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Selbstbestimmungsgesetz: Ist das schon Selbstbestimmung?

Stephie Murcatto, Neue Internationale 276, September 2023

Am 23. August 2023 hat das Bundeskabinett den Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Jetzt muss das Gesetz nur noch im Bundestag abgestimmt werden. Aber was beinhaltet es eigentlich?

Erst einmal das Positive: Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es trans-, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen, ihren Namen und Geschlechtseintrag auf Antrag beim Standesamt zu ändern. Dabei gilt, dass die Veränderung des Eintrags 3 Monate vor der sogenannten „Erklärung mit Eigenversicherung“ beim Standesamt angemeldet werden muss. Danach kann man seinen Namen und Geschlechtseintrag ändern. Dies ist eine erhebliche Erleichterung und ein großer Fortschritt im Kampf um Selbstbestimmung, da man keinen erniedrigenden Prozess durchlaufen, sich kein Gutachten besorgen muss, das bestätigt, dass man trans ist, und dann keinen oft Jahre andauernden Gerichtsprozess durchlaufen muss, um den Eintrag tatsächlich ändern zu können.

Die Grenzen der Selbstbestimmung

Bei minderjährigen Menschen ist der Prozess der „Selbstbestimmung“ jedoch weniger selbstbestimmt. Personen ab 14 Jahren haben zwar das Recht, ihren Antrag auf Geschlechtsänderung selbst einzureichen. Die Wirksamkeit des Antrags hängt jedoch von der Zustimmung der sorgeberechtigten Person oder des Familiengerichts ab. Als Minderjährige/r ist man also immer noch auf die Eltern angewiesen – auch wenn diese transphob sind – und muss „beweisen“, dass man richtig trans ist, bevor man Selbstbestimmung erhält. Für Unter-14-Jährige ist es noch schlimmer: Die dürfen nicht mal den Antrag selber einreichen und haben wenig mitzureden, welches Geschlecht oder Namen man angeben will. Das macht die Kinder nochmals wesentlich abhängiger von ihrer Familie, die eine vollständige Kontrolle darüber hat, wie das Kind eingetragen ist. Sehr selbstbestimmt, liebe Bundesregierung!

Das Ganze wird auch nicht besser: Der vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf schließt sogar aus, dass Menschen, deren Visa bald ablaufen, das Recht auf Selbstbestimmung erhalten. Sie dürfen ihren Eintrag erst nach der Visa-Erneuerung ändern. Das soll angeblich sicherstellen, dass Menschen das Selbstbestimmungsgesetz nicht missbrauchen, um sich vor der Abschiebung zu drücken, aber ist in der Realität ein rassistischer Angriff auf migrantische Menschen. Es wird auch festgehalten, dass die Änderung eines männlichen Eintrags im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ jederzeit ausgesetzt werden kann, angeblich um Männer daran zu hindern, sich dem Militär zu entziehen. Im Entwurf ist auch explizit festgehalten, dass Betreiber:innen von beispielsweise Frauensaunen das Recht behalten, trans Frauen aufgrund ihres trans Seins aus ihren Saunen zu verweisen.

Staatlich bekannte Selbstbestimmung

All das zeigt den rassistischen, sexistischen und transfeindlichen Hintergrund dieses Gesetzes auf, aber es wird noch besser: Im sogenannten Selbstbestimmungsgesetz, das heute vom Kabinett beschlossen wurde, ist inkludiert, dass, sobald man seinen Namen und Eintrag geändert hat, diese Information direkt an alle möglichen Sicherheitsbehörden weitergegeben wird. Diese umfassen das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter, die Bundespolizei, das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst und weitere. Dabei werden automatisch Nachname, bisherige und geänderte Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit/en, bisheriger und geänderter Geschlechtseintrag, Anschrift und Datum der Änderung weitergegeben.

Kurz gesagt: Polizei und Militär, beides Institutionen, die dafür bekannt sind, dass sich rechte und faschistische Strukturen in ihnen ausbreiten, erhalten eine Liste von allen trans Menschen mit aktueller Adresse. Dass das nicht geht und einen massiven Angriff auf die Sicherheit von allen trans-, intersexuellen und non-binären Menschen darstellt, sollte uns allen klar sein. Wir können nicht zulassen, dass trans Personen einerseits unfreiwillig geoutet werden sowie andererseits auch faschistische Strukturen ihre Adressen wissen.

Was können wir dagegen tun?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass trotz einiger längst überfälliger Verbesserungen für trans Menschen der Entwurf rassistische und transfeindliche Regeln enthält, die eine erhebliche Gefahr für trans-, intersexuelle und nicht-binäre Menschen und ihre Sicherheit darstellen. Ebenso gibt’s weiterhin nur eingeschränkte Selbstbestimmung für Jugendliche. Das und die aktuellen Angriffe und Debatten um die Rechte von trans Menschen wie in den USA werfen die Frage auf: Was tun? Wie können wir uns gegen steigende Gewalt und die zunehmenden Angriffe verteidigen? Kurz gesagt: Wer das Problem an der Wurzel packen will, darf keine Illusionen in den bürgerlichen Staat oder die Polizei haben. Das heißt nicht, keine Forderungen zu stellen, aber der Kapitalismus profitiert von der binären Geschlechtereinteilung, da er auf die Reproduktionsarbeit im Privaten angewiesen ist. Konkret muss also der Kampf für Verbesserungen für trans Personen mit dem gegen das kapitalistische System verbunden werden.

Aber die alleinige Verteidigung gegen Angriffe von rechts ist nicht genug. Schließlich ist die Lage von trans Menschen schon schlimm genug. Es braucht eine Bewegung, die für tatsächliche Selbstbestimmung, aber auch Emanzipation von trans, intersexuellen und nicht-binären Menschen kämpft. Eine solche Bewegung muss aus der Defensive herauskommen und tatsächliche Verbesserungen erkämpfen. Dabei sollte sie Hand in Hand mit den Gewerkschaften den Streik als Hauptaktionsform nutzen, denn dieser kann die jetzige Gesellschaft zum Stillstand zwingen und Platz schaffen für tatsächliche Selbstbestimmung und wahre Emanzipation.

Um diese Ziele zu erreichen, fordern wir:

  • Selbstbestimmung für alle, unabhängig von Alter oder Herkunft: Volle rechtliche Gleichstellung von LGBTIA+! Gleichstellung aller Partnerschaften und Lebensgemeinschaften mit der Familie!
  • Gewalt stoppen: Demokratisch organisierte und gewählte Verteidigungskomitees gegen Übergriffe auf LGBTIA+!
  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter:innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!



Die zahlreichen Krisen unserer Zeit und unsere Antworten: Zentrale Eckpunkte eines Aktionsprogramms für Österreich

Michael Märzen und Alex Zora, Arbeiter*innenstandpunkt, zuerst veröffentlicht in Flammende 3, Frühjahr 2023, Infomail 1221, 21. April 2023

Unser aktuelles Aktionsprogramm für Österreich „Reaktion oder Sozialismus!“ stammt aus dem Jahr 2019 und seine Erarbeitung fiel in eine Zeit, als das Land von der schwarz-blauen Regierung unter Sebastian Kurz regiert wurde. Wenige Wochen nach Veröffentlichung des Aktionsprogramms brach dann die rechte Bürger:innenblockregierung im Zuge der Ibiza-Affäre zusammen. Seitdem hat sich die innenpolitische und internationale Situation massiv geändert (schwarz-grüne Koalition, Rücktritt von Sebastian Kurz, Inflation, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, …). Außerdem arbeiten wir seit Anfang 2020 im Wiener Parteiaufbauprojekt LINKS mit. Eine Aktualisierung unserer programmatischen Vorschläge ist deshalb eigentlich mehr als überfällig. Hier ist aber nicht der Platz um das in größerem Umfang zu tun. Vielmehr wollen wir hier unsere programmatischen Vorstellungen exemplarisch darlegen und unsere Methode anhand der wichtigsten Thematiken darlegen.

Multiple Krisen als Krise des Kapitalismus

Nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine ist die Weltwirtschaft in ein „realwirtschaftliches Ungleichgewicht“, wie es die Neue Zürcher Zeitung nennt, gefallen. Schon seit Mitte 2021 erleben wir in Europa relevant steigende Inflationsraten. Inwiefern sich diese nun bei einer Hochinflation  um 10 Prozent „stabilisiert“ hat oder noch weiter steigen wird, ist noch nicht ganz absehbar. Was aber außer Frage steht ist, dass die schon stattgefundene Teuerung die Lebenssituation der lohnabhängigen Bevölkerung in Österreich massiv belastet. Ebenfalls offenkundig zeigt sich  die Gefahr einer Rezession, also eines Schrumpfens der Wirtschaftsleistung, in diesem Jahr. Darin sind sich mittlerweile die meisten bürgerlichen Ökonom:innen und Institute einig. Ausführlicher wird das in unserem Artikel „Wirtschaftskrise und politische Instabilität“ in dieser Ausgabe der Flammenden diskutiert.

