Palästina: Antizionismus = Antisemitismus?

Martin Suchanek, Neue Internationale 256, Juni 2021

Der jüngste Krieg Israels gegen die palästinensische Bevölkerung brachte eine weltweite, jugendlich geprägte Solidaritätsbewegung mit Palästina hervor. Und – wenig überraschend – sahen sich hierzulande jene Kräfte, die den zionistischen Staat oder auch nur seine als „Selbstverteidigung“ verbrämte militärische Aggression ablehnen, schon bald wieder mit dem diffamierenden Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert.

Zweck

Dabei ist die altbekannte Gleichsetzung des Antizionismus (Ablehnung des israelischen Staates wenigen seines rassistischen Charakters) mit dem Antisemitismus politisch falsch und gefährlich. Sie lenkt einerseits ab vom erstarkenden, wirklichen Antisemitismus einer Rechten, die sich letztlich in die Geschichte der Shoa (Holocaust) einreiht und den eliminatorischen Antisemitismus stets als Keim in sich trägt.

Andererseits fungiert der Vorwurf des Antisemitismus als starkes, einschüchterndes und mundtot machendes Werkzeug gegen alle, die sich solidarisch mit antiimperialistischen Befreiungskämpfen zeigen, ein Instrument aller proimperialistischen Kräfte, von antideutschen Pseudolinken bis hin zur AfD. Weiterhin impliziert die Gleichsetzung auch die Identifikation von Jüdinnen und Juden mit dem zionistischen Staat Israel im Generellen – eine Gleichsetzung, die wir wiederum für diffamierend bis antisemitisch halten, gerade gegenüber jener großen Zahl Juden und Jüdinnen, die die Politik Israels oder auch den Zionismus ablehnen.

Anlassbezogen wollen wir hier nun ein weiteres Mal kurz darstellen, was eigentlich der Kern des Zionismus ist und inwiefern er für die israelische ArbeiterInnenklasse selbst ein Hindernis darstellt.

Der Zionismus

Was sind die zentralen Ideen des Zionismus? Angesicht des aufkommenden Antisemitismus im Wechsel zum 20. Jahrhundert (Dreyfus-Affäre in Frankreich, Pogrome im zaristischen Russland) ging der Haupttheoretiker der zionistischen Bewegung, Theodor Herzl, davon aus, dass sich Jüdinnen und Juden in Europa nicht assimilieren oder integrieren könnten und auf ewig unterdrückt und bedroht sein würden.

Daraus zog er den Schluss, dass nur ein eigener jüdischer Nationalstaat eine sichere Existenz bieten könne. Dies bedeutete aber auch, dass der Zionismus von Beginn an eine Absage an den Klassenkampf gegen den Kapitalismus und dessen Unterdrückung, Rassismus darstellte. Das Ziel eines eigenen Staates versuchte der Zionismus, lange Zeit eine Minderheitsströmung in den jüdischen Gemeinden, mit Hilfe imperialistischer Kolonialmächte und seiner Agenturen wie z. B. Völkerbund zu erreichen.

Lange Zeit stellte er eine Minderheitsströmung in den jüdischen Gemeinden dar. Die systematische Unterdrückung, Pogrome und der industrielle Massenmord an 6 Millionen Juden und Jüdinnen sowie das politischen Versagen der ArbeiterInnenbewegung, Nazi-Diktatur und Shoa zu verhindern, veränderten auch die Einstellungen im jüdischen Volk.

Die Tragik des Zionismus besteht nun darin, dass er auf die Rettung durch den Imperialismus innerhalb der kapitalistischen Ordnung setzt. Die Gründung Israels war von Beginn an nur durch die Hilfe des Imperialismus, anfangs v. a. des britischen und nach 1945 des US-amerikanischen, möglich und denkbar.

Der Zionismus ist eine nationalistische Ideologie. Der israelische Staat ist ein rassistischer, expansionistischer, der sich auf der Vertreibung und Entrechtung der PalästinenserInnen gründet und diese permanent fortführt. Schon vor und besonders seit Gründung des Staates Israel wurden und werden die PalästinenserInnen unterdrückt, vertrieben und terrorisiert; das Recht auf Rückkehr wird den Vertriebenen verwehrt. Der Zionismus wurde zur Ideologie eines rassistischen Staates.

Die besetzten Gebiete werden auch im „Frieden“ in allen zentralen Aspekten (Handel, Währung, Versorgung, Grenzregime) von Israel und seiner Armee kontrolliert. Auch die PalästinenserInnen in Israel sind nur BürgerInnen zweiter Klasse, deren Zugang zum öffentlichen Dienst und deren Bürgerrechte eingeschränkt und die auch sozial unterprivilegiert sind. Der vielgepriesenen Zweistaatenlösung hat Israel längst eine reale Absage erteilt, indem es seine eigene Einstaatenlösung realisiert.

Zionismus und ArbeiterInnenklasse

Ohne permanente Unterstützung durch imperialistische Länder sowie private SpenderInnen könnte sich der Staat ökonomisch, politisch und militärisch nur schwer halten. Der zionistische Staat ist daher alles andere als ein auf ewig sicheres Bollwerk für das jüdische Volk. Er ist ein Vorposten des westlichen Imperialismus und von diesem abhängig. Die zionistische Ideologie legitimiert nicht nur die Unterdrückung der PalästinenserInnen, sie ist zugleich ein Mittel, die jüdische ArbeiterInnenklasse an der Seite der eigenen Ausbeuterklasse zu halten.

Diese Bindung oder die Unterstützung für die Kriegspolitik findet ihre sozialen und politisch-ideologischen Wurzeln in einer starken ArbeiterInnenaristokratie und der Vorherrschaft des Zionismus in praktisch allen gesellschaftlichen Institutionen.

Solange die jüdische ArbeiterInnenklasse aber nicht mit der Loyalität zum „eigenen“ Staat bricht, wird sie sich weder von der eigenen Klassenunterdrückung und verschärften Ausbeutung befreien noch wirklich geschwisterliche Beziehungen zu den arabischen ArbeiterInnen und BäuerInnen entwickeln können.

Der Antizionismus ist daher keinesfalls eine politische Position, die nur für AntiimperialistInnen auf der ganzen Welt und für die arabischen Massen wichtig und richtig ist. Letztlich muss sie auch zur Position der jüdischen ArbeiterInnen in Israel und auf der ganzen Welt werden.

Der zionistische Staat ist ein Hindernis auf dem Weg zur Befreiung. Er muss zerschlagen und durch einen gemeinsamen, binationalen ArbeiterInnenstaat ersetzt werden, der den jüdischen und palästinensischen ArbeiterInnen und BäuerInnen ein gleichberechtigtes und friedliches Zusammenleben ermöglicht: einen Staat also, der auf anderen sozialen Grundlagen als der jetzige kapitalistische fußt – auf einer demokratischen Planwirtschaft und der Herrschaft der ArbeiterInnenklasse als Teil einer sozialistischen Staatenföderation im gesamten Nahen Osten.




#NichtAufUnseremRücken zur Pandemie: Keine Antwort ist auch keine Lösung

Martin Suchanek, Neue Internationale 254, April 2021

Mit dem Text „Wie gelingt es, eine Anti-Krisen-Bewegung von links aufzubauen? – Eine notwendige Antwort auf #ZeroCovid“ versucht das Bündnis #NichtAufUnseremRücken, eine Kritik an der Initiative zu formulieren. Herausgekommen ist dabei eine politische Bankrotterklärung. So heißt es:

„Ausgehend von dieser Gesamtsituation sollten wir uns als Linke auf die Fragestellung ‚Was ist denn euer Plan zur Lösung der Pandemie?‘ gar nicht erst einlassen. Natürlich können wir darüber philosophieren, wie die Pandemie-Bewältigung in einer sozialistischen Gesellschaft aussehen würde. Doch da wir nicht kurz vor einer Revolution stehen, muss aktuell jede Krisenlösung innerhalb der Logik des Systems verbleiben, welches uns das Elend erst eingebrockt hat.“

Dumm nur, dass die Pandemie ein zentrales aktuelles Problem der Menschheit darstellt. Eine Gruppierung, die sich auf die Frage, wie sie zu bekämpfen sei, erst gar nicht einlassen will, offenbart nur, dass sie zu einer zentralen Frage nichts zu sagen hat. Frei nach dem Motto: „Stell Dir vor, es ist Pandemie, und wir kümmern uns nicht darum!“ Dann kommt das Virus früher oder später dennoch zu dir.

Die AutorInnen des Texts mögen vielleicht glauben, dass Raushalten aus der Pandemiefrage helfe, die eigene revolutionäre Weste nicht mit Reformforderungen zu beflecken. In Wirklichkeit bedeutet es nur, die Bekämpfung der Pandemie der herrschenden Klasse zu überlassen. Deren Politik und die sämtlicher Staaten wird zwar kritisiert, aber die Kritik bleibt vollkommen folgenlos, ja diskreditiert sich unwillkürlich selbst, wenn die Frage gestellt wird: „Was ist denn euer Plan zur Lösung der Pandemie?“: Wir haben keinen – und wir wollen auch gar keinen entwerfen!

Abstentionismus

Das ist keine Klassenpolitik, das ist weder revolutionär noch reformistisch, sondern bloß politischer Abstentionismus.

Glücklicherweise hält der Text die Linie, die er verspricht, nicht konsequent durch. So erfahren wir im zitierten Absatz, dass „wir nicht kurz vor einer Revolution stehen“. Daher, so heißt es weiter, „muss aktuell jede Krisenlösung innerhalb der Logik des Systems verbleiben“. Fragt sich nur, warum die Forderungen von #ZeroCovid nach einem Shutdown in der Industrie als Illusion gebrandmarkt werden, während die AutorInnen durchaus richtig selbst fordern: „Schließung aller nicht lebensnotwendigen Betriebe während eines Lockdowns – statt noch weiterer Einschränkungen im Alltag! Gefahrenzulage für die, die noch arbeiten müssen!“

Wenn die großen Weisheiten der Kritik an #ZeroCovid richtig sind, warum werden sie dann nicht auf die eigene Politik angewandt? Richtet sich die Forderung nach der Schließung nicht lebensnotwendiger Betriebe etwa nicht an den Staat? Durch wen sonst soll die von #NichtAufUnseremRücken geforderte digitale Ausstattung der Schulen finanziert und geleistet werden? Wer soll die dezentrale Unterbringung von Wohnungslosen und Geflüchteten finanzieren? Der Staat über eine Besteuerung der Reichen oder soll das „von unten“, also aus den Einkommen der Lohnabhängigen bezahlt werden?

Das Beste am Text von #NichtAufUnseremRücken ist ironischerweise seine innere Widersprüchlichkeit. Um diese zu kitten, darf jedoch nicht fehlen, #ZeroCovid eine Politik des „autoritären Shutdowns“ zu unterschieben, die es nicht vertritt.

Der entscheidende Unterschied, der im Grunde die gesamte Linke durchzieht, ist jedoch folgender: Brauchen die Linke und die ArbeiterInnenklasse eine Antwort, ein Programm zur Bekämpfung der Pandemie oder sollen sie ein zentrales Problem der Menschheit ignorieren und hoffen, dass es endlich vorübergeht, damit wir uns auf „Wichtigeres“ konzentrieren können? In Wirklichkeit muss sich eine revolutionäre Linke gerade daran messen lassen, ob sie eine Politik entwickelt, die den Kampf gegen die Pandemie mit dem gegen den Kapitalismus in Form eines Programms von Übergangsforderungen (z. B. Arbeiterinnenkontrolle) verbindet und in diesem Sinne gezielt das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zu verändern versucht




China als Modell?

Das isw Müncheni und der chinesische Imperialismus

Alex Zora, Revolutionärer Marxismus 53, November 2020

Der Aufstieg Chinas in den letzten vier Jahrzehnten dürfte kaum jemanden entgangen sein. Ausgehend von den Reformen unter Deng Xiaoping hat in China in den vier Jahrzehnten seit 1978 eine riesige gesellschaftliche Umwälzung stattgefunden. Es ist nicht nur die weltweit größte industrielle ArbeiterInnenklasse aus hunderten Millionen ehemaligen Bauern und Bäuerinnen entstanden, sondern China hat es auch geschafft, zu einer ernsthaften Konkurrenz zu den USA aufzusteigen. Grund genug, China und seine „sozialistischen Marktwirtschaft“, wie die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) die wirtschaftlichen Verhältnisse im Land gerne bezeichnet, zu untersuchen. Diese Erkenntnis hat sich auch im eurokommunistisch geprägten Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung in München (isw) durchgesetzt, und in den letzten 10 Jahren gab es mehrere Ausgaben ihres mehrmals jährlich erscheinenden Reports, die sich China bzw. dem Konflikt China-USA widmeten, mit deren Analysen wir uns im folgenden Beitrag beschäftigen wollen. Sie stehen auch weitgehend im Einklang – wenn auch in unterschiedlichen Abstufungen und Schattierungen – mit den Einschätzungen, die auch rund um die europäische Linkspartei, das Netzwerk „transform! Europe“ oder die deutsche Rosa-Luxemburg-Stiftung weit verbreitet sind.

Neuer Kalter Krieg?

Schon unter Präsident Obama wurde der Dreh- und Angelpunkt der US-Außenpolitik (pivot to asia) auf Asien gelegt. Durch China ausschließende Freihandelsabkommen wie TPP sollte es ökonomisch und politisch isoliert und im Rahmen der „regelbasierte internationalen Ordnung“, die in erster Linie von den USA etabliert wurde, bekämpft werden.

Seit der Wahl von Donald Trump war klar, dass sich in der herrschenden Klasse der USA die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass China längst zum wichtigsten strategischen Gegner aufgestiegen war und mit einseitigen Maßnahmen der USA bekämpft werden müsse – auch ohne Verbündete, wenn nötig. Trumps China-Politik ist indikativ dafür, dass sich ein immer größerer Teil der US-Bourgeoisie nicht mehr auf die Mechanismen der internationalen Freihandelsordnung verlässt. Mit dem Beitritt Chinas zur WTO hatte man sich seine Durchdringung mit US- und, in geringerem Maße, auch europäischem Kapital erhofft, um es in eine untergeordnete neokoloniale Rolle herabzudrücken. Die Erfahrung seit 2001 zeigte aber, dass sich China in den letzten zwei Jahrzehnten nicht stärker in eine Abhängigkeit der traditionellen imperialistischen Metropolen begeben, sondern – insbesondere durch die Wirtschaftskrise 2008/09 – sich eine deutlich eigenständigere und unabhängigere Rolle verschafft hat.

Statt den Strategien der Obama Ära hat sich also in den letzten Jahren die Meinung in der US-Bourgeoisie durchgesetzt, dass man sich gegenüber China mit allen Mitteln verteidigen müsste. Wichtige VertreterInnen beider Parteien der US-Bourgeoisie heißen Trumps Strafzölle gegen China gut. Immer wieder sprach insbesondere der demokratische Minderheitsfraktionsführer im Senat, Charles Ellis „Chuck“ Schumer, Präsident Trump in seinem Kurs gegenüber China die Unterstützung zu. Durchaus beachtlich, da die Demokratische Partei Trumps erratischen Kurs in der Außenpolitik als einen ihrer Hauptangriffspunkte betrachtet.

