimmten Alter. Schafft daher das (sexuelle) „Mündigkeitsalter“ ab!

Die Jugendlichen müssen volle politische und gesetzliche Rechte auch in der öffentlichen Sphäre erlangen. Wenn die Jugend reif genug ist, in die Armee der Bosse zwangseingezogen zu werden, um deren Ausbeutungssystem zu verteidigen, dann sind sie auch reif genug, um verantwortliche Entscheidungen in Friedenszeiten zu treffen. Das Wahlrecht sollte bei einem gesetzlichen Minimum von maximal 16 fixiert werden und darunter von der jeweiligen nationalen Arbeiterbewegung bestimmt werden. Das Recht, gesetzlich bindende Entscheidungen in finanziellen und öffentlichen Angelegenheiten zu treffen, muß ab demselben Alter garantiert werden.

Die Jugend, vor allem die männliche, ist das Kanonenfutter der bürgerlichen Armeen. Hunderttausende Jugendliche beiderlei Geschlechts wurden im Dienste der Reaktion zynisch geopfert, sei es für den US-Imperialismus in Vietnam oder durch das Fortführen eines Ablenkungskrieges im Iran. Es ist notwendig, die Jugend im Geist des proletarischen Anti-Imperialismus und Anti-Militarismus zu erziehen. Der Pazifismus stumpft nur den Geist ab und bereitet zukünftigen Schlächtereien den Weg. Die Jugend muß unter Anleitung der Arbeiterbewegung in militärischen Techniken trainiert werden. Sie wird das Rückgrat der Verteidigungseinheiten der Streikposten und den Kern der zukünftigen Arbeitermilizen darstellen.

In Zeiten akuter Krisen und Klassenkämpfe können arbeitslose Jugendliche, die keinerlei Erfahrung in der Produktion und mit Solidarität haben, zur Unterstützung faschistischer Banden oder als Streikbrecher mobilisiert werden. Um dieser Gefahr zu begegnen, muß die organisierte Arbeiterklasse die Jugend in die Gewerkschaften ziehen. Für junge Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich den Gewerkschaften anschließen, muß es reduzierte Mitgliedsbeiträge, aber vollständige Mitgliedsrechte geben. Die Jugendlichen müssen eigene Gewerkschaftssektionen organisieren, um ihre Forderungen voranzutreiben, sich zu schulen und andere junge Arbeiter und Arbeiterinnen zu rekrutieren.

Es gibt sehr große Möglichkeiten zur Gewinnung der Jugend für die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse. Da sie natürlich mehr als jede andere Generation um die Zukunft besorgt ist, kann sie schnell für einen revolutionären bzw. sozialistischen Standpunkt gewonnen werden. Die Jugend ist in der Regel frei von dem Konservatismus, der den Geist von so manchem älteren Arbeiter gebrochen hat. Sie wurde nicht durch die jahrelange Erfahrung der reformistischen (Irre-) Führung und des Verrats zermürbt.

Eine revolutionäre Jugendbewegung muß aufgebaut werden. Sie ist ein Schlüssel zur Organisation des Kampfes für die Macht der Arbeiterklasse und die Befreiung der Jugend. Bewaffnet mit dem revolutionären Übergangsprogramm, wird diese Bewegung die Jugendlichen anderer Klassen, besonders der armen Bauern und der städtischen Kleinbourgeoisie, in sich hineinziehen. Die revolutionäre Jugendbewegung sollte auf jeder Ebene der Arbeiterbewegung repräsentiert sein. Dieses Prinzip gilt mit doppelter Kraft auch für die revolutionäre Partei, die damit der gesamten Arbeiterbewegung ein Beispiel geben soll.

Lesben und Schwule

Sexuelle Unterdrückung ist ein Merkmal aller Klassengesellschaften. Die Durchsetzung der Monogamie für die Frauen begleitete die Entstehung von Privateigentum und Klassen bzw. war wesentlich mit ihr verbunden. Im Kapitalismus existiert noch immer eine allgemeine sexuelle Unterdrückung, insbesondere der Frauen und Jugendlichen. Der Kapitalismus hat aber auch die systematische Unterdrückung von Lesben und Schwulen hervorgerufen. Welcher liberalen Gesten sich die kapitalistische Gesellschaft auch immer in Zeiten des Aufschwungs fähig gezeigt hat, sie bleibt doch an sich anti-homosexuell.

Da die Familie für den Kapitalismus ideologisch und wirtschaftlich sehr zentral ist, wird jede Gruppe, die die monogame, heterosexuelle „Norm“ der bürgerlichen Familie unterwandert, als äußerste Gefahr für die Gesellschaft gesehen und dementsprechend gebrandmarkt. Lesben und Schwule stellen eine Gefahr für den ideologischen Unterbau der Familie und für ihre ideale Kernstruktur dar, indem sie aufzeigen, daß Sexualität weder eine bloß auf die Schaffung von Nachwuchs gerichtete Aktivität, noch ein Mittel zur Zementierung der monogamen heterosexuellen Ehe ist. Sie bezeugen die Tatsache, daß Sexualität selbst ein Vergnügen darstellt. Das Faktum, daß lesbische und schwule Sexualität eindeutig nicht-reproduktiv ist, stellt eine Bedrohung für die Legitimität der bürgerlichen Familie dar.

Im Kapitalismus werden Lesben und Schwule systematisch denunziert, mißbraucht und kriminalisiert. Dies führt zu sexuellem Elend für Millionen Individuen und schürt schädliche Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse. Durch die Manipulation von Erziehung, Medien, Religion und Rechtssystem und durch die stillschweigende Duldung der Gewerkschaftsbürokratie, fördert die Bourgeoisie die Idee, daß Homosexualität „unnatürlich“ sei.

In den 80er Jahren verwendete die Bourgeoisie in den imperialistischen Ländern die Entwicklung der AIDS-Epidemie zur Verfolgung der Homosexuellen, insbesondere der Schwulen, die beschuldigt wurden, die Überträger der Krankheit zu sein. Innerhalb der Arbeiterklasse sind diese Argumente allgemein akzeptiert worden, und eine tief verwurzelte Angst vor Homosexualität (Homophobie) ist die Norm. Diese Homophobie schafft oft die Grundlage für einen aktiven, häufig gewaltsamen, Fanatismus gegen Lesben und Schwule in der Arbeiterklasse. Dennoch hat das Proletariat kein materielles oder fundamentales Interesse an der Aufrechterhaltung der lesbischen oder schwulen Unterdrückung oder in der Verewigung des anti-lesbischen und anti- schwulen Fanatismus.

Lesben und Schwule erleiden Unterdrückung in allen Bereichen, bis hin zu gesetzlichen Sanktionen. Während Lesben und Schwule aller gesellschaftlichen Klassen von ihr betroffen sind, ist sie doch für die Angehörigen der Arbeiterklasse am stärksten. Die Unterdrückung hat ihre Auswirkung auf die beruflichen Möglichkeiten. Männer und Frauen, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen, bekommen schwerer Arbeit, werden am Arbeitsplatz isoliert und mißbraucht und verlieren leichter ihre Arbeit, ihre Unterkunft und ihre Kinder. Im Gegensatz zu unterdrückten Mitgliedern der herrschenden Klasse haben aber Lesben und Schwule der Arbeiterklasse keine andere Alternative, als Arbeit zu suchen. Folglich sind sie oft gezwungen, ihre Sexualität zu verleugnen und erleiden durch diese Verleugnung und Unterdrückung psychischen Schaden.

Die Arbeiterklasse muß für die Beendigung jeglicher Diskriminierung von Lesben und Schwulen kämpfen. Die Homosexualität ist ein grundlegendes demokratisches Recht. Der Staat soll keine Rechte haben, dort in die Sexualität von Menschen einzugreifen, wo eine freiwillige Zustimmung der Beteiligten besteht. Die Abschaffung des Mündigkeitsalters ist notwendig, um der Polizei und den Gerichten eine weitere Waffe, junge Lesben und Schwule zu schikanieren, aus der Hand zu schlagen. Die Diskriminierung muß in jedem Bereich, einschließlich des Arbeitsplatzes, der Unterkünfte und des Sorgerechtes für Kinder, bekämpft werden. Gesetzlich verankerte Rechte sollen von der Arbeiterklasse erkämpft und verteidigt werden. Der Staat muß gezwungen werden, in den Schulen Aufklärung über Sexualität anzubieten, ohne die Homosexualität zu verurteilen, wie es heute gang und gäbe ist. Die religiöse, anti- homosexuelle Engstirnigkeit muß aus den Klassenräumen verbannt werden.

Millionen von Lesben und Schwulen sind Teil der Arbeiterklasse. Die große Mehrheit bekennt sich nicht zu ihrer Sexualität – aus Angst vor Schikanen und Verfolgung. Jene, die es getan haben, erlitten infolge ihrer Offenheit Nachteile. Die Organisationen der Arbeiterklasse müssen für die Unterstützung der Rechte aller Homosexuellen – offen zu ihrer Sexualität stehen zu können, Widerstand gegen polizeiliche Schikanen oder faschistischen Terror zu leisten, das Recht auf Arbeit zu verteidigen und einen Mindestlohn zu erhalten – gewonnen werden. Eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts für Leute mit verschiedenen sexuellen Orientierungen muß die sexistische und heterosexistische Engstirnigkeit, die momentan in der Arbeiterklasse der ganzen Welt vorherrscht, ersetzen.

Die Lesben und Schwulen der Arbeiterklasse müssen das Recht auf eigene Treffen innerhalb der Organisationen der Arbeiterklasse haben, um gegen die Homophobie und für volle politische und soziale Gleichheit zu kämpfen. Um den Kampf über bestimmte Anliegen des eigenen Bereichs oder der unmittelbaren Umgebung hinauszutragen, müssen solche Zirkel mit denjenigen Einheitsfronten und Kampagnen verbunden werden, die ein Teil der proletarischen Bewegung für eine lesbische und schwule Befreiung sein könnten. Revolutionäre und Revolutionärinnen werden um die politische Führung in solchen Einheitsfrontorganisationen kämpfen, um Lesben und Schwule für ein Programm ihrer Befreiung und für den revolutionären Sozialismus zu gewinnen.

Die systematische Unterdrückung von Lesben und Schwulen wird nicht aufhören, solange die bürgerliche Familie als Modell für das gesellschaftliche Leben gefördert und verteidigt wird. Das ist ein Grund, warum der Kampf für die Beendigung dieser Form der Unterdrückung mit dem Programm für die Macht der Arbeiterklasse verbunden werden muß. Eine solche Revolution wird fähig sein, die lesbischen und schwulen Proletarier von den materiellen Entbehrungen, die ihnen als direktes Ergebnis ihrer Unterdrückung und Ausbeutung durch den Kapitalismus auferlegt sind, zu befreien. Und sie kann auch dem sexuellen Elend, das das Leben von Millionen zunichte macht, ein Ende bereiten.

Rassistische Unterdrückung

Moderne Nationen können nicht mit sogenannten Rassen gleichgesetzt werden. Rassistische Unterdrückung ist das Produkt des Entstehens der bürgerlichen Nation. In der merkantilistischen Periode des frühen Kapitalismus war in gewissen Ländern die Sklaverei eine Grundlage für die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals. Die Ausdehnung der kapitalistischen Kolonialreiche brachte für die Eingeborenenbevölkerung die systematische Verweigerung einfacher Menschenrechte und sogar Völkermord mit sich. Aber der Rassismus nahm in der imperialistischen Epoche seine gehässigste Form an: Wirtschaftliche Katastrophen, Revolutionen und Kriege haben einen modernen, pseudo-wissenschaftlichen Rassismus ins Leben gerufen. Er existiert sowohl als fieberhaftes Hirngespinst des Kleinbürgertums als auch als bewußtes Werkzeug der imperialistischen Bourgeoisie.

