USA: Mord an Daunte Wright zeigt die Unreformierbarkeit der Polizei

Tom Burns, Workers Power USA, Infomail 1146, 14. April 2021

Am 11. April 2021 wurde Daunte Wright, 20 Jahre alt, bei einer Verkehrskontrolle von PolizeibeamtInnen in Brooklyn Center, Minnesota, einem Vorort von Minneapolis, ermordet. Die Polizei behauptet, dass auf Mr. Wright ein Haftbefehl ausgestellt gewesen wäre und dass er versuchte hätte, mit seinem Auto zu entkommen. Das Fahrzeug fuhr noch einige Blocks weiter, bevor es nach der Schießerei mit einem anderen Fahrzeug kollidierte. Dauntes Freundin befand sich im Auto und wurde wegen leichter Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Die an der Schießerei beteiligte Polizeibeamtin behauptet, sie habe versehentlich ihre Waffe statt eines Elektroschockers gezogen. Die anschließenden Proteste sahen die Polizei Tränengas und Gummigeschosse einsetzen, um die Menge zu zerstreuen.

Kein Vertrauen in die Polizei!

Der Mord ereignete sich nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt, an dem Derek Chauvin im Mai letzten Jahres George Floyd das Leben genommen hatte, und geht in die dritte Woche des Prozesses gegen den Polizisten, in dem die Staatsanwaltschaft versucht hat, Chauvin nur als einen „faulen Apfel“ darzustellen. PolizeibeamtInnen, die an der Ausbildung beteiligt waren und in der Befehlskette über Chauvin standen, haben im Namen der Anklage ausgesagt. Doch der Mord an Daunte Wright und die schiere Anzahl solcher Morde über viele Jahre hinweg beweist den inhärent rassistischen Charakter der Polizei. Sie kann nicht reformiert werden. Sie muss abgeschafft und durch die Selbstverteidigung der ArbeiterInnen und der schwarzen Gemeinschaft ersetzt werden.

Die „Black Lives Matter“-(BLM)-Proteste nach dem Tod von George Floyd legten die brutale Natur der Polizeiarbeit im ganzen Land offen. Es gab unzählige Videos im Internet von gewaltsamer Repression gegen unschuldige DemonstrantInnen: ihr Tränengaseinsatz in Raleigh, North Carolina, oder Polizeiautos, die Protestierende in New York oder Kalifornien überfuhren. Das Ziel war eindeutig, uns zu terrorisieren. Aber trotz dieser Gewalt durch staatliche Sicherheitskräfte blieben die DemonstrantInnen im ganzen Land unbeugsam. Bei den Protesten nach Floyds Tod wurde ein Polizeirevier in Brand gesetzt, der erste derartige Fall in der jüngeren amerikanischen Geschichte.

Nach der Tötung von Daunte Wright versammelten sich lokale DemonstrantInnen. Wie es die Polizei in Minneapolis, Raleigh, New York, Los Angeles und anderen amerikanischen Städten tat, überzog sie die Protestierenden mit Gewalt und versuchte, die Menge mit Gummigeschossen und Tränengaskanistern zu zerstreuen.

In Minneapolis hatten sich am selben Tag rassistische und rechtsextreme protestierende GegnerInnen zusammengerottet. Natürlich ging die Polizei nicht gegen diese Proteste vor. Ähnlich wie während Trumps Putsch in der Hauptstadt Washington betrachteten die BeamtInnen solche AkteurInnen als „Kumpel“ und „FreundInnen“. Die Polizei existiert, um private Eigentumsrechte und die Interessen des bürgerlichen Staates durchzusetzen.

Wir müssen uns landesweit mit den DemonstrantInnen in Minnesota solidarisch zeigen. Diese Solidarität muss alle Organe der ArbeiterInnenbewegung und Organisationen, die beanspruchen, uns zu vertreten, einbeziehen, über Worte hinausgehen und jetzt handeln. Die organisierte ArbeiterInnenklasse und die Demokratischen SozialistInnen Amerikas (DSA) erhalten eine weitere Chance, eine wichtige Rolle bei der Organisierung und den Protesten gegen Polizeigewalt, ja gegen die Institution selbst, zu übernehmen. Wenn die DSA wirklich die ArbeiterInnenklasse anführen will, muss sie mit der Verurteilung der „RandaliererInnen“ durch die demokratischen PolitikerInnen und den Aufrufen zum Frieden in Unterwerfung brechen. Sie muss entschlossen in Solidarität mit der BLM handeln und dazu aufrufen, dass alle von ihren Arbeitsplätzen hinaus und auf die Straße gehen.




Stuttgart: „Querdenken 711“, die Polizei und die Gegenproteste

Robert Teller, Infomail 1145, 6. April 2021

Vor zwei Wochen stand die „Querdenken“-Demo in Kassel im Zentrum der Debatte. Am 3. April war „Querdenken“ zurück in Stuttgart. Mit sicher über 10.000 TeilnehmerInnen wurde der reaktionäre Aufmarsch weit größer als angekündigt. Vermutlich waren wohl eher 15.000–20.000 Rechte und deren MitläuferInnen vor Ort. Anders als die großen „Querdenken“-Kundgebungen im vergangenen Jahr wurde nicht nur eine stationäre Kundgebung abgehalten, sondern die Masse zog über eine lange Demoroute durch die gesamte Stadt bis zum Cannstatter Wasen.

In Kassel hatte sich die Polizei nicht imstande gesehen, Auflagen zum Infektionsschutz auf der Demo durchzusetzen. Nachdem dies im Nachgang starke Kritik auf sich gezogen hatte, erklärte sich die Stuttgarter Polizei bereits im Voraus einfach für unzuständig. Der Versuch, Masken- und Abstandsregeln durchzusetzen, würde in der Praxis zu noch höheren Infektionsrisiken führen. Daher würde man lieber mündlich an die TeilnehmerInnen appellieren – so hieß es in den Tagen vor dem 3. April – und eine Auflösung der Demo sei nicht ohne Gewalt möglich. Scheinbar ist Gewaltanwendung eben so gar nicht die Sache der Polizei. Jedenfalls nicht bei „Querdenken“.

Anders natürlich bei linken Demonstrationen, wo die Stuttgarter Polizei regelmäßig gewaltsam vorgeht und auf den Infektionsschutz pfeift – wie etwa Anfang März beim spontanen Protest gegen eine AfD-Veranstaltung in Cannstatt. Gegenüber Linken ist die Polizei seit ein paar Wochen im Übrigen gar nicht darum verlegen, unter Verweis auf die Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg mit der Auflösung von Demonstrationen zu drohen – selbst dann nicht, wenn die Infektionsschutzregeln ohnehin von allen DemonstrantInnen eingehalten werden.

Polizei lobt sich selbst

Für die Stadt Stuttgart erklärte dagegen Ordnungsbürgermeister Clemens Maier, dass aus seiner Sicht die Corona-Verordnung ein Verbot der „Querdenken“-Demo nicht ermöglicht. Wer §11 der Verordnung gelesen hat, weiß, dass er falsch liegt. Nach der Demo erklärt Maier, man habe „das Beste draus gemacht“. Die Pressemitteilung der Stuttgarter Polizei konkretisiert, was damit gemeint sein könnte: „Insgesamt ist es durch den Polizeieinsatz gelungen, eine solche große Anzahl von Versammlungsteilnehmern ohne große Störungen von Gegendemonstrationen über mehrere Kilometer bis auf den Cannstatter Wasen zu lenken.“

„Gelungen“ ist dies dadurch, dass die Polizei gegenüber den GegendemonstrantInnen eine weit weniger wohlwollende Haltung einnahm als gegenüber den Rechten. Eine Fahrraddemonstration blockierte die B14 und verhinderte so zumindest, dass ein „Querdenken“-Demozug wie geplant auf direktem Weg zum Marienplatz gelangen konnte, wo die Hauptdemo losgehen sollte. Die BlockiererInnen wurden binnen Minuten von der Polizei eingekesselt. Alle erhielten Platzverweise. Eine weitere Gegendemonstration machte sich zu Fuß auf in Richtung Marienplatz, wurde aber in sicherer Entfernung ebenfalls prompt und vorsorglich gekesselt und mit Platzverweisen ausgestattet. Mit der Aufnahme der Personalien hatte es die Polizei, die teils aus NRW angereist war, dann nun doch nicht ganz so eilig. So wurde gewährleistet, dass die Protestierenden lange festgehalten wurden und „QuerdenkerInnen“ nach Feststellung der Personalien bereits in sicherer Entfernung von den Freigelassenen waren. Zuvor gab es noch einen Prügelangriff auf die Eingeschlossenen. Dabei musste der Infektionsschutz dann doch hinten anstehen. Gut ins Bild passt auch die für die Polizei etwas unglückliche Szene von einem Handschlag zwischen Bullen und „Querdenken“-Ordner, die im Netz geteilt wurde.

Gegenproteste

Die Gegenproteste waren am 3. April in Stuttgart zwar sichtbar, ein Erfolg waren sie aber offensichtlich nicht. Sie bildeten das zahlenmäßig schwächste Kontingent gegenüber einer übergroßen Masse an rechten SpinnerInnen und einem noch immer großen Aufgebot an Bullen. Die GegendemonstrantInnen kamen zu einem großen Teil aus dem Antifaspektrum der Region. Große Teile der Linken, die normalerweise an antifaschistischen Mobilisierungen teilnehmen, fehlten aber oder gingen stattdessen zum Ostermarsch. So war die Gegenmobilisierung selbst für die Verhältnisse der Stuttgarter Linken schwach. Das konnte auch nicht durch die Teilnahme einiger Antifagruppen aus dem Umland ausgeglichen werden.

Dass es unter diesen Umständen nicht möglich sein würde, „Querdenken“ ernsthaft zu stören, war klar. Wie schon im vergangenen Jahr war an eine Gegenkundgebung direkt am Cannstatter Wasen nicht zu denken. Es blieb bei einzelnen, kleinen Protestaktionen entlang der Demoroute im Stadtgebiet.

Stuttgart bildet in dieser Hinsicht auch keine Ausnahme. Bei großen „Querdenken“-Mobilisierungen seit dem vergangenen Frühjahr waren linke Gegenproteste praktisch immer in der Unterzahl. Die Rechten sind in der Lage, mit ihrer Mischung aus zum Freiheitskampf hochstilisierter Rücksichtslosigkeit, demagogischem Aufgreifen wirklicher Existenzangst, Corona-Leugnung, Verschwörungstheorien und Irrationalismus Massen vor allem aus dem KleinbürgerInnentum und den Mittelschichten, aber auch aus der ArbeiterInnenklasse zu mobilisieren. Und dieser Mobilisierungserfolg scheint die für antifaschistische Proteste der Vergangenheit gewohnten Verhältnisse auf den Kopf zu stellen.

Beim Protest gegen offene Nazis oder gegen die AfD stellt sich nämlich meist ein „Konsens der Vernünftigen“ gegen die rechte Minderheit ein. Mit diesem Konsens kommt es zum Schulterschluss von linken Antifas bis hin zu „aufrechten DemokratInnen“, praktisch zu einer ganz großen Koalition für Demokratie und Grundgesetz. In der Praxis setzt diese Situation – so problematisch ihr klassenübergreifender Charakter auch ist – dem Handeln der Staatsmacht gewisse Grenzen und verbannt den rechten Zoo in sein Hamburger Gittergehege. In Stuttgart hat sich gezeigt, dass sich der breite demokratische „antifaschistische Konsens“ im Angesicht einer derartigen kleinbürgerlichen Massenmobilisierung in Luft auflöst. Was bleibt, ist der gesellschaftliche Konsens zum Abstandhalten und Maske Tragen, aber der reicht nicht für eine Massenmobilisierung gegen rechts.

Faktisch hatten die Rechten die Stadt für sich. Der linke Gegenprotest stand da wie das Aufgebot der Unbeirrbaren. Auch wenn immer mehr Stimmen einen Kurswechsel bei Ordnungsbehörden und Polizei fordern, hat die rechte Mobilisierung an Boden gewonnen. Trotz der öffentlichen Empörung über ihre Missachtung des Infektionsschutzes hat sich der Rechtsstaat auf ihre Seite geschlagen. Es hilft an dieser Stelle auch nichts, nach einem harten Eingreifen der Polizei gegen die Rechten zu rufen. Im Gegenteil, wie die Gegenproteste in Stuttgart gezeigt haben, nutzt die Staatsmacht ebendiese Mittel vor allem gegen Linke – und das werden die Bullen auch weiter tun. Der Handschlag von BeamtInnen mit OrdnerInnen von „Querdenken“ verdeutlicht das nur zu symbolisch.

