Gezeter um die Schuldenbremse: Auswirkungen und Hintergründe

Jürgen Roth, Infomail 1238, 12. Dezember 2023

Exemplarisch für die aktuelle Argumentation des Lagers der Hardliner nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil (siehe dazu: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/12/01/bundesverfassungsgericht-bremst-haushalt-aus-fiskalkrise-droht/) stellen sich die FDP-Spitzen gegen die Forderungen von SPD-Chefin Saskia Esken und des DGB, die Schuldenbremse auch für 2024 wegen noch nicht ausgestandener Energiekrise auszusetzen. „Wir werden jetzt gezwungen, mit weniger öffentlichen Subventionen die Wirtschaft zu modernisieren“, tönt ihr Finanzminister und Bundesvorsitzender Christian Lindner. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sekundiert, die Ausgabenwünsche der SPD begründeten sicher keine Notlage. Selbst im Lager der Wirtschaftsweisen bleibt jedoch die Schuldenbremse umstritten. Was sind die tieferen Hintergründe dieser Debatte? Welche Position sollte die Arbeiter:innenklasse beziehen?

Auswirkungen

60 Milliarden Euro werden bis 2027 dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) fehlen. Darunter fallen Projekte wie die Ansiedlung der Halbleiterchipfabriken von Intel bzw. TSCM in Magdeburg bzw. Dresden, aber auch die Wärmeversorgung der Kommunen und der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und Zusagen für Anschubfinanzierungen auf dem Klimagipfel. Klima- und Wirtschaftsminister Habeck (Bündnis 90/Grüne) verweist auf den irreparablen Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland und dessen internationale Wettbewerbsfähigkeit. Unter Verweis auf die Subventionspolitik Großbritanniens und den Inflation Reduction Act der USA spitzt er zu, die Vorhaben im KTF beträfen den „wirtschaftspolitischen Kern“ der BRD.

Da auch der Arbeitsmarkt Schleifspuren der schwachen Konjunktur zeigt, wächst auch der Bedarf an Arbeitsförderungsmaßnahmen. Im Berliner Abgeordnetenhaus warnt die Linksfraktion vor einer Neuauflage der Spar- und Privatisierungsorgien, wie sie kurz nach der Jahrtausendwende allerdings von der eigenen Partei mitgetragen wurden.

Doch woher die Mittel nehmen? Über Kürzungen an anderer Stelle im Etat, wie es FDP und Union fordern? Über Sondervermögen, Steuererhöhungen, Aussetzung oder gänzliche Abschaffung der Schuldenbremse? Um diese Punkte kreist die ganze Diskussion unter den staatstragenden Parteien.

Bundeshaushalt 2024: Attacken und Rettungsversuche

In der Bundestagsaussprache nach der Regierungserklärung des Kanzlers am 28. November wurde eines deutlich: Ein weiteres Aussetzen der Schuldenbremse über 2023 hinaus wird es mit Christenunion und AfD nicht geben. Das BVerfG hatte die nachträgliche Umwidmung von Sondervermögen, eigentlich Schattenhaushalten, ebenso untersagt wie die Mitnahme von nicht verbrauchten Haushaltsposten in folgenden Jahren. Die roten, nicht wählbaren Roben in Karlsruhe hatten sich damit wieder einmal als Blockierer:innen wie seinerzeit beim Berliner Mietendeckel betätigt, als Prellbock für jede ernsthafte Reform, geschweige denn Umwälzung. Das sei allen Linken ins Stammbuch geschrieben, die sich die Transformation zum Sozialismus auf schiedlich-friedlichem parlamentarischem Weg vorstellen!

CDU-Chef Merz setzte sich vehement gegen eine Erhöhung des Bürgergelds ab 1. Januar 2024 und für weitere Einschnitte im größten Posten, dem Sozialetat, ein. Dies war auch ein Wink mit dem Zaunpfahl an seine Parteikollegen im Ministerpräsidentenamt Berlins, Sachsens, Sachsen-Anhalts und Schleswig-Holsteins, die bemängelten, die Schuldenregel verhindere notwendige Investitionen. Auf der gleichen Klaviatur wie Habeck spielten die Fraktionsvorsitzenden von Grünen und SPD, während Linksfraktionschef – mittlerweile Chef ohne Fraktion – Bartsch einen konsequenten Abschied von der Schuldenbremse, aber auch mehr Einnahmen durch „gerechte Steuerpolitik“ forderte.

CSU-Chef Söder steht Merz und der FDP vehement zur Seite in puncto Bürgergelderhöhung und setzt noch einen drauf: Neu ankommende Ukraineflüchtlinge sollen kein Bürgergeld mehr bekommen und andere Geflüchtete erst nach 5 Jahren statt bisher 18 Monaten Anspruch auf Sozialleistungen erhalten.

Eigentlich sollte am 1. Dezember der nächste Haushalt verabschiedet werden. Nun mussten aber erste Anpassungsmaßnahmen für 2023 her. Das betraf Kredite aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) zur Finanzierung der Energiepreisbremse, wodurch die Nettokreditaufnahme des Bundes von 45,6 auf 70,6 Milliarden Euro stieg. Folglich wurde dies mit einer „außergewöhnlichen Notlage“ wie schon in den vergangenen 3 Jahren geltend gemacht. Schwieriger als die Umbuchung dieser längst ausgegebenen Finanzen wird die Aufstellung eines verfassungskonformen Bundesetats für 2024. Laut Lindner fehlen 17 Milliarden Euro plus 13 aus dem KTF. Er kündigte bereits an, die Strom- und Gaspreisbremsen mit Jahreswechsel statt erst Ende März 2024 auslaufen zu lassen. Weitere Möglichkeiten böten zusätzliche Kürzungen öffentlicher sowie Stärkung privater Investitionen und die Erhöhung der Kreditvergabe der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Analyst:innen der Berenberg-Bank rechnen mit einem Loch von insgesamt 130 Milliarden Euro für die Jahre 2024 – 2027.

Mittelfristig bleiben der Bundesregierung 5 Möglichkeiten, um aus der Malaise ständiger Etatnachbesserungen zu entfliehen. Erstens könnte die Schuldenbremse abgeschafft oder reformiert werden, wofür es bei Grünen, SPD und Linkspartei eine Mehrheit gibt. Sonst wäre nächstes Jahr nur eine Neuverschuldung von 15 Milliarden Euro erlaubt. Da FDP und Union dagegen sind, scheitert aber die dafür notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Grundgesetzänderung. Die 2. Möglichkeit bestände in Ausgabenkürzungen, die dritte in Steuererhöhungen, die vierte in neuen Sondervermögen, die zudem noch dieses Jahr und wohl ebenfalls mit Zwei-Drittel-Mehrheit verabschiedet werden müssten. Wahrscheinlich ist, dass sich die Koalition auf moderate Ausgabenkürzungen festlegen wird, z. B. bei öffentlichen Investitionen (Bahnausbau). Fünftens bliebe die 5. Ausrufung eines Notstandes in Folge. Es ist zu erwarten, dass sich der Konflikt innerhalb wie außerhalb der Ampelparteien genau darum zuspitzen wird. Die Berenberg-Bank rechnet mit einem Deal mit der Opposition: Die Union werde wohl einer Reform der Schuldenregel zustimmen im Gegenzug für weitere Verschärfungen des Asylrechts.

Die Gretchenfrage: Wie hältst du’s mit der Schuldenbremse?

Vielen gilt sie als Garantin solider Ausgabenpolitik, darunter Ex-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD)! Anderen wie der Deutschen Bank (!) erscheint sie bei der derzeitigen schwachen Konjunktur neben Steuererhöhungen als Wachstumsbremse. Die Arbeiter:innenbewegung ist gut beraten, die Argumente ihrer Kritiker:innen aufmerksam zu studieren. Sie wird dann feststellen, dass die allermeisten „Reformer:innen“ gar keine Einwände hegen, wenn es um die Ablehnung von Erhöhung oder auch nur Stabilisierung „konsumtiver“ Ausgaben z. B. für Soziales geht. Das eint sie mit den Befürworter:innen der Schuldenbremse mit dem Unterschied, dass Letztere gerne mit ihr als Totschlagargument gegen aufkeimende Kritik an Sozialkürzungen zu Felde ziehen.

Stellvertretend für die Riege der Reformer:innen verweist Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD, denn auch auf den Nutzen von Staatsausgaben für Investitionen in „die“ Wirtschaft. Ob der Bau von Schulen, Investitionen in Lehr- und Klinikpersonal dazugehören, darüber streitet sich selbst diese Riege, während neue Autobahnkilometer zweifellos gut angelegt seien. Kinder, Kranke und Klima müssen sich nämlich als Wachstumsressourcen erweisen, sprich neue Einnahmen generieren oder/und Kosten sparen. Gegner:innen wie die Freie Porschefahrer:innenpartei FDP bringen das Argument vor, nur Privatinvestitionen könnten Technologien entwickeln, welche sich dann auf dem Markt durchsetzten. Das Problem für den nationalen Gesamtkapitalisten Staat besteht allerdings darin, dass für die klugen, smarten Privatunternehmen in der gegenwärtigen Phase industriellen und technologischen globalen Wettbewerbs die Risiken viel zu groß sind. In dieser allen Kontrahent:innen heiligen Wirtschaftsordnung ist der Erfolg insbesondere kreditfinanzierter Investitionen ebenso stets unsicher wie der der Sparpolitik – staatlicher wie privater! Verschärft wird das Dilemma, für Marxist:innen aus dem Gesetz vom tendenziellen Fall der Durchschnittsprofitrate resultierend, noch dadurch, dass die Großmächte den mit Unsicherheiten en masse behafteten Job der kreditfinanzierten Schaffung von Wachstumsmärkten in Konkurrenz gegeneinander verfolgen. Also: Kein Vertrauen in linksbürgerliche Kritiker:innen der Schuldenbremse einschließlich linker Reformist:innen wie DIE LINKE!

Konsequente Kritiker:innen?

Am Rande sei angemerkt, dass die ganze Schuldendebatte die Tatsache der erstmals laut Creditreform seit 2019 in der BRD wieder zunehmenden Privatverschuldung ebenso ignoriert wie die wachsende Zahl sog. Zombiefirmen, deren Kreditneuaufnahmen nur dazu dienen, alte Schulden zu begleichen, ohne dass diese Umschuldungen sie wieder in die Gewinnzone führen können.

Es gereicht Joachim Rock, Abteilungsleiter Sozial- und Europapolitik beim Paritätischen Gesamtverband zur Ehre, dass er unbeirrt von der Engstirnigkeit der Verfechter:innen klassischer wie „alternativer“ keynesianischer Wirtschaftspolitik die Erhöhung des Bürgergelds verteidigt. Er weist nach, dass die Regelsätze für laufendes und kommendes Jahr noch auf Einkommens- und Verbrauchsstichproben aus dem Jahr 2018 stammen – vor der Inflation also! Er wehrt sich auch gegen die Wiedereinführung des 2010 gestrichenen Lohnabstandsgebotes, mit dem stets die Senkung von Sozialleistungen, nicht aber Lohnerhöhungen gerechtfertigt werden sollen. Zu Recht verteidigt er die Erhöhung des Mindestlohns und den Ausbau des Wohngeldes wie die Verdreifachung der Zahl von Anspruchsberechtigten darauf. Es ist völlig richtig, soziale Errungenschaften zu verteidigen, ohne auch nur der Logik der wirtschaftspolitischen Debatte im bürgerlichen Mainstream ein Jota an Zugeständnissen zu gewähren.

