Gegen die kapitalistische Restauration! Für die proletarische politische Revolution!

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 5, Neufassung angenommen am 3. Kongress der LRKI, Sommer 1994

Trotz der schon fast ein halbes Jahrhundert alten Rivalität zwischen UdSSR und USA fungierte die Sowjetunion als eine der beiden Zentralsäulen der imperialistischen Weltordnung.

Von 1945 bis 1991 haben sich der Kreml, seine Satelliten und tatsächlich auch seine stalinistischen Nebenbuhler als Agenten zur Verhinderung und Ablenkung der Entwicklung einer weltrevolutionären Woge betätigt, die in der Lage gewesen wäre, den Imperialismus zu isolieren und schließlich zu besiegen. Die begrenzten Kriege mit dem Imperialismus in Korea und Vietnam, die logistische Unterstützung für verschiedene nationale Befreiungskämpfe durch stalinistische Staaten und insbesondere der Sturz des Kapitalismus von China bis Kuba durch stalinistische Parteien verbargen die konterrevolutionäre Rolle des Stalinismus vor Millionen Menschen. Heute erscheint der Zusammenbruch der UdSSR vielen, die weltweit gegen Imperialismus und Kapitalismus kämpfen, als eine absolute Katastrophe.

Der Kollaps der UdSSR und anderer degenerierter Arbeiterstaaten stellt einen enormen materiellen und moralischen Sieg für den Imperialismus dar. Aber der Sieg ist voller Widersprüche. Ihm wohnt nicht nur die Fast-Vernichtung der historischen ökonomischen Errungenschaft der Oktoberrevolution inne, sondern auch die Zerstörung einer konterrevolutionären Agentur des Imperialismus in den Bewegungen der Ausgebeuteten und Unterdrückten auf dem Erdball. Die konterrevolutionären Konsequenzen des imperialistischen Sieges sind unmittelbar und augenfällig. Im kommenden Jahrzehnt aber wird er sich gnadenlos als Pyrrhussieg erweisen. Die Krise, die wir gerade im Prozeß der Restauration des Kapitalismus erfahren, trägt stark zur Vertiefung der allgemeinen Krisenperiode bei, die das Ende des 20.Jahrhunderts charakterisiert.

Nach 1945 stieg das Ansehen des Kreml durch seinen Sieg über den deutschen Imperialismus und seine darauffolgende territoriale Ausweitung nach Ost- und Zentraleuropa enorm an. Die wesentliche Rolle der Planwirtschaft – einer Schlüsselerrungenschaft der Oktoberrevolution – beim Erringen des Sieges der UdSSR als auch beim Überleben und Wiederaufbau nach dem Krieg waren die materiellen Vorbedingungen für die Schaffung einer Reihe von neuen degenerierten Arbeiterstaaten, von politischen und ökonomischen Abbildern der Sowjetunion. Die bloße Existenz der UdSSR und die Verteidigungsmanöver der stalinistischen Bürokratie gegen den Imperialismus in der ersten Periode des Kalten Krieges führten zur Niederlage und zum Sturz einer Reihe von geschwächten Kapitalistenklassen in Osteuropa und später in der kolonialen und halbkolonialen Welt.

Dieser Sturz des Kapitalismus wurde entweder herbeigeführt durch die Agentur der Sowjet-Streitkräfte oder durch stalinistische Parteien bzw. Guerrillatruppen unter ihrer Führung. Im Fall Kubas assimilierte sich eine kleinbürgerlich nationalistische Bewegung an den Stalinismus und verwandelte die Insel in einen degenerierten Arbeiterstaat. Unter stalinistischer Kontrolle führten diese Siege über den Kapitalismus nicht in einer internationalen Ausbreitung der proletarischen Revolution, sondern vielmehr zur Etablierung eines relativ stabilen Kräftegleichgewichts zwischen UdSSR und Imperialismus. Die stalinistischen Parteien waren der Garant dafür, daß alle Elemente unabhängiger Arbeiterklassenorganisierung noch vor der Zerstörung des Kapitalismus liquidiert wurden. Für das Weltproletariat waren die Konsequenzen der sozialen Umbrüche im gesamten konterrevolutionär.

Tempo und Umstände dieser bürokratischen gesellschaftlichen Umwälzungen variierten notwendigerweise, doch trugen sie eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen: Jedesmal kamen stalinistische Parteien oder proto-stalinistische nationale Befreiungsbewegungen an die Führung mächtiger Streitkräfte im Kampf gegen Faschismus und Imperialismus. Die Waffenträger des bürgerlichen Staates wurden besiegt und durch die stalinistischen Kräfte aufgelöst. Die Bourgeoisie wurde ihrer politischen Macht völlig oder größtenteils beraubt.

Nach der Machtübernahme schritten die Stalinisten zur Zerschlagung aller unabhängiger Arbeiterorganisationen und verhinderten die Bildung von gesunden Arbeiterstaaten, die auf Arbeiterdemokratie fußen. Damit sicherten sie die Etablierung politischer Regimes, die mit der bürokratischen Tyrannei Stalins in der UdSSR ident waren.

Trotz weitreichender Nationalisierungen der Industrie und Enteignungen des halbfeudalen Grundbesitzes fand ursprünglich keine systematische Enteignung der gesamten Bourgeoisie statt. Getreu ihrem konterre volutionären Etappenprogramm hegten die Stalinisten ursprünglich nicht die Absicht, den Kapitalismus zu stürzen, sondern gedachten ihn über die offene oder versteckte Volksfront – einem Bündnis mit der nationalen oder lokalen Bourgeoisie – und durch den Versuch, Bündnisse mit den imperialistischen Mächten aufrecht zu halten. Die ‚Volksdemokratien‘ waren keineswegs als ’sozialistische‘ Staaten angelegt.

Während dieser Phase verhinderten die Stalinisten aktiv jeden Versuch der Arbeiterklasse selbst, der tatsächlich daniederliegenden Bourgeoisie die Macht zu entreißen. In Osteuropa liquidierten die sowjetischen Besatzungsbehörden systematisch die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse und wirklich alle unabhängigen politischen Parteien, Gewerkschaften Fabrikkomitees oder sowjetähnlichen Organe. Sie verteidigten die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und versuchten sie andererseits durch Nationalisierungen, gemischte Unternehmen usw. für den Wiederaufbau der Sowjetwirtschaft auszunützen.

Die Armee des bürgerlichen Staates wurde von den stalinistischen Kräften besiegt und zerschlagen. Dennoch waren die Folgestaaten ursprünglich keine Arbeiterstaaten. Es lag in der Absicht des Stalinismus, weiter die Existenz des Kapitalismus zu bewahren und das taten sie auch. Stalins Ziel war die absolute Unterordnung dieser Staaten unter die UdSSR und sie als Pufferzone oder eine Art Verteidigungsglacis zu verwenden. Die stalinistische Bürokratie führte vorbeugend eine bürokratische Konterrevolution gegen die Arbeiterklasse und die arme Bauernschaft durch und erstickte die heraufziehende revolutionäre Situation, die der Zusammenbruch der Nazi-Macht schuf. Hierbei konnten sich die Stalinisten der aktiven Assistenz der einheimischen Bourgeoisie und der imperialistischen Mächte gewiß sein. Auf die Art etablierte sich eine Form von Doppelmacht, wobei der bewaffnete Arm der Stalinisten die der Bourgeoisie ersetzte.

Diese Situation war nicht von langer Dauer und konnte es auch nicht sein. Die Brechung der revolutionären Nachkriegswelle und die Zerschlagung jeglicher unabhängiger proletarischer Klassenkräfte durch die Stalinisten mußte den Imperialismus und die verbliebenen bürgerlichen Kräfte in Osteuropa zur neuerlichen Offensive ermuntern. Der fortwährende Druck der stalinistischen Verbände auf dem Balkan (ohne Stalins Billigung) und die Unfähigkeit des britischen Imperialismus, sie ohne Beistand zu bekämpfen, lieferte der neuen US-Administration einen Vorwand für eine ökonomische und militärische Kampagne zur Stärkung der bürgerlichen Staaten des Kontinents.

Truman setzte den Marshall-Plan als Zuckerbrot und die Rückkehr großer US-Truppenteile als Peitsche ein, um jeden weiteren Erfolg der Stalinisten zu verhindern und eine Gegenoffensive in Mittel- und Osteuropa zu begünstigen. Aber die ersten Versuche der lokalen bürgerlichen Kräfte Osteuropas, die Widersprüche von Doppelmacht und Volksfrontregierungen zu nutzen, um Druck auf die Stalinisten zu machen, die Marshall-Hilfe anzunehmen oder ihren Zugriff auf die Armee zu lockern, rief einen Defensivreflex hervor, der sich fatal auf das Schicksal des Kapitalismus in Osteuropa auswirkte.

Nun nutzten die Stalinisten ihre Kontrolle über den staatlichen Unterdrückungsapparat und beseitigten die Gefahr von Imperialismus und dessen einheimischen bürgerlichen Agenten. Sie warfen die bürgerlichen Vertreter aus der Regierung und enteigneten die ganze Kapitalistenklasse. Die stalinistischenÜbergangsregierungen, die die bürokratischen Gesellschaftsumwandlungen dürchführten, können am besten als „bürokratisch-antikapitalistische“ Varianten der „Arbeiterregierung“-Kategorie bezeichtnet werden, wie sie von der Komintern beschrieben wurden. Durch eine Anzahl bürokratischer und militärischer Maßnahmen wurde das kapitalistische System entwurzelt. Industrie und Land wurden nationalisiert und ein System bürokratischer Befehlsplanung nach dem Vorbild der UdSSR wurde eingeführt.

Diese bürokratische Umwälzung zerstörte den Kapitalismus, mündete aber nicht in der Schaffung eines gesunden Arbeiterstaates, weil die Arbeiterklasse als unabhängige und bewußte Kraft von der Revolution der Eigentumsverhältnisse ausgeschlossen wurde. Für wirklich revolutionäre Kommunisten (Trotzkisten) sind das Bewußtsein, die Kampfkraft und die revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse selbst entscheidend für die Durchführung der echten proletarischen Revolutionen. Hätte es die Möglichkeit gegeben, so wären begrenzte Einheitsfronten der revolutionären proletarischen Kräfte mit den stalinistischen Parteien und Regimen im Verlauf der bürokratischen Revolutionen erlaubt gewesen. Doch das strategische Ziel von Trotzkisten hätte die Brechung der stalinistischen Kontrolle über die Zerstörung des Kapitalismus, der Kampf für echte Organe der Arbeiterdemokratie und die Erzwingung des Abzugs der Roten Armee aus Osteuropa sein müssen. Nur so hätte der Weg zum sozialistischen Übergang geöffnet werden können, anstatt von Beginn an blockiert zu sein.

Die bürokratische Sozialrevolution war trotz der Enteignung der Produktionsmittel der Bourgeoisie in der Essenz ein konterrevolutionärer Akt. Sie spielte sich gegen den Rhythmus und Strom des Klassenkampfs ab. Sie konnte nur stattfinden, weil Arbeiterklasse und Bourgeoisie zuvor entwaffnet worden waren und die Staatsgewalt in Händen der Stalinisten lag. Nichtsdestotrotz bedeutete die Enteignung der gesamten Kapitalistenklasse und die Unterdrückung der Wirkweise des Wertgesetzes, daß der Staat proletarische Eigentumsverhältnisse verteidigte, obschon von einer totalitären Bürokratie kontrolliert. So waren diese Staaten wie die UdSSR, von deren Agenten sie direkt oder indirekt geschaffen worden waren, degenerierte Arbeiterstaaten. Im Gegensatz zur UdSSR waren sie nie gesunde Arbeiterstaaten, gestützt auf die Macht von Arbeiterräten. Sie hatten keinen Degenerationsprozeß aus einem einstmals gesunden Arbeiterstaat durchlaufen – sie waren von Beginn an degeneriert.

Während der Etablierungsphase dieser Staaten verhinderten die stalinistischen Regierungen unabhängige Arbeitermobilisierungen. Diese hätten den Schwung des Siegs über die Bourgeoisie ausnützen können, um die politische Diktatur und die schmarotzerhaften Privilegien der Stalinisten anzugreifen und damit eine politisch revolutionäre Krise heraufzubeschwören, in der die Staatsmacht der Arbeiterräte als Alternative zur totalitären Diktatur aufgeworfen worden wäre. Die Umstürze wurden von den stalinistischen Kräften durchgeführt als Schutzreaktion gegen den Imperialismus und als vorbeugende Maßnahme gegen eine proletarische soziale Revolution. So gesehen waren die bürokratischen sozialen Umwälzungen zugleich politische Konterrevolutionen gegen das Proletariat. Ihr Ergebnis war die Blockade des Übergangs zum Sozialismus, der Versuch, die reaktionäre Utopie vom ‚Sozialismus in einem Land‘ anstelle einer internationalen Revolution zu verwirklichen. Dies war konterrevolutionär vom Standpunkt der historischen und strategischen Ziele des Proletariats.

In Kuba spielte die Bewegung des 26.Juli um die Caudillofigur F. Castro die Schlüsselrolle in einem im wesentlichen ähnlichen, bürokratischen Sturz des Kapitalismus. Sie war eine Volksfront mit bürgerlich nationalistischem und linksstalinistischem Flügel. Auf dem Weg zur Macht und im ersten Regierungsstadium blieben ihre allgemeine Taktik und Programm die eines kleinbürgerlich revolutionären Nationalismus. Die unerbitterliche Feindschaft der USA gegenüber ihrem Sieg und ihren Angriffen auf US-Investitionen in Kuba leiteten Mitte 1960 eine Gegenoffensive der kubanischen Bourgeoisie ein. Dies zwang Castro an die Seite der Linksstalinisten in der Bewegung, zum Versuch, sich mit der kubanischen kommunistischen Partei zu verbünden und später zu verschmelzen und massive Wirtschafts- und Militärhilfe von der Kremlbürokratie zu erhalten. Diese unterstützte die Entwicklung aus ihren eigenen militärstrategischen Erwägungen (Stationierung von Nuklearraketen) als auch um ihren ideologischen Einfluß in der Dritten Welt auszudehnen. Von Mitte 1960 bis Anfang 1962 enteignete eine bürokratisch-antikapitalistische Arbeiterregierung die einheimisch-kubanische Bourgeoisie und die imperialistischen Liegenschaften, institutionalisierte einen bürokratischen Plan und errichtete einen degenerierten Arbeiterstaat.

Obwohl die degenerierten Arbeiterstaaten den konterrevolutionären Charakter der UdSSR tragen, sind sie nicht in gleicher Weise entstanden. In der UdSSR wuchsen die anfänglichen bürokratischen Deformationen in einem gesunden Arbeiterstaat, bis ein qualitativer Sprung, der Sowjet-Thermidor (politische Konterrevolution), den Staat in einen degenerierten Arbeiterstaat umwandelte. Die anderen Staaten wurden demgegenüber als Duplikate der UdSSR gebildet, sie waren von Beginn an degeneriert. Das Programm der politischen Revolution, wie es von trotzki als die einzige proletarische Strategie gegen die bürokratische Diktatur Stalins entwickelt worden war, war demzufolge auf diese Staaten schon seit ihrer Errichtung anwendbar. Wie in der UdSSR haben die Bürokratien dieser Staaten beständig und überall im Sinne einer Zurückhaltung und Ablenkung von antikapitalistischen und antiimperialistischen Kämpfen gehandelt. Ihr strategisches Ziel war die friedliche Koexistenz mit dem Imperialismus.

Der Stalinismus engte die Planwirtschaft auf die jeweiligen Landesgrenzen ein. Er verhinderte aktiv die Ausbreitung der proletarischen Revolution auf wirtschaftlich entwickeltere Regionen. Er schnitt die Ökonomien der degenerierten Arbeiterstaaten von den Vorteilen eines Zugangs zur höchsten Konzentration an Produktionsmitteln und von der Integration in die internationale Arbeitsteilung ab. Das Außenhandelsmonopol gewährt einen unverzichtbaren Schutz für den Arbeiterstaat gegen Konkurrenz durch billigere kapitalistische Güter. Aber das Ziel dieses Monopols ist nicht, alle agrarischen und industriellen Sektoren innerhalb der Grenzen eines jeden Arbeiterstaats einzurichten, die es im Rest der Welt gibt. Dieser Weg erwies sich als utopisch (z.B. Nordkorea und Albanien) und führte zu unnötigen und unnützen Opfern, die von der Arbeiterklasse in diesen Ländern mit einer Planwirtschaft erbracht wurden. Nur die Ausbreitung der sozialen Revolution in die Metropolen des Weltkapitalismus wird einen entscheidenden Durchbruch zum Aufbau des Sozialismus und einer globalen Planwirtschaft bringen. Das beschränkte, nationalistische Programm des „Sozialismus in einem Land“ ließ die Entwicklung der Produktivkräfte zurückbleiben – zuerst relativ, doch schließlich absolut.

Gerade die Unterdrückung der Arbeiterdemokratie sorgte dafür, daß der Plan der stalinistischen Bürokratie schlecht informiert war und die Bedürfnisse der Gesellschaft und der tatsächlichen Wirtschaft ignorierte. Die bürokratische Planung erzielte in den ersten Jahrzehnten einige Erfolge, als sie v.a. eine Angelegenheit der industriellen Ausweitung war. Zunehmend aber überstiegen Innovation und ständige technologische Erneuerung die Fähigkeiten bürokratischer Planung. Die herrschende Kaste hatte den dynamischen Quell der Konkurrenz abgeschafft und war zugleich unfähig und nicht bereit, die unmittelbaren Produzenten mit ihrem schöpferischen Eigeninteresse am Planungsprozeß teilnehmen zu lassen. Das Ergebnis war ein unvermeidbarer Fall der Arbeitsproduktivität und ein weiteres verheerendes Zurückbleiben hinter dem imperialistischen Kapitalismus.

Die Bürokratien verstanden es, wirtschaftliche Ressourcen für den eigenen üppigen Konsumbedarf und zur Absicherung ihrer Tyrannei einzusetzen. Je weiter Produktions- und Verteilungssektoren von diesen Prioritäten entfernt waren, desto mehr wurden Mängel und schlechtere Warenqualität zur Norm. Der Militär- und Verteidigungssektor einschließlich des riesigen Polizeiapparates genossen absoluten Vorrang, was Ausgaben anbelangte, und arbeiteten relativ effizient. Aber betreffs der Konsumbedürfnisse der Massen erwiesen sich die bürokratischen Planmechanismen als unfähig, hochwertige und massenhafte Güter herzustellen, die Arbeit zuhause oder in der Produktion zu erleichtern oder zu verkürzen und das Ausmaß und die Qualität der Freizeit zu steigern. Nach erstaunlichen Anfangserfolgen in Erziehung und Wohlfahrt wurden selbst sie Opfer der Stagnation bürokratischer Planung. Die Erfahrung von Versagen und Niedergang untergrub letztenendes national wie international selbst die Idee der ‚geplanten‘ Produktion im Bewußtsein der Arbeiterklasse. Die bürgerliche Propaganda konnte immer erfolgreicher die ‚Lehre‘ verbreiten, daß dies das notwendige Resultat aller Versuche, eine Wirtschaft zu planen, sei.

Aber die stalinistische Bürokratie war und ist kein Ausdruck der Planlogik selbst. Effektive Planung setzt die Kontrolle über die Produktion durch den zentralisierten und bewußten Willen der Produzenten selber voraus. Die Ziele der stalinistischen Kommandoplanung wurden durch einen winzigen Kern von Planern abgesteckt, die ihnen wiederum von einer bonapartistischen Clique von Spitzenbürokraten vorgeschrieben wurden. Die Wirkweise des Plans wurde wiederholt aus dem Gleichgewicht gebracht und unterbrochen durch rivalisierende Schichten von Partei und Wirtschaftsbürokratie. Die atomisierten und entfremdeten Arbeitskräfte, die weder über die Planziele entschieden noch sie verstanden, traten der Produktion zusehends mit Apathie entgegen. Eine chronische Stagnation steuerte in den 1980er Jahren auf eine kritische Lage zu und stürzte die herrschenden Bürokratien in immer tiefere politische Krisen.

Von Moskau bis Peking, von Belgrad bis Hanoi war die herrschende Kaste in einander befehdende Fraktionen gespalten. Alle Versuche, ihr System durch Beimengungen von ‚Marktelementen‘ und den sogenannten Marktsozialismus wiederzubeleben, waren zum Scheitern verurteilt; diese Maßnahmen zerrissen und desorganisierten den bürokratischen Plan, ohne ihn durch eine wirklich kapitalisische Ökonomie zu ersetzen, zunächst in Ungarn und Jugoslawien, am spektakulärsten dann unter Gorbatschow in der UdSSR. Die Zersetzung und der Zusammenbruch der Produktion, ein blühender Schwarzmarkt und Korruption, gigantische Budgetdefizite und Unternehmensbankrotte, aufgeschoben nur durch Hyperinflation, markieren die schreckliche und letzte Todesagonie der bürokratischen Planwirtschaft.

Für die Arbeiterklasse ist der Zweck der postkapitalistischen Eigentumsverhältnisse der Übergang zu einer klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. Sie ermöglichen die Planung der Produktion nach menschlichen Bedürfnissen, das Ende von Unterdrückung und die fortschreitende Beseitigung von Ungleichheiten. Dies zu erreichen erfordert die aktive und bewußte Teilnahme der Arbeiter als Produzenten und Konsumenten. Planung erfordert die Souveränität der unmittelbaren Produzenten, die – erstmals in der Geschichte – ein eigenes unmittelbares Interesse sowohl an der Entwicklung der Produktivkräfte als auch an deren schöpferischer Anwendung haben.

Arbeiterstaaten müssen einen Weg zunehmender ökonomischer Integration und gemeinsamer Planung einschlagen, um von der internationalen Arbeitsteilung, die selbst für eine sozialistische Ökonomie notwendig ist, den effektivsten Gebrauch zu machen. Die stalinistischen Bürokratien waren nicht fähig, diese Vorteile zu nutzen. Der erste Schritt eines gesunden Arbeiterstaats in diese Richtung würde die Errichtung von gemeinsamen Planungseinrichtungen für wichtige Branchen und gemeinsame Pläne für eine Gruppe von Staaten verbunden mit einer gemeinsamen Währung. Ein solches System kann nur durch die revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse selber, die ihre Ziele bewußt verfolgt, ins Werk gesetzt werden. Obwohl sich die bürokratische Planung überall im Todeskampf befindet, hat der Kapitalismus des ausgehenden 20.Jahrhunderts keine Fähhigkeit gezeigt, schnell einzuspringen und den Restaurationsprozeß zu finanzieren. Eine ausgedehnte Krisenperiode, in der das todgeweihte, seiner zentralen Schaltstelle beraubte Plansystem den endgültigen Triumph des Wertgesetzes behindert, eröffnet der Arbeiterklasse die Möglichkeit, die Illusionen in den Markt abzustreifen und das Programm des demokratischen Plans und der Rätedemokratie wiederzuentdecken.

Die stalinistischen Bürokratien sind historisch illegitime Kasten ohne Anrecht auf Privilegien. Von ihrer Entstehung an neigten sie zur Herausbildung von Fraktionen und Flügeln als Antwort auf den langfristigen Druck seitens des Imperialismus und der Arbeiterklasse. In UdSSR, Ungarn, Jugoslawien und China entwickelten sich Fraktionen, die allmählich dominanter wurden, und den Plan insgesamt demontieren und Preise, Löhne und Produktion durch ‚Marktmechanismen‘ bestimmen lassen wollten. Sie versuchten, den Soziallohn in Form der subventionierten Lebensmittel, Sozialdienste und Annehmlichkeiten, die den Arbeitern als Ergebnis der Beseitigung des Kapitalismus zugute kamen, abzuschaffen.

Diese Anwälte der Dezentralisierung, des freien Marktes und der Öffnung ihrer Ökonomien für die imperialistischen multinationalen Konzerne legten eine immer offener restaurationistische Haltung an den Tag und verzweifelten nicht nur an der bürokratischen Zentralplanung, sondern auch an der Fähigkeit ihrer Kaste, sich an der Macht zu halten.

Diese Fraktion war mit der Direktorenschicht eng verwoben und erhoffte sich eine Etablierung als direkte Agenten, wenn nicht gar Mitglieder einer neuen Kapitalistenklasse. Solche bewußten Restaurationisten waren, wie die Ereignisse in der UdSSR nach 1990-1991 zeigten, mit bemerkenswerter Geschwindigkeit imstande, ihr stalinistisches Hemd gegen sozialdemokratische, liberale, christdemokratische oder protofaschistische Farben einzutauschen.

In den späten 30er Jahren erwartete Trotzki, ein kleiner revolutionärer Kern würde aus den Reihen der Bürokratie kommen und sich mit der Arbeiterklasse in einer politischen Revolution verbünden. Er traute dieser Fraktion aber keine unabhängige geschweige denn führende Rolle in der Revolution zu. Fünfzig Jahre später in der Todeskrise des Stalinismus ist diese Fraktion nicht aufgetaucht; ihr Entstehen war und ist auch nicht zwingend.

1938 konnte Trotzki auf Ignaz Reiß verweisen, der 1937 vom KGB zur 4. Internationale gestoßen war. Für Trotzki repräsentierte Reiß einen solche Flügel der Bürokratie. Als anderes Extrem konnte er Fjodor Butenko als Repräsentanten des faschistisch-restaurationistischen Flügel der Bürokratie anführen, einen Sowjetdiplomaten bei der Botschaft in Rumänien, der 1938 zu Mussolini überlief. Trotzki sah bei der Mehrheit der Bürokratie unter Stalin den Versuch, durch immer wildere totalitäre Maßnahmen einer Zerschmetterung durch Restauration oder proletarische politische Revolution zu entgehen. Während sich Stalin seiner Einschätzung nach immer näher auf das restaurative Lager (in seiner faschistischen Form) zubewegte, schloß Trotzki nicht aus, daß Stalin und seine Fraktion einem offen restaurationistischen Angriff widerstehen könnten, Unter solchen Bedingungen sah Trotzki eine Notwendigkeit für revolutionäre Kommunisten, eine beschränkte militärische Einheitsfront zur Verteidigung der UdSSR zu bilden.

Die letztgenannte Perspektive erwies sich als richtig. Nach Trotzkis Ermordung wurde die defensive Einheitsfront zur Notwendigkeit, als der deutsche Inperialismus im Zweiten Weltkrieg in der UdSSR einmarschierte.

Durch den Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg wurde die Todesagonie des Stalinismus um 40 Jahre hinausgeschoben. Die fraktionellen Konstellationen in der Kremlbürokratie und den anderen Arbeiterstaaten änderten sich in dieser Periode von Grund auf.

