Frankreich: LehrerInnenstreik gegen die desorganisierende Schulpolitik der Regierung

Marc Lassalle, Infomail 1176, 18. Januar 2022

Weniger als hundert Tage vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 10. April haben die französischen LehrerInnen massiv, entschlossen und sehr kämpferisch gestreikt. Am 13. Januar fanden mit Unterstützung von zehn Gewerkschaften mehr als 136 Demonstrationen statt, bei denen etwa 80 000 Lehrkräfte auf die Straße gingen und die meisten Schulen geschlossen blieben.

Auch die Zahlen der Streikbeteiligung sind historisch: rund 75 Prozent des Lehrpersonals an den Grundschulen und 62 Prozent an den weiterführenden Schulen – so viel wie seit 20 Jahren nicht mehr. Die LehrerInnen haben gestreikt und sind auf die Straße gegangen, um ihre tiefe Wut über die absurden Maßnahmen der Regierung zum Ausdruck zu bringen. Angesichts der in den letzten Tagen sprunghaft angestiegenen Zahlen der Epidemie – etwa 300.000 neue Fälle pro Tag – hat die Regierung beschlossen, die Schulen so weit wie möglich offen zu halten. Ironischer Weise verfolgen die LehrerInnen, die Gewerkschaften und die Elternorganisationen das gleiche Ziel wie die Regierung: Sie wollen die Schulen ebenfalls offen halten, aber nicht auf die gleiche Weise und nicht zu den gleichen Bedingungen!

Bürokratische, chaotisch, gefährlich

Innerhalb von weniger als einer Woche änderte die  Regierung ihre angekündigten Gesundheitsvorschriften dreimal (seit dem Start von Covid insgesamt 19 Mal), wobei die erste Änderung genau am Vorabend der Wiedereröffnung der Schulen nach den Weihnachtsferien veröffentlicht wurde. Zunächst wurden die Eltern verpflichtet, ihre Kinder dreimal zu testen, wenn sie mit einer infizierten Person in Kontakt gekommen waren. Der Unterricht wurde ohne Vorwarnung geschlossen, die Testergebnisse mussten überprüft, die Eltern kontaktiert werden. Viele LehrerInnen waren selbst krank. Eltern und Kinder standen bei kaltem Wetter stundenlang Schlange, um die Tests in Apotheken durchführen zu lassen: Das Gefühl eines absurd kafkaesken Systems, das von einer unfähigen Bürokratie (des)organisiert wurde, verbreitete sich noch schneller als das Virus und löste den Streik auf der Ebene der Beschäftigten aus.

Ein Lehrer erzählt: „In meiner Klasse wurden in einer Woche elf von 25 Kindern positiv getestet. Trotzdem bleibt die Klasse offen. Ich muss mit den Abwesenheiten der SchülerInnen, ihrer schrittweisen Rückkehr, mit MEINEN Masken, MEINEM Laptop, MEINEM Internetanschluss und meinem erschreckend niedrigen Lohn jonglieren.“

Ein anderer berichtet: „Nach zwei Jahren der Epidemie haben wir gerade erst durchsichtige Masken erhalten, die das Lippenlesen für die ersten Klassen ermöglichen, was wir vor mehr als einem Jahr beantragt haben. Wir haben hier keine/n SchulpsychologIn oder Schularzt/ärztin mehr, wir haben keine chirurgischen Masken. In meiner Schule können wir Masken nur dank der Spenden der Eltern kaufen!“

Diese Situation ist natürlich nicht auf die Schulen beschränkt, auch wenn die Spannungen dort am größten sind. Seit Beginn der Epidemie hat die Regierung alle Entscheidungen im Rahmen von „Verteidigungsräten“ mit einer Handvoll hochrangiger MinisterInnen von oben nach unten getroffen. Einmal hat sich Präsident Macron über die Ratschläge der medizinischen ExpertInnen einfach hinweggesetzt und eigenmächtig entschieden, umgeben von einem kleinen Kreis von Ja-SagerInnen, die ihn als „ersten Epidemiologen Frankreichs“ rühmten.

Die Situation ist sicherlich schwierig, denn es stellt sich die Frage, ob eine Klasse beim ersten Covid-Fall geschlossen werden sollte und welche Art von Tests für die Wiederaufnahme einer/s SchülerIn erforderlich sind. Die Gewerkschaften, die Lehrerinnen und die Eltern vertreten nicht unbedingt dieselben Positionen. Sie teilen jedoch zwei grundlegende Forderungen, und das gab dem Streik seine Stärke.

Forderungen

Erstens: Die Regierung darf nicht einfach von oben herab Gesundheitsvorschriften erlassen, ohne die praktischen Bedingungen vor Ort und die Meinungen der Betroffenen zu berücksichtigen. Zweitens darf sich die Debatte nicht auf die Frage „Testen oder Schließen der Klasse“ beschränken. Die Regierung kann keine Regeln aufstellen, ohne den Beschäftigten im Bildungswesen und den Eltern die Mittel an die Hand zu geben, um die Schulen unter guten und sicheren Bedingungen offen zu halten. Die Streikenden fordern FFP2-Hochfiltermasken, die Messung des CO2-Gehalts in den Schulen und Belüftungssysteme zur Luftauffrischung. Außerdem wollen sie die Einstellung von Vertretungen als Ersatz für die krankheitsbedingt ausfallenden LehrerInnen sowie von anderen Hilfskräften in den Schulen erreichen.

Die Regierung war sich der großen politischen Bedeutung dieses Streiks und der enormen öffentlichen Unterstützung hierfür bewusst und versprach noch am selben Tag 5 Millionen FFP2-Masken und die Einstellung von 3 300 zusätzlichen Lehrkräften. Wie die außergewöhnlichen Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft in den letzten zwei Jahren gezeigt haben, können plötzlich Milliarden von Euro gefunden werden, wenn es nötig ist, und es gibt keinen Grund, warum die LehrerInnen, Kinder und Jugendlichen nicht unter grundlegend gesunden Bedingungen lernen können sollten.

Angriffe auf öffentliches Schulsystem

Die Wut der Lehrerinnen und Lehrer wurde jedoch nicht nur dadurch geschürt. Sie streikten auch gegen den Minister für nationale Bildung, Jean-Michel Blanquer. Er ist für verschiedene Angriffe auf das öffentliche Schulsystem verantwortlich, darunter eine Gegenreform der Sekundarstufe, die den Sektor tiefgreifend desorganisiert und geschwächt hat.

Blanquer hat die LehrerInnen verächtlich behandelt und erklärte in den letzten Tagen, dass „der Streik das Schulsystem noch mehr stören wird“ oder, noch zynischer, dass „man nicht gegen ein Virus streiken kann“. Darüber hinaus hat er eine rechtsgerichtete Kampagne gegen Universitäten und AntirassistInnen im Namen der „Laicité“ (des Laizismus) gestartet, die immer mehr zum Deckmantel für Islamophobie wird, indem er den „Linksislamismus“ an den Universitäten anprangert und die „faschistischen“ Fehler der UNEF, der StudentInnenvereinigung, ankreidet, weil sie Möglichkeiten und Räume für getrennte Versammlungen nur für die rassisch Unterdrückten organisiert hatte, und erklärt, dass „die Kleidung des Hidschab in unserer Gesellschaft nicht willkommen ist“.

Auch jenseits von Blanquer und dem Bildungssektor herrschen in der französischen Gesellschaft die gleichen Befehle von oben nach unten und die gleiche Geringschätzung der ArbeiterInnen Seit zwei Jahren stehen die Krankenhäuser im Kampf gegen  Covid an vorderster Front, ohne dass die Regierung viel getan hätte. Die Mittel für die Krankenhäuser und die Löhne des Pflegepersonals wurden nicht wesentlich aufgestockt, was dazu geführt hat, dass 20 Prozent der Krankenhausbetten wegen Personalmangels geschlossen sind. In der Zwischenzeit hat die Regierung sogar ihre Politik des Abbaus des öffentlichen Gesundheitssektors und der Schließung von Krankenhäusern fortgesetzt. Das gleiche Fehlen elementarer Schutzmaßnahmen gilt auch für andere Sektoren wie Verkehr, Reinigung, Geschäfte, Restaurants, öffentlich zugängliche Büros usw.

Die ArbeiterInnen haben also viele gute Gründe zu streiken, um ihre Kontrolle über die Hygienevorschriften auf allen Ebenen durchzusetzen, vom Arbeitsplatz bis zu den Schulen und Stadtvierteln. Der LehrerInnenstreik verkörpert die erste große progressive Aktion in Frankreich zum Thema Covid. Er kann und sollte über die Schulen hinaus ausgedehnt und verallgemeinert werden. Er könnte zu einer wichtigen Kraft bei den kommenden Präsidentschaftswahlen werden und die widerliche rassistische und chauvinistische Propaganda hinwegfegen. Dies könnte zu einem Sammelpunkt für alle ArbeiterInnen werden, die von den Lügen der PolitikerInnen angewidert sind, aber durch die Passivität der Gewerkschaften und die Zersplitterung und Kapitulation der offiziellen linken Parteien desorganisiert wurden.




Schulen coronafrei, statt für Corona schulfrei!

Richard Vries und Christian Gebhardt, Infomail 1128, 30. November 2020

Im ersten Lockdown noch sehr zurückhaltend agierend, blickt die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) nun ziemlich besorgniserregenden Zahlen und Aussichten entgegen: 3.200 Schulen in der BRD befinden sich Mitte November nicht im Regelbetrieb, 4,2 % der LehrerInnen und 3,4 % der SchülerInnen (26.123) waren derweil hessenweit in Quarantäne.

Die Fallzahlen-Dunkelziffer wiederum ist gerade bei Letzteren besonders hoch, da jüngere Menschen eher asymptomatische oder symptomfreie Krankheitsverläufe aufweisen, wohingegen die Weiterverbreitung entsprechend aktueller Studien zumindest unter den älteren Jahrgängen gleichbleibend hoch liegt.

Mit 52 an Covid-19 Verstorbenen innerhalb von 24 Stunden verbucht sich daneben auch noch Mittwoch, der 25. November 20, als bisheriger Negativrekordtag in Hessen sowie bundesweit, mit erstmals über 400 Verstorbenen.

Trotz alledem werden in jenem November 2020 in Frankfurt/Main und Offenbach (https://www.op-online.de/offenbach/corona-offenbach-hanau-darmstadt-maskenpflicht-main-kinzig-covid-19-hohe-inzidenz-90091554.html), obgleich Inzidenzwerte von weit über 200 bzw. 300 Infizierten pro 100.000 EinwohnerInnen registriert wurden, lediglich die positiv getesteten SchülerInnen in eine Quarantäne geschickt, nicht aber deren Kontaktpersonen. Hier gilt das Motto: Jedes Gesundheitsamt und jedeR SchuleiterIn entscheidet für sich selbst, was „vertretbar“ und vor allem „machbar“ ist, um das höhere Ziel der Weiterführung des Schulbetriebes zu gewährleisten. Da werden dann auch gerne mal Probleme schlicht und ergreifend „wegdefiniert“, wenn nun erst ab einer Inzidenz von 200 pro 100.000 EinwohnerInnen ein Hotspot für Schulen festgelegt ist. Der Sommer wurde vonseiten der Politik, u. a. des Kultusministeriums, verschlafen und die Schulen auf die absehbaren „harten Wintermonate“ nicht vorbereitet.

Warum wird an Schulöffnung festgehalten?

Es würde nur ca. 1 Milliarde Euro kosten, um alle Schulen in ganz Deutschland für diese Jahreszeit mit Luftfilteranlagen auszustatten. Kein Vergleich etwa zu den weiteren still und heimlich bewilligten 3 Milliarden Euro für die Autoindustrie im Monat November – ohne Auflagen oder gar benötigte, detaillierte Antragstellungen, versteht sich. Trotzdem soll dort etlichen Tausend MitarbeiterInnen gekündigt werden, wie das Beispiel bei der Lufthansa eindrucksvoll zeigt. Die Staatshilfen rollen weiterhin fast ungehemmt. Unterdessen gibt es bis dato nicht einmal kostenlose Masken für die Beteiligten an den Schulen.

Unabhängig davon untermalt die Bundesregierung immer wieder ihre Forderung nach dem Ausbleiben von Schulschließungen wie zum Anfang des Jahres. In Anbetracht der damaligen Erfahrungen hinsichtlich eines bis auf die Spitze getriebenen Auseinanderdriftens der Bildungsschere sowie der sozialen und digitalen Umstände ist das sicherlich auch nachvollziehbar. Wobei unter anderem von Markus Söder (CSU) nebenbei auch völlig offen der tatsächliche Grund für diese konsequente Haltung genannt wird: Die Betreuung der Kinder, damit ihre Eltern trotz der Pandemie weiterhin ihrer Arbeit nachgehen können.

Der Leiter des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, betont indes gebetsmühlenartig, dass kein einziges Bundesland die Empfehlungen seiner Bundesoberbehörde für Schulen bisher wirklich umsetze.