Trumps Handelskrieg, der mit Strafzöllen auf Stahl und Aluminium im März 2018 begann, war ein Bestandteil der strategischen Auseinandersetzung zwischen den USA und China. Zwar wurde Anfang dieses Jahres in einem ersten Teil eines Handelsabkommen die Eskalation der Zölle erst einmal gestoppt, die schon bestehenden sollen aber bis zum Abschluss eines zweiten Teils nicht aufgehoben werden. Die Entwicklung rund um die Covid-Pandemie hat aber den Konflikt zwischen China und den USA in anderen Bereichen wieder eskalieren lassen. Auf der einen Seite bezeichnete Trump das Coronavirus auch gerne als „Chinavirus“ und schob China die Schuld an der globalen Epidemie zu. Der Konflikt, der sich auch im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation WHO abspielte, nahm in den letzten Monaten weit gefächerte Formen an. Schon mit Beginn der weiten Ausbreitung von Covid-19 in den USA begann Trump, der WHO die Schuld für die Pandemie zuzuschieben. Im April kündigte er die Kürzung der US-amerikanischen WHO-Beiträge um 50 % an. Und nachdem die USA eine entscheidende Abstimmung über eine von der EU eingebrachte und von China mitgetragene Resolution bei der Weltgesundheitsversammlung im Mai diesen Jahres verlor, kündigte die Trump-Regierung dann den Rückzug der USA aus der WHO 2021 an. Grund dafür sei, dass die WHO von den USA geforderte „Reformvorschläge“ nicht vollziehen würde.

Einen neuen Höhepunkt der Eskalation erreichte die Auseinandersetzung zwischen den USA und China, als im Juli die USA das Konsulat Chinas in Houston (Texas) schließen ließen. Chinas Konter, die Schließung des US-Konsulats in Chengdu (Südwestchina), folgte kurze Zeit später. Die USA hatten den Vorwurf erhoben, dass das Konsulat in Houston ein wichtiger Bestandteil des chinesischen Spionagenetzwerks in den USA gewesen sei.

Der Konflikt, der sich hier zwischen China und den USA abspielt, ist aber kein Produkt von Trumps Psyche und wird sich auch nicht so schnell durch einen Wechsel an der Spitze der USA ändern. Es ist zwar zu vermuten, dass sich eine Regierung der demokratischen Partei unter Joe Biden wohl verstärkt darauf fokussieren würde, gemeinsam mit der Europäischen Union China zu isolieren, aber die grundlegenden bestehenden Widersprüche sind ökonomischer Natur. China und die USA werden in den nächsten Jahren klären müssen, wer die ökonomische und politische Vorherrschaft behalten bzw. erlangen wird. China will bis 2049 (1949 wurde die Volksrepublik gegründet) zur globalen Supermacht aufsteigen – ökonomisch, politisch und militärisch.

Das isw und der Konflikt China – USA

In seinen Publikationen wird der Konflikt zwischen China und den USA ausführlich diskutiert. Positiv fällt hier vor allem auf, dass das isw nicht in die klassisch liberale Deutung des Konflikts als eines zwischen dem demokratisch Westen und dem despotischen China verfällt. Doch für eine sich dem Marxismus zuordnende Publikation reicht diese Erkenntnis noch nicht aus.

Dagegen [gegenüber der militarisierten Globalisierung des Westens] praktiziert China die Globalisierung anders. Sie soll „gerecht und inklusiv“ sein und ohne militärische Begleitung.ii

Richtigerweise kreidet das isw die scheinheilige Verwendung von Menschenrechten als politische Waffe des westlichen Imperialismus an, aber wenn es um die Politik der chinesischen Führung geht, wird diese kaum hinterfragt. Dabei sollte zentraler Ausgangspunkt für die Beurteilung des Konfliktes zwischen China und den USA die grundlegende Betrachtung der Rolle der beiden Kräfte im kapitalistischen Weltsystem sein. Der politische Ausdruck des ökonomischen Konflikts ist nicht in erster Linie daran zu messen, welche der beiden Seiten den ersten Stein geworfen hat oder die aggressivere Politik verfolgt, sondern an ihrem Klassencharakter und ihrer Stellung auf dem Weltmarkt. Beide Länder sind kapitalistische, ja imperialistische Großmächte.

Dem isw geht es aber eben nicht vorab demzufolge darum, Liebknechts berühmtem Leitsatz „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ Rechnung zu tragen, sondern in erster Linie werden die USA als Hauptfeind ausgemacht. Denn die europäischen Imperialismen werden in erster Linie als ZuträgerInnen des Us-amerikanischen Imperialismus gesehen. Conrad Schuhler macht das in einem Artikel auch ganz explizit, wenn er zustimmend Albrecht Müller zitiert „Die Deutschen – und die Mehrheit der Europäer – sollten sich daran gewöhnen, dass die USA nicht unser Freund sind. Sie sind das Imperium und behandeln uns wie eine Kolonie.iii

Die Position ist damit nicht in erster Linie antiimperialistisch, sondern eigentlich ein Ratschlag für den deutschen (bzw. europäischen) Imperialismus, den traditionellen Verbündeten fallenzulassen und sich der aufstrebenden Macht zuzuwenden. Garniert wird dies zuweilen noch mit dem Ratschlag, doch ein bisschen vom chinesischen System, wie einen aktiven, bedeutenden staatlichen Sektor, zu übernehmen. Walter Baier dazu: „Die politische Frage, auf die die großen europäischen Staaten und die EU eine Antwort finden müssen, lautet, ob sie sich gegenüber dem Druck der USA, die auf eine Zerstörung des freien Welthandels und eine Verschärfung der politischen und militärischen Konfrontationen zielen, emanzipieren wollen oder nicht. Gerade in Deutschland sollte man verstehen, dass der von der Trump-Administration entfesselte Wirtschaftskrieg sich gegen die europäischen Industrien und Arbeitsplätze richtet.iv

Der Charakter Chinas

Die zentrale Frage für die Bewertung des Konfliktes zwischen China und den USA ist – zumindest für revolutionäre MarxistInnen – also nicht die nach dem „Aggressor“ sondern dem grundlegenden Charakter des ökonomischen Systems und der Stellung im kapitalistischen Weltgefüge. Das isw tut sich weitgehend schwer damit, eine eindeutige Charakterisierung Chinas abzugeben. „,Sozialismus chinesischer Prägung’, ,Sozialistische Marktwirtschaft’, eine ,Art Staatskapitalismus unter dem Kommando der KP’, ,Staatlich kontrollierter Kapitalismus’, ,Wohlfahrtstaat’ nach schwedischen Modell – es fällt schwer, den chinesischen Weg zu einer modernen Volkswirtschaft in ein Schema zu pressen und zu kategorisieren“, schreibt zum Beispiel Fred Schmidv. Um einiges leichter tun sich die VertreterInnen des chinesischen Regimes, die vor allem im isw Report 119 zu Wort kommen. Für sie ist klar, dass es sich bei China um eine „Sozialistische Marktwirtschaft“ handelt, also eine Marktwirtschaft deren „sozialistischer“ Charakter durch die Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas garantiert wird.

Die Charakterisierung Chinas als „Neoliberalismus mit chinesischem Antlitz“, wie David Harvey behauptetvi, wird entschieden abgelehnt. Genauso wird die Charakterisierung Chinas als Imperialismus zurückgewiesen. „Chinas Globalisierung ist ein dezidiert antikoloniales, nicht-imperialistisches, völkerrechtskonformes Projekt; es stiftet Frieden und breiten Wohlstand.vii

Die Argumentation dafür ist bezieht sich im Wesentlichen auf diverse Überbauphänomene: China sei kein Aggressor; seine Auslandsinvestitionen bzw. -kredite seien nicht an spezifische Spar- oder Reformprogramme gebunden, wie das bei IWF oder Weltbank üblich ist. China mische sich auch nicht oder zumindest viel weniger in die Innenpolitik der jeweiligen Länder ein; das Militär sei auch in erster Linie defensiv aufgestellt und wichtige strategische Projekte wie die neue Seidenstraße, die weiter unten noch detaillierter behandelt wird, seien auch nicht an eine militärische Strategie gebunden usw. Ob all diese Bewertungen so auch wirklich stimmen oder nicht, sei einmal dahingestellt. Zentral ist aber, dass sie nicht die determinierenden Faktoren für die Stellung eines Landes im imperialistischen Weltsystem ausmachen – für MarxistInnen.

Es ist zwar unter speziellen Umständen möglich, dass ein Land weder eine dominante Rolle als Großmacht (oder unterstützend als Juniorpartner) noch als dominierte Neokolonie spielt. China und Russland auf ihrem Weg zur Wiedereinführung des Kapitalismus wiesen bestimmte Eigenschaften dieser Zwischenkategorie auf. Doch zentral ist, dass in einem imperialistischen Weltsystem, das keine dauerhafte stabile Situation darstellt, sondern die internationale Konkurrenz auf höhere Stufenleiter hebt, die Länder entweder eine dominierende Position erobern oder in die Beherrschung durch andere zurückfallen müssen. Für das isw hingegen scheint China zumindest bis auf Weiteres außerhalb dieser Hierarchien stehen zu können und das, obwohl es, wie auch das isw zugesteht, als kapitalistisches Land vollkommen in den Weltmarkt integriert ist.

Kaum jemand beim isw würde wohl bestreiten, dass die USA nicht erst mit den Eintritt in den 2. Weltkrieg und der damit enorm geänderten Außenpolitik einen imperialistischen Charakter annahmen. In der Zwischenkriegszeit wiesen sie durchaus einige Ähnlichkeiten mit dem Verhalten Chinas der letzten beiden Jahrzehnte auf. Das Militär der USA nach dem 1. Weltkrieg und seine Einmischung in außeramerikanische Angelegenheiten waren äußerst beschränkt. Mit derselben Argumentation wie das isw hätte man in den 1920er Jahren das französische und britische Imperium den USA entgegenstellen können, um damit zu begründen, dass es sich bei letzteren unmöglich um eine imperialistische Großmacht handeln könne. Das isw begeht hier den gleichen Fehler wie Kautsky während des 1. Weltkriegs. Für ihn handelte es sich beim Imperialismus nicht um ein Stadium, eine Epoche der kapitalistischen Weltwirtschaft, sondern schlicht um Militarismus, Großmacht- und Kanonenbootpolitik.

Hier ist nicht der Ort, um eine ausführliche Analyse Chinas als neuer imperialistischer Großmacht anstellen zu können. Doch mit der letzten Krisenperiode, die mit dem Platzen der Immobilienblase in den USA 2008 ihren Anfang nahm und verschiedene Phasen durchmachte, konnte es seine Position auf dem Weltmarkt und im imperialistischen Weltsystem wesentlich stärken. Es profitierte dabei nicht nur von der krisengeschüttelten Europäischen Union, den sich spätestens sei 2015/16 abzeichnenden Tendenzen zum Rückzug auf den Nationalstaat einiger imperialistischer Länder wie Großbritanniens und der USA (Brexit, Wahl Donald Trumps, …) und den sich dadurch politisch auftuenden Räumen, sondern auch vom Umbau der eigenen Wirtschaft weg von einem Billiglohnland zu einem mit einer der weltweit größten kaufkräftigen „Mittelschichten“ und vermehrt von einem ausschließliches Billigwarenexporteur hin zu einem Kapitalexporteur. Die Rolle Xi Jinpings als neuer starker Mann (auf einer Ebene mit Mao oder Deng Xiaoping) ist dafür politischer Ausdruck.

Aber sein Aufstieg und seine gestärkte Rolle sind nicht nur ein Ausdruck für die gestärkte Rolle Chinas in der Welt, sondern auch seiner inneren Dynamik. Das Land ist trotz seines unglaublichen Aufstiegs von riesigen inneren Widersprüchen gekennzeichnet: auf der einen Seite zwischen den durch den Staat und die Bürokratie organisierten staatskapitalistischen Unternehmen und Banken und auf der anderen Seite den oft dynamischeren privaten Unternehmen und mit ihnen verknüpften Privatinstitutionen. Insbesondere wichtig sind hier die sogenannten Schattenbanken, die in China ein riesiges Ausmaß der Finanzwirtschaft kontrollieren und ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor sind. Für Xi Jinping ist es in dieser Situation möglich, sich zwischen den unterschiedlichen Fraktionen des Kapitals und der Bürokratie eine besondere Position zu erobern. Dabei sind auch interne Spaltungslinien in der Partei relevant, insbesondere die unteren und mittleren Schichten der Bürokratie in den unterschiedlichen Provinzen und Städten sind dabei noch vermehrt mit den staatlichen Unternehmen verbunden, die höheren Führungskader hingegen stärker mit dem Interesse des Gesamtkapitals und insbesondere auch den dynamischen Privatunternehmen.

Wesentlich für die Bewertung der Rolle Chinas als neue imperialistische Großmacht ist, dass es hier nicht ausschließlich um die Anwendung der fünf Lenin’schen Merkmale des Imperialismus gehen kann. Diese sind wesentlich für die Feststellung des Imperialismus als Stadium des Kapitalismus, also der gesellschaftlichen globalen Gesamtheit, müssen aber nicht vollständig für jedes einzelne Land zutreffen, erfüllt sein, um eine imperialistische Großmacht zu verkörpern. Ausschlaggebend für seine Charakterisierung ist seine Stellung in der Weltmarkthierarchie. Für Lenin war z. B. auch klar, dass es bei der Kategorisierung als imperialistische Großmacht nicht darum geht, ausschließlich den ökonomischen Entwicklungsstand zu bewerten, wenn er auch eine wichtige Rolle spielt. Zum Beispiel bewertete er sowohl Japan als auch Russland als imperialistische Großmächte, die zu seiner Zeit ökonomisch nicht auf derselben Stufe wie die USA, Deutschland oder Großbritannien standen. Entscheidend war hier, dass sie wie diese Länder in einem imperialistischen Verhältnis zu anderen Staaten und Nationen standen. „In Japan und Rußland wird das Monopol des heutigen, modernen Finanzkapitals zum Teil ergänzt, zum Teil ersetzt durch das Monopol der militärischen Macht, des unermeßlichen Gebiets oder der besonders günstigen Gelegenheit, nationale Minderheiten, China usw. auszuplündern.viii

Schließlich sei noch der Hinweis gestattet, dass China (im Gegensatz zu Russland, bei dem sich der imperialistische Charakter noch aus deutlich spezifischeren Umständen ergibt) mittlerweile auch viele der „klassischen“ Merkmale aufweist. Chinesische Banken gehören zu den größten der Welt; in Fragen des Kapitalexports steht China auf Augenhöhe mit den anderen imperialistischen Großmächten und hat mit Lenovo, ZTE, Huawei, Alibaba und anderen weltweit agierende Konzerne geschaffen. Dazu ist es vermehrt militärisch selbstbewusst mit den weltweit zweitgrößten Militärausgaben, unterhält mittlerweile schon mehrere Militärbasen in anderen Ländern (Tadschikistan, Dschibuti) und darüber hinaus ist auch die brutale nationale Unterdrückung der UigurInnen sowie eine stärker aufflammende nationalistische Rhetorik wesentlicher Bestandteil seines imperialistischen Charakters.

Die Neue Seidenstraße – Globalisierung ohne militärische Begleitung?

Seit einigen Jahren ist Chinas „One Belt, One Road“-Initiative sein zentrales außenpolitisches Projekt. Ziel ist es – angelegt an die antike Seidenstraße –, sowohl über den indischen Ozean (Belt; Meerenge) als auch über Zentralasien (Road; Landweg) den eurasisch-afrikanischen Raum für den internationalen Warenverkehr zu erschließen. Ein enormer Ausbau der Infrastruktur soll Chinas Exportrouten diversifizieren, geopolitischen Einfluss in den beteiligten Ländern erlangen und letztlich einen Ausweg aus seinem wohl größten geostrategischen Problem schaffen. China ist für die absolute Mehrheit seiner Exporte, aber auch seiner Rohstoffimporte, auf den Seeweg – insbesondere auf die Straße von Malakka – angewiesen. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass – falls es zu einer militärischen Auseinandersetzung mit den USA kommt – eine Seeblockade Chinas für seine Wirtschaft tödlich wäre. Deshalb sollen Land-, sowie kombinierte Land- und Seerouten (mit Häfen in Pakistan) die Versorgung des Landes mit Rohstoffen sowie den Export sicherstellen.

