Schweden: Nein zum Imperialismus – Nein zur NATO

S. Persson, Arbetarmakt, Infomail 1198, 13. September 2022

Bei dem folgenden Artikel handelt es sich um eine leicht überarbeitete und später erweiterte Fassung eines Diskussionsbeitrags, der auf dem offenen Treffen von Arbetarmakt unter dem Titel „Nein zum Imperialismus, nein zur NATO“ gehalten wurde.

Ein Genosse fragte mich kürzlich, wie Arbetarmakt  „die NATO-Mitgliedschaft verhindern“ wolle. Angesichts des Kräfteverhältnisses kann man natürlich über die Formulierung streiten, aber es ist dennoch eine gute Frage. Mit welchen Methoden wollen wir gegen die schwedische Mitgliedschaft in der NATO und damit für die Auflösung des NATO-Bündnisses kämpfen? Und wie sollte eine breitere Bewegung kämpfen, um erfolgreich zu sein?

Die Antwort muss von der politischen Linie kommen, die wir in Fragen des Antiimperialismus, Militarismus und Internationalismus vertreten. Um zu erklären, wo wir stehen, möchte ich etwas zu den Argumenten sagen, die wir revolutionären Kommunist:innen im Kampf gegen die NATO-Mitgliedschaft nicht verwenden, und warum.

Weil die Kriegsdrohung nicht real ist

Ein gängiges Argument gegen die NATO-Mitgliedschaft ist der Hinweis darauf, dass eine solche militärische Aufrüstung „unnötig“ oder nicht wirklich notwendig sei, da Russland kaum zu einer Invasion bereit sei. Das ist natürlich inhaltlich richtig und ein Argument, das gegen die gegenteilige Angstmacherei der Kriegstreiber:innen und Profiteur:innen ins Feld geführt werden sollte. Als Argument gegen die NATO-Mitgliedschaft an sich ist es jedoch nicht stichhaltig, denn die logische Konsequenz wäre, dass die NATO-Mitgliedschaft von Bedeutung wäre, wenn die Kriegsgefahr zunimmt.

Wir sind gegen die Mitgliedschaft Schwedens und Finnlands in der NATO nicht in erster Linie, weil sie eine überflüssige Absicherung gegen einen militärischen Angriff auf Schweden wäre, sondern weil sie „unseren“ imperialistischen Block stärken würde. Selbst im Falle eines militärischen Angriffs muss die schwedische Arbeiter:innenklasse ihre eigene Klassenverteidigung auf die Beine stellen, im Gegensatz zur Verteidigung der Nation und ihres kapitalistischen Systems durch die Oberschicht und oft auch im Gegensatz zu dieser.

Weil Sozialist:innen stattdessen für eine starke schwedische Verteidigung eintreten sollten

Dies ist zu einer beliebten Aussage der Linken geworden. Die Idee ist, dass Schwedens „militärische Blockfreiheit“ (auf die wir weiter unten zurückkommen werden) nur durch eine starke Innenverteidigung verteidigt und gestärkt werden kann. So argumentieren z. B. die Linkspartei und die ihr nahestehenden Kräfte.

Als Beispiel kann ein Beitrag in der V-Zeitung Flamman von einem Autor des „All for All“-Podcasts Fire and Motion dienen (Anpassung an NATO macht Schwedens Verteidigung schwächer, 16. Mai). In dem Artikel wird die „geringe Glaubwürdigkeit der Linkspartei in Verteidigungsfragen“ angesichts ihrer früheren lückenhaften Opposition gegen den Militarismus beklagt, und weiter, dass Schwedens operative Verteidigung und Küstenartillerie geschwächt oder geschlossen wurden und dass „wir“ (die schwedische Bourgeoisie/das zivilstaatliche Gewaltmonopol) nicht „auf eine billige und allgemeine“ staatliche Streitkraft gesetzt haben.

Hier wird argumentiert, dass die bereits erfolgte Anpassung an die NATO die Widerstandsfähigkeit der Verteidigung geschwächt hat und die schwedische NATO-Mitgliedschaft eine zu große Nähe zu den Vereinigten Staaten aufweist und eine solche Entwicklung offensichtlich fortgesetzt werden soll. „Die NATO ist also nicht nur eine moralische Frage“, heißt es abschließend, „sondern birgt auch die Gefahr, dass wir (der bürgerliche Staat, Anm.) unsere (seine, Anm.) Verteidigung praktisch nicht stärken können.“

Der Autor ist auf jeden Fall ein Kenner von Verteidigungsfragen, und seine Einschätzung der schwedischen Verteidigungsfähigkeiten ist sicherlich richtig. Was jedoch fehlt, ist die Frage: Sollte die Stärkung der militärischen Macht des bürgerlichen Staates, wozu ein Nein zur NATO laut Argumentation führen würde, von Sozialist:innen angestrebt werden?

Als revolutionäre Marxist:innen ist unsere Antwort auf diese Frage ein eindeutiges Nein. „Keine Person, keinen ,Pfennig’ für den Militarismus“ ist auch heute noch unsere Losung – die schwedischen Arbeiter:innen sollten keinen Öre  für eine imperialistische „Verteidigung“ bezahlen müssen, die, anders als im Artikel behauptet, nicht wirklich „unsere“ ist, sondern deren Hauptaufgabe es ist, mit der Waffe in der Hand die Herrschaft der Oberschicht in diesem Land, wie in allen kapitalistischen Staaten, zu schützen und zu sichern.