Hiernach würde schon bei 35 Infektionen pro 100.000 EinwohnerInnen eine erweiterte Maskenpflicht im Unterricht gelten und nicht erst bei „deutlich mehr“ als 50 Infektionen pro 100.000 EinwohnerInnen sowie ab der 7. Klasse, wie nun im gemeinsamen Beschlusspapier von Bund und Ländern am Mittwoch, den 25.11.20, verabschiedet. Tiefer greifende, unbestimmte Maßnahmen solle es demzufolge erst ab Inzidenzen von über 200 geben. Nach dem neu veröffentlichten „Corona-Fahrplan“ für Bayern und den dortigen „neuen Hotspots ab 200“ soll an weiterführende Maßnahmen in Schulen sogar erst ab einer Inzidenz von 300 gedacht werden.

Um den vorgeschlagenen Mindestabstand in Schulen aber überhaupt einhalten zu können, müssten, gemäß dem Ratschlag des RKI, allerdings bereits ab 50 Infektionen pro 100.000 EinwohnerInnen grundsätzlich eine Aufteilung von Schulklassen oder Wechselunterricht stattfinden. Letzterer ist aufgrund von Platz- und Personalmangel aber meist überhaupt gar nicht umsetzbar oder wird, obwohl mit eigenem und durchdachtem Konzept der jeweiligen Lehrkräfte vor Ort versehen, fortlaufend vom Kultusministerium und nun eben auch nochmal auf Bundesebene untersagt.

Die Rolle der GEW

Die GEW hat sich nach ihrem eher zaghaften Auftreten im ersten Lockdown immer stärker und mit klareren Forderungen hervorgetan. Sie verlangt die Umsetzung der RKI-Vorgabe nach Wechselunterricht, die Entzerrung der Arbeitslasten auf die Lehrkräfte sowie die Notwendigkeit des Ausbaus der Digitalisierung, um überhaupt einen effektiven und alle SchülerInnen erreichenden Wechselunterricht zu ermöglichen.

Aber auch andere Vorschläge der GEW-Vorsitzenden Marlis Tepe wie, die Räumlichkeiten von leeren Jugendherbergen zu nutzen, um dort zusätzlich Unterricht abzuhalten, werden vernachlässigt ebenso wie Unterrichtsstaffelungen oder Hybridunterricht, weil mit einer Welle der Hoffnung durch die zeitnahen Impfstoffankündigungen sowie bundesweit beschlossenen, verfrühten Winterferien ab Samstag, den 19. Dezember, etwaige Fortschritte in anderen Bereichen vereitelt werden.

Zusammenfassend für viele Bundesländer, darunter Hessen und Baden-Württemberg, haben sich keine substantiellen Änderungen kraft der „neuen“ Beschlüsse vom 25. November  ergeben. Außer einigen kosmetischen Beschlüssen (wie das Vorziehen der Weihnachtsferien) gab es keine neuen Vorgaben, die nicht schon in einigen Bundesländern seit Beginn des Schuljahres eingesetzt werden und sich dort als nicht ausreichend erwiesen haben. Das einzig Neue ist, dass an Schulen eine neue Teststrategie des Bundes Abhilfe schaffen soll. Sollte es zu einer positiven Infektion in einer Klasse kommen, sollen nun bundesweit alle MitschülerInnen dieser Gruppe für 5 Tage in Isolation gehen. Erst nach einem negativen Schnelltest soll der Besuch des Präsenzunterrichts wieder aufgenommen werden.

In Hessen wurde vonseiten des dortigen Landesverbandes der GEW die Initiative für eine Petition mit dem Aufruf „Hessen braucht ein Konzept für den Unterricht unter Pandemiebedingungen – und zwar jetzt!“ gestartet. Diese trifft an sich auch durchaus den Kern der Sache, wenn sie feststellt:

„Ausgerechnet im Bereich der Schulen mit 900.000 Schülerinnen, Schülern und Beschäftigten bleibt die Landesregierung untätig. Schwere Versäumnisse der vergangenen Jahre schlagen in dieser Situation zusätzlich zu Buche: Marode Schulgebäude, Fachkräftemangel, unzureichende Digitalausstattung usw. (…) Um flächendeckende Schulschließungen zu verhindern, müssen die Schulen zum Wechselmodell zwischen Präsenzunterricht und Distanzunterricht übergehen. Hierfür haben die Schulen bereits im Frühjahr praktikable Konzepte entwickelt, die weiter ausgebaut werden.“

Um auf eine solche Situation an den Schulen sowie entsprechende Forderungen gezielt aufmerksam zu machen, ist das Mittel der Petition hier zunächst sicherlich angebracht, aber eben auch bei weitem nicht genug. Die GEW sollte sich nicht hinter Petitionen und dem bloßen Propagieren von Forderungen verstecken. Sie sollte dazu übergehen, die Kraft ihrer Mitgliedschaft in die Waagschale zu werfen und physische Aktionen in Form von Kundgebungen, Personalversammlungen und Streiks zu organisieren. Ganz nach dem Motto: „Coronafreie Schulen statt für Corona schulfrei!“

Ansatzpunkte und Vorbilder

Denn Ansatzpunkte für gemeinsame Aktionen mit unseren SchülerInnen gibt es allemal. Ob in Kassel unter dem Motto „Unverantwortlich!“, in Berlin unter dem Slogan: „Schule sicher oder Schule zu!“ oder mit dem geplanten Streik an mehreren Schulen in Frankfurt/Main zeigen die SchülerInnen den LehrerInnen der GEW, welche Aktionsformen derzeit notwendig sind, um Druck aufzubauen. Hier sollte die GEW die Zusammenarbeit suchen und gemeinsame Aktionen mit den SchülerInnen planen.

Als Vorlage dafür dienen können auch Beispiele aus Frankreich. So berichtet die Junge Welt am 6. November: „Blockierte Schuleingänge, streikende Lehrer, Schüler die Flugblätter verteilen und Banner aufhängen. (…) Initiiert hat das ein breites Bündnis von Gewerkschaften, darunter die CGT, Force ouvrière sowie SNES-FSU, die größte Organisation im Erziehungsbereich. Letztere hat zum Streik bis zum 13. November aufgerufen, die CGT sogar bis zum Monatsende.“

Die Forderungen sind währenddessen nahezu deckungsgleich mit denen hierzulande.

Zum nationalen Aktionstag des Gesundheitsstreiks am 10. November beteiligten sich im Nachbarland indes 20 % der Lehrkräfte, im Großraum Paris sogar fast die Hälfte dieser an weiteren Protesten. Grund dafür mag wohl auch sein, dass ein noch breiteres Bündnis aus ganzen 6 Gewerkschaften dazu aufgerufen hatte. Alles übrigens unter Corona-Auflagen.

„Strategiewechsel statt Weiterführung des sozialpartnerschaftlichen Kurses für den ,Standort Deutschland‘!“ fordert zwischenzeitlich die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) in ihrer Abschlusserklärung vom 26.01.20 in Frankfurt/Main. Anders als mit einer solch klaren Richtungsänderung der Gewerkschaftsapparate insgesamt, angestoßen durch eine klassenkämpferische Basis, die nicht selbst die Kosten der Krise zahlen will, wird sich auch und gerade im Bereich von Bildung und Erziehung mittel- und langfristig nichts ändern. Dieser Tatsache muss jetzt die GEW entgegenblicken, um ihren Forderungen wirklich ernst gemeinten Nachhall zu verleihen.

Wir als Gruppe ArbeiterInnenmacht sprechen uns ebendeswegen für kämpferische Mobilisierungen zu Aktionen unter Einhaltung der Corona-Auflagen ein, sofern keine ausreichenden Hygienekonzepte an Schulen vorzufinden sind. Kontrollkomitees, zusammengesetzt aus LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern, sollten dann während eines Streiks selbst entscheiden, was passieren muss, damit die Einrichtung schnellstmöglich und coronasicher wieder geöffnet werden kann. Nur so kann schließlich verhindert werden, dass es nicht nur bei gutgemeinten Phrasen bleibt.

Die GEW hat hierfür im Vergleich zum Jahresanfang Schritte in die richtige Richtung gemacht. Zu beobachten wird bleiben, ob sie diese auch zielgerichtet fortführt und ihre Mitgliedschaft zusammen mit SchülerInnen, Eltern und der breiteren ArbeiterInnenbewegung mobilisiert. Um dies zu erreichen, dürfen wir uns zugleich nicht auf die Ankündigungen der GEW-Spitze verlassen. Klassenkämpferische Gewerkschaftsmitglieder müssen sich selbst an der Basis zusammenschließen und gemeinsam mit SchülerInnen und Eltern von unten Druck machen und gemeinsame Aktionen und Streiks einfordern, vorbereiten und organisieren, um sichere Schulen zu erkämpfen.

Schließlich eines führt uns diese Corona-Pandemie nunmehr deutlich vor Augen: Die Auswirkungen der Krise sollen wir bezahlen! Daher muss sich ein Kampf für sichere Schulen auch als Teil einer bundesweiten, ja internationalen Antikrisenbewegung begreifen.




Britannien: Gewerkschaften und Labour Councils müssen Kampf gegen unsichere Wiedereröffnung von Schulen verstärken

Ein Gewerkschafter aus London, Infomail 1104, 25. Mai 2020

Die Tory-Regierung treibt ihre Pläne zur Wiedereröffnung der Schulen für ein breiteres Spektrum von SchülerInnen ab dem 1. Juni trotz weit verbreiteten Widerstands voran. Eltern und LehrerInnen unterstützen die Wohltätigkeitsorganisation Parentkind, die LehrerInnengewerkschaft National Education Union (NEU), die gewerkschaftliche ÄrztInnenvereinigung British Medical Association sowie eine wachsende Anzahl von Labour Councils (örtliche, bezirkliche oder regionale Gewerkschaftszusammenschlüsse), die fordern, dass Schulen geschlossen bleiben, bis sie sicher sind.

Der Grund für die Empörung liegt in der offensichtlichen und unbestreitbaren Tatsache, dass diese Maßnahme zusammen mit der vorzeitigen Lockerung des Lockdowns der Wirtschaft, die derzeit Millionen von ArbeiterInnen aufgezwungen wird, zu einem neuen Anstieg der Covid-Infektionen und Todesfälle führen wird. Die erste Welle hat ihren Höhepunkt gerade erst überschritten, aber wir blicken jetzt auf das Ausmaß einer zweiten Welle, die sie bei weitem übertreffen könnte.

Trotz der verheerenden Auswirkungen der Entscheidung der Regierung auf die öffentliche Gesundheit ist sie entschlossen, sie durchzusetzen, da sie integraler Bestandteil ihres Plans zur Wiederankurbelung der kapitalistischen Wirtschaft ist und damit Millionen von ArbeiterInnen und ihre Familien gefährdet. Das macht diesen Kampf zu einem klassenpolitischen Thema.

In Großbritannien gibt es nach wie vor täglich 3.500 neue Covid-19-Fälle; die tägliche Zahl der Todesopfer liegt nach wie vor bei rund 500. Zur Verdeutlichung: Als Dänemark seine Schulen teilweise wiedereröffnet hat, gab es nur 93 Todesopfer pro einer Million EinwohnerInnen, während die Zahl in Großbritannien über 500 liegt. Dänemarks tägliche Todesfällen bewegten sich im einstelligen Bereich; die britische Zahl liegt zur Zeit um die 500.

Frankreich ist ein weiteres Land, das seine Schulen teilweise wiedereröffnet hat und von der konservativen Tory-Presse und den Abgeordneten als Beweis dafür angeführt wird, dass es Zeit sei, dass die LehrerInnen ihre Ängste ablegten und wieder an die Arbeit gingen. Aber viele französische Schulen mussten wieder schließen, nachdem die Lockerung der Isolation einen weiteren Anstieg der Infektionen verursacht hatte.

Man muss sich nur eine Familie vorstellen, in der ein/e Erwachsene/r BusfahrerIn und ein/e andere/r PflegerIn ist, und deren Kinder in zwei verschiedene Schulen, eine Grundschule und eine weiterführende Schule, gehen müssen, und dann kehren alle nach tausend verschiedenen Kontakten zwischen ihnen nach Hause zurück… um zu verstehen, wie wahnsinnig gefährlich das ist.

Endlich Aktion!

Es ist also erfrischend zu sehen, dass eine Gewerkschaft mit der Faust auf den Tisch haut und sagt: „Das Leben unserer Mitglieder ist mehr wert als Gewinne – Eure Wirtschaft kann warten.“ Die LehrerInnengewerkschaft NEU führt eine Koalition von neun Bildungsgewerkschaften an, die sich weigert, bei den Öffnungsplänen zusammenzuarbeiten, bis ihre fünf Prüfkriterien erfüllt sind:

  1. Deutlich geringere Zahl von Covid-19-Fällen
  2. Ein nationaler Plan zum Einhalten eines Schutzabstandes (persönliche Schutzausrüstung, viel weniger SchülerInnen, Reinigung usw.)
  3. Tests, Tests, Tests (auch von Kindern und Personal ohne Symptome)
  4. Strategie für die gesamte Schule (sie zu schließen und alle zu testen, wenn ein Covid-Fall in einer Schule gefunden wird)
  5. Schutz der Schutzbedürftigen (einschließlich des Rechts, von zu Hause aus zu arbeiten)

Die Regierung hat keinen dieser Tests bestanden. Entscheidend ist, dass sie bei weitem noch nicht über ein System zur Ermittlung und Testung von Kontaktpersonen verfügt – und dies ist einer ihrer eigenen „Tests“. Notieren wir: „NB“ für nicht bestanden!