Die Neue Seidenstraße ist nicht nur das größte Globalisierungsprojekt der bisherigen Menschheitsgeschichte, sondern vor allem: Es kommt zum ersten Mal in der neueren Geschichte ohne militärische Begleitung aus.ix Doch so einfach ist die Sache nicht, denn schon jetzt gibt es an zwei neuralgischen Punkten – in Dschibuti am Horn von Afrika und in Tadschikistan in Zentralasien – chinesische Militärbasen. Auch der Ausbau bzw. Aufbau militärischer Anlagen im südchinesischen Meer (Spratly- und Paracel-Inseln im Südchinesischen Meer) ist in diesen Kontext einzuordnen. China möchte sich aus der militärischen Umklammerung durch die USA befreien, denn diese unterhalten unzählige Militär- und Marinebasen im Westpazifik, aber auch im indischen Ozean und Zentralasien. Auch in anderen Häfen, wie in Sri Lanka (Hambantota) oder in Pakistan (Gwadar), gab und gibt es Spekulationen über den möglichen raschen Ausbau zur chinesischenMarinebasis, obwohl der in nächster Zukunft wohl nicht zu erwarten ist.

Zusätzlich wird China vom isw dafür gepriesen, dass es mit den riesigen Krediten für die am Projekt der Neuen Seidenstraße beteiligten Länder keine politischen Absichten verfolge, also nicht wie IWF oder Weltbank auf Umstrukturierungs- oder Reformmaßnahmen dränge. Das ist zwar durchaus richtig, aber China macht es auch nicht einfach aus einer altruistischen Perspektive heraus, sondern mit dem Motiv, bei einer möglichen Zahlungsunfähigkeit einfach Eigner oder Pächter der Infrastruktur zu werden. So bekam nach der Zahlungsunfähigkeit Sri Lankas China den Hafen von Hambantota für 99 Jahre verpachtet. Solche Kreditausfälle mit anschließender Übernahme von Infrastruktur werden sich in den nächsten Monaten und Jahren vermutlich häufen, wenn die Auswirkungen der Wirtschaftskrise voll durchschlagen werden.

Im Kontext der Neuen Seidenstraße ist auch die Politik der chinesischen Regierung gegenüber den UigurInnen zu verstehen. Strategisch verläuft durch die Provinz Xinjiang, in der nahezu alle UigurInnen in China leben, ein essentieller Zugang zum zentralasiatischen Raum. Ihre Unterwerfung und Auslöschung als Nation (worauf die Politik der chinesischen Regierung, insbesondere der „Umerziehung“ und Ansiedlung ethnischer Han-ChinesInnen abzielt) ist hierbei essentiell, um diese strategische Rolle der Region zu sichern. Dazu kommt noch, dass Xinjiang reich an Rohstoffen ist, insbesondere an Öl, Gas und diversen Metallen, und eine mögliche uigurische Unabhängigkeitsbewegung oder allgemeiner Widerstand gegen die Politik der Zentrale für diese nicht in Kauf genommen werden können. Auch hier ist das Agieren der chinesischen Regierung ein Musterbeispiel für imperialistische Politik.

Beispiel für erfolgreiche nachholende Entwicklung?

Das isw lobt auch den chinesischen Entwicklungsweg als nachahmenswert für zurückgebliebene Volkswirtschaften:

Für Schwellenländer hat der chinesische Weg aber durchaus einen gewissen Vorbildcharakter. Er zeigt, dass eine erfolgreiche nachholende Entwicklung möglich ist, bei gleichzeitiger Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung und Überwindung der Armut. Notwendig sind dazu ein „proaktiver Entwicklungsstaat“ (UNDP) sowie staatliche Planung, zumindest staatliche Rahmen- und Schwerpunktplanung […].“xAn anderen Stelle bei Fred Schmidxi wird China nicht nur als Beweis für die erfolgreiche nachholende Entwicklung für Schwellenländer, sondern auch für Entwicklungsländer dargestellt. Es sei der Beweis dafür, dass man ohne westliche Hilfe, wie es die sogenannten Tigerstaaten gebraucht hätten, um eine erfolgreiche Entwicklung zu nehmen, auch den Aufstieg aus der Armut schaffen könne.

China ist in der Tat eines der seltenen Beispiele von Ländern, die es nicht nur geschafft haben, sich zu industrialisieren und das allgemeine Lebensniveau der Massen zu heben, sondern auch zu einer imperialistischen Großmacht aufzusteigen. Doch es muss klar sein, dass das nicht die Regel, sondern nur die Ausnahme ist. China hat unter ganz spezifischen Umständen, die nicht ohne Weiteres kopiert werden können, eine erfolgreiche nachholende Entwicklung zustande gebracht.

Zuerst einmal kann man China nicht aus der Gegenwartsperspektive betrachten und dann die essentiellen Faktoren ableiten, die es von anderen Staaten unterscheiden. Es ist vielmehr notwendig, die lebendige Entwicklung zu untersuchen und die historischen Besonderheiten abzuleiten, die es zu dem gemacht haben, was es heute ist. Der wohl wesentlichste Unterschied Chinas zu „herkömmlichen“ unterentwickelten Staaten ist, dass dort – als von Beginn an bürokratisch degenerierter oder deformierter ArbeiterInnenstaatxii – mehrere Jahrzehnte lang kein Kapitalismus existierte. Dazu kam, dass vor allem seit dem Bruch mit der Sowjetunion, der Ende der 1950er Jahre einsetzte, China auch noch einmal besonders auf eine eigenständige Entwicklung angewiesen war. Dadurch entwickelte sich eine stark abgeschlossene Wirtschaft, die frei von jeglichem ausländischen Kapital war.

Die Entwicklung Chinas hin zur Einführung des Kapitalismus haben wir in „Von Mao zum Markt“ von Peter Main (Revolutionärer Marxismus 39) ausführlich nachgezeichnet. Von den ehemals degenerierten ArbeiterInnenstaaten ist nur die DDR (als Teil Deutschlands) sowie Russland die Entwicklung zu einem imperialistischen Staat gelungen. In Ostdeutschland geschah dies durch den Anschluss an die imperialistische BRD, auch wenn diese Region ähnlich dem italienischen Süden nur die zweite Geige im Land spielt. Die größten Konzerne Deutschlands sind ausschließlich westdeutschen Ursprungs, in der herrschenden Klasse dominiert westdeutsches Kapital. Darüber hinaus sind auch das Lohnniveau und andere Indikatoren des Lebensstandards auf dem Gebiet der ehemaligen DDR noch signifikant niedriger. Für Russland hat es sehr spezifische Umstände gebraucht, um sich zu einer imperialistischen Macht zu entwickeln. In den 1990er Jahren nach dem Kollaps der sowjetischen Wirtschaft sah es lange Zeit danach aus, als ob es auch den Weg in den neokolonialen Status einschlagen würde. Doch auch Russland hat es unter sehr spezifischen Umständen – vor allem durch die alten Verbindungen der Sowjetunion, sein militärisches Gewicht sowie bis zu einem gewissen Grad auch durch seine Monopolstellung als Rohstoffexporteur gegenüber Europa – vermocht, eine prekäre Stellung als imperialistische Großmacht zu erringen. Bezüglich der Betrachtung Russlands sei auf „Die Auferstehung des russischen Imperialismus“ von Frederik Haber (Revolutionärer Marxismus 46) verwiesen.

Chinas besondere Umstände, nämlich, dass es aufgrund seiner Geschichte als von Beginn an degenerierter ArbeiterInnenstaat frei von der Durchdringung mit ausländischem Kapital war, lässt sich für den durchschnittlichen neokolonialen Staat nicht einfach wiederholen. Die Ausgangsbedingungen sind nämlich komplett andere. Ein wesentlicher Umstand für die spezielle Lage, in der sich China befand, war die chinesische Auslandsbourgeoisie, die aus spezifischen historischen Gründen nicht nur in Taiwan, sondern auch in Hongkong sowie überhaupt in einigen südostasiatischen Staaten eine besondere Stellung eingenommen hatte und bei der Öffnung des Landes für ausländisches Kapital kräftig im Land investierte.

Ein weiterer wichtiger Vorteil für China war, dass im Gegensatz zu fast allen anderen ehemaligen stalinistischen Staaten in Osteuropa während der Wiedereinführung des Kapitalismus durch das Regime der KPCh weiterhin sehr stabile Machtverhältnisse im Land herrschten. Dafür war die Niederschlagung der Oppositionsbewegung 1989 essentiell. Die Herrschaft der kommunistischen Partei übernahm dabei ähnliche Rollen wie der preußisch-deutsche, russische oder italienische Staat am Ende des 19. Jahrhunderts, als die Industrialisierung und die Entwicklung des Kapitalismus wesentliches staatliches Projekt waren und aktiv gefördert wurden und nicht einfach organisch entstanden. Das durchschnittliche neokoloniale Land kann nicht einfach so die Dominanz des ausländischen Kapitals abschütteln, dafür wäre letztlich eine soziale Revolution notwendig. Eine unabhängige nationale Entwicklung des Kapitalismus ist nicht möglich. Beispiele wie Venezuela zeigen deutlich, zu welche Methoden der Konfrontation insbesondere der Imperialismus anwandte, um diesen Weg zu verbarrikadieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass China kein Modell für andere Staaten sein kann. Im imperialistischen Weltsystem ist es nicht einfach möglich, durch geschickte staatliche Politik die Fessel zu durchbrechen und die Entwicklung hin zu einem eigenständigen und unabhängigen Kapitalismus anzutreten. Für China mussten neben der generellen Größe des Landes und der Bevölkerung eine Reihe an spezifischen historischen Umständen zusammenkommen, um dies zu ermöglichen. Das lässt sich auch darin erkennen, wie schwer es Indien fällt, einen ähnlichen Weg zu beschreiten.

Partei und Bourgeoisie

Die lang andauernde Herrschaft der KPCh ist ein zentrales Merkmal für den chinesischen Kapitalismus, vergleichbar nur mit der der KP Vietnams. Doch die Frage, ist wie diese Herrschaft bewertet wird. Für die chinesischen FunktionärInnen ist sie klar positiv beantwortet:

Zusammenfassend kann man sagen, dass die sozialistische Marktwirtschaft über moderne wirtschaftspolitische Steuerungsmöglichkeiten verfügt. Zuallererst ist die Führung der Partei ein wichtiges Merkmal des sozialistischen Marktwirtschaftssystems und ein wichtiger Garant für moderne Governance-Kompetenz wirtschaftspolitischer Steuerung. Das sozialistische Marktwirtschaftssystem steht unter der Führung der Kommunistischen Partei Chinas und steht fest auf sozialistischem Boden. Wir müssen uns auf unser theoriegeleitetes Selbstbewusstsein, unsere aufrichtigen Institutionen und die Führung der Partei verlassen, um diesen großartigen Prozess zum sozialistischen Marktwirtschaftssystem zu vollenden.“ xiiiAber nicht nur in den von direkten VertreterInnen des chinesischen Systems, denen im isw Platz geboten wird, wird diese Ansicht geteilt. Auch bei Fred Schmidxiv gibt es viele lobende Worte für die Partei, insbesondere die Anti-Korruptionskampagnen und die Stärkung ihrer Zellen und Grundeinheiten unter Xi Jinping.

Dass die Kommunistische Partei spätestens seit Anfang der 1990er Jahre klar die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse verteidigt und ausbaut, sollte wohl auch den naivsten KommentatorInnen aufgefallen sein. Zwar wird die „Sozialistische Marktwirtschaft“ weiterhin als Anfangsphase des Sozialismus bezeichnetxv, doch wenn man einmal von der Rhetorik absieht und sich die Fakten vor Augen führt, kann man erkennen, dass sich die Bourgeoisie in China immer mehr als Klasse formiert. Seit 2001 dürfen auch PrivatunternehmerInnen Mitglied der Kommunistischen Partei werden. Im isw Report Nr. 119 finden sich auch interessante Zahlen dazu – natürlich mit der Argumentation verbunden, wie gut es gelingen würde, die neuen Eliten „aufzunehmen und zu lenken“xvi. Von den verantwortlichen Personen der größten 100 chinesischen Privatunternehmen sind „19 % […] Abgeordnete des Nationalen Volkskongresses, 15 % Abgeordnete der Provinz- und Kommunalkongresse, 27 % Mitglieder der Föderation von Industrie und Handel sowie der Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes. 39 % sind Leiter von Handelskammern, Jugend-, Handels-, und Unternehmensverbänden.“ Die langwierige Entwicklung von Chinas Bourgeoisie von einer Klasse an sich zu einer Klasse für sich ist in den letzten Jahren also ein gutes Stück vorangekommen.

Lange Zeit spekulierte der Westen darauf, dass sich mit der Öffnung Chinas hin zum Markt eine selbstständige Bourgeoisie herausbilden würde, die dann in weiterer Folge in einen Konflikt mit der KPCh-Bürokratie geriete, was dann in weiterer Folge die Herrschaft der Partei untergraben und eine „Öffnung“ beschleunigen würde. Ob das dabei durch friedlichen Druck passieren würde, der die KPCh zwingen würde, einen Weg der demokratischen Reformen und die Einführung eines Mehrparteiensystems zu beschreiten, oder sie andernfalls auch à la UdSSR/Ostblock gestürzt würde, war dabei zweitrangig.

Diese Erwartungen haben sich im letzten Jahrzehnt als Fehleinschätzung herausgestellt. Insbesondere seit der Ära Xi Jinpings, seiner Antikorruptionskampagnen und der Stärkung der Partei wurde der chinesischen Bourgeoisie gezeigt, dass der Weg innerhalb der Partei um einiges besser ist. Gut wird das in einem Artikel Hu Lemingsxvii umrissen: „Institutioneller Wandel ist nicht nur Prozess der rationalen Konstruktion, sondern auch ein Prozess der spontanen Veränderung. Es ist nicht nur ein von der Politik geförderter Top-down-Prozess, sondern auch ein von privaten Unternehmern geförderter Bottom-up-Prozess. Es ist ein Prozess der Interaktion zwischen Politikern und Unternehmern.“

Der chinesische Staat und seine herrschende Bürokratie schaffen es trotz (oder vielleicht auch gerade wegen) der jüngeren Vergangenheit als von Geburt an degenerierter ArbeiterInnenstaat besonders gut, die Rolle als ideelle/r GesamtkapitalistIn zu übernehmen. Ein wesentliches Merkmal des Abstiegs des US-amerikanischen Imperialismus dagegen ist, dass sich die unterschiedlichen Interessen der Fraktionen der herrschenden Klassen immer mehr aufsplittern. In den USA ist eine langfristige Strategie der Bourgeoisie immer weniger möglich. Die Widersprüche zwischen Demokratischer und Republikanischer Partei, zwischen Protektionismus und Freihandel, zwischen Silicon Valley, Wall Street und den verbliebenen Industrien und heute zwischen VertreterInnen von „Herdenimmunität“ und „Social Distancing“ machen die Verteidigung der Stellung als imperialistische Großmacht Nr. 1 schwer.