Der Triumph der imperialistischen Demokratien im Krieg und die nach dem Krieg stattfindende, drei Jahrzehnte andauernde Ausdehnung der Produktivkräfte hauchte dem liberalen freien Marktkapitalismus neues Leben ein. Dies übte wiederum einen veränderten Druck auf die Bürokratien der UdSSR und der neuen degenerierten Arbeiterstaaten aus. Das Verstreichen vieler Jahre und die Zerstörung der revolutionären Generation 1917-1923, die revolutionäre Führungskrise und die Zerstörung von Trotzkis 4. Internatio nale Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre trugen zum Verschwinden der „Reiß-Fraktion“ bei. Nur eine teifgehende Entwicklung von unabhängigen Klassenorganisationen in einer revolutionären Krise und das Wiedererstehen einer bedeutenden internationalen revolutionären Kraft könnten zum Wiederauftauchen eines solchen Flügels in der Bürokratie führen, aber eine solche Entwicklung ist nicht, und war es auch für Trotzki nicht, ein wesentlicher Bestandteil von Perspektiven oder Programm der politischen Revolution.

Die mehrheitliche Fraktion der Bürokratie in der Todeskrise des Stalinismus nach 1985 wurde vom marktsozialistischen Flügel gestellt. Zur gleichen Zeit wurden offen restaurationistische Kräfte innerhalb und außerhalb der Bürokratie immer stärker. Gorbatschow, der Elemente des Bucharinismus wiederholte, strebte nicht die Restauration des Kapitalismus an. Vielmehr versuchte er am Beginn, die Marktmechanismen zu benutzen, um die Diktatur der Bürokratenkaste auf der Grundlage der nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse abzustützen. Aber seine Maßnahmen und die Allianz mit offen restaurationistischen Kräften zerbrachen letztenendes die bürokratische Diktatur und schuf eine Doppelmachtsituation mit der alten Bürokratie. In den letzten beiden Jahren war Gorbatschow gezwungen, sich immer mehr über die gespaltenen Lager zu erheben und einer schwachen Form von Bonapartismus Raum zu geben. Da er nur über ein utopisches, undurchführbares wirtschaftliches und politisches Programm verfügte, wand sich Gorbatschows Bonapartismus zwischen den beiden Lagern und verwendete die Stärke des einen Lagers, um den Druck des anderen aushalten zu können.

Schließlich begingen die Spitzen der KPdSU-Parteibürokratie und der inneren Sicherheit im August 1991 einen mißlungenen Putschversuch, um den Aufstieg der offen pro-imperialistischen und zur Auflösung der UdSSR bereiten Kompradorenkräfte unter Jelzin zu vereiteln. Der fehlgeschlagene Putsch enthüllte deutlich den Mangel an einer soliden sozialen Basis für die konservative Bürokratie in der Bevölkerung, aber ebenso einen mangelnden Glauben an die eigene Mission auf Seiten der Hardliner in der Bürokratie. Als Folge dieses Fehlschlags beerbte Jelzin die Gorbatschowsche Exekutiv- und Präsidialmaschinerie, stärkte deren Macht und benutzte sie im Dienst einer restaurativen Wirtschaftspolitik mit Blitzschocktherapie. Aber das Scheitern des Putschversuches und Jelzins Übernahme der Exekutive lösten die Doppelmacht zwischen den rivalisierenden Sektionen der Bürokratie nicht auf, sondern verschärften den Widerspruch nur und brachten die Fraktionen in direkten Konflikt miteinander ohne die Bremsung durch Gorbatschows Bonapartismus.

In den degenerierten Arbeiterstaaten Osteuropas wirkte die Gorbatschow-Politik nach 1985 wie ein Katalysator und beschleunigte die Entwicklungen in der Ökonomie und brachte die entscheidende Auseinandersetzung zwischen konservativen Bürokraten und bürgerlichen Restaurationisten immer näher. 1989 signalisierte Gorbatschow, daß die in Osteuropa stationierten, sowjetischen Streitkräfte die nationalen Bürokratien nicht vor heimischem Protest und Forderungen nach radikalen Reformen schützen würde. Der rasche Aufschwung der undifferenzierten „demokratischen“ Massenbewegungen stellte eine solide Grundlage für die demokratische Intelligenz und den Marktflügel der Bürokratie her – soziale Schichten, die in Osteuropa weit größer waren als in der UdSSR. 1989/1990 zerbröckelten der Parteiapparat, die Geheimpolizei und die Streitkräfte in ganz Osteuropa angesichts des Massenprotests. Zwischen 1989 und 1991 brachten Parlamentswahlen Regierungen an die Macht, die sich aus bürgerlichen Kräften oder Parteien, klassenübergreifenden Volksfrontregierungen oder Reformflügeln der stalinistischen Parteien (wie in Rumänien oder Bulgarien) zusammensetzten. Dieser Prozeß schloß die Lostrennung der baltischen Republiken von der UdSSR mit ein. Die einzige Ausnahme bildete Serbien. Im Gegensatz zu Rußland war die Doppelmacht und der Zerfall des staatlichen Überbaus nicht von langer Dauer. In den Nachfolgestaaten der Sowjetunion lag der Grund für den sich länger hinziehenden Restaurationsprozeß ausschließlich in den objektiven ökonomischen Schwierigkeiten bei der Umwandlung der wesentlichen Produktionsmittel in Kapital.

In China hat Deng Xiaoping – im Gegensatz zu Gorbatschows Strategie, Umstrukturierung (Perestroika) mit Öffnung (Glasnost) und schließlich Demokratisierung zu verbinden – versucht, radikale Marktreformen mit entschiedener Verteidigung der Parteidiktatur zu verbinden und dabei zu blutiger Unterdrückung am Platz des himmlischen Friedens gegriffen. Die chinesische Bürokratie hat eine kurzfristige Chance für dieses Amalgam; Polizeidiktatur für die Arbeiter und die städtische Intelligenz einerseits, ein fast freier Markt für die Bauernschaft sowie enorme Zugeständnisse an den Kapitalismus in besonderen Wirtschaftszonen andererseits. Die historische Gegebenheit, die diese Chance hervorbrachte, ist die Riesengröße und das soziale Gewicht von Chinas Bauernschaft und ihre Rolle nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Kasernen. Deng hat einen fast völlige Marktwirtschaft gestattet, um das Land zu entwickeln. Seine Fraktion hat für eine begrenzte Zeit die passive oder sogar aktive Unterstützung der Bauern erkauft und dadurch den historischen Grundstein für den Bonapartismus gelegt. Aber die ganze Logik des raschen Wachstums der Marktkräfte im ländlichen China und in den Sonderzonen wird auf die chinesische Bürokratie Druck ausüben und sie entzweien. Wenn sie sich spaltet und gezwungen ist, ihren gegenseitigen Vernichtungskrieg auf der Straße auszutragen (wie in den 60er und 70er und dann wieder Ende der 80er Jahre), wird China vor der krassen Alternative soziale Konterrevolution oder proletarische politische Revolution stehen. Auch in China wird die revolutionäre Führung der entscheidende Faktor sein, der den Ausgang der Krise bestimmt.

Die Erfahrungen von China, Rußland und den anderen degenerierten Arbeiterstaaten bestätigen, daß nicht alle Befürworter von Schocktherapien und rascher Restauration, die aus der stalinistischen Bürokratie kamen, bürgerliche Demokraten oder Liberalisierer sind.

Ebenso wenig sind die meisten der autoritären bürokratischen Konservativen der Verteidigung der bürokratisch geplanten Eigentumsverhältnisse verbunden. In der UdSSR zum Beispiel hat sich der konservative Flügel der Bürokratie schnell zur großrussisch-chauvinistischen und antisemitischen Kraft gemausert und benutzt populistische und nationalistische Parolen, um die rückständigste Teile der Gesellschaft gegen die demokratischen Rechte der Arbeiter und unterdrückten Minderheiten aufzuwiegeln. Faschistische und vorfaschistische Gruppen mit direkten Verbindungen zum früheren KGB und zur Armee sind entstanden. Gruppen wie Naschi und Schirinowskis Liberal Demokratischen Partei lehnen die Zusammenarbeit mit dem westlichen Imperialismus ab, aber nur deshalb, weil ihr Programm auf die Restauration eines spezifisch russischen Imperialismus abzielt.

Die autoritärsten Elemente in der Bürokratie erkennen in solchem Proto-Faschismus ein Bollwerk gegen die Bedrohung einer proletarischen politischen Revolution und eine mögliche Alternative zur zukünftigen Beherrschung durch ausländisches Kapital. Das Wachstum von faschistischen und halb-faschistischen Kräften spiegelte sich am klarsten im Sieg von Schirinowski bei der Dumawahl vom Dezember 1993 wider. Die zukünftige Entwicklung des Faschismus hängt zum Teil vom Ausmaß der Belebung der Arbeiterbewegung in den kommenden Jahren ab. Wenn der Widerstand der Arbeiterklasse den ökonomischen und politischen Angriffen der Restaurationisten gewachsen ist, steigt die Gefahr einer faschistischen Massenbewegung, die diesen Widerstand zerschlagen könnte. Ein weiterer Faktor, der diese Entwicklung fördert wäre ein Anhalten der Schwäche der russischen embryonalen Bourgeoisie und eine fortdauernde Stagnation des Restaurationsprozesses selbst. Dies könnte jenen Flügel in der Bürokratie fördern, der einen staatskapitalistischen Weg zum Kapitalismus einschlagen will. Um sich eine Massenbasis zu verschaffen, könnten sich diese Kräfte einer Mobilisierung von lumpenproletarischen und kleinbürgerlichen Massen durch chauvinistischen und faschistische Parolen bedienen und sie zur Zerschlagung ihrer Rivalen in der Bürokratie und der Drohung einer Explosion von Widerstand der Arbeiterklasse zu verwenden.

Die restaurationistischen Regierungen erwarten alle Beistand vom Imperialismus. Aber dieser, obwohl er die endgültige und völlige Wiederherstellung des Kapitalismus in den degenerierten Arbeiterstaaten sehnlichst herbeiwünscht, besitzt einfach nicht die Ressourcen, eine rasche Umwandlung frei von revolutionären Krisen zu gewährleisten. Nur in einem Staat, der DDR, war eine solche rapide Restauration möglich, was die stärkste europäische imperialistische Macht gewaltig belastet. Trotz der Errichtung von restaurativen Regierungen gibt es eine ausgedehnte Periode, in dem das Programm der politischen Revolution mit einem antikapitalistischen, antirestaurationistischen Programm verbunden werden kann und muß.

Die verbliebenen Errungenschaften der Arbeiterstaaten müssen bis zum bitteren Ende verteidigt werden, wie schon Leo Trotzki sagte. Nur jene, die fähig sind, die alte Errungenschaften zu verteidigen, werden auch neue schaffen können. Nicht nur die Arbeiterklasse der degenerierten Arbeiterstaaten, sondern die der ganzen Welt wird unter deren völligen Zerstörung leiden. Global würde dies die Arbeiterklasse mindestens für einen bestimmten Zeitraum desorientieren und ideologisch entwaffnen. Außerdem verlieren die anti-imperialistischen Kämpfe der Halbkolonien einen wesentliche, wenn auch letztenendes unzureichende Quelle von Waffen- und Hilfsgüterlieferungen. Der unbeschränkte imperialistische Zugang zu Rohstoffen, billiger Arbeitskraft und Märkten der degenerierten Arbeiterstaaten könnte den Weg für eine neue, wenngleich beschränkte Expansionsperiode in der imperialistischen Epoche eröffnen. Dies könnte nichtsdestotrotz den innerimperialistischen Konkurrenzkampf weiter anheizen und eine Neuaufteilung der Welt beschleunigen. Dieser Prozeß wäre konfliktreich und würde das Gespenst von interimperialistischem Krieg und Revolution aufs Neue heraufbeschwören.

Während sich der bürokratische Plan auflöst. kann nur die proletarische politische Revolution die geplanten Eigentumsverhältnisse verteidigen, wiederherstellen und dann ausdehnen und hierdurch das Wiedererstarken des Imperialismus verhindern.

Das Weltproletariat muß seinen Geschwistern in den degenerierten Arbeiterstaaten Beistand leisten zur Verteidigung der verbliebenen geplanten Eigentumsverhältnisse. Das staatliche Außenhandelsmonopol, die Vergesellschaftung der Industrie und das Planprinzip müssen gegen innere Restauration und imperialistischen Angriff verteidigt werden. Mit diesen wirtschaftlichen Errungenschaften verteidigen wir die Voraussetzungen für den Übergang zum Sozialismus, nicht die über sie herrschende Bürokratie.

Gegenwärtig verlassen sich die Imperialisten vornehmlich auf die ökonomischen Hebel für die Durchführung der Restauration des Kapitalismus. Aber jeder Halt, jede ernsthaft Umkehr des Vorgangs der sozialen Konterrevolution könnte zu einer direkten militärischen Intervention führen, um diese Restauration gegen den Widerstand der Arbeiterklasse zu vollenden. Das Weltproletariat muß weiterhin für die bedingungslose Verteidigung der degenerierten Arbeiterstaaten gegen den Imperialismus und seine Agenten eintreten. Deshalb sind wir gegen jede Einschränkung der militärischen Schlagkraft der degenerierten Arbeiterstaaten sowohl atomar wie konventionell, was diese Staaten militärisch oder diplomatisch erpreßbarer machen würde.

Für die Arbeiterklasse ist die beste Verteidigung der geplanten Eigentumsverhältnisse immer noch der Angriff auf die stalinistischen Bürokratien, die sie in den Ruin getrieben haben und dies noch weiter tun. Das Programm für die proletarische politische Revolution, ebenso wie das für den Kampf gegen den Imperialismus, ist keines für die bloße „Demokratisierung“ des existierenden Staates. Es darf auch nicht auf klassenunspezifische Forderungen nach „Volksmacht“ verkürzt werden, die nicht klarstellt, welche Klasse die Macht innehaben soll. Es ist ein Revolutionsprogramm, für die Errichtung einer vollen proletarischen Diktatur und gegen Bürokratie, restaurationistische „Demokraten“ und Imperialisten.

Für eine politische Revolution!

Das Wesen des Programms der politischen Revolution, gleich dem Programm der sozialen Revolution in den kapitalistischen Staaten, liegt in der Verbindung der stattfinden Kämpfe für die unmittelbaren Bedürfnisse der Arbeiterklasse mit dem Kampf um die politische Macht. Durch die Verzahnung der unnachgiebigen Verteidigung von Arbeiterinteressen mit den Taktiken der Massenmobilisierung, unabhängiger politischer Organisierung und der Installierung von Arbeiterkontrolle können Revolutionäre die Arbeiterklasse auf die Machtergreifung vorbereiten. In allen Kampfbahnen muß sich das Proletariat seiner besonderen Interessen und Identität bewußt werden, muß zur Klasse für sich werden.

Für unabhängige Organisierung am Arbeitsplatz!

Aufgrund des Wesens der degenerierten Arbeiterstaaten muß jede unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse unmittelbar mit der Macht der bürokratischen Staatsmaschine zusammenstoßen. Gleichgültig, welcher Grund für die Mobilisierung vorliegt, diese Kollision stellt die Arbeiterklasse vor die Notwendigkeit, das Recht auf Organisierung zu erringen. Unabhängige Klassenorganisation und -bewußtsein sind eine Vorbedingung für den Auftritt der Arbeiterinnen und Arbeiter als unabhängige Kraft in den breiten oppositionellen Massenbewegungen gegen den Stalinismus.

Die gesellschaftliche Macht des Proletariats ruht in der Produktion, und die Klasse muß hier organisiert werden. In jedem Betrieb müssen demokratische Massenversammlungen höchste Autorität erhalten. Auf diesen Versammlungen gewählte und abwählbare Arbeiterkomitees müssen sich für Arbeiterkontrolle in jeder betrieblichen Angelegenheit, einschließlich des Streikrechts und des Vetorechts gegen Direktoren- und staatliche Pläne engagieren.

Für freie Gewerkschaften!

Überbetrieblich braucht das Proletariat von den Stalinisten unabhängige Gewerkschaften als zentrales Element bei seiner Organisation als Klasse. Gleich ob sich diese im Gefolge einer durchgreifenden Säuberung der bestehenden ‚Staats’gewerkschaften oder im Kampf neu formieren, sie müssen verantwortlich vor und kontrollierbar von ihren Mitgliedern sein. Alle Gewerkschaftsfunktionäre müssen gewählt und abwählbar sein, frei von der „führenden Rolle der Partei“, und müssen nach dem Durchschnittsverdienst ihrer Mitglieder entlohnt werden.

Von demokratischen Rechten zu einer wahren Arbeiterdemokratie

In den Auseinandersetzungen, die die Todeskrise des Stalinismus einleiteten, traten die Massen den Kampf gegen die Bürokratie hinter Forderungen nach zentralren demokratischen Rechten an. Die Aufgabe des Aufbaus der revolutionären Partei beinhaltet, die Arbeiterklasse zu drängen, an der Front dieses Kampfes zu stehen, ihn zu führen und revolutionäre und proletarische Organisationsformen zur Durchsetzung der Ziele zu benutzen. Die Arbeiter dürfen der Bürokratie oder einem Flügel davon in diesem Kampf nicht erlauben zu entscheiden, wer Nutznießer demokratischer Rechte sein darf und wer nicht. Die Bürokratie hat sich teilweise oder ganz als Hauptagent der Restauration erwiesen und scheidet auf jeden Fall als vertrauenswürdiger Wächter über die nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse aus. Die Bürokratie ist nur so weitan demokratischen Zugeständnissen interessiert als sie selbst braucht, um Koalitionen mit anderen Kräften eingehen und eine neue Ausbeuterklasse werden zu können. Die Arbeiterklasse hat alles Interesse an der vollsten und revolutionärsten Ausweitung der demokratischen Rechte, um obiges Vorhaben zu vereiteln und um die Entfaltung ihres eigenen Klassenbewußtseins zu beschleunigen, d.h. um sie zum Erkennen von Freund und Feind zu befähigen.

Wo die Kommunistischen Parteien immer noch die Medien und die Wahlvorgänge monopolisieren, kämpfen wir dagegen an.

• Nieder mit den Zensurgesetzen der Bürokratie. Die Arbeiter selber sollen darüber entscheiden, was veröffentlicht und gesendet wird.

• Für den Zugang aller Arbeiterorganisationen zu Presse, Rundfunk und Fernsehen unter Arbeiterkontrolle. Die Arbeiter müssen faschistischer, pogromistischer und rassistischer Propaganda ihren eigenen Bann auferlegen. Genausowenig darf es Pressefreiheit oder Zugang zu den Medien für die prorestaurativen Kräfte geben, die den gewaltsamen Sturz des Arbeiterstaates vorbereiten.

• Alle Wahlkandidaten müssen eine Rechenlegung ihrer Wahlkampffinanzierung geben. Die Massen sollten ein Veto einlegen gegen Kandidaten, die heimlich Gelder vom Regime oder konterrevolutionären Agenturen wie CIA, den Kirchen oder reaktionären nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) erhalten.

• Jedes neue Gesetz, das der „reformistische“ Flügel der Bürokratie vorschlägt, muß in freier Aussprache von den Arbeitern diskutiert werden. Jedes Gesetz muß eine gewählte Arbeitergerichte in den Mittelpunkt der Rechtsmaschinerie stellen. Für die Freilassung aller politischen Gefangenen und Vorführung vor ein Arbeitergericht, das darüber entscheidet, was weiter mit ihnen zu geschehen hat.

• Für das Recht, Parteien zu gründen, außer für Faschisten, Pogromisten, Rassisten, jene Restaurationisten (auch jene, die aus der Nomenklatura stammen), die einen Bürgerkrieg organisieren wollen, und jene, denen aus anderen Gründen ein Verbot von der Arbeiterbewegung erteilt worden ist. Wir verteidigen diese Parteien nicht gegen die Verfolgung seitens konservativ stalinistischer Regimes oder bürgerlich restaurativer Regierungen. Aber gleichzeitig sprechen wir solchen Regierungen das Recht ab, darüber zu urteilen, wer konterrevolutionär ist und wer nicht. Nur eine revolutionäre Arbeiterregierung kann das tun. Die Arbeiter selber, nicht die Bürokratie, müssen entscheiden, welche Parteien sie als loyal zur eigenen Staatsmacht anerkennen.

• Wir treten für die Bloßstellung von arbeiterfeindlichen Programmen verwirrten oder versteckt restaurativer Parteien ein und dafür, ihnen durch politischen Kampf eine Massenbasis zu entziehen. Wir sollten für sorgsame Überwachung ihrer Aktivitäten und strenge Vorkehrungen gegen jeden Umsturzversuch wider die proletarische Diktatur eintreten. Für das Recht jeder Gruppe von Arbeitern und Kleinbauern, Kandidaten bei allen Wahlen aufzustellen.

• Für die Zerschlagung des repressiven Staatsapparat der Bürokratie, dem Werkzeug von Tyrannei gegen die Arbeiterklasse und dem Werkzeug, das die Stalinisten zur kapitalistischen Restauration benützen. Dieser Apparat wurde von der Bürokratie nach dem Bild der kapitalistischen Staatsmaschine entworfen. Die politische Revolution muß ihn auf dem Weg zur Schaffung eines gesunden Arbeiterstaates zerschlagen. Für volle politische Rechte von Soldaten, das Recht auf Abhaltung von Versammlungen in den Kasernen, Soldatenräte ohne Kontrolle durch Offiziere und Befehlshaber zu wählen. Für ihr Recht, Zeitungen herauszugeben sowie das Recht auf Zugang zu den Medien. Außerdem sollen alle einfachen Soldaten und Seeleute das Recht auf freie Wahl der Offiziere haben. Für das Recht aller von ihrer Stationierung im Ausland zurückkehrenden Soldaten auf annehmbare, erschwingliche Wohnungen für sich und ihre Familien und auf Umschulung und eine neue Arbeitsstelle nach ihrer Demobilisierung haben.

• Für die Auflösung der Geheimpolizei und die Bestrafung aller, die Verbrechen an der Arbeiterklasse begangen haben. Ein demokratischer Arbeiterstaat braucht keine Geheimpolizei. Den Komplotten der konterrevolutionären Kräfte kann durch Arbeitersicherheitsausschüsse entlang der Linie der revolutionären Tscheka von 1917 begegnet werden. Für die Auflösung des stehenden Heers der Bürokratie und dessen Ersetzung durch eine revolutionäre Arbeiterarmee, die mit den Territorialmilizen der Arbeiter verbunden ist.

Nieder mit Vorrechten und Ungleichheiten!

Eines der frühesten Anzeichen für den Sieg der stalinistischen politischen Konterrevolution in der UdSSR war die arrogante Verurteilung des Gleichheitsgedankens als kleinbürgerliche Abweichung. Aber im Gegenteil der Wunsch nach Gleichheit und der Haß auf Privilegien sind instinktive und grundlegende Bausteine des proletarischen Klassenbewußtseins, wie Trotzki vorhersagte. Auf dem Weg zur endgültige Ausschaltung der Bürokratenherrschaft müssen die Arbeiter für die sofortige Beendigung jeglicher Mißbräuchekämpfen. Sie müssen gegen den grotesk privilegierten Lebensstil der Bürokratie zu Felde ziehen.

• Die Spezialläden müssen schließen, und die bislang der Bürokratie vorbehaltenen Sanatorien, Heilstätten und Freizeitmöglichkeiten müssen den Arbeitern und armen Bauern offenstehen. Partei- oder Staatsfunktionen dürfen nicht länger Zugang zu Privilegien und Luxus bedeuten. Kein Partei- oder Staatsfunktionär darf mehr verdienen als einen durchschnittlichen Facharbeiterlohn. Im Betrieb muß ein Kampf für das Recht der Arbeiter zur Entlassung aller Funktionäre und Manager, die sich der Korruption oder der Verfolgung von Arbeitern schuldig gemacht haben, entfacht werden.

Arbeiterkontrolle über die Produktion und der Plan

Die ökonomischen Entscheidungen in einer Planwirtschaft sind nicht hinter einer Nebelwand von „Marktkräften“ wie unterm Kapitalismus verborgen. Sie sind politische Entscheidungen, die die Bürokratie fällt. Jedes Aufbegehren gegen die Entscheidungen der Bürokratie, egal in welchem Bereich, ist demzufolge zugleich ein Angriff auf das Recht der Bürokratie, den Wirtschaftsplan zu kontrollieren. Da diese Kontrolle Stagnation und Niedergang gebiert, versuchen der Marktflügel der Bürokratie und andere restaurationistische Kräfte, den Arbeiterkampf vom Staat abzulenken, indem die Arbeitern ermuntert werden, „Selbstverwaltung“ ihrer Unternehmen, frei von der bürokratischen Einmischung des Zentralplans zu fordern. Diese Doktrin des „Marktsozialismus“ ist eine reaktionäre Ablenkung, die dazu gedacht ist, die beschränktesten Formen der Betriebsisolationismus zu fördern, das Proletariat als Klassenkraft zu spalten und den Zentralplan selber auszuhebeln. Dagegen müssen Revolutionäre auftreten, damit durch die Forderung nach Arbeiterkontrolle über den Plan jeder Arbeiterkampf zu einem bewußten Affront gegen die Macht der Bürokraten wird.

• Dies muß auf Betriebsebene mit der Öffnung der Bücher für Arbeiterinspektionen beginnen und auf Orts-, Regional- und landesweiter Ebene fortgesetzt werden. Dieser Kampf muß die Arbeiter in den Planungsministerien einbeziehen, um die wirklichen Prioritäten der Sitzen der Bürokratie und ihren Betrug, ihre Korruption und schiere Unfähigkeit zu enthüllen.

Durch die Abwehr der bürokratischen Planung und die Einführung der Klassenprioritäten im Plan schützt die Arbeiterklasse nicht nur ihren Lebensstandard und ihre Lebensbedigungen, sondern bildet die Organisationen, die die Grundlage eines revolutionären Arbeiterstaates darstellen werden. Diese Organisationen sind der Mechanismus, durch den der Arbeiterstaat eine demokratisch zentralisierte Planwirtschaft erreichen wird. Ein isolierter revolutionärer Arbeiterstaat muß mit den Marktkräften leben und sie benützen, aber gleichzeitig danach streben, sie zu überwinden. Fraglos haben Elemente der stalinistischen bürokratischen Ausblendung des Marktes tatsächlich dazu gedient, die Entwicklung von Sektoren der Sowjetwirtschaft zu verzögern. Dies ist nirgends deutlicher geworden als in der Landwirtschaft und bei Massenkonsumgütern. In diesen Bereichen muß unser Programm auf folgenden Elementen aufbauen:

• Nieder mit der Sklaverei von Arbeitern auf staatlichen und kollektivierten landwirtschaftlichen Betrieben. Für kollektivierte Landwirtschaftsbetriebe, die von den Werktätigen selber bewirtschaftet werden. Keine Rückkehr zur privaten Familienklitsche.

• Für die demokratische Reorganisation der Landwirtschaftsbetriebe, die auf der Demokratie der in der Landwirtschaft Tätigen, nicht auf den Launen der Funktionären fußt. Für Landarbeiterräte, deren Repräsentanz nach Arbeitskolonnen festgelegt ist und ihnen unmittelbar verantwortlich sind. Die landwirtschaftliche Erzeugung muß in den landesweiten Produktionsplan eingebaut sein.