Neben den aktuellen wirtschaftlichen Problemen, wie der Inflation und deren massiven Auswirkungen wie Teuerung und Reallohnverlusten, hat uns das letzte Jahr deutlich vor Augen geführt, dass das kapitalistische Weltsystem immer mehr auf eine bewaffnete Konfrontation zwischen den imperialistischen Machtblöcken zusteuert. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt uns klar, dass eine Welt dominiert von einzelnen imperialistischen Großmächten immer auch einen Kampf um Absatzmärkte und Einflusssphären bedeutet, sowie reaktionäre Ideologien wie Nationalismus in sich führt. Die Herrschenden in Europa rüsten aktuell ihre Streitkräfte für ebensolche direkte Konfrontationen mit Russland oder China hoch. Eine mutige antimilitaristische und internationalistische Politik ist essenziell um eigenständige Klassenpolitik machen zu können und nicht zum Weggefährten der Kapitalist:innen im eigenen Land zu werden.

Doch nicht nur eine mögliche Konfrontation zwischen den bis an die Zähne mit Atomsprengköpfen bewaffneten Großmächten gefährdet die Zukunft der Menschheit. Die Umweltkrise und insbesondere der Klimawandel mit seinen direkten Auswirkungen sind mittlerweile von einer abstrakten Zukunftsperspektive zur realen Gefahr für Millionen Menschen auf dem ganzen Globus geworden. Pakistan erlebte 2022 eine massive Flutkatastrophe, Madagaskar eine akute Hungersnot und Inselstaaten im Pazifik sind überhaupt in ihrer Existenz bedroht.

In Österreich ist währenddessen die Regierungskoalition seit dem Skandal rund um Sebastian Kurz immer noch stark angeschlagen. Die Kanzlerpartei ÖVP ist in Umfragen nur noch auf Platz 3 – hinter FPÖ und SPÖ. Eine neue Welle des Rassismus erfasst alle etablierten Parteien von den Regierungsparteien bis zu FPÖ und SPÖ. Die wirtschaftlich schwierigen Aussichten machen eine Neuorientierung der österreichischen Bourgeoisie und ihrer Regierungszusammensetzung möglich. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind noch immer alles andere als überwunden, das österreichische Gesundheits- und Pflegesystem ist weiterhin am Rande des Zusammenbruchs.

Was es braucht ist eine Kraft zur Überwindung dieses Systems. Das kann nur erfolgreich sein mit einem klaren programmatischen Verständnis, welches sich aus einer Analyse der politischen Lage, deren Möglichkeiten und Notwendigkeiten sowie der Erfahrungen des Klassenkampfs begründet. Auf den folgenden Seiten wollen wir versuchen aktuelle Ansätze dazu zu geben.

Inflation und Rezession

Die Inflation des letzten Jahres war nach vielen Jahren der Niedrigstinflation für viele Menschen kaum vorstellbar. Die größten Auswirkungen – wie die, für viele Menschen noch ausstehenden, Energierechnungen des Winters – stehen teilweise noch bevor. Die Bundesregierung beschränkte sich darauf, durch Einmalzahlungen und Zuschüsse die schlimmsten Folgen abzufedern. Die realen Einkommensverluste zu kompensieren, wird sich damit aber kaum ausgehen. Schon jetzt zeigt sich sehr deutlich, wie sehr sich die Inflation auf den Lebensstandard der Menschen in Österreich auswirkt. Zwei Drittel der Menschen in Österreich, die dieses Jahr keinen Winterurlaub machen, geben an, dass die Teuerung dafür hauptverantwortlich ist;[i] 41 % der Menschen in Österreich haben Sorgen, sich bei weiteren Preissteigerungen verschulden zu müssen[ii] und mehr als die Hälfte beginnt sich beim Essen einzuschränken[iii]. Auf die sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften war wie so oft kein Verlass. Stolz verkündeten sie Abschlüsse, die teilweise deutlich unter der aktuellen Inflation zurückbleiben. Eine richtige Mobilisierung zum Arbeitskampf blieb bisher aus. Statt die Ansätze zum Arbeitskampf in unterschiedlichen Branchen hin zu einem branchenübergreifenden Kampf gegen die Inflation vorzubereiten und dann zu eskalieren, gab es unterschiedlich schlechte Abschlüsse in unterschiedlichen Branchen. Die Abschlüsse wurden nach der traditionellen Herangehensweise der durchschnittlichen Inflation der letzten 12 Monate verhandelt, womit die Gewerkschaftsbürokratie Abschlüsse deutlich unter der aktuellen (und prognostizierten) Inflation als Reallohnerhöhungen verkaufte. Statt einen der Situation angemessenen Kampf gegen die Teuerung zu führen blieb man lieber im guten alten Trott – wenig verwunderlich, wenn man sich ansieht, dass die Gewerkschaftsspitzen ein Vielfaches der Gehälter ihrer Mitglieder bekommen. Die Teuerung trifft sie also relativ wenig[iv].

Die Inflation ist aber nicht nur ein Problem für die Lohnabhängigen, sondern auch für große Teile des Kapitals. Von Seiten der Zentralbanken wird versucht mit Erhöhungen der Leitzinsen der Inflation entgegen zu wirken. Damit wird aber gleichzeitig massiv auf die wirtschaftlichen Aussichten gedrückt. Die Wahl, vor die uns das Kapital und seine Regierung stellen, ist Inflation und Teuerung auf der einen Seite und Rezession und Arbeitsplatzverluste auf der anderen Seite. Am Ende ist es nicht unwahrscheinlich, dass uns beides treffen wird. Die aktuelle Prognose der Europäischen Kommission sieht für das Jahr 2023 für Österreich ein Wirtschaftswachstum von 0,3 % vor[v]. Arbeitsplatzverlust, Kurzarbeit und Lohneinbußen sind also schon quasi vorprogrammiert. Was es braucht ist ein mutiges Programm gegen die Teuerung, aber auch vorbereitend ein Programm gegen die Auswirkungen einer wahrscheinlichen Rezession, damit der Widerstand dagegen frühzeitig vorbereitet werden kann. Das bedeutet für uns zu fordern:

  • Automatische Anpassung von Löhnen, Pensionen und Sozialleistungen an die Inflationsrate, kontrolliert durch Komitees aus Beschäftigten, Betroffenen und die Gewerkschaftsbewegung
  • Festlegung der Warenkörbe für die Inflationsberechnung durch Komitees aus Vertreter:innen der Gewerkschaftsbewegung
  • Gegen Armut: Massive Anhebung von Löhnen und Einkommen (Mindestsicherung, Arbeitslosengeld, Pensionen) auf mindestens 1800,- netto/Monat
  • Abschaffung von indirekten Massensteuern
  • Einführung einer Energiegrundsicherung. Enteignung der Energiekonzerne und deren Gewinne und Fortführung unter Kontrolle der Beschäftigten
  • Bei (drohenden) Betriebsschließungen: Enteignung und Weiterführung unter Verwaltung der Beschäftigten
  • Einsicht in die Geschäftsbücher für Komitees der Beschäftigten und der Gewerkschaften um dem Kapital und seinen Machenschaften auf die Finger zu schauen!
  • Gegen Arbeitslosigkeit: Massive staatliche Investitionen in Bildung, Gesundheit und Sozialbereich sowie für den ökologischen Umbau!

Gewerkschaften zurückerobern!

Die österreichische Gewerkschaftsbewegung ist zwar seit den 80er Jahren am absteigenden Ast was Mitgliedschaft und gesellschaftlichen Einfluss anbelangt, aber mit mehr als einer Million Mitgliedern ist der ÖGB immer noch der größte und mächtigste, wenn auch bürokratischste, Ausdruck der Arbeiter:innenbewegung in Österreich. In den letzten Jahren gab es innerhalb der Gewerkschaftsbewegung neue politische Entwicklungen. Die traditionelle Speerspitze des ÖGB – die Metaller:innen – wurde durch die Politik der Gewerkschaftsführung immer mehr abgestumpft. Gleichzeitig haben sich in neuen Sektoren wie dem Sozialbereich oder bei den Pädagog:innen neue kämpferische – und streikfähige – Sektoren herausgebildet. Auch die Eisenbahner:innen haben in den letzten Jahren immer wieder am Vollstreik gekratzt und im Kampf gegen die Teuerung 2022 den bedeutendsten Arbeitskampf geführt.