Das möchte auch Elsa Egerer tun, ihres Zeichens Dozentin an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz mit Schwerpunkten Plurale Ökonomik und nachhaltiger Gestaltung von Geld- und Finanzmärkten, was immer diese begriffliche Geschwulst auch bedeuten mag. Sie verortet die 2009 eingeführte Schuldenbremse, die die Neuverschuldung des Bundes auf 0,35 % des BIP begrenzt, als Folge der expansiven Fiskalpolitik, mittels der die damalige globale Finanzkrise bewältigt worden sei. Doch in der Folge verteidigt Frau Egerer zwar im Unterschied zu oben genannten Streithähnen und -hennen auch konsumtive Ausgaben, jedoch mit aus der Mottenkiste des Keynesianismus entlehnter Moderner Monetärtheorie:

„… beruht die Schuldenbremse auf einer einseitigen und fehlgeleiteten ökonomischen Lehre […] der ökonomische Sachzwang, der die Schuldenbremse vermeintlich erfordert, existiert nicht. […] Haushaltsregeln sind keine ökonomischen Faktizitäten, sondern das Ergebnis des politischen Willens. […] Geld hingegen muss entgegen der dominanten Erzählung nicht erwirtschaftet werden, sondern entsteht, wenn Kredite vergeben werden. Schuld ist in unserem System die Voraussetzung für Geld.“ (NEUES DEUTSCHLAND [ND], 25./26. November 2023, S. 3)

Die „Theorie“ dieser ökonomischen Märchentante würde schon beim Monopolyspiel scheitern, zur Erklärung der kapitalistischen Produktionsweise liefert sie erst recht nur Verdunklung.

Lasse Thiele (ND, 1. Dezember 2023, S. 8) ist beizupflichten, wenn er schreibt: „Natürlich muss die Schuldenbremse weg. […] Doch nicht nur die bisweilen sozialpartnerschaftliche Rhetorik der neuen konservativen Kritiker*innen gibt Anlass zum Misstrauen. Auch Mitte-links-Kritik an der Schuldenbremse wirkt wenig emanzipiert von Kapitalinteressen, hängt meist altem keynesianischen Denken an und vertritt oft platten Standortnationalismus.“ Er plädiert für größere politische Tabubrüche: Vermögens- und Erbschaftssteuern, Abbau fossiler Investitionen.

Auch seinen weiteren Ausführungen ist vollständig beizupflichten: „Das Geld zur Beseitigung sozialer und ökologischer Verwerfungen von den Profiteur*innen einzutreiben, ist besser, als es verzinst von ihnen zu leihen. Anders als der Diskurs derzeit suggeriert, würden sich Verteilungsfragen selbst mit einer aufgehobenen Schuldenbremse nicht erübrigen. Nicht nur, wie Spielräume geschaffen werden – durch Schulden, Steuererhöhungen oder Subventionsabbau –, sondern auch, wofür sie genutzt werden und wem sie zugutekommen, bleibt eine Frage politischer Kämpfe. […] Es bleibt richtig, sich als Linke breiten Bündnissen für die Aufhebung der Schuldenbremse anzuschließen. Doch braucht es darin auch eine eigenständige Position. Die sollte über standortnationalistische Sorge um ,unsere Wirtschaft’ hinausgehen, emanzipatorische Maßstäbe für Investitionen anlegen und nicht in der grün-kapitalistischen Wachstumslogik aufgehen, laut der man sich aus der Klimakrise bequem herausinvestieren könnte.“

Das objektive Fazit seiner Gedanken mag er jedoch nicht ziehen: Dieser Wunschzettel bedarf zu seiner dringend notwendigen Realisierung nicht des Weihnachtsmannes, sondern des gewaltsamen Sturzes und entschädigungsloser Enteignung der herrschenden Klasse und ebenso des Aufbaues einer sozialistischen Planwirtschaft!

Tanz ums goldene Kalb

Allem Gesagten fehlt ein zentraler Aspekt, der erst das Gezänk um die Schuldenbremse verständlich macht. Es ist der global entbrannte Kampf nicht nur um Wachstumspfade, sondern um die Rettung des Kapitalstocks und liquiden Vermögens und Einkommens zu seinen historischen Werten. Das übersehen auch viele sich auf den Marxismus berufende Zweifler:innen an der Gültigkeit des Gesetzes vom tendenziellen Fall der Profitrate und dessen immanenter Krisentendenz. Sie argumentieren, dass durch technologische Verbilligung des konstanten Kapitals die organische Zusammensetzung sinken und dadurch beschleunigte Akkumulation wieder einsetzen können. Sie ignorieren, dass dies ohne schlagartige, verheerende Entwertung des Anlagevermögens nicht zu haben sein wird. Und genau darum geht es eben auch bei der Schuldenbremse insbesondere in Zeiten, wo selbst die OECD mit alles anderem als einer „weichen Landung“ nach dem Pandemieschock und inmitten hartnäckiger Kerninflation, wachsender Verschuldung und Rezession im Euroraum und darüber hinaus rechnet.

Nachdem sich der kreditstimulierte Kasinokapitalismus zusehends seit 2008/2009 erledigt hat, droht ein Wettlauf darum, wer bzw. welche Macht zuerst sein/ihr fiktives Kapitals als realen Wert retten kann – Flucht in reale Sach- und Vermögenswerte, eben der Tanz um die Vergoldung des eigenen Kälberstalls.

Wenn die Börse in den USA bei der Quartalsmeldung über gestiegene Arbeitslosenzahlen zu einem Kursfeuerwerk abhebt, steckt dahinter die Spekulation, dass eine Rezession zu sinkenden Zinssätzen führen möge, die den Kurs der Geldanleihen in die Höhe treibt. Die Gläubiger:innen blieben dann besser im Geschäft auf Kosten des Bankrottes ihrer Konkurrent:innen und überdies kreditwürdiger und damit wachstumsträchtiger. Es geht also um ein Rattenrennen zur Verhinderung der Entwertung des Anlagevermögens, wenn sich zusehends Geld gebieterisch als Wertmaßstab und weniger als Zirkulationsmittel zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftskreislaufs zur Geltung bringt: Hic Rhodus hic salta! (Hier gilt es, hier zeige, was du kannst!). Die Schuldenbremse entbehrt also durchaus nicht der Logik für die Superreichen. Die Arbeiter:inneklasse muss nicht nur kapitalistischem Wachstum eine Absage erteilen, sondern ans Eingemachte heran: Konfiskation des Produktiv- und Geldvermögens mit Entschädigung nur für Kleinanleger:innen und -sparer:innen.

Brecht die Macht der Banken und Konzerne!

  • Weg mit der Schuldenbremse!

  • Nehmt DIE LINKE und linke SPD, vor alle aber: nehmt die DGB-Gewerkschaften beim Wort: Fordert die Einleitung von Kampfmaßnahmen bis hin zu politischen Massenstreiks und nötigenfalls Generalstreik gegen Sozialklau, Klimawandel, Rezession, Massenverarmung, Verfall der Infrastruktur (Wohnen, Gesundheitswesen, Bildung, öffentlicher Transport, Klimaschutz)!

  • Keine Rücksicht auf Koalitionsräson und konzertierte Aktion! Bruch mit den offen bürgerlichen Parteien und der „Partner:innenschaft“ mit Kapital und Kabinett!

  • Einberufung einer bundesweiten Aktionskonferenz , um einen Mobilisierungs- und Kampfplan gegen die Kürzungen zu diskutieren und zu beschließen!

  • Entschädigungslose Enteignung des Großkapitals, der Banken, Fondsgesellschaften und Großanleger:innen!

  • Entschädigung für Kleinsparer:innen und -anleger:innen!

  • Für einen Sanierungsplan gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Arbeiter:innenkontrolle und zu Tariflöhnen!

Ein Kampf gegen die laufenden und drohenden Angriffe darf und soll nicht nur auf Deutschland beschränkte bleiben, sondern muss sich auch gegen die gesamte Austeritätspolitik in der EU wenden. Dazu braucht es europaweit koordinierte Aktionen und politische Massenstreiks – Kämpfe, die ihrerseits die Machtfrage aufwerfen werden, für dies Kampforgane in den Betrieben und Stadtteilen braucht und der Perspektive der Arbeiter:innenregierungen verbunden werden müssen -für ein sozialistisches Rätedeutschland in einer Föderation der Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas!




TV-L: Die Forderung von 10,5 % und was sie wirklich aussagt

Mattis Molde, Infomail 1233, 14. Oktober 2023

Am 11. Oktober hat die Große Tarifkommission von ver.di die Forderung von 10,5 %, mindestens 500 Euro, aufgestellt. Exakt die gleiche Forderung wie beim TVöD.

Eine echte Diskussion war im Vorfeld nicht zugelassen worden. Auf allen Versammlungen wurden Beiträge zur Höhe der Forderung unterbunden oder gleich gar keine Diskussion vorgesehen. Stattdessen erfolgte eine „Befragung“, in der die Mitglieder jeweils individuell  vorgegebene Fragen beantworten konnten. Keine Diskussion, keine eigenen Vorschläge machen dürfen – das ist „Demokratie“ nach Art der Bürokratie!

Eine solche Art von gesteuerter „Diskussion“ erlaubte es der Führung, eine Forderung aufzustellen, die sie offensichtlich von vorneherein beabsichtigt hatte. Warum aber haben die Spitzenbürokrat:innen nicht im Vorfeld offen für diese geworben? Die Argumente, die sie jetzt vorbringen, hätten auch schon vor 2 Monaten den gleichen Wert gehabt:

  • dass der Öffentliche Dienst doch eine Gemeinschaft sei, egal ob Bund, Länder oder Kommunen,
  • dass die wirtschaftliche Lage ähnlich sei, die Inflation vielleicht sogar etwas zurückgegangen.

Ganz offensichtlich sollte nicht nur eine innergewerkschaftliche Debatte um die soziale Lage, um die Politik der Regierung, die diese mitverursacht hat, um die TVöD-Runde, in der die Gegenseite mal wieder das berüchtigte Schlichtungsabkommen zog – an dem die Bürokratie aber festhält, obwohl es der Gewerkschaft immer nur Nachteile verschafft –, und um einen Abschluss, der ohne richtigen Streik zu einer fetten Niederlage führte, vermieden werden. Statt der geforderten 10,5 %, mindestens aber 500 Euro bei einem Jahr Laufzeit, wurde folgendes vereinbart:

  • Inflationsausgleich von insgesamt 3.000 Euro in Teilzahlungen.
  • 1.240 Euro davon sind bereits in diesem Juni geflossen, weitere 220 Euro dann jeweils in den Monaten von Juli bis Februar 2024.
  • Zum 1. März 2024 sollen die Entgelte in einem ersten Schritt um einen Betrag von 200 Euro angehoben werden.
  • In einem zweiten Schritt soll der dann erhöhte Betrag noch einmal linear um 5,5 Prozent steigen. Die Erhöhung soll allerdings in jedem Fall 340 Euro betragen.
  • Die Laufzeit beträgt 24 Monate.