Kräfteverhältnis

Diesem Kräfteverhältnis zugrunde liegt auch ein politisches Problem der deutschen Linken. Die Rechten mobilisieren mit einer reaktionären Kritik an der Regierung. Auch wenn in dieser Bewegung zahlreiche Nazis wie ReichsbürgerInnen und andere extrem rechte Kräfte marschieren und Einfluss gewinnen, so handelt es sich bei „Querdenken“ und anderen (noch) nicht um eine faschistische, sondern um eine rechtspopulistische Bewegung. Ihre Einheit und Kraft bezieht sie daraus, dass sie sich als Volksbewegung von unten gegen die Elite gibt. Hinter sozialdemagogischen Parolen versucht  sie, eine klassenübergreifende Einheit von kleinen und großen Unternehmern sowie von deren Beschäftigten herzustellen, die allesamt nicht in erster Linie unter den Auswirkungen des Kapitalismus und der Pandemie, sondern unter einer imaginierten Lockdowndiktatur Merkels zu leiden hätten. Da der Rechtspopulismus auch wirkliche soziale Folgen der kapitalistischen Krisen- und Pandemiepolitik aufgreift und pseudoradikale Lösungen anbietet, zieht er gesellschaftliche Verzweiflung an und formt sie zu einer reaktionären kleinbürgerlichen Bewegung, deren kleinster realer Nenner der Ruf nach „Öffnung“ aller Wirtschaftssektoren darstellt, also eigentlich eine Politik im Interesse des Kapitals.

Blockaden und Proteste gegen die Aufmärsche von „Querdenken“ und Co. müssen zweifellos weiter einen Teil des Widerstandes gegen den Aufstieg der Rechten bilden. Aber dies wird nicht reichen. Vielmehr muss der kleinbürgerlichen Demagogie auf dem Feld des Klassenkampfes der Boden entzogen werden. Daher müssen wir den Kampf gegen rechts verbinden mit dem gegen die Krisenabwälzung, gegen die gescheiterte Pandemiebekämpfung und dafür, dass das Kapital die Kosten für die Krise selbst bezahlen muss.




Polizei lässt CoronaleugnerInnen durch Kassel marschieren

Jonathan Frühling, Infomail 1143, 21. März 2021

Am Samstag, den 20. März, versammelten sich bis zu 20.000 CoronaleugnerInnen in Kassel. Dies passierte natürlich unter Missachtung jeglicher Hygienerichtlinien. Obwohl eigentlich nur eine Kundgebung mit 6.000 und eine mit 1.000 Menschen etwas außerhalb der Innenstadt genehmigt waren, strömten tausende VerschwörerInnen unbehelligt von der Polizei in die Stadt. Sie schafften es, dort unzählige illegale und unangemeldete Versammlungen und Demos durchzuführen. Obwohl der rechteste Teil der Bewegung nach Berlin mobilisierte, waren viele (besoffene) PöblerInnen zugegen. Es wurden auch Linke und JournalistInnen bedroht und verfolgt.

Rechte Massenbewegung im Aufwind

Während der zweiten Welle war es recht still um die CoronaleugnerInnen und deren rechte Bewegung geworden. Hohe Infektionszahlen und tausende Tote haben es für sie schwer gemacht, Leute von ihren absurden Lügen zu überzeugen. Das Fortschreiten der Wirtschaftskrise treibt aber immer mehr Leute in eine existenzielle Krise. Für ihr Leid machen sie die Coronarestriktionen der Regierung verantwortlich. Da es keine Massenbewegung gibt, die eine Lösung der Krise im Interesse der ArbeiterInnenklasse, aber auch der Mittelschichten formuliert, laufen diese verzweifelten Menschen den Rechten in die Arme. Dieser Prozess wird sich fortsetzen und vertiefen, wenn es keinen grundsätzlichen Umschwung im Klassenkampf gibt. Selbst nachdem alle Menschen geimpft sein werden, wird sich die kapitalistische Krise erbarmungslos fortsetzen. Auch die Gesundheitsgefahr wird in den kommenden Jahren aufgrund von Mutationen, und weil großen Teilen der Welt der Impfstoff vorenthalten wird, nicht verschwinden. Regierungsbeteiligung der SPD und die Passivität und der Ausverkauf der Gewerkschaften lassen allerdings bisher nichts Gutes erahnen.

Die Mobilisierungen in Kassel haben auf jeden Fall gezeigt, dass die rechte CoronaleugnerInnenbewegung momentan wieder massiven Zulauf erhält und in jeder Großstadt gewaltige Demos organisieren kann.

Die Rolle der Polizei

Die Polizei war mit hunderten Einsatzkräften und auch drei Wasserwerfern vor Ort. Allerdings war sie nicht da, um illegale Versammlungen zu unterbinden und dafür zu sorgen, dass durch deren Treiben von den CoronaleugnerInnen kein Infektionsrisiko ausgeht. Später begründete sie das mit der Aussage, dass dies nicht angemessen gewesen wäre!? Stattdessen ließ sie trotz massiver Präsenz die Rechten dabei gewähren, ihre illegalen Kundgebungen und Demonstrationen durchzuführen. Es sind sogar Videos aufgetaucht, in denen zu sehen ist, wie Bullen mit Gewalt FahrraddemonstrantInnen aus dem Weg räumen, damit CoronaleugnerInnen ihren Marsch fortsetzen können. Selbst in der bürgerlichen Presse gab es einen schwächlichen Aufschrei gegen das Verhalten der Polizei.

Nach dem Ende der Gegenkundgebung wurden sogar allen Ernstes einige linke DemonstrantInnen aufgefordert, den Platz zu verlassen und nicht so eng zusammenzustehen. Dies ist natürlich eine widerliche Heuchelei, wenn direkt daneben tausende Rechte ohne Maske und Einhalten der Abstände sich auf illegalen Versammlungen tummeln dürfen.

Der Tag hat mal wieder deutlich gezeigt, dass die Polizei eben nicht neutral ist, sondern die CoronaleugnerInnen letztlich deckt, indem sie sie frei gewähren lässt. Zudem wurde in vielen Situationen klar, dass nicht nur die Einsatzleitung, sondern auch einfache Einsatzkräfte mit den VerschwörungstheoretikerInnen sympathisieren. Das passt auch zum rechtsgerichteten Einschlag der Polizei selbst.

Das Programm der CoronaleugnerInnen besteht darin, die Wirtschaft vollständig zu öffnen und dafür den Tod tausender Menschen billigend in Kauf zu nehmen. Dies ist letztlich nichts weiter als eine Barbarisierung der Regierungspolitik, wie sie auch von UnternehmerverInnenbänden forciert wird, wenn sie fordern, dass sich die Bevölkerung an „akzeptable Sterbezahlen“ gewöhnen müsse.

Linker Widerstand

Zumindest einige Hundert Linke versammelten sich auf dem Opernplatz, um zu verhindern, dass die Rechten durch die zentrale Innenstadtstraße ziehen. Man hörte Parolen wie: „Hoch mit den Löhnen, runter mit Corona!“ oder „Keine Toten für ihre Profite!“, um eine Alternative zu den Rechten, aber auch der Politik der Bundesregierung zu formulieren. Das alles war aber natürlich nicht ausreichend, um den Rechten ihren Tag zu vermiesen. Viele Gruppen, wie z. B. der DGB, haben mit dem Argument des Infektionsschutzes nicht wirklich mobilisiert. Allerdings ist es natürlich eine Illusion zu glauben, dem Infektionsschutz zu dienen, wenn man dabei zulässt, dass zehntausende offene CoronaleugnerInnen unbehelligt durch die Stadt ziehen können. Zudem unterschätzen immer noch viele Linke die große Gefahr, welche von dieser neuen rechten Massenbewegung ausgeht.

Perspektive

Der Widerstand kann und muss also von uns kommen! Allerdings wäre es falsch, die halbherzige Lockdownpolitik der Regierung zu unterstützen. Wir müssen unsere Lösungsvorschläge für die Krise in den Vordergrund stellen. Z. B. muss es einen wirklichen Wirtschaftslockdown gegeben, damit die Infektionszahlen dauerhaft gesenkt werden. Währenddessen müssen natürlich volle Löhne gezahlt und Entlassungen verboten werden. Gerade gewerkschaftliche Kämpfe wie z. B. die Tarifrunde der IG Metall könnten Ansätze für einen solchen progressiven Kampf gegen Krise und Corona darstellen.

Auch muss es Staatshilfen für kleine Betriebe geben, damit sie nicht ihre Existenz verlieren und den Rechten in die Arme laufen. Große Konzerne sollen diese Politik bezahlen. Profit haben sie dafür 2020 genug gemacht. Wenn sie in wirtschaftliche Schieflage geraten, müssen sie unter ArbeiterInnenkontrolle enteignet werden. Natürlich muss eine solche Politik weltweit umgesetzt werden und darf sich nicht auf Deutschland oder Europa beschränken. So könnte man den rechten Mobilisierungen schnell den Wind aus den Segeln nehmen, denn letztlich ist es die Angst vor dem wirtschaftlichen Untergang, die diese Leute an eine absurde und reaktionäre Ideologie glauben lässt.




Angriff auf LL-Demo – eine geplante Provokation

Janosch Janglo, Infomail 1134, 11. Januar 2021

Auch in diesem Jahr fand trotz Corona oder gerade wegen des 150. Geburtstags von Rosa Luxemburg die alljährliche LL-Demo zum Gedenken an die Ermordung von Karl und Rosa am 15. Januar 1919 statt. Aufgrund der Corona-Pandemie kamen diesmal weitaus weniger TeilnehmerInnen. Sicher trug dazu auch die Absage der Partei DIE LINKE bei, an der Demo teilzunehmen, um ihr Gedenken auf den 14. März zu verlegen. Trotzdem folgten ca. 2.500 Menschen dem Aufruf des Bündnisses und wollten sich es nicht nehmen lassen.

Bevor sich der Demozug aber vom Frankfurter Tor zur Gedenkstätte nach Friedrichsfelde aufmachen konnte, hatte sich die Berliner Bullerei ein ganz besonderes Jubiläumsgeschenk ausgedacht. So fiel der Polizeiführung – ob mit Wissen oder stillschweigender Duldung des rot-rot-grünen Senats – nach 30 Jahren plötzlich auf, dass die FDJ wie in jedem Jahr bei dieser Demo mitläuft und dies durch Fahnen auch offen zeigt. Nach Meinung der bürgerlichen OrdnungshüterInnen sei dies das Zeigen von Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation gewesen. So bastelte man sich wieder einmal die Rechtfertigung für einen brutalen Angriff auf eine linke Demonstration. Dafür gab es als Willkommensgeschenk ordentlich Pfeffer und Schlagstöcke von der Bullerei, bis alle Fahnen der FDJ von der Demo gewaltsam entfernt, viele DemonstrantInnen verletzt oder festgenommen waren. Das stellt ganz klar ein illegales Vorgehen der Bullerei dar und kann getrost als im Vorfeld geplante Eskalation bezeichnet werden. 30 Jahre nach der Wende ist eigentlich jedem/r bekannt, dass die FDJ in Ostdeutschland per Einigungsvertrag legal ist. Zu diesem Gebiet zählt auch Ostberlin. So konnte die FDJ noch im Oktober gegen die Einheitsfeier ganz legal durch die Hauptstadt marschieren und im Juni in Zwickau eine Demo anmelden und auch durchführen.