Insgesamt bleibt die Gewerkschaftsbewegung aber immer noch in der Ideologie der Sozialpartner:innenschaft gefangen. Während der Hochphase der Pandemie waren die Spitzen der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung wieder froh darüber, dass sie in die Verwaltung der Krise auf Kosten der Arbeiter:innen miteinbezogen wurden, doch seit mehr als 2 Jahrzehnten hat die organisierte Kapitalist:innenklasse in Österreich nur mehr sehr selten Bedarf an einem ernsthaften Ausgleich mit den Spitzen der Gewerkschaften. Aber anstatt dem geänderten Kräfteverhältnis zwischen Arbeiter:innenklasse und Kapital mit einer klassenkämpferischen Ausrichtung zu begegnen, versucht die Gewerkschaftsbürokratie lieber durch möglichst zahme Politik ihre Kompromissbereitschaft zu signalisieren. Das Kapital nimmt die Kompromissbereitschaft der Gewerkschaften gerne an, macht aber selbst kaum Zugeständnisse. Ganz im Sinne der bürgerlichen „Standortlogik“ spielt die Gewerkschaftsführung bei staatlichem Rassismus oder Umwelt- und Klimapolitik nur zu oft eine reaktionäre Rolle.

Gleichzeitig stützt sie sich weiterhin vor allem auf die privilegierten Teile der Klasse. Weibliche oder migrantische Arbeiter:innen sind deutlich unterrepräsentiert – in der Gewerkschaftsführung noch einmal deutlich mehr als  in der ohnehin verbesserungswürdig zusammengesetzten Basis. Es braucht hier bewusste Schritte um sozial unterdrückte Teile der Klasse zu organisieren.

Von selbst werden die sozialdemokratisch geführten Apparate ihre Politik nicht ändern, es braucht vielmehr eine systematische Intervention linker und klassenkämpferischer Kräfte innerhalb der Gewerkschaften und in den Betrieben. In manchen Branchen wie im Sozial- und Gesundheitsbereich gibt es auch erste vielversprechende Ansätze dafür. Ziel muss sein nicht nur die Führung auszutauschen und linke Betriebsrät:innen zu etablieren, sondern von Grund auf die Organisationen zu revolutionieren. Es braucht die Verbindung des Kampfes für demokratische Gewerkschaften mit einer klar klassenkämpferischen Ausrichtung!

  • Für eine klassenkämpferische Basisbewegung in den Gewerkschaften um sie wieder zu demokratischen Kampforganisationen der Arbeiter:innenklasse zu machen!
  • Für die Organisierung der Unorganisierten. Für eine gewerkschaftliche Organisierungskampagne insbesondere in prekär besetzten Branchen wie Lieferdiensten, Pflegebereich oder Einzelhandel
  • Aufbau gewerkschaftlicher Basisorganisationen, um die Gewerkschaftsmitglieder in ihren Betrieben und in den Gewerkschaften zu organisieren
  • Für einen durchschnittlichen Facharbeiter:innenlohn für alle Gewerkschaftsfunktionär:innen
  • Verpflichtende Urabstimmungen der Beschäftigten über KV-Abschlüsse

Soziale Unterdrückung bekämpfen

Die kapitalistische Krise verschärft das Elend all jener, die abseits bzw. zusätzlich zu der Unterdrückung und Ausbeutung durch Lohnabhängigkeit aufgrund anderer Kriterien, wie Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung, Alter und Einschränkung unterdrückt werden. Denn es sind diejenigen, die aufgrund bestehender Marginalisierungen, Abhängigkeit und Prekarität am einfachsten anzugreifen sind, sowie auch von allgemeinen Verschlechterungen stärker getroffen werden. Rassismus und Sexismus sind zwei Unterdrückungsmechanismen, die in unserer Gesellschaft besonders weit verbreitet sind. Dahinter steht aber ein tief mit dem Kapitalismus verwurzeltes System sozialer Unterdrückung. Teilweise mit tiefen ideologischen und strukturellen Wurzeln in vorkapitalistischen Gesellschaften, ermöglicht es heute den Herrschenden eine Politik der Spaltung und Ablenkung und erleichtert auf diese Weise die Ausbeutung von Arbeitskraft.

Der beliebteste Mechanismus bürgerlicher Politik zur Ablenkung von ihren Machenschaften im Interesse des Kapitals ist die rassistische Hetze gegen Geflüchtete, Migrant:innen und Personen of Color. Über 100.000 Asylanträge wurden im Jahr 2022 in Österreich gestellt[vi], mehr als in der sogenannten Flüchtlingskrise 2015. Geflüchtete werden in Zelte gepfercht, der ÖVP-Innenminister forciert einen Ausbau der „Festung Europa“ mit neuen Zäunen und blockiert den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens. Die FPÖ fordert Grenzschließungen und spricht von einer „Festung Österreich“. Die SPÖ propagiert eine „Bodenseekoalition“ um „irreguläre Migration“ zu verhindern. Es wird zwischen guten Geflüchteten und Zugewanderten aus der Ukraine und schlechten Geflüchteten aus Afghanistan, Indien oder Tunesien gespalten.

Zum Teil noch viel akzeptierter und im Alltag allgegenwärtig ist der Sexismus, welcher der gesellschaftlichen Unterdrückung der Frauen entspringt und sich über heterosexistische Geschlechternormen auch gegen LGBTQIA+ Personen richtet. Der materielle Kern der Frauenunterdrückung liegt in der unbezahlten Reproduktionsarbeit (Hausarbeit, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen etc.), welche überwiegend von Frauen verrichtet wird und häufig mit einer Mehrfachbelastung, ökonomischer Abhängigkeit und sozialer Isolation einhergeht. Eine Entwicklung in Österreich, welche die Lage der Frauen, sowie von Sexismus Betroffenen, gefährlich zu verschärfen droht, besteht in der drastischen Personalnot in Pflege und Kindergärten. Bis 2030 braucht es 100.000 zusätzliche Pflegekräfte[vii] und rund 14.000 – 20.000 Kindergartenbetreuer:innen[viii]. Diese Entwicklung bedroht die soziale Stellung der Frauen heute mit einem gewaltigen Rückschritt zu unbezahlter Care-Arbeit und damit verbunden ökonomischen Abhängigkeiten.

Die traditionellen Rollenbilder und Geschlechtsidentitäten zu hinterfragen, ist in annähernd progressiven Gesellschaftsschichten inzwischen normal, besonders unter jungen Menschen. Die LGBTQIA+ Community erhält Zulauf sowie Solidarität von liberalen Politiker:innen und so manchen Konzernen. Doch oft steckt dahinter nur ein profitables „pink washing“. Die ökonomischen Verhältnisse und die gesellschaftlichen Strukturen, wie insbesondere die bürgerliche Kernfamilie, welche die sozialen Geschlechter prägen, sind nicht verschwunden und können im Kapitalismus nicht verschwinden. Gerade in der Krise können sich diese Verhältnisse durch ökonomische Zwänge wieder stärker bemerkbar machen. Es droht ein queerfeindlicher Backlash.

  • Öffnet die Grenzen für alle Geflüchteten! Gegen rassistische Grenzpolitik, Grenzzäune, Obergrenzen für Geflüchtete und Push-Backs! Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete und sowie gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen!
  • Recht auf Staatsbürger:innenschaft und Wahlrecht für alle mit Lebensmittelpunkt in Österreich!
  • Für das Recht auf Muttersprache auf Behörden und Ämtern! Ausbau von mehrsprachigem Unterricht an Schulen!
  • Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit! Gewerkschaftliche Organisierungskampagnen in von Frauen dominierten Berufen und Erkämpfung höherer Löhne!
  • Kürzere Arbeitszeiten sowie bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen in Pflege und Kindergärten! Um den Anreiz zu erhöhen müssen die Ausbildungen für diese Berufe bezahlt werden!
  • Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit! Massiver Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, Pflegeeinrichtungen, kollektiven Wohnformen, öffentlichen Kantinen und Waschküchen!
  • Für einen Ausbau von Gewaltschutzzentren! Organisierter Schutz von Frauen und LGBTQIA+ Personen gegen sexistische und sexualisierte Gewalt!

Krieg dem Krieg!

Schon seit Jahren zeichnet sich auf geopolitischer Ebene eine Verschärfung im Kampf um eine Neuverteilung der Welt an. Sei es in Syrien oder dem südchinesischen Meer, die Welt war gekennzeichnet von sich zuspitzenden Widersprüchen. Vor allem zwischen den alteingesessenen imperialistischen Großmächten, die die Nachkriegsordnung in ihrem Interesse prägen konnten (USA, EU und Japan) und der aufstrebenden imperialistischen Großmacht China mit Russland im Gepäck, das ebenfalls wenig Interesse an der „regelbasierten Weltordnung“ hatte.

Mit Russlands Krieg in der Ukraine sind diese Konflikte in einer noch nicht dagewesenen Intensität ausgetragen worden. Der russische Imperialismus möchte sich zurückholen, was er fälschlicherweise als seine „Einflusssphäre“ betrachtet. Die Leidtragenden sind vor allem die Menschen in der Ukraine, sowie alle von massiver Repression betroffenen Kriegsgegner:innen und Eingezogenen in Russland. Gleichzeitig präsentiert auch die „demokratische Wertegemeinschaft“, wie sich der westliche Imperialismus gerne bezeichnet, keine fortschrittliche Lösung. Sie steht vielmehr für den Status quo aus globalem Ausbeutungsregime und Umweltzerstörung und hat ihr eigenes Ausbeutungsinteresse an der Ukraine. Aufgrund der enormen Involvierung des Westens, sowie der kompletten Abhängigkeit des ukrainischen Regimes davon, ist für uns im aktuellen Krieg das Element des innerimperialistischen Konflikts dominant. Auch wenn es noch in weiter Ferne scheint, braucht es schon jetzt das Eintreten für eine unabhängige Antwort der Ausgebeuteten und Unterdrückten in allen Ländern und auf allen Kontinenten. Eine ausführlichere Diskussion zum Krieg in der Ukraine findet sich im Artikel „2022 – ein Jahr des Kriegs um die Ukraine“.