Die neun Gewerkschaften hielten am 15. Mai eine Sitzung mit WissenschaftlerInnen der Regierung ab, darunter auch Mitglieder der Wissenschaftlichen Beratungsgruppe für Notfälle (SAGE), aber alle Gewerkschaften blieben mit unbeantworteten Fragen zurück.

Seitdem haben 11 Labour Councils erklärt, dass sie dem überweilen Zeitplan von Johnson und Bildungsminister Gavin Williamson nicht folgen werden. Die Liste reicht von Liverpool, Bury und Calderdale, die den von ihnen betreuten Schulen mitteilten, sie sollen am 1. Juni nicht weiter öffnen, bis hin zu Manchester, Leeds und Birmingham, die es den einzelnen Schulen überlassen, darüber zu entscheiden. Weitere Stadt- und Bezirksräte haben für die nächste Sitzung Anträge eingereicht – obwohl der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan (Labour Party) beschämenderweise nur Bedenken über die verstärkte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel geäußert hat.

In Schottland, Wales und Nordirland weigern sich die nationalen und regionalen Regierungen ebenfalls, den Anweisungen von Boris Johnson zu folgen. Dies ist ein beispielloser Grad an Zwietracht auf höchster Ebene.

Wenn man die Zahl der lokalen, regionalen und nationalen Behörden, die gegen diesen gefährlichen Schachzug der Regierung sind, und die Zahl der Gewerkschaften des Lehr- und Hilfspersonals, die sich vehement dagegen wehren, sowie der Eltern und SchülerInnen, die sich der Vorschrift nicht anschließen wollen, zusammenzählt, kann man sehen, dass dies eine gewinnbare Schlacht ist.

Wie können wir gewinnen?

Leider droht der Plan der NEU an dieser Stelle zu scheitern. Sie stützt sich auf ein nützliches, aber begrenztes Gesetzeswerk, das ursprünglich für die BauarbeiterInnen entworfen wurde: Abschnitt 44 des Beschäftigungsgesetzes (1996). Dieser ermöglicht es den Beschäftigten, jeden Arbeitsplatz, den sie als unsicher erachten, zu verlassen und erst dann zurückzukehren, wenn er ausreichend sicher geworden ist.

So weit, so gut. Jetzt hat es jedoch zu einer Situation geführt, in der die NEU einen Rückzieher gemacht und eine neue Reihe von 12 Schritten herausgegeben hat, die die Risikobewertung einer Schule viel sicherer machen würde. Auf lokaler Ebene haben VertreterInnen versucht, den Mitgliedern zu sagen, dass sie beide Hürdenreihen durchlaufen sollen, in dem Bewusstsein, dass einige Schulen, insbesondere Sekundarschulen – von denen verlangt wird, dass sie weit weniger SchülerInnen aufnehmen – die zweite „Testreihe“ bestehen werden.

Was wir brauchen, ist die landesweite Einheit in ganz England: eine/r raus, alle raus. Das kann nur erreicht werden, wenn wir alle Bildungsgewerkschaften zwingen, zum Streik aufzurufen. Natürlich müssten die Abstimmungen elektronisch durchgeführt werden, aber die 20.000 Mitglieder, die am 18. Mai zu einem landesweiten Internet-Aufruf durch die LehrerInnengwerkschaft online erschienen sind, zeigen das Potenzial, in dieser Zeit der Not mit Hunderttausenden von Gewerkschaftsmitgliedern in Kontakt zu treten.

Eine Streikurabstimmung zu gewinnen und die gewerkschaftsfeindlichen Gesetze zu missachten, würde auch bedeuten, in die Offensive zu gehen und Eltern und ältere SchülerInnen zu organisieren. Wir müssen der Hetze der rechten Presse und ihren orchestrierten Versuchen, LehrerInnen und Eltern zu dämonisieren, die einfach keine weiteren Infektionen und Todesfälle in ihren Gemeinden erleben wollen, entschieden entgegentreten.

Dies wird zwangsläufig die Einrichtung neuer Basisorganisationen bedeuten, um die Mitglieder der verschiedenen Gewerkschaften an den Schulen zusammenzuführen. Eine solche Organisierung wird eine wichtige Rolle bei der Planung gemeinsamer Kampagnen spielen und sicherstellen, dass wir geeint bleiben, falls eine oder mehrere der Gewerkschaften plötzlich aus der Reihe tanzen sollten – wie es bei gewerkschaftlichen Einheitsfronten geschieht, die nur an der Spitze zementiert werden.

GewerkschaftsführerInnen mögen es nicht, in eine extrem konflikthafte Konfrontation geworfen zu werden. Ihr Instinkt sagt ihnen immer, die Situation zu entschärfen und zum „business as usual“ zurückzukehren. Aber für die absehbare Zukunft ist das Coronavirus die neue Normalität. Deshalb brauchen wir eine reaktionsfähigere und integrativere Organisation – am Arbeitsplatz und in den Kommunen.

Sich erfolgreich Johnsons Forderung nach der Wiedereröffnung von Schulen zu widersetzen, ist jedoch nur die halbe Miete. Wir müssen gemeinsame Gewerkschafts-, Eltern- und SchülerInnentreffen organisieren, um die Krise zu erörtern und Covid Watch Committees (Komitees zur Überwachung und Eindämmung der Covid-Pandemie) zu bilden, damit es nach einem Streik oder einer erfolgreichen Aktion keinen Rückfall gibt, der einen Anstieg der Infektionsrate (die R-Zahl) verursacht, oder die Schule beschließt, neue Risiken mit unserem Leben einzugehen.

Dieser Kampf wird so lange andauern, bis ein Impfstoff gefunden ist. Wir müssen während des gesamten nächsten Schuljahres wachsam sein. Es ist ein Ringen um ArbeiterInnenkontrolle – dies werden wir brauchen, um Entlassungen und Schließungen zu stoppen, da die Kürzungen während der Rezession weiter wirken.

Es ist auch eine Auseinandersetzung in einem breiteren Klassenkampf. Die KapitalistInnen sind verzweifelt darauf bedacht, Schulen zu eröffnen, damit sie die Beschäftigten wieder an die Arbeit bringen können, damit sie Gewinne für ihre Unternehmen erwirtschaften, bevor diese untergehen. Eine rationale Gesellschaft würde auf diese Weise privates Vermögen nicht über die öffentliche Gesundheit stellen. Sie würde nur wesentliche Arbeiten zulassen, um uns alle gesund zu halten, zu desinfizieren, zu ernähren usw., bis das Virus besiegt ist.

Ein weltweiter Kampf

Dies weist auf eine weitere Ebene hin, auf der wir die Hand ausstrecken und eine kämpferische Einheitsfront schmieden können. Die weltweite Pandemie erfordert eine globale Lösung! Schulgewerkschaften in den USA, Europa, Lateinamerika und auf der ganzen Welt sehen sich den gleichen wahnsinnigen Anforderungen gegenüber wie wir hier. Wir sollten die modernen Technologien der Webinare im Internet nutzen, um uns mit den BasisaktivistInnen auf der ganzen Welt zu vernetzen, damit wir zusammen mit einer gemeinsamen Strategie und einem gemeinsamen Ziel kämpfen können.

Ein Sieg für LehrerInnen und anderen Beschäftigen an den Schulen wäre ein Sieg für unsere, die ArbeiterInnenklasse, auf dem wir in den kommenden Kämpfen aufbauen könnten.




Nein zu überhasteten Schulöffnungen!

Christian Gebhardt, Infomail 1100, 19. April 2020

Lange hat es gedauert. Zuerst galten Kinder und Jugendliche angeblich überhaupt nicht als gefährdet. Es hieß, sie würden von dem Corona-Virus zwar infiziert werden können, aber gesundheitlich sei nichts zu befürchten. Es wäre viel unverantwortlicher, die Schule zu schließen, da ansonsten ihre Eltern nicht zur Arbeit gehen könnten.

Dieses „Argument“ galt bis Mitte März, also bis kurz vor dem Beschluss der Schulschließungen. Die Ausbreitung der Pandemie zwang zu einem Kurswechsel. Die sozialen Auswirkungen der Schulschließungen – Vereinsamung, Verstärkung der sozialen Ungleichheiten beim home-schooling, Fehlen fest jeder Vorbereitung der SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern – spielten damals noch keine Rolle. Das Schuljahr sollte auf Teufel komm raus durchgezogen werden.

E-Learning – ein Erfolgskonzept?

Dann kam die „Online-Wende“. Innerhalb weniger Tage, ja Stunden wurden die Schulen geschlossen. Kein/e SchülerIn werde dadurch einen Nachteil erhalten. Schließlich würden ausreichend Online-Angebote geschaffen und alles ohne weiteres daheim weitergehen können. Dieses „ohne weiteres“ war schnell abzusehen: SchülerInnen aus ärmeren Haushalten waren durch die jetzige Situation stärker daran gehindert, ordentlich digital zu lernen (Leben unter Corona – aus der Sicht eines Lehrers).

Die derzeitige Situation – unter anderem geschaffen durch das jahrelange Verschlafen notwendiger digitaler Versorgung aller Schulen, LehrerInnen und SchülerInnen unabhängig von ihrer Herkunft – verstärkte die Ungleichheit der Bildung weiterhin. Ein effektives Lernen unabhängig von der sozialen Herkunft des jeweiligen Kindes ist in der derzeitigen Situation nicht realistisch.

Stattdessen sollte daran gearbeitet werden, die Kerngruppen zu verkleinern, jedeN SchülerIn mit einer digitalen Ausstattung zu versorgen sowie Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen (z. B. Stadtbibliotheken, Eingliederung in die Notfallbetreuung in den Schulen), in denen SchülerInnen, die zuhause über keine räumlichen Voraussetzungen verfügen, ohne Stress lernen können. Nur so könnte es den Lehrkräften sowie den SchülerInnen ermöglicht werden, ein effektiv Lernen zu gestalten und daran teilzunehmen.

Zurück zur Normalität – aber wie?

Nachdem nun die Schulschließungen über vier Wochen andauern, war die Diskussion der letzten Tage rund um die allgemeinen Lockerungsbemühungen auch immer stark von der Frage geprägt: „Wann können wir die Schulen wieder öffnen?“

Anders als noch vor den Schließungen waren die Argumente nun nicht ausschließlich die, dass es den Eltern so schnell wie möglich wieder ermöglicht werden sollte, die Arbeit wieder aufnehmen zu können. Neben diesem Argument wurde plötzlich auch auf die soziale Ungleichheit der derzeitigen Situation hingewiesen und ,wie schwer es vielen Familien fällt, mit dieser Situation umzugehen. Ganz nach dem Motto „spalte und herrsche“ werden hier die Interessen der Eltern gegen die der SchülerInnen und der Gesellschaft insgesamt ausgespielt.

Bemerkenswert auch, dass der selektive Charakter des E-Learnings plötzlich jenen auffällt, die ansonsten den Klassencharakter des Schulsystems verteidigen und für Privatisierung und verstärkte Auslese eintreten.

Aber gut, dass wir sogenannte „ExpertInnen“ haben, denen uneingeschränkt und ohne Probleme geglaubt werden kann. Dumm nur, wenn sich diese in den wesentlichen Dingen widersprechen. Forderte die Nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, die Schulförderung direkt nach den Osterferien mit den jüngsten Klassen zu beginnen, kam von den ExpertInnen des Robert-Koch-Institutes (RKI) die Empfehlung, mit den älteren Jahrgängen zu beginnen, da sich diese eher an die Hygienevorschriften halten könnten. Von Seiten der Regierungen des Bundes und der Länder wurde sich nun am 15. April darauf verständigt, dem Rat des RKI zu folgen. Die Schulen sollen nun noch bis zum 4. Mai geschlossen bleiben und danach soll mit dem Unterricht der Abschlussklassen erneut begonnen werden. Wie dieser Unterricht sowie die notwendigen Infrastrukturen (Schulweg, Pausenregelungen etc.) gestaltet werden sollen, soll nun durch die KultusministerInnenkonferenz (KMK) bis zum 29. April erarbeitet werden.

