Die Spaltung des CWI: Ein Bruch geht durch die Mitte

Martin Suchanek, Infomail 1066, 2. September 2019

Die Spaltung des CWI (Committee for a workers
international = Komitee für eine Arbeiterinternationale) stellte für die
Beteiligten wie für die außenstehenden BeobachterInnen des Prozesses sicher
keine Überraschung dar. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Organisation in
zwei etwa gleich große Gruppierungen zerbrach. Beide beanspruchen für sich, die
„eigentliche“ internationale Strömung zu verkörpern und die politische und
programmatische Tradition des CWI fortzuführen.

Der folgende Artikel gliedert sich in zwei große
Abschnitte. Im ersten werden wir den Bruch nachzeichnen und auf einige
Eigentümlichkeiten der Form der Auseinandersetzung eingehen. Alle Teile, die
aus der Spaltung des CWI hervorgingen, reklamieren ebenso wie die ebenfalls aus
der CWI-Tradition entstandene IMT (International Marxist Tendency =
Internationale Marxistische Tendenz) das politisch-methodische Erbe ihrer
Strömung für sich und sehen im Anknüpfen an diese Tradition einen entscheidenden
Schritt zum Aufbau einer trotzkistischen, revolutionären Organisation. Genau
diese Vorstellung werden wir im zweiten Teil des Textes kritisieren. Wir werden
zeigen, dass in den politischen Grundlagen, die im CWI längst vor der Spaltung
mit der IMT Anfang der 1990er Jahre beschlossen wurden, schon das eigentliche
Problem angelegt war, das aufgrund der politischen Entwicklungen der letzten
Jahre verstärkt an die Oberfläche trat und schließlich zur Spaltung führte.

Spaltung

Formell vollzog die Fraktion „In Verteidigung
eines proletarischen, trotzkistischen CWI“ (In Defence of a Working Class
Trotskyist CWI) den Bruch, als sie am 21. Juli auf einer Konferenz der
Socialist Party, der Sektion in England und Wales, mehrheitlich den Kurs einer
„Neugründung des CWI“ (Refoundation of the CWI) beschloss. Schon zuvor hatte
die Fraktion mehrfach erklärt, dass sie unter keinen Umständen zulassen wolle,
dass die Ressourcen des CWI „in die falschen Hände“ fallen.

Die internationale Konferenz, die im Anschluss
an die Tagung der englischen und walisischen Sektion vom 22.–25. Juli stattfand
und zu der nur die AnhängerInnen der Fraktion eingeladen wurden, vollzog diesen
Bruch sodann auf internationaler Ebene. Die Spaltung war damit amtlich. Nach
eigenen Angaben beteiligten sich Delegierte aus folgenden Ländern: England und
Wales, Schottland, Irland, Deutschland, Frankreich, Österreich, Finnland,
Indien, Sri Lanka, Malaysia, Chile und den USA. UnterstützerInnen aus Südafrika
und Nigeria konnten wegen Visaproblemen nicht teilnehmen.

So optimistisch und zuversichtlich sich die
Verlautbarungen dieser Strömung auch lesen mögen, sie können nicht darüber
hinwegtäuschen, dass sie nur eine Minderheit der Sektionen des CWI unterstützt.

Diese andere Strömung, die heute als „provisorisches
Komitee“ des CWI auftritt, konnte sich formal immer auf eine Mehrheit im
Internationalen Exekutivkomitee (IEK) der Organisation stützen, also eine
Mehrheit des höchsten Leitungsorgans zwischen den internationalen Konferenzen.
Die Strömung um Peter Taaffe kontrolliert hingegen nur das kleinere, eigentlich
dem IEK verantwortliche und untergeordnete Internationale Sekretariat (IS).
Nachdem sich abzeichnete, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im IEK nicht mehr
ändern ließen, entschloss sich die Fraktion um Taaffe offenkundig dazu, Kurs
auf die Spaltung zu nehmen, indem sie sich weigerte, jedem Beschluss der
„kleinbürgerlichen Mehrheit“ auf dem IEK kategorisch zu folgen, und in jedem
Fall die Kontrolle über den Apparat der Organisation zu sichern gedachte. Dies
geht schon daraus hervor, dass sich das von der Fraktion geführte IS schon im
Frühjahr weigerte, eine Sitzung des IEK einzuberufen resp. einer solchen Folge
zu leisten, um so nicht abwählt werden zu können.

Praktisch hatte sich auch die Mehrheit des IEK
schon vor Ende Juli 2019 als eigene internationale Gruppierung zu formieren
begonnen. Wichtige Sektionen hatten schon seit Monaten ihre Beitragszahlungen
eingestellt und praktisch eine „Gegenfraktion“ zur „historischen Führung“ des
CWI um Peter Taaffe aufgebaut.

In diesem Sinn sprach die Mehrheit des IEK, die
sich auf die deutliche Mehrzahl der Sektionen stützt (wenn auch nicht unbedingt
auf die Mehrheit der Mitglieder des CWI, da die englisch/walisische Sektion
sicher noch immer die weitaus größte sein dürfte), durchaus zu Recht von einem
„Putsch“ und einem offenen Bruch des Statutes des CWI.

Nur einen Tag nach der Konferenz der Socialist
Party in England und dem Aufruf zur „Neugründung“ des CWI durch die
„proletarische“ Fraktion trat auch die Mehrheit des IEK an die Öffentlichkeit.
Während Taaffe und Co. das CWI neu gründen wollen, will die Mehrheit als CWI
weitermachen. So lässt deren „provisorisches Komitee“ verlauten:

Neben den kriminellen Handlungen einer unverantwortlichen degenerierten bürokratischen Führung hat diese Krise für unsere Organisation auch das Gegenteil gezeigt: dass das CWI eine gesunde und lebendige Organisation ist, in der es einer Mehrheit gelungen ist, sich gegen die bürokratische Degeneration zu behaupten und die Einheit der überwiegenden Mehrheit unserer Internationale aufrechtzuerhalten, obwohl sie sich dabei gegen einige ihrer Gründer*innen mit größter Autorität behaupten muss.

Die CWI-Mehrheit ist vereint, intakt und verfügt über beträchtliche Kampfkraft in über 30 Ländern rund um den Globus!“

Wie bei jeder Scheidung können wir erwarten,
dass in den nächsten Wochen und Monaten noch mehr oder weniger heftig um das
Tafelsilber, also die Ressourcen der Organisation, gerungen wird – inklusive
wechselseitiger Vorwürfe bürokratischer oder gar „krimineller“ Machenschaften.

Auch wenn die Mehrheit des IEK
formal-demokratisch sicher im Recht ist, dass die Fraktion um Taaffe und die
IS-Mehrheit das Statut gebrochen haben, so kann ein Blick in die Geschichte des
CWI nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Vergangenheit beide Seiten an
solchen bürokratischen Manövern beteiligt waren – sei es beim Bruch mit der
IMT, sei es bei der Duldung der kriminellen Methoden führender Mitglieder ihrer
ukrainischen Sektion um die Jahrhundertwende, als diese gut ein Dutzend anderer
internationaler Strömungen finanziell betrog.

Die Schwierigkeiten der Ursachensuche

Vor allem aber erklärt der Verweis auf die
rasche und bürokratische Zuspitzung des Fraktionskampfes nicht, warum es
überhaupt zu diesen Verwerfungen und schließlich zur Spaltung kam. Schon die
Entstehung einer Fraktion um den Kern der internationalen Führung ist in
Organisationen mit einem revolutionären Anspruch verwunderlich. In der Regel
werden Fraktionen und Tendenzen zur Korrektur der politischen Linie der
Organisation gegen die bestehende politische Führung gebildet, nicht als
politisches Kampfmittel des Führungskerns.

Erst recht verwunderlich wird die Sache, wenn
wir den unmittelbaren Anlass zur Gründung der Fraktion um Peter Taaffe in Rechnung
stellen, nämlich eine Abstimmungsniederlage über die Tagesordnung auf einer
internationalen Leitungssitzung Ende 2018. Damals wollten Taaffe und das von
ihm geführte Internationale Sekretariat die Diskussion über die Arbeit der
irischen Sektion ins Zentrum der Tagung rücken. Dieser wurde eine
kleinbürgerliche Abweichung vom Programm des CWI vorgeworfen wurde. Die
IEK-Mehrheit folgte diesem Tagesordnungsvorschlag jedoch nicht, was die
Strömung um Taaffe als eine Tolerierung, wenn nicht Zustimmung zum
Opportunismus der irischen Sektion betrachtete.

Ein Blick auf deren Wahlkampagne und
Intervention in die Anti-Abtreibungskampagne offenbart, dass dieser Vorwurf
keineswegs unbegründet war. Wohl aber muss sich eine internationale Führung –
zumal eine mit etlichen Hauptamtlichen – die Frage gefallen lassen, warum sie
die Sitzung nicht mit einem Dokument zur Arbeit der Sektion vorbereitet hat und
warum sie ihre Kritik nicht allen IEK-Mitgliedern und der irischen Führung
schriftlich und anhand von Zitaten und Belegen zugänglich gemacht hat. Sie muss
sich die Frage gefallen lassen, warum sie erst zu diesem Zeitpunkt mit ihrer
Kritik rausrückte und eine opportunistische Entwicklung in der irischen Sektion
feststellte, nachdem diese jahrelang aufgrund ihrer Wahlerfolge als „Kronjuwel“
des CWI über den grünen Klee gelobt worden war.

Auf all diese Fragen folgte beredtes Schweigen.
Die internen Dokumente, die in den letzten Monaten über soziale Medien an die
Öffentlichkeit kamen, umfassen zwar mehrere hundert Seiten – sie erlauben es jedoch
kaum, die wechselseitigen Anschuldigungen anhand klarer Fakten und Argumente
nachzuvollziehen.

Der Fraktion um Taaffe kann immerhin zugutegehalten
werden, dass sie schwerwiegende politische Differenzen für die damals drohende
und nunmehr vollzogene Spaltung des CWI ins Feld führte, nämlich eine
kleinbürgerliche Abweichung vom Programm des CWI, eine Anpassung an den
kleinbürgerlichen Feminismus, die Identitätspolitik sowie eine Abkehr von der
ArbeiterInnenklasse als zentralem Subjekt der gesellschaftlichen Umgestaltung.
Die irische Sektion und die Mehrheit des CWI würden in die Fußstapfen des
„Mandelismus“, also der Politik des Vereinigten Sekretariats der Vierten
Internationale, treten, der immer wieder aufgrund von Opportunismus und, in
früheren Jahren, aufgrund von revolutionärer Ungeduld „Ersatzsubjekte“ für das
Proletariat gesucht hätte.

In diesem Sinn versucht die Fraktion um Taaffe,
eine politische Differenz ins Zentrum zu rücken, freilich ohne diese
politisch-faktisch schlüssig zu untermauern. Den durchaus umfangreichen
Dokumenten mangelt es nicht an scharfen Anschuldigungen, es fehlen aber
überzeugende Darlegungen und Beweisführungen. Die „kleinbürgerlichen
Abweichungen“ werden oftmals durch eher anekdotenhafte Erzählungen belegt, z. B.
durch Berichte über politisch problematische Referate einzelner, auch führender
GenossInnen der irischen Sektion. Eine Analyse ihrer Wahlplattformen oder eine
Kritik an den opportunistischen Seiten ihrer Anti-Abtreibungsplattform wurde
allenfalls angedeutet.

Beispiel Rosa

Die fehlende Propaganda für den Sozialismus durch die irische Sektion wurde unserer Meinung nach zu Recht angeprangert. Bemerkenswert ist freilich, dass in der gesamten „proletarisch-trotzkistischen“ Kritik überhaupt kein Bezug darauf genommen wurde, dass die von der CWI dominierte und angeführte Plattform „Reproductive rights against Oppression, Sexism and Austerity“ (Rosa) die Forderung nach unbefristeter und kostenloser Abtreibung auf Verlangen nicht aufstellte. Stattdessen beschränkte sie sich auf die nach einer 12-wöchigen Fristenlösung.