Klar muss man die stalinistische DDR-Lobhudelei der FDJ kritisieren, aber richtigerweise solidarisierte sich die Demonstration mit dieser Organisation. Viele TeilnehmerInnen bildeten Ketten, um den Aufmarsch vor den Angriffen der Bullen zu schützen. Da konnte man natürlich auch keine Rücksicht mehr auf Abstandsauflagen einhalten, auch wenn das die Bullerei zynischerweise forderte. Insgesamt wurden rund 35 Personen festgenommen, gegen 56 wurden lt. Polizei Strafanzeigen gestellt, mindestens zehn DemonstrantInnen wurden zum Teil schwer verletzt. Bezeichnend, wenn auch nicht überraschend, war auch der Kontrast des brutalen Einsatzes zum Vorgehen der staatlichen Sicherheitskräfte gegenüber den Aktionen der Corona-LeugnerInnen. Mit einer Stunde Verspätung konnte der Demozug endlich loslaufen, auch wenn es auf dem Weg zur Gedenkstätte immer wieder zu einzelnen Festnahmen kam.

Beim Angriff am 10. Januar handelte es sich um eine gezielte Provokation. Freilich sollten wir unseren Blick dabei nicht nur auf das skandalöse Vorgehen der Polizei richten.

Dieses, das einen provokanten Bruch mit der bisherigen Rechtslage und Praxis darstellt, begründete die Polizei lt. Berliner Morgenpost damit, dass die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages nunmehr zur Einschätzung gekommen wären, dass das Verwenden von FDJ-Abzeichnen nach Paragraph 86a des Strafgesetzbuches zu ahnden sei. Dass sich die Polizei diese strittige, antidemokratische Rechtsauslegung ausgerechnet zur LL-Demo zu eigen gemacht hat, stellt eine gezielte Provokation dar.

Es wirft aber auch die Frage nach der Rolle des SPD-geführten Innensenats und der rot-rot-grünen Koalitionsregierung auf. Dass sie „ihre“ Polizei nicht im Griff hat, wenn sie das Demonstrationsrecht angreift, wollen wir nicht gänzlich ausschließen. Wahrscheinlich ist das aber nicht. Innensenator Geisel betätigt sich seit Jahren als politischer und polizeilicher Scharfmacher gegen besetzte Häuser wie überhaupt gegen die Berliner Linke. Während der SPD-Innensenat den Takt vorgibt und Geisel den Mini-Noske spielt, schweigt der „Rest“ des Senats, wäscht seine Hände in Unschuld und setzt ansonsten weiter auf die bewährte „Zusammenarbeit“ und Arbeitsteilung, wenn es um Angriffe auf besetzte Häuser, linke Organisationen und demokratische Rechte geht.

  • Weg mit allen Verboten linker Organisationen!
  • Einstellung aller Ermittlungen und Verfahren!
  • Öffentliche Untersuchung der Machenschaften der Berliner Polizei, der Rolle des Innensenats und der rot-rot-grünen Koalition!



Frankreich: Nieder mit den „Sicherheits“-Gesetzen und der Straffreiheit der Polizei!

Marc Lassalle, Infomail 1128, 1. Dezember 2020

Die zweite Welle der Pandemie, verbunden mit einem zweiten monatelangen Shutdown, stellt sicherlich bei weitem nicht die beste Voraussetzung dar, um einen Abwehrkampf gegen das drakonische neue Sicherheitsgesetz von Staatspräsident Emmanuel Macron zu organisieren. Doch seine Regierung sieht sich plötzlich mit großem Widerstand konfrontiert: Mehr als hunderttausend marschierten am 28. November in Dutzenden von Demonstrationen im ganzen Land. Allein in Paris war die Demonstration massiv, und selbst das Innenministerium, das dafür berüchtigt ist, solche Zahlen herunterzuspielen, sprach von 46.000 daran teilnehmenden Menschen. Nach Angaben der OrganisatorInnen beteiligten sich 200.000!

Die Menschen auf den Straßen haben absolut Recht, das neue ultrarepressive Sicherheitsgesetz abzulehnen. Sollte es angenommen werden, würde es jede/n bestrafen, der/die Bilder von PolizistInnen mit dem Ziel verbreitet, „ihre physische oder psychische Integrität zu gefährden“. Natürlich sind die Bestimmungen absichtlich vage gehalten, aber wenn es angenommen würde, würde es die Rechte von JournalistInnen ernsthaft einschränken, ebenso wie die Freiheit von allen Menschen, missbräuchliche oder gewalttätige Handlungen der Polizei als Beweismittel für eine Anzeige zu filmen.

„Auf dem Weg zu einem Polizeistaat?“ lautet der Titel einer Analyse dieses Gesetzes, die vom Syndicat de la Magistrature, der Gewerkschaft der RichterInnen, erstellt wurde und in der behauptet wird, dass das Gesetz jede demokratische Kontrolle der Polizei noch weiter schwächen würde. Gérald Darmanin, Innenminister und Hauptbefürworter dieses Gesetzes, hatte den VertreterInnen der Polizei bereits vor der Abstimmung über das Gesetz in der Assemblée Nationale (dem französischen Parlament) versichert: „Seien Sie versichert, dass wir zusammen mit dem Präsidenten und dem Premierminister immer da sein werden, um Sie zu schützen.“

Laut der NGO-ReporterInnen von Sans Frontières (Ohne Grenzen) „könnten die PolizeibeamtInnen, wenn sie mit einem/r JournalistIn konfrontiert werden, der/die sie filmt, davon ausgehen, dass diese Bilder in großem Umfang mit dem Ziel reproduziert werden, sie zu kompromittieren, und könnten daher die betreffenden Personen festnehmen, um sie wegen eines offensichtlichen Vergehens zu verfolgen“. In der Tat hat Darmanin bereits klargestellt, dass JournalistInnen, die über Demonstrationen berichten wollen, sich bei den Polizeibehörden akkreditieren sollten, was eine weitere offensichtliche Verletzung der Rechte der Presse darstellt.

Tagtägliche Polizeigewalt und Rassismus

Zwei aktuelle Beispiel von Polizeimethoden machen deutlich, warum jede/r die bestehenden Rechte verteidigen sollte. Die erste ereignete sich am 24. November, als die Polizei etwa hundert MigrantInnen, die auf dem Place de la République (Platz der Republik) im Zentrum von Paris Zelte aufgeschlagen hatten, gewaltsam vertrieb. Einige MigrantInnen wurden brutal zu Boden geworfen, andere wie Müll aus ihren Zelten gezerrt, mit Schlagstöcken geschlagen und mit Tränengas besprüht. Selbst Darmanin fühlte sich genötigt, diese Bilder als „schockierend“ zu bezeichnen. Natürlich stellt das keinen „Einzelfall“ dar, sondern war und ist seit Monaten alltägliche Praxis im Umgang mit MigrantInnen und Roma, die zu Tausenden aus maroden Lagern rund um Paris und anderswo vertrieben wurden.

Der gewalttätige Überfall von vier PolizistInnen auf den (schwarzen) Musikproduzenten Michel Zecler, nur weil er keine Gesichtsmaske trug, begleitet von rassistischen Beleidigungen, erinnert uns ein weiteres Mal daran, dass Polizeibrutalität kein Einzelfall ist. Ohne diese Bilder wären diese Übergriffe unbekannt oder unbewiesen geblieben, und die Polizei würde von völliger Straffreiheit profitieren. Als Reaktion auf den Protest von „Black Lives Matter“ in den USA marschierten im Juni zwanzigtausend Menschen in Paris, um diese systematische Anwendung staatlicher Gewalt anzuprangern, wie z. B. den Erstickungstod von Adama Traoré im Jahr 2016 im Polizeigewahrsam, oder die Vergewaltigung eines jungen Mannes, Théo, mit einem Schlagstock, der so schwer verletzt wurde, dass er operiert werden musste usw. Beides geschah in Aulnay-sous-Bois im Norden von Paris.

Das neue Sicherheitsgesetz ist nur das letzte in einer langen Liste repressiver Maßnahmen, die oft im Gefolge von Terroranschlägen überstürzt eingeführt wurden: 30 solcher Gesetze in den letzten 20 Jahren. Vor einem Monat schockierte der brutale Mord an Samuel Paty, einem Lehrer, bei einem Terroranschlag das ganze Land. Diesen Schock versuchte die Regierung für repressive Gesetze zu missbrauchen – unter dem Vorwand, die „Meinungsfreiheit“ zu verteidigen – ein makaberer Witz, wenn man bedenkt, was sie selbst tut: das Arsenal der Sicherheitsgesetze zu verstärken und eine brutale Unterdrückung jeglicher Proteste vorzubereiten.

Dasselbe geschah unter allen früheren Präsidenten: Jacques Chirac, dann Nicolas Sarkozy und François Hollande. Abgesehen von der Stärkung eines Polizeistaates haben diese Maßnahmen auch ein kurzfristigeres Ziel: Sie zielen darauf ab, die rechten WählerInnen und sogar die AnhängerInnen des reaktionären Rassemblement National (des ehemaligen Front National; FN) davon zu überzeugen, dass Macron eine energische rechte Politik verfolgt und sie deshalb bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2022 für ihn stimmen sollten. Es ist kein Zufall, dass alle wichtigen MinisterInnen der gegenwärtigen Regierung Macrons früher Persönlichkeiten der rechtsgaullistischen Partei UMP (Union pour un mouvement populaire; Union für eine Volksbewegung) waren, insbesondere Jean Castex (Premierminister), Gérald Darmanin (Innenministerium) und Bruno Le Maire (Wirtschaft).

Ein weiteres kürzlich von der Regierung vorgeschlagenes Gesetz gegen „Separatismus“ (gegen „antirepublikanisches Gedankengut“) stellt in Wirklichkeit ein weiteres islamfeindliches Gesetz dar, das nahelegen soll, dass der Islam unweigerlich hinter Unsicherheit und Terrorismus steht. Hinzu kommen eine weit verbreitete, von der Regierung geförderte Hexenjagd in den Medien, die Halal-Regale (mit Lebensmitteln gemäß islamischem Kodex) in Supermärkten als Zeichen von „Separatismus“ anprangert, Angriffe auf die „Islamo-Linke“ als gefährlichen Wundbrand an Universitäten oder die Schließung des Kollektivs gegen Islamophobie (CCIF), einer Organisation zur Verteidigung der Opfer antimuslimischer Angriffe.

Während die Regierung nun kleinere symbolische Gesetzesänderungen anbietet, fordern die Gewerkschaften zu Recht Einstellung und Aufgabe des gesamten Projekts. Die Solidarität zwischen allen Opfern des Rassismus und der organisierten ArbeiterInnenklasse ist unerlässlich für diesen Kampf. Angesichts einer neuen Welle von Massenentlassungen in wichtigen Unternehmen wie Renault, das die Schließung seines Werks in Flins, seines wichtigsten französischen Standorts, mit einem Verlust von 2.574 Arbeitsplätzen plant, wird das neue Sicherheitsgesetz morgen gegen ArbeiterInnen und Jugendliche in Streikposten, bei Betriebsbesetzungen oder auf der Straße eingesetzt werden, die ihre Arbeitsplätze und ihre demokratischen Rechte verteidigen.

Die Demonstrationen vom letzten Wochenende können zum Fanal für den Aufbau einer gemeinsamen Massenbewegung werden – gegen die sog. Sicherheitsgesetze, gegen Rassismus und zum Kampf gegen Schließungen und Massenentlassungen!




„Terrorbekämpfung“ mittels neuer Überwachungsbefugnisse und Studien zum Polizeialltag – zwei Seiten, eine Medaille!

Alexander DeLarge, Infomail 1124, 29. Oktober 2020

Wenn deutsche PolizistInnen im Dienst Drohungen an politisch missliebige Personen versendeten, unverhohlen rechte Hetze betrieben und als „NSU 2.0“ Angst verbreiteten, wenn immer wieder rassistische Chat-Gruppen auffliegen, kann es sich wohl nur um Einzelfälle handeln. Warum auch eine Studie zu Rassismus in der Polizei oder gar ein konsequentes Vorgehen gegen RassistInnen in Uniform, wenn man doch gleich das ganz große Rad drehen kann: die Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes?

Zur Beruhigung der Öffentlichkeit und als Ersatz für eine Untersuchung des Rassismus bei der Polizei soll es eine Studie zum „Alltagsrassismus“ und eine zum „Polizeialltag“ geben. Derweil werden die staatlichen Überwachungsmöglichkeiten ausgeweitet.