Das bedeutet aber nicht, dass in China die gesamte Bourgeoisie mit der Partei zu einer Einheit verschmolzen wäre. Einerseits ist die chinesische Auslandsbourgeoisie nicht wirklich in diese Strukturen eingebunden, andererseits ist es auch kein widerspruchsfreier Prozess. Es ist durchaus möglich, dass sich durch innere wie äußere Faktoren eine eigenständige von der KP-Bürokratie unabhängige Kraft der Bourgeoisie wird versuchen zu etablieren. Wenn es beispielsweise zu einer größeren landesweiten Bewegung gegen das Regime kommt, würde es vermutlich die Spaltungstendenzen innerhalb der Bürokratie selbst vergrößern und ein Teil der Bourgeoisie würde zweifelsfrei versuchen, sich außerhalb des Staats und der Kommunistischen Partei in einer eigenen Partei zu organisieren. Doch auch eine längere Dauer des obrigkeitsstaatlich gelenkten Kapitalismus wie in Preußen und im frühen Deutschen Reich, Russland, Japan oder in seiner parlamentarisch-demokratischen Variante in Frankreich nach dem 2. Weltkrieg oder in Großbritannien unter Attlee ist als Möglichkeit nicht auszuschließen.

China ist ein Beispiel für das Gesetz der ungleichen und kombinierten Entwicklung. Der chinesische Staat trägt starke Züge einer zuvor existierenden Gesellschaftsformation (der gleichen und kaum von der Chinas zu unterscheidenden wie in Vietnam) ähnlich wie einige andere Staaten mit schwächeren (Großbritannien) oder stärkeren (Saudi-Arabien) monarchistischen Elementen in der Exekutive. Die weitere Existenz der KPCh als herrschende Partei kann deshalb kein Argument für einen grundlegend anderen Klassencharakter Chinas sein.

Wie weiter für China und die ArbeiterInnenklasse?

Bei allen Lobeshymnen auf die Volksrepublik China muss sich das isw doch immer mal wieder eingestehen, dass es vielleicht doch dort auch noch irgendwie ein paar demokratische Defizite gibt. „Dennoch bleibt die Frage nach der demokratischen, insbesondere produktionsdemokratischen, Teilhabe (!) der Menschen in China.“xviii2010 wurden im isw Report Nr. 83/84 noch zwei Möglichkeiten aufgezeigt. Auf der eine Seite gäbe es die der „Herausbildung einer gewerkschaftlichen Gegenmacht und ihre Formierung zur Arbeiterbewegung“xix, auf der anderen Seite für – eine vermutlich durch graduelle Reformen eingeführte – „vertikale Demokratie“. In ihr „werden die Visionen und Ziele des Landes in einem interaktiven Prozess von Spitze und Basis gleichermaßen geformt.“xxWas genau das konkret bedeuten soll, wird weder ausgeführt noch klar definiert.

Acht Jahre später in isw Report Nr. 115 ist dann von der Formierung einer Gegenmacht, geschweige denn politischer und ökonomischer Etablierung der ArbeiterInnenklasse als herrschendes und planendes Subjekt keine Rede mehr. „Ein echter demokratischer Ansatz“ ist jetzt nur mehr „die Weiterentwicklung der „vertikalen Demokratie““xxi. Ein unabhängiger Klassenstandpunkt ist jetzt offenbar weder realistisch noch gewünscht. Hier zeigt sich schließlich am klarsten die endgültige Kapitulation vor dem chinesischen Kapitalismus. Die Rolle von MarxistInnen geht beim isw offenbar kaum mehr ein bisschen über Beifall für eine „vertikale Demokratie“ hinaus.

Aus Chinas besonderer Geschichte ergibt sich für das isw offenbar, dass auf es keinerlei marxistische Kategorien oder Analysen mehr anwendbar seien. Es wird zwar zugestanden, dass es sich auch in dort um eine Kapitalismus handelt, aber dieser sei durch die Rolle der Partei im Staat, die sich noch immer kommunistisch nennt, und des Staates in der Wirtschaft so besonders, dass er eigentlich nicht mehr wirklich des Klassenkampfes, einer eigenständigen Organisation des Proletariats (nur mehr knapp über 7 % der Parteimitgliedschaft sind IndustriearbeiterInnenxxii) oder überhaupt einer proletarischen Revolution für die Abschaffung des Kapitalismus und für eine ArbeiterInnendemokratie bedürfe. Dabei ist China doch mit der weltweit größten Bevölkerung und der größten ArbeiterInnenklasse eines der Schlüsselländer im imperialistischen Weltsystem!

Die aktuelle Situation in Wirtschaftskrise und Corona-Pandemie sind für China genauso wie die ganze Welt von entscheidender Bedeutung. In China ist es durch die sehr starke Position des Staates gelungen, die Ausbreitung der Krankheit relativ rasch unter Kontrolle zu bringen und auch die Produktion wieder anzuwerfen, doch es steht vor dem Problem, dass es trotz aller Stärkung des Binnenmarktes immer noch sehr zentral auf den Exportsektor angewiesen ist. Wie in vielen anderen Staaten hat es in der Krise der aktuellen Regierung gegenüber, falls diese nicht vollkommen absurde Maßnahmen durchführte, einen großen Vertrauensvorschuss gegeben. Doch die ökonomischen Widersprüche (insbesondere die Frage, wie lange die Industrieproduktion alleine auf staatlicher Stimulanz basieren kann), die sich aus dem weiteren Verlauf der Wirtschaftsentwicklung ergeben werden, werden unweigerlich ihren politischen Ausdruck finden. Ob sich dieser „nur“ in der Partei und dem Staat abspielen oder auch einen gesamtgesellschaftlichen Ausdruck finden wird, ist noch nicht abzusehen.

Aber zentral für das Verständnis Chinas ist, seine Stellung im imperialistischen Weltsystems zu verstehen. Die Charakterisierung als neue imperialistische Großmacht hat eben nicht nur akademischen Charakter, sondern ist wesentlich zum Verständnis und zur Einordnung eines der wichtigsten Länder für den globalen Klassenkampf. Der imperialistische Hauptkonflikt – zwischen China und den USA – wird sich in den nächsten Jahren nur zuspitzen und in der einen oder anderen Form gelöst werden. Dabei ist es von größter Bedeutung, eine antimilitaristische, antiimperialistische und internationalistische Position in die ArbeiterInnenklassen sowohl in China als auch im Westen zu tragen. Wenn dies nicht gelingt, können die kommenden Konflikte für die ArbeiterInnenklasse und die gesamte Menschheit nur in der Katastrophe enden. Der Hauptfeind steht – auch in der VR China – dabei im eigenen Land!

Endnoten

iInstitut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e. V. mit Sitz in München. Es wurde 1990 von linken SozialwissenschaftlerInnen und GewerkschafterInnen gegründet.

ii„Der neue Systemkonflikt zwischen dem US-geführten Westen und der Volksrepublik China“, Werner Rügemer in isw Report 119, S. 25

iii„Trumps ,America first’ – der Versuch, die USA zur unumschränkten globalen Supermacht zu machen“, Conrad Schuhler in isw Report 115, S. 11

iv„Warum muss die sozialistische Linke über die VR China diskutieren?“, Walter Baier in isw Report Nr. 119, S. 36

v„China – Krise als Chance?“, Fred Schmid in isw Report Nr. 83/84, S. 61

viebenda

vii„Der neue Systemkonflikt zwischen dem US-geführten Westen und der Volksrepublik China“, Werner Rügemer in isw Report Nr. 119, S. 26

viii„Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus“, Lenin in Werke Band 23, S. 113

ix„Der neue Systemkonflikt zwischen dem US-geführten Westen und der Volksrepublik China“, Werner Rügemer in isw Report Nr. 119, S. 26

x„Trumps Wirtschaftskrieg gegen China“, Fred Schmid in isw Report Nr. 115, S. 36

xi„China – Krise als Chance?“, Fred Schmid in isw Report Nr. 83/84, S. 60

xiiDie VR China war wie Kuba, Nordkorea, Nordvietnam, Jugoslawien und Osteuropa ein ArbeiterInnenstaat, der von Beginn seiner Existenz an bürokratisch entstellt war und wo die Arbeiterinnenklasse von der unmittelbaren Ausübung ihrer Diktatur ausgeschlossen blieb. Das unterscheidet ihren degenerierten Charakter vom frühen Sowjetrussland, in dem die stalinistische politische Konterrevolution ab 1924 die Oberhand gewann. Sie unterlag einem Prozess der Degeneration und startete ihre Existenz nicht mit diesem Zustand.

xiii„Die Risiken von Sozialistischer Marktwirtschaft und neoliberalem Kapitalismus“, Ding Xiaoqin in isw Report Nr. 119, S. 5

xiv„Trumps Wirtschaftskrieg gegen China“, Fred Schmid in isw Report Nr. 115, S. 36

xv„Die Risiken von Sozialistischer Marktwirtschaft und neoliberalem Kapitalismus“, Ding Xiaoqin in isw Report Nr. 119, S. 4

xvi„Das chinesische Modell aus der Perspektive staatlicher Handlungsfähigkeit“, Yang Hutao in isw Report Nr. 119, S. 15

xvii„Chinesische Erfahrungen bei Reform und Entwicklung“ Hu Leming in isw Report Nr. 119, S. 10

xviii„Trumps Wirtschaftskrieg gegen China“, Fred Schmid in isw Report Nr. 115, S. 36

xix„China – Krise als Chance?“, Fred Schmid in isw Report Nr. 83/84, S. 62

xxebenda

xxi„Trumps Wirtschaftskrieg gegen China“, Fred Schmid in isw Report Nr. 115, S. 37

xxii„Number of Chinese Communist Party (CCP) members in China in 2019, by employment“ in https://www.statista.com/statistics/249968/number-of-chinese-communist-party-ccp-members-in-china-by-employment/




Debatte: Linke Gewerkschaftsarbeit – warum und wie?

Mattis Molde, Neue Internationale 249, September 249

Sollen Linke in den Gewerkschaften arbeiten? Mit welchem Ziel? Und mit welchen Methoden? Die Debatte darüber ist wieder hochgeschwappt und dafür gibt es gute Gründe. Erstens stellen sich viele Beschäftigte die Frage, ob es sich überhaupt noch lohnt, Gewerkschaftsmitglied zu sein. Der Organisationsgrad ist seit Jahren im Niedergang und in den letzten Monaten hat sich der vor allem bei der IG Metall heftig beschleunigt. Die Führungen der DGB-Gewerkschaften rücken immer weiter nach rechts, immer näher an die Regierung und das Kapital heran. Sie sind praktisch Teil der Großen Koalition, Partnerinnen in einem nationalen Konsens, um die Corona-Pandemie und die Wirtschaftskrise so gut wie möglich zu überstehen – so gut wie möglich für „die Wirtschaft“, also für das deutsche Kapital!

Andererseits verschärft die Krise die Angriffe des Kapitals auf die ArbeiterInnenklasse und muss sie weiter zuspitzen. RassistInnen und NationalistInnen spielen die Begleitmusik, um die Klasse zu spalten. Also stellt sich die Frage für Linke: Wollen sie helfen, den Klassenkampf zu führen, oder zuschauen? Stellen sie dem nationalen Wahn eine internationalistische Klassenpolitik entgegen oder heben sie mahnend den moralischen Zeigefinger? Und was tun sie mit den real existierenden Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse, den Gewerkschaften?

Klassenbewusstsein

Den interessantesten Ansatz in der Debatte, die im letzten Jahr begann und im ak (analyse & kritik – Zeitung für linke Debatte und Praxis) geführt wurde, vertritt Christian Frings: „Kapitalismus funktioniert nur, weil die Realität der Ausbeutung, die Realität der Klassengesellschaft immer wieder hinter Formen der Gleichheit und Gerechtigkeit verschwindet und sich ein Schein von Harmonie einstellt. Karl Marx macht sich in seiner Kritik der politischen Ökonomie erdenkliche Mühe, nicht nur zu erklären, wie Ausbeutung funktioniert, sondern auch wie sie mit einer gewissen Zwangsläufigkeit unsichtbar gemacht und verschleiert wird. Dreh- und Angelpunkt dieser Verschleierung ist das Institut der Lohnarbeit. Ich trete als freier und gleicher Warenbesitzer auf den Arbeitsmarkt und verkaufe meine Ware, scheinbar die Arbeit. Dafür erhalte ich einen »gerechten« Lohn und alles ist gut. In Wirklichkeit, so Marx, habe ich aber meine Arbeitskraft, mein bloßes Vermögen, Arbeit verrichten zu können, verkauft. Und dieses Vermögen kostet nicht mehr, als es irgendwie am Leben zu erhalten, sprich, mich durchzufüttern. Das ist der Tauschwert meiner Ware. Ihr Gebrauchswert ist die lebendige Arbeit, das was ich dann unter den Anweisungen des Käufers meiner Ware tun muss – und aus diesem Gebrauchswert meiner Ware entspringt der Mehrwert. Die Schizophrenie von formaler Gleichheit und realer Ungleichheit in der bürgerlichen Gesellschaft lässt sich also mit den Gleichheits- und Freiheitsillusionen des Warentauschs zur Deckung bringen. Schon der Begriff »Lohn« enthält diese Verschleierung, weil wir bei Lohn an »Bezahlung der Arbeit« denken.“ (ak 652, 16.9.2019:  https://www.akweb.de/bewegung/sozialpartnerschaft-ist-kein-betriebsunfall/)

Frings stellt dar, dass der rein gewerkschaftliche Kampf um den Preis der Ware Arbeitskraft notwendigerweise bürgerliches Bewusstsein erzeugt. Er weist darauf hin, dass der Maßstab des rein gewerkschaftlichen Kampfes, ob mein Lohn zu einem „guten Leben“ reicht, die Ausbeutung nicht erkennt. Er kombiniert dies in der Folge mit der richtigen Beobachtung der juristischen und politischen Integration der Gewerkschaften in den bürgerlichen Staat, vermittelt durch Tarifverträge und Sozialversicherung, und kommt zu dem Schluss, dass Gewerkschaften im Kapitalismus „halbstaatliche Organisationen“ seien, die eine „Ordnungs- und Befriedungsfunktion“ erfüllten und nicht „beliebig gestaltbar und reformierbar seien“.  Stattdessen sollten wir „einfach mit den ausbeuteten Menschen in der Gesellschaft zusammenkommen, die nur darauf warten, ihre Ausbeuter zu bekämpfen.“ Mit dieser Flucht in den Spontaneismus schüttet Frings dann leider das Kind der marxistischen Erkenntnis ins anarcho-syndikalistische Abwasser.

Sozialistisches Bewusstsein

Marx selbst hat das Dilemma angesprochen, dass der gewerkschaftliche Kampf zwar zur Bildung einer Klasse für sich im Kampf gegen eine andere Klasse, gegen die Bourgeoisie, die ArbeiterInnen ausbeutet, führt, aber damit noch nicht zu kommunistischem Bewusstsein, nämlich, dass es nicht nur um den Preis der Ware Arbeitskraft geht, sondern um die Aufhebung des Lohnsystems als solchem, der Ausbeutung durch Lohnarbeit.

„Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, das heißt zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.“ (K. Marx, Lohn, Preis und Profit, MEW 16, S. 152)

Als Sammelpunkte des alltäglichen Widerstands leisten die Gewerkschaften, indem sie gegen die UnternehmerInnen in ihrer Branche, ihren Betrieben einen Arbeitskampf durchführen, also praktische Dienste zur Entwicklung von elementarem, embryonalem Klassenbewusstsein, aber dies ist genauso wenig revolutionär wie das schon weiter entwickelte politische des Reformismus. Dieses erkennt zwar die Notwendigkeit einer politischen Vertretung der Gesamtklasse in Form einer ArbeiterInnenpartei an, aber nicht des gewaltsamen Sturzes der UnternehmerInnenklasse.