In unserem Jahrhundert ist das „Rassen“-Problem nicht ein Problem angeblicher rassischer Unterschiede, sondern es ist eine Funktion des Rassismus: die Unterdrückung von Menschen ihrer (angeblichen) „Rasse“ wegen. Die Opfer dieses systematischen Rassismus sind zahlreich. An vorderster Front stehen die Juden, die im Zweiten Weltkrieg einen Völkermord erleiden mußten, und die Schwarzen aus Afrika, aus der Karibik, aus den USA und die, die nach Europa emigriert sind. In Südafrika schuftet die schwarze Mehrheit schon lange unter der barbarischen Unterdrückung durch die Apartheid. Zusätzlich sog der Nachkriegsboom Millionen von Arbeitern aus den Halbkolonien in die imperialistischen Kernländer, aus einer Halbkolonie in die andere und aus weniger entwickelten in höher entwickelte imperialistische Länder. Diese Wanderarbeiter und eingewanderten Arbeiter sind auch rassisch unterdrückt.

Den Opfern rassistischer Unterdrückung werden systematisch demokratische Rechte verweigert. Der Rassismus von Polizei und Staat stürzen auf sie ein. Dies dient im weiteren dazu, gewalttätige Angriffe von einzelnen Rassisten, von Banden und organisierten Faschisten zu ermutigen. Die rassistisch Unterdrückten erleiden Diskriminierung in der Ausbildung und in allen Bereichen der sozialen Vorsorge. Sie sind bei der Arbeit einer Überausbeutung ausgesetzt. Wann immer der Kapitalismus in die Rezession gerät, leiden rassistische unterdrückte Minderheiten am meisten unter Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhnen.

Für die arbeitenden Massen der rassistisch Unterdrückten gibt es keine kapitalistische Lösung für ihre Unterdrückung. Die Tendenz des Kapitalismus, Immigrantengemeinden zu integrieren und in verschiedene Schichten zu spalten, begünstigt immer die kleinbürgerlichen und bürgerlichen Schichten auf Kosten der ärmsten Massen. Und selbst diese Tendenz wurde wiederholt in ihr Gegenteil verkehrt, wenn der Kapitalismus in seinen Krisenperioden auf ungeschminkten Rassismus und Nationalchauvinismus zurückgreift. Die Schlachtung von sechs Millionen Juden unter Hitler zeigt das barbarische Potential der Epoche. Egal welches Niveau von „Chancengleichheit“ oder „bejahendem Handeln“ erreicht ist, die scharfen Wendungen des Imperialismus in Politik und Wirtschaft machen die Unterdrückten potentiell zu Opfern der völkermordenden „Endlösung“ des verzweifelten Finanzkapitals.

Revolutionäre Kommunisten und Kommunistinnen betreiben innerhalb der unterdrückten Gemeinden Agitation und Propaganda für die strikteste Trennung der Klasseninteressen der Arbeiter von denen der Bourgeoisie, des Kleinbürgertums und den Interessen des Klerus. Zu diesem Zweck kann die revolutionäre Partei spezielle Organisationen schaffen, aber sie wendet sich entschieden gegen den Ruf nach einer separaten politischen Partei irgendeiner rassistischen Gruppe, egal welchen ultra-radikalen politischen Inhalt sie hat. Separatismus und Nationalismus führen vom Gesichtspunkt des Kampfes zur Beendigung der Unterdrückung in eine Sackgasse.

Die Erfahrungen der Kämpfe der Schwarzen in den USA zeigen sowohl die Fallgruben als auch das revolutionäre Potential der Kämpfe gegen rassistische Unterdrückung auf. Während des langen Nachkriegsbooms lebten die Schwarzen unter einer „demokratischen“ Verfassung, und die formale Abschaffung der Sklaverei lag ein Jahrhundert hinter ihnen. Doch sogar in diesen Jahrzehnten des „Wohlstandes“ wurden die Schwarzen massiv entrechtet, überausgebeutet und in den Südstaaten einer Form von Apartheid ausgesetzt. Ausgehend vom passiven Protest, der von schwarzen Geistlichen und der Intelligenz geführt wurde, entwickelte sich der Widerstand der Schwarzen zu einer Massenrevolte und zu bewaffneten Zusammenstößen mit der Polizei und der National Guard.

Aber der Massenaufstand war mit einer massiven Führungskrise gekoppelt. Auf der einen Seite war das integrationistische Kleinbürgertum dazu bereit, zugunsten von Reformen und größerem Zugang zu lokalen und bundesstaatlichen Regierungen die Massenrevolte zu demobilisieren. Andererseits war die radikale Opposition zu diesem Ausverkauf – die Black Panthers, Malcolm X – nicht in der Lage, einen kompletten Bruch mit Separatismus und Guerillaismus zu vollziehen. Von der Masse der weißen Arbeiter und den Massen der schwarzen Gemeinden abgeschnitten, wurde die Avantgarde vom US-Staat zermalmt. Nachdem der US-Imperialismus diesen Sieg errungen hatte, verleibte er sich eine schwarze Bourgeoisie und eine Kaste professioneller Politiker ein und ließ die erdrückende Mehrheit in Amerikas zerrütteten Innenstädten verkommen.

Nur die Überwindung des Imperialismus, die Befreiung der Produktivkräfte von den Ketten des nationalen Kapitalismus, kann die materiellen Wurzeln der rassischen Unterdrückung beseitigen. Der Kampf gegen Rassismus muß daher einen integralen Bestandteil des Programms und der Aktivität der revolutionären Partei in jeder Periode bilden. Diese muß ihr Übergangsaktionsprogramm um die alltäglichen Kämpfe der rassistisch Unterdrückten konzentrieren, die sich gegen die Diskriminierung in Ausbildung, Löhnen, Beschäftigung und Arbeitsbedingungen wenden. Die Partei kann und muß unter den Männern, Frauen und Jugendlichen der rassistisch Unterdrückten Massen heldenhafter Kämpfer und Kämpferinnen finden und um dieses Programm versammeln.

Weil sie von Klassenkollaborateuren und Sozialchauvinisten geführt werden, spiegeln die offiziellen Arbeiterbewegungen der imperialistischen Kernländer den Rassismus und Chauvinismus der herrschenden Klasse wider und sind häufig ein Instrument der Herrschenden. Aber es gibt für die Unterdrückten keinen anderen Weg zur Befreiung, als durch einen Kampf die Mehrheit der Arbeiterklasse für gemeinsame Aktionen gegen den Rassismus zu gewinnen.

Revolutionäre Kommunisten und Kommunistinnen kämpfen innerhalb der Arbeiterbewegung für gemeinsame Aktionen gegen alle rassistischen Angriffe und Gesetze, sowie für Arbeiterverteidigungstrupps gegen rassistische und faschistische Attacken. Wir kämpfen für volle Staatsbürgerschaft und demokratische Rechte für alle rassistisch unterdrückten und nationalen Minderheiten, für alle Immigranten- und Wanderarbeiter. Wir kämpfen für die Abschaffung aller Einwanderungskontrollen in den imperialistischen Ländern. In den Halbkolonien gilt unser Kampf den kolonialen Niederlassungen, und wir unterstützen die Einführung von zeitlichen und anderen Einschränkungen der Staatsbürgerschaft für weiße Siedler. Wir sind gegen alle neuen kolonialen Niederlassungen von Kapitalisten und reichen Farmern. Dies ist die einzige Ausnahme, die wir, und zwar in halbkolonialen Ländern, von unserer allgemeinen Opposition gegenüber Einwanderungskontrollen machen.

Es ist skandalös vorzuschlagen, daß die rassistisch Unterdrückten passiv ausharren und den Rassismus geduldig ertragen sollten, bis die Masse der weißen Arbeiter und ihre Organisationen für eine anti-rassistische Perspektive gewonnen worden sind. Wir fordern Unterstützung der Arbeiterbewegung für die Selbstverteidigung gegen rassische Angriffe. Um den rassistisch Unterdrückten zu helfen, sich innerhalb der Arbeiterbewegung gegen den Rassismus zu organisieren und vollständig an den Kämpfen der ganzen Arbeiterklasse teilzunehmen, sind wir für das Recht der Unterdrückten auf eigene Treffen und auf ihre Vertretung auf allen Ebenen der Arbeiterbewegung; das gilt auch für die revolutionären Partei selbst.

Der Klassenkampf und das vollständige System von Übergangsforderungen werden innerhalb der unterdrückten Gemeinschaften nicht außer Kraft gesetzt, egal unter welcher akuten gemeinsamen Unterdrückung sie auch leiden. Während die Möglichkeit besteht, mit nicht-proletarischen Organisationen innerhalb der Gemeinschaften begrenzte taktische Übereinkommen zu schließen, müssen diese auf gemeinsamer Aktion und striktester Trennung der Programme basieren. Zu jeder Zeit muß die Arbeiterklasse der unterdrückten Gemeinschaften gegen ihre eigenen Unterdrücker, welcher Nationalität oder ethnischer Herkunft auch immer, und für die Befreiung der Frauen, der Jugendlichen, der Lesben und der Schwulen mobilisiert werden.




Selbstbestimmungsgesetz: Ist das schon Selbstbestimmung?

Stephie Murcatto, Neue Internationale 276, September 2023

Am 23. August 2023 hat das Bundeskabinett den Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Jetzt muss das Gesetz nur noch im Bundestag abgestimmt werden. Aber was beinhaltet es eigentlich?

Erst einmal das Positive: Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es trans-, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen, ihren Namen und Geschlechtseintrag auf Antrag beim Standesamt zu ändern. Dabei gilt, dass die Veränderung des Eintrags 3 Monate vor der sogenannten „Erklärung mit Eigenversicherung“ beim Standesamt angemeldet werden muss. Danach kann man seinen Namen und Geschlechtseintrag ändern. Dies ist eine erhebliche Erleichterung und ein großer Fortschritt im Kampf um Selbstbestimmung, da man keinen erniedrigenden Prozess durchlaufen, sich kein Gutachten besorgen muss, das bestätigt, dass man trans ist, und dann keinen oft Jahre andauernden Gerichtsprozess durchlaufen muss, um den Eintrag tatsächlich ändern zu können.

Die Grenzen der Selbstbestimmung

Bei minderjährigen Menschen ist der Prozess der „Selbstbestimmung“ jedoch weniger selbstbestimmt. Personen ab 14 Jahren haben zwar das Recht, ihren Antrag auf Geschlechtsänderung selbst einzureichen. Die Wirksamkeit des Antrags hängt jedoch von der Zustimmung der sorgeberechtigten Person oder des Familiengerichts ab. Als Minderjährige/r ist man also immer noch auf die Eltern angewiesen – auch wenn diese transphob sind – und muss „beweisen“, dass man richtig trans ist, bevor man Selbstbestimmung erhält. Für Unter-14-Jährige ist es noch schlimmer: Die dürfen nicht mal den Antrag selber einreichen und haben wenig mitzureden, welches Geschlecht oder Namen man angeben will. Das macht die Kinder nochmals wesentlich abhängiger von ihrer Familie, die eine vollständige Kontrolle darüber hat, wie das Kind eingetragen ist. Sehr selbstbestimmt, liebe Bundesregierung!