• Für eine massive Finanzspritze zur Angleichung des materiellen und kulturellen Niveaus des Landes an das der Städte und damit zur Überwindung der himmelschreienden Unterschiede der Lebensbedingungen von beiden Lebensräumen.

• Gegen alle Reformen, die den Einfluß des imperialistischen Finanzkapitals auf die Ökonomien der Arbeiterstaaten verstärken; gegen die Abschaffung des staatlichen Außenhandelsmonopols, gegen Joint Ventures, wo die Arbeiterrechte im Vergleich zum Standard in den Staatsbetrieben gemindert werden. Wir treten der Unterwerfungspolitik der Bürokratie unter das Diktat des IWF entgegen. Deren verheerende Folgen sind am klarsten schon in Jugoslawien, Polen und Ungarn zu sehen.

• Wir fordern von der Bürokratie die Nichtigkeitserklärung aller Schulden an das internationale Finanzkapital. Ein revolutionäres Arbeiterregime wird entscheiden, welche Verpflichtungen vom Standpunkt revolutionärer Zweckmäßigkeit einzulösen sind. Ein Arbeiterrätestaat wird die ausgebeuteten Massen überall zur Mobilisierung für eine vollständige Zurückweisung aller Außenschulden und die Enteignung der imperialistischen multinationalen Konzerne aufrufen.

Parlamentswahlen und -versammlungen

Die Folge von Jahrzehnten politischer Unterdrückung und ökonomischer Inkompetenz seitens der Bürokratie haben sich weitreichende Illusionen in die bürgerlich parlamentarische Demokratie aufgebaut. Sowohl Bürokratie wie probürgerliche Opposition haben diese Illusionen genutzt, um die Selbstorganisierung der Arbeiterklasse abzublocken und insbesondere die Herausbildung solcher Arbeiterräte zu ersticken, wie sie während der ungarischen Revolution 1956 oder auf niedrigerem Niveau in Polen und Tschechoslowakei in den politisch revolutionären Situationen der 50er und 60er Jahre und 1980-1981 auftauchten. Nur in Rumänien im Aufstand 1989-1990 entstanden embryonale Arbeiterkomitees und spielten eine wichtige Rolle bei den Streiks, die die Ceaucescu-Regierung zu Fall bringen halfen. Anderswo wurden hastig Mehrparteien-Parlamentswahlen anberaumt, um den Weg für die Arbeiterselbstorganisation, direkte Demokratie und für die Beteiligung der Massen an der Politik zu blockeren.

Unser Programm zielt nicht auf die Errichtung bürgerlicher Parlamente in den Arbeiterstaaten. Gewählt durch eine atomisierte Wählerschaft, unfähig, ihre Vertreter zur Rechenschaftslegung anzuhalten, und getrennt von der vollziehenden Gewalt können Parlamente niemals ein angemessener Ausdruck von Arbeitermacht sein. Diese Einrichtungen assistieren direkt den restaurativen Plänen der Bürokratie oder aufkommenden Bourgeoisie. Die parlamentarischen Repräsentanten, die von ihren Wählern nicht abberufen werden können, sind eminent korrumpierbar von den Wohlstands- und Machtträgern. Wenn die herrschende Bürokratie versucht, ihre Herrschaft durch die Implementierung von Parlamentswahlen zu stabilisieren, setzen wir dem die proletarische Demokratie der Arbeiterräte entgegen. Wir wollen ihre Formation als Kampforgane gegen die Bürokratie und als Demokratieorgane eines revolutionären Arbeiterstaates durchsetzen.

Aber wo solche revolutionären Losungen noch keinen Widerhall im Bewußtsein oder Erfahrungsschatz der Massen finden, wäre es eine sektiererische Bankrotterklärung, wollte man sich damit zufrieden geben. Wir müssen jede Chance zur Organisierung der Arbeiterklasse ausloten, damit sie als politisch unabhängige Kraft in die jetzige politische Lage eingreifen kann. Und wenn es – im Gegensatz zu unseren Vorstellungen Parlamentswahlen sind, dann müssen die Arbeiter auch dort kämpfen.

• Wir sind gegen jeden Versuch der Bürokratie, den Wahlvorgang durch Verbote für Kandidatenlisten oder wählbare Parteien zu manipulieren oder zu beschränken. Wir bekämpfen Wahlmanipulationen der Bürokratie. Wir setzen uns für die Prinzipien und gewisse Formen der proletarischen Demokratie ein. Wir kämpfen dafür, daß Arbeiter ihre eigenen Kandidaten aufstellen, die auf Arbeiterversammlungen in Betrieben und Arbeiterbezirken gewählt worden sind. Wir kämpfen dafür daß sie auf einem Arbeiterprogramm stehen gegen Bürokratenherrschaft, Privilegien und alle Formen der Restauration. Dieses kämpferische Aktionsprogramm muß für die Verteidigung der Rechte nationaler Minderheiten, aller Arbeiterrechte und -errungenschaften aufgreifen. Wir kämpfen dafür, daß alle Kandidaten den Arbeiterversammlungen gegenüber Rechenschaft ablegen müssen und nur Bezüge in Höhe des Durchschnittslohn eines Facharbeiters erhalten.

Revolutionäre Kommunisten übernehmen keine Verantwortung für die Form eines bürgerlichen Parlaments in einem Arbeitsstaat. Die Volkskammer ebenso wie der Oberste Sowjet waren Schöpfungen der Stalinisten. Sie haben die eigentlichen Sowjets entweder zerstört oder nicht gewagt, derartiges zu schaffen. Dennoch müssen wir die demokratischen Illusionen der Massen ernsthaft aufgreifen, insbesondere wo die aufkeimenden bürgerlichen Kräfte die „Demokratisierung“ solcher Parlamente zur Schaffung eines permanenten und stabilen Instrumentes für die Restauration des Kapitalismus nutzen wollen. Unser Ziel ist die Verhinderung der Errichtung einer solchen stabilen parlamentarischen Regimes. Wenn die Restaurationisten eine legale und institutionelle Grundlage für die kapitalistische Herrschaft schaffen wollen, durch bonapartistische Plebiszite oder Abstimmungen in bestehenden undemokratischen Versammlungen, wo Arbeiter noch keine Erfahrung mit Sowjets haben oder die Erinnerung daran ausgelöscht worden ist, können und sollen Revolutionäre zur revolutionär demokratischen Forderung nach einer souveränen verfassunggebenden Versammlung zurückkehren. Das ist kein Ruf nach einem Parlament (d.h. permanentem Gesetzgeberorgan, Element der Gewaltenteilung der bürgerlichen Herrschaft), sondern der Versuch, eine Arena zu schaffen, in der sich die Vertretungen der widerstreitenden Klassen treffen und sich um die politische Form und den eigentlichen Klasseninhalt des Staates, wie in der Verfassung niedergelegt, kämpfen. Wir glauben natürlich nicht, daß die Schlacht zwischen Restauration und proletarischer Macht in einer Versammlung entschieden werden kann, aber die versteckten und offenen Agenten der Restauration können dort vor den Augen der Massen bloßgestellt werden.

Unter diesen Verhältnissen ist es die Aufgabe von revolutionäre Kommunisten, zur Vorhut im revolutionär demokratischen Kampf zu werden, um nach Möglichkeit diese Waffe der politischen Demokratie den inkonsequenten (halb-bonapartistischen) bürgerlichen Demokraten zu entwinden. Wir sollten die Losung der verfassungsgebenden Versammlung vorbringen, um die Restaurationisten zu überflügeln, die demokratische Slogans für sich monopolisieren wollen, in Wirklichkeit aber nichts anderes im Schilde führen, als die Macht des Parlaments extrem zu beschneiden und es mit bonapartistischen Kontrollen zu umgeben, falls diese Institution zu sehr unter den Druck der Massen geraten sollte. Wir können diese mit dem Kampf für das revolutionär demokratische Recht auf Abrufbarkeit tun.

• Jeder Abgeordnete muß der sofortigen Abwahl durch die Wählermehrheit unterworfen werden. Wir müssen uns dafür einsetzen, daß der Großteil der Wahlkampagne auf Massenversammlungen in Betrieben stattfindet, wo die Kandidaten mit ihrem Programm auf Herz und Nieren geprüft werden können. Wir müssen für freien und gleichen Zugang zu den Medien für alle Kandidaten außer Faschisten oder gewaltsamen Umstürzlern der Planwirtschaft kämpfen.

Selbstredend kann jede verfassungsgebende Versammlung sich als Moment der Konterrevolution, der Zerstörung der geplanten Eigentumsverhältnisse im Arbeiterstaat entpuppen. In dem Fall müssen wir ihre Absichten vor den Augen der Massen demaskieren und die Arbeiter dazu mobilisieren, die verfassungsgebende Versammlung aufzulösen.

Für Demokratie der Arbeiterräte

Um die Diktatur der Bürokratie zu stürzen, muß sich die Arbeiterklasse eigene Mittel zur Ausübung der Staatmacht suchen. Die im Kampf gegen die Bürokratie entstandenen unabhängigen Organisationen müssen zu echten Arbeiterräten zusammengeschweißt werden. Diese Räte werden den massenhaften Aufstand der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten, der ländlichen Armut, und die Zerschlagung der ganzen repressiven Maschinerie des stalinistischen Staatsapparats, dem Mittel zur Aufrechterhaltung der politischen Diktatur der Bürokratie über das Proletariat organisieren. Wie beim bürgerlichen Staat, nach dessen Vorbild er geformt ist, sind die wesentlichen Elemente der stalinistischen Staatsmaschine die ’spezialisierten bewaffneten Organe‘ und ihr Apparat von Spitzeln, Kerkermeistern und Folterknechten. Selbst wo die bürokratische Kaste intern gespalten ist, nutzt sie, solange die vorherrschende Fraktion diesen Apparat kontrolliert, ihn auch zur Verteidigung gegen die aufständischen Massen, wie das Massaker vom Tiananmen-Platz wieder einmal bestätigt hat. Die Speerspitze des Programms der politischen Revolution ist also die Bildung von Arbeiterräten und die Bewaffnung des Proletariats.

Wie die russische Revolution zeigte, ist der Arbeiterrat die Form zur Machtausübung der Arbeiterklasse in einem gesunden Arbeiterstaat. Verankert in den Fabriken, den Arbeiterwohnvierteln und den unterdrückten Schichten der Gesellschaft organisieren die Räte die großen Massen der ehemals Ausgebeuteten, um die Herrschaft im eigenen Staat anzutreten. Die Delegierten in den Arbeiterräten werden auf Arbeitermassenversammlungen direkt gewählt. Sie sind ihrer Wählerschaft verantwortlich und deshalb jederzeit von ihr abberufbar. Arbeiterräte sind Organe der Klassenmacht, d.h. Kapitalisten sind von den Wahlen ausgeschlossen. Den herrschenden Sektionen der Bürokratie muß ebenfalls das Stimmrecht entzogen werden. Wir bekämpfen politisch jene Vertreter der Bürokratie, in die die werktätigen Massen noch Illusionen haben. Die politische Revolution kann nur erfolgreich sein, wenn die Bürokraten aus den Arbeiterräten verjagt sind.

Der Arbeiterrat vereint in sich vollziehende und gesetzgeberische Funktionen, was einer lebendigen Rätedemokratie ermöglicht, die Staatsbürokratie zu kontrollieren, zu reduzieren und sie langfristig vollkommen durch die Selbstverwaltung der Gesellschaft zu ersetzen. Solche Organe haben nichts gemein mit den Sowjets, dir in der UdSSR 1936 installiert wurden und eine pseudo-parlamentarische Form angenommen haben, oder den ‚Volkskomitees‘ auf Kuba, die nur dazu sind, die Beschlüsse der Bürokratie abzunicken.

Nieder mit der sozialen Unterdrückung!

Der Thermidor in der UdSSR markierte nicht nur die Errichtung der bürokratischen Tyrannei über Wirtschaft und Staat, sondern auch die Umkehr vieler Reformen nach 1917 zur Bekämpfung sozialer Unterdrückung. Die Wiedereinführung reaktionärer Gesetze und moralischer Normen hat seither als Vorbild für andere degenerierte Arbeiterstaaten gedient.

Die siegreichen Bürokratien haben alle danach getrachtet, die bürgerliche Familie zu stärken und ihre Größe nach Maßgabe der jeweiligen ökonomischen und militärischen Bedürfnisse festzulegen. Die bürokratische Planung gab das Ziel der Sozialisierung von Kinderbetreuung und Hausarbeit auf. Die Frauen blieben durch die Dreifachlast von Beruf, Haushalt und Kindererziehung preisgegeben. Die ‚Reformer‘ hegen natürlich auch keinesfalls die Absicht, die Auswirkungen des Stalinschen Thermidors auf die Familie zu beseitigen. Im Gegenteil stärkte Gorbatschows Perestroika-Politik ein reaktionäres Frauenbild. Die „Reformer“ wollen die Frau auf die Gattin- und Mutterrolle beschränken und sie aus gewissen Produktionszweigen vertreiben.

Der Jugend wird ihr ‚rechtmäßiger Platz‘ in den Bildungseinrichtungen gelehrt, sie wird verdummt mit der reaktionären Moral des Stalinismus, ihr wird ein freier kultureller Ausdruck verwehrt. Ebenso sind große Errungenschaften der Oktoberrevolution, in der gesetzliche Verteidigung der Rechte von Homosexuellen schon längst zerstört, und der Alltag für Lesben und Schwule von Kuba bis Osteuropa und GUS heißt Unterdrückung oder Verfolgung. Gegen Unterdrückung aufgrund von Geschlecht oder Sexualität fordern wir:

• Gegen die Unterdrückung von Frauen – für wirkliche Vergesellschaftung der Hausarbeit. Für einen Plan zur Bereitstellung von Kinderkrippen, die dies ermöglichen. Für ein massives Bauprogramm von Gastwirtschaften, Kantinen und sozialen Annehmlichkeiten, die Frauen von ihrer Bürde befreien.

• Für das Recht von Frauen auf Arbeit und Chancengleichheit in Berufen, die nicht Schutzgesetzen unterstehen. Zur Bekämpfung des Erbes von männlichem Chauvinismus und Unterdrückung, das von der Bürokratie konserviert wurde, verfechten wir eine unabhängige Frauenbewegung auf proletarischer Grundlage.

• Keine Einschränkung des Abtreibungsrechts. Freie Verhütungsmittel für alle, um Frauen wirkliche Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit zu geben. Nein zu jedem Zwang zu einer bestimmten Familiengröße durch die Bürokratie.

• Abschaffung der reaktionären Gesetze gegen Homosexualität. Freilassung aller in dieser Hinsicht Inhaftierten und in psychiatrische ‚Spitäler‘ Eingewiesenen. Beendigung aller Formen der Diskriminierung von Lesben und Schwulen. Für die offene Anerkennung, daß es Aids auch in diesen Staaten gibt. Für ein staatlich finanziertes Programm zur Erforschung, Behandlung und Aufklärung über den Virus, um jene mit AIDS zu behandeln und die Verbreitung der Krankheit zu verhindern oder zu begrenzen.

• Weg mit der Unterdrückung der Jugend. Für Schüler-, Eltern- und Erzieherkontrolle über die Schulen. Für Jugendausschüsse zur Kontrolle ihrer eigenen Gestaltung von Unterhaltung, Sport, Kultur, Klubs usw. Weg mit der Zensur, die die Jugend nicht vor reaktionären Ideen schützt, sondern ihren Intellekt und Kampfgeist lähmt, und sie so erst für solche Ideen anfällig macht. Abschaffung aller die Jugend in Arbeit und Gesellschaft diskriminierenden Gesetze.

Gegen nationale Unterdrückung!

Seit seiner Gründung hatte der revolutionäre Sowjetstaat einen föderalen Charakter. Wie mit allen anderen Aspekten bolschewistischer politischer Praxis verfuhr der Stalinismus auch hier. Er wahrte die Form, entleerte sie aber ihres revolutionären Inhalt. Fernab jeder freiwilligen Föderation von Völkern wurde die UdSSR zum Gefängnis für Nationen.

Das Muster der Verweigerung von Rechten für nationale Minderheiten wurde in anderen degenerierten Arbeiterstaaten wiederholt, ungeachtet dessen, ob sie föderal strukturiert sind (wie in Jugoslawien), Einheitsstaaten mit angeblich ‚autonomen Regionen‘ (wie in China), oder ob sie die Existenz von Minderheiten verfassungsmäßig gar nicht anerkennen (wie in Rumänien). Der Kreml hat auch Nationen außerhalb der Grenzen der UdSSR unterdrückt und Invasionen veranstaltet, um proletarische Aufstände gegen die Bürokratenherrschaft zu zermalmen. Die Opposition gegen die herrschenden Bürokratien trägt daher oft einen nationalistischen Charakter. Unter diesen unterdrückten Völkern fordern Revolutionäre in vorderster Linie demokratische Rechte für Nationalitäten als Teil ihres Kampfes um die politische Revolution.

• Wir treten jeder Manifestation des großrussischen, chinesischen und serbischen Repressionsnationalismus entgegen. Wir unterstützen das Recht auf vollste kulturelle Selbstäußerung für alle unterdrückten Nationalitäten. Das bedeutet volle Unterstützung für das Recht auf eigene Sprache in allen öffentlichen und staatlichen Angelegenheiten wie auch auf Unterricht in der eigenen Sprache. Wir sind gegen jede Diskriminierung im Beruf. Wir treten für das Recht unterdrückter Nationalitäten ein, ein Veto gegen die Einwanderungspolitik einlegen zu können, die von den Bürokratien von Unterdrückernationalitäten festgelegt wird. Umgekehrt sind wir auch gegen jede Diskriminierung ehemaliger nationaler Mehrheiten, die nun in neuen unabhängigen Staaten zu Minderheiten geworden sind (bspw. die Russen in den baltischen Staaten).

• Alle multinationalen Arbeiterstaaten sollten freie Föderationen von Arbeiterrepubliken sein. Allgemein streben wir nicht die Zerstückelung von degenerierten Arbeiterstaaten in ihre nationalen Bestandteile an, weil wir die größtmögliche territoriale Zusammengehörigkeit für günstig erachten, um die Entfaltung der Produktivkräfte voranzutreiben, und weil der Nationalismus die Arbeiterklasse spaltet und sie für die Einsicht in die Notwendigkeit der Vernichtung von Bürokratie und Imperialismus blendet. Es kann dazu führen, daß die Arbeiter gemeinsame Sache mit der ‚eigenen‘ nationalen Bürokratie machen, oder daß sie glauben, es sei möglich, ‚Unabhängigkeit‘ durch kapitalistische Restauration und mit Hilfe des Imperialismus zu erlangen.

Die kapitalistische Offensive trachtet danach, alle Elemente von Klassenidentität und kollektivistischem Bewußtsein zu zersetzen und an ihrer Statt individualistische, religiöse oder nationalistisch-ethnische Ideen in den Köpfen der Bevölkerung zu züchten. In verschiedenen Republiken, Regionen, kleineren Landstrichen oder gar Unternehmen versuchen die Restaurationisten die Idee zu verbreiten, daß nur völlige Unabhängigkeit vom offiziellen Staat ihnen einen besseren Zugang zum internationalen Markt, höheren Exportpreise und günstigeren Bedingungen für die Einfuhr von Gütern und das Anlocken von Investoren bietet.

Die UdSSR ist in fünfzehn unabhängige Republiken zerfallen, und es gibt viele weitere autonome Republiken und Regionen innerhalb dieser, die starke separatistische Tendenzen haben. Die Bürokraten und Nationalisten hinter diesen Unabhängigkeitsbewegungen versuchen bürgerliche Kleinst-Halbkolonien zu errichten. In den meisten von ihnen leiden andere ethnische Minderheiten unter Diskriminierung und Unterdrückung. In den baltischen Staaten zum Beispiel werden die slawischen Minderheiten nicht als Staatsbürger anerkannt und erleiden eine Art neue Apartheid. Im früheren Jugoslawien, im Kaukasus, Moldawien, Zentralasien und anderen ehemaligen ’sozialistischen Blockstaaten befinden sich Völkergruppen gegeneinander in blutigen und reaktionären Kriegen.

Eine wirkliche Unabhängigkeit für eine der gegenwärtig unterdrückten Nationalitäten in den Arbeiterstaaten ist allerdings nur erreichbar auf Grundlage von demokratisch geplanten proletarischen Eigentumsverhältnissen. ‚Unabhängigkeit‘ unter Führung von Restaurationisten kann nur in einer Unterwerfung jedes neu konstituierten Staates unter den Imperialismus als Halbkolonie enden. Damit wäre die Arbeiterklasse noch direkter durch den internationalen Kapitalismus ausgebeutet, und ihre demokratischen Bestrebungen würden im Namen des Profits brutal unterdrückt werden. Wir treten von uns aus nicht für Abtrennung ein, weil sie den Arbeiterstaat schwächt und die Entfaltung der Produktivkräfte behindert. Aber in einem konkreten Fall, wo innerhalb einer bestimmte unterdrückten Nation die große Mehrheit der Arbeiterklasse Illusion in die Abtrennung hat, stellen wir die Forderung nach einer unabhängigen Arbeiterräterepublik auf.

Auf wessen Seite sich die Arbeiter in einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen der Unabhängigkeitsbewegung einer unterdrückten Nation und dem zentralisierten stalinistischen Apparat stellen sollen, hängt von den jeweiligen konkreten Umständen ab. Wenn diese Bewegung andere Minderheiten durch Pogrome verfolgt oder ein Waffenbündnis mit dem Imperialismus eingeht, um gegen den degenerierten Arbeiterstaat Krieg zu führen, wäre es notwendig, auf Seiten der stalinistischen Maschinerie zu stehen, ohne sie politisch zu unterstützen. Gleichzeitig würden wir die Losung nach einer unabhängigen oder autonomen Arbeiterräterepublik (wie in Aserbaidschan 1990) ausgeben.

Wenn wir andererseits eine legitime Bewegung mit Basis in der arbeitenden Bevölkerung antreffen, könnten wir auf deren Seite gegen militärische Unterdrückung durch die Stalinisten stehen, ohne ihre politischen Ziele oder ihre volksfrontartige Führung dabei zu unterstützen (wie in Litauen 1990/1991).

Die Entfremdung so vieler Nationalitäten vom degenerierten Arbeiterstaat ist das Produkt von Jahrzehnten grausamer nationaler Unterdrückung. Die Vorhut der politischen Revolution muß mit den energischsten Mitteln versuchen, diesen Völkern ihre Ängste zu nehmen und sie für die Seite der Erhaltung ihrer eigenen geplanten Eigentumsverhältnisse zu gewinnen. Das muß getan werden, indem ihr Recht auf Selbstbestimmung, die Lostrennung eingeschlossen, bedingungslos unterstützt wird.

Wo die Mehrheit eines Volkes in Massenkundgebungen, Arbeiterversammlungen, Wahlen oder Volksabstimmungen nach Unabhängigkeit ruft, unterstützen wir dieses Ziel rückhaltlos. Sonst würden wir uns von dem ausdrücklichen demokratischen Willen der Arbeitermassen isolieren und damit zulassen, daß sie der Führung reaktionärer Kräfte anheimfallen. Nur die proletarische politische Macht und die proletarischen Eigentumsverhältnisse können die Unabhängigkeit, nach der solche Mobilisierungen streben, gewährleisten. Aus dem Grund lautet unsere positive Losung unter diesen Gegebenheiten ‚Für einen unabhängigen Arbeiterrätestaat‘.

Selbst wo sich separatistische Bewegungen auf eine offen konterrevolutionäre Plattform begeben haben, verteidigen wir noch das Recht auf staatliche Unabhängigkeit, setzen aber den Kampf gegen die Restauration fort. Die Restauration des Kapitalismus läuft nicht simultan zur nationalen Unabhängigkeit. Die Beendigung nationaler Unterdrückung lockert die Bindungen zwischen der Arbeiterklasse und den Repräsentanten ihr entgegengesetzter Klasseninteressen. In den neuen, unabhängigen Staaten müssen revolutionäre Kommunisten die Arbeiter weiter für die bewaffnete Verteidigung der nachkapitalistischen Eigentumsverhältnisse organisieren. Jedoch im Fall eines Krieges (Bürgerkrieg oder Krieg nach außen), in den ein Arbeiterstaat verwickelt sein könnte, könnten wir allerdings gezwungen sein, das Recht auf Abtrennung vorübergehend der Verteidigung des Arbeiterstaates gegen die Attacken der Kräfte des Imperialismus und der Konterrevolution unterzuordnen.

Als Ausdruck unserer Gegnerschaft zu der reaktionären Utopie des Aufbaus vom Sozialismus in einem Land stehen wir für die weitestgehende Föderation von Arbeiterstaaten beginnend mit Regionalverbünden. Die siegreiche politische Revolution wird die Republiken der ehemaligen UdSSR, Osteuropas und darüberhinaus auf einer freiwilligen und gleichen Grundlage neu vereinigen. In den Regionen, wo der Stalinismus und seine Erben nationale Antagonismen und Kriege gesät haben, kämpfen wir für Föderationen von Arbeiterstaaten (z.B. auf dem Balkan und in Indochina) als Schritt zur Integration in eine sozialistische Weltrepublik.

Für die Rückkehr zum proletarischen Internationalismus Lenins und Trotzkis

Die Stalinisten haben die Losung des proletarischen Internationalismus durch die Gleichsetzung mit der Unterordnung unter die staatlichen Interessen der Sowjetbürokratie befleckt. Die Außenpolitik eines revolutinären Arbeiterstaates zielt nicht zuallererst auf die eigene Verteidigung oder Schutz und Unterstützung anderer Arbeiterstaaten, sondern stellt die Interessen aller, die gegen Kapitalismus und Imperialismus kämpfen, in den Mittelpunkt. Die Verteidigung eines einzelnen Arbeiterstaates oder einer Gruppierung solcher Staaten ist Teil der Weltrevolution und ihr untergeordnet. Das ist das unverfälschte Programm des proletarischen Internationalismus. Es ist das genaue Gegenteil zur Außenpolitik der degenerierten Arbeiterstaaten im letzten halben Jahrhundert, die dem stalinistischen Ziel einer friedlichen Koexistenz mit dem Imperialismus dienen sollte.

Die Stalinisten haben die Kämpfe der Arbeiterklasse und Kolonialvölker überall zynisch manipuliert und verraten. Seite an Seite mit der Stärkung der Marktmechanismen und der kapitalistischen Kräfte im Arbeiterstaat sind die verbleibenden herrschenden Bürokratien überall vor dem Imperialismus auf dem Rückzug. Der Stalinismus hat stets eine dem Wesen nach konterrevolutionäre Politik in und außerhalb der eigenen Grenzen betrieben. In den 80er Jahren hat die UdSSR in Afghanistan, Kambodscha, Mittelamerika und Südafrika eine konterrevolutionäre Rolle gespielt, sowohl in der Art, wie sie die fortschrittlichen Kräfte unterstützte, wie auch in ihrem beschämenden Abrücken von jenem Lager im Zuge seiner Kapitulation vor dem Imperialismus.

