DWe: Keine Beteiligung an der Expert:innenkommission!

Diskussionsbeitrag zur Strategie von DWe von Petra Hundert (Kiezteam Reinickending-Weddorf, Kokreis DWe), Tomasz Jaroslaw (Taskforce Bündnispartner:innen, Kokreis DWe), Wilhelm Schulz (Kiezteam Reinickending-Weddorf), Infomail 1182, 28. März 2022

Nachdem ein halbes Jahr in Sachen Enteignung sich nichts Richtung Umsetzung bewegt hat, wird es in Berlin nun langsam ernst: Der neue Senat bildet eine Expert:innenkommission, die darüber entscheiden soll, ob und wie der Volksentscheid vom 26. September umsetzbar ist, in dem sich über eine Million Berliner:innen dafür entschieden, große private Wohnungskonzerne zu enteignen und zu vergesellschaften. Dieses Statement soll unsere Meinung zur Debatte von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen (DWe)“ darlegen, warum wir denken, dass eine Beteiligung an der Expert:innenkommission weder der Initiative des Volksentscheides noch den Berliner Mieter:innen etwas bringt. Wir sind allesamt aktiv in DWe und denken, dass wir als Initiative mit Hinterzimmerdebatten nichts gewinnen können. Unsere Kontroversen müssen offen und ehrlich sein. So können wir u. a. für Berliner Mieter:innen unsere Entscheidungen nachvollziehbar machen.

In diesem Zusammenhang verweisen wir auch auf die folgenden zwei Artikel:

Strategiekonferenz „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ – Wie weiter?

DWe und der Berliner Senat: Sackgasse ExpertInnenkommission

Senatsspiele

Es gibt viele sehr unterschiedliche Argumente, die für oder gegen eine Teilnahme von DWe an der Expert:innenkommission des Senats sprechen. Die Kampagne hat bereits Zugeständnisse gemacht wie die prozentuale Beteiligung von DWe entsprechend dem Abstimmungsergebnis des Volksentscheids. Die letzten Monate haben wir in aller Deutlichkeit sehen müssen, dass wir nach dem erfolgreichen Entscheid am 26.9. keine eigenständige Perspektive hatten. Wir haben unsere Initiative von Geisel und Giffey treiben lassen. Jetzt haben wir die Chance, damit zu brechen und wieder an Schlagkraft zu gewinnen.

Denn den Charakter der Kommission bestimmt der Senat. Hier sieht das Kräfteverhältnis so aus, dass die SPD mitsamt Bürgermeisterin Umbridge-Giffey und Bausenator Geisel-Nehmer (zwei Freund:innen der Immolobby) von Anfang an betont hat, dass es mit ihr keine Vergesellschaftung geben wird. Für die Grünen war diese als Wahlkampfvehikel ganz geil. Bettina Jarasch hat sogar mit Ja gestimmt, aber nur, weil „die Enteignung das letzte Mittel ist“ – eine Floskel, auf der es sich bequem liegt, denn wann alle anderen Mittel versucht wurden, hat sie nicht gesagt. Jarasch nutzt ihr opportunistisches Stimmverhalten, um den Auftrag des Volksentscheids umzuinterpretieren. Nicht die Enteignung und Vergesellschaftung seien das Ziel, sondern eine Möglichkeit unter vielen. Die LINKEN sind einfach mal umgefallen. Anstatt die Enteignung zur Bedingung für ihren Koalitionseintritt zu machen, wurden DWe und der Volksentscheid geopfert und die Koalition ohne Bedingungen gebildet.

Aus der versprochenen gemeinsamen Besetzungsliste von DWe, den Grünen und den LINKEN für die Expert:innenkommission wurde auch nichts – weil lieber im Hinterzimmer eine Liste mit der SPD ausgekungelt wurde, an uns vorbei! Die LINKE wird zugunsten des Koalitionsfriedens jede Kröte schlucken. Eine Partei, die ihre Absprachen mit den engsten Bündnispartner:innen wie DWe und ihre Versprechungen ihren Wähler:innen gegenüber nicht einhält, hilft uns nicht weiter. Parteilinke, die gegen diesen Kurs und diese Koalition gestimmt haben, müssen in und über die Partei hinaus sichtbar werden und für einen Kurswechsel fraktionell um die Parteiführung kämpfen. DWe würde in dieser Kommission ihre Kraft nicht nutzen können, politisch isoliert sein. Wir sollten uns nicht von dieser Augenwischerei ablenken lassen, dass DIE LINKE es versucht, als Erfolg zu verkaufen, dass es keine direkte Beteiligung von Eigentümer:innen von Wohnungskonzernen oder ihren Bediensteten gibt. Nur weil DIE LINKE das verhindert hat. Es ist zweitrangig, wer ihre Gehälter bezahlt, wenn sie auch kostenlos für das Immobilienkapital lobbyieren.

Und an dieser Expert:innenkommission sollen wir uns beteiligen?

Wir müssen Verantwortung übernehmen, die Vergesellschaftung umzusetzen, bspw. im Rahmen eines Gesetzesvolksentscheides, und uns nicht an deren Verschleppung beteiligen. Die Tücken und Fallstricke eines Vergesellschaftungsgesetzes werden mit oder ohne unsere Beteiligung in der Kommission diskutiert. Eine Bewegung auf der Straße, in den Häusern und Betrieben kann viel mehr Einfluss darauf nehmen als das Verhandlungsgeschick von drei Expert:innen. Im Übrigen Expert:innen, die DWe nur sehr begrenzt kontrollieren kann. Jede Hoffnung auf vorzeitige Exitstrategien muss dieses Problem ausklammern: Es ist keine basisdemokratische Kommission, sondern ein Organ der repräsentativen Demokratie.

Nutzen kann die Beteiligung an der Kommission nur, wenn sie entweder eine definitive Umsetzungskommission für den Volksentscheid wäre oder wenn wir sie durch Beteiligung von DWe wenigstens als Verschleppungskommission vor den Augen der Berliner:innen entlarven können. Möglichkeiten, die Kommission als solches zu entlarven, gab es bereits einige. Doch solange DWe keine klare Position zur Expert:innenkommission einnimmt, weiß die Initiative auch nicht, zu welchem Zweck und in welchem Ton diese angegriffen werden soll. Unsere aktuelle Praxis führt nicht dazu, dass die Berliner:innen sehen, dass die Kommission nicht für, sondern gegen die Enteignung und Vergesellschaftung arbeiten soll, geht es nach dem Berliner Senat.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Kommission einen Impuls zur erfolgreichen Umsetzung liefern wird. Bausenator Geisel hat deutlich gemacht, was die Expert:innenkommission ist – sie überprüft erst mal, OB Vergesellschaftung möglich ist und OB es wirtschaftlich sinnvoll ist. Und das OB wird das WIE vorwegnehmen. Aus der zweiten Reihe der SPD legte der Abgeordnete Buchner die Karten noch offener auf den Tisch: „Der Volksentscheid interessiert in einem Jahr eh keine Sau mehr.“ Das ist dann die unverhohlene Ankündigung der Verschleppung – und an der sollte sich DWe niemals beteiligen. Der Charakter der Kommission zeichnet sich immer klarer ab. Unsere Aufgaben müssen sein, diesen den Mieter:innen klarzumachen und diese Kommission wie den Senat politisch zu delegitimieren.

Für die Umsetzung braucht man die richtige Strategie!

Die SPD benannte CDU-nahe Jurist:innen. Denen ist privates Eigentum das Allerheiligste. Eine Umsetzung ist wenig wahrscheinlich. Und selbst wenn die Kommission zu dem Ergebnis kommt, dass unter Umständen die Vergesellschaftung nach bürgerlichem Recht und durch horrende Entschädigungen möglich ist – was dann?  Dann ist das zunächst nur eine Empfehlung und der Senat hat die Entscheidungsgewalt. Eine Bürgermeisterin, die eine Gegnerin des Volksentscheids ist, und Koalitionsparteien, die mit der Namensliste gezeigt haben, wem sie politisch folgen werden: nicht uns, sondern der SPD und den Wohnungskonzernen. Am Ende landet das Ganze wahrscheinlich trotzdem wieder in Karlsruhe. Wenn wir dann keine schlagkräftige Mieter:innenbewegung aufgebaut haben, dann ist der Erfolg, aus diesem Angriff gestärkt hervorzutreten, ein Münzwurf und dem Zufall sollten wir unsere Strategie nicht überlassen! Wir dürfen nicht vergessen, wie einseitig das Bundesverfassungsgericht zugunsten der Miethaie in der Mietendeckelfrage entschieden hat. Und da galt es nur, privates Eigentum zu regulieren.

Auch wenn es in der Debatte um die Expert:innenkommision oft so wirkt – aber der Volksentscheid und seine Fortsetzung im juristischen Ringen mit dem Senat sind nicht das Ende des Vergesellschaftungskampfes. Von allen Mitteln, die eine Enteignung bewirken können, ist es ein eher schwaches. Denn der Kampf ist eine Frage des Kräfteverhältnisses, und das drückte sich bisher leider nur auf einigen Demos und eben am 26. September 2021 aus. Auch dass die Möglichkeit der Vergesellschaftung im Grundgesetz stand, war Ausdruck eines solchen Kräfteverhältnisses und hatte das Ziel, Teile der Arbeiter:innenbewegung in den Staat zu integrieren, mit Erfolg!

Es ist eine Illusion zu glauben, dass juristische Argumente oder Sachfragen eine entscheidende Rolle spielen: Der bürgerliche Staat ist eine politische Organisation zum Schutz des Privateigentums. Zugeständnisse werden durch Kämpfe erzielt, nicht durch Integration in den Staat und seine Unterorgane. Daher muss es unsere Hauptaufgabe sein, Kämpfe zu führen, Mieter:innen zu organisieren und damit das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zugunsten der einfachen Mieter:innen zu verschieben. Dadurch schafft man eine Grundlage für die Umsetzung der Vergesellschaftung durch einen zweiten Volksentscheid oder – unter ganz spezifischen Umständen – unter diesem Senat. Nur wenn Enteignung und Vergesellschaftung dem Senat als kleineres Übel erscheinen, wird er sie selbst anpacken, dann jedoch mit dem Ziel, Schlimmeres zu verhindern.

Erstens sind die Umstände, dass wir in dieser Kommission die Vergesellschaftung umsetzen können, mit diesen Parteiführungen, diesem Senat und dieser Besetzung jedoch nicht gegeben. Zweitens ist der Fokus auf die Expert:innenkommission eine strategische Sackgasse. Diese schließt organisch die Breite der Aktiven von der Partizipation aus, erschwert Mobilisierung und Organisierung der einfachen Mieter:innen an der Basis und ist daher ein Hindernis, das Kräfteverhältnis zu verschieben. Ohne politischen Druck gibt es bei Gerichtsentscheidungen keine Zugeständnisse und die Entscheidung wird, wie zuvor, im Interesse der Immolobby und Miethaie getroffen. Unsere Arbeit würde schlussendlich den Anschein erwecken, dass Senat und Expert:innenkommission das Subjekt der Vergesellschaftung und Enteignung seien. In Wirklichkeit sind das jedoch Mittel zur Verschleppung. Unser Eintreten in diese Sackgasse würde die Illusion unter Berliner Mieter:innen in diese Gremien weiter schüren und unseren parallelen Aufbau von Gegenmachtorganen über eine Organizing-Kampagne schwächen. Unsere Praxis muss den Mieter:innen zeigen, dass sie selbst für die Vergesellschaftung und Enteignung aktiv werden müssen und eben nicht abwarten dürfen!

Organizing mit dem Ziel einer längerfristigen Mieter:innenorganisation (bspw. einer Mietgewerkschaft), Gesetzesvolksentscheid, Mieter:innenräte, Massendemonstrationen und politische Streiks, Mietboykotte – das sind die schweren und vielversprechenden Waffen für Enteignung und Vergesellschaftung, auch wenn, das ist uns klar(!), sie viel Arbeit und Ausdauer bedeuten. Aber einfacher werden die Bedingungen, dies zu ermöglichen, nicht von selbst und erst recht nicht nach weiteren Monaten der Perspektivlosigkeit, Zermürbung und Versanden in der Kommission. Die Zeit arbeitet nicht für, sondern gegen uns! Eine strategische Orientierung auf außerparlamentarische Bewegung und vom Staat unabhängige Organisierung ist alternativlos. Unser zentrales Ziel bleibt der Kampf um Vergesellschaftung und Enteignung. Dies können wir nur durch eine Massenbewegung der einfachen Mieter:innen und Lohnabhängigen erreichen.

Die Teilnahme an einer Kommission fördert dagegen die Illusion, dass die Kommission ein alleiniges Umsetzungsinstrument sein könnte, steigert die politische Autorität des Senats, schürt Hoffnungen, die enttäuscht werden müssen und schwächt die Politisierung und Kampfkraft der Mieter:innen. Auch das Argument, dass wir beides tun können, stimmt vielleicht für die Arbeitsressourcen, die wir aktuell haben. Jedoch ist es für Mieter:innen, die nicht regelmäßig mit uns diskutieren, schwer nachvollziehbar. Dieser falsche Pluralismus fördert schlussendlich die Expert:innenkommission und unser Organizing wäre nur eine Begleiterscheinung. Ohne die strategische Orientierung auf den außerparlamentarischen Kampf bleibt die Expertinnenkommission im Fokus der Medien und der Kampagne. Die Kiezteamarbeit und das Organizing gerät zu einer davon abgetrennten reinen Beschäftigungstherapie für die Kampagnenbasis. Unsere Teilnahme wird zu unserer Niederlage in der Kommission, im AGH und bei Gerichten führen. Die Teilnahme hat also mehr Nach- als Vorteile. Bis jetzt hat sich die SPD in ganzer Linie durchgesetzt. Geisel rief daher nicht zu Unrecht: „Wir haben gewonnen“. Allerhöchste Zeit, ihm nicht mehr weiter zuzuarbeiten!