Das Ganze wird auch nicht besser: Der vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf schließt sogar aus, dass Menschen, deren Visa bald ablaufen, das Recht auf Selbstbestimmung erhalten. Sie dürfen ihren Eintrag erst nach der Visa-Erneuerung ändern. Das soll angeblich sicherstellen, dass Menschen das Selbstbestimmungsgesetz nicht missbrauchen, um sich vor der Abschiebung zu drücken, aber ist in der Realität ein rassistischer Angriff auf migrantische Menschen. Es wird auch festgehalten, dass die Änderung eines männlichen Eintrags im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ jederzeit ausgesetzt werden kann, angeblich um Männer daran zu hindern, sich dem Militär zu entziehen. Im Entwurf ist auch explizit festgehalten, dass Betreiber:innen von beispielsweise Frauensaunen das Recht behalten, trans Frauen aufgrund ihres trans Seins aus ihren Saunen zu verweisen.

Staatlich bekannte Selbstbestimmung

All das zeigt den rassistischen, sexistischen und transfeindlichen Hintergrund dieses Gesetzes auf, aber es wird noch besser: Im sogenannten Selbstbestimmungsgesetz, das heute vom Kabinett beschlossen wurde, ist inkludiert, dass, sobald man seinen Namen und Eintrag geändert hat, diese Information direkt an alle möglichen Sicherheitsbehörden weitergegeben wird. Diese umfassen das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter, die Bundespolizei, das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst und weitere. Dabei werden automatisch Nachname, bisherige und geänderte Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit/en, bisheriger und geänderter Geschlechtseintrag, Anschrift und Datum der Änderung weitergegeben.

Kurz gesagt: Polizei und Militär, beides Institutionen, die dafür bekannt sind, dass sich rechte und faschistische Strukturen in ihnen ausbreiten, erhalten eine Liste von allen trans Menschen mit aktueller Adresse. Dass das nicht geht und einen massiven Angriff auf die Sicherheit von allen trans-, intersexuellen und non-binären Menschen darstellt, sollte uns allen klar sein. Wir können nicht zulassen, dass trans Personen einerseits unfreiwillig geoutet werden sowie andererseits auch faschistische Strukturen ihre Adressen wissen.

Was können wir dagegen tun?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass trotz einiger längst überfälliger Verbesserungen für trans Menschen der Entwurf rassistische und transfeindliche Regeln enthält, die eine erhebliche Gefahr für trans-, intersexuelle und nicht-binäre Menschen und ihre Sicherheit darstellen. Ebenso gibt’s weiterhin nur eingeschränkte Selbstbestimmung für Jugendliche. Das und die aktuellen Angriffe und Debatten um die Rechte von trans Menschen wie in den USA werfen die Frage auf: Was tun? Wie können wir uns gegen steigende Gewalt und die zunehmenden Angriffe verteidigen? Kurz gesagt: Wer das Problem an der Wurzel packen will, darf keine Illusionen in den bürgerlichen Staat oder die Polizei haben. Das heißt nicht, keine Forderungen zu stellen, aber der Kapitalismus profitiert von der binären Geschlechtereinteilung, da er auf die Reproduktionsarbeit im Privaten angewiesen ist. Konkret muss also der Kampf für Verbesserungen für trans Personen mit dem gegen das kapitalistische System verbunden werden.

Aber die alleinige Verteidigung gegen Angriffe von rechts ist nicht genug. Schließlich ist die Lage von trans Menschen schon schlimm genug. Es braucht eine Bewegung, die für tatsächliche Selbstbestimmung, aber auch Emanzipation von trans, intersexuellen und nicht-binären Menschen kämpft. Eine solche Bewegung muss aus der Defensive herauskommen und tatsächliche Verbesserungen erkämpfen. Dabei sollte sie Hand in Hand mit den Gewerkschaften den Streik als Hauptaktionsform nutzen, denn dieser kann die jetzige Gesellschaft zum Stillstand zwingen und Platz schaffen für tatsächliche Selbstbestimmung und wahre Emanzipation.

Um diese Ziele zu erreichen, fordern wir:

  • Selbstbestimmung für alle, unabhängig von Alter oder Herkunft: Volle rechtliche Gleichstellung von LGBTIA+! Gleichstellung aller Partnerschaften und Lebensgemeinschaften mit der Familie!
  • Gewalt stoppen: Demokratisch organisierte und gewählte Verteidigungskomitees gegen Übergriffe auf LGBTIA+!
  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter:innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!



Die zahlreichen Krisen unserer Zeit und unsere Antworten: Zentrale Eckpunkte eines Aktionsprogramms für Österreich

Michael Märzen und Alex Zora, Arbeiter*innenstandpunkt, zuerst veröffentlicht in Flammende 3, Frühjahr 2023, Infomail 1221, 21. April 2023

Unser aktuelles Aktionsprogramm für Österreich „Reaktion oder Sozialismus!“ stammt aus dem Jahr 2019 und seine Erarbeitung fiel in eine Zeit, als das Land von der schwarz-blauen Regierung unter Sebastian Kurz regiert wurde. Wenige Wochen nach Veröffentlichung des Aktionsprogramms brach dann die rechte Bürger:innenblockregierung im Zuge der Ibiza-Affäre zusammen. Seitdem hat sich die innenpolitische und internationale Situation massiv geändert (schwarz-grüne Koalition, Rücktritt von Sebastian Kurz, Inflation, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, …). Außerdem arbeiten wir seit Anfang 2020 im Wiener Parteiaufbauprojekt LINKS mit. Eine Aktualisierung unserer programmatischen Vorschläge ist deshalb eigentlich mehr als überfällig. Hier ist aber nicht der Platz um das in größerem Umfang zu tun. Vielmehr wollen wir hier unsere programmatischen Vorstellungen exemplarisch darlegen und unsere Methode anhand der wichtigsten Thematiken darlegen.

Multiple Krisen als Krise des Kapitalismus

Nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine ist die Weltwirtschaft in ein „realwirtschaftliches Ungleichgewicht“, wie es die Neue Zürcher Zeitung nennt, gefallen. Schon seit Mitte 2021 erleben wir in Europa relevant steigende Inflationsraten. Inwiefern sich diese nun bei einer Hochinflation  um 10 Prozent „stabilisiert“ hat oder noch weiter steigen wird, ist noch nicht ganz absehbar. Was aber außer Frage steht ist, dass die schon stattgefundene Teuerung die Lebenssituation der lohnabhängigen Bevölkerung in Österreich massiv belastet. Ebenfalls offenkundig zeigt sich  die Gefahr einer Rezession, also eines Schrumpfens der Wirtschaftsleistung, in diesem Jahr. Darin sind sich mittlerweile die meisten bürgerlichen Ökonom:innen und Institute einig. Ausführlicher wird das in unserem Artikel „Wirtschaftskrise und politische Instabilität“ in dieser Ausgabe der Flammenden diskutiert.

Neben den aktuellen wirtschaftlichen Problemen, wie der Inflation und deren massiven Auswirkungen wie Teuerung und Reallohnverlusten, hat uns das letzte Jahr deutlich vor Augen geführt, dass das kapitalistische Weltsystem immer mehr auf eine bewaffnete Konfrontation zwischen den imperialistischen Machtblöcken zusteuert. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt uns klar, dass eine Welt dominiert von einzelnen imperialistischen Großmächten immer auch einen Kampf um Absatzmärkte und Einflusssphären bedeutet, sowie reaktionäre Ideologien wie Nationalismus in sich führt. Die Herrschenden in Europa rüsten aktuell ihre Streitkräfte für ebensolche direkte Konfrontationen mit Russland oder China hoch. Eine mutige antimilitaristische und internationalistische Politik ist essenziell um eigenständige Klassenpolitik machen zu können und nicht zum Weggefährten der Kapitalist:innen im eigenen Land zu werden.

Doch nicht nur eine mögliche Konfrontation zwischen den bis an die Zähne mit Atomsprengköpfen bewaffneten Großmächten gefährdet die Zukunft der Menschheit. Die Umweltkrise und insbesondere der Klimawandel mit seinen direkten Auswirkungen sind mittlerweile von einer abstrakten Zukunftsperspektive zur realen Gefahr für Millionen Menschen auf dem ganzen Globus geworden. Pakistan erlebte 2022 eine massive Flutkatastrophe, Madagaskar eine akute Hungersnot und Inselstaaten im Pazifik sind überhaupt in ihrer Existenz bedroht.

In Österreich ist währenddessen die Regierungskoalition seit dem Skandal rund um Sebastian Kurz immer noch stark angeschlagen. Die Kanzlerpartei ÖVP ist in Umfragen nur noch auf Platz 3 – hinter FPÖ und SPÖ. Eine neue Welle des Rassismus erfasst alle etablierten Parteien von den Regierungsparteien bis zu FPÖ und SPÖ. Die wirtschaftlich schwierigen Aussichten machen eine Neuorientierung der österreichischen Bourgeoisie und ihrer Regierungszusammensetzung möglich. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind noch immer alles andere als überwunden, das österreichische Gesundheits- und Pflegesystem ist weiterhin am Rande des Zusammenbruchs.

Was es braucht ist eine Kraft zur Überwindung dieses Systems. Das kann nur erfolgreich sein mit einem klaren programmatischen Verständnis, welches sich aus einer Analyse der politischen Lage, deren Möglichkeiten und Notwendigkeiten sowie der Erfahrungen des Klassenkampfs begründet. Auf den folgenden Seiten wollen wir versuchen aktuelle Ansätze dazu zu geben.

Inflation und Rezession

Die Inflation des letzten Jahres war nach vielen Jahren der Niedrigstinflation für viele Menschen kaum vorstellbar. Die größten Auswirkungen – wie die, für viele Menschen noch ausstehenden, Energierechnungen des Winters – stehen teilweise noch bevor. Die Bundesregierung beschränkte sich darauf, durch Einmalzahlungen und Zuschüsse die schlimmsten Folgen abzufedern. Die realen Einkommensverluste zu kompensieren, wird sich damit aber kaum ausgehen. Schon jetzt zeigt sich sehr deutlich, wie sehr sich die Inflation auf den Lebensstandard der Menschen in Österreich auswirkt. Zwei Drittel der Menschen in Österreich, die dieses Jahr keinen Winterurlaub machen, geben an, dass die Teuerung dafür hauptverantwortlich ist;[i] 41 % der Menschen in Österreich haben Sorgen, sich bei weiteren Preissteigerungen verschulden zu müssen[ii] und mehr als die Hälfte beginnt sich beim Essen einzuschränken[iii]. Auf die sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften war wie so oft kein Verlass. Stolz verkündeten sie Abschlüsse, die teilweise deutlich unter der aktuellen Inflation zurückbleiben. Eine richtige Mobilisierung zum Arbeitskampf blieb bisher aus. Statt die Ansätze zum Arbeitskampf in unterschiedlichen Branchen hin zu einem branchenübergreifenden Kampf gegen die Inflation vorzubereiten und dann zu eskalieren, gab es unterschiedlich schlechte Abschlüsse in unterschiedlichen Branchen. Die Abschlüsse wurden nach der traditionellen Herangehensweise der durchschnittlichen Inflation der letzten 12 Monate verhandelt, womit die Gewerkschaftsbürokratie Abschlüsse deutlich unter der aktuellen (und prognostizierten) Inflation als Reallohnerhöhungen verkaufte. Statt einen der Situation angemessenen Kampf gegen die Teuerung zu führen blieb man lieber im guten alten Trott – wenig verwunderlich, wenn man sich ansieht, dass die Gewerkschaftsspitzen ein Vielfaches der Gehälter ihrer Mitglieder bekommen. Die Teuerung trifft sie also relativ wenig[iv].