Wenn das Argument lautet, dass die NATO-Mitgliedschaft die Armee der Bourgeoisie „schwächt“ und zum Beispiel Operationen wie die gegen streikende Arbeiter:innen im Ådal-Tal 1931 unmöglich machen könnte, dann wäre das für Sozialist:innen eher ein Argument für die NATO – aber jetzt wird es verdreht.

Dass eine starke schwedische Verteidigung und damit Milliarden, die an „unsere eigenen“, schwedischen Kriegsgewinnler:innen statt an Washington fließen, notwendigerweise im Widerspruch zur NATO-Ausrichtung stehen würden, ist ebenfalls zweifelhaft. Schaut Euch zum Beispiel das Verhalten der Linkspartei in diesem Frühjahr an, als sie für eine historische Erhöhung der Verteidigungsausgaben stimmte! Wenn es nach der Führung der schwedischen Linkspartei geht, werden drei Milliarden an Steuergeldern der Arbeiter:innenklasse für die Verteidigung ausgegeben, und langfristig werden die Verteidigungsausgaben zwei Prozent des BIP pro Jahr betragen.

Die Aufrüstung wird von der Rechten und den Kriegsprofiteur:innen seit Jahrzehnten gefordert, aber mit dem Ukrainekrieg haben sie auch die Linkspartei (und die Grünen) ins Boot geholt. Der verteidigungspolitische Sprecher der Linkspartei begründet dies damit, dass eine starke Verteidigung „es uns ermöglicht, bündnisfrei zu bleiben“ – ohne zu verheimlichen, dass die Forderung nach 2 % des BIP auch die formale Beitrittsforderung der NATO ist. Forderungen nach einer Aufrüstung der schwedischen Verteidigung können durchaus Hand in Hand mit dem internationalen Militarismus gehen, und in diesem Licht werden die Argumente über eine „gestärkte schwedische Verteidigung“ eher zu einer hinterhältigen Methode, um die Linke dazu zu verleiten, ihre letzten Ansprüche auf Antimilitarismus aufzugeben.

Aber treten Sozialist:innen nicht für die Verteidigung ein?

Nun, ein Angriffskrieg auf Schweden – auch wenn er im Moment unwahrscheinlich ist – würde, wie jeder Krieg, natürlich vor allem die Arbeiter:innenklasse treffen. Aber in einer solchen Konfrontation, z. B. einem innerimperialistischen Krieg zwischen Schweden bzw. der schwedischen Seite und dem russischen Imperialismus, handelt es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um einen reaktionären Krieg von beiden Seiten. Die Frage, wer einen innerimperialistischen Krieg begonnen hat, ist nachrangig. Der eigentliche Charakter des Krieges wäre ein Kampf um die Neuaufteilung von ökonomischen und geostrategischen Einflusssphären zwischen imperialistischen Mächten und Blöcken.

Es wäre die Aufgabe von Sozialist:innen, Soldat:innen und Arbeiter:innen, auch innerhalb der Armee zu agitieren und dort demokratische Rechte einzufordern, die aber langfristig auch „unsere Verteidigung“ in Frage stellen, die letztlich nur eine ideologische Maskerade der Interessen der schwedischen Bourgeoisie darstellt.

Eine solche Politik muss Seite an Seite mit dem Klassenkampf geführt werden, der auch im Krieg nicht aufhört, selbst wenn er zur Niederlage „unseres“ Landes führt. In einem imperialistischen Konflikt wissen klassenbewusste Arbeiter:innen, dass die Niederlage des eigenen Landes das geringere Übel ist.

„Die NATO bedroht die schwedische ‚Bündnisfreiheit‘“

Von der Kommunistischen Partei heißt es, dass die schwedische Sicherheitspolitik „seit über 200 Jahren auf Bündnisfreiheit im Frieden ausgerichtet ist“ (Proletären, 10. Mai), und von Allt åt Alla (Alle für Alle) Göteborg, dass eine NATO-Mitgliedschaft „das Ende der schwedischen Bündnisfreiheit“ bedeuten würde (Mittskifte.org, Petition).

Der Mythos der schwedischen Blockfreiheit und Neutralität ist stark. Dies zeigt sich nicht zuletzt an der Überraschung und Enttäuschung, die nach der Kehrtwende der sozialdemokratischen Partei in der NATO-Frage in weiten Kreisen zum Ausdruck kam. Aber wenn wir uns gegen die NATO aussprechen, dürfen wir nicht solche Mythen schüren, auch wenn die Versuchung groß ist. Wir müssen der Arbeiter:innenklasse sagen, wie es ist, und es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass Schweden mindestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts im imperialistischen Weltsystem eindeutig auf der Seite der USA steht.

„Blockfreiheit“ und „Neutralität“ waren eine Schimäre. Dies konnten Politiker:innen während des Kalten Krieges manchmal benutzen, um dem schwedischen Imperialismus etwas Spielraum zwischen den USA und der Sowjetunion zu verschaffen, aber hinter den Kulissen war es klar, auf welcher Seite Schweden steht. Der Mythos der Neutralität erfüllte seinen Zweck, aber in den letzten Jahren (z. B. nach der Mitgliedschaft im NATO-Projekt „Partnerschaft für den Frieden“ seit dessen Beginn im Jahr 1994 und der Unterzeichnung des Gastlandabkommens 20 Jahre später) hat er mehr oder weniger auch für die herrschende Klasse seine Rolle ausgespielt. Dann sollten die Sozialist:innen sie auch nicht am Leben erhalten. Im besten Fall führt es die Arbeiter:innen, die uns zuhören, nur weiter in die Irre.

Man könnte hinzufügen, dass selbst ein wirklich neutrales, imperialistisches Schweden, das als imperialistische Supermacht ohne jegliche Blockzugehörigkeit agiert – wenn auch bestenfalls eine hypothetische Vorstellung –, für Sozialist:innen nicht erstrebenswert wäre.