Doch manche Länder preschen vor – ohne dass irgendwelche hygienischen oder sonstigen Voraussetzungen, z. B. Grundreinigungen der Schulen, schon flächendeckend gewährleistet sind. Diese Sonderregelungen sehen Bund und Länder ausdrücklich vor. Bundesländer, die schon zeitnah das Abhalten ihrer Abschlussprüfungen (z. B. das Abitur) angekündigt haben, sollen auch schon vor dem Stichtag ihre Schulen wieder öffnen dürfen. Der Berliner Senat hat angekündigt, in der kommenden Woche, vom 20.–24. April, mit dem Lateinabitur anfangen zu wollen. Ab 27.4. sollen weitere Schulen geöffnet werden. In Rheinland-Pfalz sollen die SchülerInnen der Abschlussklassen ebenfalls schon Anfang nächster Woche wieder den Unterricht besuchen. Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen will ab 23. April die Schulen wieder teilweise öffnen.

Prüfungen auf Teufel komm raus?

Die Frage der Abschlüsse wird ebenfalls von allen PolitikerInnen hochgehalten, spielen sie doch in einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft eine wichtige ideologische Rolle. JedeR soll unter Stress und Druck beweisen, dass die Bereitschaft und Fähigkeit zur Leistungserbringung im System vorhanden ist. Unabhängig ob nun die Schulen wieder voll starten können oder nicht, sollen die Prüfungen für die SchülerInnen früher oder später durchgezogen werden.

Auch wenn argumentiert werden kann, dass der Großteil des Lernstoffes schon vor der Schulschließung im Unterricht behandelt wurde, fehlen wichtige Bestandteile einer gut organisierten Prüfungsvorbereitung: die Übung, Wiederholung und Vernetzung von Lernstoff der letzten Jahre. Klar kann sich theoretisch im Selbststudium daheim der Inhalt beigebracht und für die Prüfungen gelernt werden. Aber das wichtige, begleitete Üben mit einer Lehrkraft sowie das gemeinsame Abfragen und Lernen mit MitschülerInnen fällt in der jetzigen Situation wieder denen zu, die durch ihre familiäre Situation eine ruhige und feste Lernatmosphäre vorfinden.

Zu Recht protestieren Elternvertretungen, Gewerkschaften und SchülerInnen gegen Prüfungen unter diesen Bedingungen. Eine erste Wirkung hat das erzielt. Das Land Hessen will allen SchülerInnen eine Versetzung in die höheren Klassen erlauben.

Was kümmert mich die Virusgefahr von gestern?

Die überhastete Wiedereröffnung der Schulen darf jedoch nicht nur im Zusammenhang mit schulischen Fragen betrachtet werden. Die Bundesregierung und die Länder setzen unter dem Druck der UnternehmerInnenverbände auf ein möglichst rasches Hochfahren der Wirtschaft, also darauf, möglichst viele wieder zur Arbeit zu schicken, Geschäfte und Restaurants zu öffnen.

Während die Eltern wieder in den Betrieb müssen, sollen die SchülerInnen an den Schulen betreut werden. Es greift somit zu kurz, nur die Schulpolitik an den Pranger zu stellen. Schließlich müssen die Unternehmen wieder Gewinn machen – und das ist im Kapitalismus eben systemrelevant und allemal wichtiger als Demokratie und Gesundheit. Damit die Eltern wieder ungestört zur Arbeit können, sollen die Kinder und Jugendlichen in die Schule. Mit deren Öffnung wird bewusst das Risiko einer erneuten stärkeren Ausbreitung der Pandemie, einer zweiten Welle in Kauf genommen. Die Verantwortung für eine mögliche Steigerung der Infektionszahlen versuchen Bund und Länder dabei, vorsorglich auf LehrerInnen und SchülerInnen abzuwälzen, die sich unter unverantwortlichen Bedingungen eben „verantwortlich“ zu verhalten hätten.

Nein zur Schulöffnung! Nein zum Prüfungsabenteuer!

Zu Recht sprechen sich mehr und mehr GewerkschafterInnen sowie die GEW, LehrerInnenvereinigungen, Eltern- und SchülerInnenvertretungen gegen die überhastete Öffnung der Schulen aus.

Der DGB spricht sich u. a. auch aus obigen Gründen zusammen mit der GEW dafür aus, in diesem Schuljahr keine Abschlussprüfungen mehr durchzuführen. Die Gleichbehandlung der Prüflinge sei nicht gegeben. Wir unterstützen diese Forderung, die Prüfungen für alle Schultypen abzusagen. Aber damit ist es alleine nicht getan, lassen sich doch nur durch die Forderung nach Absage einer Abschlussprüfung schnell Ängste und Unsicherheiten gegeneinander ausspielen: „Werde ich dann von meinem Betrieb übernommen?“, „Werde ich eine Anstellung mit einem Corona-Abschluss finden?“, „Wie kann ich meinen Abischnitt dann noch verbessern, um mich für meinen Wunschstudiengang bewerben zu können?“

Diese Fragen schwirren vielen derzeit bei der Diskussion um die Abschlussprüfungen im Kopf umher. Anders ist es nicht zu erklären, warum LandesschülerInnenvertretungen wie die aus Baden-Württemberg sich dafür stark machen, zwar die Prüfungen abzusagen, es aber freigestellt sein soll, sich einer freiwilligen Prüfung zu einem späteren Zeitpunkt zur Notenverbesserung unterziehen zu dürfen.

Die richtige Forderung der GEW und des DGB nach Aussetzung der Prüfungen in diesem Jahr sollte daher noch durch weitere Forderungen ergänzt werden. Nur mit einem solchen Forderungskatalog kann der Druck von den SchülerInnen, den Eltern und Erziehungsberechtigten genommen werden, um auch das häusliche Miteinander in Zeiten von Ausgangssperren zu vereinfachen. Rührt viel Druck und Stress doch auch daher, dass ein Schuljahr unter schwierigen Bedingungen „normal“ zu Ende geführt werden soll.

Wir fordern deshalb:

  • Nein zur überhasteten Schulwiedereröffnung. Die Gewerkschaft GEW, VertreterInnen der LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern – nicht Schulbehörden, Staat oder sog. „ExpertInnen“ müssen darüber entscheiden, wann die Schule eröffnet wird oder nicht.
  • Dies bedeutet auch die Erarbeitung eines Umbauplans der Schulen, um sie für eine „andere Schule“ in Zeiten von Corona fit zu machen: Ausbau von Klassenzimmern um kleiner Klassengruppe zu ermöglichen, Einrichtung von Teststationen um die SchülerInnen und LehrerInnen und Verwaltungsangestellte in den Schulen regelmäßig testen zu können. Ein solcher Umbauplan und Umbaumaßnahmen macht es notwendig über eine längere Schulschließung nachzudenken.
  • Für die Ausstattung aller SchülerInnen mit kostenlosen digitalen Endgeräten um die individuelle Teilnahme an den E-learningangeboten zu gewährleisten.
  • Die Versetzung aller SchülerInnen in die nächsthöhere Klassenstufe.
  • Absage aller Abschlussprüfungen an allen Schultypen und Anerkennung des Abschusses für alle SchulabgängerInnen (Abitur, andere Abschlussprüfungen). Abschaffung des Numerus Clausus (NC) an den Universitäten und freier Zugang zur Uni für alle AbgängerInnen.
  • Sicherung der Ausbildung für alle SchulabgängerInnen. Sollten die Unternehmen Azubis nicht einstellen, müssen sie für deren Ausbildung zahlen (Umlage) und soll die Ausbildung durch den Staat bei voller Vergütung gesichert werden.
  • Übernahme aller Azubis in ihren Lehrbetrieb. Sollte die Übernahme aufgrund von Schließungen nicht möglich sein, sollen diese Betriebe entschädigungslos enteignet,  die Azubis bei vollen Tariflöhnen übernommen werden. Sie sollen für gesellschaftlich nützliche Arbeit (z. B. im Gesundheitswesen, für die Wiedereröffnung der Schulen im Herbst, für ökologische Erneuerung) etc. beschäftigt werden.
  • Für die Neueinstellung zusätzlicher Lehrkräfte, die Verringerung der Klassenteiler und der Deputatsstunden. Die Schulen werden sich im kommenden Schuljahr mit einer inhomogeneren SchülerInnenschaft auseinandersetzen müssen. Hierfür müssen Bedingungen geschaffen werden, um es den Schulen zu ermöglichen, mit dieser umzugehen.
  • Für eine massive Ausweitung der Bildungsbudgets, Ausbau von Schulen und Kitas. Schluss mit der Privatisierung der Schulen, Privatschulen in öffentliche Hand. Für eine gemeinsame Schule aller unter Kontrolle von LehrerInnen, SchülerInnen und VertreterInnen der Lohnabhängigen.

Wir werden diese Forderungen aber nicht geschenkt bekommen. Die DGB-Gewerkschaften müssen mit ihrer Burgfriedenspolitik brechen. Die GEW muss nicht nur kritisieren, sondern vor allem mobilisieren. Anstatt Politik zusammen mit den Unternehmen zu gestalten, sollte sie eher eine Bewegung für die Durchsetzung ihrer Forderungen aufbauen.

Es sollte zusammen mit den SchülerInnenvertretungen sowie den Elternbeiräten an einem Boykott der Abschlussprüfungen gearbeitet werden. Auch wenn die derzeitige Situation die offensive Mobilisierung auf den Straßen erschwert, sollten Mittel der Verweigerung und des Streiks benutzt werden, um die diesjährigen Prüfungen zu stoppen.

SchülerInnen, Bewegungen wie FridaysforFuture, die Gewerkschaften und die gesamte ArbeiterInnenbewegung sollten gegen die Schulpolitik von Bund und Ländern aktiv werden und sie bestreiken! Gewerkschaften und SchülerInnenvertretungen sollten nicht nur online protestieren, sondern auch an den Schulen den Kampf aufnehmen. Der für den 24. April geplante Online-Klimastreik sollte gerade angesichts der vorgezogenen Schulöffnungen zum Fanal für einen realen Streik werden!




Fridays for Future: Welche Strategie führt zum Sieg?

Jan Hektik, Neue Internationale 238, Juni 2019

Seit Fridays for Future (FFF) hunderttausende Jugendliche
weltweit auf die Straße bringt, ist der Klimawandel ein Thema, das überall und
vermehrt diskutiert wird. Am 24. Mai gingen allein in Deutschland wieder über
300.000 SchülerInnen und erwachsene UnterstützerInnen auf die Straße. Weltweit
sollen sich 1,8 Millionen Menschen beteiligt haben. Für den 21. Juni plant die
Bewegung eine europaweite Massendemonstration in Aachen samt Unterstützung der
Aktionen von „Ende Gelände”. Am 20. September soll ein weiterer Klimastreik
samt Aktionswoche folgen, die mit einem weltweiten Generalstreik (Earth Strike)
am 27. September abgeschlossen werden soll.

Alle seriösen wissenschaftlichen Erkenntnisse belegen, dass
sich etwas ändern muss und zwar grundsätzlich und sehr schnell! Doch es ist
auch klar, dass die etablierten Parteien – insbesondere CDU, SPD, FDP und AfD –
dies weder durchsetzen wollen noch werden. Dass zumindest der Jugend dies klar
ist, zeigt alleine die explodierende Bekanntheit des Videos von Rezo, welches
beim Verfassen dieses Artikels 11 Millionen Views hatte. Folgerichtig
mobilisiert FFF auch weiter auf der Straße und an den Schulen. Hierbei sind vor
allem drei Aspekte maßgeblich für den Erfolg der Bewegung.

Aktionen auf der Straße

FFF mobilisiert die SchülerInnen aus den Klassenräumen auf
die Straße und trägt den Protest sichtbar an die Öffentlichkeit. Die
Jugendlichen bauen Druck auf, vernetzen sich und versuchen, die Bewegung zu
verstetigen. Vor unseren Augen entsteht eine fortschrittliche neue
Massenbewegung, die sich einer zentralen Überlebensfrage der Menschheit annimmt
und die das Potential hat, zu einer dauerhaften, langfristig kämpfenden Bewgung
zu werden. All dies verdeutlicht ihre Bedeutung.

Auch die Wahl des Mittels zeugt von einem richtigen
Verständnis, wie man politische Veränderungen erkämpfen kann. Das Mittel des
Streiks ist seit jeher die Waffe der Lohnabhängigen, der Ausgebeuteten, der
Unterprivilegierten gegen Staat und Kapital, um wirklichen und
gesellschaftlichen Druck aufzubauen. Leider richtet dieser, solange er nur
durch SchülerInnen praktiziert wird, keinen wirtschaftlichen Schaden an.
Solange „nur“ SchülerInnen streiken, stehen eben nicht alle Räder still.
Deshalb geht es darum, auch die Lohnabhängigen und die Gewerkschaften für die
Bewegung zu gewinnen – und zwar nicht nur als sympathisierende
UnterstützerInnen, sondern als eine zentrale Kraft der Bewegung. Der Streik an
der Schule muss zum Streik im Betrieb werden. Schon heute sind auch Tendenzen
der Solidarität zu erkennen, z. B. hat die GEW dazu aufgefordert, den Streik
der SchülerInnen solidarisch zu unterstützen. Entscheidend wird jedoch sein,
dass sie selbst auch zum Arbeitskampf aufruft. Die gewerkschaftliche Mobilisierung,
betriebliche Aktionen und Streiks beim globalen Klimastreik wären dazu ein
wichtiger Schritt. Die DGB-Gewerkschaften sollten ihre Mitglieder zu einem
Massenstreik an diesem Tag auf die Straße und vor die Betriebe mobilisieren!