Neue Befugnisse des Verfassungsschutzes und Alibi-Studien sind zwei Seiten einer Medaille. Der berühmt-berüchtigte, leicht abgetragene „Kampf gegen den Terror“ geht in eine neue Runde, wird mal wieder aus der Mottenkiste gezaubert. Gleichzeitig schüttet Seehofer im vollen Bewusstsein seiner geistigen Kräfte das Kind mit dem Bade aus. Gerade noch lehnt er eine Studie zum Rassismus in der Polizei vehement ab, schon zaubert er stattdessen eine allgemeine „Studie zu Alltagsrassismus“ aus dem Hut. Das Ergebnis ist vorprogrammiert: So schlimm sind die Repressionsorgane im Vergleich zum „Rest“ der Gesellschaft auch wieder nicht.

Ergänzt wird diese mit der Untersuchung des „Polizeialltags“. Nicht oft genug kann da erwähnt werden, dass PolizeibeamtInnen permanent Angriffen körperlicher wie psychischer Art ausgesetzt seien – vorzugsweise durch Linke und kriminelle ausländische Clan-Strukturen. Praktischerweise wird jeder Angriff gegen die BeamtInnen mit Rassismus in der Polizei und der Gesellschaft in einen Topf geworfen, relativiert und das eigentliche Thema in den Hintergrund gedrängt. Durch soll noch still und heimlich die immer mal wieder auch in bürgerlichen Medien erwähnte Polizeigewalt bis zur Unkenntlichkeit untergerührt werden.

Garniert wird das Ganze mit dem „Kampf gegen den Terror“ und gegen „TerroristInnen“ und „militante ExtremistInnen“. Stolz brüstet sich der Küchenchef mit seiner braunen Suppe, die er kredenzt hat, und spielt die Speerspitze gegen Rassismus und Faschismus und rührt auch gleich jeden „Extremismus“ als „Untersuchungsgegenstand“ ein. Abkaufen tut Seehofer den „Kampf gegen rechts“ keine/r, aber das stört ihn aber auch nicht im Geringsten. In Wirklichkeit versucht er abermals, die real bestehende braune Gefahr und rechtsterroristische Umtriebe in und außerhalb der Exekutive als Einzelfälle abzuhandeln oder für neue Gesetzesverschärfungen zu instrumentalisieren. Revolutionäre MarxistInnen kennen diesen Trick! Sie hegen ohnehin keine Illusionen in die bürgerliche Polizei mit ihrem Gewaltmonopol zum Schutz der Bourgeoisie.

Der/die „wirkliche FeindIn“ freilich steht wie eh und je links und was bei der Polizei nicht sein darf, kann auch nicht sein. Und so gibt Seehofer in einer Pressemitteilung in bester Trump-Manier zum Besten: „Es wird keine Studie geben, die sich mit Unterstellungen und Vorwürfen gegen die Polizei richtet. Denn die überwältigende Mehrheit von über 99 Prozent der Polizistinnen und Polizisten steht auf dem Boden unseres Grundgesetzes. Sie sind der Grund für die Stabilität unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates. Die Polizei kann sich darauf verlassen, dass wir als Politik hinter ihr stehen.“

Scharfmacher wie der GdP-Vorsitzende Rainer Wendt und PolitikerInnen blasen seit Jahren in das immer gleiche Horn. Die Polizei sei ständig Angriffen ausgesetzt und man müsse die Gesetze weiter verschärfen, Angriffe gegen BeamtInnen müssten noch härter geahndet werden. Schon ein Anschreien von PolizistInnen während einer massiven Ausübung staatlicher Gewalt wird als „Angriff“ beklagt und müsste auch dementsprechend verfolgt werden. Gleichzeitig fehle es an Werkzeugen im Instrumentenkasten gegen Kriminelle aller Art. Seit Jahren prescht gerade die Union massiv vor, wenn die Suppe mal wieder nachgesalzen werden soll – sei es ein ständiges Anziehen der Daumenschrauben bei tatsächlichen wie angeblichen Attacken auf die Polizei oder aber beim Kampf gegen „TerroristInnen“,  „ExtremistInnen“ und „GewalttäterInnen“. Seien es Linke oder IslamistInnen, Thorsten Frei, Vizechef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, nennt die Überarbeitung des Verfassungsschutzgesetzes erwartungsgemäß  einen „wichtigen Schritt zur Extremismusbekämpfung“. Seehofer wird in der Pressemitteilung zur Novelle markig zitiert: „Wir brauchen einen Verfassungsschutz, der auch im digitalen Zeitalter sehen und hören kann. Nur so können wir den extremistischen Geschwüren in unserer Gesellschaft etwas entgegensetzen.“

Und notfalls hält dann auch mal die real existierende braune Gefahr zur Rechtfertigung neuer Überwachungsmöglichkeiten der Bevölkerung her, damit auch die SPD brav mit marschiert. So geschehen in der nun beschlossenen „Novelle des Verfassungsschutzgesetzes“. Die SPD-Parteichefin Saskia Esken, welche sich in den früheren Diskussionen um Staatstrojaner ablehnend gezeigt hatte, begründet ihre Zustimmung ausgerechnet mit dem Kampf gegen rechte Strukturen. Einmal mehr macht dies den Bock zum Gärtner. PolitikerInnen wie Esken sprechen von NSU-Opfern und über 200 von FaschistInnen und RassistInnen ermordeten Menschen in der Bundesrepublik, die sie dazu bewegen würden, nun zusätzliche Befugnisse für Polizei und Geheimdienste durchzuwinken – für einen guten Zweck versteht sich.  Kein Wort darüber, dass der sog. Verfassungsschutz gerade im Kampf gegen rechts und in Bezug auf den NSU Teil des Problems ist – und nicht der Lösung.

Stein um Stein … der Überwachungsstaat wird weiter ausgebaut

Aber um was geht es jetzt eigentlich konkret im beschlossenen, neuen Gesetz? Wir ahnen es, nichts Gutes. Doch zunächst ein kleiner Exkurs, was bisher geschah. Von Januar 2008 bis März 2010 ging die Vorratsdatenspeicherung an den Start. Diese wurde später nach Klagen zwar gerichtlich gebremst, erfolgte aber in anderer Form weiter. Auch zur Überwachung der Telekommunikation von vermeintlichen StraftäterInnen wurde diese selbstverständlich genutzt. Ein Eingriff in den Artikel 10 Grundgesetz (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) durch Polizeibehörden ist schon lange möglich und muss durch ein Gericht angeordnet werden. Bei „Gefahr in Verzug“ (und wenn mal ein Haus wie die Liebigstraße 34 geräumt werden soll, ist diese oft gegeben) kann sie auch durch die Staatsanwaltschaft angeordnet werden. Die Maßnahme muss binnen drei Tagen vom Gericht bestätigt oder eingestellt werden. Dieser massive Eingriff in Grundrechte kann bei Katalogstraftaten (Schwerstkriminalität, Verstöße gegen das Waffen- oder Betäubungsmittelgesetz im größeren Umfang usw.) verhängt werden. Interessant ist, dass der Staat mit Abstand die meisten Überwachungsmaßnahmen bei der Bekämpfung von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz angeordnet hat (im Jahr 2010 z. B. 33,73 % aller Fälle), aber bspw. nur in 0,093 % aller Fälle gegen Kinderpornographie vorgegangen wurde, obwohl gerade diese abscheulichen Verbrechen oft als ein Argument für mehr Überwachung von modernen Kommunikationsmedien und gegen den Einsatz von Verschlüsselungssoftware von Polizei und Law-and-Order-PolitikerInnen ins Feld geführt werden (https://de.wikipedia.org/wiki/Telekommunikations%C3%BCberwachung). Erinnert sei hier an den jahrelangen Feldzug gegen Festplattenverschlüsselungsprogramme wie TrueCrypt, Veracrypt oder Anonymisierungsprogramme für das überwachungsfreie Surfen im Netz (Tor – The Onion Router) oder das Auffinden von „Darknet“- und Deep-Web-Angeboten (z. B. Marktplätzen für illegale Betäubungsmittel). Natürlich werden als NutzerInnen solcher Software nicht die JournalistInnen oder politisch Verfolgte ins Feld geführt, die sich mittels technischer Maßnahmen zu schützen versuchen, sondern der Ruf nach staatlicher Überwachung wird gerne als Kampf gegen PhädophilInnen-Ringe und Kinderpornographie inszeniert. Schwerstkriminelle, die übelste Verbrechen begehen, würden geschont von bösen DatenschützerInnen und UnterstützerInnen von verschlüsselter Kommunikation, sei es über E-Mails oder Messenger.

2017 erfolgte dann eine deutliche Verschärfung der sogenannten TKÜ-Maßnahmen. TKÜ steht schlicht und ergreifend für Telekommunikationsüberwachung. Es wurde nun für Polizeibehörden legal, neben der klassischen Überwachung von Telekommunikationsmedien wie Post, Telefon und E-Mail auch Computer und Smartphones und die davon ausgehende Kommunikation massiv zu überwachen (eine sogenannte „Quellen-TKÜ“). Mittels der Quellen-TKÜ können sämtliche Kommunikationsvorgänge wie E-Mail-Verkehr, Skype-Gespräche, SMS-Kommunikation etc. mit verfolgt und gelesen oder belauscht werden. Kameras und Mikrophone an mobilen Endgeräten oder Notebooks werden so zu Wanzen, lauschen und filmen. Technisch möglich ist dies durch die Einschleusung oder Installation einer entsprechenden Software auf dem Gerät, sei es durch aktive Manipulation der Hardware oder durch Infiltration durch vermeintlich harmlose Software (Trojaner, Hacking), die ggf. getarnt eingeschleust wird. Neben der „Quellen-TKÜ“ wurden die umfangreichen Maßnahmen durch die sog. „Online-Durchsuchung“ ergänzt. Hierbei werden nicht nur Daten gesammelt, die fernübertragen werden, sondern auch auf dem Smartphonespeicher oder der Festplatte abgelegte Daten eingesammelt. Ist der Staat erst einmal am Lauschen, besteht die Gefahr, dass die Maßnahme einfach weitergeführt wird.

Der Chaos Computer Club (CCC) deckte bereits 2011 auf, wie die Malware zur Durchführung einer Quellen-TKÜ funktioniert und dass die Möglichkeiten die Ziele einer Quellen-TKÜ um einiges übertreffen. Der CCC stellt klar, dass die Trennung zwischen einer Quellen-TKÜ und einer „Online-Durchsuchung“ eine künstliche, juristische ist. Faktisch werden rein technisch die gleichen Methoden angewandt. Problematisch ist, dass auch die Schadsoftware Sicherheitslücken verantwortet oder dass die Polizei solche nutzt und die Öffentlichkeit über diese nicht aufklärt. Faktisch nutzen die Polizeibehörden also schon seit geraumer Zeit legal und mit Sicherheit auch in Grauzonen und illegal massiv neuste Techniken und führen den großen Lauschangriff ganz still und heimlich. So wurde dann auch am 01. April 2008 beim BKA ein Aufbaustab geschaffen, der die TKÜ-Maßnahmen von 38 Sicherheitsbehörden (BKA, LKA, diverse Polizeibehörden der Bundesländer) bündelte, technisch wie organisatorisch (https://netzpolitik.org/2020/staatstrojaner-fuer-geheimdienste-tritt-die-regelung-in-kraft-werden-wir-dagegen-klagen/).