Wir sind völlig einig mit Christian Frings, dass die derzeitigen Gewerkschaften – nicht nur in Deutschland – ihren Zweck in diesem marxschen Sinne gänzlich verfehlen. Wir sind auch mit ihm einig, dass der gewerkschaftliche Kampf systemimmanentes, also bürgerliches Bewusstsein reproduziert. Aber das gilt auch für spontane Kämpfe, für die von Schichten der ArbeiterInnenklasse, die bisher von jeglicher gewerkschaftlicher Erfahrung und Organisation ausgeschlossen waren, und das gilt auch für all die netten kleinen syndikalistischen Organisationen, die glauben, dass sich aus der Spontanität des Kampfes gegen die AusbeuterInnen systemüberwindendes Bewusstsein entwickelt, genauso wie für diejenigen, die innerhalb der Gewerkschaften nur für eine „aktivere und kämpferischere“ Ausrichtung kämpfen, also fast alle Strömungen der „Gewerkschaftslinken“ der letzten Jahrzehnte.

Lohnkampf

Zugleich aber schüttet Frings das Kind mit dem Bade aus, da er ignoriert, dass der Kampf um den Arbeitslohn, also die Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft, immer auch eine Elementarform des Klassenkampfes darstellt – selbst, wenn das Bewusstsein der ArbeiterInnen ein bürgerliches ist. Jeder ökonomische Kampf ist nämlich immer ein Kampf um die Höhe der Ausbeutungsrate (Arbeitslohn, Länge des Arbeitstags, Arbeitsbedingungen, -intensität) und damit um die Existenzbedingungen der ArbeiterInnenklasse und die Profite der UnternehmerInnen.

Auch wenn LohnarbeiterInnen und KapitalistInnen ihre Ansprüche auf Basis des Lohnarbeitsverhältnisses herleiten, so sind ihre Interessen entgegengesetzt. Eine Seite kann nur auf Kosten der anderen gewinnen, wie Marx im „Kapital“ zeigt:

„Man sieht: Von ganz elastischen Schranken abgesehn, ergibt sich aus der Natur des Warenaustausches selbst keine Grenze des Arbeitstags, also keine Grenze der Mehrarbeit. Der Kapitalist behauptet sein Recht als Käufer, wenn er den Arbeitstag so lang als möglich und womöglich aus einem Arbeitstag zwei zu machen sucht. Andrerseits schließt die spezifische Natur der verkauften Ware eine Schranke ihres Konsums durch den Käufer ein, und der Arbeiter behauptet sein Recht als Verkäufer, wenn er den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgröße beschränken will. Es findet hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmäßig durch das Gesetz des Warenaustausches besiegelt. Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt.“ (Marx, Das Kapital Band 1, MEW 23, S. 249)

Von dieser Gewaltgeschichte des Lohnarbeitsverhältnisses wollen bürgerliche ReformerInnen und ReformistInnen tunlichst nichts wissen. Sie halten sie allenfalls für einen Überrest „alter Zeiten“, als es noch keine SozialpartnerInnenschaft, Tarifrundenrituale usw. gab, als es im Kapitalismus noch „unzivilisiert“ zuging.

In Wirklichkeit stellen diese friedlicheren Formen der Konfliktaustragung nur einen institutionellen Überbau dar, der wie ein Alp auf der Klasse lastet, der aber auch selbst in jeder Krise unterminiert, auf die Probe gestellt wird. Je weniger Lohnabhängige hier – von den Ländern der sog. „Dritten Welt“ ganz zu schweigen – im sog. „Normalarbeitsverhältnis“ stehen, desto forscher trägt das Kapital seine Interessen vor, werden Union-Busting, prekäre Verhältnisse, Lohnraub zur „Normalität“.

Gerade Krisenperioden wie diese tendieren dazu, dass die ArbeiterInnen dazu getrieben werden, über die Grenzen des rein ökonomischen Kampfes hinauszugehen, da nur eine Antwort für die Gesamtklasse, also ein politischer Klassenkampf, die realen Probleme lösen kann. Die Lohnabhängigen werden, eben weil das Lohnarbeitsverhältnis ein widersprüchliches ist, weil der „gerechte“ Ausgleich zwischen den Klassen immer weniger funktioniert, auch auf politische Fragen gestoßen. Die Antworten entwickeln sie natürlich nicht spontan. Es ist vielmehr eine Kernaufgabe von RevolutionärInnen, diese in Gewerkschaften, Betriebe, Kämpfe in gewerkschaftlich organisierten oder nicht organisierten Bereichen zu tragen.

Genau dieser Aufgabe müssen sich KommunistInnen heute stellen. Frings weicht vor dieser zurück, ja er kapituliert vor ihr, indem er kommunistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit zu einer Unmöglichkeit erklärt.

Die Apparate und ihre Politik

Das hängt damit zusammen, dass er nirgendwo zwischen LohnarbeiterInnen und ArbeiterInnenbürokratie (Gewerkschaftsapparat, Betriebsratsspitzen der Großkonzerne) unterscheidet. Es reicht nämlich nicht aus, ein gleichermaßen „falsches“, im Lohnarbeitsverhältnis verhaftetes und von diesem reproduziertes Bewusstsein von Bürokratie und LohnarbeiterInnen zu konstatieren.

Die Gewerkschaftsbürokratie ist nicht bloß eine Verlängerung, Apparat gewordene Form falschen Bewusstseins. Wird sie zu einer Kaste, einer bürokratischen Struktur, entwickelt sie selbst ein materielles Interesse, ihre Rolle als Vermittlerin zwischen Lohnarbeit und Kapital zu verewigen – und damit auch ein materielles Begehren, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse zu verteidigen.

Sie beschränkt daher den Kampf bewusst auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Löhne, also rein gewerkschaftliche Ziele. Auch die Politik, die diesem entspringt, der politische Reformismus, stellt eine Form bürgerlicher ArbeiterInnenpolitik dar. Ziel dieser Politik ist es, die Klasse an dieses System, an die Herrschaft der Bourgeoisie zu ketten. Diese Politik hat eine Trägerin, die Gewerkschaftsbürokratie.

Die Gewerkschaften sind also nicht untauglich für den „globalen Aufstand“ (Frings), weil sie groß, unbeweglich, nicht spontan, unpolitisch, nationalborniert, männlich-chauvinistisch sind, sondern sie haben diese Eigenschaften, weil sie von einer Kaste dominiert werden, deren politische Bestimmung es ist, die Gewerkschaften an das kapitalistische System zu binden. Frings hat recht, wenn er beschreibt, dass seitens der Bourgeoisie sehr bewusst die Sozialgesetzgebung, das Arbeitsrecht oder die Betriebsverfassung so ausgestaltet wurden und werden, dass die Gewerkschaftsbürokratie damit die Klasse fesseln kann. Er verweist auf Bismarck und seine Sozialgesetzgebung. Eben: Diese wurde genau deshalb eingeführt, weil ein Verbot von Gewerkschaften und der SPD nicht funktioniert hatte. Die Bourgeoisie musste ihre Strategie ändern: Wo sie die Organisationen der ArbeiterInnenklasse nicht unterdrücken kann, muss sie sie integrieren. Das ist die Rolle des Reformismus als Politik, die sich auf die ArbeiterInnen, v. a. diejenigen, die erkannt haben, dass sie sich als Partei gegen die gesamte herrschende Klasse organisieren müssen, stützt, um die Herrschaft der Bourgeoisie zu sichern.

Der Reformismus begegnet uns in SPD und Linkspartei, in Syriza, in der PT Brasiliens, in Rifondazione Comunista, in jedem hoffnungsvollen linken Politikprojekt und warum sollte das Kapital diese Taktik nicht bei Gewerkschaften anwenden, egal ob sie sich sozialistisch, kommunistisch, überparteilich oder sonst wie definieren?

Die Bürokratie

Frings, aber nicht nur er, begeht den Fehler, die Gewerkschaften mit den sie beherrschenden Bürokratien gleichzusetzen. Der „Doppelcharakter“ von reformistischen Gewerkschaften ist kein Mysterium oder „Strukturproblem“: Sozial sind sie Organisationen der ArbeiterInnenklasse, politisch geführt werden sie von einer Schicht, die die historischen Interessen der Bourgeoisie vertritt.

Der Verzicht auf gewerkschaftliche und politische Organisierung als Konsequenz ist nichts anderes als die Kapitulation vor der Bourgeoisie. Nötig ist der Kampf gegen den Reformismus und das ist ein politischer Kampf! Der Kampf gegen den „natürlichen“ Ökonomismus und Reformismus, der immer neu entsteht, wenn Schichten und Sektoren der ArbeiterInnenklasse in den Kampf gegen die AusbeuterInnen eintreten, muss allerdings anders geführt werden als der gegen den bewusst konterrevolutionären Reformismus der Gewerkschaftsbürokratie!

Der Kampf gegen die Bürokratie muss natürlich auch in der täglichen gewerkschaftlichen Praxis erfolgen. In jedem Konflikt geht es auch um:

  • Aktionen und Kampf statt Verhandlungen
  • Diskussion und Demokratie statt Diktate der Führungen
  • Einsatz auch für die Randbelegschaften statt Ausrichtung auf die ArbeiterInnenaristokratie
  • Die Interessen der Gesamtklasse und nicht von Privilegien für Sektoren
  • Solidarität mit anderen Kämpfen.

Es geht immer auch gegen Rassismus, Sozialchauvinismus und Nationalismus, gegen Unterdrückung von Frauen, LGBTIA-Personen und der Jugend.

Klassenkämpferische Basisbewegung

Aber das ist nicht alles. Es ist völlig klar, dass die BürokratInnenkaste alle Vorteile der Zentralisierung und Organisierung für sich nutzt. Es ist also eine organisierte Bewegung gegen die Bürokratie nötig, die sich auf die Basis stützt und diese organisiert gegen das politische Monopol des Apparates. Das macht eine politische Bewusstseinsbildung nötig und das heißt letztlich, die KollegInnen für eine antikapitalistische, revolutionäre Perspektive zu gewinnen. Das ist kein Spaß, vor allem dort, wo die Bürokratie besonders hart zuschlägt, dort wo sie aus Sicht des Kapitals ihre wichtigste Aufgabe hat, in der Exportindustrie. Um so notwendiger ist ein organisierter Kampf.

In ihm spielt die Taktik eine große Rolle. Immer wenn der Apparat ein paar Schritte in Richtung Kampf geht, seine radikaleren Teile auf dem Vormarsch sind, die Belegschaften aus ihrer Passivität ausbrechen, in die sie gedrängt werden, müssen wir in dieser Bewegung vorne dabei sein, dürfen nicht passiv bleiben und nur vor dem nächsten Verrat warnen, sondern müssen Vorschläge machen, die die Massen in Bewegung befähigen, den kommenden Verrat zu bekämpfen. Sie müssen die Kontrolle über die Forderungen, die Aktionen und die Verhandlungen in die Hand bekommen. Also Aktionskomitees wählen, auf Vollversammlungen entscheiden, Verhandlungen öffentlich führen.

Die Aufgabe einer Basisbewegung ist es, die Alternative einer klassenkämpferischen Gewerkschaft in der Praxis zu zeigen und für eine Umgestaltung der alten Gewerkschaften zu kämpfen. Die Bürokratie ist als soziale Schicht an den Kapitalismus gebunden. Alle Privilegien müssen beendet werden, Bezahlung nach den Durchschnittseinkommen der Branche, raus aus den Aufsichtsräten, demokratische Wahlen auf allen Ebenen. Das kann zu heftigen Brüchen in den Gewerkschaften führen, zu Spaltungen und Ausschlüssen.

Aber was ist das für eine Vorstellung, dass der „globale Aufstand“, den Christian Frings möchte, eine hoch organisierte Struktur mit dominantem Einfluss auf potentiell kampfstarke Teile der Arbeiterinnenklasse unangetastet wirken lässt und stattdessen sich nur auf einen anderen Teil der Klasse stützt und diesen mit neuen, schwachen Organisationen oder gar gänzlich unorganisiert in den Kampf führt – gegen das Kapital, seinen Staat und seine „halbstaatlichen“ Gewerkschaften, die einen Teil der Klasse gegen den Kampf ausrichten werden?

Wer eine Alternative zum Kapitalismus will und nicht die Illusion hat, dass dies durch ein Wunder geschieht oder durch eine „neue Avantgarde whatever“, muss sich auch der Frage stellen, wie die Kernschichten des Proletariats aus der politischen und ideologischen Fessel befreit und für diese Alternative gewonnen werden können.




Lutte Ouvrière: Dogmatischer Zentrismus

Pouvoir Ouvrier, Revolutionärer Marxismus 47, September 2015

Vorwort der Redaktion

Im Folgenden veröffentlichen wir einen Text unserer ehemaligen französischen Sektion. Der Text ist Ende der 80er Jahre in unserem französischsprachigen theoretischen Journal erschienen und liefert eine Analyse der Politik von Lutte Ouvrière (LO), einer der größten trotzkistischen Organisationen in Frankreich.

Wir veröffentlichen diesen Text, der ursprünglich 1989 in „Pouvoir Ouvrier“ Nr. 14 veröffentlicht wurde, weil er nach wie vor nichts an Aktualität eingebüßt hat. Lutte Ouvrière ist so konsequent in ihrem Dogmatismus, dass ihre Positionen über ein Vierteljahrhundert massiver globaler politischer Umbrüche fast identisch geblieben sind. Auch dies ist bezeichnend für die leblose politische Methode dieser Organisation. Allerdings muss man ihr zugestehen, dass diese Verknöcherung sie zumindest vor noch gröberen politischen Fehlern und dem Abdriften in postmoderne, liberale Ideenkreationen bewahrt hat.

Lediglich ihre Position gegenüber der Front National (FN) hat sich in diesen Jahrzehnten verändert – zum Positiven. Unter dem Druck des Erstarkens der FN konnten sie unmöglich weiter ihren Kurs der Ignoranz rechtfertigen. Auch wenn LO nach wie vor in ihrer ökonomistischen Politik gefangen ist und weiterhin den politischen Kampf zu Gunsten des rein gewerkschaftlichen Kampfes vernachlässigt, nimmt sie nun an Aktionen gegen die FN teil und erkennt den qualitativen Unterschied zwischen FN u.a. bürgerlichen Parteien.

Die Sowjetunion ist in der Zwischenzeit gefallen, der Kapitalismus wurde bis auf wenige Ausnahmen auf globaler Ebene restauriert. Daher ist eine Positionierung zu den ehemaligen degenerierten Arbeiterstaaten – abgesehen von Kuba und Nordkorea – zwar keine unmittelbare Notwendigkeit im Klassenkampf, wie sie es noch vor 30 Jahren war. Dennoch ist eine historische Analyse und Positionierung nicht unwichtig, denn sie ist das Fundament, aus dem Schlüsse für den heutigen und zukünftigen Klassenkampf gezogen werden.