Fokussierung auf die Jugend als Handelnde

Es ist auch besonders bedeutsam, dass es gerade die Jugend
ist, die sich gemeinsam erhebt und ihren Protest auf die Straße trägt. Dies ist
natürlich auch einleuchtend angesichts der Tatsache, dass sie die Folgen der
Politik der „Alten“ – genauer der Regierungen und PolitikerInnen, die die
Interessen des Kapitals vertreten -, ausbaden müssen. FFF legt dabei auch den
Grundstein für das Entstehen einer neuen, massenhaften Jugendbewegung, die sich
nicht nur der ökologischen Frage, sondern auch des gesamten Kampfes gegen
Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Rassismus, Sexismus und Imperialismus
annehmen kann und sollte.

International

Die streikenden SchülerInnen haben die Notwendigkeit eines
internationalen Kampfes erkannt. FFF war von Beginn an eine globale Bewegung,
um ein globales Problem anzupacken. Und das ist gut so. Schließlich hält sich
der CO2-Ausstoß auch nicht an Landesgrenzen. Folglich ist es auch besonders
essentiell, internationale Proteste zu verbinden. Es wäre beispielsweise sinnvoll,
eine internationale Aktionskonferenz einzuberufen, um die Proteste inhaltlich
und aktionistisch miteinander zu verbinden und Strukturen zu schaffen, welche
eine Koodination des Protestes ermöglichen. Die Mobilisierung nach Aachen
stellt einen bedeutenden Schritt dar, die AktivistInnen aus verschiedenen
Ländern nicht nur in einer Aktion zu verbinden, sondern auch direkte Netzwerke
aufzubauen und in Aachen selbst über die Form und Notwendigkeit einer solchen
demokratischen Koordinierung zu diskutieren.

Doch die Bewegung hat auch einige Schwächen, die genau wie
ihre Stärken richtig erkannt und angegangen werden sollten und die es zu
überwinden gilt.

Pariser Abkommen

Zunächst ist hier ihre Orientierung am Pariser Abkommen zu
nennen. Sich Klimaziele zu setzen, ist zwar gut und richtig, aber absolut nicht
ausreichend. Weder wird erwähnt, wie und durch wen die Ziele erreicht werden
sollen. So bleiben sie – selbst wenn Länder wie die USA nicht ausgetreten wären
– letztlich unverbindliche Absichtserklärungen, die ihre Grenze an den
Profitinteressen des Kapitals finden. Angesichts der zunehmenden
internationalen Konkurrenz und eines erbitterten Kampfes um die Neuaufteilung
der Welt wollen natürlich alle bürgerlichen Regierungen dafür sorgen, dass
Klimaschutz nicht auf die eigenen Kosten geht. Die Entwicklung der letzten
Jahre bedeutet, dass die reichen, imperialistischen Länder denen des Südens die
Kosten für den Klimaschutz aufhalsen wollen. Solange die Profitinteressen die
Wirtschaft bestimmen, kann daher von einer nachhaltigen oder wirksamen
„Umweltpolitik” keine Rede sein.

Die Bewahrung und Regeneration der natürlichen
Lebensgrundlagen der Menschheit, die Rettung einer lebenswerten Umwelt stößt im
Kapitalismus an Systemgrenzen. Um 
wirksame, globale Maßnahmen durchzusetzen, müssen die Konzerne und die
großen VermögensbesitzerInnen enteignet und die Wirtschaft gemäß den Interessen
der arbeitenden Menschen und den Erfordernissen ökogischer Nachhaltigkeit
umgestaltet werden. Die Reichen müssen für die Rettung der Umwelt bezahlen, das
kapitalistische System muss beseitigt und durch eine demokratische,
sozialistische Planwirtschaft ersetzt werden.

Die Grünen

FFF scheint große Illusionen in die Grünen zu hegen. Wenn
wir uns den Zusammenhang von Kapitalismus und Umweltzerstörung vor Augen
halten, wird auch schnell klar, warum das problematisch ist. Mit den Grünen ist
keine Politik gegen die Konzerne möglich. Sie wollen die Quadratur des Kreises
und versprechen einen „Green New Deal“, der den Kapitalismus „zügeln“ und
ökologisch umgestalten soll. Doch das ist eine Illusion, ein leeres
Versprechen, wie die Grünen selbst beweisen, wenn sie an der Regierung sind.
Die Landesregierung in Baden-Württemberg sucht den Schulterschluss mit den
Automobilkonzernen, setzt auf private Elektroautos statt auf öffentlichen
Verkehr – und erfreut sich der Beliebheit der Konzernchefs. In
Nordrhein-Westfalen haben die Grünen an der Landesregierung der Rodung des
Hambacher Forstes zugestimmt – und tun jetzt so, also hätten sie damit nichts zu
tun. Und in der Kohlekommission haben sie einen faulen Kompromiss akzeptiert,
der vor allem die Kohle der Kohlekonzerne vergoldet. Die Grünen haben – wie
manche NGOs – auch immer wieder bewiesen, dass sie die Interessen des Kapitals
über ihre Grundsätze stellen, sofern jene diesen zuwiderlaufen.

Genau deshalb ist es auch problematisch, dass viele führende
Mitglieder von FFF bei den Grünen oder NGOs organisiert sind und faktisch die
Kontrolle über alle wichtigen Entscheidungen ausüben. Damit untergraben sie
nicht nur die Demokratie von FFF, sondern lenken auch die Bewegung in eine für
das Kapital ungefährliche Richtung. Damit verunmöglichen sie, sofern sie
erfolgreich bleiben, die Erreichung der Ziele, die sich FFF gesetzt hat. Dieser
Bewegung zu helfen, sich von der politischen Dominanz der bürgerlichen und
kleinbürgerlichen Kräfte zu befreien, ist Aufgabe revolutionärer Kräfte. Daher
braucht es eine offene politische Diskussion über die verschiedenen Programme,
Strategien, Taktiken – und vor allem über die Notwendigkeit, die Bewegung gegen
den Verursacher der Misere zu richten – den Kapitalismus.

Welche Klasse?

Große, ja entscheidende Teile des Kapitals haben kein
Interesse an einem wirksamen Umweltschutz, da er ihre Geschäftsinteressen
unmittelbar bedrohen würde. Die großen Öl-, Gas, und Bergbau-Konzerne, die
Energiewirtschaft und die meisten großen Monopole setzen nach wie vor auf
fossile Energieträger, weil sie fette Gewinne versprechen. Auch die Kapitale,
die auf erneuerbare Energien bauen, sind in erster Linie am Profit und nicht an
der Umwelt oder an Nachhaltigkeit interessiert. Schließlich führt das
marktwirtschaftliche System der Umweltpolitik nicht nur zu aberwitziger
Konzeptlosigkeit, sondern geradezu zu Verschwendung und zugleich dazu, dass
gerade jene Länder und Bevölkerungsschichten, die am meisten von Klimawandel
und anderen globalen Umweltproblemen (Wasserknappheit, Umweltverschmutzung,
Müll, …) betroffen sind, über die geringsten Mittel verfügen, um etwas gegen
die Probleme zu tun.

Dies liegt in der Natur des Kapitalismus, welcher durch
seine Konkurrenz nur Profitstreben ermöglicht. Auch die kleinbürgerlichen
Kräfte haben ein Interesse daran, die Last, die durch den Klimaschutz entstehen
könnte, für die Masse der Lohnabhängigen und BäuerInnen möglichst gering zu
halten.

Eigentumsfrage

Die einzige Kraft, die ein langfristiges, grundlegendes
objektives Interesse am Klimaschutz hat, ist die ArbeiterInnenklasse, weil sie
selber von Marktwirtschaft und Privateigentum an Produktionsmitteln ausgebeutet
wird. Sie profitiert nicht von der Zerstörung der Umwelt, sondern leidet im
Gegenteil sogar unter steigenden Preisen für Lebensmittel, Trinkwasser und
sonstige knapp werdende Ressourcen. Sobald saubere Luft beispielsweise immer
rarer wird, werden sich nur die reichsten Menschen die entsprechenden Filter
oder Ähnliches leisten können. Umgekehrt stellen die Lohnabhängigen – im
Bündnis mit den Ausgebeuteten auf dem Dorf – jene gesellschaftliche Kraft dar,
die über das Wissen und die Kompetenz verfügt, die Produktion auf globaler
Ebene sowohl im Interesse der ProduzentInnen wie im Sinne ökologischer
Nachhaltigkeit zu reorganisieren.

Nur die ArbeiterInnenklasse ist in der Lage, einen
weltweiten Plan zur Reorganisierung der Produktion mit Blick auf die Umwelt zu
ermöglichen, während die nationalen Kapitale und ihre Staaten in Konkurrenz
zueinander stehen und immer darauf bedacht sein werden, bloß nicht mehr für den
Klimaschutz zu zahlen als die Kapitalistenklassen der anderen Nationen. Ein
solcher Plan ist aber absolut notwendig. Keine noch so tolle Subventionspolitik
kann die Produktionsweise radikal genug umstellen, um die Bedürfnisse der
Weltbevölkerung zu erfüllen und gleichzeitig eine weitere Zerstörung der Umwelt
zu verhindern. Zudem kann sie erst recht nicht die entstandenen Umweltschäden
beseitigen.

Hierfür ist es absolut notwendig, die Produktionsmittel der
Konzerne entschädigungslos zu enteignen und unter die Verwaltung der
ArbeiterInnenklasse zu stellen. Diese Planung darf nicht wie in den
stalinistischen Staaten von einer Bürokratie bestimmt werden, welche ihre
eigenen Interessen im Kopf hat, sondern muss demokratisch beschlossen und
umgesetzt werden. Nur so können die Interessen der überwiegenden Mehrheit der
Weltbevölkerung zum Maßstab allen Wirtschaftens geraten.




Sofortige Einstellung aller Strafen gegen streikende SchülerInnen!

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 238, Juni 2019

Seit Monaten streiken
Freitag für Freitag in Deutschland und international SchülerInnen gegen die
Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlage – teilweise seit August 2018. In
der Öffentlichkeit stoßen sie auf viel Sympathie und Unterstützung.

Doch die Aktiven erfahren
zunehmend auch Widerstand, Hetze und Repression – an ihren Schulen. So ergeht
es zur Zeit 13 SchülerInnen der 9. und 10. Klasse des Berliner Lessing-Gymnasiums.
Ihnen droht die Nicht-Versetzung aufgrund ihrer Streikteilnahme, also ihres
Engagements für unsere Zukunft. Konkret: Um in einem Fach benotet zu werden,
müssen SchülerInnen pro Halbjahr entweder 6 Wochen am Stück oder 8 Wochen
insgesamt anwesend sein. Für manche Fächer, die nur einen Block pro Woche
haben, ist dies unvereinbar mit dem Streik, sofern sie freitags stattfinden.
Für die SchülerInnen ist dies teilweise Sport, Kunst, Musik oder Geographie.
Sollten sie auch in anderen Fächern schlecht stehen, so können sie sitzenbleiben.

Das wollen die
SchülerInnen nicht auf sich sitzen lassen. Denn als SchwänzerInnen lassen sie
sich nicht abstempeln. Es geht ihnen vielmehr um die Anerkennung des
politischen Streikrechts für SchülerInnen.

Das Lessing-Gymnasium ist
freilich kein Einzelfall. Daher muss Friday for Future politischen Druck
aufbauen und jede Bestrafung von SchülerInnen bekämpfen. Hierfür braucht es
auch Unterstützung durch die Gewerkschaften, um dem Berliner Senat und den
einzelnen Schulleitungen Paroli zu bieten. Teilweise passiert dies aktuell. So
solidarisiert sich die GEW Berlin mit den Streiks und fordert alle PädagogInnen
auf, keine Strafe walten zu lassen. Doch der Appell wirkt nur bei denen, die
einsichtig sind. Wir brauchen eine Ausweitung des Streiks, auch auf die
LehrerInnen sowie die ArbeiterInnenklasse als Ganzes – dies würde die Frage der
Durchsetzung von Strafen auf eine höhere Ebene stellen. Zugleich fordern wir
vom Berliner Senat und den „klimafreundlichen“ Fraktionen, auf die er sich stützt,
jede Repression und Drohung gegen SchülerInnen aufzuheben.

Um das Problem öffentlich
zu machen, haben die SchülerInnen am Donnerstag, dem 23. Mai, eine Kundgebung
vor ihrer Schule organisiert. An dieser nahmen knapp 60 SchülerInnen und
Unterstützende aus FFF und der kommunistischen Jugendorganisation REVOLUTION
teil. Vor Ort wurde ein offener Brief an die SchülerInnenvertretung
veröffentlicht. Dieser fordert sie auf, sich auf die Seite der SchülerInnen zu
stellen, jede Bestrafung zu bekämpfen und eine Vollversammlung durchzuführen.
Diesen Brief unterschrieben am ersten Tag schon knapp 70 Personen, weitere
folgten. Die Initiative zwang die Schulleitung dazu, auf die Kundgebung
zuzugehen und Rede und Antwort zu stehen. Doch das allein beendet die Repression
nicht. Es braucht eine Fortsetzung des Drucks, eine Öffentlichmachung des Falls
und eine Integration in den Kampf von FFF.