Die Geheimdiplomatie, mit der die stalinistische Bürokratie operierte, muß vollständig abgeschafft werden. Diese Politik war Teil des bürokratischen Informationsmonopols in den degenerierten Arbeiterstaaten und diente nur zur Desinformation und Täuschung der Arbeiterklasse. Verhandlungen zwischen Arbeiterstaaten und kapitalistischen Staaten oder anderen Arbeiterstaaten müssen vor den Augen der Arbeiterklasse durchgeführt werden. Die Forderungen beider Seiten sollten öffentlich gemacht werden. Verhandlungen müssen genützt werden, um revolutionäre Propaganda zu machen. Das Wesen der Verhandlungen muß den Massen aufgedeckt werden.

Beziehungen mit kapitalistischen Staaten müssen ebenso als Waffe für den Arbeiterstaat genützt werden. Diplomatische Verbindungen und Handelsbeziehungen zu jedem Land müssen sorgfältig untersucht werden. Die Stalinisten verwendeten diplomatische Verbindungen mit kapitalistischen Staaten, um das Ertränken der Arbeiterbewegung dieser Staaten in Blut zu entschuldigen und das Prestige der Schlächter zu erhöhen (z.B. China‘ s Beziehungen mit Pinochet). Das war eine übliche Praxis unter den Stalinisten. Handels- und diplomatische Beziehungen müssen dazu verwendet werden, den Aufbau eines Arbeiterstaats zu unterstützen und dürfen die Bildung von revolutionären Bewegungen nicht begrenzen oder schädigen.

Wenn ein Arbeiterstaat direkt militärisch angegriffen wird, egal ob in einer politisch revolutionären Krise oder nicht, ist es legitim, mit den Truppen eines anderen Arbeiterstaates eine bewaffnete Einheitsfront zu suchen. In dieser Einheitsfront darf die Arbeiterklasse ihre Verbände nicht denen ihrer Verbündeten unterordnen, sondern muß versuchen, Waffen und Hilfe unter die Kontrolle ihrer Organisationen zu bekommen, und muß unter den verbündeten Streitkräften der degenerierten Arbeiterstaaten die Idee der internationalen politischen Revolution verfechten.

Wir verteidigen das Recht der degenerierten Arbeiterstaaten auf Besitz von Atomwaffen und sie auch in Kriegen mit dem Imperialismus zur Verteidigung der Arbeiterstaaten einzusetzen, wenn es militärisch erforderlich ist. Aber wir stellen uns gegen die allgemeine Verteidigungs- und Militärpolitik der Bürokratie, deren Ziel die Verwirklichung des reaktionären Traums von der friedlichen Koexistenz mit dem Weltimperialismus ist.

Die Außenpolitik eines Arbeiterstaates muß einer revolutionären Internationale untergeordnet sein. Eine wirkliche Internationale kann die Außenpolitik eines Arbeiterstaates in den richtigen Zusammenhang im Kampf um die Weltrevolution stellen. Nur eine Internationale kann den Arbeiterstaat effektiv gegen eine imperialistische Intervention schützen, indem Mobilisierungen der Arbeiterklasse in den verschiedenen imperialistischen Ländern koordiniert werden.

Baut leninistisch-trotzkistische Parteien auf!

Das Programm der politischen Revolution, verknüpft ein Verbundsystem von Forderungen mit den strategischen und taktischen Mitteln zu ihrer Durchsetzung. Es kann nicht durch die spontanen Kämpfe der Arbeiterklasse in den degenerierten Arbeiterstaaten entwickelt werden. Die Erfahrung mit Ungarn, Polen und China zeigt auf tragische Weise, daß Spontaneität wie unterm Kapitalismus mit dem wissenschaftlichen Klassenbewußtsein in der organisatorischen Gestalt einer revolutionären Partei geharnischt sein muß. Der erste kleine Kern einer solchen Partei mag zwar der Intelligenz entspringen, die Prüfung für ihren ‚Kommunismus‘ wird aber die Anerkennung der Notwendigkeit, die im antibürokratischen Kampf erstandenen Arbeitervorhut zu gewinnen und zu organisieren, sein. Alle Regeln der Mitgliedschaft, Organisation, Innenleben und Außenaktivität sind wie von der leninistisch bolschewistischen Partei und später den linken Opposition und der Trotzkisten dargelegt anwendbar.

Wir weisen die ‚führende Rolle‘ der stalinistischen Parteien zurück. Es sind Parteien der Bürokratie, nicht der proletarischen Avantgarde. Die Erfahrung der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei 1968 und der ‚Horizontalbewegung‘ in der polnischen Arbeiterpartei auf dem Höhepunkt des Kampfes von Solidarnosc legen jedoch nahe, daß proletarische Mobilisierungen einen Widerschein in den herrschenden, kommunistischen Parteien finden und zwar deshalb, weil eine große Anzahl von Arbeitern Zwangsmitglieder dieser Parteien sind. Wir lehnen die Illusion ab, daß die herrscheden Parteien zu zentristischen Formationen reformiert werden oder sich friedlich dazu umbilden können. Diese Parteien müssen als Werkzeuge der Massenmobilisierung zugunsten der repressiven und privilegierten Bürokratie zerschlagen werden. Nichtsdestotrotz dürfen wir nicht vergessen, daß in einer sich zuspitzenden politisch revolutionären Situation die Führung unter den Druck von Teilen der Mitgliedschaft oder der Arbeiterklasse geraten kann. Die Einheitsfronttaktik, bezogen auf diese Kräfte und Oppositionsgruppen außerhalb der Partei, wird zentral sein, um die Massen von ihren alten und neuen falschen Führern loszubrechen. Wo wir Elemente der proletarischen Basis nicht direkt für den Trotzkismus gewinnen können angesichts dessen, daß eine solche Opposition oftmals der erste Ausdruck von politischer Unabhängigkeit für jene Arbeiter darstellt, sollten wir sie ermuntern, die Kommunistische Partei, in der sie bleiben, unter folgenden Forderungen einer eingehenden Prüfung zu unterziehen:

• Wahlen auf allen Ebenen, mit offenen Plattformen und politischer Wettstreit in offener Diskussion. Für die Aufhebung des Fraktions- und Plattformverbots, das lediglich als vorübergehende Maßnahme in der russischen kommunistischen Partei von Lenin und Trotzki 1921 verhängt worden war, unter Stalin aber zur repressiven Norm gemacht wurde.

• Die im Kampf neu geschmiedete revolutionäre Partei muß den Sturz der stalinistischen Diktatur, den Aufbau einer Arbeiterrätedemokratie, die Einsetzung eines demokratischen Plans und vor allem die internationale Ausdehnung der Revolution auf die Fahne schreiben. Wenn die Arbeiterstaaten eine revolutionäre Neugestaltung durchleben, dann wird die Todesglocke für Imperialismus und Klassenherrschaft auf der ganzen Welt läuten. Verwandelt die bürokratischen Gefängnisse wieder in Festungen der Weltrevolution!

Das Programm im Restaurationsprozess

Eine neue Form von Übergangsperiode, des Übergangs von degenerierten Arbeiterstaaten zum Kapitalismus, ist angebrochen, zurückzuführen auf den Berg von Verrat seitens der stalinistische Bürokratie und die verlängerte Krise der revolutionären Führung. Die Revolutionäre müssen nun ihr Programm umorientieren auf die Führung eines Kampfes gegen die Reste bürokratischer Tyrannei und Desorganisation sowie gegen die Restauration des Kapitalismus.

Die Tür zur Restauration ist in den meisten Fällen durch den Aufstieg einer Bürokratenfraktion aufgestoßen worden, die dann eine Reihe von Zugeständnissen an den Markt auf Schiene gesetzt hat. Diese marktorientierten Maßnahmen sind mit wachsendem Nachdruck von Wirtschaftsfachleuten aus den Reihen der Bürokratie seit den 60er Jahren befürwortet worden (Liberman, Ota Sik usw.). Sie wurden in bedeutsamem Umfang zunächst in Ungarn durchgeführt. Sie konzentrierten sich auf eine stufenweise Schwächung und Einengung des Planhorizonts, die Herstellung von realen oder simulierten Marktmechanismen zwischen Unternehmen, die Durchlöcherung des staatlichen Außenhandelsmonopols, auf den Beitritt zu ökonomischen Einrichtungen des Weltkapitalismus, wie dem IWF. Der utopische Aspekt dieses Programms war die Idee, daß es die Effizienz, das Niveau der technischen Erneuerung oder die stärkere Anpassung der Wirtschaft an die Wünsche der Verbraucher erhöhen würde. Stattdessen aber behinderte und störte es das Wirken der Planwirtschaft, während jene wiederum die Entwicklung eines echten Marktes behinderte, dafür aber eine breite ’schwarze Ökonomie‘ schuf. Das erzeugte eine große Klasse von Kriminellen, bevor es eine Bourgeoisie hervorbrachte.

Sowohl in Staaten, wo die Marktfraktion der Bürokratie versuchte, dieses Programm mit demokratischen Reformen durchzuführen, als auch wo sie ihre politische Diktatur aufrechterhalten wollte, war das Resultat jedesmal das gleiche – eine ernste politische Krise, in der sich drei fundamentale Alternativen stellten:

a) die Restauration der bürokratischen Diktatur und ein Stillstand oder Verlangsamung der Marktreformen

b) die Machtergreifung durch ein offen restauratives Regime, das sich anschickt, das zentrale Planungssystem zu zerstören und rasch zur Wertgesetzlichkeit als dominanter Kraft in der Ökonomie überzugehen.

c) die proletarische politische Revolution, die Arbeiterdemokratie und eine demokratische Planwirtschaft einführt.

Nur die beiden letzten Alternativen waren und sind grundsätzlich gangbar. Die bürokratische Diktatur kann niemals die Todeskrise der bürokratischen Planung lösen, auch wenn sie noch so blutig wiederhergestellt und aufrechterhalten wird. Sie entfremdet sich den Massen und treibt sie den demokratischen Restaurationisten in die Arme. Obwohl die Bürokratie in China, Korea, Vietnam und Kuba versucht, mit Unterdrückungsmethoden dem Schicksal Gorbatschows zu entgehen, ist die Entwicklung von vorrevolutionären und revolutionären Situationen unabwendlich. Das Ergebnis dieser Krisen wird eine Situation der Doppelmacht sein – von größerer oder geringerer Dauer – in der die Kräfte der alten Bürokratie zersplittern werden und in der die Kräfte der proletarischen politischen Revolution oder der bürgerlichen Konterrevolution einen Kampf um Leben oder Tod ausfechten müssen. Wenn die Kräfte der politischen Revolution es nicht schaffen, sich zu entwickeln und die Macht zu übernehmen, ist die Restauration früher oder später unausweichlich.

Bis heute sind jene Kräfte, die bewußt die Planwirtschaft und andere proletarische Errungenschaften verteidigen schwach. Das hatte zur Folge, daß eine Reihe von bürgerlich restaurativen Regierungen die Macht übernommmen hat. Diese haben sich als erstes daran gemacht, die Reste von Doppelherrschaft durch Säuberungen des Staatapparates zu beseitigen. Diese Säuberung wird je nach der politischen Geschlossenheit der Armee unterschiedlich ausfallen. Wo ein bedeutender Teil noch von der Lebensfähigkeit der bürokratischen Herrschaft überzeugt ist, kann die Auseinandersetzung gewaltsame Formen annehmen, selbst bis zum Bürgerkrieg.

Die Auflösung dieser Doppelmacht und die Verhinderung, daß die Arbeiterklasse eigene Machtorgane etabliert, sind wesentlich für einen erfolgreichen Restaurationsprozeß. Aber selbst die Errichtung eines zuverlässigen Staatsapparats, der nicht der Form eines bürgerlichen Staates ähnlich, sondern aktiv die wachsenden Elemente des Kapitalismus verteidigt und die sich zerfallenden Reste der Planwirtschaft attackiert, bedeutet nicht das Ende des Restaurationsprozesses. Erst die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus über die des bürokratischen Plans dominieren, erst wenn die wirtschaftliche Grundlage des Arbeiterstaates zerstört ist, kann man sagen, daß dieser Prozeß abgeschlossen und der Kapitalismus wiederhergestellt ist.

Die Wirtschaftsprogramme der kapitalistischen Restauration sind sehr verschieden. Der eine sofortige ‚Erfolg‘ war die Integration der DDR in den imperialistischen westdeutschen Staat durch eine verlängerte Verbindung von staatskapitalistischen und Privatisierungsmaßnahmen, nachdem die Zentralorgane der Planwirtschaft abgeschafft worden waren. In den anderen Staaten, wo die Ressourcen einer wesentlichen imperialistischen Macht nicht verfügbar waren, ist die neoliberale Schocktherapie angewandt worden. Das hieß Freigabe der Preise, Auflösung der zentralen Plan- und Rohstoffzuteilungsinstanzen, Abschaffung des alten Staatsbankmonopols und Ersetzung mittels eines durchkommerzialisierten Kreditsystems, in dem Verlustunternehmen bankrott gehen können und müssen und Umwandlung der Unternehmen in privat- und/oder staatskapitalistische Konzerne.

Der massive ökonomische Niedergang, der Ergebnis dieser Politik ist, schafft selber wiederholte politische Krisen und vorrevolutionäre Situationen. Nur eine Vertiefung des Klassenbewußtseins und der Militanz des Proletariats sowie das Erscheinen von antirestaurativen Verteidigern der Arbeiterdemokratie kann solche Krisen in eine voll entfaltete Revolution ummünzen. Diese Revolution wird einen kombinierten Charakter haben. Sie muß politische Revolution sein,insofern als sie die Enteignung einer sozialen Klasse – der Bourgeoisie – nicht zum zentralen Ziel hat. Dennoch hat eine solche Revolution enorme gesellschaftliche, d.h. antikapitalistische Aufgaben zu bewältigen. Als politische Revolution ist sie nichtsdestotrotz gegen ein bürgerliches Regime gerichtet, das die ganze oder Teile der Staatsmacht in Händen hält. Ihr bleibt die Aufgabe der Eroberung der Staatsmacht und der Gründung eines Arbeiterstaats, gestützt auf Sowjets.

In den todgeweihten degenerierten Arbeiterstaaten, wo restaurative Regierungen mit der Durchsetzung der Restauration des Kapitalismus befaßt sind, müssen revolutionäre Kommunisten Verfechter eines Programms von Sofort- und Übergangsforderungen sein, um die soziale Konterrevolution aufzuhalten und umzukehren; ein Programm, das in seiner Gesamtheit nur das Programm einer revolutionären Arbeiterregierung sein kann.

• Für einen Mindestlohn, der zum Leben ausreicht und den Kauf eines üblichen Güterkorbes gewährleistet und von Arbeiterbasisorganisationen festgelegt wird.

• Für eine gleitende Lohnskala, eine automatische angepaßte Lohnerhöhung bei jedem Preisanstieg, festgelegt von gewählten Komitees, bestehend aus Arbeitern, im besonderen Frauen und Rentnern, der jeden Preisanstieg kompensiert.

• Schluß mit allen Preiserhöhungen! Preise für Nahrungsmittel, Kleidung, Transport, Mieten und Brennstoff dürfen nicht steigen. Die einzige Währungsreform, die den Interessen der Werktätigen und nicht der Spekulanten dient, ist jene, die von einer Arbeiterregierung durchgeführt wird.

• Alle privaten und staatlichen Warenhäuser und Lebensmittelvorratslager unter Kontrolle von bewaffneten Arbeitereinheiten, unter Arbeiterinspektion und -verteilung. Beschlagnahme aller von Bürokraten, Schwarzmarkthändlern oder Privatgeschäften gehorteten Güter. Arbeiter müssen alle Hilfslieferungen aus imperialistischen Ländern kontrollieren und verteilen.

• Gewählte Arbeiterausschüsse müssen die Konten von Unternehmen und Planungsministerien, von Spezialläden für die Bürokratie und von neuen Spekulanten inspizieren. Nur dann wird das Ausmaß von Korruption, Aneignung und Diebstahl am Produkt des Arbeiterstaates aktenkundig, können die Schuldigen bestraft werden und kann ein neuer Produktions- und Verteilungsplan entstehen.

• Organisierung des unmittelbaren Austausches zwischen Stadt und Land. Die ländliche und städtische Arbeiterschaft sollen gemeinsam faire Austauschraten und sogar -preise zwischen Industrie- und Landwirtschaftsprodukten regeln.

• Wiederherstellung des Rechts auf Arbeit und der Gelegenheit dazu. Den gegenwärtig Arbeitslosen muß eine Arbeitsstelle angeboten oder der durchschnittliche Industrielohn bezahlt werden. Nein zu allen Entlassungen ohne gleichrangigen Ersatzarbeitsplatz bei gleicher Entlohnung. Besetzung aller Fabriken, Bergwerke, Läden und Büros, die Entlassungen verfügen oder schließen wollen. Die müßigen Angehörigen der Bürokratie, die Unternehmensmanager und die schmarotzenden Spekulanten sollen nützliche Arbeit in den Fabriken und auf dem Land zum Durchschnittsverdienst eines Arbeiters verrichten.

• Für Arbeiterverwaltung in jedem Unternehmen. Keine Privatisierung, auch nicht in Form von veräußerbaren Betriebsbeteiligungen, die ganz oder teilweise an die Belegschaft ausgegeben werden. In einem Arbeiterstaat gehören die Fabriken bereits per Gesetz den Arbeitern. Keine Enteignung von Arbeitereigentum.

• Keine Kürzungen im Sozialwesen. Für ein massives Programm zur Wohnungsinstandsetzung und zum Bau von neuen Wohnungen, Kinderkrippen, Schulen und Kliniken. Niemand sollte arbeitslos sein und niemand müßig sein, während es anderen am elementar Notwendigsten fehlt.

• Mindestlohn für alle, der zum Leben ausreicht; Renten, die nicht darunter liegen und geschützt durch eine gleitende Skala.

• Notmaßnahmen zur Linderung der Wohnungsknappheit. Beschlagnahme der Datschen und großen Appartements der Altbürokraten und Neureichen. Besetzung aller Staatsgebäude, die nicht dem Gemeinwohl der Arbeiterklasse dienen und Umwandlung in Unterkünfte für junge Familien und Arbeitslose.

• Arbeiterkomitees müssen eine Inventur des Staatseigentums nach dem Stand vor Regierungsantritt der restaurativen Regierung machen. Die Bereicherung und das Horten der früheren Bürokratie muß ans Licht, und alle Ressourcen des Arbeiterstaates in gemeinschaftliches Eigentum rückgeführt werden. Jede ‚Enteignung‘ von Staatseigentum muß rückgängig gemacht werden.

• Nieder mit dem nationalen Chauvinismus. Kollektive Hinrichtung der Organisatoren von Pogromen und ‚ethnischen Säuberungen‘. Gnadenlose Unterdrückung von Faschisten und Antisemiten, Rassisten und Chauvinisten, die Angriffe auf nationale Miderheiten, Frauen, Lesben und Schwule und die Arbeiterorganisationen anzetteln. Keine Plattform, keine ‚demokratischen Rechte‘ für dieses Ungeziefer.

• Respekt vor den Beschlüssen der minderheitlichen Nationalitäten für Unabhängigkeit, wenn es ihre Wahl ist. Bedingungslose Verteidigung der demokratischen Rechte aller Nationalitäten gegen die stalinistische Unterdrückung alten Stils oder die nationalistische oder religiöse Unterdrückung neuen Stils. Genauso wie wir die demokratischen Rechte aller Minderheiten in Jugoslawien, China oder den Staaten der früheren UdSSR verteidigen, gilt dies auch für alle großrussischen, serbischen oder han-chinesischen Arbeiter in Gegenden, wo sie nun die Minderheit darstellen und Unterdrückung erleiden könnten.

• Für Arbeitermiliz zum Schutz der Arbeiterkämpfe, zur Zerschlagung der Faschisten und Pogromorganisatoren und zur Niederwerfung der bewaffneten Aufstände der Konterrevolutionäre.

Um die Wiederherstellung des Kapitalismus zu verhindern, wartet auf die Arbeiter eine kombinierte Aufgabe, der Kampf gegen die bürgerlichen Vollzugsorgane und ein Kampf zur Rettung der Überbleibsel der geplanten staatseigenen Produktions- und Verteilungsmittel. Für diesen zweiten Teil müssen sie den Kampf zum Sturz der restaurativen Regierungen aufnehmen und Arbeiterregierungen, gestützt auf Arbeiterräte an die Macht bringen. Die restaurativen Kräfte können nicht durch friedliche Mittel allein aus dem Amt entfernt werden, doch je entschlossener und stärker die Arbeiter mobilisieren, desto weniger teuer wird ein solcher Sieg sein. Eine Arbeitermiliz muß die einfachen Soldaten für ihre Sache gewinnen.

Es besteht kein Mangel an Waffen oder an Gelegenheit, sie zu bekommen. Die meisten Arbeiter haben einen Militärdienst absolviert. Die Arbeiter können und müssen sich bewaffnen. Mit der Waffe in der Hand können Arbeiter die Flammen des nationalistischen Hasses ausblasen, alle Minderheiten, die Streiks und Besetzungen schützen. Sobald die Gelegenheit zur Machteroberung kommt, können bewaffneten Einheiten in Verbindung mit den Sowjets diese Aufgabe durchführen und ein Arbeiterregierung errichten. Die Arbeiterregierung müßte Wahlen für Arbeitertribunale organisieren, um alle Verbrecher gegen die arbeitende Bevölkerung aus der Zeit der stalinistischen Diktatur oder der restaurationistischen Regimes vor Gericht zu stellen.

Die zentrale Aufgabe einer Arbeiterräteregierung ist die Zerschlagung der restaurativen Pläne und die Organisierung der Weltarbeiterbewegung zu seiner Verteidigung gegen unvermeidbaren imperialistischen Druck und Blockade. In der Ökonomie muß die Arbeiterregierung einen Notplan entwickeln und durchführen, um die Wirtschaft vor der völligen Auflösung zu retten. Er muß von den Arbeitervertretern aufgestellt und von der Arbeiterklasse selber in Gang gesetzt werden. Die dringendsten Maßnahmen eines solchen Plans sollten sein:

• Wiederherstellung des staatlichen Außenhandelsmonopols, Kontrolle des gesamten internationalen Handels durch gewählte Organe der Arbeiterinspektion. Die Hafen-, Flughafen-, Kommunikationsnetz- und Bankarbeiter können schnell entscheiden, welcher Handel im Interesse des Arbeiterstaats liegt und was Spekulation oder schädliche Profitmache ist. Druck auf die Arbeiterbewegung in den kapitalistischen Ländern, ihre Regierungen zu zwingen, Handelsvereinbarungen zum Wohl des Notplans abzuschließen.

• Schluß mit allen Privatisierungen von großen Produktionsmitteln und Wiederverstaatlichung aller schon ausverkauften Wirtschaftszweige. Schließung der Aktien- und Warenbörsen. Untersuchung aller bisherigen Transaktionen und Bestrafung aller arbeiterfeindlichen Profiteure.

• Wiederherstellung des staatlichen Bankmonopols. Verstaatlichung aller Privatbanken unter Arbeiteraufsicht und -einsichtnahme. Beschlagnahme der Dollarberge der Spekulanten, joint ventures, Pseudo-Kooperativen und Privatkonten der Bürokraten durch den Arbeiterstaat.

• Nichtanerkennung der Auslandsschulden, Schluß mit allen Zahlungen und Bruch aller Ketten an IWF, Weltbank und europäische Bank der Restauration! Raus mit allen imperialistischen ‚Wirtschaftsberatern‘.

• Durchführung einer Geldreform im Interesse der Werktätigen. Geld als Wertmaß muß die für Industrie- und Landwirtschaftsprodukte aufgewendete Arbeitszeit so genau wie möglich messen. Die Inflation aus den letzten Jahren der bürokratischen Mißwirtschaft muß beendet werden, so daß die Arbeiterschaft eine rationelle Buchführung, ohne die Planung unmöglich ist, vornehmen kann.

• Umwandlung der kollektiven Agrarbetriebe in wirklich demokratische Kooperativen auf der Grundlage eine Arbeitskraft – eine Stimme. Errichtung von Arbeiterkontrolle auf den Kolchosen. Hilfestellung als Anreiz für kleine Höfe zu Kooperativ- Zusammenschlüssen durch Versorgung mit gemeinschaftlichen Ressourcen.

• Kleine Privatunternehmen im Bereich von industrieller Produktion, Verteilung, Einzelhandel und Dienstleistung sollten ihr Gewerbe betreiben und in Sphären zahlenmäßig sogar aufstocken können, wo Staat und Kooperativen die Nachfrage nicht abdecken können. Dieser Bereich von privatem Kleinkapital und Kleinbürgertum kann dem Arbeiterstaat sogar von Nutzen sein, vorausgesetzt, daß die dort Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert sind und ihre Arbeitsbedingungen und -zeit von den Ortssowjets reguliert werden, und vorausgesetzt, daß ihre Konten der Inspektion zugänglich sind und die Besteuerung zu Gunsten des Arbeiterstaates angesetzt ist.

• Reorganisierung eines Zentralausschusses zur Plankoordination und Aufbau ähnlicher Ausschüsse auf lokaler, regionaler und städtischer Ebene. Die Fachleute für Statistik, Wirtschaft und Verwaltung müssen zusammengezogen werden und unter Kontrolle von gewählten Arbeitervertretungen arbeiten. Es darf kein Wiederauftreten bürokratischer Privilegien geben. Kein Experte darf mehr verdienen als ein Facharbeiter, und alle Planungsorgane müssen die Beschlüsse der zuständigen Körperschaften der Arbeiterdemokratie ausführen.

• Der Notplan muß ein massives Bauprogramm zur Verbesserung der sozialen Infrastruktur beginnen: Hausbau und Instandsetzungen, Kliniken und Krankenhäuser, Ausbau der Kindergärten, Schulen sowie höhere Schulen.

• Der Notplan muß das Kommunikations-, Verteilungs- und Transportsystem schnell verbessern. Militärfahrzeuge und Flugzeuge müssen in ein effektiviertes Frachtsystem eingebaut werden, so daß die Nahrungsmittel nicht verderben, bevor sie den Verbraucher erreicht haben. Ein längerfristiges Straßen- und Schienenbauprogramm, ein optimiertes Telekommunikationssystem, der Aufbau eines landesweiten Netzwerks von Warenhäusern, Kühlhäusern und Gefriertechnikanlagen können dafür sorgen, daß die Arbeit der Bauern nicht vergeudet ist.

• Der Notplan muß als ein zentrales Ziel die Einführung einer Reihe von Maßnahmen haben, die die Bedingungen der Frauen erleichtern. Verbesserungen bei der Qualität von Gütern, Verteilung und Einkaufsmöglichkeiten müssen den Frauen die erdrückende Bürde der Nahrungssuche und des endlosen Schlangestehens abnehmen. Fortschritte im Bereich Wohnungen, Kinderkrippen und Kinderbetreuungseinrichtungen, bei Kranken- und Altenpflege sollten dem Ringen um die Vergesellschaftung von Hausarbeit förderlich sein und die Frauen befreien, damit sie schließlich auch eine vollkommen gleichwertige Rolle im sozialen und öffentlichen Leben einnehmen können.