Damals wie heute ist der Grund, dass wir uns so intensiv mit einer anderen Strömung der ArbeiterInnenbewegung beschäftigen, ein doppelter. Erstens tun wir dies, um eine Diskussion innerhalb der kommunistischen Bewegung anzufachen und zu bestehenden Diskussionen beizutragen. Wir hoffen, durch unsere Argumente überzeugen und somit zum Aufbau einer revolutionären Internationale – die jetzt mehr denn je eine objektive Notwendigkeit darstellt – beizutragen. Ebenso begrüßen wir es, wenn eine ebenso ehrliche, wohlmeinende und fundierte Kritik zurückkommt, was leider nur selten der Fall ist.

Zweitens können wir durch eine solche analysierende Polemik unsere eigenen Positionen klarer darstellen und für interessierte LeserInnen schärfer herausarbeiten.

Den Anlass für eine erneute Beschäftigung mit LO haben uns die etwas intensiveren Kontakte zum LO-Milieu in den letzten beiden Jahren geliefert. Keineswegs geht es uns bei dieser Veröffentlichung darum, zu beleidigen oder uns sektiererisch von anderen Organisationen abzugrenzen. Im Gegenteil: solche Polemiken ändern nichts an unserem solidarischen Verhältnis und unserem Willen zur Zusammenarbeit.

Lutte Ouvrier: Dogmatischer Zentrismus

Von allen „trotzkistischen“ Organisationen Frankreichs ist Lutte Ouvrière (LO) wahrscheinlich die bekannteste unter ArbeiterInnen. Mit ihren hunderten Betriebs-Flugblättern und ihrer regelmäßigen Teilnahme an Wahlen ist ihr Ausmaß der Intervention beeindruckend. Aber es ist die Qualität der Intervention, die zählt. Wenn das nicht auch für die PCF gelten würde, die eine andere, quantitativ viel beeindruckendere Intervention in den Klassenkampf hat.

In diesem Artikel untersuchen wir die Politik von Lutte Ouvrière in mehreren Fragen: der Betriebsarbeit, dem Kampf gegen Rassismus und Nationalismus, aber auch in einer Reihe anderer eher historischer und theoretischer Fragen, die wir behandeln, weil die Intervention von LO weitergeht, als nur spontan Antworten auf die aktuellen Entwicklungen des Klassenkampfs in Frankreich zu geben. Ungeachtet ihrer Verachtung der Theorie und ihrer deutlichen Bevorzugung einer populistischen Intervention in „die Massen“ stützt LO ihre Politik allerdings auf ein theoretisches Fundament, eine Methode.

Die LO liebt es, gewisse revolutionäre Wahrheiten zu wiederholen wie „die Befreiung der Arbeiter wird das Werk der Arbeiter selbst sein“ oder „ein Volk, das ein anderes unterdrückt, wird niemals frei sein“ oder etwa „es braucht eine revolutionäre Partei“. Welche ihrem Namen würdige RevolutionärInnen könnten dem nicht zustimmen? Dennoch, die Schwierigkeiten beginnen dort, wo diese Wahrheiten in praktische Aktionen des internationalen Klassenkampfes übersetzt werden müssen, das heißt in ein Aktionsprogramm.

Und gerade das ist es, was LO nicht gelingt. Weil LO es nicht schafft, eine konkrete Verbindung zwischen dem abstrakten „marxistischen“ Diskurs und ihrer täglichen Praxis herzustellen, ist sie eine jener Organisationen, die, ein paar „revolutionäre Wahrheiten“ hinzufügend, ganz den spontanen Forderungen der ArbeiterInnen folgt.

Das spiegelt den zentristischen Charakter der LO wider, also die Tatsache, dass sie zwischen revolutionärer Politik und reformistischer Politik schwankt. Wir sagen nicht, dass alles, was LO macht, schlecht ist, auch nicht, dass sie unfähig ist, Positionen anzunehmen, die im Abstrakten revolutionär wären.

Was wir kritisieren, ist die Unfähigkeit von LO, eine konsequente revolutionäre Praxis zu entwickeln – dafür fehlt es ihr an einem Forderungskomplex, an Taktiken und an einem revolutionären Aktionsprogramm.

Wie alle Bruchstücke, die aus der Vierten Internationale hervorgingen, schwankt LO zwischen Sektierertum und Opportunismus. Wie andere auch hat sie ihre eigenen Fetische, die sie vor allen Abweichungen schützen sollen. Für die PCI von Pierre Lambert sind das „Einheit“ und „Demokratie“. Für die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) ist das „Antikapitalismus“.

Für die LO ist es eine scheue – und mitunter sektiererische – Opposition gegenüber nationalistischen Bewegungen, die Priorität auf die Verankerung der AktivistInnen in der ArbeiterInnenbewegung (die tw. bis zur Unsichtbarkeit reicht) und die Propaganda für Streikkomitees.

Wir analysieren hier, wie die an sich korrekten Positionen von LO ihres revolutionären Inhalts beraubt und in sterile Dogmen verwandelt werden.

Angesichts des offenkundigen Opportunismus der PCI und der LCR kann die LO den Eindruck einer prinzipienfesten Organisation machen, die sich qualitativ von anderen, sich trotzkistisch nennenden Organisationen auf der Welt unterscheidet. Doch dem ist nicht so. LO ist durchaus Teil der traurigen Geschichte des Zentrismus, in welchen die Vierte Internationale versunken ist. Dieser Zentrismus, der schon 40 Jahre am Leben ist, markiert einen radikalen Bruch mit der revolutionären, konsequenten, trotzkistischen Politik, die ihm vorangegangen ist.

Trotz aller Versuche, mit dieser Tradition Schluss zu machen, konnte LO nicht weitergehen, als einige isolierte Kritikpunkte am Opportunismus anderer zentristischer Strömungen zu entwickeln, oft zwar richtige, aber immer nur Teilkritiken. Sie hat es nicht geschafft, sich Trotzkis Methode anzueignen: die marxistische Übergangsmethode, die darin besteht, programmatische Antworten auf die Probleme des Klassenkampfes zu entwickeln und fortschreitend und im Detail konkrete Lösungen auf die Frage „Was tun?“ vorzuweisen.

Wir spielen nicht mit Worten. Lutte Ouvrière gibt vor, eine revolutionäre Organisation zu sein. Wir stellen diese Ansicht in Abrede und zeigen die zentristische Natur dieser Organisation auf. LO baut derzeit eine internationale Tendenz auf, die Union Communiste Internationaliste (UCI). Sie versucht andere, ähnliche Organisationen, in anderen Teilen der Welt aufzubauen. Wir denken, dass die Gründung solcher Gruppen nichts als Verwirrung stiften und zur politischen Verwirrung einer neuen Generation von AktivistInnen beitragen wird, aber diesmal auf internationaler Ebene.

Wir versuchen, die AktivistInnen in LO von der Richtigkeit unserer Analyse ihrer Organisation und von der Richtigkeit unserer politischen Methode zu überzeugen. Wie LO selbst sagt, halten wir die brüderliche und loyale Debatte zwischen RevolutionärInnen über die Schlüsselfragen des Klassenkampfes, darüber wie man interveniert, welche Politik eine revolutionäre Partei braucht und darüber, wie letztere siegen kann, für notwendig.

Die Intervention von RevolutionärInnen in Betriebe und Gewerkschaften

Jedes Mal, wenn sie in einen Streik interveniert, hebt LO die Notwendigkeit hervor, ein Streikkomitee zu bilden. An sich hat sie dabei recht. Aber das ist nur der Anfang der Geschichte. Die Rolle der reformistischen Gewerkschaftsführung tritt in allen Streiks zu Tage, selbst da, wo diese sehr wichtigen Streikkomitees existieren, verraten sie mehr oder weniger offen die ArbeiterInnen. Ihr Einfluss ist enorm und es geht darum, eine umfassende Politik zu entwickeln, die es den ArbeiterInnen ermöglicht, mit ihrer aktuellen Führung zu brechen und sich effektiv gegen sie zu verteidigen.

Während sie die opportunistische Arbeit der LCR und der PCI in den Gewerkschaften und den Druck auf den „linken“ Flügel der Gewerkschaftsbürokratie ablehnt, entscheidet sich LO, in Richtung der „breiten Masse der ArbeiterInnen“ zu arbeiten und vernachlässigt die Entwicklung einer spezifischen revolutionären Politik in den Gewerkschaften in Bezug auf den Reformismus. In den Publikationen von Lutte Ouvrière findet man nichts über eine Politik zur Umwandlung der Gewerkschaften, nicht einmal einen Aufruf zur gewerkschaftlichen Organisierung.

Die AktivistInnen der LO haben die Tendenz, ihre Position zu rechtfertigen, indem sie sich zweierlei Argumente bedienen, das eine so falsch wie das andere. Zunächst glauben sie, dass jede Organisation, die ernsthaft in einen gewerkschaftlichen Bereich interveniert, notwendigerweise vor der Bürokratie kapitulieren muss (eine Position, die den einfachen Mangel an Vertrauen in das eigene Programm und in die eigene Fähigkeit, die Intervention der AktivistInnen politisch anzuleiten, zeigt). Dann behaupten die GenossInnen der LO, dass der Druck der „breiten Masse“ der ArbeiterInnen auf die revolutionären AktivistInnen geringer wäre als jener der gewerkschaftlichen Bürokratie.

Aber die Hegemonie der reformistischen Gewerkschaftsführung über die „breiten Massen“ übt ihren Druck unausweichlich auf die „breiten Massen“ selbst aus sowie auch auf die revolutionäre Organisation.

Um dem entgegenzutreten, kann sich die Organisation nur auf die Richtigkeit ihres Programms und auf die politische Schulung und Disziplin ihrer AktivistInnen verlassen.

LO suggeriert, dass die wesentliche Taktik, um dem Einfluss der Gewerkschaftsführung entgegenzuwirken, der Aufbau von Streikkomitees ist. Für LO kommt das Streikkomitee nicht zwangsläufig aus der Generalversammlung der streikenden Belegschaft. LO ist bereit anzuerkennen und zu ermuntern, wenn ein Häuflein von AktivistInnen sich selbst zum „Streikkomitee“ ernennt, sogar wenn die Mehrheit der ArbeiterInnen darin nicht einbezogen ist. Diese ultralinke und sektiererische Konzeption ist mehr ein Eingeständnis der Schwäche als eine geeignete Taktik, um die Einheit der Klasse zu stärken.

Es ist nur die ArbeiterInnendemokratie (dies schließt den Kampf um die Durchsetzung einer starken und eigenständigen Generalversammlung ein und nicht nur die Bildung eines Streikkomitees) verbunden mit einer klaren ArbeiterInnen-politik, die zum Sieg führen kann. Und das impliziert, dass die Mehrheit der ArbeiterInnen mobilisiert sein muss.

Auch das demokratischste Streikkomitee wird die Bürokratie nicht allein daran hindern können, den Streik auszuverkaufen. Solange Bürokraten die Gewerkschaf-ten dominieren, werden die ArbeiterInnen in ihren Aktionen behindert. Die Bedeutung und Autorität der Führung wird schwer auf Streikbewegungen wiegen, wie der Streik der EisenbahnerInnen und der KrankenpflegerInnen gezeigt hat.

In diesen Streiks gab es einen Kampf, es gab Streikkomitees und es gab eine nationale Koordination. Aber die Gewerkschaftsführung konnte sich dennoch durchsetzen. Und: was macht man den Großteil der Zeit, das heißt in Perioden des „sozialen Friedens“, wenn es kein Streikkomitee gibt? LO liefert keine tagtägliche Taktik für den Kampf gegen die Gewerkschaftsführung.

Die Last der Fehler der Vergangenheit

Es ist einige Jahre her, seit LO eine Broschüre „Der Streik bei Renault April-Mai 1947“ herausgegeben hat. Die AktivistInnen der trotzkistischen Organisation Union Communiste (UC) haben eine wichtige Rolle in diesem Streik gespielt, genauso wie jene der Sektion der Vierten Internationale, der PCI. LO sieht sich ein bisschen als politische Erbin der UC und vermittelt ein sehr wohlwollendes Bild ihrer Arbeit. Aber LO liefert nur eine teilweise und beschränkte Geschichte der UC und zieht nirgendwo Bilanz über ihre Arbeit oder über jene des Streikkomitees, welches in die Bildung der Syndicat Démocratique Renault (SDR) mündete.

Diese kleine Gewerkschaft, die nur kurze Zeit bestand, hat versucht, sich den ArbeiterInnen als neuer gewerkschaftlicher Pol zu präsentieren. Der Misserfolg der SDR hat teilweise das Verschwinden der Organisation vorangetrieben, die sie getragen hatte, die UC, welche sich kurz darauf auflöste.

Der sektiererische Fehler der UC zeigt gut die Versuchung auf, die sich für RevolutionärInnen in einer solchen Situation ergeben kann (in der zahlreiche ArbeiterInnen nicht mehr in der gleichen Organisation bleiben wollen wie die Gewerkschaftsbürokratie): dem Druck der Basis nachzugeben und der Aufgabe den Rücken zu kehren, eine gewerkschaftliche Opposition aufzubauen, eine Basisbewegung in den Gewerkschaften. In dem Maß, wie man dieselbe Methode und dieselbe Versuchung bei LO wiederfindet, macht sie sich gut als Erbin der UC nach ’47.

Man findet übrigens über die gewerkschaftlichen Fragen alle grundsätzlichen Elemente der Politik der LO: Ihre Entscheidung, unbedingt in Richtung „des Milieus der Gesamtheit der ArbeiterInnen, organisiert oder nicht, politisiert oder nicht“, des Arbeiters „in der Masse der ArbeiterInnenklasse“ zu arbeiten. Dieser Charakterzug von LO verarbeitet die Erfahrung von ’47 bei Renault und bestätigt diese bedingungslos.

Diese Politik basiert auf einem Bild der ArbeiterInnenklasse als grundlegend getrennt in GewerkschafterInnen („eine sehr kleine Schicht des Proletariats (…) deren Interessen oft mit denen der Mehrheit der ArbeiterInnenklasse auseinandergehen“ – Lutte Ouvrière in: Le mouvement trotskyste, S. 12) und der großen Masse der „einfachen ArbeiterInnen“. Statt die gemeinsame Aktion der kämpfenden ArbeiterInnen – gewerkschaftlich organisiert oder nicht – der Gewerkschaftsbürokratie entgegenzustellen, stellt LO diese ArbeiterInnen den Gewerkschaften selbst gegenüber!

Die Bewegung an der Basis, revolutionäre Gewerkschaftsopposition

Es ist nicht schwer, den Hass zu verstehen, der unter den ArbeiterInnen hervortreten kann, wenn die Gewerkschaftsbürokraten versuchen, den Ausdruck ihres Willens zu verhindern, beispielsweise indem ein Streik sabotiert wird. Die Pflicht von RevolutionärInnen ist es, diesen Hass zu bündeln und in Richtung der Bürokraten zu lenken und nicht gegen die Gewerkschaften als solche.

Man kann das Hindernis nicht umgehen, das von der reformistischen Führung der bürokratisierten Gewerkschaften repräsentiert wird. Im Gegenteil, man muss die organisatorisch und politisch Besten unter den ArbeiterInnen finden, um die Gewerkschaften in Instrumente des Klassenkampfes umzuwandeln.

Das impliziert ein Schwimmen gegen den Strom, einen Kampf, den LO nicht austragen will. Denn es ist immer viel einfacher, in einem Kampf den antibürokratischen Reflexen einer Bewegung zu folgen, als zu versuchen, die ArbeiterInnen mit einer antibürokratischen und antireformistischen Politik auszustatten, die das Ziel hat, Gewerkschaften u.a. Massenorgane aufzubauen. Die Aufgabe wird umso schwieriger, wenn es sich um eine Organisation wie LO handelt, die nicht politisch gewappnet ist, um der Bürokratie die Stirn zu bieten.