  • Gemeinsam können wir die Repression stoppen – wenn wir uns auf die Waffe der Solidarität besinnen!



Kommunal- und Europawahlen in Sachsen: Eine letzte Warnung

REVOLUTION Sachsen, Neue Internationale 238, Juni 2019

Am 26. Mai waren auch in
Sachsen rund 3,3 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, nicht nur für das
EU-Parlament, sondern auch für die Kommunalwahlen ihre Stimmen abzugeben. Im vorläufigen
Endergebnis wird unmissverständlich deutlich, wovor wir schon lange warnen: Es
gibt einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Rechtsruck! Dieser äußert sich
nicht nur im Wahlsieg der RechtspopulistInnen in Ländern wie Frankreich,
Großbritannien und Italien, sondern schlägt sich auch im Ergebnis der „Alternative
für Deutschland“ (AfD) nieder und tritt am heftigsten in Sachsen zum Vorschein:
Die AfD ist in fast allen Landkreisen, in Chemnitz und fast auch in Dresden als
stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgegangen. Lediglich im Vogtland und in
Zwickau schaffte es die CDU, den ersten Platz zu verteidigen. In Leipzig
konnten die Grünen die meisten Stimmen holen. In allen anderen Städten und
Gemeinden erhielt die AfD die meisten Stimmen und ließ die CDU erstmals hinter
sich.

Nach dem derzeitigen
Stand kommt die AfD bei der EU-Wahl insgesamt auf 25,3 % der Stimmen in
Sachsen und konnte somit ihr Ergebnis im Vergleich zu 2014 (10,1 %) mehr
als verdoppeln. Die CDU hingegen hat seit der letzten Europawahl 11,5 %
einbüßen müssen und kam damit gerade mal auf 23 %. Dahinter landete DIE
LINKE mit 11,7 % (-6,6 %). Die Grünen kamen auf 8,6 % und die
FDP konnte 4,7 % der Stimmen erreichen. Die SPD wurde ebenfalls abgestraft
und hat mit aktuell 8,6 % fast die Hälfte ihrer WählerInnen verloren (2014:
15,6 %). Die Satirepartei „Die Partei“ schaffte es auch in Sachsen, vor
allem von der Schwäche der Linken zu profitieren, und erzielte hier
bemerkenswerte 2,9 %.

Falls die AfD es schafft,
ihr derzeitiges Ergebnis zur Landtagswahl im September zu verteidigen, oder
schlimmstenfalls sogar noch zulegt, lässt sich eine Regierungsbildung durch CDU
und AfD nicht ausschließen. Um dies zu verhindern, müsste die CDU gemeinsam mit
den Grünen, der SPD und FDP eine Koalition eingehen, die jedoch knapp um die
Regierungsmehrheit bangen müsste. Unter Umständen würde notfalls DIE LINKE für
die nötige Mehrheit sorgen oder sogar eine Regierungsbeteiligung anbieten, um
sozusagen eine „Demokratische Allianz“ gegen die AfD zu bilden. Eine solche Koalition
würde zweifellos dem Image der AfD als einziger Anti-Establishment-Partei in
die Hände spielen und SPD und DIE LINKE durch den Ausverkauf der eigenen
sozialen Basis schaden. Ob die CDU sich überhaupt darauf einlassen würde, ist
allerdings ebenfalls fraglich. Es wäre auch denkbar, dass die CDU ihren
derzeitigen Kurs ändert und sich doch auf Gespräche mit der AfD einlässt,
welche zusammen eine stabilere Mehrheit im Landtag stellen könnten als die
erstgenannte Regierungsoption. Die Folgen einer CDU-AfD Koalition in Sachsen
wären schwerwiegend, gerade für uns Jugendliche und Menschen mit
Migrationshintergrund. Es ist nicht nur so, dass dann eine rechtspopulistische,
rassistische Partei mit in der Regierung säße und als stärkste Kraft womöglich sogar
den Ministerpräsidenten stellen würde. Die AfD leugnet außerdem offen den
Klimawandel, ist gerade in Sachsen eng mit faschistischen Strukturen und
militanten Neonazis vernetzt. Zudem gilt als Sachsen als einer ihrer rechtesten
Landesverbände. Neben einer Verschärfung der asylfeindlichen Politik und einer
zunehmend rassistisch aufgeheizten Stimmung können wir uns im Falle einer
CDU-AfD Koalition nach den Landtagswahlen auch auf Sozialkürzungen, den
weiteren Ausbau des Polizei- und Überwachungsstaates, die zunehmende
Einschränkung von Grundrechten und Kriminalisierung von Linken und der Fridays-for-Future-Bewegung
einstellen. Mit dem am 1. Januar 2020 in Kraft tretenden neuen Polizeigesetz
hätte eine solche Regierung auf alle Fälle ein großes Repertoire an Unterdrückungswerkzeugen
zur Hand. Es ist nicht übertrieben, davor zu warnen, dass gerade die
klimafeindliche und zu Teilen ultrarechte sächsische AfD insbesondere
antirassistische AktivistInnen, streikende SchülerInnen und linke Gruppen mit
harter Repression überziehen würde.

Daher ist es jetzt um so
wichtiger, Widerstand gegen die AfD zu organisieren und eine antirassistische
und soziale Bewegung gegen den Rechtsruck aufzubauen. Hierbei könnte die
aktuelle Fridays-for-Future-Bewegung einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie
auch offen gegen Rassismus und die AfD Stellung bezieht. Denn Umweltschutz
bedeutet Kampf dem Rechtsruck! Deshalb organisieren wir zum 28. Juni einen
antirassistischen Schul- und Unistreik. Unter dem Motto #FridayAgainstRacism
rufen wir vor allem die SchülerInnen, die sonst freitags gegen den Klimawandel
auf die Straße gehen, aber auch die Studierenden und Auszubildenden dazu auf,
an diesem Tag ein deutliches Signal gegen Rassismus, Neoliberalismus, Sexismus
und eine klimafeindliche Politik zu setzen. Wenn wir, statt im Unterricht oder
in den Hörsälen zu sitzen, vor der Landtagswahl unsere eigenen Positionen auf
die Straße tragen, können wir uns als Jugendliche Gehör verschaffen und ein
deutliches Zeichen gegen den Rechtsruck setzen. Hierzu müssen wir uns weiter
organisieren und vernetzen! Deshalb schreibt uns an, kommt zu unseren Treffen,
beteiligt euch an den Vorbereitungen, gründet an euren Schulen, in den
Betrieben und an den Unis Streikkomitees und lasst uns unmissverständlich klarmachen,
was wir Jugendlichen für eine Zukunft haben wollen: nämlich eine lebenswerte
ohne Rassismus, Abschiebungen und Sozialabbau. Eine Zukunft, in der
NS-Rhetorik, der Klimawandel und ein autoritärer Polizei- und Überwachungsstaat
der Vergangenheit angehören. Also eine Zukunft ohne Rechtspopulismus, eine
Zukunft ohne die AfD!

Get organized

  • 19. Juni, 17.00 Uhr, Dresden im Zentralwerk, Riesaer Str. 32, Seminarraum (1. Stock links): Diskussion „Umweltzerstörung & Rassismus“/ Streikvorbereitung
  • 28. Juni, 12.00 Uhr, am Goldenen Reiter: #FridayAgainstRacism – Schulstreik



Fridays for Future – Systemwechsel statt Klimawandel!

Jan Hektik, Neue Internationale 236, April 2019

Hunderttausende SchülerInnen streiken und demonstrieren
Freitag für Freitag weltweit gegen die drohenden, katastrophalen Folgen des
Klimawandels. Allein am 15. März, dem bislang größten internationalen
Aktionstag, beteiligte sich über eine Million Jugendliche in mehr als 100
Ländern. Allein in Deutschland hatten rund 300.000 Besseres zu tun, als in die
Schule zu gehen. In zahlreichen anderen europäischen Hauptstädten waren
Zehntausende auf den Beinen: 50.000 in Paris, 30.000 in Brüssel, 25.000 in
Berlin.

Die Dynamik und die Stärken der Bewegung, ihr unglaubliches
Potential liegen auf der Hand. Erstens greift sie ein reales Menschheitsproblem
auf, eine der großen Überlebensfragenfragen des 21. Jahrhunderts. Zweitens
agiert die Bewegung als internationale, grenzübergreifende Kraft.

Entstehung

„Fridays for Future“ entstand um die Aktivistin Greta
Thunberg, die sich sehr medienwirksam gegen den Klimawandel ausgesprochen hat
und PolitikerInnen regelmäßig zum entschiedenen Handeln auffordert. Ihre
Initiative stieß, sicherlich für viele überraschend, weltweit auf Widerhall.
Seit Monaten ist sie ständig angewachsen mit einem vorläufigen Höhepunkt am 15.
März. Weitere bundesweite und internationale Aktionstage sind geplant, der
nächste am 26. April. Außerdem ist für den 27. September ein weltweiter
Generalstreik (Earth Strike) gegen Klimawandel im Gespräch.

Damit übertrifft sie schon jetzt die Bildungsstreikbewegung
vor einigen Jahren, die in Deutschland auf ihrem Höhepunkt 200.000 bis 300.000
SchülerInnen und Studierende mobilisierte.

Die großen Proteste sind von einer starken Neugier und einem
Willen gekennzeichnet, die Welt mit dem Wissen zu verändern, dass es bald zu
spät sein könnte.

Damit bietet sie unglaubliche Potentiale, vor allem, weil
die führenden bürgerlichen PolitikerInnen in der Zwickmühle stecken. Einerseits
sind die Ängste der Fridays-for-Future-Bewegung gut begründet. Nur fanatische
und phantastische Rechte wie Trump oder die AfD können sie als „Klimaschwindel”
oder Panikmache abtun – und zeigen damit einmal mehr, welches Sicherheitsrisiko
diese Leute für die Menschheit darstellen.

Der Mainstream der bürgerlichen Politik hingegen hat
erkannt, dass die Bewegung breit aufgestellt ist, so dass man sie nicht einfach
diffamieren kann. Dabei spielen Kanzlerin Merkel oder Umweltministerin Schulze
ein doppeltes Spiel. Einerseits sehen sie sich gezwungen, sich positiv auf die
Bewegung zu beziehen, andererseits müssen sie aber auch dafür sorgen, dass sie
folgenlos bleibt. Schließlich soll der Klimaschutz die heiligen Profite der
deutschen Energie- und Autoindustrie nicht gefährden. Schließlich sollen die
Kosten für die Klimakatastrophe und etwaige Reparaturmaßnahmen nicht die
Konzerne, sondern die Masse der Bevölkerung zahlen. Nicht die  imperialistischen Mächte, die
HauptverursacherInnen der Umweltprobleme, sondern die ArbeiterInnen, BäuerInnen
und die Länder der sog. „Dritten Welt” sollen die Hauptlast bürgerlicher
„Umweltpolitik” schultern.

Eine Sache für Profis?

So versuchen sich PolitikerInnen wie Angela Merkel oder
Lindner in einem Spagat. Sie lösen das Problem wie folgt: Während sie sich für
die Ziele der Bewegung aussprechen, kritisieren sie das Fernbleiben von der
Schule und versuchen den Protest über die Thematisierung von Nebensachen zu
delegitimieren. So FDP-Vorsitzender Lindner: „Von Kindern und Jugendlichen kann
man aber nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das
technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen, das ist eine Sache für
Profis“.

Eine Sache für Profis also, Herr Lindner? Was haben diese
sogenannten Profis denn bitte in Sachen Klimaschutz in den letzten 50 Jahren
erreicht? Nichts! Diese Profis sind entweder nicht fähig oder nicht gewillt,
etwas zu ändern und wir haben keine Zeit mehr, darauf zu warten, dass auch VW
erkennt, dass man auf einem zerstörten Planeten niemanden findet, der Autos
kauft. Wir könnten einen Dreijährigen mit der Lösung dieser Aufgabe beauftragen
und er könnte nicht weniger Sinnvolles zum Klimaschutz beitragen als die
ExpertInnen und Profis des Herrn Lindner!

JedeR RevolutionärIn muss Fridays for Future gegen solche
bevormundenden und herabwürgenden Aussagen verteidigen!

Alleine der mediale Rummel um das „Schule Schwänzen“
verdeutlicht doch, dass der Schulstreik die richtige Entscheidung war. Was sind
ein paar Fehlstunden gegen die drohende Überschwemmung und Verwüstung eines
Großteils der Erdoberfläche? Auch ein Lindner müsste das einsehen. Oder geht es
ihm am Ende gar nicht darum, sondern um die Frage der wirtschaftlichen
Interessen? Betrachten wir seine Aussage noch einmal. Was ist eigentlich dieses
„Ökonomisch Machbare“? Ökonomisch machbar wäre es ja, z. B. durch die
Besteuerung der Reichen, der Industrie, des Großhandels und des Finanzkapitals
– also der HauptverursacherInnen der drohenden Klimakatastrophe – den Ausbau
des öffentlichen Nahverkehrs und des Fernverkehrs auf Schienen voranzutreiben
und deren Benutzung kostenlos zu machen.