Dieses Ergebnis war und ist vor allem durch 2-jährige Laufzeit ein herber Reallohnverlust.

Was bedeutet die Forderung konkret?

Wenn man von einer Inflationsrate für 2022 von 8 % und für 2023 von 6 % ausgeht, wie es die ver.di-Oberen z. B. auf der Tarifbotschafter:innen-Versammlung am 11. Oktober getan haben, dann sind das zusammen knapp 14,5 %. Die letzte Tariferhöhung von 2,8 % wurde also komplett aufgefressen, und selbst 10,5 % in 12 Monaten könnten das nicht mehr wettmachen.

Wenn die ver.di-Spitze jetzt die gleiche Forderung für den TV-L aufstellt,  kann man davon ausgehen, dass sie den gleichen oder einen sehr ähnlichen Abschluss anstrebt bzw. damit zufrieden ist. Angesichts des schlechteren Organisationsgrades bei den Ländern haben die Bürokrat:innen an der Spitze auch schon ein wohlfeiles Argument, um die Verantwortung für einen noch schlechteren Abschluss abzuwälzen.

Was bedeutet dieses Vorgehen?

Das antidemokratische Vorgehen der Führung hat eine klare Botschaft: Wir entscheiden, wie die Forderung aussieht, wir entscheiden, ob und wie gekämpft wird, und wir entscheiden, was abgeschlossen wird.

Es bekräftigt die Aussage des TVöD-Tarifkampfes: Ihr könnt die Forderung von unten hochdrücken, ihr könnt Euch und Eure Kolleg:innen besser mobilisieren als die letzen 15 Jahre, wir drücken trotzdem das durch, was wir für richtig halten, was wir mit der Regierung in der Konzertierten Aktion vor einem Jahr abgesprochen haben, und wir werden es schaffen, uns durch „Befragungen“ oder „Voten“ eine Legitimation zu holen.

Es bekräftigt die Gesamtaussage aller großen Tarifauseinandersetzungen des letzten Jahres, dass, egal wie hoch der Organisationsgrad und die Kampfbereitschaft sind, sie schützen nicht davor, in Tarifverhandlungen von der Führung ausverkauft zu werden. Im Verlauf des letzten Jahres haben Chemie, Metall, TVöD, Post und EVG sehr ähnliche Abschlüsse erzielt. Viele Gewerkschaften, aber eine Politik!

Was bedeutet dies für kämpferische Gewerkschafter:innen?

Es darf keinesfalls bedeuten, jetzt auf den Tarifkampf zu verzichten. Das würde gerade den rechten Bürokrat:innen in der Gewerkschaft entgegenkommen. Die verzichten gerne auf kämpferische Leute und stützen sich auf Trägheit und Gehorsam.

Zum Zweiten würde die Gegenseite eine Schwäche der Gewerkschaft sofort ausnutzen, einen noch schlechteren Abschluss durchzudrücken.

Für uns kommt es darauf an, den Kampf für ein gutes Ergebnis damit zu verbinden, die Kolleg:innen in unseren Betrieben zu aktivieren, zur Kritik an der Gewerkschaftsbürokratie anzuregen und diese auch in die Gewerkschaft gemeinsam hineinzutragen. Wir müssen in der Tarifrunde darum kämpfen, dass die Mobilisierung unter Kontrolle der Basis stattfindet, es keinen Abschluss ohne deren Zustimmung geben darf. Wir müssen uns klar vor Augen halten, dass wir nur dann die Forderungen durchsetzen können, wenn wir uns nicht auf Geheimverhandlungen einlassen, sondern möglichst rasch zur Urabstimmung und zu einem flächendeckenden Streik kommen. Natürlich wird das schwer, aber wir müssen dafür nicht nur breit im öffentlichen Dienst mobilisieren, sondern die Auseinandersetzung verbreitern und gemeinsam mit anderen Gewerkschaften führen.

Dazu ist nötig, dass wir uns auf allen Ebenen vernetzen und eine oppositionelle, klassenkämpferische Basisbewegung aufzubauen, so dass wir von kritischen Betriebsgruppen zu einer bundesweiten ver.di-Opposition z. B. im Rahmen der VKG kommen. Nur so können wir die Tricks und Manöver der Bürokratie erkennen und bekämpfen und einen wirklichen Kurswechsel in den Gewerkschaften herbeiführen.




Bundeshaushaltsentwurf: Kürzungshammer kommt

Jürgen Roth, Neue Internationale 277, Oktober 2023

Bereits vor der Debatte des Haushaltsentwurfs für 2024 in der 1. Lesung des Bundestags, unmittelbar nach der Ampelklausur machte die FDP deutlich, dass die Reform der Kindergrundsicherung die letzte große sozialpolitische Reform dieser Legislaturperiode bleiben werde.

Union und FDP vereint gegen Arme

Mitnichten handelt es sich dabei um eine „große sozialpolitische Reform“. Darauf werden wir an anderer Stelle ausführlich eingehen. FDP-Generalsekretär Biran Djir-Sarai führte als Begründung für erforderliche Sparmaßnahmen hohe Zinsen und Inflation an. Sekundiert wurde er von CDU-Fraktionschef Merz und seinem Vize Spahn. Laut Merz ist die Ursache dafür, dass so viele Kinder in „prekären Verhältnissen“ leben, mangelnde Bildung und Ausbildung. Ständig höhere Transferleistungen könnten daran nichts ändern. Ins gleiche Horn tutete Spahn mit seiner Kritik an der Erhöhung des Bürgergelds – um sagenhafte 61 Euro wohlgemerkt! Merz sieht hierin eine Gefährdung des Lohnabstandsgebots. Die mickrige Erhöhung des Mindestlohns von 12 auf 12,41 Euro wurde von ihm natürlich nicht kritisiert, denn dem Abstandsgebot wäre mit einer deutlicheren Erhöhung auf 14 Euro wie von der LINKEN gefordert besser Rechnung getragen worden. Aber da sind sich alle 3 Herren ja einig: Es geht ihnen um Kürzung bei den Armen und Lohnarbeiter:innen generell. Gefördert werden müssen für sie „die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ – sprich, das Kapital!

Haushaltskonturen

Gleich zu Beginn der 1. Lesung gab der federführende Bundesfinanzminister Christian Lindner die Marschroute vor. Die Zeit der krisenbedingten Mehrausgaben mit „Doppelwumms“, Sondervermögen und Co. wegen Coronakrise und Explosion der Strom- und Heizkosten mit Entlastung für die Bürger:innen, v. a. aber die Unternehmen, sei vorbei.

Geplant sind Ausgaben des Bundes in Höhe von 445,7 Mrd. Euro, 30 Mrd. weniger als in diesem Jahr. Im kommenden rechnet Linder mit 37 Mrd. Euro Kosten allein für Schuldzinsen, einer Verzehnfachung im Vergleich zu 2021. Mit einer Neuverschuldung von 16,6 Mrd. will er das 2. Jahr in Folge die Schuldenbremse einhalten. Diese untersagt de facto ab 2011 eine Nettoneuverschuldung der Gebietskörperschaften.

Zugleich sollen die Unternehmen 2024 mit dem kürzlich vom Kabinett verabschiedeten „Wachstumschancengesetz“ um 7 Mrd. Euro entlastet werden. Einsparungen gibt es dafür beim Sozialen und den Bundeszuschüssen für Renten- und Pflegeversicherung. Letztere sollen komplett entfallen. Ab 2028 seien noch drastischere Einschnitte nötig, wenn die Coronakredite zurückgezahlt werden müssten und das Bundeswehrsondervermögen aufgebraucht sei.

Für Redner:innen der Union ging der Haushaltsentwurf zwar in die richtige Richtung, doch müsse der Finanzminister die Regierung „auf Kurs bringen“. Den Fraktionen von Union und AfD geht die Wirtschaftsförderung dagegen nicht weit genug und auch Kürzungen könnten in vielen Bereichen drastischer ausfallen.

SPD und Grüne stellten sich grundsätzlich hinter die Vorlage, kündigten aber Verbesserungen in den kommenden Haushaltsberatungen an. Allerdings sei der Spielraum durch die Rückkehr zur Schuldenbremse geringer geworden.

Für die Linksfraktion kritisierten Gesine Lötzsch und Janine Wissler vor allem die Mehrausgaben für Verteidigung. Bildung und Gesundheit müssten bluten und eine wirkliche Kindergrundsicherung werde unterbleiben, weil man nicht Reiche höher besteuern und die Schuldenbremse aussetzen wolle. DIE LINKE forderte auch als einzige Fraktion höhere staatliche Ausgaben und v. a. Investitionen in Klimaschutz, Bildung und für eine Verkehrswende.

Einzelhaushalte

Bei der abschließenden Beratung im Rahmen der 1. Lesung am 8. September ging es im Parlament noch einmal hoch her. Insbesondere drehte sich die Deabtte um den Etat des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), des mit Abstand größten Postens. Er soll im kommenden Jahr 171,67 Mrd. Euro umfassen. Fast drei Viertel davon entfallen auf Pflichtzahlungen (Rente, Alters- und Erwerbsminderungsgrundsicherung). Fast ein Viertel verschlingt die Grundsicherung für Arbeitsuchende (43,3 Mrd.). Der winzige Rest entfällt auf die Förderung der Integration von Behinderten. Für das Bürgergeld sind nur 540 Mio. Euro mehr vorgesehen. Der Sozialetat ist der einzige neben dem für Verteidigung, in dem Erhöhungen vorgesehen sind, allerdings nur um 5,44 Mrd.

Einmal mehr echauffierten sich Union und AfD über die Erhöhung des Bürgergelds und den zu geringen Lohnabstand. Ressortchef Heil (SPD) konterte mit dem Verweis, diese Kritiker:innen könnten sich ja für höhere Löhne einsetzen. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) musste ihm beipflichten. Die Kürzungen bei den Verwaltungskosten der Jobcenter betragen 200 Mio. Der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst verursacht dort aber Mehrkosten von 300 Mio., so dass zu befürchten ist, dass sie aus den Töpfen für die Eingliederungshilfen beglichen werden und folglich den Erwerbslosen nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Grünen monierten, dass zukünftig 700.000 Arbeitslose unter 25 Jahren zur Arbeitsagentur wechseln sollen und damit nicht aus Steuern, sondern von der Arbeitslosenversicherung finanziert werden sollen. Damit würde der BMAS-Etat um 1 Mrd. Euro entlastet.

Heil kündigte ein Rentenpaket an und verwahrte sich gegen die Forderung von Merz, das Renteneintrittsalter weiter zu erhöhen. Wissler sprach von einem „Kahlschlag“ angesichts der geplanten Einschnitte bei den Zuschüssen zur Sozialversicherung, Jugendlichen und politischer Bildung sowie der finanziellen Minimalausstattung für die Kindergrundsicherung – 2,4 statt der geforderten 12 Mrd. Am 1. Dezember soll der Bundeshaushalt nach der 2. Lesung verabschiedet werden.