Daher rufen wir alle Aktivist:innen in DWe dazu auf, für eine neue Strategie und gegen eine Teilnahme an der Expert:innenkommission einzutreten. Gleichzeitig ist das eine Diskussion, die nicht mit einer einzigen Abstimmung abgeschlossen sein wird und kann!




Strategiekonferenz „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ – Wie weiter?

Diskussionsbeitrag zur Strategie von DWe von Wilhelm Schulz (Kiezteam Reinickending-Weddorf, Taskforce Organizing im KT R-W), Petra Hundert (Kiezteam Reinickending-Weddorf, Taskforce Organizing im KT R-W), Tomasz Jaroslaw (Taskforce Strategiekonferenz, Taskforce Argumente), Infomail 1177, 3. Februar 2022

Am 26. September hat „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen (DWE)“ im Volksentscheid mit 59,1 % der gültigen Stimmen einen großen Sieg errungen. Nach Jahrzehnten unternehmensfreundlicher Politik in Richtung Privatisierung, Mietsteigerung und Profitmaximierung wurde mit der Losung der Enteignung und Vergesellschaftung ein großes Statement dagegengesetzt. Die BerlinerInnen machten eine klare Ansage und sprachen sich für die Enteignung der Deutschen Wohnen, Vonovias und Co. aus. Die Eigentumsfrage und damit verbunden die Frage der demokratischen Kontrolle sind die zentralen Fragen der derzeitigen Situation.

In den letzten 3 Jahren wurde viel erreicht:

  • Ein Beschlusstext wurde erarbeitet, der die programmatische Basis der Kampagne bildet. Dieser wurde immer wieder überarbeitet.
  • Ein Treffen verschiedener AktivistInnen hat sich Anfang 2019 zum offenen Plenum als zentrales Organ der Kampagne entwickelt.
  • Zum Tragen der Kampagne wurde ein weitverzweigtes Netz von Strukturen aufgebaut:  Sieben AGen, diverse Taskforces und Unter-AGen, ein Koordinierungskreis und Kiezteams, die sich von einer Struktur zum Sammeln der Unterschriften zur lokalen Basis der Kampagne weiterentwickelten.
  • Hunderte AktivistInnen und noch mehr GelegenheitsaktivistInnen arbeiteten in den heißen Phasen im Sommer und Herbst 2021 für die Kampagne.
  • Viele kleine Initiativen wie auch größere und Massenorganisationen (z.B. Linkspartei, Berliner MieterInnenverein, Gewerkschaften) wurden als UnterstützerInnen gewonnen.

DWE konnte die Debatte in der Stadt auf diese Weise prägen und die Wohnraumfrage als eine zentrale Frage im Wahlkampf zur Berliner Abgeordnetenhauswahl aufwerfen. Die Stärke der Kampagne ist dabei vor allem, dass sie an den Kernproblemen der breiten Bevölkerung ansetzt und objektiv ein Massenpotenzial anspricht. Sie greift politische Elemente und Ziele aus der ArbeiterInnenbewegung auf, und bringt sie in eine Form, die dem aktuellen Bewusstsein und der aktuellen Diskussionskultur entsprechen und macht sie somit einer Vielzahl von Menschen zugänglich. Erreicht wurde dies auch durch die Verwendung von leicht zugänglichen Kommunikationsstrukturen und einer populären Sprache.

Institutionen des bürgerlichen Rechts (§15 GG Vergesellschaftungsparagraph, Volksbegehren) wurden taktisch geschickt verwendet. Aber hier zeigt sich die Problematik, die Grenzen dieser Mittel nicht ausreichend zu reflektieren. Es ist zwar vollkommen richtig im ‚Gegebenen‘ anzusetzen. Wenn es jedoch keine Strategie gibt, aus diesen gegebenen Institutionen herauszufinden und durch eine demokratische Mobilisierung eine außerparlamentarische Gegenmacht aufzubauen, bleibt die Umsetzung in den engen Grenzen der Institutionen stecken und verbleibt bei den politischen Entscheidungsträgern, die seit Jahrzehnten Politik im Interesse der privaten Immobilienkonzerne betrieben haben.

Taktik = Strategie?

Um langfristig bestehen und weiterhin nachhaltig Einfluss nehmen zu können, ist es zentral, dass DWE eine einheitliche strategische Ausrichtung entwickelt. Die Diskussion dazu wurde in den letzten Jahren vernachlässigt, weshalb der Kampagne nach dem Sieg im Volksentscheid ein weiteres zielgerichtetes Handeln fehlt. Dies führt dazu, dass der politische Gegner faktisch über den weiteren Verlauf entscheiden kann und der neue Senat mit der Verschleppungstaktik „ExpertInnenkommission“ initiativ werden konnte.

Ebenso wurde die Frage des Klassenstandpunkts in der Kampagne vernachlässigt. Die hohen Zustimmungsraten unter den Lohnabhängigen zeigen deutlich, dass sich die Kampagne hauptsächlich auf die ArbeiterInnenklasse stützt. Auf der anderen Seite befinden sich die großen Konzerne und Lobbys, deren Interessen von bürgerlichen Parteien (AfD, CDU, FDP, Grüne), der SPD-Spitze sowie staatlichen Institutionen in Gestalt des Senates oder des Verfassungsgerichtes vertreten werden. Das zeigt relativ klar die Klassenlinien in der Mietdebatte. Diese Klassenlinien wurden leider durch Begriffe wie die der „Stadtgesellschaft“ (was ähnlich zum Volksbegriff die Gesamtheit aller Klassen meint) aus taktischen Gründen bewusst vernebelt, um Attraktivität beim linken KleinbürgerInnentum zu erzeugen. Das ging aber auf Kosten einer strategischen Orientierung auf die Schichten, mit denen die Vergesellschaftung langfristig steht oder fällt: einfache MieterInnen und Lohnabhängige. Die Folgen davon waren bzw. sind, dass es keine oder keine ausreichende Debatte in der gesamten Linken, MieterInnen- und ArbeiterInnenbewegung, aber auch in der Kampagne gibt, wie die Vergesellschaftung mit eigenen Mitteln, aus eigener Kraft umgesetzt werden könnte.

Stattdessen wurde die Debatte hauptsächlich auf taktische Fragen des unmittelbaren Wahlkampfs konzentriert. Zwar wurde teilweise und wird versucht MieterInnen und ArbeiterInnen zu erreichen. Aber im Rahmen einer rein-parlamentarischen Strategie muss sich deren Rolle letztlich auf die des passiven, das Kreuzchen setzenden Objekts reduzieren. Das Potenzial dieser sozialen Milieus, als Subjekt die Enteignung selbst durchzusetzen, wird mit dieser Strategie verschenkt.

Natürlich war die Wahlkampforga notwendig. Aber ohne den gemeinsamen Rahmen (Strategie) und ein Ziel, aus dem sich konkrete Werkzeuge (Taktik) ableiten, bedeutet das nun, dass DWE vom Senat übertölpelt wird. Denn wenn man auf der oberflächlichen Ebene der Taktik und technischen Orga verbleibt, wird die Frage der Strategie von außen beantwortet. Dies geschieht jedoch ohne bewussten, demokratischen und selbstbestimmten Prozess innerhalb der Kampagne mit Wirkung auf die gesamte Linke, sondern unbewusst im Rahmen des Gegebenen, also der bürgerlichen Institutionen, ohne Diskussion und Reflexion bezüglich möglicher Alternativen. Ohne Diskussion und ohne Perspektive außerhalb der bürgerlichen Institutionen wird es dem politischen Gegner wie Giffey-Geisel einfach gemacht, DWE die Ebene der politischen Auseinandersetzung und letztlich unsere Strategie zu diktieren.

Verschärft wurde diese strategische Schwäche der Kampagne dadurch, dass systematisch taktische und organisatorische Fragen als Strategie bezeichnet wurden. Planungen waren meist nur kurz- und mittelfristiger Natur und bedeuteten nach dem 26. September: Planlosigkeit. Die Kampagne beschränkt sich seitdem darauf, die Politik des Senates zu kommentieren und im Rahmen einer „Eskalationsstrategie“ Druck auf den Senat aufzubauen. Giffey und Geisel wurde die politische Initiative für die Frage der Umsetzung überlassen. Somit ist der aktuell einzige skizzierte Weg zur Umsetzung des Volksbegehrens an die „ExpertInnenkommission“ gekoppelt, einem Organ was vom SPD-geführten Senat eingesetzt wird. Die Entscheidung zur Besetzung der Kommission und Umsetzung liegt rechtlich und faktisch beim Senat. Die Umsetzung der Vergesellschaftung in diesem Rahmen ist sehr unwahrscheinlich.

Auseinanderdriften

Darüber hinaus führt die strategische Unschärfe zum Auseinanderdriften der Kampagne. Persönliche, politische Konflikte und Polarisierungen zwischen verschiedenen Strukturen innerhalb der Kampagne entwickelten sich daraus (z.B. Kokreisstrukturreform). Das ist unvermeidlich, wo unterschiedliche politische Kräfte aufeinandertreffen. Problematisch ist jedoch, wenn das nur auf einer oberflächlichen, persönlichen oder rein organisationstechnischen Ebene gesehen wird und entsprechend nicht gelöst, sondern nur aufgeschoben wird. Die Frage, ob die Kampagne eine gemeinsame Strategie hat, die in verschiedenen Arbeitsbereichen umgesetzt wird, oder ob die Kampagne einfach eine Summe völlig unterschiedlicher Unterkampagnen ist, ist weder geklärt noch der Kampagne ausreichend bewusst. Einerseits gibt es die Teile, die mit dem Senat verhandeln wollen, sich in der Kontakt- und Verhandlungsgruppe engagieren und die ExpertInnenkommission bespielen wollen. Andererseits gibt es diejenigen, die ihren Schwerpunkt auf die Kiezteamarbeit legen wollen. Das Fehlen einer gemeinsamen strategischen Ausrichtung bedeutet das Fehlen eines zielgerichteten und wirksamen Handelns der Kampagne. Verschiedene Teile ziehen nicht mehr am gleichen Strang, sondern steuern in unterschiedliche Richtungen.

Der Fokus auf die vom Senat zur Verschleppung des Volksentscheids eingesetzte ExpertInnenkommission befördert den oben erläuterten Zersetzungsprozess. Es besteht die Gefahr, dass sich die politische Führung in der Verhandlungsgruppe konzentriert und verselbstständigt, während die Basis ohne essentielle Bedeutung im Rahmen einer gemeinsamen Strategie zur bloßen „Handarbeit“ herangezogen wird. Diese politisch-strategische Abkoppelung der Kampagnenbasis kann zur Lähmung führen (wie beim Volksbegehren 2015) – trotz einer rein strukturellen Aufwertung im Kokreis. Ohne eine aktivistische Basis gibt es allerdings keine Verankerung der Kampagne bei den MieterInnen vor Ort. Es können weniger AktivistInnen und MieterInnen mobilisiert werden und somit kein Druck auf den Senat ausgeübt werden. Ohne eine aktive Basis verliert die Kampagne an Stärke und die Waffen gegen den Senat und die Immobilienhaie werden noch stumpfer. DWE befindet sich mit dem aktuellen Debattenstand in einer strategischen und strukturellen Sackgasse, die aufgebrochen werden muss, wenn wir den Sieg vom 26. September fortführen wollen. Die Strategiekonferenz am kommenden Wochenende muss hier die notwendigen Weichenstellungen liefern.

Bruch mit ExpertInnenkommission

Unmittelbar notwendig ist es, mit der ExpertInnenkommission des Senats zu brechen. Mit Geisels Klarstellung, dass die Kommission ausschließlich ein Gremium des Senats ist und es keine dem Volksentscheid entsprechende Mehrheitsbeteiligung von DWE in der Kommission geben wird, hat der Bau- und Wohnsenator die Fronten mehr als klar gemacht. Er wird mit der Immobilienlobby reden, es wird nicht öffentlich das „Wie enteignen“, sondern hinter verschlossener Tür das „Ob“ rechtlich und wirtschaftlich geprüft. Das ist die Geisel-Haft für den Volksentscheid! Wir tun uns keinen Gefallen mit dem Geisel-Nehmer zu verhandeln, schon gar nicht zu diesen Bedingungen. Es wäre sogar direkt schädlich. Erhebliche Ressourcen DWEs würden im Rahmen der ExpertInnenkommission gebunden, ohne dass dies zur Vergesellschaftung führen würde. Dafür kann sich der Senat mit unserer Teilnahme profilieren und seine Entscheidungen legitimieren. Ungewollt würden wir zum Teil einer Politik, welche die Vergesellschaftung verhindert und massive Subventionen des privaten Sektors auf Kosten der MieterInnen verfolgt.