Für Österreich heißt das insbesondere, dass wir uns gegen jede Form der Aufrüstung und Militarisierung aussprechen. Nach deutschem Vorbild (wo ja das größte Rüstungspaket seit 1945 beschlossen wurde) soll hier der Krieg in der Ukraine dafür instrumentalisiert werden, die eigenen Streitkräfte massiv auszubauen. Gleichzeitig wird es in den nächsten Jahren mehr Versuche von Seiten der EU geben, eine gemeinsame „Verteidigungs“politik zu definieren und die einzelnen nationalen Armeen besser aufeinander abzustimmen. Eine gemeinsame EU-Armee ist zwar unwahrscheinlich muss aber trotzdem schon jetzt bekämpft werden.

Wir stehen beim Kampf gegen Krieg und Militarisierung aber nicht für pazifistische Neutralität. Wir sagen klar, dass dieses System mit all seiner Gewalt und seinem Leid nur durch die  organisierte und militante Arbeiter:innenklasse in einer Revolution gestürzt werden kann. Wir verteidigen zwar die positiven Aspekte der österreichischen Neutralität (keine Beteiligung an imperialistischen Militärbündnissen wie der NATO, etc.) aber kritisieren gleichzeitig die Illusionen die mit einem Ruf nach Neutralität verbunden sind. Österreich war nie wirklich neutral, schon zur Zeit des Kalten Kriegs war es im Lager des Kapitalismus angesiedelt, auch wenn es oft viel Spielraum in der Außenpolitik hatte.

Gleichzeitig ist die Verteidigung der Neutralität kein positives Programm: Wenn die Arbeiter:innenklasse in Österreich die Macht übernehmen würde, müsste ihre Außenpolitik alles andere als neutral, sondern auf die Unterstützung der Ausgebeuteten und Unterdrückten mit allen geeigneten Mitteln, ausgerichtet sein. Wir lehnen deshalb Rufe nach einer Neutralität Österreichs ab und vertreten stattdessen den Kampf um einen proletarischen Antimilitarismus.

  • Kompromissloser Kampf gegen die Militarisierung Österreichs und der EU. Kein Cent für die imperialistischen Armeen. Nein zu jeder Form der Aufrüstung, kein Ausbau der Militärkooperation und einer EU-Armee.
  • Enteignung der Rüstungsindustrie! Kein Export von Waffen an kapitalistische, reaktionäre Regime und für reaktionäre oder imperialistische Kriegsparteien!
  • Für den sofortigen Abbruch aller Kooperationen Österreichs mit der NATO wie der „Partnerschaft für den Frieden“ oder dem „Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat“! Konsequente Ablehnung aller Überflugs- und Transittransportrouten über und durch Österreich! Gegen jegliche NATO-Osterweiterung!
  • Gegen alle Auslandseinsätze des Bundesheers.

Die Klimakatastrophe aufhalten

Die Klimakrise ist im wahrsten Sinne des Wortes die brennendste Frage unserer Zeit. Die Klimakatastrophe bahnt sich nicht erst bedrohlich an, wie eine etwaige Dystopie am Ende des Jahrhunderts. Sie ist schon längst da und wir befinden uns mitten in ihr.

Kurz vor der 27. Klimakonferenz in Ägypten sorgte ein vorläufiger Bericht der Weltorganisation für Meteorologie für Aufsehen. Demnach sollen die vergangen acht Jahre die Wärmsten seit Anbeginn der Messgeschichte gewesen sein. Die Geschwindigkeit des Meeresanstiegs habe sich seit 1993 verdoppelt. Am höchsten Punkt von Grönland fiel dieses Jahr zum ersten Mal Regen. Ähnliche Meldungen lesen wir inzwischen tagtäglich in den Medien: Hitzewelle in Pakistan mit 51 °C, Dürre und Waldbrände, dann Rekordregenfälle, welche ein Drittel das Landes unter Wasser setzten und 33 Mio. Menschen vertrieben, 10.000 Hitzetote in Frankreich, Austrocknung des Po in Italien.

All das und vieles mehr ist Ausdruck davon, dass sich die globale Durchschnittstemperatur schon 1,2 °C über dem vorindustriellen Temperaturniveau befindet. Trotzdem war die Klimakonferenz 2022 eine Enttäuschung – schon wieder. Dabei hatten sich die Staaten dieser Erde mit dem Abkommen von Paris im Jahr 2015 darauf festgelegt, die Erderwärmung auf unter 2 °C zu begrenzen und Anstrengungen zu unternehmen, um 1,5 °C einzuhalten. Mit den bisher eingereichten nationalen Klimaplänen (NDCs) wird nicht einmal das Ziel von 2 °C erreicht. Schon jetzt erreichen wir wohl gefährliche Kipp-Punkte, bei denen das Klima weiter unkontrollierbar angeheizt wird.

Auch in Österreich spüren wir die Klimakatastrophe. Die Hitze im Sommer, die Trockenheit, welche die Landwirtschaft beeinträchtigt, Waldbrände, und geringere Wassermengen in Flüssen und Seen. Letztere wirkten sich 2022 negativ auf die Stromproduktion aus Wasserkraft aus, sodass selbst im Sommer Strom importiert werden musste. Und trotz dieser negativen Entwicklungen werden laut Prognosen die Treibhausgasemissionen wieder steigen, wenn das Gas wieder etwas billiger wird. Österreich droht seine Klimaziele einer Emissionssenkung um 36 % gegenüber 2005  sowie der Klimaneutralität bis 2040 zu verfehlen. Und die schwarz-grüne Regierung versagt in der Verabschiedung wichtiger Gesetze wie des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes.

Der Kampf gegen die Erderwärmung ist keineswegs vergebens. Es macht einen enormen Unterschied, ob wir die Erderwärmung heute und in der Zukunft weiter begrenzen oder nicht. Eine lebenswerte Zukunft für unsere Generationen und die uns nachfolgenden steht auf dem Spiel. Es rettet uns keine noch zu entwickelnde „grüne Zukunftstechnologie“, wir müssen die Erdwärmung jetzt stoppen. Es reicht auch nicht, individuell klimafreundlicher zu konsumieren, weniger das Auto zu nutzen oder weniger Flugreisen zu tätigen, auch wenn das sinnvoll ist. Was uns im Weg steht ist das kapitalistische System, welches mit Privateigentum, Konkurrenz und Profitlogik einen effektiven Weg aus der Klimakrise verunmöglicht. Die Lage erfordert radikale Maßnahmen, die nur in der Begrenzung und letztlich Brechen der Macht des Kapitals bestehen können! Dazu muss eine antikapitalistische, ökologische Bewegung aufgebaut werden, die sich auf die organisierte Macht der Arbeiter*innenklasse stützt.

  • Enteignung der Energiekonzerne unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten! Einsatz der Gewinne aus fossiler Energie für einen klimafreundlichen Umbau!
  • Massive Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, insbesondere der Zugverbindungen, sowie weg vom individuellen PKW! Gratis Öffis für Alle.
  • Ausstieg aus fossiler Energie bei schnellstmöglichem Ausbau erneuerbarer Energie wie Photovoltaik, Windkraft, Wasserkraft und Geothermie. Gezielte Förderung für Forschung und Einsatz von Speichertechnologien!
  • Aufbau einer demokratischen Planwirtschaft zum umfassenden und nachhaltigen Umbau unseres Wirtschaftssystems!

Für eine revolutionäre Partei

Viele insbesondere junge Menschen haben die Ungerechtigkeiten und die zerstörerischen Seiten des Kapitalismus erkannt und engagieren sich dagegen und für eine bessere Zukunft. Doch so wichtig das konkrete Engagement auch ist, es reicht nicht aus, wenn es nicht gleichzeitig ein Kampf gegen das zugrunde liegende kapitalistische System ist. Wie können wir also einen solchen Kampf führen?