Die Inflation ist aber nicht nur ein Problem für die Lohnabhängigen, sondern auch für große Teile des Kapitals. Von Seiten der Zentralbanken wird versucht mit Erhöhungen der Leitzinsen der Inflation entgegen zu wirken. Damit wird aber gleichzeitig massiv auf die wirtschaftlichen Aussichten gedrückt. Die Wahl, vor die uns das Kapital und seine Regierung stellen, ist Inflation und Teuerung auf der einen Seite und Rezession und Arbeitsplatzverluste auf der anderen Seite. Am Ende ist es nicht unwahrscheinlich, dass uns beides treffen wird. Die aktuelle Prognose der Europäischen Kommission sieht für das Jahr 2023 für Österreich ein Wirtschaftswachstum von 0,3 % vor[v]. Arbeitsplatzverlust, Kurzarbeit und Lohneinbußen sind also schon quasi vorprogrammiert. Was es braucht ist ein mutiges Programm gegen die Teuerung, aber auch vorbereitend ein Programm gegen die Auswirkungen einer wahrscheinlichen Rezession, damit der Widerstand dagegen frühzeitig vorbereitet werden kann. Das bedeutet für uns zu fordern:

  • Automatische Anpassung von Löhnen, Pensionen und Sozialleistungen an die Inflationsrate, kontrolliert durch Komitees aus Beschäftigten, Betroffenen und die Gewerkschaftsbewegung
  • Festlegung der Warenkörbe für die Inflationsberechnung durch Komitees aus Vertreter:innen der Gewerkschaftsbewegung
  • Gegen Armut: Massive Anhebung von Löhnen und Einkommen (Mindestsicherung, Arbeitslosengeld, Pensionen) auf mindestens 1800,- netto/Monat
  • Abschaffung von indirekten Massensteuern
  • Einführung einer Energiegrundsicherung. Enteignung der Energiekonzerne und deren Gewinne und Fortführung unter Kontrolle der Beschäftigten
  • Bei (drohenden) Betriebsschließungen: Enteignung und Weiterführung unter Verwaltung der Beschäftigten
  • Einsicht in die Geschäftsbücher für Komitees der Beschäftigten und der Gewerkschaften um dem Kapital und seinen Machenschaften auf die Finger zu schauen!
  • Gegen Arbeitslosigkeit: Massive staatliche Investitionen in Bildung, Gesundheit und Sozialbereich sowie für den ökologischen Umbau!

Gewerkschaften zurückerobern!

Die österreichische Gewerkschaftsbewegung ist zwar seit den 80er Jahren am absteigenden Ast was Mitgliedschaft und gesellschaftlichen Einfluss anbelangt, aber mit mehr als einer Million Mitgliedern ist der ÖGB immer noch der größte und mächtigste, wenn auch bürokratischste, Ausdruck der Arbeiter:innenbewegung in Österreich. In den letzten Jahren gab es innerhalb der Gewerkschaftsbewegung neue politische Entwicklungen. Die traditionelle Speerspitze des ÖGB – die Metaller:innen – wurde durch die Politik der Gewerkschaftsführung immer mehr abgestumpft. Gleichzeitig haben sich in neuen Sektoren wie dem Sozialbereich oder bei den Pädagog:innen neue kämpferische – und streikfähige – Sektoren herausgebildet. Auch die Eisenbahner:innen haben in den letzten Jahren immer wieder am Vollstreik gekratzt und im Kampf gegen die Teuerung 2022 den bedeutendsten Arbeitskampf geführt.

Insgesamt bleibt die Gewerkschaftsbewegung aber immer noch in der Ideologie der Sozialpartner:innenschaft gefangen. Während der Hochphase der Pandemie waren die Spitzen der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung wieder froh darüber, dass sie in die Verwaltung der Krise auf Kosten der Arbeiter:innen miteinbezogen wurden, doch seit mehr als 2 Jahrzehnten hat die organisierte Kapitalist:innenklasse in Österreich nur mehr sehr selten Bedarf an einem ernsthaften Ausgleich mit den Spitzen der Gewerkschaften. Aber anstatt dem geänderten Kräfteverhältnis zwischen Arbeiter:innenklasse und Kapital mit einer klassenkämpferischen Ausrichtung zu begegnen, versucht die Gewerkschaftsbürokratie lieber durch möglichst zahme Politik ihre Kompromissbereitschaft zu signalisieren. Das Kapital nimmt die Kompromissbereitschaft der Gewerkschaften gerne an, macht aber selbst kaum Zugeständnisse. Ganz im Sinne der bürgerlichen „Standortlogik“ spielt die Gewerkschaftsführung bei staatlichem Rassismus oder Umwelt- und Klimapolitik nur zu oft eine reaktionäre Rolle.

Gleichzeitig stützt sie sich weiterhin vor allem auf die privilegierten Teile der Klasse. Weibliche oder migrantische Arbeiter:innen sind deutlich unterrepräsentiert – in der Gewerkschaftsführung noch einmal deutlich mehr als  in der ohnehin verbesserungswürdig zusammengesetzten Basis. Es braucht hier bewusste Schritte um sozial unterdrückte Teile der Klasse zu organisieren.

Von selbst werden die sozialdemokratisch geführten Apparate ihre Politik nicht ändern, es braucht vielmehr eine systematische Intervention linker und klassenkämpferischer Kräfte innerhalb der Gewerkschaften und in den Betrieben. In manchen Branchen wie im Sozial- und Gesundheitsbereich gibt es auch erste vielversprechende Ansätze dafür. Ziel muss sein nicht nur die Führung auszutauschen und linke Betriebsrät:innen zu etablieren, sondern von Grund auf die Organisationen zu revolutionieren. Es braucht die Verbindung des Kampfes für demokratische Gewerkschaften mit einer klar klassenkämpferischen Ausrichtung!

  • Für eine klassenkämpferische Basisbewegung in den Gewerkschaften um sie wieder zu demokratischen Kampforganisationen der Arbeiter:innenklasse zu machen!
  • Für die Organisierung der Unorganisierten. Für eine gewerkschaftliche Organisierungskampagne insbesondere in prekär besetzten Branchen wie Lieferdiensten, Pflegebereich oder Einzelhandel
  • Aufbau gewerkschaftlicher Basisorganisationen, um die Gewerkschaftsmitglieder in ihren Betrieben und in den Gewerkschaften zu organisieren
  • Für einen durchschnittlichen Facharbeiter:innenlohn für alle Gewerkschaftsfunktionär:innen
  • Verpflichtende Urabstimmungen der Beschäftigten über KV-Abschlüsse

Soziale Unterdrückung bekämpfen

Die kapitalistische Krise verschärft das Elend all jener, die abseits bzw. zusätzlich zu der Unterdrückung und Ausbeutung durch Lohnabhängigkeit aufgrund anderer Kriterien, wie Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung, Alter und Einschränkung unterdrückt werden. Denn es sind diejenigen, die aufgrund bestehender Marginalisierungen, Abhängigkeit und Prekarität am einfachsten anzugreifen sind, sowie auch von allgemeinen Verschlechterungen stärker getroffen werden. Rassismus und Sexismus sind zwei Unterdrückungsmechanismen, die in unserer Gesellschaft besonders weit verbreitet sind. Dahinter steht aber ein tief mit dem Kapitalismus verwurzeltes System sozialer Unterdrückung. Teilweise mit tiefen ideologischen und strukturellen Wurzeln in vorkapitalistischen Gesellschaften, ermöglicht es heute den Herrschenden eine Politik der Spaltung und Ablenkung und erleichtert auf diese Weise die Ausbeutung von Arbeitskraft.

Der beliebteste Mechanismus bürgerlicher Politik zur Ablenkung von ihren Machenschaften im Interesse des Kapitals ist die rassistische Hetze gegen Geflüchtete, Migrant:innen und Personen of Color. Über 100.000 Asylanträge wurden im Jahr 2022 in Österreich gestellt[vi], mehr als in der sogenannten Flüchtlingskrise 2015. Geflüchtete werden in Zelte gepfercht, der ÖVP-Innenminister forciert einen Ausbau der „Festung Europa“ mit neuen Zäunen und blockiert den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens. Die FPÖ fordert Grenzschließungen und spricht von einer „Festung Österreich“. Die SPÖ propagiert eine „Bodenseekoalition“ um „irreguläre Migration“ zu verhindern. Es wird zwischen guten Geflüchteten und Zugewanderten aus der Ukraine und schlechten Geflüchteten aus Afghanistan, Indien oder Tunesien gespalten.

Zum Teil noch viel akzeptierter und im Alltag allgegenwärtig ist der Sexismus, welcher der gesellschaftlichen Unterdrückung der Frauen entspringt und sich über heterosexistische Geschlechternormen auch gegen LGBTQIA+ Personen richtet. Der materielle Kern der Frauenunterdrückung liegt in der unbezahlten Reproduktionsarbeit (Hausarbeit, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen etc.), welche überwiegend von Frauen verrichtet wird und häufig mit einer Mehrfachbelastung, ökonomischer Abhängigkeit und sozialer Isolation einhergeht. Eine Entwicklung in Österreich, welche die Lage der Frauen, sowie von Sexismus Betroffenen, gefährlich zu verschärfen droht, besteht in der drastischen Personalnot in Pflege und Kindergärten. Bis 2030 braucht es 100.000 zusätzliche Pflegekräfte[vii] und rund 14.000 – 20.000 Kindergartenbetreuer:innen[viii]. Diese Entwicklung bedroht die soziale Stellung der Frauen heute mit einem gewaltigen Rückschritt zu unbezahlter Care-Arbeit und damit verbunden ökonomischen Abhängigkeiten.

Die traditionellen Rollenbilder und Geschlechtsidentitäten zu hinterfragen, ist in annähernd progressiven Gesellschaftsschichten inzwischen normal, besonders unter jungen Menschen. Die LGBTQIA+ Community erhält Zulauf sowie Solidarität von liberalen Politiker:innen und so manchen Konzernen. Doch oft steckt dahinter nur ein profitables „pink washing“. Die ökonomischen Verhältnisse und die gesellschaftlichen Strukturen, wie insbesondere die bürgerliche Kernfamilie, welche die sozialen Geschlechter prägen, sind nicht verschwunden und können im Kapitalismus nicht verschwinden. Gerade in der Krise können sich diese Verhältnisse durch ökonomische Zwänge wieder stärker bemerkbar machen. Es droht ein queerfeindlicher Backlash.

  • Öffnet die Grenzen für alle Geflüchteten! Gegen rassistische Grenzpolitik, Grenzzäune, Obergrenzen für Geflüchtete und Push-Backs! Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete und sowie gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen!
  • Recht auf Staatsbürger:innenschaft und Wahlrecht für alle mit Lebensmittelpunkt in Österreich!
  • Für das Recht auf Muttersprache auf Behörden und Ämtern! Ausbau von mehrsprachigem Unterricht an Schulen!
  • Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit! Gewerkschaftliche Organisierungskampagnen in von Frauen dominierten Berufen und Erkämpfung höherer Löhne!
  • Kürzere Arbeitszeiten sowie bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen in Pflege und Kindergärten! Um den Anreiz zu erhöhen müssen die Ausbildungen für diese Berufe bezahlt werden!
  • Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit! Massiver Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, Pflegeeinrichtungen, kollektiven Wohnformen, öffentlichen Kantinen und Waschküchen!
  • Für einen Ausbau von Gewaltschutzzentren! Organisierter Schutz von Frauen und LGBTQIA+ Personen gegen sexistische und sexualisierte Gewalt!