Es spricht zwar nichts dagegen, eine
Massenkampagne für eine 12-wöchige Fristenlösung gegen ein gesetzliches Verbot
der Abtreibung kritisch zu unterstützen. In Irland traten jedoch die schon
bestehenden Anti-Abtreibungskampagnen Abortion Rights Campaign (ARC) und Cork
Women’s Right to Choose Group im Gegensatz zu Rosa immer schon für die radikalere
Forderung nach Abtreibung ohne Fristenlösung ein. Die CWI-Sektion und die internationale
Führung präsentierten Rosa zwar als „radikalere“, weil angeblich
sozialistischere und proletarischere Kampagne, stellten aber bewusst die
Forderung nach einer Fristenlösung auf, weil sie so hofften, dass die Kampagne
dem bestehenden, oft auch katholisch beeinflussten „ArbeiterInnenbewusstsein“
leichter zu vermitteln wäre.

Dieser reale Opportunismus wie auch das Fehlen
eines Übergangsprogramm der Sektion, das den Kampf um demokratische Rechte,
soziale Forderungen mit dem Kampf um eine sozialistische Revolution verbunden
hätte, wurde nicht einfach von der Sektion auf eigene Rechnung vorangetrieben.
Über Jahre hindurch galten die Arbeit der Sektion, ihrer Abgeordneten, ihre breiten
Kampagnen und ihre elektoralen Erfolge als Musterbeispiel „richtiger“
sozialistischer Intervention. Erst spät „entdeckte“ die ehemalige CWI-Führung
die „Abweichungen“ – und „übersah“ dabei bis heute einen zentralen Aspekt des
Opportunismus der Anti-Abtreibungskampagne.

Der Grund dafür ist wohl darin zu suchen, dass
dies nicht ins Narrativ der „proletarischen“ Fraktion passt. Sicher hat diese,
wenn auch spät, zu Recht kritisiert, dass die irische Sektion keinen
Schwerpunkt darauf legte, Gewerkschaften in die Kampagne gegen die Abtreibung
zu ziehen, dass leichtfertig und kritiklos Aussagen
kleinbürgerlich-feministischer Autorinnen oder Vertreterinnen der
#Metoo-Bewegung übernommen wurden. All dies musste dann als Beweis für die
Übernahme von Positionen des Feminismus und von Identitätspolitik herangezogen
werden – freilich ohne selbst in langen Dokumenten zur „Identitätspolitik“
diese selbst einer marxistischen Kritik zu unterziehen oder deren theoretische
und programmatische Reflexion in der Politik der irischen Sektion nachzuweisen.
Stattdessen werden seitenweise die Errungenschaften der Frauenpolitik der
britischen Militant-Strömung und CWI-Sektion angeführt, die zumeist mehrere
Jahrzehnte zurückliegen.

Nicht minder bemerkenswert ist die Tatsache,
dass Sektionen, denen heute ein Abrücken vom Proletariat vorgeworfen wird, noch
im November 2018, also beim letzten Meeting eines gemeinsamen IEK, enorme
Fortschritte attestiert wurden. So hätte sich beispielsweise die soziale
Zusammensetzung der US-amerikanischen „Socialist Alternative“ positiv verändert
und sie ihren Schwerpunkt auf die Gewerkschaften verlagert. Heute steht sie im
Lager der „kleinbürgerlichen Abweichung“, des Opportunismus gegenüber Sanders
und der Demokratischen Partei. Dabei „vergisst“ die „proletarische Fraktion“ um
Peter Taaffe, dass der Opportunismus gegenüber Sanders, die Unterstützung seiner
Präsidentschaftskandidatur im Rahmen der Demokratischen Partei (wie zuvor schon
die Unterstützung grüner Kandidaturen wie der von Ralph Nader und Jill Stein)
international anerkannte CWI-Politik war.

Anekdoten statt Argumente

Bei der Ursachensuche und beim inhaltlichen
Nachvollzug der Spaltung ergibt sich generell eine Schwierigkeit. Auf
Schuldigungen, Vorwürfe … antworten beide Seite vor allem mit einer schier
endlosen Aufzählung vergangener Ruhmestaten. So verweist die Strömung um Taaffe
immer wieder auf die „glorreichen“ Zeiten des CWI, die sie offenkundig in den 1980er
Jahren und Anfang der 1990er Jahre ansiedelt.

Die Mehrheit des IEK wiederum versuchte, sich
gegen die Vorwürfe der Fraktion durch Relativierung und den Verweis auf eigene
politische Erfolge zu behaupten. Mantraartig warf sie ihrerseits der Strömung
um Taaffe vor, alles nur aufzubauschen und zu übertreiben.

Somit ergibt sich die Eigenart, dass nach
vollzogener Spaltung beide Seiten versprechen, ausführlichere Dokumente zur
Darlegung ihrer Kritik und ihres jeweiligen Standpunkts nachzureichen. Die
Geschichte der „revolutionären“ Linken mag zwar reich an Spaltungen sein. In der
Regel verfassten die im Streit liegenden Seiten jedoch ihre wichtigsten
Fraktionsdokumente im Laufe des Kampfes – und reichten sie nicht erst nach der
Spaltung nach.

Allein die Verlaufsform des Fraktionskampfes
wirft ein problematisches Licht auf das Innenleben und die „demokratische
Tradition“ des CWI. Gerade in solchen Kämpfen, die – darüber sollte sich kein/e
RevolutionärIn Illusionen machen, auch zum Leben und zur Entwicklung
kommunistischer oder sozialistischer Organisationen gehören –, zeigt sich auch
die Reife und Qualität einer Organisation.

Differenzen in grundlegenden programmatischen
Fragen werden immer wieder zu Spaltungen führen, sollten sie nicht in eine
Klärung münden (inklusive der Möglichkeit einer gemeinsamen, höheren revolutionären
Synthese). Die Frage der Einschätzung „neuer“ sozialer Bewegungen, der Taktik
und Politik in der entstehenden neuen Frauenbewegung, in der Umweltbewegung, in
nationalen Befreiungskämpfen, im Kampf gegen Rassismus, in der Haltung zum
Brexit und zur Krise der EU, der Taktik gegenüber Corbyn, die Charakterisierung
Chinas, die Einschätzung der Weltlage … stellen wirklich grundlegende Fragen
dar, die jede Organisation, die ernsthaft einen revolutionären Anspruch stellt,
beantworten muss.

Gerade in stürmischen Zeiten von Krise und
Instabilität, eines Vordringens der Rechten und des Rechtsrucks, aber auch von
Massenwiderstand in der Situation der Defensive braucht eine revolutionäre
Organisation vor allem Klarheit, Perspektive und deren Zusammenfassung in Form
eines internationalen Programms. Jede andere Haltung mag möglich sein, nur ganz
sicher ist sie weder proletarisch noch revolutionär.

Marxismus und Fraktionskampf

In diesem Sinne hätte der Fraktionskampf –
unabhängig davon, ob er zu einer Spaltung führte oder nicht – zu einer Klärung
und politischen Schulung für tausende Mitglieder werden können. So endete
z. B. der Fraktionskampf in der US-amerikanischen, trotzkistischen SWP
1939/1940 zwar mit einer Spaltung, zugleich aber führte die Auseinandersetzung zu
einer politischen Klärung grundlegender methodischer und programmatischer Fragen.
Es ist kein Zufall, dass im Laufe dieser Diskussion zwei „Klassiker“ zu Fragen
des Parteiaufbaus, Trotzkis „In Verteidigung des Marxismus“ und Cannons „Kampf
für die proletarische Partei“ entstanden.

Einen solchen erzieherischen, das Bewusstsein
und Verständnis des Leninismus und Trotzkismus hebenden Charakter kann die
Debatte freilich nur haben, wenn in einer Krisenperiode die innerparteiliche
Demokratie ausgeweitet wird, um so ein Klima der Konzentration auf die
politische Klärung zu schaffen. Trotzki ging in den 1930er Jahren sogar so
weit, einer kleinbürgerlichen Opposition in der US-amerikanischen SWP
parteiinterne Garantien innerparteilicher Demokratie und Loyalität zu geben –
unabhängig davon, wer bei der Konferenz eine Mehrheit gewinnen würde. Für den
Fall eines Sieges der bolschewistischen Mehrheit schlug er vor, der Opposition
in der SWP(US) weitere Rechte als Minderheit (einschließlich einer begrenzten
öffentlichen Debatte der Differenzen) zuzugestehen. Für den Fall des Sieges der
kleinbürgerlichen Opposition drängte er darauf, als loyale Minderheit für die
Richtungsänderung in der Partei zu kämpfen.

Im CWI hatte keine der beiden Strömungen eine
ernsthafte interne, klärende, die Mitglieder politisch weiterentwickelnde
demokratische und fraktionelle Auseinandersetzung im Sinn. Der demokratische
Zentralismus schien allenfalls als Lippenbekenntnis Bedeutung zu haben. Die
Fraktion um Taaffe zog aus einer möglichen Niederlage offenkundig den Schluss,
dass es besser sei, das Vermögen und die Strukturen des Ladens so weit möglich
in Sicherheit zu bringen, statt auch nur für ein Jahr um die Mehrheit
organisiert zu kämpfen.

Diese Haltung scheint jedoch keineswegs nur von
der „proletarischen“ Fraktion vertreten zu werden. Die Sektionen aus Spanien,
Portugal, Venezuela und Mexiko, die seit dem 21. Juli 2019 als „Internationale
Revolutionäre Linke“ agieren und auch in Deutschland MitstreiterInnen aus der
Hamburger SAV gewonnen haben, verhielten sich recht ähnlich. Ursprünglich waren
sie Teil der Fraktion um Peter Taaffe. Ende März 2019 traten jedoch auf einem
Fraktionstreffen größere Differenzen zum Vorschein, was nicht nur mit dem
Austritt der vier Sektionen aus der Fraktion, sondern auch gleich aus dem CWI
endete.

Die Mehrheit des CWI-IEK beteuerte lange, dass
die Differenzen eigentlich gar nicht real wären und alle auf dem Boden des
CWI-Programms stünden. Naturgemäß trug diese Position auch nichts zur Klärung
bei. Die scharfe Konfrontation auf dem IEK im November 2018 und die Gründung
einer Fraktion erschienen so als eigentlich rein persönlich-bürokratisches
Vorgehen, nicht als Ausdruck politischer Differenzen. Selbst wenn diese
wirklich nur „übertrieben“ gewesen wären, so hätte sich die Mehrheit zumindest die
Frage stellen müssen, was auf Seiten der Fraktion dazu geführt hatte, worin
also deren politischer Fehler bestand. In ihrer Antwort auf die Abspaltung ist
sie gezwungen, das gewissermaßen nachzuholen, wenn sie schreibt:

„Die ehemalige, für die tagtägliche Arbeit des
CWI zuständige Führung, die einen bürokratischen Putsch in der Organisation
durchgeführt hat (die Mehrheit des Internationalen Sekretariats und die
Minderheitenfraktion, die es um sich herum versammelt hat), zeigte mangelndes
Vertrauen bezüglich der Intervention in diese Bewegungen. Sie betonten die Befürchtung,
dass unsere Mitgliedschaft von der kleinbürgerlichen Identitätspolitik und
anderen ‚fremden Ideen‘ in diesen Bewegungen verwirrt sein könnte, und zogen es
nach ihren eigenen Worten vor, sich ‚einzugraben‘ und auf Ereignisse innerhalb
der offiziellen Arbeiter*innenbewegung zu warten.

Sie griffen unsere Sektionen in Irland und den USA, die erfolgreich große Kämpfe von Arbeiter*innen, Frauen und Jugendlichen führten, in denen sie Siege erzielten und gleichzeitig das Banner des revolutionären Sozialismus prinzipientreu und flexibel hochhielten, für ‚Kapitulation vor kleinbürgerlicher Identitätspolitik‘ an. Die Mehrheit ist der Ansicht, dass eine solche Haltung nicht dazu geeignet ist, die proletarischen Prinzipien des Sozialismus zu schützen sondern unsere Mitgliedschaft unvorbereitet lassen würde und die kleinbürgerlichen Einflüsse in einigen der wichtigsten Massenmobilisierungen unserer Epoche unangefochten lassen würde.“ (Ein bürokratischer Putsch wird die Mehrheit des CWI nicht vom Aufbau einer starken revolutionär-sozialistischen Internationale aufhalten!)