Unter diesen Bedingungen ist es eine Illusion, dass wir eine Mitarbeit taktisch ausnutzen könnten. Unsere Teilnahme wären vielmehr ein politisches Feigenblatt für die Politik von Geisel/Giffey. Daher müssen wir unsere Forderungen an die Kommission als rote Haltelinien begreifen und so formulieren, dass wir den Bruch öffentlich vermitteln. Es muss also öffentlich klar gemacht werden, was der Zweck der Kommission ist: Das Scheitern der Umsetzung des Volksentscheids. Wir sollten die wahrscheinlich dennoch stattfindenden Treffen der ExpertInnenkommission dazu nutzen, die UnterstützerInnen des Volksentscheides – über eine Million Berliner MieterInnen! – zu einer Großdemo zu mobilisieren und somit die Wiederbelebung der Kampagne zu starten! Motto: „Umsetzung statt ExpertInnenkommission“.

Auch in Hinblick auf die Gewinnung rechtlicher Expertise wird die ExpertInnenkommission keinen Beitrag leisten. Für die Weiterentwicklung unseres Gesetzesentwurfes müssen wir zusammen mit unseren Verbündeten aus SPD, Linkspartei, Gewerkschaften, Mietverein usw. auf eigene Formate setzen, wie der Vergesellschaftungskonferenz und Vergesellschaftungskommission. Nur so kann mit unseren Verbündeten und vergesellschaftungsfreundlichen ExpertInnen rechtlich substanziell über die Umsetzung diskutiert und unserer Entwurf so weiterentwickelt werden, dass er einer formalen und verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten könnte.

Weg vom Senat – hin zum Stadtteil, Straße und Betrieb!

Der Senat wird die Vergesellschaftung nicht umsetzen. Eine Strategie, die über das Kommentieren der Senatspolitik hinausgeht, ist daher dringend notwendig. Die einzige soziale Größe, die ein Interesse an der Umsetzung hat, sind mind. 1,6 Millionen MieterInnen in Berlin und die einfachen Lohnabhängigen. Anstatt sich auf seine Spielchen und Tricks einzulassen, brauchen wir einen Plan darüber, wie die UnterstützerInnen der Vergesellschaftung politisch zusammengefasst, unterstützende Organisationen gebündelt und ein Weg zur Umsetzung aufgezeichnet werden kann, wo nicht Giffey-Geisel entscheiden, sondern die MieterInnen. Entsprechend muss der Fokus auf Organisierung von MieterInnen und Lohnabhängigen liegen und auf die Einbindung der vorhandenen Massenorganisationen in die außerparlamentarischen Kämpfe. Nur so kann sich die Kampagne zur Erreichung des Ziels sinnvoll einsetzen: die Vergesellschaftung großer privater Immobilienkonzerne unter demokratischer Kontrolle der MieterInnen zur Schaffung einer Gemeinwirtschaft im Wohnungswesen. Dafür schlagen wir folgende Werkzeuge vor:

  • Organizing! Zunächst brauchen wir eine Organizing-Kampagne in den Kiezteams, wo MieterInnen für die Kampagne gewonnen werden. Dabei dürfen MieterInnen und Lohnabhängige nicht als bloßes Mittel zum Zweck (Objekt) begriffen werden, mit denen Druck auf die Regierung geübt werden soll, sondern als das eigentliche, handelnde Subjekt zur Umsetzung der Vergesellschaftung. Nicht der Senat soll über die Vergesellschaftung entscheiden, sondern die MieterInnen selbst!
  • Gemeinschaftlicher Mietboykott! Wir müssen ernsthaft eine Debatte darüber beginnen, mit welchen direkten Mitteln wir die Vergesellschaftung erzwingen können. Zur Umsetzung der Vergesellschaftung sind kollektive Mietboykotte und der Aufbau einer MieterInnengewerkschaft als Massenorganisation notwendig. Dafür müssen existierende Massenorganisationen der MieterInnen und ihre Mitglieder für dieses Vorhaben gewonnen werden. Dafür braucht es die gesamte MieterInnenbewegung und Linke.
  • Kämpfe der ArbeiterInnenklasse! Jeder Erfolg bei Tarifkämpfen wird durch steigende Mieten mehr als aufgefressen. Von daher stellt sich die Frage einer politischen Verzahnung des Kampfes für bessere Lebensbedingungen, gegen Mietwucher und für die Vergesellschaftung der großen privaten Wohnkonzern mit dem Kampf für bessere Arbeitsbedingungen, gleitende Lohnerhöhungen der Inflation entsprechend und für Vergesellschaftung auch anderer, großer privater Konzerne. Politische Proteste entfalten nur einen beschränkten Druck. Wir müssen daher mit den Gewerkschaften in eine Diskussion treten, wie die Frage der Umsetzung der Vergesellschaftung und Preiskontrolle in die Tarifkämpfe integriert werden kann, wie also aus ökonomischen Kämpfen politische Streiks für die Enteignung werden können. Auch hierbei gilt es: Direkt in den Betrieben, mit der Basis sprechen und sie gewinnen! Die Gewerkschaftsführungen sind aufgrund ihrer privilegierten Position oft genug das, was die SPD-Spitze für die Immobilienkonzerne ist – ein Handlanger der Bosse, die Schiss vor politischen Streiks haben und zu dem sich höchstens auf dem Papier bekannt wird. Wir dürfen daher unsere Bündnispolitik nicht auf Absprachen mit den Führungen beschränken, sondern müssen uns mit den Forderungen, gemeinsam in Aktion zu treten, direkt an die Vorstände und Mitglieder der Gewerkschaften wenden.
  • MieterInnenkontrolle von unten! Eine wirkliche MieterInnenkontrolle würde nicht mal dann entstehen, wenn ein Gesetz zur Einrichtung der AöR beschlossen würde, in die die Wohnungen der privaten Konzerne überführt werden sollen. Diese Struktur wäre „von oben“ installiert. Was das bedeutet? Die BVG ist ebenfalls eine AöR, trotzdem haben weder Beschäftigte noch die NutzerInnen der öffentlichen Verkehrsmittel irgendeine Entscheidungsgewalt bei Fahrpreisen oder Fahrplänen. Deshalb müssen wir Strukturen der MieterInnen- und ArbeiterInnenbewegung „von unten“ aufbauen – und zwar unverzüglich! MieterInnenräte können Kämpfe koordinieren und folgende politische Forderungen eigenständig in einem zielgerichteten Kampf artikulieren und überwachen: Umsetzung der Vergesellschaftung, Kontrolle des Gemeineigentums, der Geschäftsbücher und der Mietpreise, einen bundesweiten Mietenstopp, öffentlich geförderten, sozial gebundenen und unbefristeten Neubau und die Legalisierung von Mietstreiks.
  • Gesetzesvolksentscheid! Seit dem 26. September zeigen sich die engen Grenzen des Beschlussvolksentscheids. Jenseits der Haustürgespräche und der Wahlkampfstände liegt das wahre Schicksal des Volksentscheides aktuell in den Händen von Staat und Senat. In der Frage der Gesetzgebung müssen wir auch auf eigene Formate setzen: einen neuen, diesmal verbindlicheren Gesetzesvolksentscheid! Aber auch einem Gesetzesvolksentscheid alleine sind Grenzen gesetzt: Falls ihn der Senat nicht verschleppt, ist es gut möglich, dass er vom Verfassungsgericht kassiert wird. Daher ist der Aufbau einer außerparlamentarischen Gegenmacht zur Regierung notwendig, die die Umsetzung des Gesetzes erzwingen kann.

Ein Gesetzesvolksentscheid kann helfen, das zu mobilisieren und aufzubauen, was wir im letzten Jahr verpasst haben: Eine MieterInnenbewegung, die die Umsetzung der Enteignung erzwingen kann. Für den Gesetzesvolksentscheid als taktisches Mittel in der aktuellen Legislaturperiode im Aufbau einer MieterInnenbewegung spricht, dass

  • er einen Weg darstellt, den wir stärker selbst beeinflussen können, da sein Inhalt für den Senat rechtlich bindend wäre. Die Wahrscheinlichkeit des Inkrafttretens eines Gesetzes im Rahmen eines Gesetzesvolksentscheids ist größer als im Rahmen einer ExpertInnenkommission. Damit wäre die Vergesellschaftung nicht automatisch umgesetzt, würde aber die Bewegung in eine günstigere Lage bringen und gleichzeitig den Spielraum für Sabotage durch die Regierung verringern.
  • wir im Rahmen eines Volksentscheides UnterstützerInnen, verbündete Initiativen und Organisationen integrieren können und die gesamte Kampagne gefragt ist (im Gegensatz zu Verhandlungen mit dem Senat);
  • ein Volksentscheid Menschen massenhaft in die Bewegung bringen und organisieren kann (auch das können Verhandlungen und ExpertInnenkommission nicht).

Die Schaffung einer sozialen Gegenmacht zur Regierung durch die Organisierung der MieterInnen sollte immer im Zentrum der Strategie stehen. Der Aufbau von MieterInnenräten, die mit Hilfe von Massenprotesten und Mietboykotts dem Unwillen der Immobilienkonzerne und der Regierung etwas entgegensetzen können, in Kombination mit einem Gesetzesvolksentscheid, stellt eine Möglichkeit dar, wie die Vergesellschaftung unabhängig vom Willen des Senats umgesetzt werden kann.

Die Organisierung von MieterInnen bietet einen sinnvollen Rahmen für die gesamte Kampagne und bindet alle AktivistInnen mit ein. Alle Arbeitsbereiche der Kampagne sollen sich aus dieser Strategie ableiten. Beispielsweise sollte die Ressourcenverteilung und technische Organisation streng dieser Strategie folgen. Denkbar wäre, dass ein größerer Fokus auf Arbeitsbereiche wie Kiezteams, der Starthilfe, Aktionen und Bündnisarbeit gelegt wird.

Die Kiezteams müssen anstreben, tatsächlich in Stadtteilen und Betrieben verankert zu sein und MieterInneninitiativen, Gewerkschaften und die Kampagne in MieterInnenräten zusammenführen.  Vertrauen auf die eigene Kraft und Misstrauen in den Staatsapparat, Justiz und Parlament sind angebracht.

Das Mietendeckeldebakel hat außerdem gezeigt, dass eine gut vernetzte, bundesweite MieterInnenbewegung entstehen muss. Notwendig ist dafür, alle bundesweit vorhandenen MieterInnenorganisationen, Initiativen und Vereine, zudem die mit der Regierungs- und Senatsbeteiligung Unzufriedenen aus SPD und LINKE sowie kämpferische GewerkschafterInnen auf der Vergesellschaftungskonferenz zusammenzubringen. So können wir es nicht nur mit dem Geisel-Nehmer, sondern auch der Immo-FDP-Ampel aufnehmen!




DWe und der Berliner Senat: Sackgasse ExpertInnenkommission

Tomasz Jaroslaw, Neue Internationale 262, Februar 2022

Seit dem durchschlagenden Erfolg am 26. September 2021 ist es in der Berliner Öffentlichkeit einigermaßen still geworden um den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ (DWe). Wie kommt das? Was ist los mit der Speerspitze der Berliner MieterInnenbewegung? Kurz gesagt hat der neue Berliner Senat aus SPD, Grünen und Linkspartei der Enteignungskampagne die Initiative aus der Hand reißen können.

Falle …

Im Herbst haben 59 % der BerlinerInnen eine klare Ansage getätigt, nämlich: Enteignen! Damit hatte der Volksentscheid mehr Stimmen als alle Koalitionsparteien des Senats zusammen bei den gleichzeitig stattfindenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus bekommen. Die Entwicklung seitdem beweist, dass die Monate des Unterschriften Sammelns und Wahlkampfes der leichtere Teil im Enteignungskampf waren. Seitdem besteht die Gefahr, dass sich die Kampagne festfahren lässt. Zuerst knickte die Linkspartei ein und ließ die Umsetzung des Volksentscheides als Bedingung ihrer Regierungsbeiteilung fallen – damit ließ sie nicht nur die Kampagne im Stich, sondern vor allem Millionen MieterInnen, die sich mit dem Ja zur Enteignung eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt erhofften. Schließlich wählte das Abgeordnetenhaus den neuen Senat und nun steht mit Andreas Geisel ein bürgerlicher Hardliner im Amt des Stadtentwicklungs-, Bau-, und Wohnungssenators.

Nun heißt es: Volksentscheid in Geisel-Haft!

Wir können nun viel lernen. Es war schon vor dem Volksentscheid klar, dass die Giffey-Geisel-Immobilienlobby-SPD eine Enteignung niemals umsetzen würde. Was kratzt die Sozialdemokratie ein WählerInnenwille denn noch nach der Wahl? Nun sehen wir, wie genau der Senat versucht, den Volksentscheid zu lähmen. Völlig ignorieren kann Geisel den Druck nicht, und so sagt er sich: „Habe ich meine eigene Mission, gründe ich eine ExpertInnenkommission.“ Sie soll nicht etwa schnellstmöglich zur Enteignung der Immobilienhaie voranschreiten, sondern ein Jahr (!) lang prüfen, ob das Ganze rechtlich und wirtschaftlich machbar ist.

DWe hat sich unterdessen mehrheitlich darauf eingelassen und will sich daran beteiligen. Auf gewisse Weise musste es das sogar tun, andernfalls hätte der Senat bequem auf die Kampagne zeigen und sagen können: „Die wollen nicht reden – so gibt das mit der Enteignung nichts.“

Das Ganze ist natürlich nichts anderes als eine geschickt gestellte Falle, die die Umsetzung des Volksentscheids verschleppen und sabotieren und die DWe-Kampagne – den radikaleren und bestorganisierten Teil der MieterInnenbewegung Berlins – durch Einbindung schwächen soll. Nun gilt, es dem Geisel-Nehmer nicht auf den Leim zu gehen.

 … nicht reintappen, DWe!