Das Wiederaufleben von Kämpfen seit Anfang 1988 verlangt eine richtige Antwort auf dieses Problem. Eine der grundsätzlichen Achsen trotzkistischer Politik muss die Einheit aller kämpfenden ArbeiterInnen in einer gewerkschaftlichen Basisbewegung sein. Eine solche Gewerkschaftsopposition, entschlossen antibürokratisch, muss all jene organisieren, die im Gegensatz zu LO verstanden haben, dass man sich für eine Gewerkschaft des Klassenkampfes auch innerhalb der Gewerkschaft organisieren muss, um die gewerkschaftliche Einheit und Vereinigung in den Kämpfen durchzusetzen.

Demnach müssen bei einem Streik die Streikenden auf einer demokratischen und eigenständigen Streikversammlung ein Streikkomitee wählen, aber in der Gewerkschaft bleiben bzw. dieser beitreten, um die Manöver der reformistischen Gewerkschaftsführungen zu durchkreuzen. Anstatt die Bürokraten zu verstärken, wird die Ankunft junger, neuer, im Kampf gehärteter AktivistInnen den ArbeiterInnen die Möglichkeit geben, die Bürokratie zu destabilisieren und eine Massengewerkschaft der Klasse zu schaffen.

Es ist nicht einfach, eine solche Politik in die Tat umzusetzen. Aber das ist der Weg, den man gehen muss, wenn man will, dass die ArbeiterInnen an der Basis alle Versuche der reformistischen Gewerkschaftsbürokraten, ihre Bewegung (die der Eisenbahne-rInnen und der KrankenpflegerInnen!) zu zerstören, durchkreuzen können.

Wir bemerken beiläufig, dass LO zur Zeit des Streiks der EisenbahnerInnen 1986/87 reichlich zu dieser Arbeit hätte beitragen können. Allerdings hat sich die „berufsübergreifende Koordination“ am Ende der Bewegung aufgelöst, anstatt einen Aufruf zum Aufbau einer Gewerkschaftsopposition zu starten. Selbstverständlich existieren zahlreiche Verbindungen zwischen den AktivistInnen unter den EisenbahnerInnen an der Basis, die während des Streiks geknüpft wurden. Das stellt eine Errungenschaft dar im Vergleich zur Situation vor dem Streik. Aber um die Effizienz dieser neuen Verbindungen zu maximieren, braucht es eine Bewegung der EisenbahnerInnen an der Basis, die eine antibürokratische und kämpferische Opposition organisieren und Initiativen zum Kampf ergreifen kann. Eine solche Perspektive hätte einen Effekt auf zehntausende ArbeiterInnen, aber auch auf die ganze ArbeiterInnenbewegung haben können.

LO zieht es vor, den Kampf zur Umwandlung der Gewerkschaften in revolutionäre Werkzeuge zu vermeiden. Sie scheint zu glauben (wie der Titel ihrer Broschüre zeigt: „Die Gewerkschaften in den imperialistischen Ländern: Vom Klassenkampf zur Einbeziehung in den Staat“), dass diese Schlacht schon verloren sei – deswegen, weil sie lieber auf Streikkomitees setzen und auf eine Politik, deren Logik die Bildung von nicht-revolutionären, aber von LO kontrollierten Parallelgewerkschaften ist.

LO scheint nicht zu verstehen, dass sogar die am wenigsten politisierten und am wenigsten gewerkschaftlich organisierte „einfachen ArbeiterInnen“ eine Tendenz haben, im Kampf den schon an der Macht befindlichen Gewerkschaftsführungen zu folgen. Tatsächlich bevorzugt LO es, neue „Gewerkschaften“ zu errichten (denn das permanente Streikkomitee ist letztendlich nichts anderes als eine Gewerkschaft).

Was die Abhandlung von LO über „die große Masse der ArbeiterInnen“ betrifft, erweist sie sich hier als ein Versuch, die kommunistische Arbeit in den Gewerkschaften „auszuschalten“, um eine Organisation neben den Gewerkschaften und gegen sie einzuführen. Trotzki hatte eine sehr strenge Haltung gegenüber solchen ultimatistischen „KommunistInnen“:

„Aus dem Vorhergehenden folgert ganz klar, dass trotz fortschreitender Degeneration der Gewerkschaften und trotz ihres Verwachsens mit dem imperialistischen Staat die Arbeit innerhalb der Gewerkschaften nicht nur nichts von ihrer Wichtigkeit einbüßt, sondern als eine Notwendigkeit nach wie vor bestehen bleibt und in gewissem Sinne für jede revolutionäre Partei sogar noch wichtiger denn je wird. Die Sache, um die es nach wie vor geht, ist hauptsächlich der Kampf um den Einfluss auf die Arbeiterklasse. Jede Organisation, Partei oder Fraktion, die sich den Gewerkschaften gegenüber eine ultimatistische Stellungnahme erlaubt, d.h. der Arbeiterklasse im Wesen den Rücken zuwendet, bloß weil ihr deren Organisationen nicht gefallen, ist zum Untergang bestimmt. Und es muss gesagt werden, sie verdient ihr Schicksal.“ (1)

Die Forderungen?

Sogar das Forderungsprogramm von LO ist alles andere als der Situation angemessen. Ihr erster Reflex, in ihrer ökonomistischen Politik fundiert, besteht darin, das zu wiederholen, was die ArbeiterInnen schon sagen und wissen. Folglich hebt LO seit über zwei Jahren in ihrer Wochenzeitschrift die Frage der Löhne hervor. Nochmals, daran ist nichts Schlimmes. Doch die Aufgabe von RevolutionärInnen ist es, eine Brücke zwischen den Kämpfen von heute zur Revolution zu schlagen. LO genügt es aber, das zu wiederholen, was die ArbeiterInnen schon wissen und darauf schöne Reden über die sozialistische Zukunft zu setzen.

Diese Methode lässt sich weit in der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung zurückverfolgen. Sie hat ihren Ursprung in der Zweiten Internationale vor 1914, wo die zunehmende Loslösung der revolutionären Ideologie von den Taten mehr und mehr ersichtlich wurde. Für Lenin und Trotzki musste man diese opportunistische Methode ersetzen durch eine Übergangspolitik, ein System von Losungen, die es den ArbeiterInnen erlauben, ihre unmittelbaren Kämpfe zu gewinnen und zugleich auf den Kampf zur Zerschlagung des Kapitalismus verweisen.

Nehmen wir als Beispiel dieser marxistischen Methode, die von Lenin und Trotzki wieder erarbeitet wurde, die Frage der gleitenden Lohnskala. Diese Forderung ist dazu bestimmt, die ArbeiterInnen gegen Inflation zu schützen, und über den Aufbau von Komitees der ArbeiterInnen und Hausfrauen, um die ArbeiterInnenkontrolle ganz auf die Gesellschaft auszuweiten und die Preise zu kontrollieren. Zumindest die FührerInnen von LO sind mit dieser Losung vertraut, weil sie hin und wieder auf ihren Treffen anlässlich der Wahlen davon sprechen. Aber man findet keine systematische Propaganda zu dieser Losung, weder im Journal der LO noch in ihren Flugblättern oder Plakaten.

Man kann daraus nur folgern, dass diese unbeachtet gebliebene Übergangslosung für LO ein einfacher Ausdruck von Orthodoxie ist, den es hin und wieder wie einen Katechismus zu wiederholen gilt, ohne daran zu glauben, und der keinen überwindenden Inhalt enthält. Doch das ist nicht die Methode, die Trotzki zu diesem Bereich entwickelt hatte.

Ein anderes fundamentales Element der Übergangspolitik ist die Anwendung der Einheitsfronttaktik, um sich den aktuellen politischen FührerInnen der ArbeiterInnenklasse zu stellen, das heißt den Führungen der PS und der PCF. Die streikenden ArbeiterInnen müssen die Unterstützung der reformistischen Parteien fordern und sagen: „Hier sind unsere Forderungen. Unterstützt sie! Unterstützt unseren Kampf, in Worten, finanziell, stellt uns die Ressourcen der Gemeindeverwaltung zur Verfügung, nehmt an unseren Kundgebungen teil!“

Bei LO gibt es eine solche Politik nicht. Jedoch kann die Einheitsfront dem Kampf nur dienen, wenn die reformistischen Parteien sie akzeptieren und den ArbeiterInnen nur helfen, klar zu sehen, wenn die reformistischen Parteien sie ablehnen. Es geht nicht darum, einfach nur „Druck“ auf die reformistischen Parteien auszuüben, wie das LO bei den Präsidentschaftswahlen wollte, wo sie ein Ergebnis von 5% anstrebte – man muss eine Kampagne gegen diese FührerInnen und diese Parteien starten. Dazu braucht es klare Losungen und Forderungen.

Die Aufgabe der RevolutionärInnen in den Kämpfen der ArbeiterInnen gegen die Arbeit„geber“ und die Gewerkschaftsbürokratie besteht darin, ihnen zu erklären, was der nächste Schritt im Kampf sein muss, welche die Aufgaben der Stunde sind, die Losungen und Organisationsformen, welche die kämpfenden ArbeiterInnen auf den Weg revolutionärer Politik führen. Aber LO lehnt diese Methode ab. Durch ihre Nachtrabpolitik gegenüber den Streikenden und ihrer sektiererischen Politik gegenüber den Gewerkschaften lässt sie die Führung über die organisierte ArbeiterInnenbewegung in den Händen der Gewerkschaftsbürokratie und der reformistischen Parteien. Sie behütet ihre „revolutionäre Reinheit“, aber gestattet es den ArbeiterInnen nicht, in einem revolutionären Sinn voranzuschreiten.

Der Kampf gegen Rassismus und Faschismus

Einer der bedeutenden Punkte im politischen Leben Frankreichs der letzten Jahre war der Aufstieg des Rassismus und der Front National (FN). Ungeachtet ihres relativen Wahlrückgangs stellt die FN eine permanente Bedrohung für migrantische ArbeiterInnen als auch für die ArbeiterInnenbewegung insgesamt dar. Der institutionalisierte Rassismus von Polizisten und Staatsapparat wird heute durch den brutalen Rassismus und die mordenden AnhängerInnen von Le Pen verstärkt.

Angesichts dieser Plagen haben RevolutionärInnen die Pflicht, die ArbeiterInnen mit den notwendigen Mitteln, d.h. angemessenen Losungen und Aktionsformen, auszustatten für den Kampf gegen die rassistische Spaltung und gegen die Angriffe, die einen bedeutenden Teil des Proletariats treffen werden.

Diese Situation stellt LO vor eine Reihe von Problemen. Wie wir oben schon gezeigt haben, hat LO eine starke Tendenz, den ArbeiterInnen dort zu folgen, wo sie schon handeln. Nun gab es in den letzten Jahren, abseits einiger spontaner Bewegungen in den migrantischen Stadtvierteln, in der ArbeiterInnenklasse keine Bewegung gegen Rassismus oder Faschismus in größerem Umfang. Das hat es LO erlaubt, die Notwendigkeit einer sofortigen Mobilisierung zu negieren, wobei sie abstrakt die schöne Parole der Einheit der ArbeiterInnen predigt; im Großen und Ganzen eine propagandistische Enthaltung, die RevolutionärInnen nicht würdig ist.

Um das totale Fehlen der Aktion gegen Le Pen zu rechtfertigen, erklärt LO: „Derzeit gibt es allerdings keinen großen Unterschied zwischen der klassischen Rechten und der extremen Rechten, zwischen der RPR und der UDF auf der einen Seite, und der Front National auf der anderen.“ (2)

GenossInnen, ihr träumt!

Le Pen, ein beträchtlicher Teil der FN-Führung und der mittleren „Kader“ dieser Organisation sind Faschisten! Die FN selbst ist klar eine rassistische Organisation, deren Wahlerfolg zum großen Teil darauf beruht, dass MigrantInnen zu Sündenböcken abgestempelt werden.

Das Vorhaben ihrer Führung ist die Umwandlung der Partei in eine starke faschistische Organisation gegen MigrantInnen und ArbeiterInnen, die ihre Macht auf der Straße zeigt. Unsere Aufgabe ist es, das schon jetzt zu bekämpfen, auch auf der Straße. Jeder Kundgebung oder Versammlung der FN muss mit einer entschlossenen Opposition von tausenden ArbeiterInnen begegnet werden. Die ArbeiterInnen müssen mit dieser Perspektive auf dem Prinzip „keine Redefreiheit für Faschisten“ mobilisiert werden.

LO sagt das nicht, sie handelt nicht in diesem Sinn. LO hält es nicht für notwendig, dazu aufzurufen, eine Gegendemonstration auf die Beine zu stellen, wenn die Faschisten demonstrieren. Am 1. Mai 1988 hat sie sich damit begnügt, mit der CGT zu demonstrieren. Am 6. November, dem Tag einer faschistischen Demonstration in Paris zur Wiedereinführung der Todesstrafe, hat LO nichts gesagt.

Vor fünf Jahren stellte sich Arlette Laguiller öffentlich gegen eine physische Konfrontation der FN „so lange sie die Verfassung respektiere“. Was für ein Legalismus! Als ob Hitler die Macht nicht „verfassungsgemäß“ erobert hätte! Muss man warten, bis Le Pen aufhört „die Verfassung zu respektieren“ und damit beginnt, offen den Befehl zu geben, gegen MigrantInnen und ArbeiterInnen loszuschlagen? Schon heute sind gewisse Gemeinschaften ausländischer Herkunft rassistischen Attacken ausgesetzt. Schon heute sät die FN ihren anti-migrantischen Hass. Sollte man MigrantInnen, die unter sich bleiben müssen, sagen, sie sollten damit zufrieden sein, dass die Verfassung immer noch respektiert werde? LO zieht es vor, sich mit folgender Abhandlung zu begnügen: (es ist) „bereits notwendig, der extremen Rechten entgegen zu treten. Aber das beste Mittel dafür besteht allein darin, dass die ArbeiterInnenklasse das politische Feld, auf eigene Rechnung kämpfend, einnimmt, die Regierung zurückdrängt und mit ihr die PolitikerInnen der extremen Rechten, sowie die der Linken.“ (3)

Daher, bis zu dem Tag an dem die ArbeiterInnenklasse sich erheben wird, zieht LO keine einzige spezifische Aktion gegen Rassismus oder Front National in Betracht. LO wartet darauf, dass der Kampf der Klassen das Problem selbst regelt, ohne bewusste und besondere Intervention von RevolutionärInnen in diesem Bereich.

Diese Einstellung zeigt, wie weit die reine und erstarrte „revolutionäre“ Politik der LO gehen kann. Unter dem Vorwand abstrakter Orthodoxie – man muss den Kapitalismus schlagen, um Rassismus und Faschismus zu schlagen – schlägt LO vor, auf Zeiten zu warten, in denen sich die ArbeiterInnenklasse in Bewegung setzt – natürlich nur um ökonomische Losungen. Dass sich die Gewerkschaftsbürokratie so dumm äußert, verwundert nicht. Aber wenn es Leute tun, die sich RevolutionärInnen nennen?!

Ungeachtet dessen, was LO sagt, gibt es eine Menge Dinge, die „ab sofort“ getan werden müssen. Zum Kampf gegen Le Pen zählt auch eine spezifische Aktion in den Betrieben, um die Faschisten aus den Gewerkschaften zu jagen, Demonstrationen gegen den Aufstieg der Faschisten zu organisieren, die Räume zu besetzen, auf die die Faschisten zählen, um ihr politisches Gift zu säen, sie bei ihren Aufmärschen zu vertreiben.