„Sozialist:innen sind gegen den Krieg und für den Frieden“

Dies ist das nächste Argument, das „gut klingt“, hinter dem sich aber, wenn man ein wenig an der Oberfläche kratzt, im besten Fall eine falsche Darstellung der Realität und im schlimmsten Fall eine Abkehr vom Marxismus verbergen.

Als Beispiel können wir die Sozialistische Politik (SP) und ihre Wochenzeitschrift Internationale anführen, in der man im Frühjahr ein Argument nach dem anderen für Frieden, Pazifismus und gegen Krieg lesen konnte. Vieles davon können wir natürlich gut nachvollziehen, wie z. B. die Forderungen nach Abrüstung und weniger Geld für die Verteidigung (dass die SP-Genoss:innen einer Partei beigetreten sind, die gerade für eine historische Aufrüstung gestimmt hat, ist in diesem Zusammenhang noch etwas seltsamer). Aber unser Nein zu Waffen und Krieg und das pazifistische Nein kommen aus zwei verschiedenen Richtungen.

Der Marxismus hat seit seinen Anfängen den Pazifismus und allgemeine Appelle an den „Frieden“ klar abgelehnt, da sie nicht zum Frieden, sondern zur Niederlage führen. Wir leben in einer imperialistischen Welt des Krieges, in der die gegnerische Seite gut bewaffnet ist. Der Verzicht auf unsere eigene demokratische Verteidigung oder auf unser Recht, gegen die Verfechter:innen der Unterdrückung zu kämpfen, bedeutet, die Herrschaft des Kapitals für immer zu garantieren.

Wir sind also nicht in erster Linie gegen die NATO, weil sie generell mehr Krieg bedeutet und wir allgemein für mehr Frieden sind – obwohl das natürlich ein Argument für uns ist, wir Sozialist:innen sind Freund:innen des Friedens –, sondern weil die NATO die Aufrüstung des Klassengegners – des Imperialismus – bedeutet und wir im Klassenkampf im gegnerischen Lager stehen.

„Schweden sollte stattdessen andere Militärbündnisse eingehen“

Eines der seltsamsten Argumente gegen einen NATO-Beitritt ist das des Chefredakteurs von Flamman (17. Februar), die „einzige glaubwürdige Alternative“ sei das, „was Frankreich und andere Länder in den 1990er Jahren vorgeschlagen haben, nämlich ein europäisches Militärbündnis, an dem sich Russland beteiligen kann. Eines, das mit den USA und anderen Ländern zusammenarbeiten kann, bei dem aber die europäischen Staaten die Führung übernehmen. Die Antwort liegt weder in Moskau noch in Washington, aber auch nicht in der Isolation“.

Also nicht Moskau oder Washington, sondern Paris. Sicherlich gibt es in einigen Kreisen in den EU-Ländern Unterstützung für eine solche Strategie eines neuen, von den USA unabhängigen imperialistischen Bündnisses, aber es fragt sich, warum Sozialist:innen ein solches anstreben sollten. Was würden z. B. die Arbeiter:innen und Armen, die gegen den französischen Neokolonialismus in Afrika kämpfen, davon halten?

„Die Entscheidung (für den NATO-Beitritt) ist nicht demokratisch getroffen worden“

Ein weiteres Argument, das an sich nicht falsch ist, das aber nicht zur Grundlage der gesamten Argumentation der Sozialist:innen werden darf. Es ist natürlich völlig richtig, auf die Heuchelei hinzuweisen, die darin besteht, dass eine so große Veränderung über die Köpfe der Bürger:innen hinweg durchgeführt wird, ohne dass eine Parlamentswahl dazwischen liegt. Alle Parteien, die sich für die NATO-Mitgliedschaft entschieden haben, sollten dies niemals vergessen dürfen.

Aber unser Widerstand gegen die schwedische NATO-Mitgliedschaft steht und fällt nicht mit einem Referendum. In diesem Fall würde ein Referendum leicht zu einem Mittel werden, um etwas schnell abzusegnen, für das eine vereinte Gruppe von Politiker:innen und Medien bereits hart propagiert und die Menschen dazu gebracht hat zu glauben, dass es der einzige Weg ist. Dies zeigt sich beispielsweise in Nooshi Dadgostars (Parteivorsitzende der Linkspartei) Äußerungen zum Erfordernis eines Referendums, in denen sie klarstellte, dass ein solches nur abgehalten würde, um der Entscheidung demokratische Legitimität zu verleihen. Führt ein Referendum durch, und die schwedische Linkspartei kann die NATO-Mitgliedschaft mit Freuden annehmen!

Für die Kommunist:innen hängt die Legitimität der NATO-Mitgliedschaft nicht ausschließlich von solchen vorübergehenden Stimmungen ab, schon gar nicht in einer extrem aufgeheizten Kriegsatmosphäre, wie sie derzeit herrscht. Deshalb ist es schlichtweg unpraktisch, wie „Alle für Alle“ zu einem Referendum aufzurufen. Und im Gegensatz zur Linkspartei, die inzwischen die Mitgliedschaft akzeptiert und von früheren Formulierungen, die NATO solle aufgelöst werden, Abstand genommen hat, würde sich unsere grundsätzliche Ablehnung der NATO auch dann nicht ändern, wenn eine Mehrheit in einem Referendum dafür stimmen würde.

Wie können wir die NATO-Mitgliedschaft verhindern?