Während die Polizeimaßnahmen wenigstens noch gerichtlich angeordnet werden müssen, operieren Geheimdienste völlig im Verborgenen. Sie werden de facto kaum überwacht, was die Nutzung solcher Instrumente anbelangt. Gerade das Bundesamt für Verfassungsschutz – auf dem rechten Auge chronisch blind –  hat jetzt, Oktober 2020, mit dem neuen Gesetz die Möglichkeit erhalten, ohne jegliche Kontrolle Quellen-TKÜs durchzuführen. Hierbei werden die Grenzen zwischen Geheimdiensten und Polizeibehörden erneut weiter aufgeweicht, auch die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Militärischem Abschirmdienst (MAD) wird weiter gestärkt. Gerichtliche Kontrolle liegt nicht vor, parlamentarische ist de facto nicht gegeben. Das zeigt ja bereits der NSU-Komplex. Mit der Novellierung sollen auch die Geheimdienste die Möglichkeiten erhalten, modere Kommunikationskanäle wie Messenger (WhatsApp, Telegramm, Signal, Threema usw.) von Kriminellen und „GefährderInnen“ (und mittlerweile geht es im Polizeibereich schon um Kleinkriminelle und die Geheimdienste spitzeln wohl weniger bei den rechten Terrornetzwerken, sondern eher bei dem/r linken AktivistIn von nebenan), die verschlüsselt kommunizieren, noch vor dem verschlüsselten Versenden der Nachrichten auszuspähen, d .h. die Verschlüsselung zu umgehen. Hierbei sollen auch Provider und Telekommunikationsanbieter massiv zu Gehilfen gemacht werden. Der CCC kritisiert auch, dass die Geheimdienste gezielt Sicherheitslücken u. a. in Betriebssystemen ausnutzen und so nebenbei auch massiv die IT-Sicherheit vieler UserInnen gefährden (Sicherheitslücken werden von Kriminellen im Internet genutzt). Die Provider sollen auch die Geheimdienste unterstützen mit direktem Zugang in Firmenzentralen und Zugriffen auf die Daten der KundInnen sowie Zuarbeit bei Manipulation ihrer zu überwachenden Geräte (z. B. Auslieferung angeblicher Updates, die sich als Überwachungsmaßnahmen erweisen).

Zusammenfassend lässt sich konstatieren: alles wie immer, nur noch schlimmer! Seehofer möchte von Rassismus in Sicherheitsbehörden nichts wissen und täuscht gleichzeitig einen Kampf gegen RechtsterroristInnen vor. Was dann tatsächlich umgesetzt wird, ist die erneute Stärkung von Geheimdiensten wie dem MAD und den Verfassungsschutzbehörden. Diese Maßnahmen dienen dazu, was immer ihr Vorwand sein mag, der zu ihrer Rechtfertigung herangezogen werden soll, wirkliche oder potentielle linke und klassenkämpferische Widerstandspotentiale zu überwachen, auszuspähen und ggf. zu unterdrücken.

Was tun? Was fordern wir?

Daher: Nein zum neuen Gesetz, das eine weitere Verschärfung von Geheimdienstbefugnissen darstellt! Im  Kampf gegen FaschistInnen, RassistInnen und AntisemitInnen, seien es AfD, Identitäre, Kameradschaften, NPD oder ReichsbürgerInnen, können und dürfen wir uns ohnehin nicht auf den Staat verlassen. Notwendig ist vielmehr die Einheit der ArbeiterInnenklasse, der rassistisch Unterdrückten und der Linken im Kampf gegen rechte Gefahr, staatlichen Rassismus und Repression. Die Geheimdienste brauchen keine weiteren Sonderbefugnisse, sie müssen vielmehr abgeschafft, zerschlagen werden. Sie sind Teil des Problems, nicht der Lösung!




Liebig 34 wurde geräumt – es lebe die Wohnungsspekulation!

Lukas Resch/Martin Suchanek, Infomail 1121, 11. Oktober 2020

Der Berliner Senat oder jedenfalls Linkspartei und Grüne geben sich „szenefreundlich“. Die Räumung wollten sie verschieben, eine „Dialoglösung“ finden und so wenigstens ein paar Stimmen bei den Wahlen abstauben.

Verhindern konnten und wollten sie das Aus für das besetzte Haus am 9. Oktober jedoch nicht. Für die BesetzerInnen gibt es allenfalls tröstende Worte und Bedauern über den Verlust an „Vielfalt“ und „städtischer Kultur“.

Den Taktstock des Senats schwangen einmal mehr Innensenator Geisel, Gerichte und die Polizeiführung. Diese Kräfte wollten aus verschiedenen Gründen lieber ein Exempel statuieren – sei es, weil ihnen ohnedies immer schon die angeblich so großzügige Duldung der wenigen verbliebenen linken Freiräume ein Dorn im Auge war, sei es, um der medialen bürgerlichen Hetze und den ScharfmacherInnen aus CDU, FDP und AfD durch eigene Law-and-Order-Politik den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Räumung geht schließlich auch sozialdemokratisch – mit stillschweigender Duldung von Grünen und Linkspartei, die bei aller Solidarität die gemeinsame Koalition nicht gefährden wollen. Wie schon beim Syndikat oder in der Friedelstraße agierte der Senat auch diesmal arbeitsteilig. Linkspartei, Grüne und der SPD-Nachwuchs namens Jusos drücken ihr Bedauern aus ob der Verhältnisse, die sie ansonsten gern „mitgestalten“, Geisel und Co. setzen sie durch. Gemeinsam geht es weiter in der Tagesordnung.

Auf den Kopf gestellt

Die Räumung der Liebig 34 wurde schon seit Wochen, ja Jahren medial vorbereitet. Vor und auch noch während der Räumung beschwor die Berichterstattung abwechselnd Gewaltexzesse tausender radikaler Linker, die aus ganz Europa angereist wären, oder von Kleingruppen, die möglichst viel Schaden in der Stadt anrichten wollten.

„Ich verurteile die blinde Gewalt aufs Schärfste“, twitterte Innensenator Geisel. „Wer Scheiben einschlägt und Autos anzündet, hat sich aus der politischen Diskussion verabschiedet“.

Und wie verhält es sich mit denen, die brutal ein anarcha-queerfeministisches Hausprojekt räumen, die mit tausenden Bullen gerade 57 (!) Besetzende aus dem Haus werfen und mit Räumungspanzern, Schneidegeräten … das Haus kaputt machen? Wie verhält es sich mit einem Innensenator, ja der gesamten Senatscombo, die 5.000 PolizistInnen aus Berlin und dem Bundesgebiet samt Räumpanzern, Wasserwerfern ankarren, die Kräfte der Bergrettung und des SEK in Abrufbereitschaft versetzen?

All das wurde als das nötige Minimum verkauft, um ein Haus mit gerade einmal 50 Menschen zu räumen. Die Realität spottete jeglichen Schreckensszenarien. Zwar konnten der Berliner Polizei „nur“ 1.500 Personen als Unterstützung zugesichert werden, die 300 DemonstrantInnen jedoch, die sich erst bis 22 Uhr an einem Konzert und die rund 1500, die sich am Morgen an weitgehend friedlichen Kundgebung beteiligten, verdeutlichen, dass hier ein politisches Zeichen gesetzt werden sollte.

Auch um die Hetze der Innenverwaltung und der Polizei zu stützen, wird jede Spontandemo, jede Protestaktion vor und nach der Räumung zum marodierenden Raubzug stilisiert. Ein Brand an der S-Bahn wird völlig unhinterfragt den Protestierenden zur Last gelegt.

Warum?

Es fragt sich freilich, warum auf solche massive Hetze gegen verbliebene Besetzungsprojekte zurückgegriffen wird?
Einen Grund stellt dabei zweifellos die grassierende und stärker werdende Wohnungsnot in der Stadt selbst dar. Nicht nur die Besetzungen sollen als solche kriminalisiert werden, der gesamte Kampf gegen private Miethaie, für Begrenzungen von Mietpreisen oder gar für die Enteignung des Kapitals – wie z. B. der Deutschen Wohnen – soll gleich mit kriminalisiert werden. Wer das Privateigentum und die verbrecherischen Machenschaften der Immobilienlobby angreift, soll selbst als geistiger/e BrandstifterIn an den Pranger gestellt werden.

Daher gerät ironischer Weise selbst der Berliner Senat von Seiten der WohnungsbesitzerInnen und der Medien ins Visier. Dem Regierenden Bürgermeister wird Untätigkeit vorgeworfen, der Linkspartei und den Grünen, dass sie dem Projekt im Sommer 2020 „volle Unterstützung“ zugesagt haben. Dass dieser Senat schon seit Jahren ein Hausprojekt nach dem anderen räumt und außer mit Worthülsen nichts zu deren Erhaltung beiträgt, scheint den solcherart engagierten ReporterInnen wohl entgangen zu sein.

Dabei zeigt sogar die Entwicklung seit den 1990ern deutlich, welche Position ein rot-grüner Senat in dieser Frage einnimmt. Nach der Wende und einem Regierungswechsel stand 1990 ein solcher vor der Aufgabe, die bisher praktizierte Politik der Räumung innerhalb von 24-Stunden („Berliner Linie“) weiter umzusetzen. Einen Höhepunkt erreichte dabei das Kräftemessen zwischen Senat und BesetzerInnen in der Räumung der Mainzer Straße am 14. November 1990.

Nach einem Kellerbrand räumten unter massiver Gewaltanwendung 3.000 PolizistInnen die insgesamt 13 besetzten Häuser. Obwohl sich das Räumungsbegehren, auf das sich die Polizei berief, nicht auffinden ließ, verurteilte der damalige Regierende Bürgermeister Momper (SPD), ganz so wie heute Geisel und Müller, die „Gewaltkriminalität“ und „Verrohung“ der BesetzerInnen.

Diese Niederlage lege den Grundstein für die Bereitschaft der BesetzerInnen, in Kooperation mit dem Senat Verhandlungen um die besetzen Häuser zu führen und Nutzungsverträge auszuarbeiten. Umgekehrt wollte auch der Senat die Lage befrieden. Eines dieser Objekte war das Haus in der Liebigstraße 34.

Als in den kommenden Jahren die Restitution durch die DDR enteigneter Immobilien vollzogen wurde, fiel auch dieses Haus aus den Händen der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften zurück an eine Erbengemeinschaft, die die Interessen der ursprünglichen Besitzerin vertrat. Die in den Jahren davor hastig ausgearbeiteten Verträge und der Unwille des Senates, zu seinen Zusagen zu stehen, wurde den Hausprojekten nun zum Verhängnis.

Auf den guten Willen der neuen EigentümerInnen angewiesen, stimmten die Hausprojekte oftmals schlechten Deals zu, um weiter in den Objekten zu bleiben. Die Liebig 34 konnte sich 1998 einen bis 2008 dauernden Mietvertrag sichern. Als aber 2008 das Objekt zum Verkauf gestellt wurde, bekamen nicht die BewohnerInnen den Zuschlag, sondern der jetzige Besitzer, die Padovicz-Unternehmensgruppe, die zwar einem 10-jährigen Mietvertrag zustimmte, die Weiterführung dessen 2018 jedoch verweigerte.

Bei den darauf folgenden Gerichtsprozessen sah sich der Berliner Senat jedoch nicht in der politischen Verpflichtung, den Zustand der frühen 1990er Jahre wiederherzustellen, sondern verfolgte schweigend die rechtliche Scharade. Die Eigentümerin, die Padovicz-Unternehmensgruppe, ist dabei keine Unbekannte. Mit einem 2.000 Immobilien und dutzenden Unternehmen umfassenden Netzwerk rund um deren Verwaltung ist sie ein relevanter Faktor auf dem Berliner Wohnungsmarkt und für diesen auch recht charakteristisch. Nicht zuletzt ist sie bekannt für ihr extrem rücksichtsloses Verhalten gegenüber MieterInnen, wie HausmeisterInnen, die die Gartenprojekte von BewohnerInnen zerstören, Fahrräder als Sperrmüll entsorgen oder offenes Mobbing um unliebsame MieterInnen betreiben, um diese loszuwerden und so neue Mietsteigerungen durchzusetzen.

Was tun?

Dieser kurze Abriss verdeutlicht ausreichend, dass sich die Räumung der Liebig 34 und anderer Hausprojekte nicht nur gegen die linksradikale, autonome Szene, nicht „nur“ gegen Freiräume für Unterdrückte und gegen alternative Wohnformen richtet. Sie bildet einen Bestandteil der neoliberalen Privatisierungspolitik der letzten Jahrzehnte, die natürlich der Berliner Senat, ganz so wie praktisch alle kommunalen Verwaltungen im Interesse des Kapitals, vorangetrieben hat. Konzerne wie Deutsche Wohnen oder die Padovicz-UG wollen ihre Gewinne auch in Zukunft einfahren – und können sich dabei auf Gerichte, Polizei (einschließlich der sog. Gewerkschaft der Polizei) und Medien verlassen. Das reicht offenbar, damit der Senat nach ihrer Pfeife tanzt, auch wenn sie sicherlich CDU, FDP oder auch die AfD an den Schaltstellen des Senats vorziehen würden, statt ständig unsichere KantonistInnen von Linkspartei, Grünen und auch aus den Reihen der SPD unter Druck setzen zu müssen.