Wir sollten nichts, gar nichts von einer solchen ExpertInnenkommission erwarten. Es kann nur darum gehen, sie als Verschleppungstaktik des Senats zu entlarven und zu Fall zu bringen, anstatt selbst darauf hereinzufallen.

Geisel selbst hat mehr als deutlich gemacht, dass die ExpertenInnenkommission dem Senat unterstellt ist – und sonst niemand. DWe hatte gefordert, dass dem Abstimmungsergebnis entsprechend 59 % der Kommissionsplätze aus der Kampagne kommen sollen. Abgelehnt! Geisel verhandelt nicht darüber. DWe wird zwar eingeladen werden, aber die Konditionen bestimmt der Senat, der selbstverständlich die Wohnungskonzerne mit an den Tisch holen wird.

Es gilt, die ExpertInnenkommission vor den Augen der BerlinerInnen zu enttarnen: Am 26.9. ist das „Ob Enteignen“ entschieden worden und über das „Wie Enteignen“ liegt ein Gesetzesentwurf vor. Das Votum der BerlinerInnen respektieren heißt nicht nur, es umzusetzen, sondern DWe mindestens auch die Mehrheit der Sitze in der ExpertInnenkommission anzubieten. Die Immobilienlobby hat dort gar nichts verloren!

Die zentralen Bruchpunkte gegenüber der Kommission sollten sein: Definitive und sofortige Umsetzung, öffentliche Tagungen und Transparenz sowie Mehrheit für die MieterInnenbewegung in ihr. Sollten diese Forderungen nicht eingehalten werden, ist die Teilnahme an dem Format schädlich, da sich der Senat mit DWe in der Kommission profilieren kann, aber wir auf der anderen Seite weder ein konstruktives Ergebnis erhalten noch unsere Teilnahme politisch zum Bruch mit ihm und für Alternativen nutzen können. DWe macht sich dann zum linken Feigenblatt einer Politik, die die Enteignung verschleppt und verhindert!

Mit Geisels Absage an eine DWe-Mehrheit in der Kommission ist eigentlich schon Grund genug gegeben, mit dem Senat und seinen Spielchen zu brechen. So oder so sollten wir den ersten Tag der Kommission mit einer Großdemo begleiten.

Klassenkampf statt Geisel-Haft!

Seit dem 26. September zeigen sich die engen Grenzen des Volksentscheids. Jenseits der Haustürgespräche und der Wahlkampfstände liegt das wahre Schicksal des Volksentscheides in den Händen von Staat und Senat!

Trotzdem unterstützen wir den Vorstoß von vielen in DWe, unmittelbar einen Gesetzesvolksentscheid (GVE; für den Senat wäre dieser bindend) vorzubereiten. Wir sollten uns aber auch im Klaren sein, dass die staatlichen Grenzen dafür fast genauso eng sind wie jetzt. Wenn ihn der Senat nicht verschleppt, ist es gut möglich, dass er vom Verfassungsgericht kassiert wird.

Ein Gesetzesvolksentscheid kann nur dazu dienen, das zu mobilisieren und aufzubauen, was wir im letzten Jahr verpasst haben: Eine MieterInnenbewegung, die aus sich heraus die Enteignung erzwingen kann. Sie muss weit über das hinauskommen, was heute die Kiezteams repräsentieren. Sie muss tatsächlich in Stadtteilen und Betrieben verankert sein und MieterInneninitiativen, Gewerkschaften und die Kampagne in MieterInnenkomitees zusammenführen, die Ernst machen können – mit kollektivem Mietboykott und politischem Streik für die Enteignung. Im Unterschied zum bisherigen Volksentscheid darf DWe seine Blauäugigkeit diesmal nicht wiederholen: Es muss davor warnen, das Schicksal seiner Umsetzung (im Erfolgsfall) wieder letztendlich dem bürgerlichen Staat und seiner Justiz zu überlassen. Vielmehr müssen wir betonen, dass eine erneute Volksentscheidskampagne den Schwerpunkt auf Mobilisierung und Organisierung der MieterInnen und ArbeiterInnenbewegung mittels o. a. Klassenkampfmethoden hin zu ihrer Transformation in eine wirksame Gegen- und Kontrollmacht über den Wohnungssektor legen muss. Vertrauen auf die eigene Kraft, Misstrauen in Staatsapparat, Justiz und Parlament sind diesmal angesagt!

Das Mietendeckeldebakel hat außerdem gezeigt, dass eine vereinheitliche, bundesweite MieterInnenbewegung entstehen muss. Notwendig ist dafür, alle bundesweit vorhandenen MieterInnenorganisationen, Initiativen und Vereine, zudem die mit der Regierungs- und Senatsbeteiligung Unzufriedenen aus SPD und LINKE sowie kämpferische GewerkschafterInnen auf einer Aktionskonferenz zusammenzubringen. So können wir es nicht nur mit dem Geisel-Nehmer, sondern auch der Immo-FDP-Ampel aufnehmen!




Berliner Linkspartei-Spitze in Feierlaune

Martin Suchanek, Infomail 1173, 19. Dezember 2021

Nach dem deutlichen Ja der LINKEN-Mitglieder zum Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen präsentierte sich die Parteispitze am vergangenen Freitag, den 17. Dezember, in seltener Feierlaune. Sie darf weitermachen – im Berliner Senat. Die Wahl der rechten Sozialdemokratin Franziska Giffey zur neuen Regierenden Bürgermeisterin der Hauptstadt gilt als sicher, die rot-grün-rote Landesregierung kann fortgesetzt werden.

Insgesamt beteiligten sich 4220 (53,64 %) der 8016 Mitglieder der Berliner Linkspartei am Entscheid über den Koalitionsvertrag, davon waren 3926 Stimmen gültig. 2941, also 74,91 %, votierten für Rot-Grün-Rot, 880 oder 22,4 % stimmten mit Nein, 105 (2,67 %) enthielten sich.

Die Landesparteivorsitzende Katina Schubert – und mit ihr die gesamte Senatsriege um den alten und zukünftigen Kultursenator Klaus Lederer – konnten ihre Freude kaum verbergen. „Das ist ein klarer Auftrag für uns. Das gute Ergebnis ist Rückenwind für die aktuellen und kommenden Herausforderungen,“ erklärt sie und lässt weiter verlauten:

„Wir haben angekündigt, den Berlinerinnen und Berlinern die Stadt zurückzugeben. Daran werden wir entschlossen und mit voller Kraft weiterarbeiten.

Am 20. Dezember 2021 werden unsere Senator:innen offiziell nominiert und sie werden ihre Ressorts mit progressivem Gestaltungswillen entschlossen ausfüllen. Wir haben uns viel vorgenommen, wie wir unsere Stadt in den nächsten Jahren weiter sozial und ökologisch verändern wollen.“ (https://dielinke.berlin/start/presse/detail/news/klares-ja-der-linken-mitglieder-zum-koalitionsvertrag-1/)

Kröten

Angesichts der miesen Bilanz der letzten fünf Jahre und des ausgehandelten Koalitionsvertrages fragt man sich: Lebt die Spitze der Berliner Linkspartei bloß in ihrer eigenen Welt, fernab jeder Realität? Ist sie einfach nur zynisch oder beides? Oder bewirbt sich da jemand für ein (Real-)Satiremagazin?

Faktisch begräbt der Koalitionsvertrag den Volksentscheid für die Enteignung der großen Wohnungsbaukonzerne, die Privatisierung schwebt weiter über der Berliner S-Bahn, die outgesourcten Töchter von Vivantes und Charité sollen auch in der nächsten Legislaturperiode nicht zurückgeholt werden. An den Schulen soll das reaktionäre BerufsbeamtInnentum wieder gestärkt werden. Freuen kann sich dafür die Berliner Polizei, deren Befugnisse ausgeweitet, deren Personal aufgestockt und für die auch neues (Repressions-)Gerät angeschafft werden soll. Die rassistische Abschiebepraxis soll, wie schon unter dem letzten Senat, fortgesetzt werden.

So viel zum „progressiven Gestaltungswillen“ der kommenden Jahre, so viel zur Rückgabe der Stadt an die Berlinerinnen und Berliner.

Für die ArbeiterInnenklasse und die Berliner Linke gibt es an der Fortsetzung der Koalition nichts schönzureden, nichts zu verteidigen. Im Gegenteil: DIE LINKE Berlin gerät nur zur noch jämmerlicheren Juniorpartnerin von SPD und Grünen. Deren SenatsheldInnen und die Mehrheit ihrer Abgeordneten werden wohl, da sollte sich niemand Illusionen machen, so ziemlich jede Kröte schlucken, so ziemlich jeden Scheiß mitmachen.

Da hilft es auch nichts, wenn die KoalitionsbefürworterInnen darauf verweisen, dass sie einige drittrangige „progressive“ Projekte fortführen und ansonsten einige Luftschlösser in den Senatskanzleien in Auftrag geben dürfen. Neben diesen „Gestaltungsspielräumen“ rechnen sich die UnterstützerInnen von Rot-Grün-Rot außerdem an, dass sie so die von Giffey eigentlich bevorzugte  Ampel in Berlin verhindert hätten. Damit die rechte Sozialdemokratin erst gar keine Chance hat, die Koalition zu brechen, gibt sich DIE LINKE nicht nur im Koalitionsvertrag so willfährig, wie es die FPD wohl nicht gewesen wäre.

Nun sollte niemand den Mitgliedern, die mit Ja gestimmt haben, unterstellen, dass sie damit auch jeden faulen Kompromiss, jedes Zugeständnis der Senatsriege und der Parteispitze gleich mit befürwortet hätten. Aber unabhängig von den politischen Illusionen, Wünschen oder vom Opportunismus der Mehrheit der Mitglieder wird die Führung deren Votum zur Rechtfertigung ihrer opportunistischen, bürgerlichen Politik im Senat und im Abgeordnetenhaus heranziehen. Schließlich würde sie nur den Willen der Basis umsetzen – und diesem mögen sich die parteiinternen KritikerInnen endlich beugen. Sie mögen schweigen oder am besten die Arbeit des Senats konstruktiv und „solidarisch“ begleiten.

Opposition

In der Tat wirft der Ausgang der Abstimmung ein Licht auf das Kräfteverhältnis in der Berliner Linkspartie und den Zustand der Organisation. Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass nur etwas mehr als die Hälfte der Mitglieder an der Abstimmung teilgenommen haben. Rund 4000 beteiligten sich erst gar nicht an der Entscheidungsfindung – und das bei einem für die Berliner Linkspartei zentralen politischen Thema. Dies illustriert ein für reformistische Parteien typisches Phänomen – nämlich, dass sich die Parteiführung nicht nur auf einen bürokratischen Apparat, sondern auch auf eine passive Mitgliedschaft stützt. Gerade weil die Arbeit in den verschiedenen Körperschaften des bürgerlich-parlamentarischen Systems die zentrale politische Aktivität der Partei ausmacht, bilden auch diese „AktivistInnen“, deren Masse nicht im Abgeordnetenhaus, sondern in Bezirksämtern, Beiräten, Bezirksverordnetenversammlungen sitzt, das eigentliche Rückgrat der Partei.

Dies erklärt auch, warum der Anteil der Nein-Stimmen in der Mitgliedschaft, also an der Basis, eher geringer ausfiel als unter den Parteitagsdelegierten, wo er über ein Viertel ausmachte. Leider liegen noch keine Zahlen vor, wie sich die 880 GegnerInnen der rot-grün-roten Koalition auf die Bezirke verteilen. Es dürften aber Neukölln und Mitte Zentren der Ablehnung bilden (jedenfalls was die öffentliche Wahrnehmung betrifft).

Schließlich erklärt die Mehrheit auch, dass die Berliner Linkspartei (und davor die PDS) schon seit Jahrzehnten von den RegierungssozialistInnen dominiert werden. Insofern bedeuten selbst 22,4 % Nein-Stimmen, dass diese Dominanz geschwächt wurde –, und das Agieren der rot-grün-roten Regierung könnte dieses Kräfteverhältnis weiter zugunsten der Opposition verschieben.

Es hängt von der Opposition ab, welche Perspektive sie selbst einnimmt, wie sie sich zur neuen Landesregierung, zur Parteimehrheit und zu den sozialen Bewegungen und den Lohnabhängigen verhält, die unweigerlich mit Rot-Grün-Rot in Konflikt geraten werden.

Sollten die GegnerInnen der Regierung darauf verzichten, den Kampf gegen die neue Regierung auf der Straße und parteiintern organisiert fortzuführen, so wäre die ganze Abstimmung wenig mehr gewesen als ein Sturm im Wasserglas. Die Opposition würde sich dann als politische Episode, als parteiinterne Begleitmusik zu den Niederungen der Regierungspolitik erweisen. Eine solche Opposition würde sich als politischer Wurmfortsatz der Parteiführung entpuppen, die ihrerseits wenig mehr als einen Wurmfortsatz von SPD und Grünen darstellt.

Die Opposition in der Linkspartei kann aber auch den Kampf aufnehmen und ihre Chance nutzen, die 880 Nein-Stimmen zu einer organisierten Kraft gegen die kommenden Angriffe der Regierung und gegen die RegierungssozialistInnen zu gestalten.

Dazu muss sie sowohl das Bündnis mit der Linken außerhalb und links der Linkspartei, mit den sozialen Bewegungen wie DWe enteignen, antirassistischen Kräften, der Krankenhausbewegung und vielen anderen vertiefen und suchen. Wir schlagen daher vor, rasch ein Aktionbündnis gegen die Angriffe des kommenden Senates zu gründen, um dagegen auf der Straße und in den Betrieben zu mobilisieren.