Würde man alleine die großen Konzerne und die GroßvermögensbesitzerInnen
massiv besteuern, wären Milliarden und Abermilliarden verfügbar. Solche
Maßnahmen, die sich gegen das Kapital richten, gelten Herrn Lindner als
fleißigem Lobbyisten der Besserverdienenden freilich als „ökonomisch nicht
machbar”. Er ist nicht schlauer als die SchülerInnen, die jeden Freitag auf die
Straße gehen. Er und die gesamte bürgerliche Elite vertreten vielmehr ganz
andere Interessen, nämlich die all jener, die von einem Wirtschaftssystem
profitieren, das die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen zerstört, den
von Menschen verursachten Klimawandel in beängstigendem Tempo voranschreiten
lässt.

Kohlekommission und Konzerninteressen

Und um zu verdeutlichen, dass für die deutsche Regierung die
Interessen des Großkapitals wichtiger sind als die Frage der Umwelt, werfen wir
einen kurzen Blick auf die sog. Kohlekommission. Allein die Bewertungsmaßstäbe
machen schon deutlich, woher der Wind weht. Es werden hier folgende Maßstäbe
nebeneinander angesetzt: „Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit,
Wirtschaftlichkeit (Bezahlbarkeit, Wettbewerbsfähigkeit, Energieinfrastruktur,
Planungs- und Rechtssicherheit.)

Das Ding ist jetzt aber Folgendes: Natürlich hat auch die
normale Bevölkerung ein grundsätzliches Interesse an Versorgungssicherheit,
Energieinfrastruktur und einer gewissen Planungs- und Rechtssicherheit. Aber de
facto sind dies alles Umschreibungen für die Frage der Wirtschaftlichkeit (=
Gewinnträchtigkeit, Profitabilität) aus Sicht der Konzerne. Die Stromversorgung
der Bevölkerung ist nicht gefährdet, wenn der Stromverbauch der Konzerne
verteuert wird, wenn Subventionen gestrichen werden, erst recht nicht durch
einen geplanten und gezielten Ausstieg aus umweltschädlicher Energieproduktion
(Kohle, Kernkraft). Im Gegenteil, die Wettbewerbsfähigkeit, die zunehmende
Konkurrenz und Marktwirtschaft, der Kampf um Profite führen zu größerer
Unsicherheit der Versorgung – und zugleich zu größerer Umweltunverträglichkeit.

Konkret hat die Kohlekommission den Ausstieg aus der
Braunkohleverstromung für 2 Jahrzehnte „gestreckt”, die Energiekonzerne
großzügig entschädigt – und das mit Zustimmung aller Regierungsparteien, aber
auch von Grünen, FDP und Naturschutzorganisationen wie NaBu und BUND!

Was wird gebraucht?

All diese Beispiele verdeutlichen, dass die Umweltfrage die
nach der Organisation der Wirtschaft aufwirft. Niemand kann leugnen, dass die
Rettung der Umwelt international geschehen muss, keine noch so grüne nationale
Wirtschaftspolitik kann erfolgreich sein. Weiterhin wirft es die Frage auf,
welche Interessen und Bedenken zu berücksichtigen sind. Für die deutsche
Regierung sind dies offensichtlich die Profite der Großkonzerne.

Dies zeigt vor allem eines: auch wenn die Linke sich immer
mehr von Klassenpolitik verabschiedet, die Regierung tut dies nicht! Und eine
Bewegung, welche die Klimakatastrophe stoppen will, muss sich deshalb auf
Klassenpolitik stützen. Die Verantwortlichen werden auf keine Apelle, Bitten
oder Ähnliches reagieren. Klimaschutz muss erkämpft werden – oder er wird nicht
stattfinden!

Hierfür wäre auch ein gemeinsamer Kampf von Fridays for
Future und anderer Umweltbewegungen mit den Gewerkschaften nötig. Um die Macht
der Konzerne zu brechen und eine vernünftige, an den Interessen der Masse der
Bevölkerung orientierte Politik durchzusetzen, braucht es nicht nur
Demonstrationen und befristete Streiks an Schulen und Unis. Wir brauchen
politische Massenstreiks, um die entschädigungslose Enteigung der
Energiekonzerne, der Großindustrie, des Verkehrswesens und anderer zentraler Teile
der Wirtschaft unter ArbeiterInnenkontrolle durchzusetzen. Nur so kann ein
nachhaltiger Plan zur Reorganisation der Produktion im Interesse von Mensch und
Umwelt durchgesetzt werden.

Gleichzeitig kann ein effektiver Klimaschutz nur
stattfinden, wenn auch Alternativen geschaffen werden. Ein ausgebauter
kostenloser öffentlicher Nahverkehr, die Verlagerung der Produktion nach der
Maßgabe, Transportwege zu kürzen, die Offenlegung der Geschäftsgeheimnisse und
Patente sind notwendige Maßnahmen, dies zu garantieren. Vor allem in der Frage
umweltfreundlicher Produktion ist der Kapitalismus mit seinen Patenten und der
Konkurrenz um Technologie, Marktanteile und Profite ein Hemmnis, welches
verhindert, dass die weltweite Produktion unter den technisch besten und
umweltfreundlichsten Bedingungen stattfinden kann.

Zweifellos muss für Reformen, erste Schritte und
unmittelbare Maßnahmen bereits im Kapitalismus gekämpft werden – eine
endgültige Lösung bietet jedoch nur eine weltweite demokratisch organisierte
Planwirtschaft.

Was fordert Fridays for Future?

Wenn es um die Frage des Kapitalismus, der Ursachen der
Umweltprobleme geht, zeigen sich jedoch auch die Schwächen von Fridays for
Future, die wir überwinden wollen und müssen.

Zur Zeit sehen wir wenig davon in der Bewegung. Viele der
Aktionen und Demonstrationen beschränken sich auf Appelle an „die
PolitikerInnen“, die Parlamente, Regierungen und internationale
Institutionen  wie EU, UNO.
Politisch betrachtet entspricht das der Politik der Grünen!

Die Entscheidungen in Fridays for Future werden überwiegend
von Mitgliedern der Grünen, des BUND, des NaBu, von Greenpeace oder anderen
NGOs getroffen. Ein Bündnis mit den Gewerkschaften oder überhaupt einen Bezug
auf die ArbeiterInnenklasse streben diese Kräfte nicht an und die Führung von
Fridays for future versucht mit Flyerverboten und gezieltem Vorziehen der
NGO-Mitglieder auf Ortsgruppentreffen die Kontrolle über die Bewegung zu
behalten.

Diese undemokratische und ausgrenzende Politik stößt auch
bei vielen AktivistInnen auf Unmut. Damit dieser nicht verpufft, treten wir für
demokratische Strukturen für alle UnterstützerInnen von Fridays for Future, für
eine offene politische Diskussion über die Strategie und Zukunft der Bewegung
ein.

Zur Zeit ist die Bewegung zwar von linksbürgerlichen und
kleinbürgerlichen Kräften geführt. Aber das muss nicht so sein. Die Grünen
haben in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, dass ihre Umweltpolitik vor
allem kapitalverträglich sein soll. Heute betrachten sie die Bewegung als
Mittel, möglichst viele Stimmen bei den EU-Wahlen abzugreifen und geben sich
als UnterstützerInnen der Bewegung. Doch gestern erst haben sie dem
Kohlekompromiss zugestimmt. Nach dem Ende der Großen Koalition im Bund bilden
sie womöglich mit CDU/CSU die nächste Regierung. Solche Kräfte dürfen nicht
bestimmen, wer welche Fahne bei den Demos trägt und welche politische Richtung
sie einschlägt.

Von einem Kampf gegen den Kapitalismus wollen die Grünen und
die NGOs längst nichts mehr wissen. Diese Politik steht letztlich im
Widerspruch zu den Interessen von Millionen aktiven Jugendlichen.

Daher treten wir für eine klassenkämpferische,
antikapitalistische Perspektive ein und tragen diese in die Bewegung. Alle
Kräfte, die das auch wollen, sollten sich dazu zusammenschließen, um Fridays
for Future zu demokratisieren, Basisstrukturen an den Schulen aufzubauen und
aktiv Bündnisse mit den Gewerkschaften zu suchen. In Ländern wie Belgien und
Frankreich haben Gewerkschaften zu den Streiks aufgerufen – das brauchen wir
auch in Deutschland!

Denn wenn wir den Klimawandel wirklich stoppen wollen,
dürfen wir nicht nur seine Auswirkungen bekämpfen, wir müssen seine Ursache
angehen – und die heißt Kapitalismus!

Systemwechsel statt Klimawandel!

  • Entschädigungslose Enteignung und Verstaatlichung der Energiekonzerne und ihrer Netze unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Organisierter Ausstieg aus der Stromerzeugung mittels hergebrachter atomarer Kernspaltung und Verbrennung von fossilen Energieträgern! Weiterbeschäftigung der Kraftwerksbeschäftigten zu gleichen Löhnen und Bedingungen!
  • Einheitlicher Tarif für alle Beschäftigten in dieser Branche (Kohle, Atom, Windenergie etc.)!
  • ArbeiterInnenkontrolle über Betrieb, Planung und Forschung unter Hinzuziehung von ExpertInnen, die das Vertrauen der Klasse genießen!
  • Offenlegung der Geschäftsgeheimnisse, nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der technischen (Patente…) und damit Aufhebung der Konkurrenz darum!
  • Weg mit den Rezepten des „grünen“ Kapitalismus und dem EEG-Flickwerk (Zertifikate, Ökosteuer, EEG-Umlage, Stromsteuer)! Finanzierung des Kohleausstiegs durch progressive Steuern auf Einkommen, Vermögen und Gewinne statt indirekter Massensteuern!
  • Energiewende heißt: integrierter Plan, der auch Verkehr, Landwirtschaft und Industrie umfasst, nicht nur den Stromsektor!
  • Für ein Forschungsprogramm, bezahlt aus Unternehmensprofiten zur Lösung der EE-Speicherproblematik!
  • Für einen rationalen Verkehrsplan! Ausbau des ÖPNV statt der Sackgasse Elektro-PKW! Güter und Menschen bevorzugt auf die Schiene!
  • Weltweiter Plan zur Reparatur der Umweltschäden und Angleichung der Lebensverhältnisse!



Schulstreiks überall – wie kann es weiter gehen?

Jaqueline Katherina Singh, REVOLUTION, Infoamail 1008, 23. Juni 2018

Am 21. Juni sind in Berlin 400 SchülerInnen auf die Straße gegangen, um gegen die drohende Schulprivatisierung zu demonstrieren, die der Berliner Senat hinter verschlossenen Türen plant. Am 22. Juni gingen in Nürnberg, Kassel, Dresden, Würzburg und 3 weiteren Städten Jugendliche auf die Straße, um gegen Abschiebungen zu demonstrieren – auf Initiative des Bündnisses „Jugendaktion Bildung gegen Abschiebung“. Zuvor haben in München SchülerInnen gegen das neue Polizeiaufgabengesetz gestreikt. Dort haben rund 2000 Jugendliche gezeigt, dass sie die Verschärfung der Repression aufhalten wollen. Doch was folgt aus diesen zahlreichen Protesten?

Potenzial bündeln

In den letzten Jahren haben wir in Deutschland und sonst wo auf der Welt einen Rechtsruck erlebt.

Der früher als rechter Rand betitelte Teil der Gesellschaft ist mittlerweile im Alltag aufzufinden. Die AfD hetzt im Bundestag und nebenbei erlässt die Regierung die rassistischen Gesetze und versucht mehr und mehr, Geflüchtete in Krieg, Armut und Perspektivlosigkeit abzuschieben. Aber der Rechtsruck bedeutet nicht nur, dass der Rassismus im Alltag immer mehr Gestalt annimmt.

Er hat auch andere Formen: Ein Jahr nach dem G20-Gipfel im Hamburg sehen wir eine Zunahme von Repression und Gesetzesverschärfungen. Denn nicht nur in Bayern ist ein neues Polizeiaufgabengesetz geplant – auch in Sachsen und Nordrhein-Westfalen will man die Rechte der Polizei ausweiten. Zusätzlich können wir beobachten, wie der Etat für innere Sicherheit und die Bundeswehr massiv angehoben wurde und beispielsweise in Bayern die Polizei unter dem Namen „Baytex18“ muntere Krisenübungen zusammen mit SoldatInnen der Bundeswehr durchführt.

Während in diesem Bereich mehr Geld ausgegeben wird, lesen wir zeitgleich in den Nachrichten von der „Schwarzen Null“ im Bundeshaushalt, bei dem die Ausgaben die Einahmen nicht übersteigen sollen. Um diese Ziel zu erreichen, muss gespart werden, wenn die Ausgaben für innere Sicherheit und Militär massiv ansteigen – und zwar an der Gesundheit, an Bildung, beim öffentlichen Dienst, an der Infrastruktur.