Außer im sozialen Bereich sind auch woanders teils drastische Kürzungen vorgesehen. Humanitäre Hilfe (beim Auswärtigen Amt) soll 1 Mrd. weniger erhalten (- 36 %). Dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unter Svenja Schulze (SPD) sollen 276 Mio. Euro für die Krisenbewältigung genommen werden (- 22 %), sein Gesamtetat schrumpft um 5 %. Die Ausgaben für Klimaanpassung vermindern sich um ein Drittel. Erhebliche Minderausgaben kommen auf den Katastrophenschutz zu (90 Mio., – 23 %), das Technische Hilfswerk erhält 10 % weniger. Die Anwohner:innen im Ahrtal wird’s freuen!

Weitere Einsparbeispiele: Bundesfreiwilligendienst (53 Mio., – 25 %), Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt an Kindern werden halbiert. Mittel für die Umsetzung der UN-Konvention betr. Rechte von Menschen mit Behinderungen werden um 13 % zurückgefahren, Kinder- und Jugendplan (- 44,6 Mio., – 19 %), Bafög (- 25 %), Müttergenesungswerk und Familienferienstätten (-  93 %).

Gewinner

Um 1,7 Mrd. auf 51,8 Mrd. Euro steigt der Einzelplan 14 (Verteidigung). Insgesamt belaufen sich die Mittel fürs Militär zusammen mit den Anteilen aus dem Sondervermögen (19 Mrd.) und Ausgaben für Rüstung und Truppe aus anderen Ressorts (14 Mrd.) aber auf stattliche 85 Mrd. Euro. Minister Pistorius (SPD) hätte lieber 10 Mrd. mehr als 2023 kassiert, verwies aber darauf, dass erstmals das von der NATO vorgegebene Ziel von Rüstungsausgaben in Höhe von 2 % des BIP erreicht seien. Bundeskanzler Scholz (SPD) versicherte, dies sei auch zukünftig garantiert. Die Unionsparteien waren damit nicht zufrieden. Es seien damit nur die Personalmehrkosten gedeckt und 2 % vom BIP gälten mittlerweile als Untergrenze.

Deutschland ist nach den USA zweitgrößter militärischer Unterstützer der Ukraine. Die Militärhilfe beläuft sich bis jetzt auf 22 Mrd. Euro. Bis Ende des Jahres wird es auch 10.000 ukrainische Soldat:innen ausgebildet haben. Die BRD müsse hier die Führung übernehmen, so Pistorius. Assistiert wurde er von einer (oliv)grünen Rednerin, die auf die „wertebasierte Ordnung des Westens“ große Stücke hielt, die Ordnung des Mehrwerts eben, des Profits. Redner:innen der Linksfraktion warnten vor einem neuen Wettrüsten, den Auswirkungen von Krieg und Zerstörung auf die Umwelt. Treffend war der geschichtliche Vergleich mit Sparkanzler Brüning, dessen Austeritätspolitik das Ende der Weimarer Republik einläutete.

Genau das droht uns, wenn wir diesem Streichorchester nicht in den Arm fallen. Rüsten wir uns auch!




Nieder mit Lindner – Keine Kürzung bei den Arbeitslosen!

Jonathan Frühling, Infomail 1192, 11. Juli 2022

Es kam, wie es kommen musste: Nachdem in der Coronapandemie Milliarden an die Wirtschaft ausgeschüttet und Schulden über 100 Mrd. für Kriegsmaterial aufgenommen wurden, zeichnen sich jetzt erste Vorstellungen über Kürzungen des Staatshaushalts ab. Das soll dafür sorgen, dass die Schuldenbremse 2023 zum ersten Mal seit 2019 wieder greifen kann.

Vorerst hat Finanzminister Christian Lindner die Brotkrumen der Arbeitslosen im Visier. Es sollen ab 2023 nur noch 4,2 Millionen statt wie bisher 4,8 Mrd. für die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen ausgegeben werden – ein sattes Minus von 609 Millionen. Das Geld wird momentan für staatlich finanzierte Jobs in der freien Wirtschaft für Langzeitarbeitslose ausgegeben. 42.000 Beschäftigte würden so ihren Lebensunterhalt verlieren.

Selbst aus der SPD kommen Stimmen, die die Wirtschaftlichkeit dieses Vorhabens kritisch sehen. Die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen kann nämlich helfen, den Fachkräftemangel in Deutschland abzudämpfen. Das Ergebnis des „sozialen Arbeitsmarktes“ gilt zudem als erfolgreich. Auch sind Wiedereingegliederte nicht mehr auf Sozialleistungen angewiesen, weshalb selbst die CDU den Vorschlag des Krawall-Neoliberalen Lindner ablehnt.

Doch bei nüchterner Betrachtung stellt sich auch die Frage, wieso der Staat das Kapital überhaupt von unseren Steuergeldern dafür bezahlt, Langzeitarbeitslose einzustellen. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um eine Lohnsubvention des Staates an die Wirtschaft. Besser wäre hier der Zwang zur Einstellung bei vollen tariflichen Entgelten statt Geldgeschenken. Außerdem ist das Geld, was dadurch jährlich eingespart wird, eher marginal. Die Ankündigung Lindners erfolgt also vor allem aus dem Grund, weiter den Druck auf die Arbeiter:innenklasse zu erhöhen, wodurch Langzeitarbeitslosigkeit in Zukunft wahrscheinlich den lebenslangen wirtschaftlichen Ruin bedeuten wird. Außerdem verknüpft er den Vorschlag demagogisch mit der Ablehnung von Steuererhöhungen, um so auf Kosten der Ärmsten der Armen Sympathien für seine Partei zu holen. Es wird also in neoliberaler Manier schön nach unten getreten.

Dabei sind Steuererhöhungen genau das, was wir brauchen – und zwar bei den Reichen! Statt das menschenunwürdige Hartz-IV-System weiter zu beschneiden, sollte die Regierung das Geld bei denen holen, die es im Überfluss haben. Die Besitzer:innen und Manager:innen von VW, Bayer und Co. müssen sich nämlich keine Angst über einen kalten Winter oder steigende Lebensmittelpreise machen. Außerdem gibt es noch immer umweltschädliche Subventionen für Diesel oder Kerosin. Hier muss der Rotstift dringend angesetzt werden.

Bei den Kapitalist:innen dagegen mangelt es vielleicht hier und da an Materialien und Vorprodukten, aber sicher nicht an Zuwendungen durch die Regierung und vielerorts auch nicht Profiten. Dem „Rest“ der Bevölkerung steht hingegen ein kalter Winter bevor. Während das Gasangebot sinkt, steigen die Preise enorm. Viele werden sich eine warme Wohnung nicht mehr leisten können. Nebenbei frisst die Inflation Löhne und Sozialleistungen auf. Auch hierzulande verringert sich der Lebensstandard. Um Lindner sein eigenes Argument vorzuhalten: Wir können uns weitere Kürzungen nicht leisten!

Die angekündigten Maßnahmen werden nur die ersten einer ganzen Reihe von Angriffen auf die Arbeiter:innenklasse darstellen, die in Zukunft folgen werden. Sie verdeutlichen einmal mehr, wie die sog. Fortschrittsdiskussion tickt. Es ist wichtig, für diese gegenwärtige und drohende Gefahr das Bewusstsein der Massen zu schärfen.

Regierung und Kapital stimmen Deutschland bereits darauf ein, dass die „fetten Jahre“ vorbei sind. Für Hartz-IV-Empfänger:innen und die über 20 %, die prekär beschäftigt sind, klingen diese Formulierungen sowieso wie Hohn. Lasst uns also dafür sorgen, dass vor allem für das Kapital die fetten Jahre der Bereicherung vorbei sind!

Wer die Krise bezahlen wird, ist noch nicht entschieden. Das werden wir noch auf den Straßen und in den Fabriken mit Streiks und Demonstrationen ausfechten müssen. In diesem Kampf stehen besonders die Gewerkschaften in der Pflicht. Sie müssen endlich mit der Politik der Partnerschaft mit Kapital und Regierung brechen und stattdessen für wirtschaftliche, soziale und politisch Forderungen mobilisieren, die unsere Lebensbedürfnisse sichern.




Tarifrunde Öffentlicher Dienst: Gebt uns fünf!

Christian Gebhardt, Neue Internationale 260, November 2021

Gebt uns fünf! So lautet eine Forderung der derzeit laufenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst der Länder: 5 % mehr Lohn, mindestens 150 Euro und eine Laufzeit von einem Jahr. Zusätzlich zu diesen Hauptpunkten fordern die beteiligten Gewerkschaften – allen voran die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di – 100 Euro mehr für alle Auszubildenden, eine Höhergruppierung der Beschäftigten sowie einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte neben besseren Arbeitsbedingungen für prekär beschäftigte Hochschulangestellte.

Klingen 5 % mehr Lohn bei einer Tariflaufzeit von einem Jahr zunächst einmal sehr radikal, vergeht einem das Lachen innerhalb von Minuten, wenn man dies mit der aktuellen Inflation von über 4 % vergleicht. Gleichzeitig steht natürlich wie bei jeder Tarifverhandlung auch noch die Frage im Raum, ob es überhaupt zu einem Abschluss von 5 % kommt oder  die Gewerkschaften Kompromisse eingehen und entweder bei der Frage der Prozente zurückschrauben oder die Vertragslaufzeit verlängern werden.

Gerade für die unteren Lohngruppen spielt der finanzielle Aspekt eine zentrale Rolle. Schon in den letzten Jahren blieben große Teile des öffentlichen Dienstes mehr und mehr hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung zurück. Die Preissteigerung lebensnotwendiger Güter wie Wohnung, Heizung und Strom liegt zudem noch deutlich über der Inflationsrate, sodass eigentlich 5 % längst nicht genug sind, um die Kaufkraft zu halten. In Anbetracht dieser Fakten müsste eigentlich ein Plus von 8 – 10 % gefordert werden.

Führung der Kampagne

Dabei ist der finanzielle Aspekt der Tarifrunde für viele KollegInnen längst nicht das einzige, für manche nicht einmal das drängendste Problem.

Die KollegInnen im öffentlichen Dienst – vom Gesundheitswesen, über Verwaltungen bis hin zum Bildungswesen stehen angesichts der Inflation voll hinter den monetären Forderungen. Jedoch spielen die Fragen des Gesundheitsschutzes, der weiteren Strategie der Pandemiebekämpfung, der Arbeitsüberlastung und des Personalmangels eine zentrale, wenn nicht die entscheidende Rolle im Alltagsgeschäft – und faktisch keine in der Tarifrunde.