Die falsche Methode, interne Auseinandersetzungen
zu führen, bedeutete nicht nur, dass die Spaltung bürokratische Formen annahm.
Der Fraktionskampf konnte so nicht einmal jene Funktion erfüllen, die er in einer
genuin revolutionären Organisation leisten sollte – Erhöhung des politischen
Niveaus der Organisation, Klärung und Schärfung der Argumente und damit auch
des Bewusstseins der Mitglieder. Solcherart könnte ein Fraktionskampf, selbst
wenn er in einer Spaltung endet, zumindest eine überaus intensive marxistische
Schulung mit sich bringen.

Dass es dazu nicht kam, erfordert jedoch selbst eine Erklärung. Diese muss unsere Meinung nach gerade dort gesucht werden, wo alle Spaltprodukte (einschließlich der lange zurückliegenden Abspaltung in Gestalt der IMT) ihre Stärke vermuten – in der ständig beschworenen „Tradition“ des CWI, die eng mit Grant, Woods, Taaffe verbunden ist. Wir werden an dieser Stelle nicht die gesamte Tradition „nacherzählen“, sondern verweisen auf einige in diesem Zusammenhang grundlegende Kritiken unserer Strömung (z. B. auf die Broschüre: Mit Nachtrabpolitik zum Sozialismus?).

Die „Tradition“ des CWI

Wir werden uns daher nur auf einige grundlegende
Eigenheiten dieser Tradition des Zentrismus, also einer Organisation, die
zwischen revolutionärem Kommunismus und Reformismus schwankt, eingehen, die zum
Verständnis der aktuellen Krise und Spaltung von größter Bedeutung sind.

Die Entwicklung des CWI als eigenständige
politische Strömung in Britannien und ab den 1970er Jahren auf internationaler
Ebene ist eng mit der Arbeit der Militant-Strömung und ihrer VorgängerInnen in
der Labour Party verbunden.

Um einen langfristigen, strategisch ausgelegten
Entrismus, also die organisierte Arbeit in der Labour Party (und später in
anderen reformistischen oder auch nationalistischen Parteien wie dem ANC) zu
rechtfertigen, entwickelten die GründerInnen der Strömung um Ted Grant ein
besonderes Verständnis von Entwicklung des Klassenbewusstseins und der
„Radikalisierung“ der ArbeiterInnenklasse.

Im Falle einer Zuspitzung des Klassenkampfes
würden die proletarischen Massen (wieder) in deren traditionelle Parteien
strömen, also in sozialdemokratische und, zur Zeit vor dem Zusammenbruch des
Ostblocks, auch in die stalinistischen. In manchen Ländern könnten de facto
auch links-bürgerliche oder nationalistische Formationen eine solche Funktion
übernehmen (z. B. ANC in Südafrika im Kampf gegen die Apartheid oder die
PPP in Pakistan).

Dahinter steckte nicht nur ein Schematismus, der
immer schon empirisch fragwürdig war. So schwollen im französischen Mai 1968
keineswegs einfach die „traditionellen“ Organisationen an, sondern die radikale
Linke erlebte einen massiven Aufschwung. Ebenso verhielt es sich in Italien
1969 und in den Folgejahren. All dies waren günstige Bedingungen für die
Schaffung direkt revolutionärer Parteien. Die Tatsache, dass die Gruppierungen
des ArbeiterInnenautonomismus, des Maoismus und Trotzkismus gegenüber den
reformistischen Parteien über keine ausreichende Taktik verfügten, offenbart
zwar eine fatale Schwäche dieser Organisationen, sie bestätigt aber keinesfalls
das Schema der Militant-Strömung.

Dieses wurde Anfang der 1990er Jahre – insbesondere
nach der Rechtswende der internationalen Sozialdemokratie – von der Mehrheit
des CWI um Peter Taaffe ein Stück weit in Frage gestellt. Im Gegensatz zu den
AnhängerInnen des CWI-Gründervaters und wichtigsten Theoretikers Ted Grant sahen
sie in der Arbeit in der britischen Labour Party keine weitere Perspektive mehr
und traten für den „eigenständigen“ Aufbau ein. 1992 erfolgte international die
Spaltung. Sicher ging auch diese nicht ohne bürokratische Manöver und Intrigen
vonstatten, aber das neu aufgestellte CWI konnte sich auf eine eindeutige
Mehrheit stützen und nahm Kurs auf den Aufbau eigener Organisationen außerhalb
der traditionellen Sozialdemokratie oder auf die Mitarbeit in „neuen“
Linksparteien, also linken reformistischen Parteien (wie z. B.
Rifondazione Comunista in Italien).

Die sozialdemokratischen Parteien – zuvor noch
als reformistische ArbeiterInnenparteien charakterisiert – änderten praktisch
überall ihren Charakter und wurden zu offen bürgerlichen Parteien erklärt.

Der Bruch war methodisch jedoch keineswegs so
grundlegend, wie es auf den ersten Blick erscheinen sollte. Während die
Charakterisierung der sozialdemokratischen Parteien geändert wurde, so
behielten beide Strömungen die falsche Vorstellung der Entwicklung revolutionären
Bewusstseins bei. Dem CWI erscheint das reformistische nämlich nicht als eine
Form bürgerlichen Bewusstseins, sondern als eine notwendige Entwicklungsstufe auf
dem Weg zum revolutionären Bewusstsein. Während die Strömung um Grant und
Woods, also die heutige IMT (in Deutschland: Der Funke) an dem klassischen
Schema und der Charakterisierung der Sozialdemokratie festhielt, führte das CWI
zwar das Schema fort, aber ohne Labour oder SPD als konkrete und notwendige Zwischenstufen
zur Entwicklung des Bewusstseins zu betrachten. Diese Rolle übernehmen entweder
diverse „Linksparteien“ (europäische Linkspartei, reformistische Strömungen in-
oder außerhalb bestehender Parteien), die Gewerkschaften oder der Aufbau
„eigener“ Parteien auf einem letztlich zentristischen Programm.

Programmatisch führte das Schema schon früh,
also lange vor der Spaltung von CWI und IMT, zu wichtigen Anpassungen an den
Reformismus bzw. an das (angenommene) vorherrschende Bewusstsein der
ArbeiterInnenklasse:

  • Die Militant-Strömung theoretisierte als einzige trotzkistische Strömung die Möglichkeit eines friedlichen, parlamentarischen Weges zum Sozialismus. Mittels einer Mehrheit und einer Massenmobilisierung der ArbeiterInnenklasse könne das Proletariat die Macht erobern und behaupten, ohne den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen und die konterrevolutionären Umsturzversuche der Bourgeoisie niederwerfen zu müssen.

„All die Intrigen und Verschwörungen der Kapitalisten können auf der Basis einer kühnen sozialistischen Politik, die von der Massenmobilisierung der Arbeiterbewegung unterstützt wird, nichtig werden. In Großbritannien ist eine völlig friedliche Umwandlung der Gesellschaft möglich, aber nur, wenn die ganze Kraft der Arbeiterbewegung kühn dazu verwendet wird, um die Veränderung zu bewirken.“ (Militant, What We Stand For, 1985, Zitiert nach Colin Lloyd, Richard Brennner und Eric Wegner: Voran, Vorwärts und die Militant-Tendenz: Bruch und Kontinuität einer Wende, http://www.arbeitermacht.de/rm/rm12/cwi.htm) Mit anderen Worten: Wenn die ArbeiterInnenklasse nur wolle, müsse der bürgerliche Staatsapparat eines der mächtigsten imperialistischen Länder der Welt nicht durch eine Revolution zerschlagen und die Konterrevolution gewaltsam niedergehalten werden. Militant und ihren Nachfolgern zufolge wird das Unmöglich möglich, hört die friedliche Umwandlung auf, ein reformistisches Hirngespinst zu sein, wenn die Massen nur „mobilisiert“ bleiben.

  • Dieser fundamentale Bruch mit der marxistischen Staatstheorie und deren Revolutionsverständnis hatte notwendige programmatische Konsequenzen, die sich praktisch in allen CWI-Programmen wiederfinden. Die Frage der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates, der Bewaffnung der Klasse (Milizen, Soldatenräte) bleibt außen vor. Dies folgt einerseits aus der theoretischen Revision, zum anderen aus der Anpassung an das vorherrschende nicht-revolutionäre Bewusstsein der Klasse, die man durch „Linksradikalismus“ nicht verprellen wollte.
  • Eine weitere Form der Anpassung bestand darin, dass die Militant-Strömung (ähnlich wie andere Gruppierungen des britischen Trotzkismus) schon sehr früh die Losung einer „Labour-Regierung auf einem sozialistischen Programm“ vertrat – eine Parole, die praktisch die Möglichkeit einer revolutionären Regeneration der Labour Partei oder anderer reformistischer Parteien implizierte.
  • In der Labour Party wie auch in der „unabhängigen“ Arbeit wurde die Anpassung an vorherrschende Stimmungen der ArbeiterInnenklasse – und darüber vermittelt an das bürgerliche System – noch vertieft. So weigerte sich Militant im Malvinas-Krieg zwischen Britannien und Argentinien von Beginn an, für die Niederlage des britischen Imperialismus, also der eigenen Bourgeoisie, einzutreten. In der Frage der „offenen“ Grenzen passte sich das CWI über Jahre an den Sozial-Chauvinismus in der ArbeiterInnenklasse an und lehnte es beständig ab, für die Abschaffung aller Einreisekontrolle einzutreten. Die Abschaffung jeder staatlichen Selektion zwischen „guten“ und „schlechten“, also für das Kapital verwertbaren und nicht verwertbaren MigrantInnen wäre der ArbeiterInnenklasse nämlich nicht „vermittelbar“. Statt also dem Chauvinismus in der Klasse politisch und argumentativ entgegenzutreten, wird dieser als „natürlich“ hingenommen. Diese Anpassung findet sich schließlich aktuell besonders deutlich beim sog. „Workers Brexit“, einer angeblich linken Variante des Brexit. Damit soll der Einfluss rechts-populistischer DemagogInnen wie Farage oder Johnson bekämpft werden – in Wirklichkeit läuft das CWI diesen hinterher und kehrt darüber hinaus all jenen Lohnabhängigen, die gegen den Brexit sind, den Rücken. Hier erweist sich die Nachtrabpolitik nicht nur als opportunistisch, sondern auch als nutzlos, blöde und kontraproduktiv.

Nachtrabpolitik

Die Nachtrabpolitik des CWI hat jedoch eine
theoretische Wurzel. Es lehnt – ebenso wie die IMT – bewusst die Lenin’sche
Konzeption der Entwicklung des Klassenbewusstseins ab, wie sie z. B. in
„Was tun“ dargelegt wird. So schreibt Alan Woods in „Bolshevism: road to
revolution“:

„Die Arbeiterklasse beginnt aus lebender Erfahrung mit Ausbeutung und Unterdrückung ein sozialistisches Bewußtsein zu entwickeln, angefangen mit der aktiven Schicht, die die Klasse führt. (…) Der Klassenkampf selbst schafft unausweichlich nicht nur ein Klassenbewußtsein, sondern auch ein sozialistisches Bewußtsein.“ (Zitiert nach RSO, CWI und IMT, Marxismus Nr. 30, Februar 2009, S. 57)

Wie zahlreiche andere RevisionistInnen, die die
Lenin’sche Polemik gegen den Ökonomismus für „überzogen“ halten und daher
meinen, seine gesamte Theorie verwerfen zu können, übersieht Woods, dass seine
Vorstellung nicht nur jener von Lenin und Kautsky, sondern auch der von Marx
diametral entgegensteht. Im ersten Band des Kapital legt Marx dar, dass das
Lohnarbeitsverhältnis selbst das Bewusstsein der Klassen prägt. Die
Transformation des Werts der Ware Arbeitskraft in Arbeitslohn inkludiert auch
eine ideologische, bewusstseinmäßige Verkehrung des realen
Ausbeutungsverhältnisses:

„Bei der Lohnarbeit erscheint umgekehrt selbst die Mehrarbeit oder unbezahlte Arbeit als bezahlt. Dort (in der Sklaverei; Anm. d. Autors) verbirgt das Eigentumsverhältnis das Fürsichselbstarbeiten des Sklaven, hier das Geldverhältnis das Umsonstarbeiten des Lohnarbeiters.