Ab 2019 tritt zusätzlich die sog. „Schuldenbremse“ in Kraft, die die „schwarze Null“ allen Ländern und Kommunen vorschreibt. Diese trifft vor allem jene Gemeinden und Länder, die ohnedies schon verschuldet sind oder deren Bevölkerung arm ist, also auch weniger Steuern zahlen kann/muss. Daher können sie wenig oder nichts investieren, müssen weiter an Infrastruktur, kommunalen Einrichtungen, Schulen, Jugendzentren, Freizeiteinrichtungen sparen – oder diese an InvestorInnen verscherbeln, die nicht an den Bedürfnissen der Bevölkerung interessiert sind, sondern an ihren Profiten.

Wir sehen: Es gibt viel, was falsch läuft. Doch während der Großteil der Gesellschaft mittlerweile darin versinkt zu diskutieren, ob man nicht am besten gleich alle Geflüchteten, die hier ankommen, abschiebt und wie viele Menschen man im Mittelmeer ertrinken lässt, gibt es auch jene, die etwas verändern wollen. Die Jugendlichen, die gegen die Privatisierung der Schulen, das Polizeiaufgabengesetz und vor allem gegen Rassismus auf die Straße gegangen sind, wollen aktiv werden. Sie alle sind unzufrieden mit der aktuellen Situation und wollen dies nicht stillschweigend hinnehmen. Deswegen gilt es, dieses Potenzial zu bündeln – die Frage ist nur: wie?

Wie?

Es bedarf einer klaren Perspektive. Es muss heißen: Wir belassen es nicht bei einer Aktion, sondern wir wollen unseren Protest ausweiten. Wir wollen größer werden und mehr Jugendliche ansprechen. Daher sollten wir weiter aufeinander positiv Bezug nehmen, die verschiedenen Aktionen bekannt machen, so dass die Jugendlichen wissen, dass es nicht nur in „ihrer“ Stadt oder an „ihrer“ Schule Protest gibt. Doch wir müssen auch weitergehen und die AktivistInnen aus den unterschiedlichen Städten miteinander vernetzen. Dazu müssen wir uns treffen und gemeinsam diskutieren, wie wir die unterschiedlichen Kämpfe miteinander verbinden können, wann wir eine neue Aktion planen und welche Forderungen wir ins Zentrum stellen wollen – quasi eine selbstorganisierte Aktionskonferenz. Das sind erste Schritte in die richtige Richtung, die getan werden müssen, damit es erfolgreich weitergeht. Doch damit wir wachsen, müssen wir uns fragen, was braucht es, damit nicht nur Hunderte oder Tausende, sondern die Masse an Jugendliche auf die Straße gehen?

Eine Bewegung entsteht selten im luftleeren Raum. Es bedarf Menschen bzw. Organisationen, die diese bewusst mit aufbauen.

Wenn wir eine Jugendbewegung aufbauen wollen, die sich gegen Rassismus, Militarismus und Spaßmaßnahmen richtet, um der Regierung Dampf zu machen, müssen sich auch andere Organisationen beteiligen. Das betrifft vor allem die Gewerkschaftsjugend, aber auch Studierenden- und SchülerInnenvertretungen. Außerdem sollten wir Jugendorganisationen von MigrantInnen, antirassistische, antisexistische und andere Initiativen junger Menschen einbeziehen. Und natürlich müssen auch alle linken Jugendorganisation – seien es die Linksjugend [‚solid], der SDS, die SDAJ, die Falken oder auch die Jusos aufgefordert werden, aktiv gegen die Angriffe der Regierungen, der UnternehmerInnen und der Rechten zu kämpfen und sich zu einem Aktionsbündnis zusammenzuschließen – nicht nur lokal, sondern als Bundesorganisationen. Schließlich sind die Probleme, die wir haben, nicht nur auf eine Stadt begrenzt, sondern betreffen uns überall.

Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass eine Bewegung nicht nur darauf basiert, dass man die Führungen von Organisationen zum Widerstand auffordert oder gemeinsame Aktionen verabredet. Wer Erfolg will, der muss sich auch lokal verankern und die Mobilisierung nutzen, um Basisarbeit an den Orten anzufangen, an denen wir uns bewegen müssen. Für uns Jugendliche sind das in erster Linie die Schulen, aber auch Berufsschulen, Betriebe und Universitäten. Dort müssen wir mit den AktivistInnen, die Interesse haben, sich an der Bewegung zu beteiligen und diese aufzubauen, diskutieren und Aktionen durchführen. Wir von REVOLUTION treten für den Aufbau von Streik- und Aktionskomitees ein, die Informationsveranstaltungen, Vollversammlungen und Widerstand organisieren. Warum? Weil auf diesem Wege auch Menschen erreicht werden, die bisher nicht politisch aktiv waren. Zusätzlich politisiert und polarisiert man an den Orten, an denen wir lernen, studieren, arbeiten oder eine Ausbildung machen müssen – und wirft Fragen im Alltag der Menschen auf.

Als REVOLUTION denken wir, dass eine Jugendbewegung notwendig ist, um gegen die aktuellen Missstände in diesem Land erfolgreich zu kämpfen. Deswegen wollen wir den Aufbau einer solchen Bewegung unterstützen und hoffen, dass dies auch andere Organisationen tun. Denn wenn wir flächendeckend gegen Abschiebungen und Rassismus, gegen die Zunahme der Repression und gegen die Sparmaßnahmen kämpfen wollen, braucht es mehr als ein paar kleine linke Organisationen, die ein paar Kampagnen zu diesen Themen machen.

In solch einer Bewegung treten wir als Organisation für Kritik- und Propagandafreiheit ein. Das heißt, dass alle beteiligten Organisationen auch untereinander Kritik üben und diskutieren können sowie ihre eigenen Materialien verteilen dürfen. Daneben wollen wir in so einer Bewegung für unser Programm eintreten. Das heißt, dass wir dafür sind, nicht nur gegen Abschiebungen zu kämpfen, sondern für offene Grenzen und StaatsbürgerInnenrechte für alle. Wir fordern nicht nur Abrüstung, sondern lehnen jede Finanzierung des staatlichen Gewaltmonopols, also der Polizei und Bundeswehr, nach dem Motto „Keinen Cent für Militarismus und Repression“ ab. Auch sind wir nicht nur gegen die zahlreichen Sparmaßnahmen, sondern für den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus, die Enteignung der WohnungsspekulantInnen, der großen Banken und Konzerne ein, für die Finanzierung unseres Gesundheits- und Bildungssystems durch Besteuerung der Reichen und Profite – unter Kontrolle der ArbeiterInnen, der MieterInnen und der Lernenden.

Dazu brauchen wir nicht nur eine breite Bewegung, sondern auch eine revolutionäre Jugendorganisation – one solution – REVOLUTION!




SchülerInnen demonstrieren gegen Privatisierung der Berliner Schulen

Rede der Gruppe ArbeiterInnenmacht am Berliner Schulstreik am 21. Juni, Infomail 1008, 21. Juni 2018

Solidarische Grüße an alle, die heute zum Schulstreik gekommen sind, um gegen die Teilprivatisierung von Schulgebäuden zu demonstrieren. Ihr wisst besser als ich, welche Auswirkungen, welche Folgen das für die SchülerInnen und Beschäftigen, für Lehrkräfte usw. haben wird.

Für die SchülerInnen, Beschäftigten, Eltern bedeutet es, dass die Kosten für den Erhalt der Schulen, für dringend notwendige Verbesserungen ausgelagert werden – in die Hand einer halb-staatlichen Gesellschaft, die die Schulen sanieren will, indem sie InvestorInnen, GeldgeberInnen sucht, denen sie rasche und große Profite verspricht. Doch wenn die Schule Profit machen soll, wird sie teurer für alle, die dort lernen oder arbeiten – sie wird noch schlechter für die Masse der SchülerInnen, weil sie vor allem für die teurer wird, die ohnedies schon wenig haben. Kinder aus ArbeiterInnenfamilien, Kinder von alleinziehenden Müttern, MigrantInnen und Geflüchtete.

Die Teilprivatisierung wird wenige Reiche noch reicher machen – die Masse der SchülerInnen, deren Eltern, die Beschäftigten an den Schulen müssen dafür zahlen durch Einsparungen bei Lehrmitteln, Gebäuden, bei Lohnkosten oder durch zusätzliche Gebühren.

Das ist keine Schwarzmalerei, wie der Senat behauptet. Es ist die Realität, wie wir sie schon bei andere Privatisierungen von Schulen, z. B. in Offenbach, erleben konnten. Es ist die Realität, wie wir es besonders drastisch bei der Privatisierung kommunaler Wohnungen erleben können. In den privatisierten Wohnungen müssen immer mehr Menschen höhere Mieten zahlen, mehr und mehr werden aus ihren Wohnungen verdrängt.

Wir wollen keine Schulen, die jetzt auch noch nach Profitinteressen betrieben werden sollen.

Der angeblich linke, rot-rot-grüne Senat gibt vor, dass er zur Teilprivatisierung wegen der sog. „Schuldenbremse“ gezwungen wäre. Die Schuldenbremse ist ein Gesetz, das die Bundesregierung vor Jahren beschlossen hat – angeblich, um Kommunen, Länder und Bund zu zwingen, die Schulden zu reduzieren und Geld zu sparen.

Dabei könnten die Schulden leicht auch anders abgebaut werden – nämlich durch eine massive Besteuerung der Reichen, durch eine entschädigungslose Enteignung von Wohnbaugesellschaften wie der „Deutsche Wohnen“. Die Schulden könnten reduziert werden, indem Geld nicht für rassistische Grenzkontrollen, Abschiebungen, Aufrüstung und Geheimdienste verbraten wird, sondern für Schulen, Wohnbau, Gesundheit und Freizeitangebote wie Jugendzentren verwendet wird.

Doch dazu müssten sich der Senat, müssten sich Linkspartei und SPD mit den Reichen anlegen. Klar, die RassistInnen der AfD, die NationalistInnen der Union werden ohnedies nichts tun. Sie vertreten die Politik des Kapitals, sie stehen für Konkurrenz, Profitmacherei, Rassismus und Aufrüstung. Doch auch die Senatsparteien setzen dem nichts entgegen, sondern akzeptieren die Vorgaben der Bundesregierung und der Herrschenden, als ob sie gottgewollt wären.

Dabei sind diese Vorgaben nichts als die Interessen des Kapitals, der großen Unternehmen, von Banken und Konzernen. In einer Zeit wachsender internationaler Konkurrenz und zunehmender imperialistischer Interventionen will auch Deutschland ganz vorne mitmischen. Die Politik der Bundesregierung dient dazu, die Profite des Kapitals zu sichern – sei es durch Interventionen im Ausland, rassistische Abschottung und Spaltung, sei es durch Sicherung der Profite und Öffnung neuer Geschäftsfelder wie die 750 Berliner Schulen, die jetzt auch zu Markt getragen werden sollen.

Der Senat will diese kapitalistische Ordnung nicht bekämpfen, sondern nur „besser“ gestalten, angeblich humaner verwalten. Das ist eine Illusion, eine Lüge. Kapitalismus, Rassismus, Konkurrenz können nicht wegreformiert werden. Wenn wir andere Schulen, ein anderes Bildungssystem, eine Welt frei von Rassismus und Kriegsgefahr wollen, dürfen wir nicht an den Kapitalinteressen und den Vorgaben der Bundesregierung haltmachen. Wir müssen Widerstand dagegen aufbauen.

Es gibt eine Alternative zum gegenwärtigen Schulsystem, aber diese wird nicht von den Regierungen kommen, sondern die müssen wir selbst erkämpfen: Nein zu jeder Privatisierung, ob im Ganzen oder nur in Teilen! Stattdessen: massive Investitionen in den Ausbau und die Sanierung der Schulen – bezahlt aus der Besteuerung der Reichen und Unternehmen. Eine Schule für alle ohne ständige Selektion, eine Schule ohne Abschiebungen und Rassismus – eine Schule unter Kontrolle der SchülerInnen, der Beschäftigten und Eltern.

Eine solche Schule wird uns nicht geschenkt, wir müssen sie uns erkämpfen. Lasst uns gemeinsam mit den Gewerkschaften, mit Initiativen wie dem Schultisch, mit den streikenden Studierenden, mit alle jenen, heute und morgen in anderen Städten für Bildung und gegen Rassismus auf die Straße gehen, aktiv zu werden. Gründet Aktionsbündnisse, SchülerInnenkomitees an Euren Schulen!

Der heutige Schulstreik und unsere Demonstration sind ein Anfang. Lasst uns gemeinsam mit allen anderen von Sozialabbau, Rassismus, Kürzungen, Privatisierungen Betroffenen eine gemeinsame Bewegung aufbauen!

Streik in der Schule, Uni und Fabrik – das ist unsere Antwort auf ihre Politik!