Es gab viele Beispiele für die Argumente, die wir nicht gegen die NATO verwenden. Und es gibt einige – von der Forderung nach einer Stärkung der Verteidigung des bürgerlichen Staates oder dem Mythos der schwedischen Blockfreiheit, der massiven Aufrüstung der Linkspartei und der schwindenden NATO-Opposition bis hin zum Pazifismus der SP, dem Vertrauen der Kommunistischen Partei auf die Staatssicherheitsdoktrin und Flammans skurrilem Gerede von der Unterordnung Schwedens unter den französischen Imperialismus.

Diese Vermischung von Proimperialismus und Pazifismus ist auch eine Antwort darauf, warum der Widerstand gegen die NATO so schwach ist. Die kommunistische Tradition des Antiimperialismus, des Antimilitarismus und des Einsatzes für die Selbstverteidigung der Arbeiter:innenklasse ist verlorengegangen, zum Teil mit direkter Hilfe der Totengräber:innen des Marxismus in den stalinistischen Vorgänger:innen der Linkspartei.

Vorhin ist schon betont worden, dass wir sagen müssen, wie es ist. Meine Antwort an den Genossen, der mich fragte, wie wir die schwedische Mitgliedschaft in der NATO stoppen wollen, lautete daher auch, dass wir dies – angesichts der Kräfteverhältnisse und der Probleme mit der Arbeiter:innenbewegung und der Linken, die ich hier skizziert habe –, höchstwahrscheinlich nur schwer erreichen werden.

Was wir jedoch tun können und bei den Protesten in diesem Frühjahr und Sommer auch getan haben, ist, den Widerstand der NATO aus einer anderen Perspektive zu betrachten und zu versuchen, Unterstützer:innen dafür zu gewinnen. Genug davon, was man nicht sagen sollte, sondern vielmehr: Was sollten wir sagen?

Wir sollten die Geschichte der NATO als ein Projekt zur Stärkung des US-Imperialismus hervorheben. Wir sollten die Lügen über die schwedische Blockfreiheit oder die Hoffnung auf andere imperialistische Bündnisse zurückweisen. Wir sollten darauf beharren, dass es bei der Ablehnung der NATO darum gehen muss, die Mitgliedschaft in ihren Kontext zu stellen – eine zwischen imperialistischen Blöcken aufgeteilte Welt, in der Schweden ein kleiner, aber aktiver Akteur ist. Unsere Slogans sollten lauten: Nein zur NATO! Auflösung der NATO! Kampf gegen jede Art von Kriegstreiberei und Imperialismus! Keine Krone, keine Öre für die Armee des bürgerlichen Staates!

Ob NATO-Mitgliedschaft oder nicht, wir wissen, dass die Erde von Krieg und Konflikten geprägt ist, die auf ein weltweites imperialistisches System zurückzuführen sind, in dem verschiedene Blöcke um „ihre“ Gebiete kämpfen, um sie auszubeuten. Solange dieses System besteht, werden wir mit fortgesetztem Militarismus, neuen Kriegen und Arbeiter:innen konfrontiert sein, die sich an der Front gegenseitig umbringen. Unsere Aufgabe ist es, diejenigen zu versammeln, die dies erkennen und dagegen kämpfen wollen, auch wenn wir diese Schlacht verlieren.




Schweden-Finnland: NATO-Beitritt – Ende der nordischen „Neutralität“?

Interview mit Svante Persson (Arbetarmakt, Schweden), Neue Internationale 265, Juni 2022

Der russische Einmarsch in der Ukraine hat in Westeuropa zu einer Flut prowestlicher imperialistischer Propaganda geführt. Die Kriegstreiberei und gesteigerte Aggression zwischen den imperialistischen Blöcken haben den herrschenden Klassen hier die Möglichkeit gegeben, die Gewichte zugunsten des US-Imperialismus und der Aufrüstung zu verschieben, wobei eine wichtige Verschiebung darin besteht, dass Schweden und Finnland rasch die Mitgliedschaft in der NATO beantragen. Wie kam es dazu, und wie sieht der Widerstand aus? Arbetarmakt, die schwedische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, veranstaltete kürzlich eine öffentliche Veranstaltung mit dem Titel „Nein zum Imperialismus, nein zur NATO!“ Nach der Versammlung sprachen wir mit einem Genossen von Arbetarmakt über die dortigen Entwicklungen.

GAM: Schweden und Finnland sind seit Jahrzehnten kein Mitglied der NATO. Warum ist das so?

AM: Die Idee der Neutralität in internationalen Konflikten und in Bezug auf Machtblöcke ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil des schwedischen (und finnischen) Selbstverständnisses. Während die geopolitische Situation in Finnland im 20. Jahrhundert aufgrund der gemeinsamen Grenze mit der Sowjetunion eine ganz andere war, bestand die Strategie des schwedischen Imperialismus darin, öffentlich zwischen dem US-amerikanischen und dem stalinistischen Block zu navigieren, mit dem Vorteil, in Bezug auf internationalen Handel und Einfluss nicht an einen der beiden Blöcke gebunden zu sein, während man in Wirklichkeit hinter verschlossenen Türen ganz klar auf der Seite des US-Imperialismus stand. In den 1960er und 1970er Jahren wandelte sich die pragmatische Position der schwedischen Sozialdemokratie unter dem Einfluss des zunehmenden Jugend- und Arbeiter:innenradikalismus, insbesondere in der Opposition gegen den Vietnamkrieg, zu einer offeneren Haltung gegen die NATO und die imperiale Aggression der USA. Wie Historiker:innen der öffentlichen Politik hervorgehoben haben, bedeutete dies in den meisten Fällen, dass das Wissen um das wahre Ausmaß der schwedischen Zusammenarbeit mit der US-Militärplanung auf einen kleinen Kreis beschränkt blieb, selbst innerhalb der absoluten Führung der Regierung.