Man begreift daher die entscheidende Wichtigkeit der Verwandlung von Wert und Preis der Arbeitskraft in die Form des Arbeitslohns oder in Wert und Preis der Arbeit selbst. Auf dieser Erscheinungsform, die das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und grade sein Gegenteil zeigt, beruhn alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistischen Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen der Vulgärökonomie.“ (Marx, Das Kapital, Band 1, S. 562)

Dies verdeutlicht wohl hinlänglich, dass sich aus
der „lebendigen Erfahrung mit Ausbeutung und Unterdrückung“ überhaupt kein
Klassenbewusstsein spontan entwickelt, sondern dass die „lebendige Erfahrung“,
der Verkauf der Ware Arbeitskraft und noch das Aushandeln der Verkaufsbedingungen
der Ware Arbeitskraft, also die regelmäßige Reproduktion des
Kapitalverhältnisses, notwendigerweise bürgerliches Bewusstsein hervorbringt.

Elementarformen des Klassenkampfes – z. B.
der Kampf um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen – können zwar in der
Aktion bestimmte Flausen, Mystifikationen (z. B. die Vorstellungen von
„Gerechtigkeit“, vom Staat, …) praktisch in Frage stellen. Aber sie führen
keineswegs spontan zur Bildung von Klassenbewusstsein, geschweige denn zum „sozialistischem
Bewusstsein“. Das rein gewerkschaftliche Bewusstsein, das zweifellos „spontan“
aus der Erfahrung in dieser Form des Klassenkampfes erwächst, stellt Marx und
Lenin zufolge noch immer eine Art bürgerlichen Bewusstseins dar. Der
Reformismus bürgerlicher ArbeiterInnenparteien wie z. B. der Labour Party,
der SPD oder der Linkspartei ist im Grunde nichts anderes als eine Ausweitung
dieser Form bürgerlichen Bewusstseins auf die politische Ebene. Gegenüber dem
rein gewerkschaftlichen stellt das zwar einen Fortschritt dar, weil es die
Notwendigkeit einer Partei der ArbeiterInnenklasse anerkennt – aber
nichtsdestotrotz bleibt auch eine solche, reformistische Partei eine
bürgerliche, auf dem Boden des Kapitalismus agierende politische Kraft, das
reformistische Bewusstsein daher bürgerliches Bewusstsein.

Der Boden für die Bildung revolutionären
Klassenbewusstseins wird zwar durch Krisen, Verwerfungen, Massenaktionen,
Aufstände usw. befördert, weil Fragen des Klassenkampfes und Machtfragen zu
unmittelbar praktischen werden. Nichtsdestotrotz erfordert die Hervorbringung konsequent
revolutionären Klassenbewusstseins auch dann eine theoretische Analyse, eine
wissenschaftliche Verallgemeinerung, die nicht nur und auch nicht vorrangig aus
der eigenen Erfahrung, sondern nur aus der verallgemeinerten Erfahrung aller
Klassekämpfe hervorgehen kann. Diese wird nicht spontan entwickelt, sondern bedarf
theoretischer Anstrengung. Revolutionäre Politik muss für den Marxismus auf
einer revolutionären Theorie fußen – ansonsten ist sie keine.

Diese Theorie muss in den Klassenkampf, in die
ArbeiterInnenklasse getragen werden – sei es durch politisch bewusste
Lohnabhängige, sei es durch kleinbürgerliche oder bürgerliche TheoretikerInnen,
die sich den wissenschaftlichen Sozialismus zu eigen gemacht haben. In die
Klasse tragen darf dabei natürlich nicht mit „Aufklärung“ verwechselt werden,
sondern bedeutet, für ein Programm zu kämpfen, das eine Brücke zwischen Theorie
und Erfahrung schlägt, das einen Weg weist, die beschränkten Kämpfe für soziale
und politische Reformen mit dem für die sozialistische Revolution zu verbinden.

Die Vorstellung, dass Klassenbewusstsein aus der
Erfahrung oder dem spontanen Klassenkampf notwendig erwachse, stellt nicht nur
einen fundamentalen Bruch mit dem Marxismus dar – sie rechtfertigt logisch auch
eine Nachtrabpolitik, eine Anpassung an des bestehende Bewusstsein, wie es
Lenin an den ÖkonomistInnen kritisierte.

Sie unterstellt nämlich, dass rein
gewerkschaftliches oder reformistisches Bewusstsein schon einen halben Schritt
zum revolutionären darstellen würden, dass diese nur quantitativ erweitert
werden müssen und sich organisch in „revolutionäres“ verwandeln würden.

Ökonomischer Kampf als eigentlicher
Klassenkampf?

In Wirklichkeit bedeutet revolutionäres
Klassenbewusstsein jedoch einen qualitativen Bruch mit dem Reformismus. Der
Kampf für revolutionäre Politik beinhaltet daher in nicht-revolutionären Zeiten
immer ein Ankämpfen gegen das spontane, vorherrschende Bewusstsein – auch innerhalb
der ArbeiterInnenklasse. Der Verzicht z. B. auf den Kampf um „offene
Grenzen“ oder Anpassung an die sozialchauvinistischen Stimmungen in der
britischen ArbeiterInnenklasse in der Frage des „Workers Brexit“ stellt
hingegen eine Form der Nachtrabpolitik dar, der Anpassung an das vorherrschende,
nicht-revolutionäre Bewusstsein der Klasse, insbesondere an den
Sozial-Chauvinismus.

Das Zitat von Woods, das bis heute dem
Verständnis von Klassenbewusstsein und dessen Entwicklung bei allen Flügeln von
CWI und IMT zugrunde liegt, impliziert noch eine bestimmte Haltung zu den
Formen des Klassenkampfes. Bekanntlich unterscheiden Engels und in seiner
Nachfolge auch Lenin und andere MarxistInnen zwischen drei Hauptformen des
Klassenkampfes: dem gewerkschaftlichen, dem politischen und dem ideologischen
(oder theoretischen). Die Aufgabe einer revolutionären Partei besteht darin,
alle drei systematisch zu betreiben und im Rahmen einer revolutionären
Strategie zu verbinden, die auf die politische Machtergreifung der
ArbeiterInnenklasse ausgerichtet ist.

In der CWI-Tradition wird unwillkürlich – und im
direkten Gegensatz zu allen klassischen marxistischen TheoretikerInnen – der
ökonomische Kampf zum Kern des Klassenkampfes.

Die Verklärung des gewerkschaftlichen
Klassenkampfes zum eigentlichen Klassenkampf, des reformistischen
ArbeiterInnenbewusstseins zum eigentlichen Sprungbrett für „revolutionäres
Bewusstsein“ stellt letztlich eine ideologische Rechtfertigung des Workerismus
dar, der die CWI-Strömung seit ihrer Entstehung prägt.

Es ist daher kein Wunder, dass diese Tendenz
gegenüber Kämpfen der Unterdrückten – nationalen Befreiungsbewegungen,
antirassistischen Kämpfen, dem Kampf für Frauenbefreiung oder gegen sexuelle
Unterdrückung – immer wieder skeptisch, oft direkt sektiererisch auftrat. So
lässt sich das bis heute an der links-zionistischen Position zu Palästina oder
der sektiererischen Haltung zum nationalen Befreiungskampf in (Nord-)Irland
zeigen.

Wenn wir von einer ökonomistischen Vorstellung
der Entwicklung des Klassenbewusstseins ausgehen, so erscheint das nicht
sonderlich problematisch, ja sogar als eine Tugend, sich auf die „echten“
ArbeiterInnenfragen zu konzentrieren.

Von einem leninistischen Standpunkt aus ist das jedoch
fatal. In „Was tun“ erklärt Lenin schließlich nicht nur, dass Klassenbewusstsein
von außen in die Klasse getragen werden muss – er legt auch verständlich und
bündig dar, was revolutionäre Klassenpolitik inhaltlich auszeichnet.

„Das Bewußtsein der Arbeiterklasse kann kein wahrhaft politisches sein, wenn die Arbeiter nicht gelernt haben, auf alle und jegliche Fälle von Willkür und Unterdrückung, von Gewalt und Mißbrauch zu reagieren, welche Klassen diese Fälle auch betreffen mögen, und eben vom sozialdemokratischen und nicht von irgendeinem anderen Standpunkt aus zu reagieren. Das Bewußtsein der Arbeitermassen kann kein wahrhaftes Klassenbewußtsein sein, wenn die Arbeiter es nicht an konkreten und dazu unbedingt an brennenden (aktuellen) politischen Tatsachen und Ereignissen lernen, jede andere Klasse der Gesellschaft in allen Erscheinungsformen des geistigen, moralischen und politischen Lebens dieser Klassen zu beobachten; wenn sie es nicht lernen, die materialistische Analyse und materialistische Beurteilung aller Seiten der Tätigkeit und des Lebens aller Klassen, Schichten und Gruppen der Bevölkerung in der Praxis anzuwenden. Wer die Aufmerksamkeit, die Beobachtungsgabe und das Bewußtsein der Arbeiterklasse ausschließlich oder auch nur vorwiegend auf sie selber lenkt, der ist kein Sozialdemokrat, denn die Selbsterkenntnis der Arbeiterklasse ist untrennbar verbunden mit der absoluten Klarheit nicht nur der theoretischen … sogar richtiger gesagt: nicht so sehr der theoretischen als vielmehr der durch die Erfahrung des politischen Lebens erarbeiteten Vorstellungen von den Wechselbeziehungen aller Klassen der modernen Gesellschaft. Darum eben ist die Predigt unserer Ökonomisten, daß der ökonomische Kampf das weitest anwendbare Mittel zur Einbeziehung der Massen in die politische Bewegung sei, so überaus schädlich und ihrer praktischen Bedeutung nach so überaus reaktionär.“ (Lenin, Was Tun, LW 5, S. 426)

Dass revolutionäre Organisationen eine klare
Position zum Kampf gegen Frauenunterdrückung, gegen die Unterdrückung der
Jugend, gegen Imperialismus, Rassismus und nationale Unterdrückung einnehmen,
dass sie mit einem Klassenstandpunkt in diese Bewegungen intervenieren und
einen revolutionären Kurs skizzieren, stellt keine „konjunkturelle“ Aufgabe
dar. Sie ergibt sich auch nicht nur negativ aus der Notwendigkeit, die Dominanz
bürgerlicher und kleinbürgerlichen Ideologien in Bewegungen der Unterdrückten
zu bekämpfen. Vielmehr folgt die Notwendigkeit, eine Politik zu entwickeln, die
sich gegen alle Formen von Ausbeutung und Unterdrückung wendet, aus dem
Charakter des proletarischen Befreiungskampfes selbst. Die ArbeiterInnenklasse
kann sich nämlich nur selbst befreien, wenn sie alle Verhältnisse umwirft, in
denen der Mensch eine erbärmliches, geknechtetes Wesen ist, indem sie sich
selbst durch die Revolution befreit und revolutioniert.

Das ökonomistische Schema von Woods hingegen
legt auf allen Gebieten nahe, dass der Kampf gegen soziale Unterdrückung oder
auch die „Staatsfrage“ durch das naturnotwendig stetig steigende Gewicht und
Bewusstsein der Klasse „letztlich“ und gewissermaßen automatisch gewonnen,
gelöst wird.

Die Krise des CWI ist eine Krise ihres Schemas

Die Krise des CWI muss unserer Auffassung nach
als eine Krise dieses Schemas und bestimmter damit verbundener Erwartungen an
die Entwicklung der ArbeiterInnenklasse, ihres Bewusstseins und des CWI selbst
verstanden werden.

Anders als viele konkurrierende trotzkistische
Strömungen – allen voran das „Vereinigte Sekretariat der Vierten
Internationale“, aber auch als der Morenoismus – schien das CWI nach der
Spaltung von der IMT mit großen Schritten voranzuschreiten. Die Führung der
Organisation setzte sich das Ziel, zur größten „trotzkistischen“ Strömung
weltweit zu werden. Nach der großen Krise 2008–2010 wurden diese Hoffnungen
anscheinend noch verstärkt zum Ausdruck gebracht.

Doch der Durchbruch kam nicht. Die
verschiedenen, öffentlich gewordenen Dokumente des Fraktionskampfes im CWI
legen vielmehr nahe, dass die Organisation international betrachtet in den
letzten 10 Jahren stagnierte. Zweitens offenbaren die wechselseitigen Vorwürfe
der Fraktionen, dass die Mitgliederzahlen jahrelang übertrieben wurden, um
andere Strömungen zu beeindrucken oder die Moral der eigenen Mitglieder zu
heben. Diese Beschönigung der Mitgliederstatistiken funktionierte anscheinend
jahrelang. Im Zuge der Krise hatte und hat das sicher eine demoralisierende
Wirkung auf viele GenossInnen, die schließlich jahrelang über den Zustand der
eigenen Organisation hinters Licht geführt wurden.