• Für das Recht der Frauen auf Arbeit bei gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit; Verteidigung des Mutterschaftsurlaubs mit Lohnfortzahlung und Schutz der Frauen vor gesundheitsschädigender Arbeit. Widerstand gegen Versuche, die Frauen zu Teilzeitarbeit mit Lohnverlust und schlechteren Arbeitsbedingungen zu zwingen – Wochenarbeitszeitverkürzung für alle Arbeiter. Verteidigung des Rechts der Frauen auf Abtreibung und Ausweitung des Zugangs zu Verhütungsmitteln.

• Die Kirchen, Tempel und Moscheen haben begonnen, Anspruch zu erheben auf die Einrichtung von Schulen sowie Kultur und Erziehung zu reglementieren. Sie dürfen keine Kontrolle über Schulen, Krankenhäuser oder Medien ausüben. Für wissenschaftliche und rationale Sexualerziehung ohne kirchlichen Aberglauben und Tabus.

Für internationale Solidarität

Die Arbeiterregierung muß entschieden, und das sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene, mit der konterrevolutionären Politik der Walesas, Jelzins oder Havels brechen. Die Verbündeten eines Arbeiterstaates können keine imperialistischen Welthaie und Ausbeuter des Proletariats der kapitalistischen Länder sein.

Die siegreiche politische Revolution muß sich an die Arbeiterbewegung der ganzen Welt und besonders an die Basis um Hilfe und Unterstützung wenden.

Die erfolgreiche russische Revolution 1917 hat massive Unterstützung in Europa, Asien und den Amerikas versammeln können, so daß der heldenhafte Widerstand der russischen Arbeiter die imperialistische Intervention abschütteln konnte. Die internationale Politik der siegreichen politischen Revolution muß im Gegenzug den Kämpfen der Arbeiter und unterdrückten Völker auf der ganzen Welt Wirtschafts- und Militärhilfe anbieten.

• Imperialisten, Hände weg von Kuba, Vietnam, Nordkorea und den anderen bürokratisch beherrschten Arbeiterstaaten. Militärischer und wirtschaftlicher Beistand gegen die US-Embargos, -Blockaden oder Interventionen. Für die sozialistische Wiedervereinigung von Korea, nein zu einer kapitalistischen Wiedervereinigung!

• Hilfestellung für die Arbeiter dieser Staaten zur Durchführung einer politischen Revolution. Nur revolutionäre Regierungen der Arbeiter- und Bauernräte werden imstande sein, diese Staaten zu retten. Für ein weltumspannendes Bündnis von Arbeiterstaaten, das in eine Föderation münden soll. Für die wirtschaftliche Koordination des Plans aller Arbeiterstaaten.

• Unterstützung für alle nationalen Befreiungskämpfe gegen den Imperialismus. Hilfe für alle Arbeiter und unterdrückten Völker, die gegen Austeritäts- und Privatisierungspläne kämpfen, die vom IWF angeordnet sind.

• Opposition gegen alle Ausverkaufsgeschäfte und Verrätereien im Nahen Osten, in Südafrika, Südostasien, Afghanistan und Mittelamerika.

• Unterstützung für alle Kämpfe der Arbeiter in Osteuropa gegen die kapitalistische Restauration.

• Unterstützung für die unmittelbaren und revolutionären Klassenkämpfe der Arbeiter in der gesamten kapitalistischen Welt.

• Für eine neue freiwillige Föderation der sozialistischen Republiken der ehemaligen UdSSR; für eine neue freiwillige Föderation der sozialistischen Republiken auf dem Balkan.

• Für eine sozialistische Weltföderation von Arbeiterräterepubliken.




Proteste in Kuba werfen die Frage nach einer sozialistischen Perspektive auf

Markus Lehner, Infomail 1156, 16. Juli 2021

Am Samstag, den 10. Juli, verabredeten sich mehrere BloggerInnen für den kommenden Sonntagmittag, um in San Antonio de los Baños, einem Vorort von Havanna, gegen die extrem schlechte Versorgungslage in Kuba zu protestieren. Aus diesem spontanen Protest in einer Kleinstadt wurde über die Verbreitung in den sozialen Medien im Laufe des Sonntags ein Massenprotest, der sich auf Havanna (ähnlich wie 1994 auf der Uferstraße Malecón in der Hauptstadt), Palma Soriano, Holguín, Camagüey, Santiago de Cuba und andere Orte ausbreitete.

An diesen verschiedenen Orten gab es durchaus unterschiedliche Formen des Protestes von friedlichen Manifestationen bis hin zu Plünderungen, wie auch unterschiedliche Slogans. Verbindendes Moment war im Wesentlichen die Verzweiflung über die Versorgungslage, die häufiger werdenden Stromabschaltungen (besonders außerhalb von Havanna) und die ernster werdende Coronasituation, samt Mangel an Medikamenten.

Die Proteste erreichten zumindest ein solches Ausmaß, dass die Übertragung des Fußball-EM-Finales im Staatsfernsehen unterbrochen wurde für eine Ansprache des Staats- und Ministerratspräsidenten Miguel Díaz-Canel. In dieser Rede erkannte der Präsident durchaus die angesprochenen Probleme an. Vor allem aber erklärte er, dass die USA durch ihre Blockadepolitik diese Probleme verursacht habe, um damit eben diese Protestbewegung zu provozieren und auch Drahtzieherin hinter der Organisation der Proteste zu sein.

Er rief entsprechend zu Gegenprotesten zur „Rettung der kubanischen Revolution“ auf. Entsprechend wurden auch die Sicherheitskräfte zur Unterdrückung der Proteste eingesetzt, das Internet und andere Kommunikationsmedien zeitweise blockiert, eine große Zahl bekannter Oppositioneller (auch von linken und LGTBIAQ-Gruppen) inhaftiert. Auch die regierungstreuen Demonstrationen brachten Tausende auf die Straße und führten offensichtlich zu einem Abbrechen der weniger gut organisierten Antiregierungsproteste, vor allem, da auch gewaltsame Konfrontationen drohten.

Die USA und die EU ergriffen sofort für die Antiregierungsproteste Partei und erklärten sie zu Bewegungen „für Demokratie und Menschenrechte“. Insbesondere die USA taten so, als ob ihre Sanktionen gar nichts mit der Versorgungslage auf Kuba zu tun hätten und letztere ganz auf das „Missmanagement“ der kubanischen Regierung zurückzuführen sei.

Rechte Regime in Lateinamerika wie jenes des brasilianischen Staatspräsidenten Bolsonaro, unter denen die Versorgungslage, die medizinische Versorgung angesichts von Corona noch um einiges schlimmer ist als auf Kuba, erklärten sich solidarisch mit dem „Kampf gegen die brutale Diktatur“. Nur Mexiko, Venezuela und Argentinien versprachen Soforthilfen, um die akuten Versorgungsprobleme zu beheben. Auch angesichts der instabilen Lage in der Region ist eine militärische Intervention nicht ganz ausgeschlossen. Andererseits hat Russland, das in den letzten Jahren wieder zum wichtigsten Investor neben China geworden ist, die USA vor jeglichem Eingreifen in Kuba gewarnt.

Die kubanische Regierung regierte auf die Protestbewegung inzwischen mit bestimmten ökonomischen Zugeständnissen, z. B. was Devisen- und Einfuhrbeschränkungen für Einreisende (vor allem im Zusammenhang mit dem Tourismus) sowie Lockerungen in Bezug auf bestimmte Rationierungen betrifft. Einige Oppositionelle wurden auch wieder freigelassen und den Protestierenden ein „Dialog“ angeboten.

Dies deutet darauf hin, dass die kubanische Regierung die Lage nicht nur durch Repression, sondern auch Zugeständnisse und Inkorporation von Teilen der Opposition beruhigen will. Ob dies kurzfristig zu einem Abebben der Proteste führen wird oder diese ermutigt, ist zur Zeit unklar. Die entscheidende Frage wird in jedem Fall sein, welche politischen Kräfte in der Bewegung und in der Bevölkerung insgesamt die Richtung bestimmen werden. Als sicher kann freilich eines gelten: Die sozialen Ursachen, die Tausende auf die Straße brachten, werden nicht verschwinden.

Protestbewegung

Eine Reihe von Linken vertritt die Einschätzung, dass diese Protestbewegung letztlich nur als Element einer neuen „Farbenrevolution“, als vom Imperialismus gesteuerte „Demokratiebewegung“ zum Sturz einer linken Regierung zu betrachten wäre, wie dies auch schon in mehreren lateinamerikanischen Staaten versucht wurde (Venezuela, Brasilien, Bolivien, Ecuador … ). Gegen ein solches Szenario spricht jedoch, dass die Bewegung sicherlich an ihrem Beginn spontan war, viel zu heterogen ist und auch in ihren Forderungen nicht auf einen „Regimesturz“ festzulegen oder zu reduzieren ist.

Es ist klar, dass dies im Verlauf der Entwicklung einer solchen Bewegung anders werden könnte. Die Teilnahme von linken, sozialistischen und LGBTIAQ-Gruppen an den Protesten spricht jedoch dafür, dass die Bewegung durchaus eine ganz andere, progressive Richtung einschlagen könnte. Der breite Protest gegen die Verhaftung von Frank García Hernández („Comunistas Blog“) zeigt auch, dass diese linke Strömung zumindest in Havanna auch eine gewisse Verankerung hat.

Zweifellos ist der Hauptgrund und unmittelbare Auslöserin der Proteste die schwierige wirtschaftliche Situation in Kuba. Ganz Lateinamerika wird zur Zeit von einer schweren ökonomischen Krise heimgesucht, von der auch Kuba nicht ausgenommen ist. Insofern sind davon ausgehende Massenproteste auf dem ganzen Kontinent nichts Unerwartetes.

Aber die Situation in Kuba wird schon seit Jahrzehnten durch die US-Wirtschaftsblockade geprägt, die durch die Verschärfungen unter Trump noch einmal verschlimmert wurde. Insbesondere das Verbot von Dollartransfers von AuslandskubanerInnen hat den Kampf ums tägliche Überleben noch schwieriger gemacht. Dazu kam jetzt der coronabedingte Einbruch im Tourismus um 70 %, der zusätzlich die Devisenquellen verknappt hat, während der Resttourismus vor allem aus Russland noch groß genug war, um offensichtlich gerade jetzt eine Pandemiewelle in Kuba zu befeuern. Die Devisenknappheit ist auch ein Problem angesichts der hohen Importabhängigkeit des Landes, das etwa 80 % der Grundnahrungsmittel einführen muss. Dies führte zu einer hohen Auslandsschuld (200 Millionen USD), die gerade erst im Juni zu einem Abkommen mit den GläubigerInnen führte.

Das erklärt auch, warum die kubanische Regierung derzeit zu Rationierungsmaßnahmen und Stromeinsparungen greifen musste. Hier erweist sich insbesondere China als unerbittlicher Gläubiger, der auf pünktliche Bezahlung besteht bzw. seine Zahlungsbedingungen durchdrückt. Die kubanische Regierung bleibt damit eingezwängt zwischen US-Blockade, Druck von den GläubigerInnen und der wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Versorgungslage. In der letzten Woche vor den Protesten ging in den staatlichen Läden sogar das Mehl aus.

Schluss mit den Sanktionen!

Von daher ist klar, dass die ersten Forderungen von SozialistInnen auf der ganzen Welt sein müssen: Schluss mit allen Sanktionen und der Blockaden gegen Kuba und Streichung aller Auslandsschulden! Angesichts der schwierigen Lage muss es auch bedingungslose Nahrungsmittelhilfen geben sowie Rohstofflieferungen zur Erleichterung der pharmazeutischen und Impfstoffproduktion. Kuba selbst hat an sich eine gut ausgebaute, die aber derzeit auch stark für den Export (z. B. nach China) genutzt wird. Auch hat Kuba selbst zwei sehr effektive Coronaimpfstoffe entwickelt, deren rasche Produktion jedoch auch wieder entsprechende Rohstoffimporte erfordert. Die rasche Impfkampagne, die von der Regierung geplant ist, könnte bei entsprechender Produktionsleistung auch bald zu einer Entspannung gerade an dieser Front führen. Von dieser Impfstoffproduktion könnten zudem auch andere Länder, insbesondere in Lateinamerika profitieren.

Sicherlich ist daher von der wirtschaftlichen Krise in Kuba vieles von außen hineingebracht. Andererseits sind diese Probleme auch ein langfristiges Resultat des verfehlten Modells des „Sozialismus auf einer Insel“. Ein derart hoher Importbedarf an lebenswichtigen Produkten (auch von Grundnahrungsmitteln) zeigt, wie wenig Kuba auch im damaligen Verbund mit den „sozialistischen Bruderstaaten“ in der Lage war, seine einseitige, abhängige Entwicklung aus der (Post-)Kolonialzeit zu überwinden, so dass es weiter von einer landwirtschaftlichen Monokultur abhängig blieb, bei weiterhin geringer Entwicklung von Selbstversorgung für wesentliche Agrar- und Industrieprodukte.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat sich diese ungünstige Wirtschaftsstruktur noch verschärft, indem eine große Abhängigkeit vom Tourismus sowie vom Export von Nickel und medizinischen Produkten und Dienstleistungen die Ökonomie prägt. Die Wirtschaftspolitik des castroistischen Regimes war nach dem Zusammenbruch des Ostblocks von einem Zickzack geprägt: einerseits Zulassen von Privatunternehmertum bis zu einem gewissen Grad und Lockerungen, was die Währungspolitik betrifft (Dollarisierung), andererseits immer wieder auch Straffung der staatlichen Kontrolle.

Letztere fungieren als ein notdürftiger Reparaturbetrieb angesichts der unvermeidlichen Folgen immer umfangreicherer marktwirtschaftlicher Reformen, die man selbst vorantrieb. Die Zunahme der sozialen Ungleichheit, Triebfeder der sozialen Proteste, auf Kuba ist nicht nur von außen erzwungen, sondern auch Resultat eines Wirtschaftskurses, der dem Kapitalismus den Boden bereitet und den „Sozialismus“ immer weiter unterhöhlt und unglaubwürdiger macht.

Letztlich bleibt die weiterhin dominierende bürokratische Planung aber völlig abhängig von den Problemen der Devisenbeschaffung und Bedienung der Auslandsschulden. In Folge der Reformen hat sich dabei eine immer größere soziale Spaltung in der kubanischen Gesellschaft ergeben, in der bestimmte Schichten, die sich Devisen beschaffen können oder in wichtigen Export- und Tourismusbereichen arbeiten, durchaus gut leben können, während für den Rest der Bevölkerung die Versorgungslage immer schwieriger wird.

Perspektive

Der Kern einer Lösung der langfristigen Probleme liegt daher in einer grundlegenden Demokratisierung und Umgestaltung des Wirtschaftsplans. Die Prioritäten müssen langfristig von den Bedürfnissen des Exports auf Gewährleistung der Grundversorgung umgestellt werden. Dazu muss ein von den ArbeiterInnen demokratisch erstellter und kontrollierter langfristiger Plan durchgesetzt werden, der allen arbeitenden Teilen der kubanischen Gesellschaft eine Perspektive gibt. Es ist auch klar, dass eine solche Abkehr von der abhängigen Entwicklung nicht von Kuba alleine bewältigt werden kann. Eine solche Umstellung der Ökonomie wird umso einfacher, je mehr Länder in Lateinamerika einen sozialistischen Weg einschlagen und für einen die ganze Region umfassenden demokratischen Plan des wirtschaftlichen Umbaus gewonnen werden können.

Kurzum, die Isolierung Kubas von der Entwicklung einer internationalen Revolution muss überwunden werden. Es kann kein Sozialismus in einem einzigen Land aufgebaut werden. Wenn dies in der UdSSR oder China nicht möglich war, ist es in einem kleinen Land wie Kuba erst recht eine Utopie. Ein ArbeiterInnenstaat, der sich auf die ArbeiterInnendemokratie gründet, könnte jedoch Bestand haben und sowohl eine Inspiration als auch eine Hilfe für RevolutionärInnen weltweit und insbesondere in Lateinamerika sein. Deshalb muss Kuba gegen alle Versuche der USA, den Kapitalismus zu restaurieren, verteidigt werden.

Die Regierung der kubanischen KP wird selbst in ihrem „Dialogangebot“ eine solche Radikalisierung und Demokratisierung der wirtschaftlichen Planung niemals vorschlagen. Im Gegenteil. Die kubanische Revolution war von Beginn an mit dem Problem behaftet, dass die Partei- und Staatsbürokratie die politische Macht monopolisierte, der ArbeiterInnenstaat war also von Beginn an bürokratisch degeneriert. Die Herrschaft dieser Bürokratie stellt selbst ein Hindernis für die weitere Entwicklung zum Sozialismus dar und droht, wie die marktwirtschaftlichen Reformen zeigen, selbst die Errungenschaften der Revolution zu unterminieren und zu zerstören.

Auch deshalb ist der Protest gegen die sozialen Folgen dieser Politik nicht nur legitim, sondern letztlich auch eine Voraussetzung für eine wirkliche Veränderung. Innerhalb der Bewegung ist die Frage, welche politische Richtung sie einschlagen soll, selbst eine Frage des Kampfes, der politischen Konfrontation nicht nur mit den regierungstreuen Kräften, sondern auch unter den Unzufriedenen und DemonstrantInnen.

Gerade angesichts der Krise der staatlichen Wirtschaftspolitik, ist zu befürchten, dass viele „mehr Markt“ als die einfachste Lösung ansehen werden. Wie die Erfahrungen mit kapitalistischer Restauration anderswo zeigen, verschärft das allerdings die Probleme für den Großteil der Bevölkerung. Wesentlich ist, dass die Organe, die jetzt gebildet werden, ob zum Dialog mit der Regierung oder zum ehrlichen Protest gegen Versorgungsprobleme, zu demokratischen Podien der Diskussion zum Ausweg aus der Krise, zur praktischen Umgestaltung von Produktion und Verteilung in den Betrieben und Stadtteilen werden, kurz zur Basis von ArbeiterInnenkontrollorganen, die auch die Kontrolle über die Planinstitutionen übernehmen können.

Solche Organe können für Gruppen, wie den Comunistas-Blog, andere revolutionär-sozialistische Gruppen oder linke AktivistInnen der LGBTIAQ-Bewegung die Basis liefern, sowohl die konterrevolutionären Tendenzen in der Protestbewegung zu bekämpfen als auch für den Sturz der Herrschaft der Bürokratie und für das Voranschreiten der kubanischen Revolution zu einer wirklich demokratischen Planwirtschaft zu wirken.

Klar ist jedenfalls, wie wir es während der kapitalistischen Restauration in Osteuropa erlebt haben: Die Bürokratie ist letztlich repressiv und nicht in der Lage, nachkapitalistische Eigentumsverhältnisse zu verteidigen. Die antibürokratische Protestbewegung muss wirklich revolutionäre sozialistische Kräfte aufbauen, die sich für die Förderung einer sozialistischen Entwicklung einsetzen, oder sie wird zu einem Vehikel der Restauration.

Letztendlich kann nur eine politische Revolution die ArbeiterInnendemokratie schaffen, die bürokratische Kaste, die Kuba regiert, auflösen und die Entwicklung einer sozialen Konterrevolution unter dem Banner der bürgerlichen Demokratie und der Erwartung billiger Lieferungen vom Weltmarkt stoppen. Was letzteres in der Praxis bedeuten würde, lässt sich an den Lebensbedingungen der ArbeiterInnen und armen Landbevölkerung in den Nachbarländern Lateinamerikas ablesen.




30 Jahre Wiedervereinigung: Nichts zu feiern

Bruno Tesch, Neue Internationale 250, September 2020

Das große Fest zum Tag der Einheit in Potsdam muss der Pandemie wegen ausfallen. Zu feiern gibt es für die ArbeiterInnenklasse ohnedies wenig nach 30 Jahren kapitalistischer Wiedervereinigung. Ein gewisser Sicherheitsabstand tut nicht nur wegen der Corona-Gefahr gut, auch zur bürgerlichen Mär von den „überwiegend“ positiven Resultaten. Wen hat die Wiedervereinigung eigentlich vorangebracht? Sind die nach wie vor ungleichen Lebensverhältnisse, die Zerstörung von Millionen Arbeitsplätzen nach der Wiedervereinigung bloß letzte Mängel der bürgerlichen Freiheit oder notwendiges Resultat eines stärker gewordenen deutschen Kapitalismus und Imperialismus?

Todeskrise des Stalinismus

Die deutsche Teilung selbst war Ausdruck einer globalen Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Weltordnung geriet im Laufe der 1980er Jahre ins Wanken. Die Staaten des sog. real existierenden Sozialismus, in Wirklichkeit degenerierte ArbeiterInnenstaaten, in denen von Beginn eine Bürokratie die ArbeiterInnenklasse politisch beherrschte, hatten dem Imperialismus ökonomisch nichts mehr entgegenzusetzen.

Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) bekam die Auswirkungen dieser Krise zu spüren, da sie zum einem über die einseitigen Bindungen im Energie- und Maschinen- sowie Rüstungsgütersektor an Lieferverträge an die Sowjetunion gekettet war, zum anderen im Handelsbereich mit dem Kapitalismus in eine stetig wachsende Auslandsverschuldung geriet. Damit versuchte die Bürokratie die Konsumbedürfnisse der ArbeiterInnenklasse einigermaßen zu befrieden, um die soziale Ruhe im Land zu gewähren. Doch die ökonomische Schieflage verschärfte sich weiter – auch durch einen Milliardenkredit, den die westdeutsche Bundesregierung Anfang der 1980er Jahre gewährte. Da hatte sich bereits der Allgemeinzustand der DDR-Wirtschaft dramatisch verschlechtert.

Der besondere Umstand der unmittelbaren Nachbarschaft zum durch den Imperialismus errichteten und geförderten BRD-Staat bewirkte, dass die DDR-Bevölkerung diesen als Schaufenster eines aufstrebenden Kapitalismus mit wachsendem Lebensstandard und scheinbarer Freizügigkeit vor Augen hatte. Die wirtschaftlich desolate Situation, die eingeschränkte Reisefreiheit sowie die Verweigerung demokratischer Rechte führten zu einem Gärungsprozess, der sich ab Spätsommer 1989 durch eine Fluchtwelle äußerte und im Herbst dann die Bevölkerung zu Protesten massenhaft auf die Straße trieb und in dem symbolträchtigen Mauerfall mündete.

Die bleierne Erblast des Stalinismus, also der politischen Diktatur einer bürokratischen Kaste, hatte die revolutionäre Traditionen der ArbeiterInnenbewegung, die 1953 kurz aufgeflammt waren und Fragen nach einer gesamtdeutschen Anstrengung zur sozialistischen Überwindung der Teilung aufgeworfen hatten, erdrückt. Angeführt wurde die 1989er Bewegung durch ideologisch kleinbürgerliche Kräfte, die das Heil in der Errichtung demokratischer Institutionen nach bürgerlichem Vorbild bzw. in einer Reform der herrschenden stalinistischen Partei suchten. Die entscheidenden Fragen nach einer politischen Revolution und dem Aufbau einer ArbeiterInnendemokratie und einer Wirtschaft nach demokratisch kontrolliertem gesellschaftlichen Plan wurden ebenso wenig gestellt wie die nach einer gesamtdeutschen revolutionären Wiedervereinigung.

Weichenstellung Richtung Kapitalismus

Weite Teile des Machtapparats, die selbst den Glauben an die Fortführung ihres bürokratischen Plankonzepts verloren hatten, versuchten, sich mit der Oppositionsführung zu arrangieren. Beide einte das Interesse, die Bewegung zu kanalisieren und ihr einen möglichen revolutionären Boden zu entziehen. So wurden zwar nominell als Volkskammerwahlen ausgeschriebene, doch de facto bürgerliche Parlamentswahlen für den 18. März 1990 vereinbart. Die noch von der SED geführte Übergangsregierung stellte zuvor eine weitere wichtige Weiche für die Auflösung der nichtkapitalistischen Grundlagen der DDR. Der Beschluss zur Gründung der Treuhandanstalt am 1. März sah bereits die Aufgabe von Planwirtschaft, von Außenhandelsmonopol und Staatseigentum an Produktion und Grundbesitz am Horizont heraufdämmern, wenn auch die Aufgabe von Eigenstaatlichkeit noch nicht zur Diskussion stand.

Glaubte die DDR-Regierung noch, bei den ersten Unterredungen mit dem Weststaat über eine vorsichtige Annäherung und einen mehrjährigen Plan zur eventuellen Wiedervereinigung auf Augenhöhe verhandeln zu können, wurde ihre Blauäugigkeit schnell desillusioniert. Sie wurde von der BRD-Regierung ultimativ vor die Wahl gestellt, deren Fahrplan für eine schnelle Wiedervereinigung zu kapitalistischen Bedingungen anzunehmen oder das völlige Ausbluten des Landes zu verantworten.

Die amtierende bundesdeutsche CDU/CSU/FDP-Regierung hatte mit Raubtierinstinkt längst die einmalige historische Chance gewittert, nicht nur den Auftrag des Grundgesetzes, die Wiedervereinigung nach kapitalistischen Richtlinien herbeizuführen, zu erfüllen, sondern auch die Ambitionen des BRD-Imperialismus auf internationalem Parkett auf einen Hieb enorm zu stärken. Sie hatte angesichts der bröckelnden Machtstrukturen des DDR-Staates und der gärenden Wünsche nach Veränderung im Land die Jetzt-oder-nie-Situation erfasst. Das Winken mit der harten West-D-Mark gab den Erwartungen der DDR-Bevölkerung einen entscheidenden Richtungsimpuls. Damit konnte zugleich auch die Gefahr einer revolutionären Orientierung in der DDR gebannt werden, was das DDR-Regime allein nicht ohne weiteres in den Griff bekommen hätte.

Finanzpolitische Bedenken über die hohen Kosten einer vorschnellen Vereinigung, geäußert v. a. von Seiten der WährungshüterInnen der Bundesbank, aber auch von der SPD-Opposition, konnte die Kohl-Regierung mit dem Hinweis auf die politisch günstige Lage und die Vorleistungen der DDR-Übergangsregierung vom Tisch wischen. Nach den DDR-Wahlen vom März 1990, deren Ausgang maßgeblich von der Aussicht auf die klingende Münze der BRD beeinflusst worden war, trat eine offen bürgerliche Regierung als diensteifriges Hilfspersonal bei der Umsetzung der Pläne der BRD-Führung ins Amt. Sie verhalf durch den Einigungsvertrag vom 18. Mai 1990, der eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen beiden Teilen festlegte, der Bundesregierung zur Entscheidungsgewalt über alle staats- und wirtschaftspolitischen Schritte der Wiedervereinigung, die nach bundesdeutschem Recht als Beitritt der DDR zur BRD deklariert wurde.