Viele linke Organisationen und Parteien in der Vergangenheit haben sich darauf beschränkt für konkrete Verbesserungen innerhalb des Systems zu kämpfen. Für bessere Arbeitsbedingungen, gegen rassistische oder sexistische Unterdrückungen usw. Wenn sie von Alternativen zum Kapitalismus gesprochen haben, dann als abstraktes Fernziel, losgelöst von ihrer konkreten Politik. Wir nennen solche Organisationen und Parteien innerhalb der Linken und der Arbeiter:innenbewegung reformistisch, weil ihre Politik nicht über Verbesserungen oder Abwendung von Verschlechterungen im Rahmen des Kapitalismus hinausgeht. Das prominenteste und unrühmlichste Beispiel in Österreich ist die SPÖ, welche sich weitestgehend mit dem Kapitalismus ausgesöhnt hat und diesen immer wieder in der Regierung mitverwaltet. Den fortschrittlicheren Aktivist:innen ist klar, dass es eine linkere Alternative zu dieser Partei braucht.

Manche Aktivist:innen wenden sich als vermeintliche Alternative der KPÖ zu. Sie ist eine Option auf Wahllisten und hat in letzter Zeit, insbesondere durch Verjüngung ihrer Führung mit Kräften u.a. aus der Jungen Linken, ihr Image verbessert, sich modernisiert und vom Wahlerfolg in Graz profitiert. Doch auch wenn die KPÖ immer wieder vom Kapitalismus spricht und diesen in Worten überwinden möchte, ist ihre Politik letztlich eine reformistische. Denn ihre Strategie zielt auf die Eroberung des kapitalistischen Staates durch Wahlen ab, Erweiterung durch partizipative Demokratie und letztlich eine nicht klar definierte solidarische Gesellschaft, zu deren Weg ein Bedingungsloses Grundeinkommen eine zentrale Rolle spielen soll. Diese Vorstellung einer „Transformation“ des Kapitalismus verkennt die Notwendigkeit unabhängiger proletarischer Machtorganisation und die Ersetzung des bürgerlichen Staates durch einen rätedemokratischen Halbstaat. Ähnliche und andere Spielarten eines solchen neuen Reformismus findet man bei den Parteien der Europäischen Linken, zu denen die KPÖ neben der deutschen Linkspartei oder der griechischen Syriza zählt.

Abseits von SPÖ und KPÖ finden wir in Österreich eine Menge an kleinen, verhältnismäßig unbedeutenden Organisationen der radikalen Linken. Sofern diese in stalinistischer / maoistischer Tradition stehen, sind sie nicht nur für viele Menschen unattraktiv aufgrund ihrer fehlenden Aufarbeitung der bürokratischen Herrschaft der stalinistisch degenerierten Arbeiter:innenstaaten, sondern verfolgen meist selbst wieder reformistische Irrwege der „Volksfront“ (eine Unterordnung unter bürgerliche Kräfte in einer gemeinsamen Allianz), etwa in Form einer anti-monopolistischen Demokratie. Andere Organisationen, meist aus trotzkistischer Tradition, verfolgen historische Konzepte, die eine zentristische Politik bedeuten, das heißt eine die sich gerne revolutionär gibt aber zwischen Reform und Revolution schwankt. Dazu zählen wir beispielsweise den Funke, die ISA (ehem. SLP) oder die Linkswende. Aufgrund der Schwäche in Bezug auf Verankerung, verknöcherter politischer Methode sowie Programmatik schließen wir im aktuellen Zustand eine gemeinsame politische Organisation mit diesen Kräften abseits einer größeren Umgruppierung aus.

Eine revolutionäre, kommunistische Partei hat die Aufgabe den Kommunismus mit der Arbeiter:innenbewegung zu vereinen. Dazu muss sie der Bewegung politisch Voranschreiten und mit ihrer Strategie, ihren Taktiken und geeigneten Forderungen das Bewusstsein der lohnabhängigen Massen heben. Das geht selbstverständlich nur durch eine enge Verbindung mit den Lohnabhängigen und der organisierten Arbeiter:innenbewegung.

Davon sind wir noch weit entfernt. Trotzdem oder gerade deswegen muss der revolutionäre Kommunismus in Österreich für seine eigenständige Programmatik in der Arbeiter:innenbewegung kämpfen. Deshalb lehnen wir Strategien zum Parteiaufbau ab, welche auf eine Auflösung in eine pluralistische Partei münden. Wir sind aber auch keine Sektierer:innen, die sich der Notwendigkeit von Zusammenarbeit und gemeinsamer Organisierung mit anderen linken Kräften verwehren. Gegen Angriffe der Regierung und der Kapitalist:innen sowie bei Kämpfen im Interesse der Arbeiter:innenklasse suchen wir die Zusammenarbeit im Rahmen einer Einheitsfront, das heißt in gemeinsamen Aktionen und möglichen dazugehörigen Organisationsformen, aber unter Beibehaltung unserer politischen und programmatischen Unabhängigkeit. Einheitsfronten zwischen verschiedenen Kräften der Arbeiter:innenbewegung oder linken Organisationen werden immer wieder nötig sein, um die Kampfkraft zu erhöhen. Sie können aber auch taktische Anknüpfungspunkte sein, um die reformistischen Apparate der Arbeiter*innenbewegung mit ihrem Massenanhang in eine Mobilisierung zu ziehen und deren Führungen in die Verantwortung zu ziehen und darin ihre verräterische Rolle zu offenbaren.

Eine neue linke Partei auf revolutionärer programmatischer Grundlage, gestützt auf die Arbeiter:innenklasse, muss in Österreich erst mühsam aufgebaut werden. Das wird unserer Einschätzung nach erst durch größere Verwerfungen in der politischen Landschaft und erfolgreichere linke Bewegungen und neue Organisierungen möglich sein, wie derzeit mit LINKS in Wien. Doch es ist notwendig in Vorbereitung darauf die revolutionären Kräfte zu sammeln, an den linken Bewegungen und relevanten Strukturen teilzunehmen und diese für den Aufbau einer revolutionären, kommunistischen Partei zu gewinnen, in Österreich und international!

Endnoten


[i] https://oesterreich.orf.at/stories/3187100/

[ii] https://www.vienna.at/jeder-zweite-oesterreicher-zu-einsparungen-gezwungen/7723816

[iii] https://www.kleinezeitung.at/home/klistenspecial/klistegross/6231088/CaritasPraesident-Landau_Ich-wuensche-mir-einen-politischen

[iv] https://www.oegb.at/der-oegb/organisation/offenlegung

[v] https://www.oenb.at/dam/jcr:e24197cc-d44a-4ef6-a0ec-fc0857dc719a/Konjunktur-aktuell-12_22.pdf

[vi] https://www.derstandard.at/story/2000141394444/100-000-asylantraege-heuerin-oesterreich-echte-staatskrise-oder-populistisches-ablenkungsmanoever

[vii] https://orf.at/stories/3228640/

[viii] https://orf.at/stories/3298709/




Mannheim: Tödliche Polizeigewalt

Leo Drais, Infomail 1187, 7. Mai 2022

Am 2. Mai wird ein 47-jähriger Mann von der Polizei am Mannheimer Marktplatz kontrolliert. Er ist in einem psychisch labilen Zustand, seit zwanzig Jahren ist er wegen Angstzuständen in psychiatrischer Behandlung, hat migrantische Wurzeln. Mitarbeiter:innen einer psychiatrischen Klinik hatten die Polizei alarmiert und angegeben, dass der Patient womöglich Hilfe brauche. Die Polizei findet ihn und wendet Gewalt gegen den Mann an, schlägt ihm auf den Kopf. Er bricht zusammen und stirbt im Krankenhaus. An der Leiche des Verstorbenen wurden Spuren stumpfer Gewalt festgestellt.

Hunderte demonstrieren spontan in Solidarität mit dem Opfer. „Mord durch Polizei“ schreiben Demonstrant:innen mit Keide auf den Gehweg, wo der Mann tödlich verletzt wurde.

Während Politik und Polizei nun meinen, sie seien geschockt, weigern sie sich, von Mord oder Todschlag zu sprechen. Körperverletzung im Amt mit Todesfolge, heißt es – reine Verharmlosung! Baden-Württembergs Innenminister Strobl warnt gar vor „pauschler“ Kritik und „Hetze“ gegenüber den Tätern.

Nur die Eisbergspitze

Polizeigewalt ist kein Einzelfall und sie erfolgt täglich. Es ist eher Glück, dass durch sie nicht viel mehr Menschen in Deutschland sterben. Opfer werden besonders oft die sowieso am meisten Erniedrigten: wohnungslose Menschen, von Rassismus Betroffene wie Geflüchtete, sexistisch Unterdrückte, Arme, Menschen mit Behinderung und psychisch Kranke – wie, als würde ihre gesellschaftliche Schwäche ein extra hartes Zuschlagen provozieren. Die Uniform sorgt dann schon dafür, straffrei davonzukommen.

In Baden-Württemberg gab es in den letzten beiden Jahren laut SWR 1.039 Anzeigen wegen Polizeigewalt, ganze 6 führten zu Verurteilungen oder Disziplinarmaßnahmen. Womöglich wird es aufgrund des öffentlichen Drucks auch in Mannheim dazu kommen. Die Demos in Antwort auf den Mord und gegen Polizeigewalt waren zumindest ein guter Anfang, um auf den Staat Druck auszuüben.