GAM: Warum und wie wurde die Position der formalen Neutralität aufgegeben?

AM: Obwohl die vermeintliche schwedische „Neutralität“ größtenteils eine Täuschung war und zunehmend als solche entlarvt wurde, hielt sich die Vorstellung von Schweden als neutralem Land, ja sogar als „humanitärer Supermacht“, in den Köpfen der sozialdemokratischen Wähler :innen und breiterer Schichten der Arbeiter:innenklasse bis weit in unsere Zeit hinein. Dies galt selbst dann noch, als konkurrierende Regierungen in den 1990er Jahren Schweden langsam aber sicher offener in das westliche Bündnis einbanden. Einige Eckpfeiler der Aushöhlung der formellen schwedischen Neutralität waren die Mitgliedschaft in der Partnerschaft für den Frieden (1994), die EU-Mitgliedschaft (1995) und vor allem die 2016 vom Parlament verabschiedete Absichtserklärung (Memorandum des Verständnisses), mit der der Weg für die Annahme von NATO-Unterstützung im Krisenfall geebnet und NATO-Truppen die Durchführung von Übungen auf schwedischem Hoheitsgebiet gestattet wurde. Erwähnenswert ist auch die schwedische Beteiligung an früheren NATO-geführten Interventionen in Afghanistan, im Kosovo und im Irak. In der Öffentlichkeit und gegenüber den Wähler:innen wurde dies alles mit einer Rhetorik über „200 Jahre Frieden“ gepaart (was offensichtlich die direkte schwedische Beteiligung an imperialistischen Kriegen im Ausland und/oder den Gewinn daraus ausschließt) und darüber, wie „die Neutralität Schweden gut gedient hat“.

In Schweden haben sich offen bürgerliche Parteien im Parlament für eine NATO-Mitgliedschaft ausgesprochen, während die Sozialdemokratische Partei, die Linkspartei und die Grünen dagegen waren. Bemerkenswert ist, dass die rassistischen Schwedendemokrat:innen, die seit 2010 im Parlament vertreten sind, ursprünglich ebenfalls gegen die NATO (und die EU) waren und eine eher isolationistische Linie vertraten. Dies bedeutete, dass die formale militärische Neutralität über eine solide Mehrheit im Parlament verfügte, auch wenn sie stark ausgehöhlt wurde. Noch auf dem sozialdemokratischen Kongress im November letzten Jahres erklärte Verteidigungsminister Peter Hultqvist: „Es wird keinen Antrag auf NATO-Mitgliedschaft geben, solange wir eine sozialdemokratische Regierung haben. Solange ich Verteidigungsminister bin, werde ich mich definitiv nicht an einem solchen Prozess beteiligen. Das kann ich garantieren.“

Nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine änderte sich dieser Standpunkt natürlich schnell. Mit einer noch nie dagewesenen Pro-NATO-Offensive in den bürgerlichen Medien wurde die Diskussion in Schweden schnell auf die Frage gelenkt, wann und nicht ob das Land der NATO beitreten sollte. Die Sozialdemokrat:innen waren anfangs zurückhaltend und argumentierten nicht, dass eine NATO-Mitgliedschaft an sich schlecht, sondern jetzt nicht der richtige Zeitpunkt sei, um die schwedische Verteidigungsdoktrin zu ändern, und man damit bereits auf einem schmalen Grat wandle. Als Finnland seinen NATO-Beitrittsprozess einleitete, hielten es die schwedischen Sozialdemokrat:innen für angebracht, sich ruhig zu verhalten und den Finn:innen den Vortritt zu lassen. Kurz gesagt, die schwedische Sozialdemokratische Partei war angesichts der bevorstehenden Wahlen im September 2022 darauf bedacht, dass dieses Thema in der Versenkung verschwindet. Sie wollte lieber die letzten Reste der „Neutralität“ loswerden, als die Wahl in der NATO-Frage zu verlieren oder – schlimmer noch – das Thema in einer Wahlperiode mit den verbliebenen Abweichler:innen in der eigenen Partei oder Wähler:innenschaft ausfechten zu müssen. Als der Krieg begann, ließen auch die Schwedendemokrat:innen ihren Widerstand gegen die NATO-Mitgliedschaft schnell fallen und zeigten damit, dass ihre angebliche „NATO-Opposition“ wenig mit Antiimperialismus zu tun hatte. Damit war der Weg für einen Beitrittsantrag frei.

Erstaunlicherweise wurde diese rasche Kehrtwende, die eine jahrzehntelange schwedische Militärpolitik auf den Kopf stellte, vollzogen, ohne dass die Wähler:innen oder gar die organisierte Arbeiter:innenklasse nach ihrer Meinung gefragt wurden. Im September hatte eine klare Mehrheit für Parteien gestimmt, die die NATO-Mitgliedschaft ablehnen. Nun hat sich innerhalb weniger Wochen alles geändert. Und selbst innerhalb der Sozialdemokratischen Partei wurde kein außerordentlicher Kongress einberufen. Die Mitglieder wurden nicht einmal befragt. Die Entscheidung, die in klarem Widerspruch zu dem steht, was nur Monate zuvor auf dem Parteitag beschlossen worden war, wurde auf der obersten Ebene der Partei getroffen, ohne jeden Anschein von interner Demokratie – selbst als die einflussreichen Parteiorganisationen der Frauen, der Jugend, der Student:Innen und der religiösen Sozialdemokrat:innen ihren Widerstand dagegen öffentlich machten.

GAM: Wie sieht es mit der Opposition aus?