Vollendung der Konterrevolution

Das Treuhandgesetz trat am 1. Juli 1990 nicht zufällig zeitgleich mit der Einführung der Währungsunion in Kraft und regelte die Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens unter bundesdeutsch hoheitlicher Aufsicht. Die Bundesregierung entschied, die Besetzung der Schaltstellen ab Juli 1990 mit marktökonomisch versierten WestvertreterInnen durchzuführen. Der Treuhand waren 8.500 DDR-Betriebe unterstellt und damit das Schicksal einer Belegschaft von über 4 Millionen Menschen in die Hand gegeben.

Der zweite Pflock zur kapitalistischen Restaurierung der DDR wurde mit der Einführung der D-Mark als allein gültiger Währung ab dem 1. Juli 1990 eingeschlagen. Damit ging auch der Wunsch vieler DDR-BürgerInnen in Erfüllung. Der Umtausch der DDR-Währung in D-Mark Wertberechnung erfolgte zwar 1 : 1. Um aber in den Genuss der Auszahlungen zu kommen, die auf 2.000 D-Mark pro Person begrenzt waren, musste zuvor ein Antrag auf Kontoumstellung auf D-Mark gestellt und von den Banken eine Auszahlungsquittung eingeholt werden, die jedoch nur bis zum 6. Juli 1990 gültig war, um sofort an das Geld zu kommen. Soweit die Kontoguthaben Beträge altersgestuft von im Schnitt 4.000 DDR-Mark pro Kopf  überschritten, wurde nur noch im Verhältnis 2 : 1 getauscht. Guthaben, die erst nach dem 31. Dezember 1989 entstanden waren, konnten hingegen nur zu einem Kurs von 3 : 1 in D-Mark umgewandelt werden.

Das Volksvermögen an Produktionsmitteln und Grundbesitz jedoch, das nach DDR-Recht noch anteilig allen StaatsbürgerInnen zustand, wurde den Wertberechnungen des freien Markts überlassen. Die Mehrheit der Bevölkerung, d. h. die ArbeiterInnenklasse, wurde praktisch ohne Einspruchsrecht enteignet.

Für den Sieg der Konterrevolution war es auch notwendig, neben fortschrittlichen sozialen Einrichtungen, die in der DDR bestanden hatten, bspw. im Gesundheits- und Bildungswesen, auch demokratische Errungenschaften, die die halbrevolutionären Veränderungen hervorgebracht hatten, zu beseitigen wie demokratische Foren, vergleichsweise große Kontrolle und Transparenz in den Medien und politische Verhandlungen. (Runde Tische)

Die organisierte reformistische ArbeiterInnenbewegung in der BRD krümmte zu deren Rettung keinen Finger, sondern diente sich dem Imperialismus an. Der Deutsche Gewerkschaftsbund vollzog schon im Mai die Vereinigung als Übernahme der Ost-Gewerkschaften nach bewährtem sozialdemokratisch bürokratischen Konzept, das die strikte Trennung von Politik und Arbeitswelt festschrieb und jede unabhängige Tätigkeit der ArbeiterInnenklasse unterband.

Für die BRD-Regierung war nur noch eine wichtige Hürde zu nehmen: die Zustimmung der Mächte, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg geteilt und als feste Vorposten ihres jeweiligen Machtblocks in der Nachkriegsordnung aufgestellt hatten. Ein am 19. September ausgehandelter Staatsvertrag, den die USA, Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion unterzeichneten, besiegelte das Ende der Nachkriegsära und wertete die Bundesrepublik Deutschland als politischen Faktor auch international auf. Zugleich offenbarte dies auch die angeschlagene Position des stalinistischen Systems, dessen Staatenblock auch in anderen Regionen bis in die Sowjetunion hinein in Auflösung begriffen war. Die deutsche kapitalistische Wiedervereinigung war ein historischer Meilenstein für den Untergang des Stalinismus und den Sieg des Imperialismus. Der offizielle Festakt am 3. Oktober 1990 war nur noch Formsache, er vollzog diesen Sieg.

Konsequenzen der Vereinigung

Nach 30 Jahren fällt die Bilanz geteilt aus. Die segensreiche Tätigkeit der Treuhandanstalt, die bis 1994 andauerte, bescherte den fünf neuen Bundesländern inklusive Ostberlin den Kahlschlag einer ganzen Region. Das Bruttoinlandsprodukt der neuen Bundesländer sank um 40 % und der Industrieproduktion um zwei Drittel. Durch die Privatisierung volkseigener Betriebe gelangten 85 % in westdeutschen Kapitalbesitz. Eindeutig profitierte das Monopolkapital aus der BRD am meisten von Stilllegungen, Zerschlagung von Großbetrieben und Verkäufen zu Schleuderpreisen. Zudem ließ es sich Investitionen für den „Aufbau Ost“ noch kräftig von staatlicher Seite subventionieren.

Alles in allem sind die Großbetriebe im Osten weiterhin unterrepräsentiert. Außerhalb von Berlin haben sich einige urbane Ballungsräume mit Ansiedlung neuer Technologien, v. a. in Sachsen, herausgemacht, während viele ländliche Gegenden nach wie vor strukturell chronisch schwach sind. Dort sind oft veraltete Industrien wie Braunkohlebergbau ansässig, die die ökologisch unselige Tradition der DDR fortführen. Die Arbeitsbevölkerung ist überaltert, der Abwanderungsprozess gen Westen hält immer noch an. Die Arbeitslosenquote lag im August 2020 in den östlichen Bundesländern mit 7,8 % noch 1,4 Punkte über dem gesamtdeutschen Schnitt.

Zwar hatte sich die individuelle wirtschaftliche Lage für die meisten Menschen in den fünf neuen Ländern bald nach dem Anschluss verbessert, im zweiten Jahrzehnt jedoch verlangsamte sich das Aufholtempo und stagnierte schließlich. In der Lohnentwicklung hinkt der Osten 2020 dem Westen weiter um brutto 540 Euro hinterher. Bei den Renten liegt der Osten zwar vorn, aber nur weil in der DDR mehr Frauen berufstätig waren und besser verdienten als im Westen.

Die Frauen zählen jedoch auch zu den VerliererInnen der Vereinigung. Die reaktionäre bürgerliche Gesellschaftsordnung benachteiligt Frauen, die in der DDR eine stärkere wirtschaftliche und soziale Unabhängigkeit entfalten konnten. Sie gehörten zu den ersten, die nach der Wende entlassen oder lohnmäßig und im betrieblichen Status abgruppiert wurden.

Insgesamt hat die Wiedervereinigung dem Kapital einen Zuwachs für die Reservearmee an Arbeitskräften gebracht, und dies zu sich ausweitenden Vorstößen in der Entrechtung der ArbeiterInnenklasse durch zunehmende Prekarisierung, Leiharbeit, Aushöhlung von Arbeitsrechten und Unsicherheit des Arbeitsplatzes, verbunden mit einer verunsicherten Lebensplanung, sowie zur Privatisierung und Abbau öffentlicher Dienste genutzt.

Staat und Sozialversicherungswesen haben Jahr für Jahr Milliardensummen in den Aufbau Ost gepumpt, bezahlt größtenteils aus den Taschen aller lohnabhängig Beschäftigten – in West wie Ost – durch die vom Lohn abgezogenen Sozialversicherungsbeiträge und den so genannten Solidarbeitrag. Von den Sonderabschreibungen, Übernahme- und Abwicklungsprämien, Investitionszulagen, Entschädigungen für Enteignungen von Produktions- oder Grundbesitz, die in der DDR vorgenommen worden waren, profitierten wiederum nur die westdeutschen KapitalistInnen und reichen ErbInnen.

Strategische Bedeutung der deutschen Wiedervereinigung

Die Auslöschung des ArbeiterInnenstaats DDR mit seinen nichtkapitalistischen Grundlagen bedeutet eine Niederlage für das Weltproletariat, die umso schwerer wiegt, da sie praktisch kampflos erfolgte. Das Versagen der deutschen ArbeiterInnenbewegung einschließlich der westdeutschen Linken, die diese historische Dimension des Prozesses und v. a. die Notwendigkeit des Eingreifens völlig verkannte oder unterschätzte, war eklatant.

Während der Reformismus teilnahmslos verharrte oder aktiv die Demobilisierung der ArbeiterInnenklasse im Osten betrieb, hing ein Großteil der zentristischen Linken den kleinbürgerlichen Reformillusionen der DDR-BürgerrechtlerInnen an und träumte von einer teilstaatlichen Lösung und einem Kompromiss mit dem Stalinismus, statt mit einem Forderungsprogramm für die revolutionäre Wiedervereinigung den Widerstand in die ArbeiterInnenklasse hüben wie drüben hineinzutragen und sie organisatorisch zu rüsten.

Nicht allein die Errungenschaften eines ArbeiterInnenstaates wurden abgewickelt, sondern das Territorium wurde zum Exerzierplatz für eine sozialpolitische Konterrevolution eingerichtet. Die Rechnung, die das BRD-Kapital auch der ArbeiterInnenklasse im Westen für die passive Duldung der restaurationistischen Einheit präsentierte, war unerbittlich und musste mit der Schwächung des eigenen Kampfpotenzials gegen alle folgenden Offensiven des Kapitals bezahlt werden.

Die deutsche Imperialismus triumphierte zunächst. Die Wiedervereinigung hatte eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf die internationale Anerkennung seiner Leistungsfähigkeit. Entscheidend war jedoch, mit dem neu gewonnenen Hinterland eine geostrategische Startrampe geschaffen zu haben, um die Rekapitalisierung des zerbröckelnden Ostblocks voranzutreiben.

Zum Zweiten konnte in der EU noch mehr deutsches Gewicht in die Waagschale geworfen werden. Die Erweiterung der Machtbasis erleichterte auch die Durchsetzung von Projekten wie der Einführung des Euro als wichtiges Faustpfand für den innerimperialistischen Konkurrenzkampf.

BRD-Imperialismus im Krisenmodus

Die gegenwärtige Krise der Globalisierung hat die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus weltweit offenbart und auch vor dem BRD-Imperialismus nicht Halt gemacht. Der Investitionsstau für Neuunternehmungen im Ostdeutschland machte sich laut Ifo-Institut als Abwärtstrend bereits 1996 bemerkbar, u. a. aus Mangel an Fachkräften, auch in Großunternehmen. Die Konvergenz bei der Produktivität je Erwerbstätigem/r – im Osten 14.000 Euro weniger als im Westen – war ebenfalls seit der Jahrtausendwende ins Stocken geraten.

Strukturelle Probleme von Ungleichheit selbst im Inland konnten nicht gelöst werden: Verschuldung der Kommunen, Armutsschere geht weiter auf, Gefälle Stadt-Land, lebensunsichere Perspektive für die eigene Bevölkerungsmehrheit, geschweige denn für die noch stärker ins Elend gestürzten Massen der imperialisierten Länder.

Den ersten Dämpfer bekamen die Ambitionen des BRD-Imperialismus mit dem Scheitern seiner Pläne für eine EU-Verfassung 2003 und damit des politischen Aufstiegs zu einer imperialistischen Supermacht, die den USA und dem aufstrebenden China die Stirn bieten hätte können. Wirtschaftlich ist Deutschlands Vormachtstellung innerhalb der EU zwar weiterhin unumstritten, doch die Schwierigkeiten, ökonomische Druckmittel gegen die sich sperrenden Nationalismen dort politisch umzumünzen, nehmen zu. Mit einheitlichen klaren Positionen kann die EU weltpolitisch nicht aufwarten: Für den aktiven militärischen Einsatz für eigene Interessen besteht ein begrenzter Aktionsspielraum. Nach wie vor hindert der Atomwaffensperrvertrag die BRD daran, auch militärisch Weltgeltung zu erlangen.

Vor ein paar Jahren noch kaum vorstellbare Instabilitäten haben das Land überzogen und einerseits das Durchregieren für das Kapital nicht unbedingt vereinfacht, zum anderen den Erfolg des Rechtspopulismus gebracht, der v. a. in Ostdeutschland Tritt gefasst hat, worin die – vorläufig – letzte Konsequenz der siegreichen Konterrevolution und der Kapitulation der ArbeiterInnenbewegung zum Ausdruck kommt.

Protestbewegungen wie jene gegen die Hartz-Gesetze ab 2003, die vor allem in der ehemaligen DDR eine Massenkraft waren, verdeutlichen, dass es sich hier um kein Naturgesetz handelt. Die ArbeiterInnenklasse kann durchaus für ein fortschrittliches, klassenkämpferisches Programm gewonnen werden – wenn dieses entschlossen verfochten wird, in Ost und West.




Revolution und Konterrevolution in der DDR, Teil 2: Vom Herbst 89 zur Wiedervereinigung

Bruno Tesch, Neue Internationale 242, November 2019

Im ersten Teil haben wir uns mit Entstehung und Niedergang der DDR beschäftigt. Im zweiten Teil widmen wir uns der Entwicklung bis zur Restauration des Kapitalismus.

Vom Sommer 1989 bis zur Wiedervereinigung
erlebte die DDR eine tiefe politisch-revolutionäre Krise, die schließlich in
einer sozialen Konterrevolution mündete. Im Sommer hatte eine nicht mehr zu
bremsende Massenabwanderung eingesetzt. Im Herbst kam es dann zu
Massendemonstrationen, die sich gegen die Untragbarkeit der repressiven
Zustände wandten und nach politischen Reformen verlangten. Bis zum November
1989 befand sich die Bewegung in der Offensive. Der Parteiapparat und die
Staatssicherheitsorgane mussten Schritt für Schritt zurückweichen. Daran zeigte
sich, wie morsch das Regime schon war. Daran konnten selbst die
Palastrevolution und die Absetzung Honeckers im Oktober als Parteichef nichts
mehr retten. Auch die UdSSR war nicht mehr bereit, das Staatsgefüge zu stützen.

Der Zusammenbruch eines Teils der
Nachkriegsordnung im Osten, eine politisch-revolutionäre Krise in der DDR
konnte nur zu drei Resultaten führen: bürokratische Konterrevolution,
politische Revolution oder soziale Konterrevolution.

Grundfragen

Gerade wenn wir die zentralen Aufgaben der
politischen Revolution in der DDR – die Eroberung der Staatsmacht und
Reorganisation der Planwirtschaft – betrachten, wird unmittelbar deutlich, dass
diese von Beginn aufs Engste mit der ArbeiterInnenklasse und sozialen
Revolution im Westen verbunden waren. Wie hätte die DDR-Wirtschaft
reorganisiert werden sollen und können, wenn nicht im engen Verbund mit den
Klassenbrüdern und -schwestern im Westen?

Daher war die Losung einer Vereinigten
Sozialistischen Räterepublik in ganz Deutschland eine zentrale Frage vom Beginn
der Massenbewegung in der DDR an.

Sie musste jedoch konkret übersetzt werden in
Schritte zum sofortigen Aufbau von direkten Verbindungen zwischen den
Gewerkschaften, betrieblichen AktivistInnen in Ost und West, in ein
Aktionsprogramm zur Lösung der dringendsten Aufgaben auf wirtschaftlichem und
politischem Gebiet, das mit der Losung einer revolutionären
ArbeiterInnenregierung verbunden werden musste. Unsere Vorläuferorganisation,
die Liga für eine revolutionär-kommunistische Internationale, hat von Beginn an
die Frage der revolutionären Wiedervereinigung sehr konkret aufgeworfen und
gleichzeitig die Notwendigkeit dargelegt, jede Rekapitalisierung der DDR
einschließlich einer kapitalistischen Wiedervereinigung entschieden zu
bekämpfen.

Die Frage der Wiedervereinigung war von Beginn
an virulent, obwohl sie in den ersten Wochen der Mobilisierung gegen die
Bürokratie nicht offen gestellt wurde. Das hing damit zusammen, dass gerade in
den Stellungnahmen des Großteils der kleinbürgerlichen „BürgerInnenbewegung“
die Forderungen im Wesentlichen auf demokratische Reformlosungen beschränkt
waren. Aber diese Ziele mussten auch von RevolutionärInnen in dieser Phase
aufgegriffen und zugespitzt werden. Das trifft besonders auf Losungen wie
Organisationsfreiheit, Reisefreiheit, Pressefreiheit zu.

Zugleich zeigte sich von Beginn an auch die
politische Schwäche der BürgerInnenbewegung darin, dass ihr größter Teil die
Krise in der DDR im Wesentlichen als „Demokratiefrage“ betrachtete und
weitgehend blind war gegenüber der Notwendigkeit, gerade auch eine Antwort auf
die tiefer liegende Krise der bürokratischen Planung zu geben.

Gründe für konterrevolutionären Umschwung

Wo die BürgerInnenbewegung und besonders ihr linker
Flügel ökonomische Konzepte entwickelten, stellten sie der bürokratischen
Planwirtschaft jedoch entweder nur eine Spielart des utopischen „Dritten Weges“
zwischen Kapitalismus und Kommunismus oder eine Form des „Marktsozialismus“
entgegen. Das traf auch auf die linkesten Strömungen wie Vereinigte Linke zu,
die in der „Böhlener Plattform“ einer Form der „ArbeiterInnenselbstverwaltung“
nach jugoslawischem Muster das Wort redete.

Hinzu kam, dass die BürgerInnenbewegung
insgesamt politisch eine Reformperspektive des SED-Staates vertrat. Der Druck
der Massenbewegung führte Ende 1989 zur Installation der sogenannten „Runden
Tische“, die der perspektivlosen und konfusen Opposition ein Forum boten, vor
allem aber der noch herrschenden SED-Bürokratie zupasskamen.

Sie erlaubten allen um die Tische versammelten
Kräften, die Massen zu demobilisieren, auf die Arbeit in den „neuen“ Gremien zu
vertrösten. Die zunehmende Orientierung auf bürgerliche parlamentarische Wahlen
zur Volkskammer trug ebenfalls dazu bei, die politische Energie von der Straße
an die Wahlurnen zu verlagern.

Die BürgerInnenbewegung übergab die Initiative
an die teilweise aus ihr, teilweise aus den Blockparteien entstandenen, offen
bürgerlichen Parteien und die Sozialdemokratie einerseits, an die SED-PDS
andererseits.

Die tieferen Ursachen des „Umkippens“ der
Bewegungsrichtung bestanden in folgenden Faktoren:

  • Erschöpfung der Potentiale der bürokratischen Planwirtschaft;
  • Fehlen einer politischen Führung, die eine Alternative für die Avantgarde der ArbeiterInnenbewegung mit der Perspektive des revolutionären Sturzes des SED-Regimes und einer revolutionären Wiedervereinigung hätte weisen können;
  • weitgehende Zerstörung des Klassenbewusstseins des Proletariats

Dennoch entstanden in der Frühphase der Bewegung
Strömungen wie die Vereinigte Linke, die sich auf eine landesweite Bekanntheit
und einen Anhang unter der Intelligenz und Teilen der bewussten
ArbeiterInnenschaft berufen konnte und einige hundert AktivistInnen und
zehntausende AnhängerInnen umfasste. Außerdem kam es zu politischer
Oppositionsbildung in den Gewerkschaften – z. B. in der Initiative Unabhängige
Gewerkschaften – und, vor allem Ende 1989, zu einer tiefen politischen Krise in
der SED.

In diesen politischen Bewegungen nach links hätten
RevolutionärInnen eingreifen müssen und AnhängerInnen für die Bildung einer
wirklich revolutionären Partei finden können. Die Entwicklung wurde noch
dadurch erschwert, dass die ArbeiterInnenklasse nicht nur nicht als bewusstes
politisches Subjekt auftauchte, sondern auch betriebliche und kommunale Formen
proletarischer Selbstorganisation sehr rar blieben.

Revolutionäre Aufgaben 1989

Revolutionäre Agitation und Propaganda musste
sich auch stark auf die Notwendigkeit der Schaffung von räteähnlichen Strukturen
und Kampforganen der Arbeiter und Arbeiterinnen konzentrieren und diese mit der
Notwendigkeit der Errichtung einer demokratischen Planwirtschaft verbinden.
Eine solche wäre jedoch unmöglich gewesen ohne den revolutionären Sturz der
SED, die Zerschlagung des Staatsapparates, die Forderung nach Abzug der
sowjetischen Armee, nach Entwaffnung von Polizei, Armee, Betriebskampfgruppen
und der Übergabe ihrer Waffen in die Hände von ArbeiterInnenmilizen.

Ein zweiter zentraler Punkt war der Kampf gegen
demokratische Illusionen. Dazu war es angesichts des fehlenden
Klassenbewusstseins des Proletariats unbedingt notwendig, die Kritik des
Charakters der bürgerlichen Demokratie und die Propagierung des Rätesystems mit
Forderungen zu verbinden, die die Hoffnungen in die bürgerliche Demokratie
einem Test unterzogen hätten und gleichzeitig dazu angetan waren, den Schaden
dieser Illusionen zu minimieren.

Eine solche Herangehensweise war um so
dringlicher, als der politisch-revolutionäre Prozess November/Dezember 1989 seinen
Schwung verloren hatte, die spontane Massenmobilisierung mehr und mehr unter
die Fuchtel offen restaurationistischer Führungen geriet und auch SED, SED-PDS
(später die PDS) unter Krenz, Modrow und Gysi auf den Kurs der kapitalistischen
Wiedervereinigung umschwenkten. Sie willigten ein, im März 1990 bürgerliche
Parlamentswahlen abzuhalten.

Demobilisierung und  Rechtsentwicklung

Die „Runden Tische“ waren in dieser Hinsicht für
alle bürgerlichen, kleinbürgerlichen und bürokratischen Kräfte ein Mittel, sich
dem Druck der ArbeiterInnen zu entziehen. In dieser Phase wurde von der
westdeutschen Bourgeoisie und der SPD auch die Frage der kapitalistischen
Wiedervereinigung offensiver ins Treffen geführt.

Durch die allgemeine Orientierung auf
Parlamentswahlen war die Massenbewegung damit von der Straße weg vor die
Fernsehschirme verbannt. Anfang 1990 war es noch die SPD, die nun die
Hoffnungen der ArbeiterInnenklasse und der Mittelschichten in der DDR auf sich
zog. Aber sie vertrat einen Wiedervereinigungsplan, der weder die
historisch-strategischen Interessen des deutschen Imperialismus voll
befriedigte noch den Werktätigen der DDR eine vernünftige Perspektive bot:
Wiedervereinigung in zehn Jahren (womit die SPD in trauter Gemeinsamkeit mit
den MonetaristInnen der Deutschen Bundesbank gegen das „Abenteuer
Wiedervereinigung“ stand).

Die zögerliche Haltung der SPD hatte nichts mit
anti-imperialistischen Überlegungen zu tun, sondern spiegelte ihre soziale
Basis in der westdeutschen ArbeiterInnenaristokratie wider, die borniert, aber
nicht zu Unrecht fürchtete, die Zeche für die Expansion des deutschen
Imperialismus zahlen zu müssen. Statt gemeinsam mit den Klassenbrüdern und
-schwestern im Osten in die Offensive zu gehen, blieb die ArbeiterkInnenlasse
im Westen gegenüber den Ereignissen passiv, skeptisch, abwartend. Die SPD
redete einer Variante der kapitalistischen Wiedervereinigung das Wort, deren
Kosten allerdings nur die ostdeutschen ArbeiterInnen hätten begleichen müssen.

Diese sahen sich daher zu Recht von der SPD im
Stich gelassen. Dass die DDR-Wirtschaft mit bürokratischer Planung light nicht
aus der Krise gebracht werden konnte, wusste auch der/die unpolitischste
DDR-ArbeiterIn.

Eine einigermaßen große kämpfende
Propagandagruppe revolutionärer KommunistInnen hätte in dieser Phase zumindest
der Avantgarde eine politische Orientierung geben können. Es existierte aber
kein solcher Kern.

Die Haltung der westdeutschen
ArbeiterInnenbewegung, die Politik der SPD, aber selbst die Position eines
Teils der „radikalen“ Linken, dass die Revolution (und Konterrevolution) in der
DDR ausschließlich eine Angelegenheit der DDR-Bevölkerung sei, führten nicht
nur zum stetigen Terrainverlust im Osten, sondern sicherten dem Imperialismus
auch ein ruhiges Hinterland.

Kohls Sieg

Andererseits hatte die BRD-Regierung unter Kohl
als einzige Kraft die weltgeschichtlichen Potentiale der Situation nicht nur
begriffen, sondern auch sehr selbstbewusst im Interesse der langfristigen
Perspektiven des deutschen Imperialismus die Initiative ergriffen. Der „ideelle
Gesamtkapitalist“ hat in dieser Situation auch ganze Sektoren des deutschen
Kapitals, nicht zuletzt die Bundesbank, zur Seite geschoben und Kurs auf eine
rasche kapitalistische Wiedervereinigung genommen. Wenige Wochen vor der
letzten Volkskammerwahl ging der westdeutsche Imperialismus in die Offensive.
Die Ost-CDU, nunmehr Marionette der Bonner Regierung, gewann die Wahl. Der
eigentliche Sieger hieß Kohl.

Keine einzige größere Partei, die zur Wahl stand
(auch nicht die SED-PDS), hegte auch nur die Absicht, die kapitalistische
Wiedervereinigung und Abwicklung der DDR zu verhindern. Entscheidende
ökonomische Mechanismen – darunter die Gründung der Treuhand und die
Vorbereitung der Wirtschafts- und Währungsunion vom Juli 1990 – waren schon unter
der Regierung Modrow auf den Weg gebracht worden. Nun folgte die endgültige
Zerstörung des degenerierten ArbeiterInnenstaats DDR mit der Wirtschafts- und
Währungsunion. Die Wiedervereinigung im Herbst war dann bloß der staatliche
Nachvollzug dieser Regelung.

Besonders skandalös war das Verhalten des DGB:
Im Herbst 1989 verhielt er sich passiv, stumm und gleichgültig gegenüber den
Klassengeschwistern in der DDR. Kaum aber war die Vereinigung unter
bürgerlich-kapitalistischen Vorzeichen ausgehandelt, vollzog er als Erstes den
‚Vereinigungsprozess‘ durch Übernahme des FDGB (Gewerkschaftsverband der DDR).
Der DGB liquidierte dabei kurzerhand alle bestehenden verbrieften
Errungenschaften der DDR-ArbeiterInnenklasse und kassierte außerdem
klammheimlich gleich noch den letzten Beschluss des FDGB, der ein Vetorecht der
Gewerkschaften gegen arbeiterInnenfeindliche Gesetze forderte. Die
DGB-BürokratInnen betätigten sich also als willfährige Speerspitze des
bundesdeutschen Imperialismus.

Nein zur kapitalistischen Vereinigung!

Zu den letzten Volkskammerwahlen konnten
RevolutionärInnen keine der antretenden Parteien unterstützen. Sie waren in
einer ganz entscheidenden Stunde einer Wahl, die im Grunde eine Abstimmung über
die Existenz der Errungenschaften der DDR war, allesamt auf der falschen Seite
der Barrikaden. Die soziale Konterrevolution nahm dadurch auch wie in den
meisten osteuropäischen Ländern eine bürgerlich-demokratische Form an.