Diese Kapitalfraktion hat mit der Räumung der Liebig 34 zweifellos einen Sieg davongetragen. Und sie legt nach, indem sie die Beendigung der „unhaltbaren“ Zustände in der Rigaer Straße 94, einem der letzten verbliebenen Hausprojekte, fordert.

Der Zusammenhang zwischen Räumung linker Hausprojekte und der Auseinandersetzung um die Wohnungspolitik in Berlin verdeutlicht aber auch, dass die Unterstützung der von der Räumung Betroffenen nicht nur eine Frage der Solidarität und moralischer Verpflichtung gegenüber den Opfern von Miethaien, Gerichten und Repression darstellt, sondern auch im ureigenen Interesse der Masse der MieterInnen, der Klasse der Lohnabhängigen liegt.

Die mediale Hetze gegen „Randale“ und „linksradikale GewalttäterInnen“ soll nicht nur einen Spaltkeil zwischen die BesetzerInnen und die Masse der MieterInnen treiben, sie soll selbst bescheidene Reformprojekte wie den Mietendeckel, vor allem aber politische Kampagnen wie „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ (DWE) öffentlich in die Defensive bringen. Letztere wirft schließlich für den gesamten Wohnungsmarkt die Eigentumsfrage auf. In den Augen der Miethaie und Konzerne erscheint schon die Besetzung eines leer stehenden Hauses als „terroristischer“ Akt. Kein Wunder also, dass die Enteignung von milliardenschweren Konzernen als schlimmster aller Anschläge erscheinen muss, als Angriff auf die Freiheit des Privateigentums, als drohender Sozialismus.

Kampagnen wie „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ zeigen daher auch einen Weg auf, wohin der Kampf gegen Räumungen und für Enteignung gehen muss. So richtig die Solidarisierung mit Liebig 34 und anderen einzelnen Hausprojekten auch ist, so fehlt diesen eine über die Szene der radikalen Linken hinausgehende Mobilisierungsstrategie und ein Plan, die Masse der MieterInnen als Verbündete um gemeinsame politische Forderungen zu scharen – wie z. B. für entschädigungslose Enteignung des Immobilienkapitals und den massiven Neubau unter Kontrolle der MieterInnen und der lohnabhängigen Bevölkerung.

Es gilt zweifellos, den Preis für Räumungen in die Höhe zu treiben. Das wird aber nicht gelingen, wenn wie von Teilen der AktivistInnen darunter eingeschlagene Fensterscheiben oder beschädigte Häuser der Immobilienlobby verstanden werden. Solche Aktionen sind zwar als Ausdruck von Wut und Empörung verständlich, politisch sind sie oft wirkungslos. Vielmehr werden sie oft genug vom/von der politischen GegnerIn instrumentalisiert für öffentliche Hetze und Stigmatisierung, um die Spaltung zwischen BesetzerInnenszene und MieterInnen aus der ArbeiterInnenklasse aufrechtzuerhalten oder gar zu vertiefen.

Im Kampf gegen die Konzerne auf dem Wohnungsmarkt und gegen deren faktische Unterstützung durch den Senat brauchen wir mehr als den Protest einer zumeist studentisch und kleinbürgerlich geprägten BesetzerInnenszene. Es geht vielmehr darum, eine Massenbewegung aufzubauen, die sich auf die Masse der MieterInnen stützt, diese in MieterInnenkomitees um Kampagnen wie DWE organisiert und die von den Gewerkschaften und MieterInnenvereinigungen unterstützt und getragen wird. Eine solche Bewegung könnte nicht nur einzelne Räumungen effektiver verhindern, sie könnte der ganzen Immobilienlobby das Handwerk legen, indem sie die Quelle ihre gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Macht trockenlegt und den Kampf um deren Enteignung führt.




US-Gericht in Louisville entscheidet: Schwarze Leben spielen keine Rolle

Dave Stockton, Infomail 1119, 27. September 2020

In der vergangenen Woche brachen erneut landesweit Proteste gegen Polizei-Rassismus in den USA aus. Es geht erneut gegen das diskriminierende Unrechtsjustizsystem der Vereinigten Staaten, nachdem bekannt wurde, dass eine Grand Jury es abgelehnt hatte, drei Zivilpolizisten wegen der Erschießung und Tötung von Breonna Taylor, einer zum Zeitpunkt des Mordes sechsundzwanzigjährigen afroamerikanischen Notfallsanitäterin, in ihrem eigenen Haus anzuklagen.

Nachdem die Beamten in den frühen Morgenstunden des 13. März 2020 ohne Vorwarnung in ihre Wohnung in Louisville, Kentucky, eingedrungen waren, feuerten sie mehr als zwanzig Schüsse ab, von denen sieben Breonna Taylor trafen und von denen einer sie tödlich verletzte. Nur einer der Polizeioffiziere wurde wegen „mutwilliger Gefährdung ersten Grades“ angeklagt, weil er rücksichtslos Schüsse in das Apartment abgegeben hatte, die in benachbarte Wohnungen eingedrungen waren. Selbst diese Anklage wurde erst vier Monate nach der Tötung erhoben, schlicht und einfach nur als Tarnung, um eine Anklage wegen Mordes gegen die Beamten zu vermeiden.

Taylor lag mit ihrem Freund Kenneth Walker im Bett, als die Polizei ohne Vorwarnung die Tür zu ihrer Wohnung aufbrach. Walker eröffnete mit seiner rechtmäßig gehaltenen Schusswaffe das Feuer auf die Eindringlinge und verwundete einen der AngreiferInnen leicht. Walker, der selbst im Kugelhagel verwundet wurde, wurde sofort angeklagt und befindet sich seit dem Vorfall in Haft. Den Polizeibeamten wurden lediglich neue Aufgaben zugewiesen. In einem ekelerregenden Versuch, das Opfer zu beschmutzen, versuchte die Polizei erfolglos, Breonna mit dem Drogengebrauch eines ehemaligen Freundes in Verbindung zu bringen. In der Wohnung wurden keine Drogen gefunden.

Mord und Repression

Wieder einmal haben wir ein unverschämtes Beispiel für die völlige Straffreiheit von PolizistInnen, wenn es darum geht, Schwarze „in Ausübung ihrer Pflicht“ zu töten. Es hat den Anschein, dass kaum eine Polizeitötung aufgenommen worden ist, da findet schon eine andere statt. Kein Wunder, dass sie sich wie eine Besatzungsarmee verhalten, einer der Beteiligten hatte seinen KollegInnen sogar getwittert, dass sie „Krieger“ seien. Viele KommentatorInnen haben darauf hingewiesen, dass sich diese „KriegerInnenmentalität“ seitdem Irakkrieg noch weiter verbreitet hat. Seitdem haben viele Polizeidienststellen schwer gepanzerte Fahrzeuge und andere militärische Kriegswaffen gekauft.

Die mutwillige Ermordung von Breonna Taylor, gefolgt von der von George Floyd, die auf Video festgehalten wurde, löste eine Welle von Demonstrationen aus, die sich weltweit ausbreitete. Louisville selbst war seit der Ermordung von Breonna 119 Tage lang Zeugin von Protesten. In zunehmendem Maße hat die Polizei Tränengas und Pfefferkugeln auf diese Menschenmengen abgefeuert.

Am Tag der Weigerung der Grand Jury, Anklage zu erheben, liefen die BereitschaftspolizistInnen in die Menge der friedlichen DemonstrantInnen hinein und provozierten schließlich das, was sie dann als Aufruhr bezeichnen konnten. Über Nacht erlitten zwei PolizistInnen Schusswunden, und noch vor dem Urteil rief der Gouverneur von Kentucky, Andy Beshear, ein Demokrat, in Louisville den Ausnahmezustand aus. Am Tag selbst mobilisierte er die Nationalgarde des Staates.

Donald Trump hat die Polizei wiederholt für die Gewalt gelobt, die sie gegen friedliche DemonstrantInnen – die er als „InlandsterroristInnen“ bezeichnet hat – entfesselt hat. Er hat seine rechtsextremen AnhängerInnen gegen DemonstrantInnen aufgehetzt, und in Denver, Colorado, fuhr eine/r mit einem Auto durch eine Demonstration, die gegen die Entscheidung der Grand Jury protestierte.

Die Polizei hat während der Proteste regelmäßig schwer bewaffnete rechte Milizengruppen auf den Straßen patrouillieren lassen und sich sogar mit ihnen vergeschwistert. Als am 25. August in Kenosha, Wisconsin, zwei unbewaffnete Demonstranten von einem solchen rechten Milizionär getötet wurden, nahm Trump den Täter in Schutz und meinte, dass dieser sich nur verteidigt habe. Dies ist eindeutig Teil seiner Strategie, die Wahl am 3. November in einer Atmosphäre hoher sozialer Spannungen, einschließlich physischer Konflikte, abzuhalten, in der Hoffnung, dass seine Kampagne für „Recht und Ordnung“ die kläglichen Misserfolge seiner Präsidentschaft vertuschen wird.

Die Aktionen der DemokratInnen, selbst dort, wo sie im Amt sind, wie in Kentucky, zeigen, wie wenig diese zweite Partei der KapitalistInnen als Schutz für Schwarze und People of Color, die große Zahl von AntirassistInnen oder für die ArbeiterInnenklasse geeignet ist. Deshalb sollte man sich nicht in dem Glauben zurückhalten, dass dies Biden zum Sieg verhelfen wird.

Ganz im Gegenteil! Es sollte kein Zurückschrecken bei den Demonstrationen oder bei den Kämpfen der ArbeiterInnen für Arbeitsplätze und Gerechtigkeit in der Coronavirus-Krise geben! Keine Zurückhaltung bei den Aufrufen, die KillerpolizistInnen aus den Gemeinden zu vertreiben, die Polizeigewerkschaften aus den Gewerkschaftsverbänden herauszuschmeißen und ganz sicher keine Zurückhaltung bei der Organisierung der Selbstverteidigung. Jedes Anzeichen einer Schwächung des Massenwiderstandes wird nur Trumps ultrareaktionäre Bewegung und ihre faschistischen Ränder ermutigen, ganz zu schweigen von den Polizeiabteilungen, von denen viele bereits mit ihnen sympathisieren.

Trump hat praktisch damit gedroht, dass er das Urteil der WählerInnen nicht akzeptieren wird, wenn die Wahl im November gegen ihn ausfallen wird. Er hat seine AnhängerInnen der weißen RassistInnen dazu angestachelt, sich zu wehren, wenn er verliert. Das mag nur Trump-Geschrei sein, aber wenn die Ergebnisse von RepublikanerInnen in von ihnen kontrollierten Bundesstaaten oder im Obersten Gerichtshof angefochten oder behindert werden können, dann ist alles möglich. Die sicherste, ja die einzige Möglichkeit, dieses Szenario zu verhindern, besteht darin, die Massenbewegung zu stärken, damit sie direkt eingreifen kann, um ihm Einhalt zu gebieten bzw. ihn aus dem Amt zu jagen, sollte er versuchen an diesem festzuhalten.




USA: Schüsse von Kenosha zeigen die Notwendigkeit zur Selbstverteidigung

Dave Stockton, Infomail 1116, 2. September 2020

In Kenosha, Wisconsin, wurde am Sonntag, dem 23. August, um 17.00 Uhr Jacob Blake beim Einsteigen in sein Auto von einem Polizeibeamten, Rusten Sheskey, sieben Mal in den Rücken geschossen. Blakes drei Kinder saßen auf dem Rücksitz des Wagens und wurden ZeugInnen des schrecklichen Ereignisses. Wie durch ein Wunder überlebte er, doch die Schüsse durchtrennten sein Rückenmark und zertrümmerten Wirbel. Black ist von der Taille abwärts gelähmt, wahrscheinlich lebenslang.

Als ob dies noch nicht genug wäre, haben ihn die BeamtInnen, nachdem er in kritischem Zustand ins Krankenhaus gebracht wurde und immer noch um sein Leben kämpfte, mit Handschellen an sein Bett gefesselt, obwohl er keines Verbrechens angeklagt worden war. Der mutmaßliche Täter hingegen wurde bei vollem Gehalt suspendiert und noch nicht angeklagt. Die übliche Straflosigkeit, die KillerpolizistInnen genießen, könnte sich durchaus wiederholen.