AM: In Schweden blieben die Grünen und die Linkspartei nach der Wende der Sozialdemokratischen Partei formell gegen die NATO. In Ermangelung einer klaren antiimperialistischen Linie – die Schweden auch als imperialistisches Land analysiert, ob es nun der NATO angehört oder nicht – gaben die beiden Parteien jedoch schnell dem Druck nach und entschieden sich stattdessen dafür, ihre traditionelle, vermeintliche Opposition zum Militarismus zu revidieren. Als die sozialdemokratische Regierung im März ankündigte, dass die Militärausgaben auf 2 % des schwedischen Bruttoinlandsprodukts angehoben werden sollten, unterstützten die Grünen und die Linkspartei dies sofort und behaupteten, dass diese enormen Zuwendungen an die Kriegsindustrie notwendig seien, um die „Neutralität zu verteidigen“ – ohne zu erwähnen, dass diese Ausgabenerhöhung zufällig auch eine Bedingung für die NATO-Mitgliedschaft darstellt.

Die Vorsitzende der Linkspartei, „Nooshi“ (Mehrmoosh) Dadgostar, hat zu einem Referendum aufgerufen, es aber als eine Möglichkeit bezeichnet, der NATO-Mitgliedschaft eine demokratische Form zu verleihen, und nicht als Weg, sich ihr ernsthaft zu widersetzen. Und das ist natürlich alles, was ein unter diesen Umständen abgehaltenes Referendum wirklich wäre – ein Stempel der Zustimmung. Neben der Unterstützung der Wiederaufrüstung (die sofort den Aktienkurs und die Gewinne des schwedischen Rüstungsunternehmens SAAB in die Höhe trieb) hat Dadgostar erklärt, dass die im Parteiprogramm verankerte Forderung der Linkspartei, „die NATO aufzulösen“, etwas sei, „das in eine andere Zeit gehört“, und ist sogar von der Ablehnung der bereits bestehenden Kooperationsabkommen mit der NATO abgerückt.

Da ein großer Teil der radikalen Linken in Schweden in den letzten zehn Jahren in der Linkspartei aufgegangen ist, bleibt nur ein begrenzter Raum für eine tatsächliche Opposition gegen die NATO, die sich bisher hauptsächlich auf Proteste und Demonstrationen auf der Straße beschränkte. Am 1. Mai plädierte das Arbetarmakt-Kontingent bei den Demonstrationen in Stockholm für den „revolutionären Kampf gegen den Imperialismus – Nein zur NATO“, ein Transparent, das viel Aufmerksamkeit erregte.

Auch in Finnland hat das Linksbündnis kürzlich seine frühere Position geändert, die Neutralität zur Bedingung für die Unterstützung der sozialdemokratischen Regierung zu machen, und die Partei ist nun gespalten in der Frage, ob sie weiterhin gegen die NATO sein soll. Die Parteivorsitzende Li Sigrid Andersson hat erklärt, dass das imperialistische EU-Projekt eine brauchbare Alternative zur NATO sein könnte.

Mit den anhaltenden Protesten in Schweden hat sich die Aufmerksamkeit nun auf die Türkei verlagert, die derzeit die schwedische und finnische Mitgliedschaft im Militärbündnis blockiert, solange die sozialdemokratische Regierung nicht den Forderungen Erdoğans nachkommt, jegliche Unterstützung für die kurdische YPG einzustellen, die Waffenexporte in die Türkei wieder in vollem Umfang aufzunehmen und – in bizarrer Weise – in Schweden lebende türkische Oppositionelle an die Türkei auszuliefern. Dies ist ein erster Vorgeschmack auf das Leben im autoritären, imperialistischen NATO-Bündnis, und es ist wichtig, Druck auf die schwedische Regierung auszuüben, damit sie alle derartigen Forderungen zurückweist, wie es kurdische und schwedische Demonstrant:innen am vergangenen Wochenende bei einem Protest vor dem Hauptquartier der Sozialdemokratischen Partei in Stockholm gefordert haben. Weitere wichtige Themen sind die Ablehnung von NATO-Stützpunkten in Schweden sowie der Druck auf die Regierung, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, den Schweden initiiert hat, aus dem es dann aber unter dem Druck der USA unglaublicher Weise ausgestiegen ist.

Für Arbetarmakt gibt es keine Notwendigkeit, zwischen der Aufrüstung für die NATO oder für den schwedischen „neutralen“ Imperialismus zu wählen. Wir stehen mit Stolz in der sozialistischen Tradition von Liebknechts „keinen Mensch, keinen Pfennig für dieses System“. Auch wenn der NATO-Antrag eingereicht wurde, ist die Angelegenheit noch lange nicht erledigt. Als Internationalist:innen werden wir unseren Teil dazu beitragen, die Frage des Widerstandes gegen alle imperialistischen Blöcke zu stellen – bis zur Wahlperiode und darüber hinaus. Wenn Leser:innen der Neuen Internationale mehr über diesen Kampf wissen wollen, können sie sich gerne an uns wenden oder unsere Website besuchen.




Schweden: Regierung doch noch gestürzt

Arbetarmakt, schwedische Sektion der Liga für die 5. Internationale, Infomail 1153, 21. Juni 2021

Schwedens sozialdemokratisch-grüne Minderheitsregierung ist endgültig gestürzt, nachdem Ministerpräsident Stefan Löfven eine Vertrauensabstimmung im Parlament verloren hat. Nach der Wahl von 2018, die keine klare Mehrheit eines „Lagers“ mit sich brachte, trat die Koalition ihr Amt nur an, nachdem sie die neoliberalen Forderungen der Zentrumspartei und der Liberalen im „Januarabkommen“ akzeptiert hatte. Selbst mit deren Unterstützung war die Regierung immer noch von der Linkspartei, der Nachfolgerin der Kommunistischen Partei, abhängig, die sich bereit erklärte, nicht gegen sie zu opponieren, wenn sie zwei Schlüsselelemente des Abkommens nicht umsetzt: die Verwässerung des Rechte der Beschäftigten und die Preisgabe der Mieten für den freien Markt.