Das erfordert aber auch eine politische Klärung in der Opposition, die Schaffung einer politisch-programmatischen Plattform, die sich nicht nur gegen den Koalitionsvertrag, sondern auch gegen die reformistischen Grundlagen der Linkspartei richtet und für eine revolutionäre Alternative eintritt. Auch dazu sollte, ja müsste sich diese Opposition auch für die Linke außerhalb der Linkspartei öffnen, um so einen strategischen und programmatischen Diskussionsprozess zur sozialistischen Neuformierung voranzubringen.




Mitgliederentscheid Berliner Linkspartei: Nein zu Rot-Grün-Rot!

Martin Suchanek, Neue Internationale 261, Dezember 2021/Januar 2022

Bis zum 17. Dezember sollen die Mitglieder der Berliner Linkspartei in einer Urabstimmung entscheiden, ob ihre Koalition mit SPD und Grünen fortgesetzt werden soll oder nicht.

Für alle, die den Koalitionsvertrag einigermaßen nüchtern lesen, ist die Sache klar. Das Papier trägt die Handschrift des rechten Flügels der SPD, garniert mit allerlei bürgerlich-grünen Elementen. Giffey und Jarasch, SPD und Grüne, stehen politisch eng zusammen. Die Linkspartei sorgt für etwas Sozialschaum, Bewegungsberuhigung und eine Flankendeckung nach links, mit denen die FDP natürlich nicht dienen kann. Außerdem stellt die DIE LINKE allein schon durch das Mitmachen die linken Flügel von SPD und Grünen ruhig. Dafür werden diesmal giftige Kröten geschluckt, die selbst für sie, über Jahre im parlamentarischen Opportunismus erprobt, schwer verdaulich werden dürften.

Die Vergesellschaftung der großen Immobilienkonzerne soll trotz klarer Mehrheit in eine sog. „Expertenkommission“ politisch entsorgt, der Wille von einer Million WählerInnen ignoriert werden. Das Bauressort geht, durchaus folgerichtig, an die SPD. Die Räumung besetzter Häuser wird ebenso fortgesetzt wie die von MieterInnen, die ihre Mieten nicht mehr zahlen können.

Auch wenn viel von einem Rückkauf der S-Bahn durch die Stadt erzählt wird, bleibt es weiter bei Ausschreibungen an private AnbieterInnen. Dass die rassistische Abschiebepraxis und „racial profiling“ nicht nur in sog. Problemgebieten weiter fortgesetzt werden, dafür steht nicht nur SPD-Innensenator Geisel. Die Befugnisse der Polizei werden ausgeweitet, ihre Kräfte aufgestockt und aufgerüstet.

Die Beschäftigten in den Krankenhäuser, in den Bezirken und bei den Ländern können weiter auf die Erfüllung sozialer Versprechungen warten. Im Bildungsbereich soll das reaktionäre Berufsbeamtentum wieder gestärkt werden.

Man muss schon zu den SchönrednerInnen aus der Spitze der Berliner Linkspartei gehören, um bei so viel Schatten auch noch Licht ausmachen zu können und unverdrossen an der Koalition festzuhalten.

Opposition

Doch erstmals seit die PDS und später die Linkspartei in Regierungen mit SPD bzw. SPD und Grünen eintraten, hat sich eine größere innerparteiliche Opposition gebildet, die sich gegen die weitere Regierungsbeteiligung wendet. So erzwang eine Gruppe von 47 Delegierten die Einberufung eines Landesparteitages zur Diskussion des Koalitionsvertrags für den 4. Dezember, ein erstes öffentliches Kräftemessen zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen der Fortsetzung des alten Senats als Rot-Grün-Rot (unter geänderten Kräfteverhältnissen).

Die GegnerInnen der Parteispitze reichen von grundsätzlichen KritikerInnen einer solchen Regierung bis hin zu deren ehemaligen UnterstützerInnen, für die jedoch eine Fortsetzung der Senatsbeteiligung auf Basis des Koalitionsvertrags einem politischen Selbstmord gleichkommt (und die damit einen gewissen Realismus an den Tag legen).

Erstere Parteilinkeströmung ist vor allem in der Plattform Zusammen für eine linke Opposition vertreten, die sich vor allem auf die linken Bezirksverbände Neukölln und Mitte stützt. Etliche ihrer bekannteren AnhängerInnen sind bei marx21 sowie AKL, SoL und SAV organisiert. Darüber hinaus unterstützen Linksjugend [’solid] und SDS Berlin die Plattform.

Ehemalige SenatsbefürworterInnen sind um linke Abgeordnete wie Katalin Gennburg gruppiert. Gennburg und andere Delegierte repräsentieren eine breitere Schicht von Mitgliedern und FunktionärInnen der Linkspartei, die zwar die Beteiligung an bürgerlichen Regierungen nicht grundsätzlich ablehnen, den bestehenden Koalitionsvertrag aber schlichtweg für eine politische Zumutung und einen Ausverkauf aller linksreformistischen Versprechungen der Partei halten.

Insgesamt umfassen die beiden Strömungen rund ein Drittel der Delegierten zum Berliner Parteitag. Dass sich diese offene, bis hinein in Teile des Funktionärskörpers reichende Opposition bildet, hat wohl mehrere, miteinander verbundene Gründe:

a) Die desaströse Wahlniederlage der Linkspartei bei den Bundestags- und die Verluste bei den Berliner Wahlen. Diese haben den bestehenden Apparat geschwächt und damit auch den Kredit des Berliner Parteivorstandes und seiner KoalitionsmacherInnen.

b) Der Druck, den Bewegungen wie Deutsche Wohnen & Co. enteignen, die Krankenhausbewegung und antirassistische Mobilisierungen auf die Partei ausüben.

Gerade weil die Berliner Linkspartei mit diesen zumindest teilweise verbunden ist, zeichnet sich deutlich ab, dass sie mit ihnen in Konflikt geraten wird, sollte sie die Beschlüsse des Senats umzusetzen müssen.

c) Die Wahlniederlage hat auch das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Strömungen durcheinandergebracht, die sich seit dem 26. September faktisch paralysieren.

Das Wagenknecht-Lager bewegt sich weiter nach rechts und arbeitet an seiner Selbstentsorgung, die RegierungssozialistInnen verfügen außer über die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen über kein Konzept. Eine starke Opposition gegen eine neuerliche Senatsbeteiligung und erst recht die Verhinderung der Koalition würden ebenso wie die Wahl von Jules El-Khatib zum neuen Landessprecher in Nordrhein-Westfalen die Bewegungslinke stärken.

Berliner Landesparteitag und die Taktik der Spitze

Der Landesparteitag vom 4. Dezember stellte ein erstes Kräftemessen zwischen der Berliner Parteiführung und der Opposition dar. Vorweg: Wer die rund sechsstündige Übertrag miterlebte, konnte unschwer feststellen, dass zwischen den beiden Flügeln keine wirkliche Waffengleichheit besteht. Wie in reformistischen Parteien üblich, führte die Parteispitze auch gleich Parteitagsregie.

Das erste Drittel der Versammlung wurde von SprecherInnen der Führung, SenatorInnen, VerhandlerInnen und VertreterInnen der Bundespartei bestimmt, die sich fast ausschließlich für eine Fortsetzung der Koalition aussprachen.

Katina Schubert und Klaus Lederer präsentierten mit ihren Reden gewissermaßen das Skript für alle anderen UnterstützerInnen einer Koalitionsregierung.

Es gebe viel Schatten, vor allem den bitteren Verlust des Stadtentwicklungs- und Wohnungsressorts, aber eben auch viel Licht, das nicht übersehen werden dürfe. Außerdem existiere auch viel Gestaltungsspielraum in den Ressorts der Linkspartei.

Vor allem aber: Opposition führe zu Isolation und nicht zur Verankerung in außerparlamentarischer Opposition, die dann ja keine Ansprechpartnerin in der Regierung mehr hätte und für die es dann noch schlimmer käme. Die Partei dürfe nicht an Befindlichkeiten hängen und in die „Wohlfühlzone“ Opposition zurückziehen, sondern müsse für die Menschen da sein. Elke Breitenbach, die scheidende Sozialsenatorin, bemühte gar Bertolt Brecht. Wer im Senat kämpfe, könne verlieren, wer nicht kämpfe, also in die Opposition gehe, habe schon verloren. Wo DIE LINKE eigentlich in Jahren ihrer Regierungsbeteiligung wirklich gesiegt hat, verschwieg Breitenbach geflissentlich.

Schließlich wurde von der Parteispitze auch noch die FDP als mögliche alternative Regierungspartnerin von SPD und Grünen ins Spiel gebracht. Wer die Koalition ablehne, würde objektiv nur Giffey helfen, doch noch die Ampel durchzusetzen. Da macht die Linkspartei die Ampelpolitik, natürlich mit einigen nebensächlichen Verbesserungen, gleich selbst und verhindert so die FDP.

Auch während der weiteren Stunden sprach sich eine Mehrheit der Delegierten für die Fortsetzung der Koalition aus. Zusätzlich gestützt wurde dies durch etliche, wenn nicht alle VertreterInnen von Gewerkschaften, Bündnissen wie DWe und der sog. Stadtgesellschaft. Die meisten waren für eine rot-grün-rote Koalition trotz ihrer Schattenseiten. Einige warnten jedoch auch recht deutlich davor. So enthielt sich Rouzbeh Taheri von DWe zwar einer direkten Empfehlung zum Nein, stellte aber die Frage in den Raum, wie die Linksparteispitze eigentlich auf die Idee komme, dass sie politisch geschwächt all das im Senat durchsetzen könne, was ihr vier Jahre nicht gelang.

Interessant war auch, dass sich Tom Erdmann von der GEW trotz Vorbehalten für einen rot-grün-roten Senat aussprach, weil sonst die FDP drohe. Die ver.di-Vertreterin Jana Seppelt erklärte hingegen, dass die Aktiven der Krankenhausbewegung enttäuscht und sauer auf die Koalitionsregierung seien und ihr Fachbereich keine eindeutige Position zu deren Fortsetzung einnähme.

GegnerInnen

Die GegnerInnen der Koalition waren unter den SprecherInnen eindeutig in der Minderheit, was aber auch der Parteitagsregie selbst geschuldet war. Dies machte Lucia Schnell in ihren Beiträgen und einem Geschäftsordnungsantrag deutlich, als sie aufzeigte, dass sich unter den RednerInnen relativ wenige Personen befanden, die „nur“ Delegierte zum Landespartei waren und keine BerichterstatterInnen von Verhandlungsgruppen, SenatorInnen oder Gäste.

GegnerInnen der Weiterführung der Koalition wie Katalin Gennburg verwiesen darauf, dass das Gerade von Licht und Schatten banal sei und von der eigentlichen Frage nur ablenke, nämlich war am Schalter einer rot-grün-roten-Regierung säße – und das wären alle anderen, nur nicht die Linkspartei.

Ferat Koçak, einer der bekanntesten GegnerInnen der Fortsetzung der Koalition, kritisierte, dass die Linkspartei nicht nur ein paar Kröten, sondern einen Elefanten schlucken müsse, wenn sie in die neoliberale Regierung mit „racial profiling“, Abschiebungen und Wohnungsräumungen eintrete. Er machte auch deutlich, dass er in jedem Fall bei der Wahl des neuen Senats im Abgeordnetenhaus mit Nein stimmen werde.

Keine Abstimmung

All das wird die Spitze der Linkspartei, deren Opportunismus nur durch schier endlosen Selbstbetrug übertroffen wird, nicht weiter jucken. Sie wird vielmehr alle Mittel, die dem Apparat zur Verfügung stehen, dafür einsetzen, dass bei der Urabstimmung ein Ja rauskommt. Dies hätte für die Parteiführung den zusätzlichen Wert, die politische Verantwortung für die Senatsbeteiligung im Krisenfall der Basis zuzuschieben, die ihr ja in dieser Form von plebiszitärer Demokratie den „Auftrag“ erteilt hätte.

Auf welche Kniffe die Parteiführung dabei zurückgreift, zeigt schon der Parteitag. Nach sechs Stunden Debatte stand ein Antrag von Katalin Gennburg und anderen Delegierten zur Abstimmung, der folgende Empfehlung enthielt: „Der Landesparteitag von DIE LINKE Berlin empfiehlt den Mitgliedern des Landesverbands, beim Mitgliederentscheid den Koalitionsvertrag abzulehnen und entsprechend mit ‚Nein’ zu stimmen.“

Zur Abstimmung gelangte dieser jedoch nicht. Die Parteivorsitzende brachte einen Antrag auf Nichtbefassung ein, der mit 82 Für- bei 57 Gegenstimmen und drei Enthaltungen angenommen wurde.

Schubert begründete ihren Antrag auf Nichtbefassung damit, dass die Mitglieder das Recht haben müssten, eigenständig zu entscheiden. Eine Empfehlung würde den Mitgliederentscheid konterkarieren. Klingt demokratisch, ist es aber nicht. Schließlich gibt es eine faktische Empfehlung, für eine Fortsetzung der Koalition zu stimmen – durch das Verhandlungsteam und die Parteiführung. Dass der Parteitag über eine Empfehlung erst gar nicht abstimmen durfte, heißt nur, dass er kein Votum darüber abzugeben ermächtigt wurde, ob er die Position der Spitze und der Verhandlungsführung annimmt.

Nein zu Rot-Grün-Rot!