Aber selbst wenn die Gewalttäter:innen verurteilt werden, ändert das gar nicht an der allgemeinen Polizeigewalt. Denn die hat System und ist politisch gewollt. Es gibt keinen bürgerlichen Staat, keinen Kapitalismus ohne den Knüppel, der beide verteidigt. Dass er sich dabei oft gegen die Schwächsten richtet, liegt nicht nur daran, dass sie sich meistens juristisch nicht zu wehren wissen, sondern passiert auch deshalb, weil sie die Ersten sind, die vom Kapitalismus ausgespuckt werden und in Konflikt mit ihm und seinen Gesetzen geraten.

Und schließlich zieht die Polizei auch einfach überdurchschnittlich stark Charaktere an, die gerne knüppeln, die sich unter Gehorsam wohlfühlen, Gehorsam verlangen und darin ihre eigene Größe suchen. Auch das ist eigentlich der Auswuchs einer Gesellschaft, die die tägliche, im Grunde mörderische Konkurrenz zelebriert.

Abolish the Police!

Dass die Polizei nun gegen sich selbst ermittelt, ist wie bei allen anderen Fällen von Polizeigewalt ein Joke. Wir sollten darin kein Vertrauen haben, sondern eine unabhängige Ermittlung und Verurteilung der Täter:innen fordern, nicht durch den Staat, sondern durch gewählte Vertreter:innen der Unterdrückten und der Arbeiter:innenbewegung. Nur so kann den Betroffenen und Opfern wirklich Gerechtigkeit zuteil werden.

Ihnen zu gedenken, heißt, die Ursachen von Polizeigewalt zu bekämpfen, zu zerschlagen, abzuschaffen: den kapitalistischen Staat und die Polizei, die ihn schützt.




Wie kommt die Refugeebewegung aus der Defensive?

Dilara Lorin (REVOLUTION, Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 10

August 2021: Die Aktivistin Napuli Langa sitzt seit zwei Tagen auf einem Ahornbaum auf dem Kreuzberger Oranienplatz. Auf den Plakaten sind Slogans zu lesen wie „Rechte für Geflüchtete sind Menschenrechte“ und „Luftbrücke für afghanische Geflüchtete“. Sie protestiert für deren Rechte. Ebenso will sie mit ihrer Besetzung an die vergangenen Proteste erinnern. Schließlich ist sie sowas wie ein Urgestein der Bewegung. Doch die 30 Unterstützer_Innen, die sich am Fuße des Baumes versammeln, wirken gleichzeitig wie ein schwaches Echo der Vergangenheit und werfen ungewollt die Frage auf: Was ist passiert?

Keine Verbesserung der Lage

Ende 2020 waren laut „Global Trends Report“ des UNHCR (UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge) 82,4 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Zahl steigt jedoch kontinuierlich an und es ist keine Besserung in Sicht. So ist im November veröffentlichten „Mid-Year-Trends 2021“ von mehr als 84 Million die Rede. Von diesen sind rund 50 % Frauen und Mädchen. Sie verlassen die Heimat oft mit einer doppelten Bürde auf ihren Schultern. Denn es sind mehrheitlich Frauen, die mit Kindern und älteren Familienmitgliedern fliehen und auf den Fluchtrouten mehr Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind. Angekommen in Lagern oder Notunterkünften sieht es nicht besser aus.

All das sind keine Neuigkeiten. Dennoch scheint die Situation an den Außengrenzen der Europäischen Union fast vergessen und in den Medien nicht präsent zu sein. Ausgenommen, es finden größere Katastrophen statt wie der Brand in Moria 2020. Die traurige Realität ist, dass es nicht im Interesse der herrschenden Klasse liegt, diese Menschen vor den Gefahren auf den Fluchtrouten zu schützen. Dafür sprechen die Deals der EU mit der Türkei oder Libyen, die versuchen, die Flüchtenden an deren Außengrenzen aufzuhalten und sie in den Lagern der Länder verrecken zu lassen.

Die Linke in Europa hat es nicht geschafft, in den letzten 10 Jahren eine Perspektive für diese Menschen zu entwerfen und gemeinsam Verbesserungen zu erkämpfen. Das heißt nicht, dass es immer so bleiben muss. Doch bevor wir uns der Frage widmen, wie wir die Situation ändern können, müssen wir einen kurzen Blick auf die Vergangenheit werfen.

Kurzer Rückblick auf die antirassistische Bewegung in Deutschland

Der Suizid eines Flüchtenden 2012 in Würzburg brachte viel ins Rollen wie den Marsch der Geflüchteten nach Würzburg. Es folgten zahlreiche Hungerstreiks wie der von 95 Betroffenen in München 2013 und Besetzungen wie die des DGB-Hauses Berlin-Brandenburg 2014. Am bekanntesten ist wohl heute noch das Camp auf dem Berliner Oranienplatz, welches vom 6. Oktober 2012 bis 8. April 2014 existierte. Im Zuge dessen entwickelten sich viele Supporter_Innenstrukturen. Doch deren lokale Isolation erschwerte eine dauerhafte Arbeit. Es folgten zahlreiche Antifa-Vollversammlungen, Krisenmeetings und letzten Endes bildeten sich nach zwei Jahren bundesweit verschiedene Bündnisse: „Jugend gegen Rassismus“, „Aufstehen gegen Rassismus“, „Nationalismus ist keine Alternative“, „Welcome2Stay“ und „Fluchtursachen bekämpfen“. Dies erfolgte zwischen Ende 2014 und Anfang 2015 als Mittel gegen das Aufkommen der wöchentlichen Pegida-Proteste (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes). Doch der verhinderbare Aufstieg der AfD ging weiter. Antirassistische Proteste wurden kleiner, kratzten nicht mal an der Zahl von 10.000 Teilnehmer_Innen. Besetzungen wurden geräumt und die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete stieg weiter. Bei den Wahlen hatten SPD und DIE LINKE fast überall Stimmen verloren. Es wurden stetig verschärfte Asylgesetze verabschiedet.

An Aktionen mangelte es nicht. Doch die Strategie der Bewegung hat nicht dazu geführt, den Rechtsruck in Deutschland zu stoppen oder auf europäischer Ebene einen koordinierten Protest zusammen mit Geflüchteten zu initiieren. Vielmehr mündete die Bewegung in einer Niederlage. Es bleiben vereinzelte Seenotretter_Innen, die wagemutig und auf eigene Faust Menschenleben retten, und NGOs, die vor Ort an den Grenzen versuchen, das Leid ein bisschen zu lindern, ab und zu große Aktionen, wenn es brennt, wie in Moria. Sie zeigen, dass Potenzial für eine antirassistische Bewegung existiert und bleiben doch ein Zeichen der Schwäche, da sie so schnell wie sie spontan entflammen, auch wieder verschwinden.

Wie kann sich das ändern?

So muss es nicht bleiben – die wohl einzige, tröstliche Erkenntnis. Doch dazu muss man auch aus den Fehlern der Vergangenheit lernen:

1. Raus aus der Defensive!

Es reicht nicht, nur immer wieder Angriffe abzuwehren. Wenn ein Protest Erfolg haben und nachhaltig die Situation von Geflüchteten verbessern soll, dann müssen auch konkrete Verbesserungen erkämpft werden. Das heißt konkret, dass wir nicht nur dafür kämpfen müssen, dass Seenotrettung kein Verbrechen ist und wir gegen Abschiebungen eintreten, sondern auch für offene Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für alle, damit Geflüchtete nicht ewig in Lagern leiden müssen oder als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Dabei muss anerkannt werden, dass es keine gesellschaftliche Polarisierung bezüglich der Antirassismusfrage gibt, sondern einen deutlichen Rechtsruck.

2. Keine Zugeständnisse, Schluss mit dem Opportunismus!

Schluss mit dem Opportunismus der Gewerkschaften! Es ist eines der Schlüsselelemente von Solidarität, dass der DGB Geflüchtete als Mitglieder aufnimmt und nicht wie in der Vergangenheit vor Angst, dass eine klare antirassistische Positionierung Mitglieder kosten kann, davor kneift. Das führt dazu, dass Unterdrückte gegeneinander ausgespielt werden und hängt mit der Ideologie der „Standortsicherung“ zusammen. Dabei sorgt die Aufnahme von Geflüchteten in die Gewerkschaften dafür, dass diese in Kämpfe vor Ort eingebunden werden können – auch wenn sie nicht arbeiten dürfen. Der Angst, dass noch mehr Mitglieder abzuspringen, muss man entgegenhalten, dass die aktive Organisierung von Kämpfen um die soziale Frage dem Abhilfe schaffen kann. Dafür müssen der DGB und seine Einzelgewerkschaften Forderungen aufstellen wie nach bezahlbarem Wohnraum oder Mindestlohn für alle. Allerdings darf man auch nicht der Illusion verfallen, dass es nur ausreicht, die „sozialen Fragen“ zu betonen. Diese Forderungen müssen konsequent mit Antirassismus verbunden werden, denn nur in praktischen Kämpfen kann man den sich etablierenden Rassismus anfangen zu beseitigen. Sonst vergisst man, dass Rassismus spaltet, kann ihn also schlechter bekämpfen.