Die Angriffe auf die Arbeitsplatzsicherheit kamen, wie versprochen, aber die Vorsitzende der Linkspartei, Nooshi Dadgostar, sagte, dass sie nicht für ein Misstrauensvotum stimmen würde, falls die Gewerkschaften und die UnternehmerInnen von sich aus zu einer Einigung über das Arbeitsrecht kommen würden. Die SozialdemokratInnen übten daraufhin schnell Druck auf ihre Verbündeten in der Gewerkschaftsbürokratie aus, um genau solch eine Vereinbarung auszuarbeiten, und die Regierung blieb im Amt.

Mieten

Das war im Oktober des vergangenen Jahres. Das zweite Thema, die Freigabe der Mietpreise im öffentlichen Wohnungsbau, war nicht so leicht zu umgehen. Der Vorschlag lautete, dass das „schwedische Modell“, bei dem die Mieten durch Verhandlungen zwischen der MieterInnengewerkschaft Hyresgästföreningen und den VermieterInnen festgelegt werden, durch freie Hand für die VermieterInnenseite ersetzt werden sollte, damit diese die Mieten nach „Marktpreisen“ beliebig festlegen können. Um die Pille zu versüßen, würde dies zunächst nur für Neubauten gelten.

Wie wir bereits berichtet haben, würde eine Freigabe der Mietpreise in Schweden laut dem Bericht einer Beratungsfirma etwa 50 Prozent höhere Mieten in Stockholm und 30–50 Prozent landesweit bedeuten.

Letzte Woche gab Nooshi Dadgostar unter dem Druck ihrer eigenen Parteimitglieder und der massiven Kampagne im ganzen Land gegen diesen extremen Vorschlag zur Liberalisierung des Wohnungsmarktes, der laut Umfragen nicht einmal unter den rechten WählerInnen eine Mehrheit hat, der Regierung eine Frist von 48 Stunden, um entweder den Vorschlag zurückzuziehen oder neue Verhandlungen mit der MieterInnengewerkschaft einzuleiten.

Seine Chance sehend, kündigte Löfven an, dass der MieterInnenbund zwar verhandeln dürfe. Sollte es aber zu keiner Einigung mit den ImmobilieneigentümerInnen kommen, würde wie im Arbeitsrechtskonflikt der ursprüngliche Vorschlag der Freigabe der Mietpreise trotzdem verabschiedet werden.

Dieses Mal sind Dadgostar und die Linkspartei nicht umgefallen. Sie kündigten an, dass sie diese „Lösung“ nicht akzeptieren können, und dann initiierten die rassistischen SchwedendemokratInnen ein Misstrauensvotum. Die konservativen Parteien der Moderaten und der ChristdemokratInnen stimmten aus eigenen Motiven für den Antrag, und gestern, am 21. Juni um 11 Uhr, wurde Premierminister Löfven mit den Stimmen der Linkspartei, der SchwedendemokratInnen, der ChristdemokratInnen und der Moderaten zu Fall gebracht. Er hat nun sieben Tage Zeit, entweder zurückzutreten oder Neuwahlen auszurufen.

Wie Arbetarmakt am Sonntag vor der Abstimmung schrieb, müssen alle AktivistInnen der Wohnungs- und ArbeiterInnenbewegung, die gegen die drohende Freigabe der Mietpreise gekämpft haben, den Sturz der Regierung und des Januarabkommens begrüßen. Von Anfang an war es die Pflicht aller SozialistInnen, alles in unserer Macht stehende zu tun, um das Januarabkommen zu Fall zu bringen, gegen jeden Teil davon zu kämpfen, den Druck zu erhöhen und schließlich die Regierung zu stürzen.

Was nun?

Die öffentliche Aufmerksamkeit wendet sich nun den politischen Ränkespielen zu, da eine neue Regierung oder möglicherweise eine vorgezogene Neuwahl diskutiert wird. Wir können die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Linkspartei erneut ihre vermeintlich „roten Linien“ verrät und Verhandlungen unter dem Druck entweder eines Gesetzes oder des Schreckgespenstes einer reaktionären schwedendemokratisch-moderat-christdemokratischen Regierung akzeptiert. Es war zweifellos der Druck der Bewegung gegen die Preisgabe der Mieten auf der Straße, der die Führung der Linkspartei dazu gezwungen hat, das Misstrauensvotum, anders als beim letzten Mal über das Beschäftigungsgesetz, zu unterstützen.