Die Bedeutung der Urabstimmung der Berliner Linkspartei sollte in den kommenden Wochen nicht unterschätzt werden. Schließlich bildet ihr Ausgang, selbst wenn sich die Parteiführung durchsetzen sollte, einen Gradmesser für das Kräfteverhältnis. Nicht minder wichtig ist jedoch, wie die Opposition oder, genauer, die verschiedenen Oppositionskräfte handeln werden, um sich als organisierte politische Kraft in der Linkspartei zu formieren. Gelingt ihnen das nicht, stellt die ganze Ablehnung der Giffey-Regierung wenig mehr als Schall und Rauch –  einen Theaterdonner, ein reformistisches Trauerspiel dar. Entscheidend ist daher, mit welcher Perspektive, mit welchen Initiativen sich eine solche Opposition nicht nur innerparteilich, sondern auch in den Mobilisierungen gegen den nächsten Senat formiert. Dazu braucht die Opposition in der Linkspartei freilich mehr als warme Worte für Initiativen wie DWe, die Krankenhausbewegung oder antirassistische Mobilisierungen. Sie muss gemeinsam mit anderen eine Aktionskonferenz organisieren zum Kampf für die Vergesellschaftung der großen Immobilienkonzerne, gegen den Pflegenotstand, Abschiebungen und „racial profiling“, die Pseudoumweltpolitik des Senats, für die Rekommunalisierung der S-Bahn und im Widerstand gegen die anderen rot-grün-roten Schweinereien.




Linkspartei und Rot-Grün-Rot – Mitregieren um jeden Preis

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 260, November 2021

In Berlin haben die Koalitionsverhandlungen am 22. Oktober begonnen. SPD, Grüne und DIE LINKE tagen über den Rahmen kommender Landespolitik. Am 15. Oktober hatten die drei Parteien ihre Sondierungsergebnisse vorlegt. Am 5. Dezember hat die Berliner SPD angekündigt, auf einem Landesparteitag über den Vertrag und somit die Regierungsbildung abzustimmen.

Der Autor selbst ging vor der Wahl davon aus, dass die Orientierung Giffeys (SPD) und ihrer VerhandlungsführerInnen auf eine Deutschland- und nach der Wahl auf eine Ampelkoalition gerichtet ist. Jedoch ließ sich dies innerhalb der Berliner SPD angesichts des Wahlergebnisses und des Drucks der Grünen für eine Fortsetzung der bisherigen Koalition (R2G), unter geänderten Mehrheitsverhältnissen als Rot-Grün-Rot (RGR), nicht durchsetzen.

Doch nicht die Form, sondern der Inhalt ist entscheidend. Hier konnte Giffey durch ihre Drohgebärde, DIE LINKE jederzeit durch die FDP ersetzen zu können und zu wollen, punkten. Dieses Vorgehen reichte aus, um DIE LINKE zu prinzipienlosen Zugeständnissen zu bewegen. In den Sondierungsergebnissen steht beispielsweise zum Volksentscheid Folgendes: „Die neue Landesregierung respektiert das Ergebnis des Volksentscheides und wird verantwortungsvoll damit umgehen. Sie setzt eine Expertenkommission zur Prüfung der Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksbegehrens ein.“ (Sondierungspapier Berlin, S. 2). Es wird deutlich, dass viele hohle Phrasen und nicht die Frage des „Wie“, sondern des „Ob“ der Enteignung hier formuliert wurden. Dafür soll eine ExpertInnenkommission eingesetzt werden, die ein Jahr prüfen soll, um dann dem Abgeordnetenhaus einen Vorschlag vorzulegen. Wie das Abgeordnetenhaus im Allgemeinen und RGR im Speziellen damit beabsichtigen umzugehen, wird nicht erwähnt. Diese Durchsetzung trägt Franziska Giffeys Handschrift – in „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ deshalb auch Dolores Umbridge genannt. Dies gleicht einer Verschleppungstaktik, die darauf wettet, dass die MieterInnenbewegung bis dahin aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden und unfähig ist, der Blockade etwas entgegenzusetzen.

Anstelle dessen spricht das Sondierungspapier von Baubündnissen und von „Kooperation statt Konfrontation“ (ebd.) – was angesichts bestehenden Leerstandes, drohender Inflation, auslaufender Sozialbindung von Wohnraum, explodierenden Bodenpreisen, Luxussanierungen und -neubau nichts weiter als eine Nebelkerze ist. Deutsche Wohnen hatte schon vor dem Volksentscheid niedrigpreisige Bauprojekte versprochen. Diese werden nun verspätet fertiggestellt und „müssen“ doch hochpreisig vermietet werden. Von öffentlichen Bauvorhaben wird nicht gesprochen, sondern von Aufstockung im urbanen Bauen, also teuren Dachgeschosswohnungen in den Innenstädten durch zumeist Private.

DIE LINKE – regieren um jeden Preis?

DIE LINKE wurde also durch die Sondierungstaktik von SPD und in gewisser Form den Berliner Grünen weichgeklopft, sodass sie ihre roten Haltelinien zum Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ aufgab – hier nur als ein Beispiel. Der außerordentliche Delegiertenparteitag der Berliner Linken am 19.10. stimmte zuerst über die grundsätzliche Frage der Bereitschaft zur Teilnahme an einer Koalition mit SPD und Grünen ab, bevor die inhaltlichen Linien der Koalitionsverhandlungen festgelegt wurden. So erschien der Antrag, dass die Integration eines Vergesellschaftungsgesetzes in einen Koalitionsvertrag Vorbedingung zur Beteiligung der Linken an einer Koalition sei, als reine Makulatur. Darüber hinaus wurde der Antrag durch den geschäftsführenden Landesvorstand so abgeändert, dass eine Ablehnung eines Vergesellschaftungsgesetzes durch SPD und Grüne kein Grund zum Bruch der Koalition sei. Über den Originalantrag wurde nicht mehr abgestimmt.

Dies zeigt mindestens zweierlei. Einerseits versucht die Führung der Linken, um jeden Preis Teil der Regierung zu werden, anstatt sich auf den konsequenten Kampf zur Umsetzung der Interessen ihrer sozialen Basis zu orientieren (Krankenhausbewegung, Mietenvolksentscheid, S-Bahn). Andererseits ist die Opposition innerhalb der Berliner Linken zwar vertreten und sichtbar, stellt jedoch keinen organisierten Pol dar. Die Möglichkeiten dazu sind jedoch gegeben.

Enteignung oder Opposition!

Am 20. Oktober legten Teile der Linkspartei-Basisorganisation (BO) Wedding ein Statement gegen den Ausverkauf des Volksentscheids durch ihre Partei vor. Darin steht unter anderem: „Für uns ist klar: Die ins Abgeordnetenhaus gewählten Parteien sind mehrheitlich gegen eine Umsetzung von DWe. Das muss für uns als LINKE bedeuten: Wir müssen aus der Opposition im Schulterschluss mit der Bewegung, für eine Umsetzung der Vergesellschaftung kämpfen“. Auch die Landesvollversammlung der Linksjugend [’solid!] hat sich mehrheitlich gegen eine Fortsetzung dieser Dreierkoalition ausgesprochen.

In der Berliner Linkspartei heißt es derweilen seitens des Vorstands, dass man den Koalitionsvorschlag abwarten solle, da dieser erneut durch einen Landesparteitag bestätigt werden müsse. Die perfiden bürokratischen Manöver auf dem Kleinen Parteitag am 19.10 zeigen, dass das eine Finte ist. Die Linkspartei ist strategisch auf die Regierungspolitik orientiert. Linke in DER LINKEN müssen bereits jetzt gegen eine Regierungsbeteiligung ohne das Ziel der Enteignung großer privater Immobilienkonzerne mobilmachen und sich in der Partei und öffentlich darum organisieren.

Neue Regierung – alte, aber verschärfte Probleme

Doch nicht nur auf dem Wohnungsmarkt brennt es. Dämmern doch angesichts des Fortbestands der Schäuble’schen schwarzen Null mitten in der dreifachen Krise aus drohendem wirtschaftlichen Kollaps, ökologischer Katastrophe und weltweiter Pandemie andere Problemfelder. Die fiskalpolitischen Spielräume werden immer kleiner. Doch DIE LINKE hält sehenden Auges auf diese Probleme zu, anstatt sich auf die Seite des Widerstandes gegen drohende soziale Kahlschläge zu stellen. An der Landesregierung befände sie sich hier notwendig in einem Widerspruch, einerseits von kapitalistischen Sachzwängen geleitet, das Elend der Krise mitzuverwalten, und andererseits, dem sozialen Widerstand dagegen dadurch das Wasser abzugraben. Und das fortan unter verschärften Bedingungen.

Bereits in der vergangenen Legislatur wurde dieses Problem sichtbar. So „erkämpfte“ DIE LINKE im letzten Koalitionsvertrag, dass die Situation in den kommunalen Krankenhäusern verbessert werden solle, was nur durch eine Streikbewegung in Teilen erkämpft werden konnte. Andererseits setzte sie im Jahr 2020 3.111 Zwangsräumungen mit durch, schob 968 Menschen ab, räumte linke Hausprojekte und Jugendzentren wie u. a. die Liebig34, den Köpi-Wagenplatz, den Drugstore, brachte die Teilprivatisierung der Berliner S-Bahn und Schulen voran. Die Liste ist unvollständig, zeichnet aber ein beachtliches Bild an bereits erfolgreichen sozialen Angriffen von R2G.

Auch für die Umweltbewegung bleibt nicht viel Hoffnung in die neue Regierung, baut diese doch weiter an der A100 oder überlässt die Einhaltung von Klimazielen Förderpaketen für energetische Sanierungen, während die landeseigenen Unternehmen künftig als CO2-neutrale Vorbilder gegenüber der Wirtschaft agieren sollen.

Die Linken in DIE LINKE werden sich fragen müssen, wie weit sie noch den Niedergang ihrer Partei „kritisch“ begleiten wollen. Den Widerspruch, die Parlamentspartei zu verkörpern, die sich am meisten auf solche sozialen Bewegungen stützt, und letztere stets durch die Politik des vermeintlich kleineren Übels vor den Kopf zu stoßen, können sie nur positiv lösen, indem sie nicht weiter immer giftigere Kröten im Interesse der Parteieinheit schlucken. Sie müssen vielmehr einen offenen Kampf gegen die RegierungssozialistInnen führen und dürfen dabei auch vor einem politischen und organisatorischen Bruch nicht weiter zurückschrecken.




Vivantes-Eckpunktepapiere: Licht und Schatten

Jürgen Roth, Infomail 1168, 1. November 2021

Als letzter der 3 Bereiche der Berliner Krankenhausbewegung (Mutterkonzerne Charité und Vivantes, ausgelagerte Vivantes Tochterunternehmen) konnten nun auch die Vivantes-Servicegesellschaften ein mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ausgehandeltes Eckpunktepapier auf einer Pressekonferenz letzten Freitagmittag vorstellen.

Mutter …

Eine vorläufige Sichtung der Kernpunkte bestätigt unsere Vermutung: Es umfasst wie bei der Charité und im Unterschied zum dortigen 2015 vereinbarten und 2016 gekündigten Tarifvertrag Entlastung (TVE) alle Bereiche des Mutterkonzerns, bleibt aber in wesentlichen Punkten hinter dem bei den Uniklinken anvisierten Abschluss zurück. Im Kern fällt 1 Freischicht auf 9 in Überlast (Charité: 5). Das stellt ggü. dem ursprünglichen Angebot (1:12) eine deutliche Verbesserung dar. Das gilt auch ggü. dem für Auszubildende (1:48). Allerdings kriegen diese nur ein Notebook geschenkt und Freizeitausgleich erst angerechnet, wenn sie nach Ende ihrer Ausbildung von Vivantes übernommen werden.

In der Urabstimmung sollten die Gewerkschaftsmitglieder beim Vivantes-Mutterkonzern den Vertrag ablehnen, solange er nicht eine vollständige Gleichstellung mit den Angestellten der Charité bringt. Ein weiterer Erzwingungsstreik sollte den neuen Senat auffordern, die Umsetzung des zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Charité-Abschlusses auch bei Vivantes anzurdnen.

… und Töchter – schmerzhafter Kompromiss

Einerseits ist Erleichterung unter den Beschäftigten zu spüren. Der längste und heftigste Streik der Berliner Krankenhausbewegung ist vorläufig zu Ende. Seit über einem Jahr wurde verhandelt. „In 4 Jahren sehen wir uns wieder auf der Straße“, so Alexander Thonig von VivantesClean (Reinigungsgesellschaft), Mitglied der ver.di-Tarifkommission im Neuen Deutschland vom 1. November.

Der Stufenplan sieht je nach Tochtergesellschaft bis 2025 einen Lohn von 96 % oder 91 % des TVöD vor. Zur Zufriedenheit trügen auch die stark an ihm orientierte Zulagenregelung sowie die Verlängerung des Krankengeldzuschusses über die 6. Woche (eigentlich überhaupt ein Krankengeldzuschuss, denn bis zur 6. Woche gilt ja die gesetzliche Lohnfortzahlung) hinaus bei, so Thonig.

Doch es gibt auch Schattenseiten: Sauer stößt vielen Beschäftigten auf, dass keine vollständige Angleichung an den TVöD erreicht werden konnte, geschweige denn eine Rückkehr in den Schoß der Konzernmutter, die ja von Senat und Abgeordnetenhaus versprochen worden war. Melanie Meißner, Medizinische Fachangestellte in einem MVZ, macht ferner darauf aufmerksam, dass manche ihrer KollegInnen in den Bestandsschutz schlüpfen müssen, um nicht weniger zu verdienen als zuvor. In Anlehnung an den TVöD nehmen die Eckpunkte nämlich die Lohngruppeneinteilung nach Dauer der Betriebszugehörigkeit vor. Sie selbst weist 23 Jahre Berufserfahrung und eine onkologische Zusatzausbildung auf, ist aber erst seit 3 Jahren bei Vivantes. Verhandlungsführer Ivo Garbe bezeichnet das Ergebnis denn auch als „teils gut und teils schmerzhaft“.