3. Schluss mit „Jeder kämpft für sich allein“!

Wenn wir effektiv antirassistischen Widerstand aufbauen wollen, dann dürfen wir uns nicht spalten lassen. Weder von zunehmendem Rassismus noch Sektierertum der Linken oder der fadenscheinigen Überzeugung, dass Geflüchtete, Jugendliche, Parteien und Autonome jeweils ihr eigenes kleines Bündnissüppchen kochen sollen. Wir brauchen zwischen allen von ihnen und den größeren Organisationen der Arbeiter_Innenklasse zusammen mit denen der Geflüchteten eine Einheit in der Aktion. Dabei reichen nicht nur einzelne, große Mobilisierungen aus. Diese Events gab es bereits in der Vergangenheit und haben wenig gebracht. Deswegen ist es zentral, im Zuge der Proteste Verankerung vor Ort an Schulen, Unis und in Betrieben aufzubauen. Dies kann durch Aktionskomitees entstehen, die mobilisieren, indem sie beispielsweise Rassismus thematisieren und über Forderungen der Bewegung mitentscheiden.

4. Aktuelle Kämpfe verbinden!

Die antirassistische Bewegung hierzulande ist also derzeit geschwächt, fast gar nicht mehr existent. Deswegen dürfen wir nicht einfach auf die nächste Katastrophe warten, sondern müssen in den vorhandenen Kämpfen wie der Umweltbewegung oder dem um Wohnraum (Deutsche Wohnen & Co. enteignen) für klare, antirassistische Positionen auftreten. So ist die Umweltzerstörung einer der häufigsten Fluchtursachen. Bei der Enteignung von Wohnraum ist es zentral, auch für die Abschaffung von Geflüchtetenunterkünften einzustehen und für die dezentrale Unterbringung in eigenen Wohnungen. Wichtig ist v. a. die Forderung nach offenen Grenzen. Dabei ist es wichtig, dass solche Forderungen, falls angenommen, nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben, sondern auch praktische Mobilisierungen darum erfolgen.

5. Der Kampf ist international!

Mit Deals zwischen unterschiedlichen Ländern oder gemeinsamen „Initiativen“ wie Frontex versuchen vor allem imperialistische Länder, sich die Probleme der Geflüchteten vom Leib zu halten. Um Festungen wie die Europas erfolgreich einzureißen, bedarf es mehr als einer Bewegung in einem Land. Deswegen müssen wir das Ziel verfolgen, gemeinsame Forderungen und Aktionen über die nationalen Grenzen hinaus aufzustellen. Nicht nur um mehr Druck aufzubauen, sondern auch aus dem Verständnis heraus, dass Flucht ein Problem ist, welches erst durch die Ausbeutung der halbkolonialen durch die imperialistischen Länder so virulent wird.




Ausgangssperren, der Staat und linke Antworten

Robert Teller, Infomail 1146, 22. April 2021

Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz kommt die bundesweite Ausgangssperre, wenn auch nun in einer stark abgeschwächten Form. Auf Grundlage von Landesverordnungen ist sie ohnehin vielerorts in Kraft. In vielen anderen Ländern gehört sie schon lange zum Standardprogramm der Pandemieeindämmung, wobei die politisch-moralischen Bedenken teils geringer ausfallen als hierzulande. Oftmals haben sich Ausgangssperren bereits gegen andere „innere Bedrohungen“ für die Herrschenden bewährt, warum also nicht auch in diesem Fall?

Das Gesetz

Angela Merkel hält die Ausgangssperre für eine „Zumutung für die Demokratie“, so auch weitgehend der Rest der Republik – von links bis rechts. Dennoch wurde nun beschlossen, dass man abends nur noch mit triftigem Grund rausdarf. Derartige Gründe gibt es etliche. Damit wurde insbesondere sichergestellt, dass der Weg von und zur Arbeit jederzeit stattfinden kann, die Verausgabung von Arbeitskraft nicht beeinträchtigt wird und die Maßnahme somit keine Zumutung fürs Kapital darstellt. Ebenso erlaubt ist der Ausgang, um Sorgearbeit zu verrichten, wie z. B.  zur Betreuung oder Pflege von Kindern bzw. Angehörigen.

Das alles ist insgesamt natürlich eine juristisch hochkomplexe Abwägung von allesamt höchst wichtigen Rechtsgütern, daher die Zumutung. Das Menschenrecht auf nächtliches Spazierengehen gilt in Zukunft etwa dann, wenn ein Hund dabei ist oder auch ein Kind, nicht aber, wenn gar kein weiteres Säugetier in Reichweite ist, das als Virenwirt in Frage käme. Widersprüchlich ist das alles nicht nur auf den ersten Blick.

Faktisch enthält das neue Infektionsschutzgesetz wenig Neues. In Zukunft gilt eine Home-Office-Pflicht, falls keine „zwingenden Gründe“ entgegenstehen. Die gab es aber bereits seit Januar und wird nun lediglich so abgeändert, dass Arbeit„nehmer“Innen auch verpflichtet sind, die Home-Office-Möglichkeiten zu nutzen. Es bleibt aber weiterhin den Unternehmen selbst überlassen zu entscheiden, welche Gründe als „zwingend“ gelten und welche nicht. So ist nicht zu erwarten, dass sich die Home-Office-Quote, die Anfang März nur um 30 % lag, deutlich erhöhen wird.

Ansonsten werden Maßnahmen nun bundesweit einheitlich geregelt, die bisher auf Landesebene ähnlich, aber nicht überall einheitlich gehandhabt wurden. Wenn in Zukunft 3 Tage lang in Folge die 7-Tage-Inzidenz auf Landkreisebene den Wert 100/100.000 überschreitet, soll einheitlich die bereits bekannte Kontaktbegrenzung gelten (1 Haushalt + 1 Person), ohne dass regionale Sonderwege möglich sind. Unter derselben Voraussetzung soll automatisch die Ausgangssperre von 22 Uhr bis 5 Uhr in Kraft treten – mit diversen Ausnahmen, die es fraglich machen, ob sie überhaupt einen Effekt auf die Infektionslage haben wird. Eine schärfere Ausgangssperre wäre rechtlich zu angreifbar gewesen, wie die erfolgreichen Klagen gegen regionale Ausgangssperren in Frankfurt, Hannover und anderen Städten zeigten.

Wirksamkeit der Ausgangssperre

In der wissenschaftlichen Literatur findet sich wenig Überzeugendes, das für die Verhängung von Ausgangssperren spricht. Die meisten Forschungsarbeiten beruhen wesentlich auf Analysen epidemiologischer Messdaten, d. h. auf einem Vergleich der beobachteten Infektionsdynamik in verschiedenen Ländern oder Zeitabschnitten bei unterschiedlichen Eindämmungsmaßnahmen. Diese Datenanalysen haben den methodischen Mangel, dass sie für sich genommen keine kausale Wirkung einzelner Maßnahmen aufdecken können, sondern nur Korrelationen. Sie leiden zudem daran, dass in der Praxis eine Vielzahl verschiedener Eindämmungsmaßnahmen verhängt wird, deren Einzelwirkungen nicht unabhängig voneinander gemessen werden können. Daher ist es auch keineswegs so einfach, wie manchmal suggeriert, den kausalen Effekt einer bestimmten Maßnahme zur Pandemiebekämpfung von anderen isoliert und abgegrenzt zu bestimmen.

Ein gewichtiges Gegenargument ist bekanntlich die Gefahr einer Verlagerung sozialer Begegnungen aus dem (überwachten) öffentlichen Raum in private Innenräume. Ein solcher Effekt könnte schnell die positiven Eindämmungseffekte zunichtemachen, da das Übertragungsrisiko in Innenräumen um ein Vielfaches höher ist als draußen. Insbesondere treten die für die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus so wesentlichen Super-Spreading-Ereignisse – soweit bekannt – praktisch ausschließlich in Innenräumen auf.

Ein weiteres Argument ist, dass unvermeidbare Erledigungen wie Einkäufe oder Fahrten im öffentlichen Verkehr von den Nachtstunden in den Zeitraum außerhalb der Ausgangssperre verlegt werden und die Personendichte etwa in Supermärkten und öffentlichen Verkehrsmitteln dann während der zulässigen Zeiten steigt, was zu einem überproportionalen Anstieg der Übertragungsrate führen würde.

Für die Wirksamkeit von Ausgangssperren spricht dagegen das Argument, dass während der Nachtstunden hauptsächlich „hochmobile“ Personengruppen eingeschränkt werden, die einen überproportionalen Anteil am Infektionsgeschehen haben könnten.