Die ersten zaghaften Mobilisierungen der LehrerInnen in Berlin rund um die Initiative „Tarifvertrag Gesundheit“ sowie die lang anhaltenden Arbeitskämpfe in den Berliner Krankenhäusern haben gezeigt, dass diese Themen den Beschäftigten wichtig sind und sich auch darum mobilisieren lässt. Warum wurde dies aber nicht zum bundesweiten Fokus der derzeitigen Tarifverhandlungen gemacht bzw. lokal in die Kampagne integriert? Wieso hält sich die Berliner GEW derzeit mit ihrer Mobilisierung rund um ihre Forderungen nach einem „Tarifvertrag Gesundheit“ zurück und verschiebt weitere Aktionen ins nächste Jahr?

Das Argument der Gewerkschaftsführungen lautet hier, dass Forderungen nach Gesundheitsschutz in dieser Tarifrunde nicht verhandlungsfähig wären, d. h. diese „Punkte“ würden derzeit nicht zur Diskussion auf dem Tisch liegen. Hier wird aber gerne vergessen, dass es auch die Gewerkschaftsführungen sind, die die Diskussionspunkte und Schwerpunkte beschließen. Somit könnten sie auch Gesundheitsfragen auf die Tagesordnung setzen und zum Fokus dieser Verhandlungsrunde erklären.

Ein solcher zusätzlicher Schwerpunkt der Verhandlungsrunde würde aber bedeuten, dass die Gewerkschaftsführungen mit ihrer derzeitigen Strategie im Umgang mit der Pandemie brechen müssten: die Ausfüllung ihrer Rolle als stillhaltende SozialpartnerInnen! Hierbei stellen sie sich eng an die Seite der Regierung sowie des Kapitals und malen das Bild einer gemeinsam notwendigen Anstrengung, um die Coronapandemie zu überwinden. Dies bedeutete für die Beschäftigten letztes Jahr absolute Passivität auf der Straße, Nullrunde, erhöhten Arbeitsaufwand bzw. Mehrarbeit im Beruf und gesundheitlich unsichere Arbeitsbedingungen. Jetzt, wo die Regierung den pandemischen Notstand für beendet erklärt, zeigt sich das Fatale der SozialpartnerInnenschaft erneut. Die Beschäftigten müssen sie in Form erhöhter Gesundheitsrisiken und zusätzlicher Belastung nicht nur in den Krankenhäusern, sondern auch in den Kitas oder Schulen ausbaden.

Die Gewerkschaftsspitzen wiederum sind nicht daran interessiert, diese Strategie aktiv zu ändern. Ein Ausdruck dessen ist hier das Ausklammern der Arbeits- bzw. Gesundheitsschutzfragen in der laufenden Tarifrunde.

Die GEW

Exemplarisch lässt sich dies am Verhalten der GEW erkennen. Sie stellt während der Tarifverhandlungen die kleine Partnerin neben der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di dar, welche auch den Verhandlungsvorsitz innehat. Ver.di gibt somit den Ton vor und die anderen Gewerkschaften haben sich daran zu orientieren. Dies wird innerhalb der GEW gerne als Ausrede verwendet, um ihre Inaktivität damit zu begründen, dass ver.di alles vorgibt und sie selbst „nichts zu sagen hätte“. Aber auch hier muss wieder kritisch die Frage gestellt werden: „Warum tritt die Gewerkschaftsführung der GEW nicht aktiver auf?“

Ihre oben schon angesprochene Initiative in Berlin „Tarifvertrag Gesundheit“ wäre eine gute Möglichkeit, um sich nicht nur als aktive Gewerkschaft während der Tarifverhandlungen darzustellen, sondern auch ein Thema zu besetzen, welches den Beschäftigten wichtig ist und um das auch größere Mobilisierungen durchgeführt werden könnten. Auch wenn der Punkt „Gesundheit“ in den Tarifverhandlungen nicht „auf dem Tisch liegt“, könnte die GEW dies als „Begleitmusik“ ihrer Tarifkampagne in den Fokus stellen und die beiden Themenkomplexe wirtschaftliche Forderungen und Gesundheitsschutz miteinander verbinden. Sie könnte es nicht nur in Berlin zur Mobilisierung nutzen, sondern auch Solidaritätsaktionen für die Berliner Initiative in weiteren Bundesländern fördern, um den Berliner KollegInnen solidarisch bei ihrem Kampf um den „Tarifvertrag Gesundheit“ zur Seite zu stehen, wie auch eine Debatte in anderen GEW-Landesverbänden zu diesem Thema anstoßen und einen Vorstoß „Tarifverträge Gesundheit“ auf Bundesebene lancieren.

Eine solche Initiative müsste, ja dürfte sich nicht nur auf die GEW begrenzen, sondern sollte innerhalb der DGB-Gewerkschaften auf Bundesebene kommuniziert und vorbereitet werden. Hierfür könnten ebenfalls die derzeitigen Tarifverhandlungen genutzt werden, um die Debatte unter den KollegInnen verschiedener Gewerkschaften zu organisieren und zu strukturieren.

Digitale Kampagne?

In den Jahren seit dem Ausbruch der Pandemie spielten aber nicht nur das Thema Gesundheitsschutz eine wichtige Rolle im Arbeitsalltag der KollegInnen, sondern auch die Frage, ob Aktionen auf der Straße überhaupt legitim sind und wir uns nicht eher nur im digitalen Rahmen aufhalten sollten. Wie die katastrophale Fehlentscheidung der Gewerkschaften, die Erster-Mai-Mobilisierungen 2019 nicht stattfinden zu lassen, gezeigt hat, ist eine aktive Mitgliedschaft auf der Straße von großer Bedeutung. Wie wird aber die derzeitige Tarifkampagne geführt? Kurz gesagt: Altbekannte Tarifrituale werden mit Onlinekampagnen garniert!

Als Beispiel kann hier wieder die GEW dienen. Anstatt aktiv auf die Belegschaft zuzugehen und in Diskussionsveranstaltungen und Mitgliederversammlungen die Tarifrunde zu verbreitern und führen, wird dafür eine externe Agentur engagiert. Anstatt dies in die Hände der KollegInnen zu legen, wird es der Berliner Agentur „Ballhaus West“ überlassen. Dadurch wird gewährleistet, dass die Gewerkschaftsführung politisch die Kontrolle über die Kampagne behält und die Schwerpunkte vorgeben kann. Dass eine solche von oben aufgestülpte „Mobilmachung“  von den KollegInnen nicht angenommen wird, zeigt auch eindrücklich die Resonanz auf die Onlinekampagne der GEW in den „sozialen“ Medien. Bis zum 30.10.21 haben sich gerade einmal 393 AbonnentInnen in den Telegram-Informationskanal der GEW für die laufende Tarifrunde verirrt. Eine aktive Beteiligung der Belegschaft bundesweit wie auch eine Mitgestaltung dieser sieht anders aus.

Raus auf die Straße – Aufbau von Streikkomitees!

Den obigen Punkten wird als Argument schnell entgegengebracht: „Wie sollen sich denn die VerhandlungsführerInnen neben den Verhandlungen auch noch um das alles kümmern?“ Wir würden entgegnen: „Das müssen sie gar nicht! Es müssen Basisstrukturen in den jeweiligen Betrieben, Einrichtungen und Verwaltungen aufgebaut werden.“ Diese könnten nicht nur Streikmobilisierungen für die derzeit laufenden Tarifverhandlungen unterstützen, vorbereiten und durchführen, sondern auch Solidaritätsarbeit mit der Bevölkerung entfachen, Gespräche mit betroffenen Menschen wie z. B. Eltern oder PatientInnen führen. Man darf sich ruhig ein Beispiel an der vorbildlichen Öffentlichkeitsarbeit im Berliner Krankenhausstreik nehmen, der zeigte, wo’s langgehen kann.

Gleichzeitig könnten solche, den Mitgliedern verantwortliche und von diesen gewählte  Streikkomitees auch den Kontakt zu KollegInnen unterschiedlicher Gewerkschaften innerhalb eines Betriebes bzw. einer Bildungseinrichtung aber auch darüber hinaus organisieren. So könnten Themenfelder und Forderungen gemeinsam erarbeitet werden, um mobilisierungsstark und dynamisch die Tarifrunde zu führen.

Eins ist klar: Die 5 % werden auch nur durch eine starke Gewerkschaft auf der Straße und durch einen massiven, bundesweiten und unbefristeten Streik durchgesetzt werden können, ganz zu schweigen von anderen Forderungen wie nach besserem Gesundheitsschutz.

Daher müssen kämpferische GewerkschafterInnen, Basisversammlungen, Betriebsgruppen und andere gewerkschaftliche Strukturen auch dafür kämpfen, dass es keine Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, keine Geheimabsprachen mit den Arbeit„geber“Innen gibt. Die Verhandlungen sollten vielmehr öffentlich übertragen werden.

Zweitens sollten die Gewerkschaften zur Kenntnis nehmen, dass es ohne große Mobilisierung keinen Abschluss geben kann, der die Löhne auch nur sichert. Ver.di und GEW sollten daher so rasch wie möglich die Verhandlungen für gescheitert erklären und die Urabstimmung einleiten.

Belegschaftsversammlungen, Wahl und Abwählbarkeit von Tarifkommission und Streikkomitees sind dabei unerlässlich, um den Kampf zu organisieren und demokratisch zu kontrollieren; um sicherzustellen, dass am Ende keine faulen Kompromisse, sondern Abschlüsse herauskommen, die die Lage der Beschäftigten verbessern und deren Kampfkraft stärken.




Tarifrunde öffentlicher Dienst Länder: Klotzen nicht kleckern!

Susanne Kühn, Neue Internationale 258, September 2021

Fünf Prozent mehr Gehalt – mit dieser Forderung gehen die Gewerkschaften für die 1,3 Millionen Landesbeschäftigten in die kommende Tarifrunde. Die Laufzeit soll 12 Monate betragen und die Gehaltserhöhung für die unteren Einkommensgruppen mindestens 150,- Euro. Beschäftigte des Gesundheitswesens im öffentlichen Dienst der Länder sollen tabellenwirksam monatlich 300 Euro mehr erhalten. Die Ausbildungsvergütungen sollen um 100 Euro angehoben werden, für studentische Beschäftigte soll es einen Tarifvertrag geben.

Darüber hinaus strebt ver.di einen separaten „Verhandlungstisch“ Gesundheitswesen an, um weitere Verbesserungen für die Beschäftigten auszuhandeln. Die GEW will endlich eine bessere Eingruppierung für viele angestellte Lehrerinnen und Lehrer unterhalb der Entgeltgruppe 13 erreichen – eine Forderung, die bei der letzten Tarifrunde faktisch geopfert wurde.

Ver.di und GEW führen die Verhandlungen, deren erste Runde für den 8. Oktober angesetzt ist,  gemeinsam mit GdP, IG BAU sowie DBB Beamtenbund und Tarifunion.

Einschätzung der Forderungen

Fünf Prozent hören sich auf den ersten Blick ganz gut an. Doch angesichts einer prognostizierten Inflationsrate von 2,4 % für das Jahr 2021 fällt der Einkommenszuwachs längst nicht so großartig aus, selbst wenn die volle Forderung durchgesetzt werden würde. Hinzu kommt, dass auch im öffentlichen Dienst im letzten Jahr die Einkommen stagnierten und die Arbeitsbelastung insbesondere im Gesundheitswesen, bei LehrerInnen und ErzieherInnen massiv zunahm. Gut hört sich auch an, dass der Tarifvertrag 2021 im Gegensatz zum Abschluss von 2019 – 21 auf 12 Monate begrenzt sein soll.