Krieg dem Krieg!

Schon seit Jahren zeichnet sich auf geopolitischer Ebene eine Verschärfung im Kampf um eine Neuverteilung der Welt an. Sei es in Syrien oder dem südchinesischen Meer, die Welt war gekennzeichnet von sich zuspitzenden Widersprüchen. Vor allem zwischen den alteingesessenen imperialistischen Großmächten, die die Nachkriegsordnung in ihrem Interesse prägen konnten (USA, EU und Japan) und der aufstrebenden imperialistischen Großmacht China mit Russland im Gepäck, das ebenfalls wenig Interesse an der „regelbasierten Weltordnung“ hatte.

Mit Russlands Krieg in der Ukraine sind diese Konflikte in einer noch nicht dagewesenen Intensität ausgetragen worden. Der russische Imperialismus möchte sich zurückholen, was er fälschlicherweise als seine „Einflusssphäre“ betrachtet. Die Leidtragenden sind vor allem die Menschen in der Ukraine, sowie alle von massiver Repression betroffenen Kriegsgegner:innen und Eingezogenen in Russland. Gleichzeitig präsentiert auch die „demokratische Wertegemeinschaft“, wie sich der westliche Imperialismus gerne bezeichnet, keine fortschrittliche Lösung. Sie steht vielmehr für den Status quo aus globalem Ausbeutungsregime und Umweltzerstörung und hat ihr eigenes Ausbeutungsinteresse an der Ukraine. Aufgrund der enormen Involvierung des Westens, sowie der kompletten Abhängigkeit des ukrainischen Regimes davon, ist für uns im aktuellen Krieg das Element des innerimperialistischen Konflikts dominant. Auch wenn es noch in weiter Ferne scheint, braucht es schon jetzt das Eintreten für eine unabhängige Antwort der Ausgebeuteten und Unterdrückten in allen Ländern und auf allen Kontinenten. Eine ausführlichere Diskussion zum Krieg in der Ukraine findet sich im Artikel „2022 – ein Jahr des Kriegs um die Ukraine“.

Für Österreich heißt das insbesondere, dass wir uns gegen jede Form der Aufrüstung und Militarisierung aussprechen. Nach deutschem Vorbild (wo ja das größte Rüstungspaket seit 1945 beschlossen wurde) soll hier der Krieg in der Ukraine dafür instrumentalisiert werden, die eigenen Streitkräfte massiv auszubauen. Gleichzeitig wird es in den nächsten Jahren mehr Versuche von Seiten der EU geben, eine gemeinsame „Verteidigungs“politik zu definieren und die einzelnen nationalen Armeen besser aufeinander abzustimmen. Eine gemeinsame EU-Armee ist zwar unwahrscheinlich muss aber trotzdem schon jetzt bekämpft werden.

Wir stehen beim Kampf gegen Krieg und Militarisierung aber nicht für pazifistische Neutralität. Wir sagen klar, dass dieses System mit all seiner Gewalt und seinem Leid nur durch die  organisierte und militante Arbeiter:innenklasse in einer Revolution gestürzt werden kann. Wir verteidigen zwar die positiven Aspekte der österreichischen Neutralität (keine Beteiligung an imperialistischen Militärbündnissen wie der NATO, etc.) aber kritisieren gleichzeitig die Illusionen die mit einem Ruf nach Neutralität verbunden sind. Österreich war nie wirklich neutral, schon zur Zeit des Kalten Kriegs war es im Lager des Kapitalismus angesiedelt, auch wenn es oft viel Spielraum in der Außenpolitik hatte.

Gleichzeitig ist die Verteidigung der Neutralität kein positives Programm: Wenn die Arbeiter:innenklasse in Österreich die Macht übernehmen würde, müsste ihre Außenpolitik alles andere als neutral, sondern auf die Unterstützung der Ausgebeuteten und Unterdrückten mit allen geeigneten Mitteln, ausgerichtet sein. Wir lehnen deshalb Rufe nach einer Neutralität Österreichs ab und vertreten stattdessen den Kampf um einen proletarischen Antimilitarismus.

  • Kompromissloser Kampf gegen die Militarisierung Österreichs und der EU. Kein Cent für die imperialistischen Armeen. Nein zu jeder Form der Aufrüstung, kein Ausbau der Militärkooperation und einer EU-Armee.
  • Enteignung der Rüstungsindustrie! Kein Export von Waffen an kapitalistische, reaktionäre Regime und für reaktionäre oder imperialistische Kriegsparteien!
  • Für den sofortigen Abbruch aller Kooperationen Österreichs mit der NATO wie der „Partnerschaft für den Frieden“ oder dem „Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat“! Konsequente Ablehnung aller Überflugs- und Transittransportrouten über und durch Österreich! Gegen jegliche NATO-Osterweiterung!
  • Gegen alle Auslandseinsätze des Bundesheers.

Die Klimakatastrophe aufhalten

Die Klimakrise ist im wahrsten Sinne des Wortes die brennendste Frage unserer Zeit. Die Klimakatastrophe bahnt sich nicht erst bedrohlich an, wie eine etwaige Dystopie am Ende des Jahrhunderts. Sie ist schon längst da und wir befinden uns mitten in ihr.

Kurz vor der 27. Klimakonferenz in Ägypten sorgte ein vorläufiger Bericht der Weltorganisation für Meteorologie für Aufsehen. Demnach sollen die vergangen acht Jahre die Wärmsten seit Anbeginn der Messgeschichte gewesen sein. Die Geschwindigkeit des Meeresanstiegs habe sich seit 1993 verdoppelt. Am höchsten Punkt von Grönland fiel dieses Jahr zum ersten Mal Regen. Ähnliche Meldungen lesen wir inzwischen tagtäglich in den Medien: Hitzewelle in Pakistan mit 51 °C, Dürre und Waldbrände, dann Rekordregenfälle, welche ein Drittel das Landes unter Wasser setzten und 33 Mio. Menschen vertrieben, 10.000 Hitzetote in Frankreich, Austrocknung des Po in Italien.

All das und vieles mehr ist Ausdruck davon, dass sich die globale Durchschnittstemperatur schon 1,2 °C über dem vorindustriellen Temperaturniveau befindet. Trotzdem war die Klimakonferenz 2022 eine Enttäuschung – schon wieder. Dabei hatten sich die Staaten dieser Erde mit dem Abkommen von Paris im Jahr 2015 darauf festgelegt, die Erderwärmung auf unter 2 °C zu begrenzen und Anstrengungen zu unternehmen, um 1,5 °C einzuhalten. Mit den bisher eingereichten nationalen Klimaplänen (NDCs) wird nicht einmal das Ziel von 2 °C erreicht. Schon jetzt erreichen wir wohl gefährliche Kipp-Punkte, bei denen das Klima weiter unkontrollierbar angeheizt wird.

Auch in Österreich spüren wir die Klimakatastrophe. Die Hitze im Sommer, die Trockenheit, welche die Landwirtschaft beeinträchtigt, Waldbrände, und geringere Wassermengen in Flüssen und Seen. Letztere wirkten sich 2022 negativ auf die Stromproduktion aus Wasserkraft aus, sodass selbst im Sommer Strom importiert werden musste. Und trotz dieser negativen Entwicklungen werden laut Prognosen die Treibhausgasemissionen wieder steigen, wenn das Gas wieder etwas billiger wird. Österreich droht seine Klimaziele einer Emissionssenkung um 36 % gegenüber 2005  sowie der Klimaneutralität bis 2040 zu verfehlen. Und die schwarz-grüne Regierung versagt in der Verabschiedung wichtiger Gesetze wie des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes.

Der Kampf gegen die Erderwärmung ist keineswegs vergebens. Es macht einen enormen Unterschied, ob wir die Erderwärmung heute und in der Zukunft weiter begrenzen oder nicht. Eine lebenswerte Zukunft für unsere Generationen und die uns nachfolgenden steht auf dem Spiel. Es rettet uns keine noch zu entwickelnde „grüne Zukunftstechnologie“, wir müssen die Erdwärmung jetzt stoppen. Es reicht auch nicht, individuell klimafreundlicher zu konsumieren, weniger das Auto zu nutzen oder weniger Flugreisen zu tätigen, auch wenn das sinnvoll ist. Was uns im Weg steht ist das kapitalistische System, welches mit Privateigentum, Konkurrenz und Profitlogik einen effektiven Weg aus der Klimakrise verunmöglicht. Die Lage erfordert radikale Maßnahmen, die nur in der Begrenzung und letztlich Brechen der Macht des Kapitals bestehen können! Dazu muss eine antikapitalistische, ökologische Bewegung aufgebaut werden, die sich auf die organisierte Macht der Arbeiter*innenklasse stützt.

  • Enteignung der Energiekonzerne unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten! Einsatz der Gewinne aus fossiler Energie für einen klimafreundlichen Umbau!
  • Massive Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, insbesondere der Zugverbindungen, sowie weg vom individuellen PKW! Gratis Öffis für Alle.
  • Ausstieg aus fossiler Energie bei schnellstmöglichem Ausbau erneuerbarer Energie wie Photovoltaik, Windkraft, Wasserkraft und Geothermie. Gezielte Förderung für Forschung und Einsatz von Speichertechnologien!
  • Aufbau einer demokratischen Planwirtschaft zum umfassenden und nachhaltigen Umbau unseres Wirtschaftssystems!

Für eine revolutionäre Partei

Viele insbesondere junge Menschen haben die Ungerechtigkeiten und die zerstörerischen Seiten des Kapitalismus erkannt und engagieren sich dagegen und für eine bessere Zukunft. Doch so wichtig das konkrete Engagement auch ist, es reicht nicht aus, wenn es nicht gleichzeitig ein Kampf gegen das zugrunde liegende kapitalistische System ist. Wie können wir also einen solchen Kampf führen?

Viele linke Organisationen und Parteien in der Vergangenheit haben sich darauf beschränkt für konkrete Verbesserungen innerhalb des Systems zu kämpfen. Für bessere Arbeitsbedingungen, gegen rassistische oder sexistische Unterdrückungen usw. Wenn sie von Alternativen zum Kapitalismus gesprochen haben, dann als abstraktes Fernziel, losgelöst von ihrer konkreten Politik. Wir nennen solche Organisationen und Parteien innerhalb der Linken und der Arbeiter:innenbewegung reformistisch, weil ihre Politik nicht über Verbesserungen oder Abwendung von Verschlechterungen im Rahmen des Kapitalismus hinausgeht. Das prominenteste und unrühmlichste Beispiel in Österreich ist die SPÖ, welche sich weitestgehend mit dem Kapitalismus ausgesöhnt hat und diesen immer wieder in der Regierung mitverwaltet. Den fortschrittlicheren Aktivist:innen ist klar, dass es eine linkere Alternative zu dieser Partei braucht.