Drittens verschoben sich im CWI auch die
politischen Gewichte und das Verhältnis zwischen den Sektionen. Jahrelang galten
die Dominanz und politische Führungsrolle der englischen und walisischen
Sektion, der Socialist Party (SP), als unangefochten. Doch die Autorität von
Taaffe und Co. wurde ganz zweifellos unterminiert.

Politik der SP

Auch wenn die Fragen der Politik der SP selbst
in den fraktionellen Auseinandersetzungen kaum zur Sprache kamen und auch wenn
die Mehrheit des IEK diese praktisch nicht kritisierte, so war wohl
offenkundig, dass sie politisch nicht vorankam und „bestenfalls“ weniger an
Einfluss und Mitgliedern verlor als die andere große zentristische
Organisation, die SWP. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens das Festhalten am
„Workers Brexit“. Für die SP stellte die Mehrheit für den Austritt Britanniens
aus der EU einen Sieg der ArbeiterInnenklasse dar, die Führung der SAV in
Deutschland bezeichnete ihn als „Grund zu Freude“. Und die SP in Britannien
hält bis heute daran fest, dass sich Labour und die Gewerkschaften an die
Spitze einer imaginären „linken“ Brexit-Bewegung stellen müssten:

„Um erfolgreich zu sein, muss Corbyn diese Botschaft beharrlich, laut und deutlich aussprechen – einhergehend mit dem Versprechen, bezüglich des Brexit und darüber hinaus Maßnahmen für die Arbeiter*innenklasse durchzuführen. Auf dieser Grundlage könnten Labour und die Gewerkschaften Massen für einen Brexit im Interesse der Arbeiter*innenklasse mobilisieren und damit auch der Kampagne der Rechtspopulist*innen gegen die EU etwas entgegensetzen.“ (https://www.sozialismus.info/2019/04/sozialistinnen-und-der-brexit/)

Eine „Partei“, die zwischen Sieg und Niederlage
nicht zu unterscheiden weiß, die meint, die Brexit-Bewegung mit einem
nationalen Weg zum Sozialismus schlagen zu können, und dabei all jenen
Lohnabhängigen und MigrantInnen den Rücken kehrt, die gegen den
nationalistischen Brexit-Wahn kämpfen wollen, benötigt weder die britische noch
sonst eine ArbeiterInnenklasse.

Zweitens weigerte sich die SP, in die Labour
Party unter Corbyn einzutreten und auf Hunderttausende nach links gehende AktivistInnen
zuzugehen. Statt ihre eigene, vorschnelle Erklärung der Labour Party als „rein
bürgerliche Partei“ zu redividieren, klammerte sich die Taaffe-Führung an
dieser falschen Einschätzung fest und wählte die Selbstisolation außerhalb von
Labour. Zweifellos hätte eine Revision der Charakterisierung der Labour Party
kritische Fragen bezüglich der eigenen Vergangenheit aufgeworfen. Politisch
geholfen hat diese sture Verteidigung des eigenen Fehlers sicher nichts.
Erschwert wurde dieser Fehler sicher auch dadurch, dass die Labour Party unter
Corbyn auf einem links-reformistischen Programm antrat, von dem sich die SP
viel schwerer inhaltlich abzusetzen vermochte. Ihre falsche Haltung zum Brexit
und ihre Ablehnung offener Grenzen führten außerdem dazu, dass sie in diesen
zentralen Fragen des Klassenkampfes rechts von vielen Labour-AktivistInnen
stand und steht.

Entwicklung anderer Sektionen

Während die SP auf dem absteigenden Ast war,
errangen andere Sektionen des CWI – insbesondere die irische und US-amerikanische
– durchaus beachtliche Wahlerfolge auf kommunaler oder gar nationaler Ebene.

Nicht nur Größenverhältnisse änderten sich, auch
die politische Schwerpunktsetzung der einzelnen Sektionen wandelte sich und
wurde unterschiedlicher. Das CWI der 1970er und 1980er Jahre folgte einem
weitgehend einheitlichen Aufbauplan seiner Sektionen – der Arbeit in
bestehenden Massenparteien und in den Gewerkschaften. Alle Strömungen, die eine
entristische Arbeit verweigerten, wurden als „SektiererInnen am Rande der ArbeiterInnenbewegung“
denunziert. Eine solche oberflächliche Immunisierung der eigenen Mitglieder
gegenüber der „restlichen Linken“ war naturgemäß nach dem Austritt aus Labour
oder SPD nicht mehr oder nur noch bedingt möglich.

Hinzu kam, dass einige Sektionen ihren
Schwerpunkt in „neuen“ reformistischen Linksparteien suchten, andere wie die SP
in England auf den eigenen Aufbau setzten. Die Aufbautaktik wurde somit uneinheitlicher.
Mit dem Linksschwenk von Labour unter Corbyn stellte sich natürlich auch die
Frage, warum eine Arbeit in der zahlenmäßig stagnierenden deutschen Linkspartei
unbedingt notwendig sei, während ein organisierter Kampf in der Labour Party
abgelehnt wurde. Während man sich in Britannien von der „Corbyn-Bewegung“ fernhielt,
wurde zugleich die Präsidentschaftskampagne von Sanders in der offen
bürgerlichen Demokratischen Partei unterstützt.

Auch die Arbeit in den Gewerkschaften, jahrelang
in Form opportunistischer Anpassung an die linke Bürokratie ein Aushängeschild
der englischen Sektion, wurde angesichts von Niederlagen der organisierten
ArbeiterInnenklasse wie des Aufstiegs neuer sozialer Bewegungen in einigen
Ländern depriorisiert. So agierte die irische Sektion vor allem in der
Frauenbewegung und der Kampagne gegen Abtreibung.

Anpassung an unterschiedliche Milieus

Diese verschiedenen Taktiken und Aufbaumethoden
folgten mehr und mehr den unmittelbaren Bedürfnissen einzelner Sektionen.
Zugleich mussten sie früher oder später die Frage der Aufbaumethode, der
Klassenpolitik (Haltung zu den DemokratInnen in den USA), der Position zu kleinbürgerlich
geführten Bewegungen usw. aufwerfen.

Eine offene Diskussion über all diese Fragen war
jedoch über Jahre zurückgestellt worden. Es wurde eine einheitliche Linie
suggeriert, auch wenn diese in der Realität mehr und mehr aufgeweicht wurde.

Eine revolutionäre Organisation, die auf Basis
eines gemeinsamen, wissenschaftlichen Programms agiert, kann mit solchen
unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen nationaler Sektionen eigentlich leicht
leben, da es das internationale Programm erlaubt, ebendiese in einen
gemeinsamen Kontext zu stellen. Für eine ökonomistische Organisation verhält es
sich grundsätzlich anders. Gehen wir davon aus, dass das revolutionäre
Bewusstsein direkt aus dem Klassenkampf entsteht, so tendiert natürlich eine
Verschiebung des jeweiligen Fokus auch dazu, dass sich das Milieu, aus dem das
Bewusstsein organisch erwachsen soll, grundlegend ändert.

Solang alle einen Schwerpunkt auf einigermaßen
ähnliche Gewerkschaftsarbeit und auf reformistische Parteien legen, werden sich
noch einigermaßen ähnliche „Bewusstseinsansätze“ ergeben.

Anders wird es freilich, wenn verschiedene
Sektionen in unterschiedlichen Milieus und Bewegungen agieren und intervenieren
– und das noch umso mehr, als manche davon einen klassenübergreifenden
Charakter tragen. Der Kampf schafft dabei selbst kein gemeinsames revolutionäres
Bewusstsein, sondern unterschiedliche nicht-revolutionäre Bewusstseinsformen.
Diese können Formen der Identitätspolitik und des bürgerlichen oder kleinbürgerlichen
Feminismus (wie in Irland darstellen), es können ebenso Spielarten des
Reformismus und Sozial-Chauvinismus wie in Britannien sein.

So richtig daher der Vorwurf der ehemaligen
IS-Mehrheit um Peter Taaffe auch hinsichtlich der Anpassung der irischen
Mehrheit und ihrer UnterstützerInnen an die Identitätspolitik sein mag, so bleibt
die ganze Kritik blind gegenüber der Tatsache, dass diese Anpassung durchaus
aus der ökonomistischen Vorstellung der Entwicklung von Klassenbewusstsein
entspringt, die dem CWI immer schon zugrunde lag.

Wenn die „proletarische Tendenz“ von einer
Rückkehr zur „ArbeiterInnenpolitik“ spricht, so meint sie letztlich eine
Rückkehr zu den echten, ökonomistischen Wurzeln des CWI. Dieser Appell mag zu
einem Zusammenrücken der verbliebenen AnhängerInnen führen, zu einer Lösung der
Probleme des CWI wird er nicht führen – erst recht nicht mit einer Anpassung an
das vorherrschende linke, gewerkschaftliche ArbeiterInnenbewusstsein.

Umgekehrt sind bei der Mehrheit des IEK weitere
Anpassungen an kleinbürgerliche Kräfte und Ideologien, vor allem aber eine
Tendenz zum Föderalismus und zur Beliebigkeit zu erwarten. Anders als die
Strömung um Taaffe stellt sie eher eine Koalition von GegnerInnen der „alten“
Führung dar – über einen einheitlichen Gegenentwurf dürfte sie nicht verfügen.
Es handelt sich vielmehr um eine Gruppierung nationaler Sektionen, für die ihr
jeweiliger „nationaler“ Aufbau im Zentrum stehen dürfte – und damit ist
entweder Beliebigkeit oder weitere Spaltung vorprogrammiert.

Mit der Spaltung wird in jedem Fall die Krise
des CWI nicht vorüber sein. Die politischen Fehler der letzten Jahre – wie
Brexit, … – werden in den kommenden erst recht ihren Tribut fordern. Während
von der Strömung um Taaffe eher eine sektiererische Haltung zur neuen
Frauenbewegung oder zur Umweltbewegung zu erwarten ist, werden andere auf
Anpassung setzen. Und solche kann – nehmen wir nur den Aufstieg populistischer
Bewegungen wie der Gilets Jaunes – zu weit größeren Fehlern als eine Adaption
an Identitätspolitik oder Reformismus führen. Eine solche Entwicklung ist auch
deshalb zu befürchten, weil alle Strömungen des CWI bislang eine Verharmlosung
der reaktionären Entwicklungen der letzten Jahre eint.

Weltlageeinschätzung

So geht ihre letzte und einstimmig
verabschiedete, gemeinsame Weltlageeinschätzung mit keinem Wort auf deren
veränderten Charakter seit der Niederlage des Arabischen Frühlings in Syrien
und Ägypten und der von Syriza ein. Natürlich bestreitet das CWI dabei nicht,
dass es diese Niederlagen gegeben hat, wohl aber dass diese für die Entwicklung
des globalen Kapitalismus einen Rechtsruck und eine reaktionäre Phase bedeuten.

Wie wir sehen können, kann diese selbst
Massenwiderstand wie z. B. in Brasilien, Generalstreiks wie in Indien oder
gar Revolutionen wie im Sudan hervorbringen. Aber das ändert nichts daran, dass
die ArbeiterInnenklasse in einer Situation der Defensive agiert – einer
Defensive, die nicht nur die Schwäche der Klassenorganisationen, sondern auch
das Vordringen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Ideologien in den Bewegungen
der Widerstandes wie in der ArbeiterInnenklasse selbst beinhaltet. Eine
Hauptgefahr – aber sicher nicht die einzige – stellt dabei der (Links-)Populismus
dar.