Für das Labor Berlin, ein gemeinsames Tochterunternehmen mit der Charité, gelten die Eckpunkte nicht. Der Verhandlungsaufforderung ver.dis sind die Geschäftsführungen bisher nicht nachgekommen. Der TV soll bis zum 15. Dezember fertiggestellt sein, damit er 2022 inkraft treten kann und Prämien und Nachzahlungen für 2021 ausgezahlt werden könnten.

Finanzierung

Der kommissarische Geschäftsführer von Vivantes, Johannes Danckert – die Geschäftsführerin und Verhandlungshardlinerin Dorothea Schmidt scheint man beurlaubt zu haben –, betont die resultierenden Mehrausgaben von 68 Mio. Euro, verweist auf die finanziellen Schwierigkeiten des Konzerns und hofft auf Refinanzierung durch „die Landespolitik“, die bereits Zusagen getätigt habe. Über deren Zusagen und sogar Beschlüsse können die Beschäftigten allerdings eine lange Klagelitanei anstimmen. Hinzu kommt, dass zu erheblichen Teilen die Finanzierung der laufenden Krankenhausbetriebskosten durch die Krankenkassen nach dem System der Fallpauschalen (DRGs) erfolgt. Aus diesen Erlösen müssen sich auch die Töchter finanzieren.

Damit hängt ein weiteres Damoklesschwert über dem möglichen Abschluss, wenn staatliche Subventionen, sofern sie nicht eh nur leere, großmäulige Versprechen darstellen, dieses Marktmodell aushebeln. Schließlich schwebt immer noch das drohende Verdikt seitens der ArbeitgeberInnenverbände im öffentlichen Dienst (TGL, VKA) über dem Ganzen, einen „Berliner Alleingang“ mit einem Rauswurf aus den Verbänden nötigenfalls mit einem Rauswurf zu quittieren.

Urabstimmung für Gleichstellung Ein Vergleich der Eckpunkte mit dem gültigen TV des Tochterunternehmens der Charité, CFM, ist erst nach Bekanntwerden aller Details möglich. Das müssen die Beschäftigten klären und können das auch besser als wir. Eine Urabstimmung muss den TV ablehnen, falls er schlechter ausfällt als der bei CFM, und dessen Übernahme durch Allgemeinverbindlichkeitserklärung seitens „der Landespolitik“ fordern. Unter diese muss auch das Labor Berlin fallen, falls kein besserer TV ausgehandelt werden kann. Das dürfte nach Aussetzung des Streiks, die die Beschäftigten dort ihres wichtigsten Druckmittels beraubt, eine verbliebene Chance verkörpern, mit ihren anderen KollegInnen beider Konzerne gleichgestellt zu werden




Landesparteitag DIE LINKE Berlin: mit gebührender Begleitmusik

Jürgen Roth, Infomail 1167, 21. Oktober 2021

Wenig überraschend hat DIE LINKE Berlin auf ihrem außerordentlichen Landesparteitag am 19.10.2021 mit deutlicher Mehrheit der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen zugestimmt. Das 6-seitige Sondierungspapier, das eine Kommission aus den 3 Parteien vorgelegt hat, stellt damit kein Hindernis für die Fortführung der alten Senatskoalition (R2G) – unter geänderten Kräfteverhältnissen aufgrund des Wahlergebnisses als RGR – mehr dar.

Umstrittene Sondierungsergebnisse

Es blieben im Wesentlichen zwei: die von der scheidenden grünen Verkehrssenatorin forcierte Ausschreibung der S-Bahn und damit ihre Zerschlagung und forcierte Privatisierung sowie der Umgang mit dem Volksentscheid für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohneinheiten. Innensenator Geisel (SPD) darf es beruhigen, dass das von ihm verlangte neue Landespolizeigesetz von keiner der 3 Parteien mehr infrage gestellt wird.

In der Wohnungsfrage setzte sich im Sondierungspapier die Handschrift der designierten Regierenden Bürgermeisterin, Franziska Giffey, durch. Der Schwerpunkt liegt demnach auf dem Neubau von angestrebten 20.000 Wohnungen pro Jahr. Ein Bündnis für bezahlbaren Neubau mit der renditehungrigen privaten Immobilienlobby soll es also richten. Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, hält das Ziel von 200.000 bezahlbaren Wohnungen bis 2030 für unrealistisch. Für ihn bleibt unklar, wer die denn bauen soll. Dem schließt sich auch der Berliner BUND-Landesgeschäftsführer, Tilmann Heuser, an: „Es ist relativ klar, dass zu den aktuellen Baukosten kein bezahlbarer Wohnraum entstehen kann.“ (NEUES DEUTSCHLAND, 19.10.2021, S. 9)

Wild hält zudem die Einstellung, dass man über den Markt, über die Neubaumenge die Preise im Bestand beeinflussen könne, für problematisch. Linksfraktionsmitglied Katalin Gennburg bemängelt, dass das Verhältnis von einem Prüfauftrag für den klaren Volksentscheid zur reinen Orientierung auf ein Neubaubündnis der Realität und der eingeleiteten stadtpolitischen Wende nicht standhalte.

Gedämpfte Begleitmusik im Saal …

Spitzenkandidat der Linkspartei, Klaus Lederer, hatte im Vorfeld des Parteitags die Einsetzung einer ExpertInnenkommission zur Ausarbeitung eines Enteignungsgesetzes empfohlen. Von der Kontrolle der Umsetzung durch die von der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen (DWe) mobilisierte Volksentscheidsmehrheit und MieterInnenbasis insbes. in der Frage der Entschädigungshöhe und Betriebsführung der verstaatlichten Wohnungen redet dieser auf den parlamentarischen Kuhhandel fixierte Reformist also erst gar nicht.

Das tut auch die innerparteiliche Opposition um Landesvorstand Moritz Warnke und die 3 Abgeordneten Elif Eralp, Katalin Gennburg und Niklas Schenker leider nicht. Doch immerhin formulierte sie einen Antrag an den Landesparteitag, dass die Verpflichtung zur Vorlage eines vom zukünftigen Senat erstellten Enteignungsgesetzes im Abgeordnetenhaus im Koalitionsvertrag verankert und dies zur zwingenden Voraussetzung gemacht werden soll, um in eine Koalition mit SPD und Grünen einzutreten. Damit steht sie deutlich links von Lederer. Es versprach also, ein lebhafter Parteitag zu werden, auch wenn die AntragstellerInnen grundsätzlich eine Koalition mit einer offen bürgerlichen Partei wie den Grünen für möglich halten.

Natürlich wurde auch diese Opposition im Vorfeld unter Druck gesetzt und die Abstimmung über den Antrag von Warnke und anderen wurde erst abgehandelt, nachdem über die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen entschieden worden war. Dies geschah mit einer deutlichen Mehrheit, eine Auszählung der Gegenstimmen und Enthaltungen gab es nicht.

Schließlich wurde der Antrag abgestimmt, die Erstellung eines Enteignungsgesetzes zur Bedingung für eine Koalition zu machen. Er selbst kam jedoch nie zur Abstimmung, weil unter diesem Punkt zuerst ein Ergänzungsantrag der Mehrheit des Landesvorstandes behandelt wurde, der zwar das Ziel eines Enteignungsgesetzes bekräftigte, aber dies nicht zur Bedingung für eine Koalition macht.

Diese Ergänzung, die den Antrag praktisch in sein Gegenteil verkehrte, wurde mit 86 Ja- bei 53 Nein-Stimmen und einer Enthaltung angenommen. Damit war die Opposition geschlagen.

Katina Schubert, die für den Antrag des Parteivorstandes eintrat, stellte die Sache so dar, als ginge es nur um eine taktische Frage, wie das gemeinsame Ziel – die Fortsetzung der Koalition und die Verhinderung einer Ampel – erreicht werden könne.

Hier handelt es sich jedoch keineswegs bloß um ein untergeordnetes Manöver. Vielmehr wird darin deutlich, dass die Linkspartei und besonders deren Führung eine Koalition mit SPD und Grünen, also die Bildung eines linksbürgerlichen Senats, zum Credo „linker“ Politik macht, dem alles andere – auch die Reformsprechen der Linkspartei, auch die Umsetzung einer klaren demokratischen Entscheidung von über einer Million BerlinerInnen – untergeordnet wird.

Der ansonsten gern beschworene Dialog mit den sozialen Bewegungen, als deren parlamentarische Vertretung sich die Linkspartei gern darstellt, fand auf dem außerordentlichen Parteitag daher erst gar nicht statt. Die VertreterInnen von DWe, Gemeingut in BürgerInnenhand (GIB) und die Streikenden der Vivantes-Töchter durften unter dem fadenscheinigen Vorwand des Hygieneschutzes keine Delegation auf den Parteitag entsenden.

… lautstarkes Open-Air-Konzert davor

Das sahen gut 100 AktivistInnen vor dem ND-Gebäude am Franz-Mehring-Platz, in dem die Linksparteidelegierten tagten, anders. Sie rekrutierten sich überwiegend aus DWe, GIB, das u. a. gegen die Zerschlagung der S-Bahn und Schließungen von Krankenhäusern eintritt, und zahlreichen Streikenden aus den Tochterunternehmen des kommunalen Krankenhauskonzerns Vivantes, die sich weiterhin im Ausstand befinden. Letztere nehmen es dem Senat übel, dass er in der abgelaufenen Legislaturperiode sein Versprechen, die Töchter wieder unterst Dach der Landesunternehmensmütter zurückzuführen, nicht wahrmachte, sondern auch als quasi Eigentümervertretung für ihren Kampf um eine demgegenüber bescheidene Forderung nach Angleichung an den TVöD bisher keinen Finger krummgemacht hat.

„TvöD – für alle an der Spree!“, „S-Bahn für alle – jetzt!“ und „Vonovia & Co. enteignen – jetzt!“ waren denn folgerichtig auch die am meisten und lautesten gebrüllten Parolen. Welch herzerfrischender Kontrast zur üblichen Konzentration aufs parlamentarische Gerangel!

Die Mehrheit der Delegierten scheint das kaltgelassen zu haben.

Doch es ist dieses Potenzial, auf dem sich ein zukünftiges Antikrisenbündnis gegen die zu erwartenden Angriffe der nächsten Bundesregierung aufbauen lässt. Die Linken in DIE LINKE werden sich fragen müssen, wie weit sie noch den Niedergang ihrer Partei „kritisch“ begleiten wollen. Den Widerspruch, die Parlamentspartei zu verkörpern, die sich am meisten auf solche sozialen Bewegungen stützt, und letztere stets durch die Politik des vermeintlich kleineren Übels vor den Kopf zu stoßen, können sie nur positiv lösen, indem sie nicht weiter immer giftigere Kröten im Interesse der Parteieinheit schlucken. Sie müssen vielmehr eine einen offenen Kampf gegen die RegierungssozialistInnen führen und dürfen dabei auch vor einem politischen und organisatorischen Bruch nicht weiter zurückschrecken.




Protest und Widerstand gegen die Räumung der Köpi-Wagenburg

Jan Hektik, Infomail 1167, 16. Oktober 2021

Giffey und Geisel sind schockiert ob der Gewalt. Gemeint sind damit natürlich nicht die fast 2.000 Bullen, die den Wagenplatz unter Einsatz von Räumpanzern und anderem Gerät räumten, die dutzende DemonstrantInnen und Protestierende seit den Morgenstunden festnahmen und das Räumungurteil am 15. Oktober durchsetzten.

Schließlich handelten diese ja nach den geplatzten Verhandlungen mit der (kommunalen) Wohnungsbaugesellschaft Howoge rechtens, also aufgrund eines Räumungsurteils. Schließlich will sie das Gelände neben der Köpi für ihre Profitinteressen nutzen – und die darauf stehende Wagenburg muss dafür samt allen BewohnerInnen weichen.

Gegen die Umsetzung dieses gerichtlichen Entscheides hatten sich BewohnerInnen und UnterstützerInnen verbarrikadiert oder an Bäumen angekettet. Bereits am frühen Morgen versammelten sich einige hundert Menschen, um dies zu verhindern bzw. dagegen zu demonstrieren.

Eine Verhinderung der Räumung war angesichts der Abriegelung ganzer Straßenzüge um die Köpenicker Straße und des massiven Polizeiaufgebots von 2.000 Einsatzkräften plus Fuhrpark wohl nicht zu erwarten. Die bürgerliche Presse, die Polizei und Leute wie Giffey und Geisel stilisieren jedoch schon das Befestigen von Zäunen, Anketten und das Nicht-Freiwillig-Gehen zum gewaltsamen Angriff. Dabei wird unter den Teppich gekehrt, wie weit mittlerweile die Straftat Widerstand gegen VollstreckungsbeamtInnen gefasst werden kann. So kann die Weigerung wegzugehen bereits eine Straftat darstellen. Gleichzeitig wird dabei natürlich auch unterschlagen, dass es wohl kaum verwunderlich ist, wenn sich Menschen, die mit Räumpanzern, Schlagstöcken und Pfefferspray aus ihrem Zuhause vertrieben werden, dagegen zur Wehr setzen.