Manche Aktivist:innen wenden sich als vermeintliche Alternative der KPÖ zu. Sie ist eine Option auf Wahllisten und hat in letzter Zeit, insbesondere durch Verjüngung ihrer Führung mit Kräften u.a. aus der Jungen Linken, ihr Image verbessert, sich modernisiert und vom Wahlerfolg in Graz profitiert. Doch auch wenn die KPÖ immer wieder vom Kapitalismus spricht und diesen in Worten überwinden möchte, ist ihre Politik letztlich eine reformistische. Denn ihre Strategie zielt auf die Eroberung des kapitalistischen Staates durch Wahlen ab, Erweiterung durch partizipative Demokratie und letztlich eine nicht klar definierte solidarische Gesellschaft, zu deren Weg ein Bedingungsloses Grundeinkommen eine zentrale Rolle spielen soll. Diese Vorstellung einer „Transformation“ des Kapitalismus verkennt die Notwendigkeit unabhängiger proletarischer Machtorganisation und die Ersetzung des bürgerlichen Staates durch einen rätedemokratischen Halbstaat. Ähnliche und andere Spielarten eines solchen neuen Reformismus findet man bei den Parteien der Europäischen Linken, zu denen die KPÖ neben der deutschen Linkspartei oder der griechischen Syriza zählt.

Abseits von SPÖ und KPÖ finden wir in Österreich eine Menge an kleinen, verhältnismäßig unbedeutenden Organisationen der radikalen Linken. Sofern diese in stalinistischer / maoistischer Tradition stehen, sind sie nicht nur für viele Menschen unattraktiv aufgrund ihrer fehlenden Aufarbeitung der bürokratischen Herrschaft der stalinistisch degenerierten Arbeiter:innenstaaten, sondern verfolgen meist selbst wieder reformistische Irrwege der „Volksfront“ (eine Unterordnung unter bürgerliche Kräfte in einer gemeinsamen Allianz), etwa in Form einer anti-monopolistischen Demokratie. Andere Organisationen, meist aus trotzkistischer Tradition, verfolgen historische Konzepte, die eine zentristische Politik bedeuten, das heißt eine die sich gerne revolutionär gibt aber zwischen Reform und Revolution schwankt. Dazu zählen wir beispielsweise den Funke, die ISA (ehem. SLP) oder die Linkswende. Aufgrund der Schwäche in Bezug auf Verankerung, verknöcherter politischer Methode sowie Programmatik schließen wir im aktuellen Zustand eine gemeinsame politische Organisation mit diesen Kräften abseits einer größeren Umgruppierung aus.

Eine revolutionäre, kommunistische Partei hat die Aufgabe den Kommunismus mit der Arbeiter:innenbewegung zu vereinen. Dazu muss sie der Bewegung politisch Voranschreiten und mit ihrer Strategie, ihren Taktiken und geeigneten Forderungen das Bewusstsein der lohnabhängigen Massen heben. Das geht selbstverständlich nur durch eine enge Verbindung mit den Lohnabhängigen und der organisierten Arbeiter:innenbewegung.

Davon sind wir noch weit entfernt. Trotzdem oder gerade deswegen muss der revolutionäre Kommunismus in Österreich für seine eigenständige Programmatik in der Arbeiter:innenbewegung kämpfen. Deshalb lehnen wir Strategien zum Parteiaufbau ab, welche auf eine Auflösung in eine pluralistische Partei münden. Wir sind aber auch keine Sektierer:innen, die sich der Notwendigkeit von Zusammenarbeit und gemeinsamer Organisierung mit anderen linken Kräften verwehren. Gegen Angriffe der Regierung und der Kapitalist:innen sowie bei Kämpfen im Interesse der Arbeiter:innenklasse suchen wir die Zusammenarbeit im Rahmen einer Einheitsfront, das heißt in gemeinsamen Aktionen und möglichen dazugehörigen Organisationsformen, aber unter Beibehaltung unserer politischen und programmatischen Unabhängigkeit. Einheitsfronten zwischen verschiedenen Kräften der Arbeiter:innenbewegung oder linken Organisationen werden immer wieder nötig sein, um die Kampfkraft zu erhöhen. Sie können aber auch taktische Anknüpfungspunkte sein, um die reformistischen Apparate der Arbeiter*innenbewegung mit ihrem Massenanhang in eine Mobilisierung zu ziehen und deren Führungen in die Verantwortung zu ziehen und darin ihre verräterische Rolle zu offenbaren.

Eine neue linke Partei auf revolutionärer programmatischer Grundlage, gestützt auf die Arbeiter:innenklasse, muss in Österreich erst mühsam aufgebaut werden. Das wird unserer Einschätzung nach erst durch größere Verwerfungen in der politischen Landschaft und erfolgreichere linke Bewegungen und neue Organisierungen möglich sein, wie derzeit mit LINKS in Wien. Doch es ist notwendig in Vorbereitung darauf die revolutionären Kräfte zu sammeln, an den linken Bewegungen und relevanten Strukturen teilzunehmen und diese für den Aufbau einer revolutionären, kommunistischen Partei zu gewinnen, in Österreich und international!

Endnoten


[i] https://oesterreich.orf.at/stories/3187100/

[ii] https://www.vienna.at/jeder-zweite-oesterreicher-zu-einsparungen-gezwungen/7723816

[iii] https://www.kleinezeitung.at/home/klistenspecial/klistegross/6231088/CaritasPraesident-Landau_Ich-wuensche-mir-einen-politischen

[iv] https://www.oegb.at/der-oegb/organisation/offenlegung

[v] https://www.oenb.at/dam/jcr:e24197cc-d44a-4ef6-a0ec-fc0857dc719a/Konjunktur-aktuell-12_22.pdf

[vi] https://www.derstandard.at/story/2000141394444/100-000-asylantraege-heuerin-oesterreich-echte-staatskrise-oder-populistisches-ablenkungsmanoever

[vii] https://orf.at/stories/3228640/

[viii] https://orf.at/stories/3298709/




Mannheim: Tödliche Polizeigewalt

Leo Drais, Infomail 1187, 7. Mai 2022

Am 2. Mai wird ein 47-jähriger Mann von der Polizei am Mannheimer Marktplatz kontrolliert. Er ist in einem psychisch labilen Zustand, seit zwanzig Jahren ist er wegen Angstzuständen in psychiatrischer Behandlung, hat migrantische Wurzeln. Mitarbeiter:innen einer psychiatrischen Klinik hatten die Polizei alarmiert und angegeben, dass der Patient womöglich Hilfe brauche. Die Polizei findet ihn und wendet Gewalt gegen den Mann an, schlägt ihm auf den Kopf. Er bricht zusammen und stirbt im Krankenhaus. An der Leiche des Verstorbenen wurden Spuren stumpfer Gewalt festgestellt.

Hunderte demonstrieren spontan in Solidarität mit dem Opfer. „Mord durch Polizei“ schreiben Demonstrant:innen mit Keide auf den Gehweg, wo der Mann tödlich verletzt wurde.

Während Politik und Polizei nun meinen, sie seien geschockt, weigern sie sich, von Mord oder Todschlag zu sprechen. Körperverletzung im Amt mit Todesfolge, heißt es – reine Verharmlosung! Baden-Württembergs Innenminister Strobl warnt gar vor „pauschler“ Kritik und „Hetze“ gegenüber den Tätern.

Nur die Eisbergspitze

Polizeigewalt ist kein Einzelfall und sie erfolgt täglich. Es ist eher Glück, dass durch sie nicht viel mehr Menschen in Deutschland sterben. Opfer werden besonders oft die sowieso am meisten Erniedrigten: wohnungslose Menschen, von Rassismus Betroffene wie Geflüchtete, sexistisch Unterdrückte, Arme, Menschen mit Behinderung und psychisch Kranke – wie, als würde ihre gesellschaftliche Schwäche ein extra hartes Zuschlagen provozieren. Die Uniform sorgt dann schon dafür, straffrei davonzukommen.

In Baden-Württemberg gab es in den letzten beiden Jahren laut SWR 1.039 Anzeigen wegen Polizeigewalt, ganze 6 führten zu Verurteilungen oder Disziplinarmaßnahmen. Womöglich wird es aufgrund des öffentlichen Drucks auch in Mannheim dazu kommen. Die Demos in Antwort auf den Mord und gegen Polizeigewalt waren zumindest ein guter Anfang, um auf den Staat Druck auszuüben.

Aber selbst wenn die Gewalttäter:innen verurteilt werden, ändert das gar nicht an der allgemeinen Polizeigewalt. Denn die hat System und ist politisch gewollt. Es gibt keinen bürgerlichen Staat, keinen Kapitalismus ohne den Knüppel, der beide verteidigt. Dass er sich dabei oft gegen die Schwächsten richtet, liegt nicht nur daran, dass sie sich meistens juristisch nicht zu wehren wissen, sondern passiert auch deshalb, weil sie die Ersten sind, die vom Kapitalismus ausgespuckt werden und in Konflikt mit ihm und seinen Gesetzen geraten.

Und schließlich zieht die Polizei auch einfach überdurchschnittlich stark Charaktere an, die gerne knüppeln, die sich unter Gehorsam wohlfühlen, Gehorsam verlangen und darin ihre eigene Größe suchen. Auch das ist eigentlich der Auswuchs einer Gesellschaft, die die tägliche, im Grunde mörderische Konkurrenz zelebriert.

Abolish the Police!

Dass die Polizei nun gegen sich selbst ermittelt, ist wie bei allen anderen Fällen von Polizeigewalt ein Joke. Wir sollten darin kein Vertrauen haben, sondern eine unabhängige Ermittlung und Verurteilung der Täter:innen fordern, nicht durch den Staat, sondern durch gewählte Vertreter:innen der Unterdrückten und der Arbeiter:innenbewegung. Nur so kann den Betroffenen und Opfern wirklich Gerechtigkeit zuteil werden.

Ihnen zu gedenken, heißt, die Ursachen von Polizeigewalt zu bekämpfen, zu zerschlagen, abzuschaffen: den kapitalistischen Staat und die Polizei, die ihn schützt.




Wie kommt die Refugeebewegung aus der Defensive?

Dilara Lorin (REVOLUTION, Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 10

August 2021: Die Aktivistin Napuli Langa sitzt seit zwei Tagen auf einem Ahornbaum auf dem Kreuzberger Oranienplatz. Auf den Plakaten sind Slogans zu lesen wie „Rechte für Geflüchtete sind Menschenrechte“ und „Luftbrücke für afghanische Geflüchtete“. Sie protestiert für deren Rechte. Ebenso will sie mit ihrer Besetzung an die vergangenen Proteste erinnern. Schließlich ist sie sowas wie ein Urgestein der Bewegung. Doch die 30 Unterstützer_Innen, die sich am Fuße des Baumes versammeln, wirken gleichzeitig wie ein schwaches Echo der Vergangenheit und werfen ungewollt die Frage auf: Was ist passiert?

Keine Verbesserung der Lage

Ende 2020 waren laut „Global Trends Report“ des UNHCR (UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge) 82,4 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Zahl steigt jedoch kontinuierlich an und es ist keine Besserung in Sicht. So ist im November veröffentlichten „Mid-Year-Trends 2021“ von mehr als 84 Million die Rede. Von diesen sind rund 50 % Frauen und Mädchen. Sie verlassen die Heimat oft mit einer doppelten Bürde auf ihren Schultern. Denn es sind mehrheitlich Frauen, die mit Kindern und älteren Familienmitgliedern fliehen und auf den Fluchtrouten mehr Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind. Angekommen in Lagern oder Notunterkünften sieht es nicht besser aus.

All das sind keine Neuigkeiten. Dennoch scheint die Situation an den Außengrenzen der Europäischen Union fast vergessen und in den Medien nicht präsent zu sein. Ausgenommen, es finden größere Katastrophen statt wie der Brand in Moria 2020. Die traurige Realität ist, dass es nicht im Interesse der herrschenden Klasse liegt, diese Menschen vor den Gefahren auf den Fluchtrouten zu schützen. Dafür sprechen die Deals der EU mit der Türkei oder Libyen, die versuchen, die Flüchtenden an deren Außengrenzen aufzuhalten und sie in den Lagern der Länder verrecken zu lassen.