Wie bei der Ermordung von George Floyd am 25. Mai signalisiert die Polizei von Kenosha hiermit, dass sie die Stadt ohne jeglichen Respekt vor der rechtlichen Gleichheit der BürgerInnen, insbesondere von Schwarzen und People of Colour, regiert. Nichts, so scheint es, wird diese „legalisierten“ Lynchmorde aufhalten können.

Republikaner und Demokraten

Natürlich löste dies im Zusammenhang mit der neu belebten Bewegung „Black Lives Matter“ seit der Ermordung Floyds mehrere Nächte militanter Straßenproteste aus, in denen Fahrzeuge und das Bezirksgerichtsgebäude von Kenosha in Brand gesteckt wurden. Die Polizei begegnete den DemonstrantInnen mit Tränengas und Gasgrananten. Wie üblich prangerten die VertreterInnen der Republikanischen Partei die Gewalt der Protestierenden an, nicht aber die der Polizei, während die Mitglieder der Demokratischen Partei und die älteren „offiziellen“ Spitzen der Gemeinde zum „Frieden“ aufriefen. Wie kann es angesichts eines solch eklatanten Beispiels von Ungerechtigkeit Frieden geben?

Der demokratische Bürgermeister John Martin Antaramian zeigte, auf wessen Seite er wirklich steht, und forderte die schwer bewaffnete Bereitschaftspolizei mit mehreren großen gepanzerten so genannten Bearcat-Polizeifahrzeugen an, die mit Long Range Acoustic Devices, d. h. ohrenbetäubenden Sirenen, ausgestattet waren und Gummigeschosse abfeuerten.

Der demokratische Gouverneur von Wisconsin, Tony Evers, entsandte die Nationalgarde des Bundesstaates Wisconsin, rief den Ausnahmezustand aus und begrüßte sogar das Angebot von US-Präsident Trump, Bundespolizei in die Stadt zu entsenden. Dies geschah trotz Trumps wiederholter Verleumdungen demokratischer Bundesstaaten und Städte wegen der Unruhen, die durch die Killer-Polizei allein provoziert wurden. Darüber hinaus hat der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden rückgratlos die „Gewalt auf der rechten und linken Seite“ verurteilt. All dies ist ein weiterer Beweis für die Nutzlosigkeit dieser zweiten Partei der Wall Street für die Unterdrückten und die ArbeiterInnenklasse.

Rassismus, Milizen und Polizei

Als sich die Nachricht von dem Aufstand verbreitete, mobilisierten schwer bewaffnete weiße RassistInnen, die Kenosha-Milizen und die „Stolzen Jungs“, auf die Straßen der Stadt und fungierten de facto als Polizeihilfstruppen. Es gibt Videoaufnahmen von PolizistInnen, die freundliche Gespräche mit ihnen führen und ihnen Wasser anbieten, wobei ein/e PolizistIn über einen Lautsprecher sagt: „Wir schätzen euch Jungs, das tun wir wirklich“.

Einer der Miliz-SympathisantInnen, der 17-jährige Kyle Rittenhouse, erschoss zwei Demonstranten, Anthony Huber, 26, und Joseph Rosenbaum, 36, beide unbewaffnet, und verwundete einen dritten, Gaige Grosskreutz, einen freiwilligen Straßenmediziner. Rittenhouse wurde von PolizeibeamtInnen mit seinem um die Brust geschlungenen AR-15-Sturmgewehr vom Tatort unbehelligt weggelassen. Er wurde erst später, meilenweit entfernt in seinem Heimatort Antioch, Illinois, festgenommen.

Sofort eilten prominente Trump-AnhängerInnen zu seiner Verteidigung. Paul Gosar, ein republikanisches Mitglied des US-Repräsentantenhauses aus Arizona, twitterte: „100 % gerechtfertigte Selbstverteidigung. Versuchen Sie nicht, einem Mann eine Waffe wegzunehmen, oder Sie müssen die Konsequenzen tragen“ und schloss mit der Drohung: „Die Kriminellen hier: Die Kommunalverwaltung von Kenosha, die Nacht für Nacht die Unruhen, Brände und Plünderungen zulässt. Bewaffnete BürgerInnen, die sich selbst verteidigen, werden das Vakuum füllen“.

Trumps Wahlkampf und rechte Propaganda

In einem Fox-News-Fernsehinterview in der Nacht der Schüsse auf Blake erklärte der US-Justizminister William Barr, dass einige der VertreterInnen der Demokratischen Partei, die ihn vor zwei Wochen bei einer Kongressanhörung befragten, RevolutionärInnen seien, die den amerikanischen Kapitalismus zu stürzen suchen und mit TerroristInnen im Bunde stehen.

Am Tag vor den Morden in Kenosha erschien ein Ehepaar aus St. Louis, Missouri, das einen friedlichen „Black Lives Matter“-Protest bedroht hatte, der an ihrer Villa vorbeizog, mit einem Video-Redebeitrag auf dem republikanischen Nationalkongress und unterstützte Trumps Botschaft, dass die BLM-Proteste eine Bedrohung der amerikanischen Lebensweise sind, gegen die sie sich mit automatischen Waffen in der Hand verteidigen müssen. Dann, nach den Morden, postete Fox News-Moderator Tucker Carlson auf Twitter: „Wie schockiert sind wir, dass 17-Jährige mit Gewehren beschlossen, die Ordnung aufrechtzuerhalten, als niemand sonst es tat?“

Trump konzentriert seine Kampagne zunehmend auf die Behauptung, dass Amerika vor einer finsteren, weit linken Verschwörung steht, für die Joe Biden und Kamala Harris nur Marionetten sind. In einem Interview für Fox News behauptete er, dass Flugzeugladungen von gewalttätigen „Black Lives Matter“-DemonstrantInnen durch das Land geflogen würden, bezahlt von einer Clique reicher Leute, „Leute, von denen Sie noch nie etwas gehört haben. Menschen, die in den dunklen Schatten stehen“ und dass „es Menschen sind, die die Straßen kontrollieren“.

Trump wiederholt eine Kampagne, die von QAnon, einer bizarren rechtsgerichteten Website über Verschwörungstheorien, geführt wird. Er hat auch die gleiche rassistische „Geburts“-Lüge verbreitet, die er gegen Obama unterstützte, nämlich dass Kamala Harris nicht in den USA geboren sei. Es scheint, dass er sich zu solchem Schmutz herablassen wird, um seine erzreaktionäre Basis zu motivieren und mobilisieren.

Es stimmt, in „normalen“ Zeiten, d. h. in Zeiten kapitalistischer Stabilität, wären solche Ideen als Hirngespinste von Verrückten am Rande des Wahnsinns abgetan worden. Aber jetzt, wo die USA nicht nur am Beginn eines großen wirtschaftlichen Einbruchs, einer Klimakatastrophe und inmitten der SARS-CoV-2-Pandemie stehen, die von der Trump-Regierung so kriminell schlecht gemanagt wurde, sondern auch vor dem Handelskrieg, den sie mit dem kapitalistischen China angezettelt haben, erscheinen selbst solche Ideen einer verrückt gewordenen Mittelschicht vernünftig.

Trump hat effektiv angedeutet, dass er diese „Strategie der Spannung“ mit Hilfe der Polizei und seiner rechtsextremen Hilfskräfte bis zur Wahl aufrechterhalten wird. Wenn er verliert, wird er sich weigern, das Ergebnis anzuerkennen, und erklären, es sei festgelegt worden. Sieg oder Niederlage, amerikanische ArbeiterInnen, Schwarze, People of Colour, FeministInnen, LGBTIAQ-AktivistInnen stehen vor einem seit vielen Jahren nicht erlebten Konflikt, den Keimen eines amerikanischen Faschismus.

Trump ging auf Twitter und behauptete, er habe mit dem demokratischen Gouverneur von Wisconsin, Tony Evers, gesprochen und würde „die Bundespolizei und die Nationalgarde … zur Wiederherstellung von GESETZ und ORDNUNG“ schicken! Er fügte hinzu, dass er am 2. September Kenosha besuchen werde, um dies zu überwachen. Und um seine Provokation noch zu verstärken, hat er Rittenhouse verteidigt und unverschämter Weise geschrieben, dass die Doppelmorde in Notwehr geschahen. „Ich vermute, er war in sehr großen Schwierigkeiten … er wäre wahrscheinlich getötet worden.“

Es ist zu hoffen, dass AntirassistInnen, AntifaschistInnen und rassistisch Unterdrückte von nah und fern, die sich angemessen gegen FaschistInnen und PolizistInnen schützen, ihm einen gebührenden Empfang bereiten.

What next?

Dies alles unterstreicht schließlich die dringende Notwendigkeit für die an den Bewegungen beteiligten fortschrittlichen Kräfte, ihre eigene, von den DemokratInnen unabhängige Partei aufzubauen. Es muss eine Partei sein, die nicht nur für den Wahlkampf, sondern auch auf den Straßen, in den Gemeinden und an den Arbeitsplätzen aktiv ist. Es muss eine Partei sein, deren militante Speerspitze die weißen RassistInnen und FaschistInnen dorthin zurückdrängen kann, von wo aus Trump sie herbeigerufen hat.

In der gegenwärtigen politischen Krise, die seit den 1960er und 1970er Jahren beispiellos ist, müssen wir sagen:

  • Haltet die landesweiten Demonstrationen gegen Polizeimorde und Trump und seine rassistischen UnterstützerInnen aufrecht!
  • Polizei weg von den Straßen unserer Städte – keine Finanzierung der Repression!
  • Alle Killer-PolizistInnen vor Gericht bringen: Ihre Straflosigkeit muss ein Ende haben!
  • Selbstverteidigung ist kein Vergehen – die Unterdrückten haben das Recht, Waffen zu tragen! Aufbau von Selbstverteidigungsorganen zum Schutz vor Angriffe weißer RassistInnen und der Killer-Cops!
  • Baut eine Einheitsfront des Widerstands auf, einschließlich der organisierten ArbeiterInnenschaft, und schafft die Grundlage für eine unabhängige ArbeiterInnenpartei mit einem sozialistischen Programm!



Die Räumung des „Syndikats“ und der Berliner Senat

Jan Hektik, Infomail 1113, 13. August 2020

Nach der Räumung des „Syndikats“ am Freitag, den 7. August, blieb das bürgerliche Echo verhältnismäßig gemäßigt. Normalerweise sorgen sich die bürgerlichen Medien – vom Boulevardblatt bis zu den „seriösen“ Tageszeitungen – aussschließlich um Rechtsstaatlichkeit und Ordnung. Schließlich muss das Privateigentum geschützt werden.

So bilden die permanent von Räumung bedrohten Hausprojekte in der Rigaer Straße regelmäßig Gegenstände verlogener Hetze und werden als Brutstätten des linksradikalen Terrors dargestellt. An der Räumung des „Syndikats“ äußerten nicht nur Junge Welt und Neues Deutschland oder die taz Kritik, die bei diesen Fragen auf ihre linke Geschichte rekurriert, die sie längst hinter gelassen hat. Diesmal hatte z. B. auch der Tagesspiegel etwas Kritisches zur Räumung anzumerken – freilich nur, um, wie wir sehen werden, letztlich doch die Seite der Räumung zu beziehen.

Was ist das „Syndikat“?

Doch fangen wir am Anfang an. Was ist eigentlich passiert? Die 35 Jahre alte Kiezkneipe „Syndikat“ in Neukölln wurde in einem Polizeieinsatz mit Helikopter, Klettereinheit und knapp 1.000 PolizistInnen geräumt. Dem ging eine lange Auseinandersetzung mit der Vermieterseite voraus, welche interessante Verflechtungen und eine absolute Weigerung gegenüber jedweder Verhandlung mit dem „Syndikat“ offenbarte.

Das hat relativ große Gegenproteste hervorgerufen mit Solidaritätsdemonstrationen von über 2.000 Menschen und verschiedenen autonomen Kleinstaktionen zur Verhinderung und später zum Anprangern der Räumung. Um die Bedeutung der Auseinandersetzung, aber auch die weit über die „Szene“ hinausgehende Solidarisierung zu verstehen, ist es wichtig, kurz darauf einzugehen, was das „Syndikat“ eigentlich darstellt.