In den Thesen des CWI vom November 2018
erscheint dies jedoch vielmehr als Prozess, als Polarisierung, bei der erstens
nicht ausgemacht werden könne, welche Kraft – Reaktion oder Revolution – im
Vormarsch ist, und bei der die Entwicklung des Klassenbewusstseins letztlich
nur als eine Frage der Zeit erscheint, also der spontanen Entwicklung von Massenmobilisierungen.
So heißt es in dem Papier:

„Der Aufstieg des politisch nebulösen Populismus wurzelt in der Weltwirtschaftskrise von 2007/08 und ihren Folgen. Bürgerliche Analyst*innen, darunter Francis Fukuyama und eine Reihe von Kommentator*innen, spotten darüber, dass es nicht diese Linke, sondern die Rechte war, die am meisten von den politischen Folgen dieser Krise profitierte. Das stellt die Realität völlig auf den Kopf. Die Arbeiter*innenklasse wandte sich in vielen Ländern zunächst einmal der Arbeiter*innenbewegung und der Linken zu, um eine Erklärung und Lösungen für die Krise zu finden. Die Linke hätte angesichts der Schwere der Rezession, die zur Diskreditierung des Kapitalismus und seiner politischen Vertretung führte, erheblich gewinnen können.“ (https://www.sozialismus.info/2019/01/die-lage-der-welt-das-kapitalistische-system-steht-vor-politischen-und-sozialen-umbruechen)

Hier flüchtet sich das CWI einhellig in den
Konjunktiv. Zur Bestimmung des aktuellen Kräfteverhältnisse ist leider nicht
entscheidend, was hätte kommen können, sondern wie sich Bewusstsein und
Kräfteverhältnis real entwickelten.

Hinter dieser Formulierung steht letztlich ein
objektivistisches Hoffen, dass die „Radikalisierung“ und Bewusstseinsbildung
der ArbeiterInnenklasse einem „gut aufgestellten“ CWI bei den nächsten größeren
Mobilisierungen Massen in die Arme treiben würden. Die letzten Jahre zeigen,
dass die Weigerung des CWI, ihren eigenen Ökonomismus kritisch zu hinterfragen
und abzulegen, die Organisation zur Spaltung getrieben hat. Nur wenn das CWI,
einzelne Abspaltungen oder GenossInnen die falschen methodischen Grundpfeiler
ihrer Tendenz in Frage stellen, kann aus dieser Krise Positives erwachsen.




SAV und Linksjugend [`solid] – Sind Revolution und Reformismus unvereinbar?

REVOLUTION, Kommunistische Jugendorganisation, Infomail 996, 2. April 2018

Vom 13. bis 15. April findet in Erfurt der XI. Bundeskongress der linksjugend [’solid] statt. Doch anstatt sich darauf zu verständigen, wie sich die sozialistische Jugend dem Rechtsruck, den Angriffen auf die Arbeiter_Innenbewegung sowie der drohenden ökologischen Katastrophe und Kriegsgefahr entgegenstellen kann, wird vermutlich eine andere Frage im Vordergrund stehen. Es handelt sich um den Satzungsantrag S4. Dieser fordert die Übernahme folgenden Satzes in die Satzung der Organisation: „Eine Mitgliedschaft in der linksjugend [’solid] ist mit einer Mitgliedschaft in der Sozialistischen Alternative (SAV) nicht vereinbar.“

Eine Reihe von Landessprecher_Innen, zwei Bundessprecherinnen sowie der brandenburgische und thüringische Landessprecher_Innenrat stellen diesen Antrag. Dem kurzen Text ist eine lange Begründung beigefügt. [1] Dass sich den Erstunterzeichner_Innen auch Vertreter_ Innen des „ linken Flügels “ wie Nadine Bendahou angeschlossen haben, zeigt sicher die Prinzipienlosigkeit von Auseinandersetzungen im Verband auf.

Es ändert jedoch an dem grundlegenden Charakter des Antrags nichts. Er ist in erster Linie das Machwerk des rechten Flügels, der offen für kapitalistische Regierungsbeteiligungen der LINKEN eintritt und keinen Hehl daraus macht, antirevolutionär und reformistisch zu sein. Jedes ehrliche Mitglied der Linksjugend sollte sich deutlich gegen diesen Angriff von rechts positionieren. Alle Delegierten des Bundeskongresses, die sich als Sozialist_Innen verstehen, sollten klar und entschieden mit „Nein“ gegen den Antrag stimmen.

Die Begründung zeichnet sich durch eine Reihe von organisatorischen Halbwahrheiten und Lügen aus, die durch die Gegendarstellung der SAV plausibel widerlegt werden. Charakteristisch ist allerdings vor allem, wie unpolitisch die Begründung ist. Man findet in dem gesamten dreiseitigen Text kein einziges programmatisches Argument gegen den Bundesarbeitskreis Revolutionäre Linke (BAK RL) oder die Sozialistische Alternative. Es gelingt den Autoren nicht an einer einzigen Stelle zu belegen, wo die SAV gegen das Programm oder die Statuten von [’solid] verstoßen hat. Stattdessen werden reihenweise Vorurteile des bürgerlichen Individualismus bedient, die sich nicht nur gegen die SAV, sondern gegen einfache Organisationsprinzipien jeder einigermaßen kämpferischen Arbeiter_Innenbewegung richten. So würden in der SAV Genoss_Innen „ausgebeutet“, weil ihre Mitgliedschaft mit Pflichten (Beitragszahlung, Übernahme von Aufgaben, Zeitungsverkauf, Eintreten für die Position der Organisation) verbunden sei. Solche Vorwürfe sind nicht nur albern – zu Ende gedacht, bedeuten sie die Ablehnung und Denunziation jeder vom Staat und den Reichen unabhängigen Organisationsform der Lohnabhängigen und sozial Unterdrückten.

Wer es mit dem Kampf gegen das kapitalistische System ernst meint, kommt um eine verbindliche Organisationsform und um Disziplin, demokratische, aber auch zentralisierte Kampfstrukturen nicht herum. Wie auch immer die innere Verfasstheit der SAV real aussehen mag, so ist es eine Organisation, der sich Menschen freiwillig anschließen und aus der sie ggf. auch jederzeit austreten können. Dass die Mitgliedschaft auch mit einer gewissen Unterordnung unter gemeinsame Beschlüsse einhergeht ist, nichts SAV-Spezifisches, sondern findet sich letztlich in jeder Arbeiter_Innenorganisation, so auch in jeder Gewerkschaft, in jedem Arbeitskampf wieder. Wer das grundsätzlich als Einschränkung der Freiheit ablehnt, erweist dem Kampf um Befreiung einen Bärendienst, ja macht ihn letztlich unmöglich. Er oder sie fetischisiert vielmehr die Freiheit des Individuums, während diese an den Erfordernissen des Klassenkampfes eine Grenze findet, ja finden muss, wenn das Ziel der „Befreiung“ nicht bloß Gerede sein soll.

Keine Frage: Die SAV und die RL verdienen die Solidarität jeder linken Organisation gegen den Angriff von rechts. Es geht hier um einen offenkundigen Säuberungsversuch gegenüber missliebigen linken Opponent_Innen in [’solid]. Nachdem die SAV nicht politisch, also für ihr Programm und ihre Taten angegriffen wird, nachdem die Antragsteller_Innen auch auf jeden konkreten Beleg eines Bruchs des Statuts verzichten, bleibt nur noch eins: Schon die Existenz der SAV ist das eigentliche „Verbrechen“ der Organisation, das mit der Mitgliedschaft in [’solid]unvereinbar wäre. Gerade weil die Antragsteller_Innen einer politischen Konfrontation ausweichen, greifen sie zum Mittel der Denunziation gegen die SAV, werfen ihr vor, was kleinbürgerliche Individualist_Innen an so ziemlicher jeder organisierten Kraft der „radikalen Linken“ stört, nämlich ein oft durchaus recht beschränktes Mindestmaß an programmatischer und politischer Geschlossenheit und Verbindlichkeit, an Disziplin und Loyalität zur eigenen Gruppierung. Die Vorwürfe offenbaren den kleinbürgerlichen und individualistischen Charakter der Antragsteller_Innen, egal aus welchem „Spektrum“ sie auch kommen mögen.

Antwort der SAV

So weit, so gut. Mit der Antwort der SAV beginnt jedoch auch das eigentliche Problem. Sie weicht nämlich auch einer politischen Konfrontation mit den Antragsteller_Innen aus. Sie stellt nicht die politischen Differenzen und ein unterschiedliches Organisationsverständnis ins Zentrum, sondern bemüht sich ihrerseits um eine letztlich fiktive „Einheit“ eines Verbandes, der gleichermaßen „revolutionär“ und „reformistisch“, „internationalistisch“ und „antideutsch“ sein will, eines Verbandes, dessen verschiedene Strömungen letztlich gegensätzliche Klassenstandpunkte zum Ausdruck bringen (oder bringen wollen). Das Programm der Linksjugend [’solid] ist kein revolutionäres, kein sozialistisches. Es ist ein klassisch sozialdemokratisches Programm. [2] Natürlich verspricht auch das [’solid]-Programm den Sozialismus. Weder das Wort Arbeiter_Innenklasse noch das Wort Revolution werden auch nur einmal in dem Programm erwähnt. Der Sozialismusbegriff verkommt zu einer Utopie. Die Utopie verkommt zu einer Beruhigungspille, zum Trostpflaster angesichts der Trostlosigkeit der bürgerlichen Regierungspolitik der LINKEN.

Anstatt den Angriff der Rechten für eine programmatische Offensive zu nutzen, verliert sich die SAV in Nebensächlichkeiten. Sie erkennt zwar ebenfalls, dass der Angriff von rechts kommt. Sie erkennt auch, dass der Angriff sich gegen ihre Opposition zu kapitalistischen Regierungsbeteiligungen richtet und ihre kleinen, aber vorhandenen Erfolge im Aufbau der RL. Aber anstatt zu erkennen, dass der bürokratische Angriff von rechts der Ausdruck tatsächlicher programmatischer Unvereinbarkeit ist, wünscht sie sich diese utopische Vereinbarkeit. Sie ruft alle auf, sich auf Programm und Statuten der Linksjugend zu besinnen. Sie fordert alle auf, sich auf den Pluralismus der guten Zeiten zu berufen.

Natürlich können sich für begrenzte Zeit Strömungen mit gegensätzlichen politischen Programmen und Standpunkten in einer Partei finden. Revolutionär_Innen können eine solche Situation auszunutzen versuchen, um Menschen von einer reformistischen Führung und einer solchen Politik wegzubrechen – aber das kann nur eine zeitlich begrenzte, kurzfristige Gelegenheit sein. Letztlich sind eine Konfrontation und ein Bruch unvermeidlich. Dass die Rechten in [’solid] die SAV und die RL angreifen werden, war daher unvermeidlich (selbst wenn SAV und RL selbst gar kein revolutionäres Programm als Alternative zum reformistischen des Verbandes verwenden). Diese führen diesen Kampf durchaus entschlossen, wollen aber die politische Auseinandersetzung meiden, zumal das auch die „Einheit“ der Antragsteller_Innen gefährden könnte. Sie werfen daher der SAV und der RL vor, das in Besitz nehmen zu wollen, was die Rechten schon kontrollieren. Der Apparat, Presse und Finanzen von Partei und Jugendorganisation befinden sich nämlich in den Händen der Reformist_Innen, sicher nicht in jenen von SAV, RL oder anderen linken Strömungen. In Zeiten der wirtschaftlichen Krise und der Zuspitzung des Klassenkampfes treten die eigentlichen Widersprüche zwischen Reform und Revolution jedoch unüberbrückbar zu Tage. Eine also ohnehin schon vorhandene Feindschaft zwischen dem rechten und dem linken Flügel muss also früher oder später zu offenen Konflikten führen. Wenn die Führung dann in den Händen der Reformist_Innen und Karrierist_Innen liegt und das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten ausfällt, sind unverholene Angriffe auf Revolutionäre die logische Konsequenz. Deshalb darf die Frage der Leitung nicht dem Zufall oder dem rechten Flügel überlassen werden. Stattdessen ist es die drängende Aufgabe von Sozialist_Innen, konsequent für ein revolutionäres Programm und eine entsprechende Führung zu kämpfen.

Unvereinbarkeit zwischen wem?