In Wirklichkeit werden diese gewaltsam vertrieben und zu Obdachlosen gemacht – in der schönen Welt der Polizei, der Presse und des scheidenden und wohl auch zukünftigen Senats werden diese Verhältnisse aber auf den Kopf gestellt.

Das trifft natürlich auch auf die Solidaritätsdemonstration am Abend des 15. Oktober zu. Gegen 20 Uhr versammelten sich da mehrere tausend Menschen – selbst die Bullen sprachen von 7.000 bis 8.000 – zur wahrscheinlich größten Demonstration der autonomen Szene in Berlin. Die Polizei redete von äußerster Aggressivität. Tatsächlich waren die Menschen natürlich wütend und empört – zu Recht. Angesichts der Brisanz der Situation, in Anbetracht der Größe und des versammelten politischen Spektrums, das über die Szene hinausging, waren die Empörung und der kämperische Charakter der Demonstration wohl nicht verwunderlich.

Die Presse stilisierte jedoch den „Kontrollverlust“ der Polizei gezielt hoch, einen „Kontrollverlust“, der sich darauf beschränkt, nicht alle Sachbeschädigungen verhindert zu haben.

Rolle des Senats

In Wirklichkeit geht der scheidende Senat, getrieben von der Immobilienlobby und ihren Frontleuten im Innensenat, seit Jahren gegen die noch vorhandenen besetzen Häuser systematisch vor. Der Linkspartei, der SPD-Linken und auch den Grünen gefällt das zwar nicht – aber gegen Geisel vorgehen tun sie nicht. Dabei ist diese Räumung nur das neueste Glied in einer Kette von Wegnahmen linker Freiräume durch den rot-rot-grünen Senat. Nach der Liebig34, dem Syndikat, der Meuterei und Potse/Drugstore erkennt selbst ein/e Blinde/r einen systematischen Angriff. Wer dann zusammenhanglos die daraufhin entstehenden Proteste und die Wut als „Angriff auf den Rechtsstaat“ und „blinde Zerstörungswut“ (Geisel) bezeichnet, verdreht die tatsächlichen Verhältnisse auf geradezu widerwärtige Art.

Sicherlich sollte niemand der Illusion anhängen, dass die autonomen Taktiken das Kräfteverhältnis drehen können. Natürlich werden auch zerschlagene Glasscheiben dem Senat wenig anhaben können. Gegen die Angriffe des bürgerlichen Staates können noch so militante Szenedemonstrationen letztlich wenig bis nichts ausrichten.

Die Stilisierung der Proteste, einzelner zerbrochener Scheiben oder gar von Bengalos bei den Demos zum „Gewaltexzess“ hat nicht nur nichts mit der Realität zu tun, sie soll vor allem den Boden für eine weitere Verschärfung von Polizeigesetzen, für noch mehr Überwachung und brutalere Durchsetzung des Rechts der Immobilienhaie bereiten. Gegen diese Hetze und Verleumdung ist Solidarität nötig und angesagt mit allen, die gegen die Räumung Widerstand geleistet haben und weiter leisten werden.

Wer zu den wirklichen Angriffen des Staates schweigt, erledigt letztlich den Job der Wohnungskonzerne, von AfD, FDP und CDU und der ScharfmacherInnen im alten und wohl auch zukünftigen Senat. Während Giffey und Geisel gegen die BesetzerInnen – und damit letztlich gegen alle, die von Räumungen bedroht sind – hetzen, halten Grüne und vor allem auch die Linkspartei die Füße still.

Es ist schon bezeichnend, dass ausgerechnet am 15. Oktober, dem Tag der Räumung der Köpi-Wagenburg, SPD, Grüne und Linkspartei bekanntgaben, gemeinsam in Koalitionsverhandlungen zu treten. Für die MieterInnen und für die HausbesetzerInnen verheißt das nichts Gutes. So sollen die Polizei aufgerüstet und die Videoüberwachung öffentlicher Plätze ausgeweitet werden. Die Enteignung der Immobilienkonzerne soll hingegen auf eine ExpertInnenrunde verwiesen, also auf die lange Bank geschoben werden. Obwohl 57,6 % für die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. gestimmt haben, will der zukünftige Senat das Mehrheitsvotum weiter ignorieren. So sieht die rot-grün-rote Demokratie aus!

Doch die Tausende, die in Solidarität mit der Köpi-Wagenburg auf die Straße gingen, die in der Enteignungsbewegung aktiv geworden sind und die mehr als eine Million Ja-Stimmen beim Volksentscheid zeigen auch, dass der zukünftige Senat nicht einfach durchregieren wird können. Sie zeigen, dass das Potential für eine Massenbewegung von MieterInnen und BesetzerInnen, die Gewinnung von Hunderttausenden MieterInnen, für die Aktivierung der Mitglieder von MieterInnenvereinen, Gewerkschaften wie auch der Basis der Senatsparteien existiert.

  • Solidarität mit dem Widerstand und allen von Repression Betroffenen!
  • Enteignet die Immobilienhaie!



Berlin: Giffey bereitet die Ampel vor

Martin Suchanek, Infomail 1166, 11. Oktober 2021

Bis Mitte Oktober soll die Berliner SPD entscheiden, mit wem über einen neuen Senat verhandelt werden soll. Die Signale stehen auf Ampel, daran lässt die SPD-Spitzenkandidatin und nächste Bürgermeisterin, Giffey, keinen Zweifel.

Nachdem sich die Berliner SPD im Wahlkampf noch offiziell bedeckt gehalten hatte, verkündet sie, dass die Partei eine Koalition mit Grünen und FDP gegenüber der Fortsetzung von Rot-Grün-Rot favorisieren würde.

Bemerkenswert daran: Ob eine Mehrheit der Berliner SPD hinter diesem Kurs steht, ist zumindest zweifelhaft. Warum aber die Mitglieder oder einen Parteitag fragen, wenn es mit einer Mehrheit im Vorstand auch geht und mit der von Giffey und dem rechten Parteiflügel geleiteten Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen schon mal Fakten geschaffen werden können?

Mit einem geschickten Manöver gelang es Giffey, die Grünen nicht nur als sicheren Koalitionspartner, sondern auch für parallele Sondierungen mit der FDP zu gewinnen, obwohl die Grünen die rot-grün-rote Regierung fortsetzen wollen. Die Linkspartei würde dabei wohl auch keine Probleme machen. Jedenfalls nach außen hin erklärt sie beständig, dass sie für eine „Reformkoalition“, also eine linke Flankendeckung eines von Giffey geführten Senats bereit wäre.

Doch die SPD-Rechte will offenbar nicht. Wie im Bund setzt sie auf eine Ampel-Koalition. Dass sich die Grünen darauf einließen, zeigt vor allem eines. Auch die angeblich linkere Berliner Partei ist nichts weiter als der lokale Ableger einer offen bürgerlichen Kraft, die für alle Koalitionen mit den sog. demokratischen Parteien offensteht und auf ihre Posten im Senat nicht verzichten will. Sicherlich spielte bei deren Zustimmung zur Sondierung mit der FDP auch mit, dass die SPD rein rechnerisch auch mit CDU und FPD eine Koalition bilden könnte. Letztlich zeigen die letzten Wochen, dass die Grünen auch in Berlin der Linkspartei keineswegs näher stehen als den Liberalen.

Ampel als Garant gegen Enteignung

Dass die SPD-Rechte nie glücklich über eine Koalition mit der Linkspartei war, stellt kein großes Geheimnis dar. Aber Giffey, Saleh, Geisel und Co. fürchten diesmal, dass sie in einer rot-grün-roten Koalition unter den Druck der Mitglieder und WählerInnenbasis aller Senatsparteien geraten könnten, den Volksentscheid zur Enteignung der großen privaten Immobilienhaie durchzusetzen.

Eine Bürgermeisterin Giffey würde dessen Umsetzung auch in einem rot-grün-roten Senat hinauszögern, verschleppen und verwässern. Die Grünen würden das Spiel auch mitspielen und versuchen, mit den Wohnungskonzernen eine freiwillige Begrenzung der Mieten zu verhandeln. Angesichts des Geschäftsmodells der Unternehmen würden sich alle diese Maßnahmen jedoch früher oder später als politische Placebos entpuppen und der Enteignungsforderung neue UnterstützerInnen zutreiben.

Auch wenn die Linkspartei die Enteignung wahrscheinlich nicht zur Koalitionsbedingung machen würde, so wäre es selbst für die Leute um Lederer schwer, ganze fünf Jahre alles für den Frieden mit der SPD-Rechten und den Konzernen zu verschleppen.

Bedenkt man außerdem, dass selbst in der Berliner SPD die Mehrheit auf einem Parteitag zugunsten einer Enteignung und der Umsetzung des Volksentscheides kippen könnte, dem die Mehrheit ihrer WählerInnen und Mitglieder zugestimmt hat, so wäre eine rot-grün-rote Koalition eine, bei der sie ständig erklären müsste, warum sie dem Willen der BerlinerInnen und auch der UnterstützerInnen der Koalitionsparteien nicht folgt.

In dieser „Not“ kommt die FDP gerade recht. Die Verteidigung des Privateigentums bildet schließlich den Kern ihres Kampfes um sog. Freiheitsrechte.

Für SPD und Grüne bildet eine FDP in der Koalition zugleich eine willkommene Ausrede dafür, warum eine Enteignung der Wohnungskonzerne nicht möglich ist. Zum Trost präsentiert eine solcher Senat womöglich einige Selbstverpflichtungserklärungen der Unternehmen, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Sie bringen den MieterInnen zwar nichts, aber sie machten sich gut im Koalitionsvertrag. Ein solcher würde wahrscheinlich mit allerlei Bekenntnissen zum Wohnungsbau garniert werden, samt Subventionen für private BauträgerInnen und ökologischer Sanierung dieses potemkinschen Dorfes.

Giffey und Jarasch kennen außerdem ihre Parteilinken. Diese stehen zwar einer Ampel skeptisch bis ablehnend gegenüber, einen wirklichen Kampf um die Koalitionsfrage würden sie jedoch nicht riskieren. Letztlich werden sie wohl die Kröte FDP schlucken, denn diese Parteilinken verfügen zwar über wenig Rückgrat, dafür aber über einen kräftigen Magen.

Linkspartei

Daher wird der Linkspartei ihre ganze Anbiederung an SPD und Grüne wahrscheinlich nichts nützen. Der Koalitionszug fährt wohl ohne sie ab – und das obwohl sie freiwillig von der wichtigsten konkreten Forderung an einen neuen Senat absieht, der nach sofortiger Umsetzung des Volksentscheids. Die Linkspartei verzichtet aus gutem Grund darauf, dies zur Vorbedingung für eine Senatsbildung zu machen, denn ihrer Führung ist bewusst, dass SPD und Grüne auf diese nicht eingehen werden und zur Zeit der gesellschaftliche Druck noch viel zu gering ist, als dass sie sich dazu gezwungen sähen.

Dieser Sachverhalt offenbart zugleich den zweifelhaften Wert einer Neuauflage der rot-grün-roten Koalition für die MietenaktivistInnen und alle anderen gesellschaftlichen Bewegungen. Schließlich hatten SPD, Grüne und Linkspartei ganze fünf Jahre Zeit, beispielsweise die Lage im Gesundheitsbereich und an den Krankenhäusern zu verbessern.

Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage, angesichts steigender Preise und des Diktats der Schuldenbremse wird der Spielraum für soziale Maßnahmen in Berlin und anderswo deutlich schrumpfen. Jede größere, substantielle Reform erfordert unter diesen Bedingungen, sich mit (Teilen) der KapitalistInnenklasse  anzulegen und in den Betrieben und auf der Straße zu mobilisieren. Doch genau das wollen SPD und Grüne nicht. Eine FPD als Senatspartei kann hier noch als zusätzliche Ausrede dafür herhalten, dass keine großen Sprünge für die Massen möglich sind.

Die Linkspartei hält in dieser Lage wider besseres Wissen am Säen ihrer Illusionen von einer sozialen, ökologischen, linken und progressiven Koalitionsregierung fest. Die Ampel verhindern wird das wahrscheinlich nicht, ja ein Teil der Linkspartei und sogar ihrer Führung mag sogar klammheimlich hoffen, dass ihr eine weitere Regierungsbeteiligung erspart bleibt. Das hätte immerhin den Vorteil, dass sie in den kommenden fünf Jahren keine Verantwortung für soziale Angriffe und Sparmaßnahmen übernehmen müsste und sich in der Opposition „regenerieren“ könnte.

Die Beschäftigten der Charité und bei Vivantes, die sich zur Zeit im Arbeitskampf befinden, sollten jedenfalls keine Hoffnungen in irgendwelche automatischen Verbesserungen durch diesen oder jenen zukünftigen Senat setzen. Ebenso wenig sollten es die AktivistInnen der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen tun. Die BesetzerInnen der Köpi, die noch unter dem scheidenden Senat am 15. Oktober geräumt werden sollen, wissen ohnedies, dass sie von einem rot-grün-roten Senat nichts zu erwarten haben.

Dennoch sollten wir die aktuelle Lage nutzen, um zentrale Forderungen dieser Bewegungen auf die Straße zu tragen und vom Senat einzufordern:

  • Stopp aller Räumungen besetzter Häuser und Wagenplätze! Keine Räumung von MieterInnen!
  • Sofortige Umsetzung des Volksentscheides. Wohnungskonzerne enteignen – sofort!
  • Umsetzung der Forderungen der Krankenhausbewegung bei Charité und Vivantes!