Doch die letzten Tarifrunden im öffentlichen Dienst – ob bei Bund/Kommunen oder Ländern – verliefen immer wieder nach dem gleichen Muster. Es wurde eine spürbare Einkommenserhöhung gefordert und auch bei Warnstreiks mobilisiert. Am  Verhandlungstisch endete das alles mit mageren Ergebnissen, langen Laufzeiten, Auslagerung von strittigen Themen und großen Anstrengungen, die Abschlüsse schönzureden. Wenn eine Wiederholung dieser Erfahrung verhindert werden soll, müssen die Gewerkschaftsmitglieder selbst die Tarifrunde kontrollieren.

In jedem Fall gibt es Anzeichen dafür, dass die Auseinandersetzung auch 2021 ähnlich wie in den letzten Jahren verlaufen könnte, auch wenn wir am Beginn einer gewissen konjunkturellen Erholung stehen. Wie so oft bereiten die Spitzen von ver.di und GEW die Beschäftigten und die ArbeiterInnenklasse nämlich nicht auf eine entschiedene Konfrontation mit den Arbeit„geber“Innen vor.

Vielmehr versuchen sie, selbst höhere Einkommen der Beschäftigten als Mittel darzustellen, den öffentlichen Dienst, also den Staatsapparat im Interesse aller zu stärken. Demzufolge hätten auch die Unternehmen, vor allem aber die Länder selbst ein Interesse an einem attraktiven öffentlichen Dienst, müssten also auch in ihrem eigenen Interesse zufriedenstellende Lohn- und Gehaltsbedingungen bieten, damit die Leute nicht in die Privatwirtschaft gingen.

Ganz in diesem Sinn erklärt die GEW-Vorsitzende Maike Finnern: „Der Staat muss in der Corona-Krise weiter als Stabilisator auftreten. Dafür muss er mit hoch qualifizierten und motivierten Beschäftigten handlungsfähig bleiben. Das zeigt die Corona-Krise Tag für Tag.“

Und die sog. ArbeitgeberInnen?

Bei den Gewerkschaften im öffentlichen Dienst erscheint der Staat als scheinbar über den Klassen stehendes Organ zur Sicherung von Gemeinwohl und Zusammenhalt. Dumm nur, dass die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL), die sog. ArbeitgeberInnenseite, diese Illusionen nicht teilt. Wie immer hält sie die Forderungen der Gewerkschaften für überzogen. Natürlich, so ihr Verhandlungsführer, der niedersächsische Finanzminister Hilbers (CDU), verdienten die Beschäftigten Wertschätzung. Nur zu viel kosten dürfen sie nicht. „Die Gewerkschaften sollten mit ihren Forderungen keine illusorischen Erwartungen wecken, sondern die Realitäten anerkennen“, lässt Hilbers über die FAZ ausrichten. Und unter den Realitäten versteht er die Erfordernisse von Konjunktur und Schuldenbremse.

Ohne Streiks und Arbeitskämpfe drohen faule Kompromisse, Abstriche bei den Einkommen oder Laufzeiten oder eine weitere Vertröstung einzelner Beschäftigtengruppen. 2019 traf dies die LehrerInnen.

Dass solche faulen Kompromisse drohen, wissen im Grunde alle aktiven, kämpferischen GewerkschafterInnen. Schließlich kennen sie „ihren“ Apparat, „ihre“ Bürokratie, „ihre“ Vorstände, die eben nicht unter ihrer Kontrolle stehen. Und selbst wer diese Erfahrungen noch nicht gemacht hat, braucht nur den Äußerungen des ver.di-Vorsitzenden Werneke zu folgen. Die Tarifverhandlungen würde, so erklärt er gegenüber der FAZ, „sicherlich nicht einfach“ werden. Doch, so versichert er dem Blatt, die Gewerkschaften seien zwar arbeitskampffähig, Streiks seien aber vorerst kein Thema.

Kampf für die Forderungen

Streiks zum Thema machen müssen die Beschäftigten. Statt des üblichen Tarifrundenrituals sollte entschlossener Kurs auf die Durchsetzung der Forderungen genommen werden – ohne Wenn und Aber. D. h. kämpferische und oppositionelle GewerkschafterInnen müssen nicht nur in der Mobilisierung aktiv sein, um möglichst viele KollegInnen auf die Straße zu holen, sie müssen in ihren Gewerkschaftsgruppen, bei Versammlungen, in Flugblätter, in den Gremien, den Kurs auf die Urabstimmung fordern. Nur so wird sich ein Abschluss durchsetzen lassen, der die Forderungen für alle Beschäftigtengruppen sichert und zudem einen Arbeitskampf im öffentlichen Dienst mit den Kämpfen bei den Berliner Krankenhäusern und bei der Bahn AG koordiniert.

Das Durchsetzen eines entschlossenen Arbeitskampfes erfordert freilich auch, dass dieser selbst unter Kontrolle der Mitglieder gestellt wird, Aktions- und Streikkomitees auf Vollversammlungen gewählt und von diesen abwählbar sind, die Tarifverhandlungen öffentlich geführt werden und die Tarifkommission von der Basis gewählt und dieser rechenschaftspflichtig ist.

Eine solche Politik in ver.di, in der GEW durchzusetzen, wird selbst eine längere Auseinandersetzung erfordern. Die Tarifrunde bietet jedoch eine Gelegenheit, darum KollegInnen zu sammeln, gemeinsam den Arbeitskampf zu politisieren und über diesen hinaus die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften als klassenkämpferische Opposition aufzubauen und zu verankern.




Solidarität mit den Beschäftigten der BVG!

Gegenwehr! Betriebs- und
Gewerkschaftsinfo der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Februar 2019

Nicht nur die Beschäftigten im öffentlichen
Dienst führen derzeit einen Arbeitskampf. Auch die VerkehrsarbeiterInnen bei
der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) kämpfen um höhere Löhne und bessere
Arbeitszeitbedingungen. Konkret gefordert werden von ver.di: eine 36,5-Stunden-Woche,
Weihnachtsgeld, Wegfall der unteren Lohngruppen in Verbindung mit schnelleren
Gehaltssprüngen sowie eine Einmalzahlung von 500 Euro für
Gewerkschaftsmitglieder. Als Maßstab werden die deutlich höheren Löhne bei der
Deutschen Bahn oder den Berliner Wasserbetrieben angeführt.

Angesichts der explodierenden Mieten in der
Stadt und der geringeren Entlohnung der BVG-ArbeiterInnen gegenüber anderen
InfrastrukturarbeiterInnen (DB, BWB, BSR/Berliner Stadtreinigung) sind die
Forderungen mehr als berechtigt. Zudem müssen die BVG-Beschäftigen seit Jahren die
verfehlte Personalpolitik ausbaden. Auch deshalb ist die Arbeitszeitverkürzung
um 2,5 Stunden pro Woche so wichtig und richtig. Die Chefin des Unternehmens,
Sigrid Nikutta, lehnt vor allem diese mit einem Verweis auf geplante 1100
zusätzliche Stellen ab, da bei einer 36,5 Stunden-Woche zusätzlich weitere 500
Personalkräfte benötigt würden.

Berlin bildet dabei nur die Spitze des
Eisberges, denn laut ver.di fehlen bundesweit im ÖPNV mehr als 30.000
Beschäftigte. Hier zeigen sich die Folgen von Privatisierungen und der
sogenannten Schuldenbremse, die die Kommunen zum Sparen verdonnert und damit
die Kosten der Finanzkrise 2008 vor allem auf die ArbeiterInnen abwälzt, sei es
durch geringe Löhne, Überlastung, fehlendes Personal oder durch hohe Fahrpreise.

Wie kämpfen?

Die Lage wird sich – nicht nur in der Berlin – weiter
zuspitzen. Von den Geschäftsführungen ist kein Kurswechsel zu erhoffen. Nur ein
entschlossener Arbeitskampf kann die Lage ändern – und das heißt: vom
Warnstreik zum unbefristeten Vollstreik. Damit ein solcher breit getragen wird
und erfolgreich sein kann, braucht es Vollversammlungen der Beschäftigen.
Ver.di soll so rasch wie möglich die Urabstimmung vorbereiten und einleiten.

Da die Beschäftigten im öffentlichen Dienst
genauso unter dem Sparkurs des Landes Berlin leiden und derzeit ebenfalls
Tarifverhandlungen führen, liegt nichts näher als ein gemeinsamer Kampf der
Beschäftigen der BVG und des öffentlichen Landesdienstes!

Inhalt einer Vollversammlung bei der BVG muss vor
allem eine Diskussion sein, wie die Forderungen ohne faule Kompromisse
erzwungen werden können. Dazu braucht es rechenschaftspflichtige Streikleitungen,
die aus der Belegschaft heraus gewählt werden und diesen koordinieren. Die
Verhandlungskommission muss diesen Versammlungen gegenüber rechenschaftspflichtig
und von diesen abwählbar sein. Es darf keinen Abschluss ohne Zustimmung der
Gewerkschaftsmitglieder geben!

Verkehrspolitik im Interesse der Bevölkerung

Sigrid Nikutta lehnt eine Arbeitszeitverkürzung
mit Verweis auf den Personalmangel ab. Das zeigt nur, dass der BVG- Vorstand,
aber auch das Land Berlin und der Senat (SPD, Linke, Grüne) nicht gewillt sind,
den Beruf der FahrerInnen entscheidend aufzubessern und attraktiver zu machen.
Im Gegenteil: Sie wollen weiter am Sparkurs festhalten, die 1.100 geplanten
Stellen reichen nicht.

Deswegen muss auf einer Vollversammlung auch
eine massive Investition in Netz und Fahrzeuge sowie eine große
Neueinstellungskampagne im Berliner ÖPNV diskutiert und gefordert werden.
Anstelle einer kapitalistischen Verwaltung durch Land und BVG-ChefInnen brauchen
wir dafür eine demokratische Kontrolle durch die VerkehrsarbeiterInnen und lohnabhängigen
Fahrgäste in Form eines gewählten Verkehrsplanungskomitees. Da dies auch die
EisenbahnerInnen im Regionalverkehr und bei der S-Bahn betrifft, müssen die
anderen Verkehrsgewerkschaften GdL und EVG einen erneuten Streikbruch (Einsatz
zusätzlicher Regionalzüge und S-Bahnen für die ausgefallenen U-Bahnzüge)
verhindern. Stattdessen sollten sich die EisenbahnerInnen an Diskussionen über
den ÖPNV bei der BVG beteiligen und sie im Arbeitskampf solidarisch
unterstützen.