Egal, was als Nächstes kommt, die Aufgabe der SozialistInnen besteht jetzt darin, die Kampagne gegen die Vermarktung der Mieten auf der Straße zu verstärken. Die politische Krise wird nicht durch weitere Intrigen, Verhandlungen hinter verschlossenen Türen oder eine weitere Pressekonferenz gelöst werden. AktivistInnen in der MieterInnengewerkschaft, der Kampagne gegen die Kommerzialisierung der Mieten, GewerkschafterInnen und organisierte SozialistInnen müssen kristallklar machen, dass, egal welche Regierung als Nächstes kommt, die Kommerzialisierung der Mieten für uns eine rote Linie darstellt. Wie die Kampagne, die von Arbetarmakt unterstützt wird, am Sonntagabend schrieb: „Wir wollen keine Scheinverhandlungen oder verräterische Deals auf dem Rücken der MieterInnen sehen. Wir wissen, dass sieben von zehn SchwedInnen, aus allen politischen Richtungen, gegen die Freigabe der Mietpreise sind. Hört auf das Volk!“

Der Protest vor dem Parlament, zu dem die Kampagne aufgerufen hatte, war ein guter Auftakt für einen heißen Sommer im Kampf gegen jegliche Angriffe auf den Wohnungsbau. Während die politische Situation in Schweden derzeit ungewiss ist, können wir uns einer Sache sicher sein: Die Intensivierung des Kampfes ist unsere einzige Garantie, um die Angriffe der kapitalistischen Rechten zurückzuschlagen, egal welche Regierung an der Macht ist.




Schweden: Landesweite Demonstrationen gegen die von Sozialdemokratie und Grünen geplante Liberalisierung am Wohnungsmarkt

Arbetarmakt, schwedische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1146, 20. April 2021

Am 1. Juli will die sozialdemokratisch-grüne Regierung Schwedens eine Reform beschließen, die es ermöglicht, die Mieten von neu gebauten Sozialwohnungen dem Markt zu überlassen. Nachdem die Regierung zunächst versucht hatte, den Vorschlag in einem Ausschuss zu begraben, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass das Thema irgendwie verschwinden würde, hat sie sich nun von ihren rechteren Juniorpartnerinnen zum Handeln drängen lassen. (Sozialdemokratie und Grüne bilden eine Minderheitsregierung, die auf Unterstützung zweier Parteien aus dem Bürgerblock angewiesen ist; d. Red. Mehr über die Regierung und den Koalitionsvertrag, auch bekannt als „Januar-Vereinbarung“, unter Politische Krise in Schweden: Streikmaßnahmen weisen den Weg vorwärts)

Die Führung der 538.000 Mitglieder starken MieterInnenvereinigung, die bisher die Mieten kollektiv aushandelt, sah sich ihrerseits durch den Druck ihrer Mitglieder gezwungen, eine Kampagne gegen den Vorschlag zu starten, zu Demonstrationen aufzurufen und eine Petition dagegen zu starten. Vor allem in der Region Göteborg sind radikalere Kräfte zu Recht weiter gegangen und haben Proteste nicht nur gegen diesen Vorschlag im Besonderen, sondern gegen die gesamte, faule Januar-Vereinbarung an sich organisiert.

Sonntag, der 18. April, wurde als nationaler Protesttag gegen die Kommerzialisierung der Mieten ausgerufen. Landesweit wurden über 150 Proteste organisiert. In vielen Städten, wie z. B. Stockholm und Göteborg, gab es im Laufe des Tages auf fast jedem Platz in den Vororten oder an jeder ÖPNV-Haltestelle eine (kleine und coronakonforme) Protestaktion.

Im proletarisch geprägten Skärholmen, einem Vorort Stockholms, organisierten wir als Arbetarmakt einen der Proteste. Unsere GenossInnen hielten Reden, verteilten Flugblätter und sprachen mit den AnwohnerInnen über den geplanten Angriff auf die Rechte aller MieterInnen. Auch in Göteborg nahmen wir zusammen mit den dortigen MieterInnengemeinschaften und -aktivistInnen an den lokalen Protesten teil, wo wir ebenfalls unser Flugblatt verteilen konnten.

Darin heißt es unter anderem:

„Die Liberalisierung der Mieten für neu gebaute Sozialwohnungen wäre ein großer Schritt in Richtung einer vollständigen Kommerzialisierung aller Mieten. Laut dem Bericht einer BeraterInnenfirma würde eine solche Kommerzialisierung der Mieten in Schweden etwa 50 % höhere Mieten in Stockholm und 30–50 % landesweit bedeuten. Alle Schritte in Richtung Kommerzialisierung von Mieten müssen gestoppt werden. Wohnen ist ein Recht. Es sollte keine Ware sein, mit der VermieterInnen Gewinne machen können.

  • Stopp aller Schritte zur Kommerzialisierung von Mieten!
  • Stopp aller Umwandlungen von staatlich finanzierten Wohnungen in Privatwohnungen – stattdessen Rückführung bereits privatisierter Wohnungen in Sozialwohnungen!
  • Stopp aller gierigen, privaten VermieterInnen – Rückführung aller Wohnungen in öffentliches Eigentum!
  • Für die umfassende Renovierung aller Sozialwohnungen, wo dies nötig ist!
  • Für eine landesweite Inspektion aller Sozialwohnungen, durchgeführt von VertreterInnen der ArbeiterInnenbewegung und der MieterInnen!
  • Niedrigere Mieten!
  • Für ein umfangreiches Programm zum Bau neuer Sozialwohnungen mit gutem Standard und vernünftigen Mieten. Baut die Wohnungskrise weg!
  • Die ArbeiterInnenbewegung muss für diese Forderungen kämpfen, durch Massenkämpfe, und um die Regierung zu zwingen, von ihren Angriffen abzulassen.“

Unser Flugblatt und unsere Reden wurden in Stockholm und Göteborg gut angenommen. Die Bewegung gegen die Kommerzialisierung von Mieten wächst gerade in Schweden und stellt ein weiteres Problem für die sozialdemokratisch geführte Regierung dar, die beständig von ihren liberalen Verbündeten dazu gedrängt wird, die rechtsgerichtete Politik der Koalitionsvereinbarung umzusetzen. Die Mietenkampagne wird auf jeden Fall fortgesetzt, neue Proteste und Online-Treffen sind bereits geplant.