Die Linke in Europa hat es nicht geschafft, in den letzten 10 Jahren eine Perspektive für diese Menschen zu entwerfen und gemeinsam Verbesserungen zu erkämpfen. Das heißt nicht, dass es immer so bleiben muss. Doch bevor wir uns der Frage widmen, wie wir die Situation ändern können, müssen wir einen kurzen Blick auf die Vergangenheit werfen.

Kurzer Rückblick auf die antirassistische Bewegung in Deutschland

Der Suizid eines Flüchtenden 2012 in Würzburg brachte viel ins Rollen wie den Marsch der Geflüchteten nach Würzburg. Es folgten zahlreiche Hungerstreiks wie der von 95 Betroffenen in München 2013 und Besetzungen wie die des DGB-Hauses Berlin-Brandenburg 2014. Am bekanntesten ist wohl heute noch das Camp auf dem Berliner Oranienplatz, welches vom 6. Oktober 2012 bis 8. April 2014 existierte. Im Zuge dessen entwickelten sich viele Supporter_Innenstrukturen. Doch deren lokale Isolation erschwerte eine dauerhafte Arbeit. Es folgten zahlreiche Antifa-Vollversammlungen, Krisenmeetings und letzten Endes bildeten sich nach zwei Jahren bundesweit verschiedene Bündnisse: „Jugend gegen Rassismus“, „Aufstehen gegen Rassismus“, „Nationalismus ist keine Alternative“, „Welcome2Stay“ und „Fluchtursachen bekämpfen“. Dies erfolgte zwischen Ende 2014 und Anfang 2015 als Mittel gegen das Aufkommen der wöchentlichen Pegida-Proteste (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes). Doch der verhinderbare Aufstieg der AfD ging weiter. Antirassistische Proteste wurden kleiner, kratzten nicht mal an der Zahl von 10.000 Teilnehmer_Innen. Besetzungen wurden geräumt und die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete stieg weiter. Bei den Wahlen hatten SPD und DIE LINKE fast überall Stimmen verloren. Es wurden stetig verschärfte Asylgesetze verabschiedet.

An Aktionen mangelte es nicht. Doch die Strategie der Bewegung hat nicht dazu geführt, den Rechtsruck in Deutschland zu stoppen oder auf europäischer Ebene einen koordinierten Protest zusammen mit Geflüchteten zu initiieren. Vielmehr mündete die Bewegung in einer Niederlage. Es bleiben vereinzelte Seenotretter_Innen, die wagemutig und auf eigene Faust Menschenleben retten, und NGOs, die vor Ort an den Grenzen versuchen, das Leid ein bisschen zu lindern, ab und zu große Aktionen, wenn es brennt, wie in Moria. Sie zeigen, dass Potenzial für eine antirassistische Bewegung existiert und bleiben doch ein Zeichen der Schwäche, da sie so schnell wie sie spontan entflammen, auch wieder verschwinden.

Wie kann sich das ändern?

So muss es nicht bleiben – die wohl einzige, tröstliche Erkenntnis. Doch dazu muss man auch aus den Fehlern der Vergangenheit lernen:

1. Raus aus der Defensive!

Es reicht nicht, nur immer wieder Angriffe abzuwehren. Wenn ein Protest Erfolg haben und nachhaltig die Situation von Geflüchteten verbessern soll, dann müssen auch konkrete Verbesserungen erkämpft werden. Das heißt konkret, dass wir nicht nur dafür kämpfen müssen, dass Seenotrettung kein Verbrechen ist und wir gegen Abschiebungen eintreten, sondern auch für offene Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für alle, damit Geflüchtete nicht ewig in Lagern leiden müssen oder als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Dabei muss anerkannt werden, dass es keine gesellschaftliche Polarisierung bezüglich der Antirassismusfrage gibt, sondern einen deutlichen Rechtsruck.

2. Keine Zugeständnisse, Schluss mit dem Opportunismus!

Schluss mit dem Opportunismus der Gewerkschaften! Es ist eines der Schlüsselelemente von Solidarität, dass der DGB Geflüchtete als Mitglieder aufnimmt und nicht wie in der Vergangenheit vor Angst, dass eine klare antirassistische Positionierung Mitglieder kosten kann, davor kneift. Das führt dazu, dass Unterdrückte gegeneinander ausgespielt werden und hängt mit der Ideologie der „Standortsicherung“ zusammen. Dabei sorgt die Aufnahme von Geflüchteten in die Gewerkschaften dafür, dass diese in Kämpfe vor Ort eingebunden werden können – auch wenn sie nicht arbeiten dürfen. Der Angst, dass noch mehr Mitglieder abzuspringen, muss man entgegenhalten, dass die aktive Organisierung von Kämpfen um die soziale Frage dem Abhilfe schaffen kann. Dafür müssen der DGB und seine Einzelgewerkschaften Forderungen aufstellen wie nach bezahlbarem Wohnraum oder Mindestlohn für alle. Allerdings darf man auch nicht der Illusion verfallen, dass es nur ausreicht, die „sozialen Fragen“ zu betonen. Diese Forderungen müssen konsequent mit Antirassismus verbunden werden, denn nur in praktischen Kämpfen kann man den sich etablierenden Rassismus anfangen zu beseitigen. Sonst vergisst man, dass Rassismus spaltet, kann ihn also schlechter bekämpfen.

3. Schluss mit „Jeder kämpft für sich allein“!

Wenn wir effektiv antirassistischen Widerstand aufbauen wollen, dann dürfen wir uns nicht spalten lassen. Weder von zunehmendem Rassismus noch Sektierertum der Linken oder der fadenscheinigen Überzeugung, dass Geflüchtete, Jugendliche, Parteien und Autonome jeweils ihr eigenes kleines Bündnissüppchen kochen sollen. Wir brauchen zwischen allen von ihnen und den größeren Organisationen der Arbeiter_Innenklasse zusammen mit denen der Geflüchteten eine Einheit in der Aktion. Dabei reichen nicht nur einzelne, große Mobilisierungen aus. Diese Events gab es bereits in der Vergangenheit und haben wenig gebracht. Deswegen ist es zentral, im Zuge der Proteste Verankerung vor Ort an Schulen, Unis und in Betrieben aufzubauen. Dies kann durch Aktionskomitees entstehen, die mobilisieren, indem sie beispielsweise Rassismus thematisieren und über Forderungen der Bewegung mitentscheiden.

4. Aktuelle Kämpfe verbinden!

Die antirassistische Bewegung hierzulande ist also derzeit geschwächt, fast gar nicht mehr existent. Deswegen dürfen wir nicht einfach auf die nächste Katastrophe warten, sondern müssen in den vorhandenen Kämpfen wie der Umweltbewegung oder dem um Wohnraum (Deutsche Wohnen & Co. enteignen) für klare, antirassistische Positionen auftreten. So ist die Umweltzerstörung einer der häufigsten Fluchtursachen. Bei der Enteignung von Wohnraum ist es zentral, auch für die Abschaffung von Geflüchtetenunterkünften einzustehen und für die dezentrale Unterbringung in eigenen Wohnungen. Wichtig ist v. a. die Forderung nach offenen Grenzen. Dabei ist es wichtig, dass solche Forderungen, falls angenommen, nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben, sondern auch praktische Mobilisierungen darum erfolgen.

5. Der Kampf ist international!

Mit Deals zwischen unterschiedlichen Ländern oder gemeinsamen „Initiativen“ wie Frontex versuchen vor allem imperialistische Länder, sich die Probleme der Geflüchteten vom Leib zu halten. Um Festungen wie die Europas erfolgreich einzureißen, bedarf es mehr als einer Bewegung in einem Land. Deswegen müssen wir das Ziel verfolgen, gemeinsame Forderungen und Aktionen über die nationalen Grenzen hinaus aufzustellen. Nicht nur um mehr Druck aufzubauen, sondern auch aus dem Verständnis heraus, dass Flucht ein Problem ist, welches erst durch die Ausbeutung der halbkolonialen durch die imperialistischen Länder so virulent wird.




Ausgangssperren, der Staat und linke Antworten

Robert Teller, Infomail 1146, 22. April 2021

Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz kommt die bundesweite Ausgangssperre, wenn auch nun in einer stark abgeschwächten Form. Auf Grundlage von Landesverordnungen ist sie ohnehin vielerorts in Kraft. In vielen anderen Ländern gehört sie schon lange zum Standardprogramm der Pandemieeindämmung, wobei die politisch-moralischen Bedenken teils geringer ausfallen als hierzulande. Oftmals haben sich Ausgangssperren bereits gegen andere „innere Bedrohungen“ für die Herrschenden bewährt, warum also nicht auch in diesem Fall?

Das Gesetz

Angela Merkel hält die Ausgangssperre für eine „Zumutung für die Demokratie“, so auch weitgehend der Rest der Republik – von links bis rechts. Dennoch wurde nun beschlossen, dass man abends nur noch mit triftigem Grund rausdarf. Derartige Gründe gibt es etliche. Damit wurde insbesondere sichergestellt, dass der Weg von und zur Arbeit jederzeit stattfinden kann, die Verausgabung von Arbeitskraft nicht beeinträchtigt wird und die Maßnahme somit keine Zumutung fürs Kapital darstellt. Ebenso erlaubt ist der Ausgang, um Sorgearbeit zu verrichten, wie z. B.  zur Betreuung oder Pflege von Kindern bzw. Angehörigen.

Das alles ist insgesamt natürlich eine juristisch hochkomplexe Abwägung von allesamt höchst wichtigen Rechtsgütern, daher die Zumutung. Das Menschenrecht auf nächtliches Spazierengehen gilt in Zukunft etwa dann, wenn ein Hund dabei ist oder auch ein Kind, nicht aber, wenn gar kein weiteres Säugetier in Reichweite ist, das als Virenwirt in Frage käme. Widersprüchlich ist das alles nicht nur auf den ersten Blick.

Faktisch enthält das neue Infektionsschutzgesetz wenig Neues. In Zukunft gilt eine Home-Office-Pflicht, falls keine „zwingenden Gründe“ entgegenstehen. Die gab es aber bereits seit Januar und wird nun lediglich so abgeändert, dass Arbeit„nehmer“Innen auch verpflichtet sind, die Home-Office-Möglichkeiten zu nutzen. Es bleibt aber weiterhin den Unternehmen selbst überlassen zu entscheiden, welche Gründe als „zwingend“ gelten und welche nicht. So ist nicht zu erwarten, dass sich die Home-Office-Quote, die Anfang März nur um 30 % lag, deutlich erhöhen wird.

Ansonsten werden Maßnahmen nun bundesweit einheitlich geregelt, die bisher auf Landesebene ähnlich, aber nicht überall einheitlich gehandhabt wurden. Wenn in Zukunft 3 Tage lang in Folge die 7-Tage-Inzidenz auf Landkreisebene den Wert 100/100.000 überschreitet, soll einheitlich die bereits bekannte Kontaktbegrenzung gelten (1 Haushalt + 1 Person), ohne dass regionale Sonderwege möglich sind. Unter derselben Voraussetzung soll automatisch die Ausgangssperre von 22 Uhr bis 5 Uhr in Kraft treten – mit diversen Ausnahmen, die es fraglich machen, ob sie überhaupt einen Effekt auf die Infektionslage haben wird. Eine schärfere Ausgangssperre wäre rechtlich zu angreifbar gewesen, wie die erfolgreichen Klagen gegen regionale Ausgangssperren in Frankfurt, Hannover und anderen Städten zeigten.