Die BVG-Spitze und auch der Senat werden
behaupten, dass diese Forderungen nicht finanzierbar sind bzw. das Personal
fehle. In der Vergangenheit wurden Lohnerhöhungen im Verkehrsbereich immer
wieder als Grund vorgeschoben, die Ticketpreise zu erhöhen, obwohl die Qualität
im Schnitt in den letzten Jahrzehnten zurückging. Deswegen fordern wir, dass
nicht die Fahrgäste und PendlerInnen Personaleinstellungen und ÖPNV-Ausbau
durch höhere Fahrpreise bezahlen. Im Gegenteil: Wir fordern einen kostenlosen
ÖPNV, finanziert durch hohe Besteuerung der Reichen und KapitalistInnen,
insbesondere der Automobil- und Ölindustrie sowie privater
Verkehrsgesellschaften.




Schulstreiks überall – wie kann es weiter gehen?

Jaqueline Katherina Singh, REVOLUTION, Infoamail 1008, 23. Juni 2018

Am 21. Juni sind in Berlin 400 SchülerInnen auf die Straße gegangen, um gegen die drohende Schulprivatisierung zu demonstrieren, die der Berliner Senat hinter verschlossenen Türen plant. Am 22. Juni gingen in Nürnberg, Kassel, Dresden, Würzburg und 3 weiteren Städten Jugendliche auf die Straße, um gegen Abschiebungen zu demonstrieren – auf Initiative des Bündnisses „Jugendaktion Bildung gegen Abschiebung“. Zuvor haben in München SchülerInnen gegen das neue Polizeiaufgabengesetz gestreikt. Dort haben rund 2000 Jugendliche gezeigt, dass sie die Verschärfung der Repression aufhalten wollen. Doch was folgt aus diesen zahlreichen Protesten?

Potenzial bündeln

In den letzten Jahren haben wir in Deutschland und sonst wo auf der Welt einen Rechtsruck erlebt.

Der früher als rechter Rand betitelte Teil der Gesellschaft ist mittlerweile im Alltag aufzufinden. Die AfD hetzt im Bundestag und nebenbei erlässt die Regierung die rassistischen Gesetze und versucht mehr und mehr, Geflüchtete in Krieg, Armut und Perspektivlosigkeit abzuschieben. Aber der Rechtsruck bedeutet nicht nur, dass der Rassismus im Alltag immer mehr Gestalt annimmt.

Er hat auch andere Formen: Ein Jahr nach dem G20-Gipfel im Hamburg sehen wir eine Zunahme von Repression und Gesetzesverschärfungen. Denn nicht nur in Bayern ist ein neues Polizeiaufgabengesetz geplant – auch in Sachsen und Nordrhein-Westfalen will man die Rechte der Polizei ausweiten. Zusätzlich können wir beobachten, wie der Etat für innere Sicherheit und die Bundeswehr massiv angehoben wurde und beispielsweise in Bayern die Polizei unter dem Namen „Baytex18“ muntere Krisenübungen zusammen mit SoldatInnen der Bundeswehr durchführt.

Während in diesem Bereich mehr Geld ausgegeben wird, lesen wir zeitgleich in den Nachrichten von der „Schwarzen Null“ im Bundeshaushalt, bei dem die Ausgaben die Einahmen nicht übersteigen sollen. Um diese Ziel zu erreichen, muss gespart werden, wenn die Ausgaben für innere Sicherheit und Militär massiv ansteigen – und zwar an der Gesundheit, an Bildung, beim öffentlichen Dienst, an der Infrastruktur.

Ab 2019 tritt zusätzlich die sog. „Schuldenbremse“ in Kraft, die die „schwarze Null“ allen Ländern und Kommunen vorschreibt. Diese trifft vor allem jene Gemeinden und Länder, die ohnedies schon verschuldet sind oder deren Bevölkerung arm ist, also auch weniger Steuern zahlen kann/muss. Daher können sie wenig oder nichts investieren, müssen weiter an Infrastruktur, kommunalen Einrichtungen, Schulen, Jugendzentren, Freizeiteinrichtungen sparen – oder diese an InvestorInnen verscherbeln, die nicht an den Bedürfnissen der Bevölkerung interessiert sind, sondern an ihren Profiten.

Wir sehen: Es gibt viel, was falsch läuft. Doch während der Großteil der Gesellschaft mittlerweile darin versinkt zu diskutieren, ob man nicht am besten gleich alle Geflüchteten, die hier ankommen, abschiebt und wie viele Menschen man im Mittelmeer ertrinken lässt, gibt es auch jene, die etwas verändern wollen. Die Jugendlichen, die gegen die Privatisierung der Schulen, das Polizeiaufgabengesetz und vor allem gegen Rassismus auf die Straße gegangen sind, wollen aktiv werden. Sie alle sind unzufrieden mit der aktuellen Situation und wollen dies nicht stillschweigend hinnehmen. Deswegen gilt es, dieses Potenzial zu bündeln – die Frage ist nur: wie?

Wie?

Es bedarf einer klaren Perspektive. Es muss heißen: Wir belassen es nicht bei einer Aktion, sondern wir wollen unseren Protest ausweiten. Wir wollen größer werden und mehr Jugendliche ansprechen. Daher sollten wir weiter aufeinander positiv Bezug nehmen, die verschiedenen Aktionen bekannt machen, so dass die Jugendlichen wissen, dass es nicht nur in „ihrer“ Stadt oder an „ihrer“ Schule Protest gibt. Doch wir müssen auch weitergehen und die AktivistInnen aus den unterschiedlichen Städten miteinander vernetzen. Dazu müssen wir uns treffen und gemeinsam diskutieren, wie wir die unterschiedlichen Kämpfe miteinander verbinden können, wann wir eine neue Aktion planen und welche Forderungen wir ins Zentrum stellen wollen – quasi eine selbstorganisierte Aktionskonferenz. Das sind erste Schritte in die richtige Richtung, die getan werden müssen, damit es erfolgreich weitergeht. Doch damit wir wachsen, müssen wir uns fragen, was braucht es, damit nicht nur Hunderte oder Tausende, sondern die Masse an Jugendliche auf die Straße gehen?

Eine Bewegung entsteht selten im luftleeren Raum. Es bedarf Menschen bzw. Organisationen, die diese bewusst mit aufbauen.

Wenn wir eine Jugendbewegung aufbauen wollen, die sich gegen Rassismus, Militarismus und Spaßmaßnahmen richtet, um der Regierung Dampf zu machen, müssen sich auch andere Organisationen beteiligen. Das betrifft vor allem die Gewerkschaftsjugend, aber auch Studierenden- und SchülerInnenvertretungen. Außerdem sollten wir Jugendorganisationen von MigrantInnen, antirassistische, antisexistische und andere Initiativen junger Menschen einbeziehen. Und natürlich müssen auch alle linken Jugendorganisation – seien es die Linksjugend [‚solid], der SDS, die SDAJ, die Falken oder auch die Jusos aufgefordert werden, aktiv gegen die Angriffe der Regierungen, der UnternehmerInnen und der Rechten zu kämpfen und sich zu einem Aktionsbündnis zusammenzuschließen – nicht nur lokal, sondern als Bundesorganisationen. Schließlich sind die Probleme, die wir haben, nicht nur auf eine Stadt begrenzt, sondern betreffen uns überall.

Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass eine Bewegung nicht nur darauf basiert, dass man die Führungen von Organisationen zum Widerstand auffordert oder gemeinsame Aktionen verabredet. Wer Erfolg will, der muss sich auch lokal verankern und die Mobilisierung nutzen, um Basisarbeit an den Orten anzufangen, an denen wir uns bewegen müssen. Für uns Jugendliche sind das in erster Linie die Schulen, aber auch Berufsschulen, Betriebe und Universitäten. Dort müssen wir mit den AktivistInnen, die Interesse haben, sich an der Bewegung zu beteiligen und diese aufzubauen, diskutieren und Aktionen durchführen. Wir von REVOLUTION treten für den Aufbau von Streik- und Aktionskomitees ein, die Informationsveranstaltungen, Vollversammlungen und Widerstand organisieren. Warum? Weil auf diesem Wege auch Menschen erreicht werden, die bisher nicht politisch aktiv waren. Zusätzlich politisiert und polarisiert man an den Orten, an denen wir lernen, studieren, arbeiten oder eine Ausbildung machen müssen – und wirft Fragen im Alltag der Menschen auf.

Als REVOLUTION denken wir, dass eine Jugendbewegung notwendig ist, um gegen die aktuellen Missstände in diesem Land erfolgreich zu kämpfen. Deswegen wollen wir den Aufbau einer solchen Bewegung unterstützen und hoffen, dass dies auch andere Organisationen tun. Denn wenn wir flächendeckend gegen Abschiebungen und Rassismus, gegen die Zunahme der Repression und gegen die Sparmaßnahmen kämpfen wollen, braucht es mehr als ein paar kleine linke Organisationen, die ein paar Kampagnen zu diesen Themen machen.

In solch einer Bewegung treten wir als Organisation für Kritik- und Propagandafreiheit ein. Das heißt, dass alle beteiligten Organisationen auch untereinander Kritik üben und diskutieren können sowie ihre eigenen Materialien verteilen dürfen. Daneben wollen wir in so einer Bewegung für unser Programm eintreten. Das heißt, dass wir dafür sind, nicht nur gegen Abschiebungen zu kämpfen, sondern für offene Grenzen und StaatsbürgerInnenrechte für alle. Wir fordern nicht nur Abrüstung, sondern lehnen jede Finanzierung des staatlichen Gewaltmonopols, also der Polizei und Bundeswehr, nach dem Motto „Keinen Cent für Militarismus und Repression“ ab. Auch sind wir nicht nur gegen die zahlreichen Sparmaßnahmen, sondern für den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus, die Enteignung der WohnungsspekulantInnen, der großen Banken und Konzerne ein, für die Finanzierung unseres Gesundheits- und Bildungssystems durch Besteuerung der Reichen und Profite – unter Kontrolle der ArbeiterInnen, der MieterInnen und der Lernenden.

Dazu brauchen wir nicht nur eine breite Bewegung, sondern auch eine revolutionäre Jugendorganisation – one solution – REVOLUTION!




Berliner Schulen: Stoppt die Privatisierung!

Wilhelm Schulz, REVOLUTION, Neue Internationale 228, Mai 2018

Der rot-rot-grüne Berliner Senat plant die (Teil)Privatisierung der 798 Schulen des Landes. Mittels einer Privat-Public-Partnership (Öffentlich-Private-Partnerschaft = PPP) soll staatliches Eigentum schleichend unter die Interessen privatwirtschaftlicher InvestorInnen gestellt werden. Doch wieso?

Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und der Linken aus dem Jahr 2016 kündigten diese massive Investitionen bis zum Jahre 2026 in den Neubau und die Sanierung von Berliner Schulen an. Von 5,5 Milliarden Euro war die Rede. Dringend notwendig wären diese allemal.

So sind sogenannte Container-Klassenräume, also in einem Stück gelieferte Klassenzimmer, die über- oder nebeneinander gestapelt werden, keine Ausnahme mehr. Diese Dauerprovisorien stehen symbolisch für Jahrzehnte der Austeritätspolitik. Sie sind oft schlecht isoliert, kurzfristig und teuer gemietet. Andere Schulen sparen an der Sanierung und Erneuerung des Bestandes und greifen schon mal auf Baugerüste vor Schuleingängen zurück, damit die SchülerInnen vor herunterfallendem Putz geschützt sind. Das ist schließlich kurzfristig billiger, als die ganze Fassade zu renovieren. Die Entlohnung der immer öfter nur befristet angestellten Berliner LehrerInnen passt zu diesen Zuständen. Das Land Berlin hat sich in dieser Hinsicht den letzten Platz aller Länder über Jahre wacker erkämpft.