Die Wut, mit der die Rechten der SAV vorwerfen, gerade diese heiligen Sphären anzutasten, die vermeintlich ihnen – natürlich ganz plural – gehören, drückt dies deutlich aus. Die Rechten wissen, dass es die politische Einheit zwischen Revolutionär_Innen (oder solchen, die diesen Anspruch erheben) und Reformist_Innen nicht gibt und auch nicht geben kann. Sie wollen dies aber nicht politisch artikulieren. Dies würde gerade gefährden, die Schlaftablette namens Programm, das vieles verspricht, aber nichts wirklich erklärt und erst recht keine Verpflichtung zum Handeln darstellt, in Frage zu stellen. Eine inhaltliche Diskussion würde schnell verraten, dass die Rechten weit rechts vom Programm stehen. Gerade dies verpflichtet aber Sozialist_Innen dazu, die programmatische Diskussion in den Vordergrund zu rücken. Anstatt zu versprechen, sich dem aktuellen Programm, den aktuellen Verhältnissen zu unterwerfen, weiterhin immer kompromissbereit zu sein, bräuchte es eine klare Offensive. Stattdessen führt die SAV eine Kritik von uns an, wo wir ihr nachweisen, „nicht leninistisch zu sein“ [3] und verwendet sie als Beleg für „Pluralismus“. Ironischerweise bezog sich unsere Kritik gerade auf die schwache Opposition gegenüber dem rechten Flügel. Tatsächlich fällt die SAV mit ihrer Stellungnahme sogar hinter die Gründungserklärung des BAK RL zurück, in der diese festhielt, dass „Karrierismus, sog. ‚antideutsche’ Positionen und mangelnder Bezug zu gesellschaftlichen Kämpfen in vielen Bundesländern zu beobachten [sind]. Auf bundesweiter Ebene ist der Verband zunehmend polarisiert. Vielerorts wird auf grundlegende Fragen eines antikapitalistischen Programms und seiner Praxis kein Bezug genommen. In einigen Fragen, etwa der Haltung zu Auslandseinsätzen, Antirassismus und Feminismus oder der Einschätzung von SPD und Grünen, werden sozialistische Positionen nicht vertreten bzw. massiv angegriffen.“ [4]

Dieses Vorgehen ist nicht, was aktuell gebraucht wird. Aber die Erklärung dazu zeigt, dass die SAV nicht revolutionär, sondern ausweichend auf den Angriff reagiert. Sie folgt dem Zentrismus, schwankt selbst zwischen Reform und Revolution. SAV und RL fürchten, ein zu klares programmatisches Auftreten könnte Unentschlossene in die Arme der Rechten treiben. Sie fürchten, eine zu klare Ablehnung des reformistischen Programms würde sie in der aktuellen Situation isolieren.
Letztere Einschätzung ist wahrscheinlich korrekt. Aber das würde nur zeigen, dass ein revolutionäres Programm, revolutionäre Kräfte tatsächlich eine verschwindende Minderheit sind. Es würde nur das tatsächliche Kräfteverhältnis zum Ausdruck bringen. Es würde zeigen, dass der rechte Flügel die Organisation in ihrer Gesamtheit kontrolliert. Es würde außerdem zeigen, dass es eine „Mitte“ gibt, die inhaltlich heterogene Positionen vertritt – darunter auch viele Genoss_ Innen, die auf ehrliche Art und Weise für Reformen kämpfen wollen. Aber es würde auch deutlich machen, dass eine tatsächliche sozialistische Politik in [’solid] nur eine Minderheit erreicht und überzeugt.

Wir möchten an dieser Stelle nicht die alte taktische Frage aufwärmen, inwiefern es in der Vergangenheit sinnvoll war, in der [’solid] Entrismus zu betreiben. Die Kernfrage war seit jeher ohnedies, mit welcher Politik Sozialistinnen wo auftraten. [5] Die aktuelle Auseinandersetzung zeigt wieder einmal, dass sozialistische Politik und reformistische Politik unvereinbar sind. Es gibt nun folgende Optionen. Entweder die SAV und der BAK RL können sich auf dem Bundeskongress durchsetzen. Das würde aber eben nicht nur bedeuten, den Antrag der Rechten zu Fall zu bringen, sondern auch die Organisation anhand der Prinzipien der Gründungserklärung BAK RL – die ohne Frage ebenfalls Schwächen hat – programmatisch neu aufzustellen, [’solid] von einem pluralistischen Debattierclub in eine wirkliche Kampforganisation der revolutionären Jugend zu verwandeln. Wir halten das für unwahrscheinlich – auch weil SAV und BAK RL selbst nicht in diese Richtung agieren. Das wäre aber die aktuell notwendige Politik. Gerade diese Mangel war der zentrale Grund, weswegen wir eine Arbeit in der BAK RL aufgaben. Die zweite Möglichkeit bedeutet, dass der rechte Flügel sich mit seinem Antrag durchsetzt. Das wäre eine organisatorische Niederlage für junge Sozialist_Innen, die natürlich auch eine Schwächung linker Positionen bedeuten würde. Es würde aber auch die Möglichkeit beinhalten, dass sich die Genoss_Innen der BAK RL neu orientieren müssen, dass der Aufbau einer eigenständigen revolutionären Organisation nicht nur ein Versprechen bleibt, sondern eine unmittelbare Aufgabe wird, dass die Entwicklung eines eigenen Programms nicht mehr damit vertagt werden kann, dass [’solid] bereits ein Programm habe. Die schlechteste von allen Varianten aber, und dies zeichnet sich aktuell ab, ist die, dass die SAV die Abstimmung über den Antrag zwar gewinnt, dies aber auf Kosten der eigenen inhaltlich nötigen Positionen tut. Eine solche Politik mag zu kurzfristigen organisatorischen Erfolgen führen. Sie untergräbt aber den Aufbau jeder revolutionären Organisation auf Dauer.

Aktuelle Lage

Jede Taktik muss immer in Bezug auf die sich entwickelnden Klassenkämpfe beurteilt werden. Im September erschütterten die Wahlergebnisse breite Teile der deutschen Gesellschaft. Der Aufstieg der rechts-nationalistischen Alternative für Deutschland schockierte viele. Gleichzeitig führten dieses Schockerlebnis und der massive Verlust der deutschen Sozialdemokratie zu Spannungen innerhalb der SPD. Erste Koalitionsverhandlungen zwischen Schwarz-Gelb-Grün scheiterten, die jetzige Große Koalition kam nur unter einer gewaltigen Kampagne der deutschen Medienhäuser und der Bourgeoisie im Bündnis mit den Sozial-Chauvinist_Innen der SPD-Führung zustande.

International und hierzulande erleben wir einen Rechtsruck vor dem Hintergrund einer kapitalistischen Krise, deren Ursachen nicht beseitigt sind. Im Gegenteil: Wir leben in einer Periode des beginnenden Kampfes um die Neuaufteilung der Welt unter den größeren und kleineren imperialistischen Mächten. Dabei möchte der deutsche Imperialismus mitspielen. Daher werden die Zeiten hier härter, die Lage gerät immer prekärer. Daher brauchen wir eine Jugendorganisation und eine Arbeiter_Innenpartei mit einem klaren, revolutionären Übergangsprogramm zum revolutionären Sturz des Kapitalismus, zur Errichtung der Herrschaft der Arbeiter_Innenklasse.

Der Kampf für ein solches Programm muss jedoch offen geführt werden. Die Vorstellung des politischen „Pluralismus“ in [’solid] meint aber, das Unvereinbare vereinbaren zu können. Revolutionärer Sozialismus, der Kampf für die Errichtung der Räteherrschaft auf Basis der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und der Enteignung des Kapitals kann nicht beliebig mit einer parlamentarischen Strategie einer friedlichen, schrittweisen „Transformation“ der Gesellschaft kombiniert werden. Der „Pluralismus“, der dabei rauskommt, hilft niemandem, kann nur verwirren und desorientieren. Darüber hinaus spielen alle Zugeständnisse von Sozialist_Innen in diese Richtung nur den Reformist_Innen in die Hände, weil so getan wird, als wären revolutionärer Marxismus und Reformismus vereinbar.

Schlussfolgerungen

Genoss_Innen, anstatt Euch darauf zu konzentrieren, die rechten Reformist_Innen zu überzeugen, dass die Revolutionär_Innen keine Gefahr sind, greift lieber die Reformist_Innen dafür an, dass sie mit ihrer Politik nie eine Gefahr für das Kapital sein werden! Öffnet Euch für die Debatte über den Wiederaufbau einer revolutionären Partei in Deutschland mit all den Kräften, die dies auch tatsächlich als ihr Ziel ansehen, anstatt Euch in bürokratischen Kämpfen mit jenen zu verausgaben, die dies erklärterweise nicht als ihr Ziel ausgeben! Dann gibt es auch wirklich Hoffnung darauf, die jetzige Situation zu unseren Gunsten zu wenden.

Endnoten

[1] Auf der Seite der Sozialistischen Alternative können sowohl ihre Antwort auf den Antrag als auch Antrag und Begründung selbst eingesehen werden https://www.sozialismus.info/2018/03/linksjugend-solid-gegen-den-ausschluss-von-sav-mitgliedern

[2] Für eine genauere Auseinandersetzung empfehlen wir unsere Broschüre „[’solid] – if everything goes right, go left! Oder welche Einheit brauchen wir“. Zu der Frage des Programms siehe ab Seite 15 in der Broschüre von Lukas Müller unter dem Kapitel „[’solid] ist eine reformistische Jugendorganisation“ http://onesolutionrevolution.de/wp-content/uploads/2011/04/Solid-Polemik_Lukas_M%C3%BCller_2014.pdf

[3] „Dass die RL ohne Programm und Statut innerhalb [’solid] nicht fraktionsfähig sein kann, sah man dann während wie auch nach dem BuKo. Während ein Genosse, den man getrost als Linken in der RL bezeichnen kann, von „gemischten Gefühlen“ spricht, tobt auf Facebook ein Kampf zwischen der SAV und dem Funken, wie man sich zu Sexarbeit verhält. Von Diskussion nach innen, Geschlossenheit nach außen, wie es für leninistische Organisationen üblich ist, sah man nichts.“ Der gesamte Artikel ist unter http://onesolutionrevolution.de/austritt-aus-der-revolutionaeren-linken-in-solid-aber-warum/ nachzulesen.

[4] Gründungserklärung des BAK RL unter: https://revolutionaerelinke.files.wordpress.com/2015/10/bak-rl_programm.pdf

[5] Wir haben damals sehr deutlich Stellung dazu bezogen, dass der Entrismus zuerst eine taktische Frage ist, die vor allem durch die politische Linie und das offene Auftreten der Sozialist_Innen für ihr Programm und den Aufbaus einer unversöhnlichen revolutionären Fraktion geprägt sein muss. Die SAV tut aber niemandem einen Gefallen, wenn sie die Utopie einer sozialistischen Massenpartei zeichnet, die im Grunde genommen durch Kompromisse und ohne Kämpfe und gar Spaltungen existieren kann. Siehe auch den Artikel von Lukas Müller und Georg Ismael: http://www.arbeitermacht.de/infomail/833/solid.htm

 




Bundesparteitag der Linkspartei in Hannover: Die Hoffnung stirbt zuletzt

Tobi Hansen, Neue Internationale 221, Juli/August 2017

Im Echo auf den Hannoveraner Parteitag der Linken sind sich zumindest die bürgerlichen Medien einig: zu links, zu viele Forderungen, zu viel Beharren auf dem Programm und sich nicht deutlich genug SPD und Grünen angebiedert zu haben. Mit diesem Ergebnis wollen Spiegel und Frankfurter Rundschau die Linke 2017 nicht als potentielle Mehrheitsbeschafferin für Rot-Rot-Grün in Szene setzen.

Dass dies auch Teile der Partei oder des Vorstandes so einschätzen, steht außer Zweifel und wurde vor allem von Fraktionschef Bartsch und Parteichefin Kipping betont. Bartsch verwies dabei auf die einfache parlamentarische Arithmetik: welche Kompromisse die Linke für eine Koalition eingehen müsste, wüsste man ohnedies erst nach den Verhandlungen. Dann könnte darüber auch abgestimmt werden – je einfacher die Wahrheiten, desto klarer oft die Zielrichtung. Kipping verwies nochmals auf das starke elektorale Bewusstsein mancher Flügel der Partei. Schließlich müsse man doch etwas verändern und das ginge nun mal an der Regierung besser als in der Opposition. Die alte Müntefering-Losung „Opposition ist Mist“ schimmerte durch.