Im Frühjahr 1990 hätte das Schwergewicht der
Intervention revolutionärer KommunistInnen auf folgende Punkte konzentriert
werden müssen: die Verteidigung der existierenden Errungenschaften, den Kampf
gegen den beginnenden Ausverkauf der DDR-Wirtschaft an das Kapital, ein klares
Nein zur kapitalistischen Wiedervereinigung bei gleichzeitiger Herstellung
enger Verbindung zu den ArbeiterInnen im Westen (besonders in jenen Konzernen
und Banken, die sich anschickten, den Osten zu „erobern“), den Kampf für volle
demokratische Rechte für die ArbeiterInnenbewegung und die Schaffung von den
Belegschaften verantwortlichen Kampforganen, die bei einer Generalisierung und
Zuspitzung der Abwehrkämpfe zu landesweiten räteähnlichen Organen, zu
OrganisatorInnen von Massenstreiks gegen Kapital und Bürokratie, gegen NATO und
sowjetische Truppen ausgebaut werden mussten.

Solche Organe hätten gleichzeitig die Grundlage
für eine revolutionäre ArbeiterInnenregierung bilden können, für die
Zerschlagung der Reste des SED-Staatsapparates und die Errichtung einer
proletarischen Räterepublik in Deutschland. Eine solche Entwicklung hätte die
revolutionäre Wiedervereinigung mit unzweifelhaft progressiver Dynamik auf die
Tagesordnung gesetzt. Vor allem aber hätte der Zusammenbruch der alten
Weltordnung mit einem Fanal für die Ausweitung der Revolution nach Ost- und
Westeuropa begonnen.

Dass es nicht so gekommen ist, lag zweifellos an
ungünstigen politischen Voraussetzungen und der geringen Zeitspanne, die für
die Entstehung proletarischen Klassenbewusstseins und für eine grundlegende
Umgruppierung der Kräfte in der ArbeiterInnenbewegung genutzt werden hätte
müssen. Die kapitalistische Wiedervereinigung war eine historische Niederlage
für die ArbeiterInnenbewegung in Deutschland und eine besonders schwere für das
Proletariat in der ehemaligen DDR.

Es ist kein Zufall, dass seit den frühen 1990er
Jahren fast alle zentralen Angriffe auf die Errungenschaften im Westen durch
„Probeläufe“ und „Vorstöße“ im Osten gestartet worden sind. Die
Deindustrialisierung und  der
Verlust an gewerkschaftlicher Kampferfahrung und -bereitschaft des Proletariats
in den neuen Bundesländern haben die ArbeiterInnenklasse in der ganzen BRD
geschwächt. Gleichzeitig wurde die weltpolitische Rolle des deutschen
Imperialismus gestärkt  Die
ArbeiterInnenbewegung in Deutschland steht seit 30 Jahren einem Klassengegner
gegenüber, der sich viel besser aufgestellt hat, als es die Betrachtung der
rein territorialen Ausdehnung wiedergibt.




China: Tian’anmen, 30 Jahre danach

Peter Main, Infomail 1057, 3. Juni 2019

In den frühen
Morgenstunden des 4. Juni 1989 stießen Panzer und Infanterie der
Volksbefreiungsarmee auf den riesigen Platz des Himmlischen Friedens vor, der
vor der „Verbotenen Stadt“ Pekings, dem Regierungssitz, liegt. Der Platz selbst
wurde von zehntausenden AnhängerInnen der „Demokratiebewegung“ besetzt,
hauptsächlich von StudentInnen, die dort mehrere Wochen lang campiert hatten.
Die Panzer stoppten ihren Vormarsch nicht, ihre Spurketten zerstörten die Zelte
und überrollten viele, die nicht entkommen konnten. Viele weitere starben, als
Truppen das Feuer direkt in die Menge eröffneten.

Als sich die
Nachricht vom Massaker von Tian’anmen verbreitete, formierten sich Proteste von
Millionen in allen großen Städten Chinas. Generalstreiks brachten einen
Großteil des Landes zum Erliegen. Das Kriegsrecht, das am 18. Mai in Peking
verkündet wurde, wurde auf das gesamte Land ausgedehnt, und alle
Mobilisierungen wurden so grausam unterdrückt wie in der Hauptstadt. Im Juli
war jeglicher Widerstand gebrochen. Die verbleibende Aktivität beschränkte sich
auf das Verstecken von AktivistInnen und den Versuch, die Toten und die
Vermissten zu dokumentieren.

Vorgeschichte

Die Bewegung,
die so blutig endete, besaß ihre Vorläuferin in der Mobilisierung der „Mauer
der Demokratie“ ein Jahrzehnt zuvor. So wie diese spiegelte sie eine Spaltung
in der Führung der Kommunistischen Partei Chinas, KPCh, in der
Wirtschaftspolitik wider. 1978 endete die Debatte mit dem Sieg der Vorschläge
von Deng Xiaoping, das Wachstum durch „Marktreformen“ des Systems der
staatlichen Planung zu stimulieren. Bis Mitte der 1980er Jahre hatten diese
jedoch widersprüchliche Ergebnisse erbracht. Die Wiedereinführung der privaten
Landwirtschaft hatte die Jahresproduktion um bis zu 13 Prozent erhöht und das
Wachstum der privaten Leichtindustrie angefacht, aber eine erhöhte Autonomie
der Leitung in der staatlichen Industrie hatte keine nennenswerte Entwicklung
gebracht.

Die Debatte
darüber, wie dieser Widerspruch gelöst werden konnte, hatte nicht nur die
FührerInnen der KP Chinas beschäftigt. In den Universitäten und den Ministerien
gerieten ExpertInnen, von denen einige an „westlichen“ Universitäten studieren
durften, über das weitere Vorgehen in Streit. Solche Argumente fanden natürlich
ihren Weg in die Zeitschriften und damit in die Hörsäle und Seminarräume. Hu
Yaobang, der Generalsekretär der KP Chinas, ermutigte solche Debatten und
machte deutlich, dass er nicht nur mehr „vermarktende“ Reformen, sondern auch
eine politische Entspannung befürwortete.

Im Januar 1987
wurde Hu durch Zhao Ziyang ersetzt, aber dies führte nicht zu einer sofortigen
Änderung der Politik. Im September 1988, als sich die Parteiführung nicht auf
eine Preisreform einigen konnte, wurde die Situation noch verschärft. Diese
Lähmung auf höchster Ebene konnte nicht öffentlich gemacht werden, aber sie war
hinreichend bekannt, insbesondere unter der Intelligenz.

Was das Thema in
die Öffentlichkeit brachte und die Demokratiebewegung auslöste, war der Tod von
Hu Yaobang bzw. seine Beerdigung im April 1989. Die Beisetzung eines
hochrangigen Parteivorsitzenden war eine öffentliche Veranstaltung, die jedoch
vor allem für StudentInnen zu einer Gelegenheit wurde zu demonstrieren, und die
Unterstützung eines Mann zum Ausdruck zu bringen, der sich für politische
Debatten und sogar Pluralismus eingesetzt hatte. Es wurden Forderungen nach
einer freien Presse, nach Maßnahmen gegen korrupte BeamtInnen und nach der
Anerkennung unabhängiger studentischer Organisationen laut. Die Demos wurden
von den Pekinger EinwohnerInnen begeistert angefeuert, und dies sorgte, gepaart
mit der offiziellen Trauer um Hu, für das Ausbleiben von Repression.

Ausweitung und
Besetzung

Ermutigt durch
diese Erfahrung riefen die StudentInnen eine Demonstration zum Gedenken an die „Bewegung
des vierten Mai“ von 1919 aus (Proteste gegen den Versailler Vertrag, der China
nicht die Aufhebung der „Ungleichen Verträge“ und 21 Forderungen Japans
brachte). Zehntausende folgten dem Aufruf und die Demonstration betrat den
Platz des Himmlischen Friedens ohne die erwartete offizielle Opposition. Mehr
noch, Zhao Ziyang selbst erklärte öffentlich, dass vieles, was die StudentInnen
wollten, im Einklang mit der Parteipolitik stand.

Nichtsdestotrotz
änderte sich nichts und die StudentInnen beschlossen, weitere Demonstrationen
zu veranstalten, um den sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow
am 15. Mai zu begrüßen. Gorbatschow selbst wurde mit der Einführung von „Glasnost“
und „Perestroika“, Offenheit und Umbau in der Sowjetunion in Verbindung
gebracht, und die Botschaft der StudentInnen an die KPCh-Führung hätte kaum
deutlicher sein können.

Die
Menschenmassen auf dem Platz des Himmlischen Friedens waren so groß, dass Gorbatschow
durch einen Seiteneingang ungesehen in die Verbotene Stadt gebracht werden
musste. Nun begann die dauerhafte Besetzung des Platzes. Hunderte von
StudentInnen begannen einen Hungerstreik, um ihren Forderungen Nachdruck zu
verleihen. Drei Tage später lehnte der Ständige Ausschuss des Politbüros, die
tägliche Führung der Partei, Zhaos Vorschlag für Konzessionen an einige der
Forderungen der StudentInnen ab. Nachdem er diese besucht hatte, wurde er aus
dem Amt entfernt und am nächsten Tag erklärte Li Peng, der Premierminister, in
Peking das Kriegsrecht.

Die sofortige
Reaktion war ein massiver Protest der Pekinger Einwohnerschaft. Mehr als eine
Million Menschen besetzten nun den Platz. Streiks lähmten die ganze Stadt und
verhinderten, dass Truppen das Zentrum erreichten. Am Abend wurde die
Organisation Autonomer ArbeiterInnen Pekings gegründet. Zwei Wochen lang hielt diese
Situation an. Außerhalb von Peking wuchs die Demokratiebewegung in den
Provinzstädten, und viele beschlossen, Delegationen von StudentInnen und
ArbeiterInnen in die Hauptstadt zu entsenden.

Es war ihre
Ankunft auf dem Platz des Himmlischen Friedens, verbunden mit der zunehmenden
Verbrüderung zwischen lokalen Garnisonstruppen und den DemonstrantInnen, die
Deng, den „obersten Führer“, davon überzeugten, dass die gesamte Bewegung
endgültig gestoppt werden musste. Ende Mai gab es einen separaten und ganz
eigenen „ArbeiterInnenabschnitt“, der die nordwestliche Ecke des Platzes
einnahm. Das erste Zeichen dessen, was kommen sollte, war die gewaltsame
Verhaftung der FührerInnen der Autonomen ArbeiterInnenorganisation am 31. Mai.
In den nächsten zwei Tagen brachen wiederholte Versuche, das Zentrum Pekings
mit unbewaffneten Truppen zu besetzen, angesichts der Verbrüderung zusammen.
Inzwischen waren jedoch Truppen aus fernen Provinzgarnisonen in der Hauptstadt
angekommen, die in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni zur Räumung des Platzes
eingesetzt wurden.

Charakter des
Massakers

Damals und
seither haben die FührerInnen der KP Chinas das Massaker von Tian’anmen als
notwendige Unterdrückung eines „konterrevolutionären Aufstands“ gerechtfertigt.
Dass es sich nicht um einen Aufstand handelte, geht aus dem Charakter der
Ereignisse hervor: Kein Aufstand dauert mehr als einen Monat und beinhaltet
Aktionen in jeder Großstadt. Aber war die Bewegung konterrevolutionär? Für
MarxistInnen, und die FührerInnen der KPCh sagen, dass sie MarxistInnen sind,
würde das einen bewussten Versuch bedeuten, den Kapitalismus in China
wiederherzustellen, d. h. das Planungssystem zu demontieren, das
staatliche Außenhandelsmonopol abzuschaffen und das staatliche Eigentum zu
privatisieren.

Keine dieser
Maßnahmen stand in den Forderungen der Demokratiebewegung, die sich stattdessen
auf demokratische Rechte konzentrierte: Pressefreiheit; Versammlungsfreiheit;
für ein pluralistisches politisches System; das Recht, Organisationen wie
Gewerkschaften und studentische Verbände zu bilden. Darüber hinaus beschränkte
sich die Bewegung, weit vom Versuch entfernt, den Staatsapparat zu stürzen, darauf,
diesen Apparat aufzufordern, diese Rechte als Reformen einzuführen. Höchstens
war dies eine massenhafte, radikale, demokratische Protestbewegung.

Mit der Gründung
von proletarischen Organisationen wie der Autonomen ArbeiterInnenorganisation
in Peking, der Verbrüderung mit den SoldatInnen und der Spaltung in der Führung
der herrschenden Partei verfügte die Bewegung sicherlich über das Potenzial,
sich zu einer Revolution gegen die Parteidiktatur zu entwickeln, die wir als
politische Revolution bezeichnen würden, die die bestehenden planwirtschaftlichen
Strukturen zwar massiv von unten reformieren, aber nicht zerschlagen und durch
kapitalistische ersetzen würde. Das wäre vergleichbar gewesen mit den vielen
Revolutionen der „Volksmacht“, die wir gegen Diktaturen in kapitalistischen
Ländern erlebt haben, die auch den kapitalistischen Charakter der Wirtschaften
unbeeinträchtigt ließen. Allerdings wurde die Bewegung in China in Blut
ertränkt, bevor sie dieses Potenzial entwickeln konnte.

Konterrevolutionäre
Politik der KPCh

Zu beachten ist,
dass Deng Xiaoping, derselbe „oberste Führer“ der KPCh, 1992 selbst den Abbau
des Planungssystems, die Abschaffung des staatlichen Außenhandelsmonopols und
die Privatisierung und Trustbildung eines Großteils der staatlichen Industrie
vorgeschlagen hat. Um das Funktionieren des neuen Systems sicherzustellen, hat
das Regime auch das Recht der ArbeiterInnen auf Arbeit, Wohnung,
Krankenversicherung und Bildung für ihre Kinder abgeschafft. So waren es die
Führung und der Apparat der Kommunistischen Partei Chinas, die die wirklich
konterrevolutionäre Kraft verkörperten, und sie konnten nur ihre Wiederbelebung
des Kapitalismus vollenden, weil sie auf dem Platz des Himmlischen Friedens die
Fähigkeit der ArbeiterInnenklasse, sich selbst und ihre Interessen zu
verteidigen, zerstörte.

Bis zum heutigen
Tag wird die Partei keine erneute Bewertung der Ereignisse von 1989 zulassen.
Das mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen: Der durch die
„Kulturrevolution“ verursachte Schaden wurde kritisiert, und selbst Mao Zedong
wird als „fehlerhaft“ eingestuft. Der Punkt ist, dass es sich dabei um interne
Streitigkeiten innerhalb des bürokratischen Apparats handelte, auf dem die
Partei beruht, und die „Neubewertungen“ wurden von der siegreichen Fraktion
vorgenommen. Die Demokratiebewegung konnte aufgrund der Spaltungen innerhalb
der Bürokratie zu einem landesweiten Ausmaß wachsen, war aber als Bewegung eine
Bedrohung für die gesamte Parteidiktatur. Daher würde alles andere als eine
vollständige Verurteilung die Leugnung der „führenden Rolle der Partei“
bedeuten.

Die anhaltende
Feindseligkeit der bürokratischen Partei gegenüber demokratischen
Beschränkungen ihrer eigenen Macht zeigt sich deutlich an ihrer brutalen
Unterdrückung nationaler Minderheiten wie der Uiguren von Xinjiang, der
stetigen Erosion der BürgerInnenrechte in Hongkong und dem Einsatz modernster
Technologien zur Überwachung der gesamten Bevölkerung, ohne dass diese Zugang
zu Informationen erhält. Diese Maßnahmen selbst garantieren praktisch, dass
demokratische Forderungen in jeder zukünftigen Massenbewegung eine zentrale
Rolle spielen werden.

Es gilt jedoch
noch eine weitere Lektion zu ziehen. Die bürokratische Diktatur stellte den
Kapitalismus wieder her, um ihre eigene Herrschaft zu bewahren, als ihre
Kontrolle der Wirtschaftsplanung Wachstumsraten gegen Null erzielte. So wie sie
kein grundlegendes Engagement für die Planwirtschaft zeigte, so verfügt sie
auch über keins für das spontane Funktionieren des kapitalistischen
Wettbewerbs, ganz zu schweigen von den demokratischen politischen
Institutionen, die manchmal mit dem Kapitalismus verbunden sind. Dies eröffnet
die Möglichkeit von Interessenkonflikten zwischen der Bürokratie und der
KapitalistInnenklasse, die sie ins Leben gerufen hat. Bislang haben sich Chinas
KapitalistInnen damit begnügt, die bürokratische Herrschaft zu akzeptieren,
weil sie Gewinne garantierte, aber mit der Entstehung von global bedeutsamem
Kapital könnte sich dies mit der Zeit ändern.

Unter dem Druck
des verlangsamten Wirtschaftswachstums und des Handelskrieges von Trump wird
die Annahme in Frage gestellt, dass die Partei die Garantin für soziale
Stabilität ist, auch von denen, die in der Vergangenheit davon profitiert
haben. In einem solchen Szenario sollte die ArbeiterInnenbewegung, die bereits
existiert, der aber alle Rechte verwehrt werden, ihr großes soziales Gewicht in
den Kampf für demokratische Forderungen einbringen. Wie 1989 könnte eine solche
Bewegung sehr schnell auf nationaler Ebene wachsen. Ihr Erfolg wird davon
abhängen, ob die ArbeiterInnenklasse ihre eigenen Organisationen bildet, vor
allem eine politische Partei, die von allen Fraktionen der Bürokratie und allen
Strömungen innerhalb der KapitalistInnenklasse unabhängig ist. Ihr Ziel sollte
der Sturz des gesamten Systems der bürokratischen Diktatur und ihre Ersetzung
durch eine ArbeiterInnenregierung sein, die auf den Kampforganisationen der
ArbeiterInnenklasse basiert und ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig ist.




Prag 1968: Revolution und Konterrevolution

Dave Stockton, Infomail 1008, 25. Juni 2018

1968 war eines der „verrückten Jahre“ der Geschichte wie 1848, 1917-18, 1989 und zuletzt 2011. Es war eine Zeit, in der der Ausbruch von Revolten in einem Land schnell zu Umwälzungen in anderen Ländern führte. Die Ausbreitung der internationalen revolutionären Umwälzungen schien die Aussicht auf ein dramatisches Auftauen des von der Sowjetunion Osteuropa auferlegten Dauerfrostes, ein Aufblühen der Demokratie und der sozialen Transformation, den „Prager Frühling“, zu bieten.

Das revolutionäre Jahr 1968 begann mit der Tet-Offensive der vietnamesischen Guerillakräfte, die den USA schwere Verluste zufügte und zum ersten Mal das Gespenst einer militärischen Niederlage für den US-Giganten heraufbeschwor. 1968 erlebte die Welt den Aufstieg einer Massenbewegung gegen den Krieg in den USA, die ähnliche Bewegungen gegen Kapitalismus und Imperialismus in Frankreich, Deutschland, Großbritannien und darüber hinaus auslöste. Im Mai entwickelte sich in Frankreich ein Generalstreik mit 10 bis 15 Millionen beteiligten ArbeiterInnen. Im Oktober wurden in Mexiko-Stadt 300 – 400 StudentInnen getötet, als die Polizei bei einer Demonstration das Feuer eröffnete.

Als Amerika und Westeuropa von der StudentInnenrevolte erschüttert wurden, breitete sich die Unruhe auf junge Menschen hinter dem Eisernen Vorhang, auf Polen, aber auch auf die Tschechoslowakei aus, deren Regime bis dahin einer der loyalsten osteuropäischen Satelliten Russlands war.

Wie viele andere „verrückte Jahre“ fanden diese Bewegungen ohne politisch vorbereitete und organisierte Führung statt und endeten oft in Enttäuschung und Konterrevolution. Nichtsdestotrotz führten die Kämpfe, die in diesem Jahr ausbrachen, und die Auswirkungen, die sie auf eine ganze Generation, fast weltweit, hatten, zu einem Jahrzehnt und mehr an Radikalisierung der neuen Frauen-, AntirassistInnen-, Schwarzen-, Lesben- und Schwulenbefreiungsbewegungen. Die alten Parteien der ArbeiterInnenklasse, die offizielle „kommunistischen“ oder sozialdemokratischen Organisationen, verloren weitgehend die Kontrolle über die Jugend und in einigen Ländern auch über eine riesige Schicht militanter ArbeiterInnen.

Fünfzig Jahre später werden sowohl die Fortschritte als auch die Fehler, die die Militanten in all diesen mutigen Kämpfen gemacht haben, nicht verschwendet worden sein, wenn wir daraus lernen. Dies gilt nicht weniger für die Bewegung in der Tschechoslowakei, obwohl sie schließlich durch eine Kombination aus militärischer Invasion und Mangel an politischer Führung besiegt wurde. Nur wenige Monate nach der Demobilisierung des französischen Generalstreiks durch die Kommunistische Partei Frankreichs bestätigte sie für Millionen, nicht nur in Europa, sondern weltweit, dass der Pro-Moskau-Stalinismus alles andere als eine progressive, geschweige denn eine revolutionäre Kraft war.

Wie die Tschechoslowakei „kommunistisch“ wurde

Das stalinistische System in der Tschechoslowakei war anders zustande gekommen als in Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien und entwickelte sich in einem anderen Tempo als in vielen anderen osteuropäischen Ländern.

Die „Kommunistische Partei der Tschechoslowakei“ (KSČ) war vor dem Krieg eine Massenpartei innerhalb eines bürgerlichen demokratischen Staates gewesen. Die Untergrundorganisation der KSČ erlangte nach ihrem Beitritt zum Widerstand 1941 großes Ansehen. Im Jahr 1946, bei den letzten freien Wahlen, erzielte sie 38 Prozent. Obwohl die danach gebildete Regierung eine nicht-kommunistische Mehrheit, neun KommunistInnen und siebzehn Nicht-KommunistInnen hatte, besaß die KSČ die Kontrolle über die Polizei und die Streitkräfte.

Obwohl ein Großteil der industriellen Infrastruktur des Landes, die sich im Besitz der Nazis oder ihrer KollaborateurInnen befand, sofort verstaatlicht wurde, führte dies nicht zur Einführung einer Planwirtschaft oder zur Ankündigung des Sozialismus. Der Vorsitzende der KSČ, Klement Gottwald, betonte, „trotz der günstigen Situation ist das nächste Ziel nicht Sowjets und Sozialismus, sondern die Durchführung einer wirklich gründlichen demokratischen nationalen Revolution“.

Von 1945 bis 1947 hielten sich Stalin und die kommunistischen Parteien in Europa an die Vereinbarungen der „Großen Vier“ von Jalta und Potsdam, dass es keine sozialistischen Revolutionen in den von den sowjetischen Streitkräften besetzten Staaten geben sollte, und auch nicht in Ländern wie Italien oder Frankreich, wo die Generalsekretäre der PCI und PCF, Palmiro Togliatti und Maurice Thorez, Minister in Koalitionsregierungen mit Konservativen waren. Stalin überließ die griechischen KommunistInnen sogar der brutalen Willkür Großbritanniens und der griechischen monarchistischen Rechten. Europas KPen wurden ermutigt, „nationale Wege zum Sozialismus“ zu entwickeln, und Stalin selbst überlegte öffentlich, ob es einen parlamentarischen Weg zum Sozialismus geben könne.

Die USA, unter ihrem neuen Präsidenten Harry Truman, betrachten all dies jedoch nur als eine List. Am 12. März 1947 erarbeitete Truman die so genannte Truman-Doktrin für den Kongress: „Es muss die Politik der Vereinigten Staaten sein, freie Völker zu unterstützen, die sich der versuchten Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder Druck von außen widersetzen.“

Auch er hielt es für möglich, dass die KommunistInnen in großen Staaten wie Frankreich und Italien durch Wahlen an die Macht kommen könnten. Um dies zu verhindern, schmeichelte er den europäischen Konservativen, drohte ihnen und bestach sie, mit ihren stalinistischen Verbündeten aus Kriegszeiten zu brechen. Er präsentierte den Marshall-Plan, indem er den Regierungen, die dem freien Markt treu blieben, enorme wirtschaftliche Hilfe anbot, und er schloss die Militärpakte, die 1949 zur Nato wurden.

In der Tschechoslowakei haben nicht nur Staatspräsident Edvard Beneš und die bürgerlichen Minister, sondern auch Klement Gottwald und die MinisterInnen der KSČ begeistert auf den Marshall-Plan reagiert. Dies warnte Stalin vor den Gefahren, die die neue US-Politik präsentierte. Tschechische RegierungsvertreterInnen wurden nach Moskau eingeladen. Dort wurden sie eingeschüchtert, das amerikanische Angebot abzulehnen. Als Reaktion darauf wurden die kommunistischen MinisterInnen unter direkten amerikanischen Druck im Mai aus der französischen und italienischen Regierung entlassen.

Als Antwort darauf festigte Stalin seinen Einfluss auf die Staaten, die die Rote Armee 1944 – 1945 befreit hatte. Als er erkannte, dass seine Entscheidung, die Kommunistische Internationale 1943 aufzulösen, um die Ängste seiner imperialistischen Verbündeten vor einer Revolution im Nachkriegseuropa zu besänftigen, ihm ein wertvolles Werkzeug genommen hatte, berief er im September 1947 eine Konferenz der Kommunistischen Parteien ein, um das Kommunistische Informationsbüro (Kominform) zu gründen. Hier waren die Kommunistischen Parteien Frankreichs und Italiens die Prügelknaben dafür, „dass sie die Gelegenheit verpasst hatten, die Macht zu ergreifen.“

Ironischerweise waren es schon bald Tito und die jugoslawischen KommunistInnen, die die FranzösInnen und ItalienerInnn besonders scharf kritisierten. Obwohl nicht direkt angegriffen, war die tschechoslowakische Partei eindeutig auch dazu bestimmt, aufzupassen und ihren Weg zu korrigieren. Zwischen April und Juni des folgenden Jahres kam es zu einer Reihe von heftigen Ausfällen zwischen der sowjetischen und der jugoslawischen Partei, die zum Ausschluss der jugoslawischen KP, die des Nationalismus’ beschuldigt wurde, auf dem zweiten Kongress der Konform führten.

Unterdessen machten sich die tschechischen KommunistInnen pflichtbewusst daran, die MinisterInnen der offen bürgerlichen Parteien aus der Koalition zu vertreiben, was sie am 25. Februar 1948 durch die Mobilisierung von Massendemonstrationen in Prag und anderen Städten unter Androhung eines Generalstreiks taten. Das wurde von der KSČ als „Siegreicher Februar“ bezeichnet. Präsident Edvard Beneš hielt noch einige Monate durch, trat aber schließlich am 7. Juni zurück. Nun wurden die übrigen Teile der Wirtschaft in staatliche Hand genommen und ein System der bürokratischen Zentralplanung in Gang gesetzt. Die Tschechoslowakei wurde zu einer Kopie des sowjetischen Systems, d. h. eines degenerierten Arbeiterstaates, in dem die KapitalistInnen enteignet und das Profitsystem unterdrückt wurden, in dem aber keine auf ArbeiterInnenräten basierende Demokratie existierte.