Unter solchen Bedingungen müssen wir Berliner SchülerInnen leben und lernen. Da war bei einigen die Hoffnung groß, dass R2G etwas verbessern wird. Aber nach der alten Faustregel „Links blinken, rechts abbiegen“ erleben wir einen versteckten Angriff.

Sparprogramm und Schuldenbremse

Den Hintergrund für die geplante Privatisierung von fast 800 Schulen bildet die Zielsetzung der rot-rot-grünen Regierung, einen ausgeglichenen Haushalt zu gewährleisten. So kommt es, dass das Land seit knapp 6 Jahren eine Sparpolitik fährt, die versucht, die Neuverschuldung auf null zu halten. So kommt es auch dazu, dass die Investitionen des Landes im Jahresdurchschnitt nur um 0,5 % wachsen – also geringer als die Inflationsrate, die 2017 bei 1,6 % lag.

Den bundespolitischen Hintergrund für die geplanten Privatisierungen bildet die sogenannte Schuldenbremse. Gemäß dieser dürfen die Bundesländer und Kommunen ab 2020 keine neuen Schulden machen, somit keine Kredite mehr aufnehmen. Das bringt ein Investitionsverbot in bitter notwendige soziale Infrastruktur mit sich. In Berlin gibt es hierfür neben den Schulen noch das „klitzekleine Problem“ mit dem Wohnungsmangel und den dafür dringend erforderlichen massiven staatlichen Investitionen.

Die bürgerliche Politik, die die Schuldenbremse zu verantworten hat, verbindet mit dieser „Einführung griechischer Verhältnisse“ auch eine klare Zielsetzung. Wenn Länder und Kommunen nicht oder nicht ausreichend investieren dürfen, so müssen diese eben staatliches Eigentum verscherbeln. Dieser Ausverkauf soll Investitionsmöglichkeiten für das Kapital schaffen. Solcherart werden Milliarden billig verschleudert zum Nutzen der InvestorInnen, die sich über sichere und regelmäßig steigende Gewinne freuen dürfen.

Hierfür gibt es bereits ein bundesweites Pilotprojekt. Es stammt aus dem allgemein für seinen „überproportionalen“ Reichtum bekannten Offenbach. Offenbach ist in den letzten Jahrzehnten infolge der Deindustrialisierung der Stadt extrem verarmt. Der Landkreis hatte mittels einer PPP im Jahre 2004 die Grundstücke seiner 88 Schulen an die Baukonzerne Hochtief und Vinci vergeben. Seit dem Verkauf mietet die Stadt Grundstück und Schulen an. Die vereinbarte Jahresmiete belief sich ursprünglich auf 52 Millionen Euro. Im Jahre 2014 betrug sie jedoch schon 82 Millionen, und bei Vertragsende 2019 sollen es 95 Millionen sein. „Nachtijall, ick hör dir trapsen“, sagen wir dazu in Berlin.

Auch international gibt es ähnliche Beispiele. So wurden unter Margaret Thatcher Ende der 1970er Jahre große Teile der Wasserversorgung verkauft. Heute gibt es in Großbritannien Haushalte, die im Keller eine Art Münzeinwurf haben, um Zugang zu Wasser zu erhalten. Auch wenn wir an dieser Stelle glücklicherweise darauf hinweisen können, dass Thatcher tot ist, so blieb uns ihr neoliberales Vermächtnis leider erhalten. Es bleibt hier zu sagen, dass in all diesen Fällen die versprochenen Investitionen von Kapitalseite ausblieben. Warum sollte es auch anders sein? Sie investiert gemäß der Logik der Gewinnmaximierung, nicht zur Sicherung des Gemeinwohls. So steht die Bundesrepublik aktuell im Rechtsstreit mit der Telekom, Vinci und Daimler im PPP der Autobahn-Maut wegen Minderleistungen von 7 Milliarden Euro!

Was genau plant das Land?

Der Senat will der Berliner Wohnungsbaugesellschaft HOGOWE GmbH mittels Erbpacht die Gebäude der 798 Berliner Schulen übertragen. Dies soll durch eine Tochtergesellschaft, im Arbeitstitel Schul-GmbH genannt, geschehen. Auch wenn rot-rot-grün nun den Namen der Gesellschaft neu „überdenken” will, so bleibt das Problem das gleiche.

Die Wohnungsbaugesellschaft ist eine teilstaatliche, d. h. sie verwaltet formal staatliches Eigentum, jedoch unter privatwirtschaftlichen Rentabilitätskriterien. Das Land kann zwar Verhaltensweisen des Konzerns kritisieren, jedoch nicht eingreifen. So auch bereits 2010 geschehen, als die HOGOWE ohne Ausschreibung Großaufträge vergab. Die Kritik war zwar groß, der Auftrag blieb jedoch. Vor allem ist davor zu warnen, da das Land Berlin zu Beginn der 2000er Jahre viele städtische Wohnungsbaugesellschaften bereits vollständig privatisierte.

Diese Schul-GmbH soll zukünftig alle schulspezifischen Aufgaben koordinieren, also Bau, Sanierung, inneren Betrieb außerhalb des Bildungsauftrags wie HausmeisterInnen, Grünpflege, „Sicherheit“, Instandhaltung, „Gas, Wasser, Scheiße“ usw. usf. Hierfür zahlt das Land die bereits angesprochene Miete. Auch kann es zu zeitlichen Begrenzungen des Nutzungsrechts kommen. So kann es sich beispielsweise tagsüber um eine Schule und abends um ein AfD-Schulungszentrum handeln oder ein „Hotel der anderen Art“ in den Schulferien – mal als fiktive Beispiele.

Solche Verträge laufen 25 Jahre. Somit hat das Land für diesen Zeitraum kein wirkliches Recht, hiergegen Sturm zu laufen. Hier werden also gerade die Weichen für die nächsten Jahrzehnte gestellt und das mit dem „Versprechen“ zu investieren. Zur Gewinnsteigerung sind hier dann auch alle möglichen anderen Tricksereien vorstellbar. Beispielsweise könnten sie Tür und Tor für kommerzielle Werbung an den Schulen öffnen. Dann darf nicht mehr „nur“ die Bundeswehr für ihr sogenanntes „Werben fürs Sterben“ in Schulen touren. Nein, wie wär’s mit einer Turnhalle, „powered by McFit“, oder einer Kantine, „präsentiert von Pizza Hut“? Kurzum, eine allgemeine Öffnung des Bildungswesens fürs Kapital mag sich hier anbahnen.

Was bleibt?

Szenarien wie diese könnten nicht nur den Schulbereich betreffen. Sie könnten in den kommenden Jahren auch in anderen staatlichen Einrichtungen bevorstehen, z. B. die Privatisierungen von Bäderbetrieben, Stadtwerken, Rathäusern, Hochschulen, Müllabfuhren. Das Personal dieser könnte durch billigere Arbeitskräfte und LeiharbeiterInnen ersetzt werden, getragen durch private DienstleisterInnen.

Hiergegen gilt es, Widerstand zu organisieren! Dafür müssen wir nicht abwarten, bis das umgesetzt wird oder bis wir viele schlechte Erfahrungen gesammelt haben. Wir dürfen uns auch nicht davon einlullen lassen, dass der Senat geringfügige Modifikationen machen will, um den KritikerInnen Wind aus den Segeln zu nehmen, oder so tut, als wäre die Privatisierung keine, weil ja alles unter Kontrolle der HOGEWO stünde.

Was wir brauchen, ist der gemeinsame Kampf von Gewerkschaften, Jugendorganisationen und Kräften, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützen, gegen diesen Angriff. Das bedeutet auch, dass wir die Hand in Richtung der Basis von SPD und Die Linke ausstrecken müssen und sie auffordern, mit der Politik ihrer Parteien aktiv zu brechen und für eine Aufhebung dieser Gesetzesvorhaben zu kämpfen. Diese werden von ihnen als alternativlos bezeichnet und zur „kreativen“ Umschiffung von Problemen schöngeredet, die auf Bundesebene geschaffen wurden, einer Bundesebene, auf der in den vergangenen 4 Jahren die SPD im Schulterschluss mit CDU/CSU regiert hat. Rot-Rot-Grün unterläuft die Schuldenbremse und deren Folgen nicht „kreativ“, sondern macht sich vielmehr zum Erfüllungsgehilfen einer neo-liberalen Politik, die den Reichen Milliarden bringt, Leistungen für die Masse verteuert und verschlechtert.

Widerstand regt sich

Der Widerstand hiergegen regt sich bisher im Kleinen. So gibt es die Initiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“, die unter anderem zu diesem Thema arbeitet. Sie plant eine Volksinitiative. Bis Mitte des Jahres sammelt sie Unterschriften, damit es hierzu eine öffentliche Abstimmung geben kann. Dies halten wir für eine begrenzte, jedoch begrüßenswerte Maßnahme und fordern zur Unterstützung dieser auf. Genaueres findet Ihr auf ihrer Internetseite (https://www.gemeingut.org/volksinitiative-unsere-schulen-unterschreiben-wie-geht-das/).

Wir halten die Maßnahmen des Senats nicht für alternativlos. Nein, es sind selbstgemachte Probleme. Es sind Eingriffe, die vor allem der Stärkung des deutschen Kapitals dienen. Sie ermöglichen in Zeiten zunehmender Konkurrenz und wirtschaftlicher Unsicherheit „sichere“ Gewinne, für die die Allgemeinheit, also vor allem die lohnabhängige Bevölkerung zu zahlen hat. Zugleich verlagern sie das Problem der fehlenden staatlichen Einnahmen infolge von Jahrzehnten der Steuergeschenke an die Reichen, an Kapital- und VermögensbesitzerInnen. Die Sanierung der Schulen wird nicht aus der Besteuerung der Reichen oder Gewinne und Großvermögen finanziert, sondern „ausgelagert“. Der „linke“ Senat will so gleich zwei politischen und gesellschaftlichen GegnerInnen ausweichen. Einmal den KapitalbesitzerInnen und privaten InvestorInnen, die rasche Gewinne wittern, zum anderen der Bundesregierung, die die Schuldenbremse durchziehen will. Statt den Kampf gegen dieses Gesetz und dessen Umsetzung zu führen, ziehen die HeldInnen aus dem Abgeordnetenhaus lieber ihre WählerInnen und AnhängerInnen über den Tisch.

Das Land mag dann zwar schuldenfrei sein, dafür zahlen die SchülerInnen bzw. deren Eltern mehr. Solche „Haushaltssanierung“ trifft diejenigen, die sich die privatwirtschaftlichen „Angebote“ nicht leisten können. Dieser massive Angriff zeigt eindeutig, auf welche Seite sich die rot-rot-grüne Landesregierung stellt, auf die Seite des Kapitals. Dagegen müssen wir kämpfen!