Im Gegensatz zu vielen anderen linken „Freiräumen“ war das „Syndikat“ nicht auf die „Szene“ beschränkt, sondern hat es geschafft, einen sozialen Bezugspunkt für die AnwohnerInnen darzustellen. Es symbolisierte zweifellos eines der besseren Beispiele autonomer oder linker Kiezpolitik. Für AnwohnerInnen und die mit dem „Syndikat“ verbundenen Stadtteilläden bildete es einen Anlaufpunkt für finanzielle, soziale und sonstige Unterstützung. Deshalb genießt bzw. genoss es große Solidarität im Kiez.

Während nicht wenige linke „Freiräume“ in sich selbst versumpfen und jeglichen Kontakt zur Außenwelt einstellen, um sich ununterbrochen mit sich selbst zu beschäftigen, hat das „Syndikat“ seine Wurzeln im Bezirk gestärkt und ausgebaut. Vor allem diesem Vorgehen war es zu verdanken, dass es große Proteste gegen seine Räumung gab. Darüber hinaus wurde eine gute Öffentlichkeitsarbeit gegen die Räumung betrieben und Kooperation mit Medien und Initiativen gesucht.

Pears Group

Die Auseinandersetzung um die Räumung warf freilich auch von einer anderen Seite ein Schlaglicht auf die Berliner und bundesweite Entwicklung von Wohnungsmarkt und -politik. Ganz „üblich“ fing alles mit einer Kündigung vom Vermieter an. Als die MieterInnen des „Syndikat“ bei der Hausverwaltung Verhandlungen über einen neuen Mietvertrag aufnehmen wollten, hieß es, der Eigentümer habe daran kein Interesse. Nun fragte man sich, wer ist denn eigentlich der Eigentümer?

Die Suche danach gestaltete sich als schwerer als erwartet und deckte ein interessantes Immobiliengeflecht auf. Über die Vollmachten der Hausverwaltung fand man GeschäftsführerInnen und über diese eine Briefkastenfirma in Luxemburg, die sich die Adresse mit 70 anderen teilt. Über diese fand man schlussendlich die Familie, die dahintersteckt – die Pears-Familie, EigentümerIn der Pears Global aus Großbritannien. Sie besitzt allein in Großbritannien Immobilien im Wert von über 7 Milliarden Euro. In der Öffentlichkeit tritt dieser private Konzern kaum in Erscheinung. Die Strategie von Pears Global zielt vielmehr darauf ab, im Hintergrund zu bleiben, Öffentlichkeit zu vermeiden und möglichsts unbeachtet den größtmöglichen Profit aus den Immobilien zu schlagen.

Über eine Reihe von Tochterfirmen, weiteren Briefkastenfirmen besitzt die Pears Group allein in Berlin über 3.000 Wohnungen, gehört also mit zu den Profiteurinnen und Antreiberinnen der Gentrifizierung. Ihre verschachtelte und kaum nachvollziehbare Unterteilung in verschiedene Gesellschaften erleichtet es darüber hinaus, die Steuerabgaben auf ein Minimum zu beschränken.

Solche Geflechte aufzudecken, ist gut und richtig und hilft maßgeblich, Protest und Öffentlichkeit zu organisieren, vor allem aber zeigt es auch, wie wichtig es ist, die Aktionen gegen die Räumung in den viel umfassenderen Kontext gegen das Immobilienkapital, nämlich für dessen Enteignung zu stellen. Wie tausende MieterInnen von Berliner Tochtergesellschaften der Pears Group seit Jahren schmerzlich erfahren mussten, kann es bei diesen VermieterInnen teuer werden. Es gehört zum Geschäftsmodell dieser Immobilienhaie, Häuser aus einkommensschwächeren Wohngebieten aufzukaufen, zu „sanieren“ und so auf einen maximalen Wertzuwachs ihres Eigentums inklusive maximaler Mietpreissteigerungen zu spekulieren. Hier haben die Menschen vom „Syndikat“ wichtige Arbeit geleistet und es sogar geschafft, dass die Presse sich damit beschäftigt und dem Senat unbequeme Fragen gestellt hat.

Die verschwachtelte Struktur des Konzerns hat außerdem den Vorteil, dass Hausverwaltung, Briefkastenfirmen, die den MieterInnen als EigentümerInnenvertretung entgegentreten, selbst kaum Entscheidungen treffen können – und die Pears Familie enthält sich jeder Stellungnahme oder Äußerung.

Nachdem eine Öffentlichkeit geschaffen worden war, ließ sich die Hausverwaltung doch auf Verhandlungen mit dem Senat über eine „Lösung“ des Konfliktes ein, aber immer mit der Ansage, man könne das nicht ohne Zustimmung des Eigentümers entscheiden. Dieser Winkelzug war nichts weiter als eine Täuschung, um die Öffentlichkeit zu besänftigen, während man gleichzeitig weiter an der Räumung arbeitete.

Diese wurde schließlich mit massivem Polizeieinsatz, brutaler Gewalt gegen Solidaritätsdemonstrationen (so z. B. am 1. August) und trotz Blockaden hunderter AktivistInnen am 7. August durchgesetzt.

Bürgerliche Medien – Kritik, aber …

Schon oben haben wir darauf verwiesen, dass die bürgerliche Presse diesmal auch die „Unverhältnismäßigkeit“ des Polizeieinsatzes und die damit einhergehende Behinderungen ihrer selbst kritisierte. Schon am 1. August griff die Berliner Polizei eine Solidaritätsdemonstration mit dem „Syndikat“ mit Schlagstöcken und Pfefferspray an, während tausende kleinbürgerlich-reaktionäre Corona-LeugnerInnen unbehelligt durch Berlin marschieren durften. Dies hinterließ sogar bei der bürgerlichen Presse einen unangenehmen Geschmack. Hinzu kommt, dass selbst für die SchreiberInnen eines „fairen“ Kapitalismus die Geschäftspraktik der Pears Groups zu weit geht.

Doch trotz aller Kritik an der „Unverhältnismäßigkeit“ des Polizeieinsatzes und der Strategie von Immobilienhaien, so gingen vor allem die Protestaktionen gegen die Besetzung den Gazetten zu weit. So warf ein Kommentar im Tagesspiegel Grünen und Linkspartei allen Ernstes vor, „indirekt“ Gewalt zu legitimieren.

Was war passiert? Einige DemonstrantInnen hatten sich gegen den Einsatz der Polizei gewehrt und dabei war – ausnahmsweise – auch die/der eine/r oder andere BeamtIn verletzt worden. Die Selbstverteidigung gegen eine Räumung – und mag diese auch noch so fragwürdig sein – geht für diese AnhängerInnen des Rechtsstaats zu weit. Schließlich muss nicht nur Privateigentum Privateigentum bleiben, auch das Handeln der Polizei darf letztlich nicht in Frage gestellt werden.

Dass PolitikerInnen der Linken und der Grünen auf sozialen Medien auf das unterschiedliche Vorgehen der Polizei gegen linke AktivistInnen und UnterstützerInnen einerseits sowie rechte SpinnerInnen andererseits hinwiesen, käme einer „Relativierung“ der Gewalt gleich, die von den Aktionen gegen die Räumung des „Syndikats“ ausging.

Dabei enthüllt der Tagesspiegel nicht nur einmal mehr, auf welcher Seite er steht – nämlich auf jener der Immobilienspekulation und der Ordnungskräfte, die deren Eigentum und Gewinn sichern. Solch Kommentare – ganz zu schweigen von der Hetze gegen HausbesetzerInnen – verdeutlichen auch, dass dem bürgerlichen Mainstream schon die doppelbödige Politik von Linkspartei, Grünen und SPD zu weit geht, die letztlich die Immobilienlobby stützen – in der Öffentlichkeit aber so tun, als würden sie die Interessen der MieterInnen verteidigen.

Während mit der polizeilichen Hand die Räumung durchgeführt und jeder Protest unschädlich gemacht wird, drückt das politische Fußvolk aus Linkspartei (und gelegentlich sogar aus Grünen und SPD) sein „Verständnis“ für Protest aus, jedenfalls so lange er „friedlich“, also für die Durchführungen von Räumungen nicht allzu hinderlich, bleibt.

So langsam fällt selbst dem/der gutgläubigsten BeobachterIn auf, dass hier ein Widerspruch zwischen Wort und Tat stattfindet. Daher wäre dem Senat auch lieb, wenn zweifelhafte InvestorInnen wie Global Pears ein paar Zugeständnisse machen würden – und, wenn möglich, am „runden Tisch“ die gegensätzlichen Interessen von MieterInnen und Wohnungskapital in Einklang gebracht werden könnten. Blöd nur, dass der Run auf profitable Anlagen auf Seiten des Kapitals einen solchen Kompromiss, eine sozial getünchte Wohnungspolitik immer unmöglicher macht, die das Privateigentum an Grund und Boden nicht in Frage stellen will. Vor diesem Problem stehen im Übrigen nicht nur SPD und Grüne, sondern auch die Linkspartei, die so tut, als könne sie gleichzeitig Initiativen wie „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ unterstützen und ansonsten mit Innensenator Geisel auf gutem Fuß stehen. Solange der Senat mit seiner kapitalfreundlichen Politik weitermacht, wird er sich selbst in den Augen von immer mehr MieterInen diskreditieren – und das ist gut so.

Bei der Räumung des „Syndikats“ hat nicht nur der Innensenator, sondern die gesamte Landesregierung gezeigt, wo sie im Ernstfall steht – auf Seiten einer Staatsgewalt, die das Kapitalinteresse verteidigt. Das ist natürlich nichts Neues – ganz so lief es auch bei der Räumung der Hausbesetzung in der Friedelstraße, so läuft es bei jeder Räumung von MieterInnen, so läuft es bei jeder Abschiebung …

Die rechte Kritik der gesamten bürgerliche Opposition im Senat, von CDU, FDP bis zur rassistischen AfD, wie von zahlreichen Blättern der bürgerlichen Presse sollte darüber nicht hinwegtäuschen. Auch ihnen ist natürlich bewusst, dass die Landesregierung des Privateigentum der ImmobilienbesitzerInnen verteidigt. Sie halten jedoch schon das verbal geäußerte „Verständnis“ für Proteste und die Zugeständnisse an die MieterInnen (wie den Mietendeckel) für den Anfang vom Ende. Schließlich, so fürchten sie, könnten schon einzele Verbesserungen zu noch weiter gehenden Forderungen führen. Der Zuspruch für die Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ und die Popularität der Enteignungsforderung in recht großen Teilen der Bevölkerung lassen nicht nur bei der Immobilienlobby, sondern bei allen ParteigängerInnen der Profitmacherei die Alarmglocken läuten.

Wie weiter?

Die Räumung des „Syndikats“ stellt zweifellos einen Erfolg für die EigentümerInnen dar. Aber es liegt an uns, diesen in eine Pyrrhusssieg zu verwandeln. Die große Solidarität mit dem „Syndikat“ unter den AnwohnerInnen verdeutlicht, dass die Mieten- und Wohnungspolitik zu einem zentralen Kampffeld der nächsten Jahre werden kann – nicht nur wegen der dramatischen Verschlechterungen und weiter steigender Preise, sondern auch und vor allem, weil sich eine Bewegung entwickelt hat.

Ziel muss es sein, alle wohnungspolitischen Initiativen von MieterInnen in Berlin zu koordinieren und zu vereinen. Dies kann jedoch nur um soziale und politische Forderungen geschehen:

  • Stopp aller Räumungen von MieterInnen! Keine Räumung der besetzten Häuser! Kontrolle der Mietpreise durch Mietervereinigungen und Ausschüsse der MieterInnen!
  • Enteigung aller Immobilienkonzerne unter Kontrolle von MieterInnen und Gewerkschaften!Unterstützung der Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen!“
  • Für ein massives kommunales Wohnungsbauprogramm, insbesondere zum Bau von Sozialwohnungen, kontrolliert von MieterInnen und Gewerkschaften!
  • Widerstand gegen die Räumungen ist kein Verbrechen – Niederschlagung aller Verfahren gegen festgenommene DemonstrantInnen!
  • Aufbau einer Anti-Krisenbewegung, die den Kampf im Wohnungssektor mit dem gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Lohnabhängigen verbindet!