Am letzten Tag durfte schließlich Wagenknecht ihre Sicht auf die Regierungsfähigkeit darstellen. Wie das andere Spitzenpersonal erklärte auch sie ca. 30 Minuten lang, warum SPD und Grüne derzeit nicht koalitionsfähig seien: diese würden doch keinen Deut nach links gehen, dementsprechend sollte man auch keine Positionen aufgeben. Nicht beantwortet hat sie leider, warum sie selbst seit einiger Zeit nach rechts geht. Was potentielle Sondierungsgespräche oder Koalitionsverhandlungen angeht, hat Wagenknecht die Messlatte zumindest dem Wahlprogramm angeglichen – eine durchaus übliche Praxis der parlamentarischen BewerberInnen, auch wenn das die bürgerlichen Medien der Linkspartei nicht zugestehen wollen.

Regierungspraxis

Zuletzt hatten die Landesregierungen mit Beteiligung der Linkspartei wieder gezeigt, was das praktisch heißt. Im Gezerre um die Föderalismusreform wurde den Ländern Thüringen, Brandenburg und Berlin die Zustimmung zur Autobahnprivatisierung „abgenötigt“. Im Gegenzug wurden ihnen Einnahmen und Zuweisungen z. B. für Verkehrswege versprochen. Berechtigterweise sorgte dieser im parlamentarischen System durchaus übliche Kuhhandel in der Linkspartei für Protest. Schließlich verstießen die Landesregierungen und -parteien damit gegen verschiedene Parteitagsbeschlüsse sowie das Programm – also all das, was reformistische Mitregierende meistens vergessen. Ministerpräsident Ramelow toppte die „Rechtfertigungen“ der Länder („Erpressung“ etc.) damit, dass er für ihre Solidarität untereinander gegenüber dem Bund abgestimmt hätte. Die chronische Unterfinanzierung der Kommunen wird so sicher nicht dadurch beendet werden, dass die Masse der SteuerzahlerInnen – also die Lohnabhängigen – für weitere Gebühren auf privatisierten Verkehrswegen zahlen muss. Bei welchen weiteren Sauereien Ramelow noch mit der Bundesregierung stimmen will, blieb unbekannt.

In der Praxis bleibt die Linkspartei an der Regierung Sachwalterin des bürgerlichen Systems. Sie versucht allenfalls, an dem einen oder anderen kleinen Rädchen zu drehen, ein unmerkliches Wenig an Umverteilung zu organisieren, nur um dann festzustellen: Mehr war nicht drin, zum einen mit den KoalitionspartnerInnen, zum anderen im Kapitalismus selbst.

Nirgendwo war oder ist die Linkspartei an der Regierung in der Lage, die Massen für ihre Interessen zu mobilisieren und mit diesen den Klassenkampf auch im Parlament zu führen, nein, im Parlament ist die Linkspartei auch nur Vollstreckerin des bürgerlichen Status quo. Mit der Politik der kommunistischen Bewegung, die in den frühen 20er Jahren die Taktik der „ArbeiterInnenregierung“ entwickelt hat, hat das im Gegensatz zu manchen Schutzbehauptungen von Linken in der Linkspartei (z. B. marx21) nichts zu tun. Die Kommunistische Internationale betrachtete diese als Brücke zum Sturz des Kapitalismus. Der Eintritt in eine Regierung mit anderen ArbeiterInnenparteien war daher an die Bedingung geknüpft, dass diese gegen die herrschende Klasse vorgehen, die größtmögliche Bewaffnung (praktisch und politisch) des Proletariats gewährleisten und so die Übernahme der Macht durch die ArbeiterInnenklasse vorbereiten sollte. Das Regierungsverständnis der Linkspartei ist das direkte Gegenteil – die (Mit-)Verwaltung des Kapitalismus.

Die Linke in der Linkspartei

Auch wenn es unter der großen Mehrheit der Linkspartei sicher keine grundsätzlichen Einwände gegen die Beteiligung an Koalitionsregierungen gibt, so stieß der letzte Deal berechtigterweise auf Kritik am Parteitag. Ein entsprechender Antrag, welcher die Landesregierungen verurteilte, erreichte ein Patt, Stimmengleichheit von Ja und Nein. Sascha Stanicic von der SAV griff diese „Ländersolidarität“ scharf an mit der rhetorischen Frage, ob es in den Ländern keine Klassen gäbe oder man sich mit der CSU gemein machen müsse, um über die Hintertür der Autobahnprivatisierung zuzustimmen.

Zuvor hatte es schon viel Empörung mit der Entscheidung der LandespolitikerInnen in den „sozialen Netzwerken“ gegeben. Viele waren komplett ernüchtert bzw. sprachen von „zwei Parteien in einer“, den „Regierungssozen“ usw. Manche sahen sich auch bestätigt in der Annahme, dass man nichts gegen den rechten Flügel ausrichten könne. Was deutlich fehlte, war und ist eine Debatte, warum die Linkspartei so handelt, ob und wie das überhaupt verändert werden könne.

Wie kämpft z. B. die „Antikapitalistische Linke“ (AKL) in der Linkspartei gegen Autobahnprivatisierung und Sachzwangrhetorik, welche Alternative zur derzeitigen Führung und Praxis wird präsentiert? Warum wird ein Netzwerk wie marx21 gegen die PrivatisiererInnen der Landesregierungen bislang erst gar nicht aktiv? Warum stellt sich deren Frontfrau Buchholz als Verteidigerin der Staatsverträge mit den Kirchen hin und wird dabei noch vom antideutschen Lederer unterstützt, welcher als Berliner Kultursenator „seine“ Verträge so wichtig findet?

Wohin soll die Reise gehen?

Letztlich haben die Linken keinen Plan, wohin denn die Reise gehen soll, also ob und wie denn eine sozialistische, klassenkämpferische Kraft aufgebaut werden kann, gegen wen dieser Kampf auch in der Linkspartei geführt werden müsste und welches Programm dazu nötig wäre.

Gewissermaßen ist sich die Linke in der Partei auch der Problematik bewusst, dass irgendwie mit den „Realos“, dem Regierungsflügel gebrochen werden muss. Sonst sei klar, was aus dem linken Flügel werde: eine Staffage für den Wahlkampf, während danach die anderen die Koalitionen aushecken wie z. B. in Berlin.

Lucy Redler, aktiv in AKL und SAV, hat diesen Konflikt in ihrer Stellungnahme „10 Jahre Linkspartei“ ebenfalls als Hauptproblem aufgeführt:

„Es wird nicht gelingen, DIE LINKE als kämpfende, ‚revolutionäre‘ Kraft darzustellen, eine ‚neue Kultur der Selbstermächtigung und Beteiligung durch Organisierung an der Basis‘ zu schaffen, ohne kontroverse Debatten offen zu führen, den Konflikt mit dem auf Regierungsbeteiligungen und ‚Realpolitik‘ orientierten Flügel einzugehen und für klar antikapitalistische Mehrheitsverhältnisse zu kämpfen. Ohne solche haben wir am Ende nicht einmal eine Reform der Partei, geschweige denn die Revolution.“

„Die Partei muss sich ändern, nicht hier und da ein bisschen, sondern in ihrem ganzen Auftreten, ihrer Schwerpunktsetzung, ihrer inneren Verfasstheit – sie braucht nicht weniger als eine Revolutionierung. So lange bei Parteitagen ein Großteil der Delegierten Mandatsträger, MitarbeiterInnen und Vorstandsmitglieder sind, hilft das Beschwören von mehr Bewegungsorientierung und Selbstorganisation in Strategiepapieren nur wenig. So lange in Thüringen abgeschoben wird, ist die Forderung nach einem ‚gesellschaftlichen Lager der Solidarität‘ von innen hohl.“

Und zur Rolle der Parteilinken:

„Um diese Fragen sollte die Parteilinke entschlossen ringen und gleichzeitig eigene positive Beispiele setzen: durch erfolgreiche lokale Kampagnen, durch engagierte Solidaritätsarbeit für KollegInnen im Betrieb, durch beispielhafte antirassistische Initiativen. Nur wenn wir einen Beitrag leisten, die Partei zu verankern und ihr spezifisches Gewicht zu erhöhen, kann es uns wirksam gelingen, in innerparteilichen Debatten Gehör zu finden.“

Diese beiden Zitate verdeutlichen das Dilemma der Linken, von AKL und SAV. Im ersten werden viele richtige Dinge angesprochen, z. B. dass auch Widersprüche zwischen der Regierungspraxis und dem vorhandenen Anspruch vieler Mitglieder existieren. Im zweiten Zitat sehen wir dann, wie z. B. die SAV das Dilemma lösen will.

Zweischneidiges Schwert

Das „entschlossene Ringen“ müsste vor allem zu einer „Verbreiterung“ der AKL führen, dass diese Strömung mit Programm, Analyse und Taktik in dieser Partei für andere Mehrheiten kämpft und sichtbarer wird. Sonst wird die angemahnte aktive Basisarbeit, die z. B. die SAV für die Linkspartei betreibt, schnell ein zweischneidiges Schwert. Derzeit steht dies aber im Widerspruch zur Regierungspraxis und zum allgemeinen Auftritt der Partei. Sicherlich ist es richtig, diese Basisarbeit anzugehen und z. B. antirassistische Initiativen aufzubauen, aber auch vorhandene zu unterstützen wie „Jugend gegen Rassismus“, dem die SAV und ’solid leider entsagten.

Das Problem dabei ist, dass gleichzeitig eine andere praktische Politik von den Vorständen und Fraktionen durchgesetzt wird, die Linkspartei gut „etabliert“ ist und genau dies vom rechten Flügel weiter vorangetrieben wird. Wenn in Anbetracht dessen in die „linke Basisarbeit“ abgetaucht wird, ändert sich dadurch leider nicht, wie es die SAV wahrscheinlich taktisch erhofft, das Kräfteverhältnis innerhalb der Partei. So sind die Initiativen, in den Krankenhäusern für mehr Personal zu kämpfen, natürlich eine wichtige gewerkschaftliche Kampagne. Aber wird das z. B. die Berliner Linkspartei und andere Landesregierungen daran hindern, weitere Schritte zur Privatisierung und Rationalisierung im Gesundheitswesen zu unternehmen? Leider nicht, wie am Beispiel Autobahn gesehen.

Bilanz???

So verkommen AKL und SAV zur Staffage einer „linken“ Regierungspartei. Nach 10 Jahren „oppositioneller“ Arbeit muss die allgemeine Entwicklungsrichtung der Partei bilanziert und eine Konsequenz gezogen werden. In den 10 Jahren hat sich die Linkspartei eben nicht nach „links“ entwickelt, gab es keinen Zustrom kämpferischer Massen, welcher die Kräfteverhältnisse grundlegend ändert oder wenigstens ändern könnte. In und mit dieser Partei ist auch nicht abzusehen, dass irgendeine kämpferische Gruppe diese als Ausgangs- bzw. Kristallisationspunkt ihrer Kämpfe betrachtet.

Das bedeutet aber, die eigene „Treue“ zu dieser Partei zu überdenken. Unter den Linken in der Linkspartei ist diese Arbeit in der Realität längst zu einer strategischen Orientierung geworden. Seit 10 Jahren beklagt z. B. die SAV die gleichen ungelösten Probleme, klagt dieselben Zielvorstellungen ein – und die Partei macht doch weiter wie bisher.

Ihr „Realo“-Flügel ist den Linken weit voraus. Er hat letztlich eine Vorstellung davon, wie die Linkspartei auf Bundesebene „regierungsfähig“ wird, rekrutiert sich aus den ostdeutschen Verbänden, aber auch den GewerkschafterInnen des Westens, um sich letztlich gemeinsam der SPD anzubiedern. Jemand wie Parteichef Riexinger hat schon als bekannter Gewerkschaftslinker deren Formierung zu einer organisierten, anti-bürokratischen Opposition gebremst, als Linksparteichef agiert er gegenüber SPD und DGB-Spitze ebenso inkonsequent.

Die Linken in der Linkspartei hoffen jedoch, dass Riexinger oder andere prominente Linke irgendwie doch auf ihrer Seite wären, ein Sprachrohr oder zumindest verlässliche Verbündete abgeben. Sie tun falsch daran, dass eine dieser Figuren mehr oder weniger „unbewusst“ schon einen antikapitalistischen kämpferischen Kurs fahren wird – das tun weder Riexinger oder gar Wagenknecht! Die Linke in der Linkspartei braucht diese Illusionen freilich dringender als irgendjemand sonst – sie sind unverzichtbarer Bestandteil ihrer Hoffnung, dass nach 10 Jahren Entrismus aus der Linkspartei doch noch eine konsequente linke, also sozialistische Partei werde.