Im Jahr 1949, als sich der Kalte Krieg verschärfte, wurde Stalin besessen von der Idee, dass die „SiegerInnen“ der KSČ mit Unterstützung der tschechischen ArbeiterInnenklasse versucht sein könnten, Jugoslawien und Titos „Nationalem Weg“ zu folgen. In weiten Teilen der tschechischen Gesellschaft blieb eine Kultur der Diskussion und Kritik lebendig, die der „Führer des Weltproletariats“ verabscheute. So führte die Partei unter sowjetischem Druck eine Reihe von Schauprozessen gegen Schlüsselpersonen durch und „säuberte“ sich von hunderttausenden AktivistInnen.

Am berüchtigtsten war der Prozess gegen den Ersten Sekretär der KSČ, Rudolf Slánský, und dreizehn führende Parteimitglieder, darunter elf JüdInnen, die beschuldigt wurden, an einer trotzkistisch-titoistisch-zionistischen Verschwörung teilgenommen zu haben. Nach der Folter gestanden sie alle Verbrechen, die ihnen vorgeworfen wurden, und elf, darunter Slánský, wurden am 3. Dezember 1952 gehängt. Vielleicht hat die Tschechoslowakei aufgrund dieser makabren Imitationen der Moskauer Prozesse und großen Säuberungen von 1936-38 keine Version der antistalinistischen Rebellionen erlebt, die die DDR (1953), Polen und Ungarn (1956) erschütterten.

Konnte der Stalinismus reformiert werden?

Anfang der 1960er Jahre litt die Tschechoslowakei unter einer wirtschaftlichen Verlangsamung. Im Jahr 1962 war der Lebensstandard sogar gesunken und in den folgenden Jahren gab es keine große Erholung. Die Qualität der produzierten Konsumgüter war sehr schlecht und es bestand ein dringender Bedarf an modernen Anlagen und Maschinen in den Fabriken. Der Mangel an Waren in den Geschäften war ein Grund für wachsende Wut, vor allem unter den Jugendlichen, die weniger bereit waren, die Unzulänglichkeiten des stalinistischen Systems zu tolerieren. Der Kapitalismus, sozusagen nebenan, boomte währenddessen und schuf eine populäre Jugendkultur.

Neben diesen wirtschaftlichen Problemen gab es eine wachsende Unzufriedenheit unter Teilen der Intelligenz, die sich gegen eine erstickende kulturelle Konformität richtete. Sie forderten die Rehabilitierung prominenter DissidentInnen, die vor 1954 zum Opfer gefallen waren. Im Jahre 1967 entwickelte sich der Verband der tschechoslowakischen SchriftstellerInnen zu einem Forum der Kritik an der Parteiführung und sein Organ, Literární noviny (deutsch: Literaturzeitung), begann zu argumentieren, dass Werke der Literatur von der Parteizensur befreit werden sollten.

Der vierte Kongress des SchriftstellerInnenverbandes, der im Juni 1967 stattfand, war Zeuge offener Angriffe auf die Zensur. Im Oktober 1967 bei einer Demonstration wegen wiederholter Stromausfälle in den Studentenwohnheimen der Technischen Universität Strahov in Prag schaltete sich die Polizei mit Tränengas und Schlagstöcken ein.

Jan Kavan, einer der StudentInnenführer, berichtete:

„Bis zum Frühsommer 1967 hatten wir eine enge Zusammenarbeit zwischen StudentInnen und SchriftstellerInnen aufgebaut, die mehr Presse-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit und eine weniger strenge Kontrolle aller Formen sozialer Aktivitäten durch die Partei forderten. Im Herbst wurde diese Zusammenarbeit durch eine zaghafte Zusammenarbeit mit radikaleren ReformistInnen der Kommunistischen Partei (KP) wie František Kriegel, Petr Pithart und anderen verstärkt.“

Die Dynamik der Opposition wurde teilweise durch die Unzufriedenheit des slowakischen Teils der Partei mit der Hyperzentralisierung des Staates und der Vernachlässigung der Slowakei angeheizt. Ende 1967 kam es zu einer offenen Herausforderung zwischen dem Ersten Sekretär und Staatspräsident Antonin Novotný, der bei großen Teilen der Bevölkerung und der Partei immer unbeliebter wurde, und Alexander Dubček, dem Sekretär der Slowakischen Partei. Trotz eines Appells an den sowjetischen Partei- und Staatschef Leonid Breschnew weigerte sich der Kreml einzugreifen und Dubček wurde im Januar 1968 zum Ersten Sekretär ernannt. Jan Kavan bemerkt, dass er „als Kompromiss gewählt wurde, da beide Seiten glauben, einen unentschlossenen und schwachen Mann ohne starke Machtbasis manipulieren zu können“.

Von diesem Zeitpunkt an gab es eine neue Fraktion, die sich für eine größere regionale Autonomie der Slowakei und eine Lockerung der Parteikontrolle im Allgemeinen, insbesondere in kulturellen Angelegenheiten, einsetzte. Die Zensur der Partei wurde am 4. März abgeschafft, wodurch die Meinungsfreiheit in der Presse stark zunahm. Veränderungen in der Wirtschaftspolitik betonten die Notwendigkeit, eine bessere Qualität und ein breiteres Angebot an Konsumgütern zu produzieren. Den Fachkräften wurde versprochen, dass sie nun für ihre Qualifikationen und technischen Fähigkeiten belohnt werden würden.

Als Novotný am 22. März von der Präsidentschaft verdrängt und durch Ludvik Svoboda, einen Reformer, ersetzt wurde, war Breschnew alarmiert und die Führer von fünf Ländern des Warschauer Pakts trafen sich in Dresden, in der Deutschen Demokratischen Republik, um zu diskutieren, was zu tun sei. Hier stellten sie die Frage nach dem Zusammenbruch des Systems, nach dem alle KandidatInnen für wichtige Positionen aus der genehmigten Liste der Partei, der Nomenklatura, gezogen werden mussten, und behaupteten, dass „antisozialistische Elemente“ nun die Kontrolle über die Presse und die Fernsehsender ausübten. Für die Sowjetunion und ihre Verbündeten war das gesamte stalinistische System eindeutig im Zerfall begriffen.

Vasil’ Bil’ak, einer der hart gesottenen Konservativen aus dem Zentralkomitee der tschechoslowakischen Partei, nahm den sowjetischen Rat auf.

„Sie warnten uns, dass die Konterrevolution nicht immer mit Morden beginnt, sondern oft mit Demagogie, pseudosozialistischen Phrasen und Appellen an die Freiheit, die der Partei schaden, dem gesellschaftlichen Apparat mit der Schwächung und Demoralisierung der Machtinstrumente, der Armee, der Sicherheitsorgane, der Gerichte, des Bevollmächtigtenwesens…“

Dort wird kurz beschrieben, was „Sozialismus“ für den Stalinismus bedeutet; der bürokratische Apparat und seine totalitären Repressionskräfte, für die Freiheit und Demokratie eine tödliche Bedrohung darstellen.

Die Reform beschleunigt sich

Im April veröffentlichte der Zentralausschuss ein Aktionsprogramm, das die Befürchtungen in Moskau und Berlin kaum hatte zerstreuen können. Es enthielt die Erklärung:

„Sozialismus kann nicht nur die Befreiung des arbeitenden Volkes von der Herrschaft ausbeuterischer Klassenverhältnisse bedeuten, sondern muss mehr Vorkehrungen für ein erfüllteres Leben der Persönlichkeit treffen als jede bürgerliche Demokratie.“

Und fuhr mit dem Versprechen fort: „eine fortschrittliche sozialistische Gesellschaft auf soliden wirtschaftlichen Grundlagen aufzubauen…. einen Sozialismus, der den historischen demokratischen Traditionen der Tschechoslowakei entspricht, in Übereinstimmung mit den Erfahrungen anderer kommunistischer Parteien…“

Im Gegensatz zum blinden, monolithischen Gehorsam, der für den Stalinismus unerlässlich ist, heißt es im Programm: „Jedes Mitglied der Partei und der Parteigremien hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, nach diesem Gewissen zu handeln.“

Das Aktionsprogramm forderte auch die Wahl von Fabrikräten in der Industrie, die Stärkung des Rechts der Gewerkschaften, im Namen ihrer Mitglieder zu verhandeln, und das Recht der LandwirtInnen, Genossenschaften zu gründen.

Diese hehren Worte waren alle gut und schön, aber es gab immer noch keine echten demokratischen Strukturen innerhalb der Partei, die es den einfachen Mitgliedern ermöglichten, sich zu organisieren, um die Politik oder die Führung zu ändern. Für Dubček blieb die zentrale Rolle der Partei heilig ebenso wie das Bündnis mit der Sowjetunion. Mehrmals in diesen Monaten betonte er, dass es keine Änderung in der Außenpolitik des Landes geben werde.

Die ReformerInnen in der Führung der KSČ sahen sich als TrägerInnen der versprochenen Entstalinisierung, die in den Jahren der Herrschaft von Nikita Chruschtschow in der sowjetrussischen Partei (1958 bis 1964) versprochen wurde. Einerseits konnten sie den Forderungen Moskaus, die Pressefreiheit zu zügeln, nicht nachgeben, ohne ihre eigene Basis zu untergraben, aber andererseits wollten sie nicht, dass die Initiative auf Kräfte außerhalb der Partei, geschweige denn auf die Massen, die StudentInnen und ArbeiterInnen, die unabhängig davon organisiert sind, übergeht.

Dennoch sah sich Dubček als Wegbereiter für einen Neuanfang des offiziellen Kommunismus und bezeichnete sein Reformpaket als „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, also die Beendigung der unmenschlichen Fratze des Stalinismus. Die stalinistische Unterdrückung war schließlich nicht nur und nicht einmal in erster Linie den kapitalistischen und konterrevolutionären Kräften auferlegt worden, sondern vor allem den Elementen der ArbeiterInnenklasse, die es wagten, bürokratische Unterdrückung und Privilegien zu kritisieren, sowie der Intelligenz, den StudentInnen, SchriftstellerInnen und FilmemacherInnen, von denen die meisten anfangs mit dem Sozialismus sympathisierten.

ArbeiterInnenräte und Wirtschaftsreform

Im Einklang mit dem Aktionsprogramm wurde ab Juni in einigen Industriezweigen mit der Wahl von FabrikrätInnen begonnen und die LandarbeiterInnen durften ihre eigenen Genossenschaften gründen. Die Räte verabschiedeten ihre eigenen Statuten unter dem Motto „Selbstverwaltung der ArbeiterInnen“.

Die Fabrikräte der Wilhelm-Pieck-Fabrik in Prag (Juni 1968) verabschiedeten eine Erklärung, in der es heißt: „Die ArbeiterInnen der Fabrik W. Pieck (CKD Prag) wollen eines der Grundrechte der sozialistischen Demokratie erfüllen, nämlich das Recht der ArbeiterInnen, ihre eigene Fabrik zu führen.“ Eine ArbeiterInnenversammlung, an der alle MitarbeiterInnen des Werks beteiligt waren, war das souveräne Organ und wählte den Betriebsrat, um die Entscheidungen des Kollektivs auszuführen, das Werk zu leiten und den/die DirektorIn einzustellen. Die Ratsmitglieder amtierten befristet, wurden in geheimer Abstimmung gewählt und waren abrufbar.

Dennoch war der Prozess langsam und im August gab es immer noch weniger als zwei Dutzend solcher Räte, wenn auch in den größten Unternehmen. Hier kam es zu einer Annäherung zwischen den Plänen der ReformerInnen der KSČ, insbesondere derjenigen im Wirtschaftsapparat wie Ota Šik (1919-2004), die bereits an Angriffen auf die zentralisierte Kommandoplanung beteiligt waren, und Teilen der ArbeiterInnen, die Elemente der Kontrolle und des Managements der ArbeiterInnen über die Produktion etablieren wollten.

Der sowjetische Fetischismus der schieren Quantität von Produkten müsse durch Kriterien ersetzt werden, die auf Qualität und Effizienz basieren. Offensichtlich hatten die ArbeiterInnen als VerbraucherInnen auch ein Interesse an einer größeren Vielfalt an Waren und darüber hinaus an solchen, die funktionierten. Tatsächlich waren es die offensichtlichen Misserfolge der bürokratischen Kommandoplanung, die Illusionen in den Markt als neutraler „Mechanismus“ zur Versöhnung von Angebot und Nachfrage mit sich brachten.

Ein ernsthaftes Problem für die KP-Führung war das von Ludvík Vaculík verfasste und am 27. Juni in Literární listy und einer Reihe weiterer Publikationen veröffentlichte Manifest „2000 Wörter“. Das Manifest wurde bald von Tausenden unterzeichnet. Es forderte eine Volksinitiative von unten:

„Lassen Sie uns eigene BürgerInnenkomitees zur Lösung von Problemen einrichten, mit denen sich niemand befassen will. Es ist ganz einfach: Ein paar Leute treffen sich, sie wählen ihreN VorsitzendeN, sie schreiben ein Protokoll, sie veröffentlichen ihre Ergebnisse, sie fordern eine Lösung, sie werden nicht zum Schweigen gebracht.“

Das Manifest warnte auch vor der Gefahr, dass „ausländische Kräfte“ die Kontrolle über die Regierung übernehmen, was sofort als direkter Hinweis auf die sowjetischen Truppen angesehen wurde, die ihre laufenden militärischen Übungen im Land ausgeweitet hatten.

Das Politbüro im Kreml war beunruhigt über geringstes Gerede von einer Demokratisierung des politischen Systems. Die Mehrheit der tschechoslowakischen Führung glaubte jedoch, die lang erwartete Entstalinisierung, die Chruschtschow nach 1953 versprochen hatte, einfach umzusetzen. Sie war zuversichtlich, dass es keinen Spielraum für eine militärische Intervention seitens der Staaten des Warschauer Paktes gäbe.

Die UdSSR behauptete dann, Beweise dafür zu haben, dass Westdeutschland plane, in das Sudetenland einzudringen, und beantragte bei der tschechoslowakischen Regierung die Erlaubnis, die Rote Armee zur Verteidigung gegen einen möglichen Einfall aufmarschieren zu lassen. Dieser Beweis war eindeutig gefälscht und Dubček lehnte es ab, da er wusste, dass die wahre Absicht des Kremls darin bestand, die wachsende Bewegung zu zerschlagen und das Land unter militärische Kontrolle zu stellen.

In der Nacht vom 20. auf den 21. August starteten die fünf Länder des Warschauer Paktes, die kürzlich erklärt hatten, dass jede Nation „die Unabhängigkeit und Souveränität der Staaten respektieren muss“, die „Operation Donau“, eine Invasion des Landes mit mehr als 200.000 Soldaten. Der Kreml verkündete der Welt, dass die Streitkräfte des Warschauer Paktes ihren tschechoslowakischen Verbündeten bei der Bekämpfung der „konterrevolutionären Kräfte“ zu Hilfe kommen würden, aber Präsident Ludvik Svoboda erklärte die Invasion in einer Radioansprache, die während des Einzugs der Panzer ausgestrahlt wurde, für illegal.

Dubček, der eine Wiederholung des Massakers von 1956 in Ungarn befürchtete, befahl den tschechoslowakischen Soldaten, das Feuer nicht zu eröffnen. Als die Truppen sich zurückzogen und die Besatzungspanzer am 21. August in Prag einrollten, wurde es den eilig organisierten und unbewaffneten Jugendlichen und ArbeiterInnen überlassen, Widerstand zu leisten und Barrikaden zu errichten, um die Panzerbesatzungen zum Gespräch mit den DemonstrantInnen zu bringen. Natürlich gab es in den ersten acht Tagen auch entschlosseneren Widerstand und Zusammenstöße, bei denen 84 TschechoslowakInnen und vier sowjetische SoldatInnen ums Leben kamen.Aber am Ende sind Blumen, die in Gewehrläufe gesteckt werden, kein Gegner für Panzer.

Widerstand

Während Dubček und sechs weitere Führer verhaftet und rasch nach Moskau mitgenommen wurden, beschloss das Prager Stadtkomitee, den bereits geplanten KSČ-Kongress abzuhalten. Er traf sich in einem der größten Industriebetriebe im Prager Stadtteil Vysočany. Der Kongress verurteilte die Invasion, billigte die Reformen und wählte eine neue Führung. Aber er rief nicht zu Massenaktionen, einem Generalstreik oder einem Aufstand auf. In der Praxis blieb die Führung in den Händen der ParteireformerInnen.

Einer von ihnen, der slowakische Führer Gustáv Husák, ging ganz auf die sowjetische Forderung nach „Normalisierung“ ein. Er argumentierte, dass die Entscheidungen von Vysočany ungültig seien, weil der Kongress nicht beschlussfähig sei. Wenige slowakische Delegierte hatten es dank der Besatzung nach Prag geschafft. In den nächsten sechs Monaten behinderte der lähmende Legalismus der ReformerInnen immer wieder den wirksamen Widerstand und vereitelte die mutigen und kreativen Initiativen der Jugend und der Militanten in den Fabriken. In dieser Zeit nahm die Zahl der Betriebsräte dramatisch zu, aber die immer noch einflussreichen ReformerInnen lenkten sie immer wieder in Debatten über Gesetze und Verfassungen zur Selbstverwaltung der ArbeiterInnen – Blaupausen für eine Zukunft, die nie kommen würde.

Trotz der hastig errichteten Barrikaden auf dem Wenzelsplatz und der mutigen Agitation junger StudentInnen und ArbeiterInnen unter den SoldatInnen der sowjetischen Panzern und im Gegensatz zur ungarischen Revolution von 1956, bei der über 2.500 UngarInnen und 700 sowjetische Militärpersonen getötet wurden, gab es keine Gegenwehr der tschechischen Streitkräfte, sondern nur unbewaffneten Massenwiderstand auf den Straßen. In gewisser Weise öffnete die Kapitulation der Parteispitzen den Weg für entschlossenere und radikalere Elemente unter den StudentInnen und arbeitenden JournalistInnen und den ArbeiterInnen in den Fabriken, um ihre eigenen Initiativen zu ergreifen. Sie organisierten massive Proteste und konfrontierten die Besatzer mit Argumenten, dass hier keine Konterrevolution im Gang war. Ján Čulík, damals 15 Jahre alt, berichtet in einem Artikel vom 24. Mai 2018:

„Die Menschen hatten ihren Appetit auf öffentliche Debatten nicht verloren, und sie haben die sowjetischen Truppen, die auf ihren Panzern in den Straßen der tschechischen Städte saßen, leidenschaftlich mit einbezogen und ihnen gesagt, dass es in der Tschechoslowakei keine ,Konterrevolution‘ gebe. Schaufenster und Straßenmauern wurden sofort mit Hunderten von Plakaten, Slogans und Cartoons zugepflastert, die die Invasion verspotteten. Wochenzeitungen erschienen mehrmals täglich. Lieferwagen mit den neuen Ausgaben verteilten die Zeitungen kostenlos in den Städten. Die Nation trat in einen seltsamen Zustand der Euphorie ein.“

StudentInnen sprachen täglich in Fabriken mit Tausenden von ArbeiterInnen. Sie organisierten im November 1968 einen landesweiten StudentInnenstreik und Campusbesetzungen mit dem Ziel, sich mit den Fabrikräten zu verbinden, um einen Generalstreik auszulösen. So kam beispielsweise eine ArbeiterInnendelegation des riesigen ostslowakischen Stahlwerks in Košice an die Universität Prag, um diesen Plan mit den StudentInnen zu diskutieren.

Die Partei„reformerInnen“, die noch nominell im Amt waren, konnten dies jedoch immer wieder ins Leere laufen lassen. Tatsächlich war es die zweitbeliebteste Figur des Prager Frühlings, Josef Smrkovský, der die ArbeiterInnen dazu überredete, nicht zu streiken. Immer wieder wurde das Argument vorgebracht, dass es notwendig sei, den Widerstand auf das Niveau von Protest zu beschränken, um die ReformerInnen an der „Macht“ zu halten. Eine Kombination aus leeren Versprechungen und schleichender Unterdrückung setzte sich fort, bis eine abweichende Stimme nach der anderen zum Schweigen gebracht wurde.

Ein Zeichen der wachsenden Verzweiflung der Jugend angesichts des dahinwelkenden „Frühlings“ kam am 19. Januar, als der 20-jährige Jan Palach sich auf dem Prager Platz, der heute seinen Namen trägt, in Brand setzte. Auf der anschließenden Demonstration, dem letzten Ausdruck der Massenbewegung, waren 200.000 Menschen anwesend, obwohl sich in den folgenden Monaten zwei weitere StudentInnen opferten. Eine/r der BrandverletzungsspezialistInnen, die versuchten, Palachs Leben zu retten, sagte, dass seine Aktion „…nicht so sehr gegen die sowjetische Besatzung erfolgt war, sondern sich gegen die einsetzende Demoralisierung richtete, dass die Menschen nicht nur aufgaben, sondern nachgaben. Und er wollte diese Demoralisierung stoppen.“

Nachdem die Massenbewegung demoralisiert und zerschlagen war, war die Rolle der ReformerInnen für den Kreml erschöpft und sie wurden wie ausgepresste Zitronen zur Seite geworfen. Dubček wurde am 19. April 1969 als Erster Sekretär abgelöst und 1970 aus der Partei ausgeschlossen. Alles Reformgerede kam auf den Müll.

Die Blumen des Prager Frühlings waren nicht alles, was unter den Spuren der sowjetischen Panzer zerquetscht wurde. Die revolutionäre Begeisterung der frühen Tage und dann des Widerstands im Herbst war unter der Führung der „ReformerInnen“ verspielt worden. Als einfache Tatsache blieb, dass dem stalinistischen „Sozialismus“ kein „menschliches Antlitz“ verliehen werden konnte.

Er war völlig unvereinbar mit den politischen Freiheiten von Rede, Versammlung und dem Recht, eine Partei und Gewerkschaftsorganisation ohne KSČ-Kontrolle zu gründen (fälschlicherweise „die führende Rolle der Partei“ genannt). Eine echte revolutionäre Partei konnte nur durch die freie Wahl der ArbeiterInnen und Jugendlichen eine „führende Rolle“ gewinnen, was wiederum ArbeiterInnenräte wie die Russlands von 1917 (Sowjets) erforderte. Diese mussten Organisatoren des politischen Kampfes für die und letztlich an der Staatsmacht sein, nicht nur ein Mittel zur Selbstverwaltung einzelner Unternehmen durch die ArbeiterInnen. Marktsozialismus wie ihn Šik und die ReformerInnen wollten, war, wie die 1980er Jahre zeigten, ein Schritt zurück zum Kapitalismus, zur Privatisierung und zur Massenarbeitslosigkeit. Wenn die ArbeiterInnenklasse nicht die Staatsmacht und die gesamte Wirtschaft kontrolliert, dann wird das Management eine leere Übung in „Mitbestimmung“ sein.

Viele Berichte malen ein Bild von Dubček, als habe er einen Bruch mit dem Stalinismus vollzogen, aber im Wesentlichen wurden seine Reformen innerhalb der antidemokratischen bürokratischen Strukturen von oben her durchgeführt. Seine Bemerkungen nach der Invasion zeigen, wie weit er davon entfernt war, ein Revolutionär zu sein: „Es ist meine persönliche Tragödie. Mein ganzes Leben lang habe ich mich der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion verschrieben und sie tun mir das an.

Die fehlende Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse in der Tschechoslowakei, bis es zu spät war, stand in krassem Gegensatz zu Ungarn in den 1950er Jahren und sie offenbarte auch die Klassenbasis der Oppositionsbewegung als in den Intellektuellen und Teilen der Parteibürokratie verwurzelter.

Die führenden Persönlichkeiten der kommunistischen (stalinistischen) Weltbewegung wurden durch die tschechische Intervention in ein ernsthaftes Dilemma gebracht. Die Parteien, die am weitesten gegangen waren, um den „friedlichen, parlamentarischen Weg zum Sozialismus“ zu akzeptieren, kritisierten offen die Entsendung der Panzer. Andererseits haben Betonköpfe wie in der Kommunistischen Partei Frankreichs sie unterstützt. Diejenigen, die sie unterstützt haben, haben sich den Spitznamen „Tankies“ verdient (und waren stolz darauf). Die sowjetische Zerschlagung des Prager Frühlings war ein wichtiges Element, um junge Radikale vom Moskauer Stalinismus wegzubrechen.

Ein größerer Schock für seine BewundererInnen in den Reihen der westlichen Neuen Linken war, dass Fidel Castro die Intervention unterstützte:

„Genau hier möchte ich die erste wichtige Aussage machen; wir waren der Meinung, dass sich die Tschechoslowakei in Richtung einer konterrevolutionären Situation, in Richtung Kapitalismus, in die Arme des Imperialismus bewegt…. Das definiert also unsere erste Position in Bezug auf die spezifische Tatsache des Handelns einer Gruppe von sozialistischen Ländern, dass wir es für absolut notwendig halten, um jeden Preis, auf die eine oder andere Weise, diese Möglichkeit zu verhindern.“

Für StalinistInnen wie Castro war die Verteidigung des „sozialistischen Blocks“, dessen wirtschaftliche und militärische Hilfe für das Überleben des kubanischen stalinistischen Regimes entscheidend war, wichtiger als Maßnahmen wie demokratische Reformen (die er ohnehin nicht nachahmen konnte) und offenbarte die Ausbreitung der internationalen Revolution, die mit Che Guevara verbunden war, der im Herbst zuvor von einem CIA-Operationskommando in Bolivien ermordet worden war, als hohle Rhetorik.

Die letzte Lektion des tschechoslowakischen Kampfes 1968-1969 wird durch die Worte des deutschen Dramatikers Georg Büchner (1813-1837) aus dem Mund des jakobinischen Führers Robespierre ausgesprochen: Die soziale Revolution ist noch nicht fertig; wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab.

Notwenig gewesen war eine proletarisch-politische Revolution, für die Trotzki in den 1930er Jahren kämpfte; die Macht der Bürokratie zu brechen, indem die Macht der ArbeiterInnenräte geschaffen wurde, nicht die Wirtschaft dem Markt zu öffnen, sondern ein demokratisches Planungssystem zu schaffen, das durch einen demokratisch vereinbarten Plan koordiniert werden sollte.

Nur unter letzterem würde eine echte ArbeiterInnenverwaltung in den Unternehmen die Entfremdung sowohl durch Stalinismus wie Kapitalismus beenden. Es gab 1968 keine Partei, die für ein solches Programm kämpfte. Obwohl die Diskreditierung des Stalinismus eine wichtige Lehre für ArbeiterInnen und Jugendliche auf der ganzen Welt war und viele von den tschechischen ArbeiterInnen inspiriert wurden, war für die meisten, insbesondere für diejenigen, die noch unter stalinistischer Herrschaft lebten, die Lektion, dass man viel weiter auf dem Weg der „Marktreformen“ gehen musste. So öffnete die Niederlage des Prager Frühlings den Weg zur „Samtenen Revolution“ und zur Wiederherstellung des Kapitalismus.