Wirksamkeit der Ausgangssperre

In der wissenschaftlichen Literatur findet sich wenig Überzeugendes, das für die Verhängung von Ausgangssperren spricht. Die meisten Forschungsarbeiten beruhen wesentlich auf Analysen epidemiologischer Messdaten, d. h. auf einem Vergleich der beobachteten Infektionsdynamik in verschiedenen Ländern oder Zeitabschnitten bei unterschiedlichen Eindämmungsmaßnahmen. Diese Datenanalysen haben den methodischen Mangel, dass sie für sich genommen keine kausale Wirkung einzelner Maßnahmen aufdecken können, sondern nur Korrelationen. Sie leiden zudem daran, dass in der Praxis eine Vielzahl verschiedener Eindämmungsmaßnahmen verhängt wird, deren Einzelwirkungen nicht unabhängig voneinander gemessen werden können. Daher ist es auch keineswegs so einfach, wie manchmal suggeriert, den kausalen Effekt einer bestimmten Maßnahme zur Pandemiebekämpfung von anderen isoliert und abgegrenzt zu bestimmen.

Ein gewichtiges Gegenargument ist bekanntlich die Gefahr einer Verlagerung sozialer Begegnungen aus dem (überwachten) öffentlichen Raum in private Innenräume. Ein solcher Effekt könnte schnell die positiven Eindämmungseffekte zunichtemachen, da das Übertragungsrisiko in Innenräumen um ein Vielfaches höher ist als draußen. Insbesondere treten die für die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus so wesentlichen Super-Spreading-Ereignisse – soweit bekannt – praktisch ausschließlich in Innenräumen auf.

Ein weiteres Argument ist, dass unvermeidbare Erledigungen wie Einkäufe oder Fahrten im öffentlichen Verkehr von den Nachtstunden in den Zeitraum außerhalb der Ausgangssperre verlegt werden und die Personendichte etwa in Supermärkten und öffentlichen Verkehrsmitteln dann während der zulässigen Zeiten steigt, was zu einem überproportionalen Anstieg der Übertragungsrate führen würde.

Für die Wirksamkeit von Ausgangssperren spricht dagegen das Argument, dass während der Nachtstunden hauptsächlich „hochmobile“ Personengruppen eingeschränkt werden, die einen überproportionalen Anteil am Infektionsgeschehen haben könnten.

Der Effekt einer Ausgangssperre auf die Häufigkeit der fraglichen ungeschützten Kontakte in Innenräumen lässt sich nur schwer messen und noch schwieriger prognostizieren. Aggregierte anonymisierte Mobilfunk-Bewegungsdaten geben für Deutschland eine grobe Auskunft über die Anzahl von Ortswechseln von MobilfunkteilnehmerInnen, nicht aber über die Frequenz und die konkreten Umstände damit verbundener sozialer Begegnungen. In einer aktuellen Auswertung ergibt der Vergleich der Mobilitätsdaten in Baden-Württemberg auf Kreisebene jeweils vor und nach Aufhebung der Winterausgangssperren laut Statistischem Bundesamt, dass sich die „Aufhebung der Ausgangssperre kaum auf das Gesamtmobilitätsgeschehen auswirkte.“ Der beobachtete Anstieg während des Sperrzeitraums lag im Bereich von 10 %, jedoch machte die Mobilität in diesem Zeitraum nur 5 % der Gesamtmobilität eines Tages aus.

Soziale Auswirkung

Während die Wirkung auf die Einschränkung von Neuinfektionen zweifelhaft ist und allenfalls bescheiden sein dürfte, so ist das Ausgangsverbot mit zwei Effekten verbunden. Erstens kann so die Behauptung gestützt werden, dass eine wirkliche Wende, eine „harter Kurs“ in der Bekämpfung der Pandemie verfolgt würde. Dabei bleiben neuralgische Punkte, die bisher von Schließungen ausgenommen waren, also die gesamte Industrie und der Kernbereich der Mehrwertproduktion, weiter außen vor. Ebenso wird der Zickzackkurs an den Schulen und Kitas, der alle Seiten nur zermürben kann, faktisch fortgesetzt, diesmal mit dem Inzidenzwert von 165. Die nächtliche Ausgangssperre soll somit Entschlossenheit suggerieren, wo Konzeptlosigkeit und Lavieren zwischen Gesundheit und Wirtschaftsinteressen vorherrscht.

Zweitens werden die Ausgangssperren aber konkrete soziale, repressive und negative Folgen für die Bevölkerung haben – und zwar vor allem für jene, die schon jetzt unter der Ausgangssperre am meisten leiden.

Sicherlich wird sie geeignet sein, Jugendliche zu schikanieren, die in lauen Frühlingsnächten mal gerne ein Bier risikoarm an der frischen Luft trinken möchten. Die Ausgangssperre wird aber noch weitere, ohnedies schon täglich vor sich gehende Formen der Diskriminierung verstärken.

Wohnungslose, die auf der Straße überleben müssen, können mit zusätzlichen rechtlichen Mitteln Schikanen durch die Polizei ausgesetzt werden. Racial Profiling, das natürlich auch ohne Ausgangssperre rund um die Uhr stattfindet, kann jetzt zusätzlich mit dem Verweis auf sie legitimiert und als Maßnahme des Infektionsschutzes umgedeutet werden.

Für Frauen und nicht-binäre Personen bedeutet die Ausgangssperre auch, dass sie sich entscheiden müssen, ob sie alleine in der Nacht einen Spaziergang machen oder „freiwillig“ zuhause bleiben.

Schließlich trifft die Ausgangssperre Menschen aus den ärmeren Schichten der ArbeiterInnenklasse und des KleinbürgerInnentums besonders hart, weil diese auf engerem Wohnraum leben müssen.

Während sich die gesundheitspolitische Wirkung weitgehend auf Symbolik beschränken dürfte, also gegen null geht, schränkt die Ausgangssperre nicht einfach die „Demokratie“ ein, sie wirkt auch verstärkt auf die vorhandenen Formen gesellschaftlicher Ungleichheit und Unterdrückung.

Programmatik

Die Ausgangssperre kann daher – wie alle Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung – nicht einfach unabhängig von ihrem Klassencharakter betrachtet werden.

Als MarxistInnen lehnen wir das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates ab. Wir sind gegen die Ausweitung legaler Repressionsinstrumente und verteidigen entsprechend auch bürgerliche Rechte, die den staatlichen Repressionsorganen Grenzen setzen. Die Krise des bürgerlichen Parlamentarismus und die weltweit zu beobachtende Tendenz hin zu bonapartistischen Krisenregimen setzt diese Verteidigung demokratischer Rechte wieder weit oben auf die Tagesordnung.

Dabei verteidigen wir nicht die „gute alte Demokratie“, ihre angeblich klassenneutralen Institutionen, sondern wir betonen, dass die Angriffe auf demokratische Rechte gerade den Klassencharakter des bürgerlichen Staates unterstreichen und daher von unserer Seite aus eine Strategie des Klassenkampfes erfordern. Die Erosion der alten (bürgerlichen) Demokratie ruft nach Prinzipien der ArbeiterInnendemokratie – Kontrolle und Gegenmacht durch Organe der Klasse – als zentrale Elemente dieser Strategie.

Wenn auch die pandemische Situation in den historischen Programmen des Marxismus nicht explizit behandelt wurde, sind die genannten zentralen Positionen übertragbar. Die autoritären und bonapartistischen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung lehnen wir ab, weil sie eine spezifisch bürgerliche Antwort auf die Pandemie darstellen. Deutlich wird dieser Klassencharakter etwa darin, dass die Zulässigkeit privater Begegnungen – die in gewissem Umfang wohl zu den unverzichtbaren menschlichen Elementarbedürfnissen zählen – pedantisch reguliert wurde, obwohl gerade hier grundsätzlich kein Widerspruch zwischen dem Bedürfnis nach gesundheitlichem Eigenschutz und der Notwendigkeit, die Infektionsdynamik zu bremsen, besteht. Dem Fortbestand der bürgerlichen Familie und dem christlichen Brauchtum wurde natürlich eine privilegierte Stellung eingeräumt.

Das Verrichten der Lohnarbeit dagegen entzieht sich einer Bewertung, in welchem Maß sie angesichts voller Intensivstationen überhaupt notwendig ist. Eingeschränkt wurden für die Profitmacherei letztlich untergeordnete Sektoren wie Gaststätten und Hotellerie oder die Kulturindustrie. Die Schließung der Kernsektoren der Mehrwertproduktion stand faktisch nie zur Diskussion im Bereich des bürgerlichen Mainstreams. Für die Regierung und ihre bürgerlichen KritikerInnen gelten diese Bereiche als sakrosankt. Es sind die wirklichen heiligen Kühe der Marktwirtschaft, die außerhalb der Sphäre des privaten und öffentlichen Lebens nicht zur Disposition stehen.

Das Ziel der bürgerlichen Pandemiepolitik bestand und besteht in der möglichst weitgehenden Aufrechterhaltung der Kapitalverwertung. Damit muss bei steigenden Infektionszahlen der Gesundheitsschutz primär zu einer individuellen Verantwortung, also auch zur moralischen Pflicht für jede/n Einzelne/n werden. Der Dienst am Vaterland besteht nun darin, sich im Privaten so weit wie möglich einzuschränken und weiterhin Lohnarbeit im Großraumbüro oder in der Montagehalle zu verrichten. Weil diese Moral tatsächlich wenig überzeugend ist, gibt es sie auch in bußgeldbewehrter Form.

Diesen Maßnahmen abstrakte Forderungen nach „Freiheit“ (auf Feiern, Reisen, Leute treffen, … also Leute anstecken) entgegenzusetzen, steht offensichtlich in einem deutlichen Widerspruch zur Natur dieser Pandemie. Sie sind utopisch, weil die bloße Aufhebung von staatlichen Infektionsschutzmaßnahmen für einen Großteil der Bevölkerung, der selbst gefährdet ist oder gefährdete Angehörige hat, faktisch den Zwang zur Selbstisolation oder zur Inkaufnahme eines extremen Gesundheitsrisikos bedeuten würde. Das Hochhalten der individuellen Freiheit, während diese durch die Natur der Pandemie selbst negiert wird, kann natürlich keine proletarische Politik sein, sondern nur reaktionärer kleinbürgerlicher Utopismus.

Die Pandemie erfordert Zwangsmaßnahmen und diese können nicht per se – unabhängig von ihrem Klassencharakter – abgelehnt werden, weil ein marxistisches Programm sich nicht gegen die materiellen Voraussetzungen menschlichen Überlebens auflehnen kann. Wie jede Politik stellt auch das Pandemiemanagement Klassenpolitik dar und KommunistInnen sollten das derzeitige ablehnen, weil seine Maxime die Aufrechterhaltung der Verwertungsbedingungen des Kapitals ist.

Eine marxistische Programmatik zielt daher darauf ab, einen möglichst schnellen Stopp der massenhaften Ausbreitung des Virus zu erreichen und dabei dem Kapital die Hauptlast aufzuerlegen. Zugleich geht es darum, die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen und der Massen zu verteidigen. Das bedeutet insbesondere: einen umfassenden solidarischen Shutdown aller nicht essentiellen Betriebe – bei voller Lohnfortzahlung und sozialer Absicherung, durchgesetzt durch die ArbeiterInnenbewegung und überwacht durch Kontrollkomitees der Beschäftigten.