Der Effekt einer Ausgangssperre auf die Häufigkeit der fraglichen ungeschützten Kontakte in Innenräumen lässt sich nur schwer messen und noch schwieriger prognostizieren. Aggregierte anonymisierte Mobilfunk-Bewegungsdaten geben für Deutschland eine grobe Auskunft über die Anzahl von Ortswechseln von MobilfunkteilnehmerInnen, nicht aber über die Frequenz und die konkreten Umstände damit verbundener sozialer Begegnungen. In einer aktuellen Auswertung ergibt der Vergleich der Mobilitätsdaten in Baden-Württemberg auf Kreisebene jeweils vor und nach Aufhebung der Winterausgangssperren laut Statistischem Bundesamt, dass sich die „Aufhebung der Ausgangssperre kaum auf das Gesamtmobilitätsgeschehen auswirkte.“ Der beobachtete Anstieg während des Sperrzeitraums lag im Bereich von 10 %, jedoch machte die Mobilität in diesem Zeitraum nur 5 % der Gesamtmobilität eines Tages aus.

Soziale Auswirkung

Während die Wirkung auf die Einschränkung von Neuinfektionen zweifelhaft ist und allenfalls bescheiden sein dürfte, so ist das Ausgangsverbot mit zwei Effekten verbunden. Erstens kann so die Behauptung gestützt werden, dass eine wirkliche Wende, eine „harter Kurs“ in der Bekämpfung der Pandemie verfolgt würde. Dabei bleiben neuralgische Punkte, die bisher von Schließungen ausgenommen waren, also die gesamte Industrie und der Kernbereich der Mehrwertproduktion, weiter außen vor. Ebenso wird der Zickzackkurs an den Schulen und Kitas, der alle Seiten nur zermürben kann, faktisch fortgesetzt, diesmal mit dem Inzidenzwert von 165. Die nächtliche Ausgangssperre soll somit Entschlossenheit suggerieren, wo Konzeptlosigkeit und Lavieren zwischen Gesundheit und Wirtschaftsinteressen vorherrscht.

Zweitens werden die Ausgangssperren aber konkrete soziale, repressive und negative Folgen für die Bevölkerung haben – und zwar vor allem für jene, die schon jetzt unter der Ausgangssperre am meisten leiden.

Sicherlich wird sie geeignet sein, Jugendliche zu schikanieren, die in lauen Frühlingsnächten mal gerne ein Bier risikoarm an der frischen Luft trinken möchten. Die Ausgangssperre wird aber noch weitere, ohnedies schon täglich vor sich gehende Formen der Diskriminierung verstärken.

Wohnungslose, die auf der Straße überleben müssen, können mit zusätzlichen rechtlichen Mitteln Schikanen durch die Polizei ausgesetzt werden. Racial Profiling, das natürlich auch ohne Ausgangssperre rund um die Uhr stattfindet, kann jetzt zusätzlich mit dem Verweis auf sie legitimiert und als Maßnahme des Infektionsschutzes umgedeutet werden.

Für Frauen und nicht-binäre Personen bedeutet die Ausgangssperre auch, dass sie sich entscheiden müssen, ob sie alleine in der Nacht einen Spaziergang machen oder „freiwillig“ zuhause bleiben.

Schließlich trifft die Ausgangssperre Menschen aus den ärmeren Schichten der ArbeiterInnenklasse und des KleinbürgerInnentums besonders hart, weil diese auf engerem Wohnraum leben müssen.

Während sich die gesundheitspolitische Wirkung weitgehend auf Symbolik beschränken dürfte, also gegen null geht, schränkt die Ausgangssperre nicht einfach die „Demokratie“ ein, sie wirkt auch verstärkt auf die vorhandenen Formen gesellschaftlicher Ungleichheit und Unterdrückung.

Programmatik

Die Ausgangssperre kann daher – wie alle Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung – nicht einfach unabhängig von ihrem Klassencharakter betrachtet werden.

Als MarxistInnen lehnen wir das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates ab. Wir sind gegen die Ausweitung legaler Repressionsinstrumente und verteidigen entsprechend auch bürgerliche Rechte, die den staatlichen Repressionsorganen Grenzen setzen. Die Krise des bürgerlichen Parlamentarismus und die weltweit zu beobachtende Tendenz hin zu bonapartistischen Krisenregimen setzt diese Verteidigung demokratischer Rechte wieder weit oben auf die Tagesordnung.

Dabei verteidigen wir nicht die „gute alte Demokratie“, ihre angeblich klassenneutralen Institutionen, sondern wir betonen, dass die Angriffe auf demokratische Rechte gerade den Klassencharakter des bürgerlichen Staates unterstreichen und daher von unserer Seite aus eine Strategie des Klassenkampfes erfordern. Die Erosion der alten (bürgerlichen) Demokratie ruft nach Prinzipien der ArbeiterInnendemokratie – Kontrolle und Gegenmacht durch Organe der Klasse – als zentrale Elemente dieser Strategie.

Wenn auch die pandemische Situation in den historischen Programmen des Marxismus nicht explizit behandelt wurde, sind die genannten zentralen Positionen übertragbar. Die autoritären und bonapartistischen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung lehnen wir ab, weil sie eine spezifisch bürgerliche Antwort auf die Pandemie darstellen. Deutlich wird dieser Klassencharakter etwa darin, dass die Zulässigkeit privater Begegnungen – die in gewissem Umfang wohl zu den unverzichtbaren menschlichen Elementarbedürfnissen zählen – pedantisch reguliert wurde, obwohl gerade hier grundsätzlich kein Widerspruch zwischen dem Bedürfnis nach gesundheitlichem Eigenschutz und der Notwendigkeit, die Infektionsdynamik zu bremsen, besteht. Dem Fortbestand der bürgerlichen Familie und dem christlichen Brauchtum wurde natürlich eine privilegierte Stellung eingeräumt.

Das Verrichten der Lohnarbeit dagegen entzieht sich einer Bewertung, in welchem Maß sie angesichts voller Intensivstationen überhaupt notwendig ist. Eingeschränkt wurden für die Profitmacherei letztlich untergeordnete Sektoren wie Gaststätten und Hotellerie oder die Kulturindustrie. Die Schließung der Kernsektoren der Mehrwertproduktion stand faktisch nie zur Diskussion im Bereich des bürgerlichen Mainstreams. Für die Regierung und ihre bürgerlichen KritikerInnen gelten diese Bereiche als sakrosankt. Es sind die wirklichen heiligen Kühe der Marktwirtschaft, die außerhalb der Sphäre des privaten und öffentlichen Lebens nicht zur Disposition stehen.

Das Ziel der bürgerlichen Pandemiepolitik bestand und besteht in der möglichst weitgehenden Aufrechterhaltung der Kapitalverwertung. Damit muss bei steigenden Infektionszahlen der Gesundheitsschutz primär zu einer individuellen Verantwortung, also auch zur moralischen Pflicht für jede/n Einzelne/n werden. Der Dienst am Vaterland besteht nun darin, sich im Privaten so weit wie möglich einzuschränken und weiterhin Lohnarbeit im Großraumbüro oder in der Montagehalle zu verrichten. Weil diese Moral tatsächlich wenig überzeugend ist, gibt es sie auch in bußgeldbewehrter Form.

Diesen Maßnahmen abstrakte Forderungen nach „Freiheit“ (auf Feiern, Reisen, Leute treffen, … also Leute anstecken) entgegenzusetzen, steht offensichtlich in einem deutlichen Widerspruch zur Natur dieser Pandemie. Sie sind utopisch, weil die bloße Aufhebung von staatlichen Infektionsschutzmaßnahmen für einen Großteil der Bevölkerung, der selbst gefährdet ist oder gefährdete Angehörige hat, faktisch den Zwang zur Selbstisolation oder zur Inkaufnahme eines extremen Gesundheitsrisikos bedeuten würde. Das Hochhalten der individuellen Freiheit, während diese durch die Natur der Pandemie selbst negiert wird, kann natürlich keine proletarische Politik sein, sondern nur reaktionärer kleinbürgerlicher Utopismus.

Die Pandemie erfordert Zwangsmaßnahmen und diese können nicht per se – unabhängig von ihrem Klassencharakter – abgelehnt werden, weil ein marxistisches Programm sich nicht gegen die materiellen Voraussetzungen menschlichen Überlebens auflehnen kann. Wie jede Politik stellt auch das Pandemiemanagement Klassenpolitik dar und KommunistInnen sollten das derzeitige ablehnen, weil seine Maxime die Aufrechterhaltung der Verwertungsbedingungen des Kapitals ist.

Eine marxistische Programmatik zielt daher darauf ab, einen möglichst schnellen Stopp der massenhaften Ausbreitung des Virus zu erreichen und dabei dem Kapital die Hauptlast aufzuerlegen. Zugleich geht es darum, die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen und der Massen zu verteidigen. Das bedeutet insbesondere: einen umfassenden solidarischen Shutdown aller nicht essentiellen Betriebe – bei voller Lohnfortzahlung und sozialer Absicherung, durchgesetzt durch die ArbeiterInnenbewegung und überwacht durch Kontrollkomitees der Beschäftigten.