Es ist die Klassenverantwortung des französischen Proletariats, auch jene Maßnahmen zu bekämpfen, die sich gegen ethnische Minderheiten richten: Einwanderungskontrollen, Abschiebungen oder Maßnahmen „zur Rückkehrhilfe“, Polizeiübergriffe, Diskriminierung in Bezug auf Beschäftigung, Lohn, Unterkunft oder demokratischer und gewerkschaftlicher Rechte.

Es ist nicht nur eine grundlegende Aufgabe von RevolutionärInnen, all das den ArbeiterInnen im Detail zu erklären, sondern auch sie zu organisieren, um zu handeln. Wir können nicht warten, dass sich das selbstverständlich und spontan entwickelt. Es braucht dringende spezifische Maßnahmen gegen das Übel des Rassismus und Faschismus, gegen rassistische Angriffe auf MigrantInnen, gegen Manifestationen der FN.

Internationalismus

Wie auf dem Gebiet des „Anti-Rassimus“ ist LO in der Lage, ihren „Internationalismus“ zu proklamieren, ohne ihn in die Praxis umzusetzen, besonders wenn es sich um anti-imperialistische Kämpfe handelt. Das ist nicht lediglich eine theoretische Frage. Seit 1984, vor als auch nach der Unterzeichnung des Plans von Rocard durch die FLNKS (Sozialistische Front der nationalen Befreiung Neukaledoniens) und dem „Ja“ beim Referendum, erfordert der Kampf des kanakischen Volkes unsere Unterstützung. Dieser Kampf hat die Frage aufgeworfen, wie man konkret Solidarität zwischen den Völkern herstellt, wie man auf den Defätismus gegenüber dem französischen Imperialismus hinarbeitet.

Die sterile und sektiererische Politik von LO, die darin besteht, ständig „die revolutionären Ideen“ ohne reale Verbindung zur aktuellen Situation zu wiederholen, erlaubt es ihr nicht, Antworten zu geben. LO konzentriert sich eher darauf, allgemein auf anti-imperialistische Kämpfe zu verweisen, und darauf, dass jener der KanakInnen in Neukaledonien im Besonderen nicht von revolutionären KommunistInnen geführt wird, sondern von Nationalisten.

Dieser Wille, den Nationalismus nur abstrakt anzugreifen, hat sich gut am Slogan gezeigt, den LO für ihre Flugblätter 1986 gewählt hat: „Rassismus und Nationalismus, das ist das Gleiche und ist idiotisch“. Diese Position stellt den Nationalismus der Unterdrückten auf die gleiche Ebene wie den der Unterdrückenden.

Die wichtigste Aufgabe von RevolutionärInnen, die mit einem anti-imperialistischen Kampf konfrontiert sind, ist, das Recht der Völker auf Selbstbestimmung zu bestärken, ihren Kampf gegen den Imperialismus zu unterstützen und Initiativen zu ergreifen, die aktive Solidarität in der ArbeiterInnenklasse organisieren. Wir machen das, ohne irgendeine Bedingung aufzustellen, das heißt trotz der aktuellen Führung des Volkes im Kampf. Die politische Organisation, die dieses Vorgehen nicht übernimmt, überlässt das Feld unausweichlich der vorherrschenden imperialistischen Ideologie.

LO sagt, sie unterstütze die KanakInnen, aber sie macht das auf seltsame Weise. In keinem Moment hat LO ihre eigenen AktivistInnen mobilisiert, um die Wichtigkeit der kanakischen Forderung bezüglicher der Arbeitsplätze aufzuzeigen. Selbstverständlich beteiligt sie sich an – man sollte sagen „unterstützt“ – Solidaritätsdemonstrationen, die von der FLNKS ausgerufen wurden. Was man sagen könnte, ist, dass die Solidarität mit den KanakInnen für sie aber völlig sekundär ist im Vergleich zur Sparpolitik. LO fühlt sich nicht in der Lage, beides zugleich durchzuführen.

Der Internationalismus von LO beschränkt sich letztendlich zeitweise auf große Phrasen und auf einige Demonstrationen. Für sie ist es keine Frage, ihn in dieselbe Reihe wie den Kampf gegen Sparpolitik zu stellen. Für uns hat Internationalismus einen ganz anderen Sinn. Es geht darum, während großer Kämpfe wie jenem des kanakischen Volkes und jenen der britischen BergarbeiterInnen im Streik 1984/85, materielle (Spendenaktionen) und politische (Veranstaltungen, ArbeiterInnenboykott, Proteststreiks) Hilfe zu leisten (4).

TrotzkistInnen machen diese Arbeit selbstverständlich, um im betreffenden Kampf zu Hilfe zu kommen; aber es geht gleichfalls darum, den ArbeiterInnen über eine internationalistische Kampagne die Lehren, die man aus diesen Kämpfen ziehen kann, zu erklären, damit sie verstehen, dass die Leute und die Politik, die die Kämpfe im Ausland vereiteln, dieselben sind, die in Frankreich die Unterstützungskampagne sabotieren und im Namen des „Sparens“ eine Politik gegen die ArbeiterInnen durchführen. Zusätzlich gibt eine solche Kampagne RevolutionärInnen die Möglichkeit zu erklären, wie die unterdrückten Massen sich befreien können, was sie machen müssen, um ihrer aktuellen Führung die Stirn zu bieten.

Eine Frage von Ignoranz oder politischer Entscheidung?

Die AktivistInnen von LO haben oft die Tendenz, ihre politische, d.h. programmatische  „Abwesenheit“ zu rechtfertigen, indem sie vorgeben, die Situation in einem entfernten Land nicht gut genug zu kennen.

Allerdings ist es die Pflicht von RevolutionärInnen, auch ohne Kontakt zu RevolutionärInnen, die vor Ort in einem gegebenen Land arbeiten, zu den bedeutendsten Fragen des internationalen Klassenkampfes Position zu beziehen. Nun, wenn die FührerInnen von LO die Situation z.B. in Palästina, in Argentinien oder in Algerien nicht genug kennen, schlagen wir vor, dass sie sich ein paar Wochen Arbeit in eine Bibliothek setzen. Sie werden aus ihren revolutionären Prinzipien und ihrer Lektüre etwas herausholen können!

Aber das ist nicht der eigentliche Kern des Problems, denn es geht eigentlich bei LO nicht um eine Unkenntnis besonderer Situationen im Ausland. Es geht eher um die politische Methode dieser Organisation. Für LO ist sogar die Idee eines internationalen Aktionsprogramms, das eine Reihe von Taktiken mit der bezweckten Machtergreifung verbindet, unvorstellbar.

Indem wir die Intervention von LO in Frankreich untersuchten, haben wir gesehen, dass LO abgesehen von Streikkomitees und Lohnerhöhungen nicht viel Konkretes für ArbeiterInnen zu bieten hat. Dieses politische Unvermögen wirkt hundert stärker, wenn es um einen Kampf im Ausland geht.

LO hat nichtsdestotrotz gewisse grundlegende Prinzipien, die wir selbstverständlich mit jedem/r ArbeiteraktivistIn teilen: z.B. dass jene, die die politische Macht besitzen, überall „Drecksäcke“ sind und dass es eine Revolution braucht. Aber außer „Streikkomitees“ und „Kampf“ in Frankreich sagen sie uns nicht viel darüber, was konkret gemacht werden muss.

All das ist umso irritierender, als LO einer internationalen Organisation angehört, der Union Communiste Internationaliste (UCI). Aber in Wahrheit bleiben die Positionen der UCI etwas mysteriös, sie wurden niemals veröffentlicht. Allerdings halten wir es für wahrscheinlich, dass die präsentierten Positionen auf den Seiten von LO und von Lutte de Classe (letzteres sei ein „Ausdruck“ der UCI) eigentlich mehr oder weniger mit jenen der internationalen Organisation übereinstimmen.

Es gibt keinen Zweifel, dass UCI im allgemeinen nichts Konkretes zur Frage „Was tun?“ zu sagen hat. Wir nennen als Beispiel ihren langen Artikel „Politik revolutionärer NationalistInnen und Politik proletarischer RevolutionärInnen“. (5) Dieser Artikel versucht, die Politik von RevolutionärInnen in vom Imperialismus beherrschten Ländern zu erklären – die UCI bezeichnet diese Länder vollständig als „rückschrittlich“, ein unklarer und unpolitischer Begriff.

Der besagte Artikel greift die nationalistische Bourgeoisie und das Kleinbürgertum an, wobei er einen groben Überblick über alle wesentlichen anti-imperialistischen Mobilisierungen dieses Jahrhunderts gibt. Lediglich eine einzige Erklärung darüber, was man machen muss, gibt es hier: „Die Politik der proletarischen RevolutionärInnen muss den Schwerpunkt darauf setzen, bis zum Ende auf die Klassenaspekte des Kampfes zu drängen. Das deshalb, damit sich die ausgebeuteten Klassen auf unabhängige Weise von anderen sozialen Klassen organisieren. Deswegen sind sie dafür, dass die Ideen und Politik so gut und so demokratisch wie möglich ausgedrückt werden, damit die ausgebeuteten Klassen entscheiden und auswählen, sich sowohl der Politik der einen als auch der anderen bewusst werden können. “ (6)

Wie übersetzt man diese Prinzipien nun in Aktion? Sollte man demokratische Forderungen, wie die nach einer konstituierenden Versammlung gebrauchen und wenn ja, unter welchen Umständen? Welche sind die Beziehungen zwischen einer solchen Versammlung, Räten (Sowjets) der ArbeiterInnen und BäuerInnen? Ist es möglich, ein Bündnis mit den „anti-imperialistischen“ Teilen der nationalen Bourgeoisie zu schließen, und wenn ja, unter welchen Vorbehalten? Wie reagiert man vor Ort im Rahmen eines nationalen und nationalistischen Kampfes, etwa in Irland oder Sri Lanka? Welche Forderungen sollte man gegenüber der Bauernschaft stellen? Wie soll man die Bauernschaft mobilisieren und dabei eine proletarische Perspektive behalten?

Die RevolutionärInnen des vom Imperialismus unterdrückten Landes brauchen klare Antworten auf all diese Fragen und noch viele mehr. Aber die UCI scheint nicht erkennen zu wollen, dass diese Probleme existieren. Für sie ist es nur nötig, „bis zum Ende auf die Klassenaspekte des Kampfes zu drängen“.

Diese Methode ist steril und unbrauchbar. Sie führt zu nichts Konkretem und ist jener von Trotzki entgegengesetzt. Der Artikel bezieht sich mehrmals auf die Chinesische Revolution der 20er Jahre. Dennoch, Trotzki, der nie in China war, hat es gewagt, eine Reihe von Forderungen für die chinesischen Massen aufzustellen: Verfassunggebende Versammlung, anti-imperialistische Einheitsfront, Konkretisierung der Perspektive der Permanenten Revolution.

Wenn er heute noch leben würde, würde er riskieren, von LO dafür kritisiert zu werden, „Lektionen zu erteilen, ohne das Land, über das er spricht, genug zu kennen“! Im Unterschied zu LO hat Trotzki aber begriffen, dass es notwendig ist, mehr als nur ein paar Allgemeinplätze von sich zu geben, um die PartisanInnen zu bewaffnen, eine revolutionäre Internationale des Proletariats aufzubauen und im Klassenkampf zu siegen.

Ein konkretes Beispiel: Der Mittlere Osten

Wenn UCI im Detail ihre Position zu einer gegebenen Frage erklärt, bringt sie eine Politik, die nicht hoch fliegt. In einem Artikel, der den Mittleren Osten behandelt, behauptet LO, dass sie uns erklären wird, inwiefern „sich unsere Tendenz ( … ) von anderen Organisationen unterscheidet, die sich auf den revolutionären Kommunismus berufen“. (7)

UCI beteuert, dass „alle Völker, die in der Region leben, das Recht weiter ausüben, ihre eigene Sprache, ihre eigene Kultur, ihre eigene nationale Existenz zu haben.“ (8) Was sagt das aus? Zur Zeit haben die israelischen Zionisten „ihre eigene nationale Existenz“ in einer Staatsform mit einer Kultur, Sprache etc. Denkt UCI, dass dieser Staat – wenn man will, diese Nation – weiter existieren sollte? Die Formulierung von UCI scheint das mit „ja“ zu beantworten.

Wir sehen hier, dass die abstrakte und formelle Politik von UCI nicht genügt, um Antworten auf die vom Klassenkampf gestellten Fragen zu entwickeln. Man muss verstehen, dass, wenn eine israelische Nation existiert, es ihre einzige historische Berechtigung und der einzige Grund eine solche zu sein, der ist, dass der Imperialismus sie als treuen Gendarmen im Nahen Osten eingesetzt hat.

Ihre Existenz gründet in der Unterdrückung des palästinensischen Volkes. Die Zerstörung des sektiererischen israelischen Staates und die Schaffung eines ArbeiterInnenstaates in Palästina sollte unser Ziel sein. Trotz der „revolutionären“ Rhetorik der UCI fehlt diese klare Position in ihrer Politik.

Das propagandistische Unvermögen der UCI zeigt sich noch viel klarer, wenn sie schreibt, dass  revolutionäre Politik – „von dem Kampf der PalästinenserInnen an, insbesondere versuche, das Bewusstsein zu erzeugen, dass gemeinsame Interessen bestehen, dass der Kampf der PalästinenserInnen der gemeinsame Kampf der ArbeiterInnen, der verarmten BäuerInnen und der Bevölkerung der Elendsviertel werden kann gegen geteilte Staaten und gegen die Unterdrückungsmächte und gegen Imperialismus, für die proletarische Macht im Mittleren Osten, für eine Vereinigung in der Unterschiedlichkeit der Kulturen und Ethnien, für den Sozialismus in der arabischen Region und in der ganzen Welt.“ (9)

Die UCI benutzt die gleiche Methode hinsichtlich der Zukunft der jüdischen ArbeiterInnen aus Israel, bei der prachtvoll der wichtige materielle Unterschied ignoriert wird, der die jüdische ArbeiterInnenaristokratie von den palästinensischen ArbeiterInnen trennt: „die proletarischen RevolutionärInnen müssten intervenieren, indem sie insbesondere versuchen, der jüdischen ArbeiterInnenklasse und Bevölkerung zu zeigen, dass es in ihrem Interesse ist, mit der zionistischen Politik des israelischen Staates zu brechen.“ (10)

Aber die Probleme beginnen dort, wo die UCI aufhört! Wie überzeugt man Menschen davon, dass sie die gleichen Interessen haben? Allein durch Propaganda? Das wird niemals reichen. Die Antwort muss programmatisch sein, und darin bestehen, ökonomische, demokratische und Übergangsforderungen aufzustellen, die den Traum der UCI zu einer Realität des Klassenkampfes machen werden.

Wir nennen zu diesem Zweck einige Elemente eines revolutionären Aktionspro-gramms: Der Kampf für die Bildung neuer Gewerkschaften, die in der Lage sind, jüdische und palästinensische ArbeiterInnen zu verbinden; die Enteignung der Grundbesitzer, der Kapitalisten und des Bank- und Finanzsystems; die bewaffnete Verteidigung der PalästinenserInnen; eine souveräne und demokratische Verfas-sunggebende Versammlung; der Aufbau von Räten der ArbeiterInnen der und der armen BäuerInnen. Auf Grundlage der kompromisslosen Verteidigung der Rechte der PalästinenserInnen und der ArbeiterInnen sowie einer totalen Opposition gegenüber dem zionistischen Staat wird das revolutionäre Programm tausende ArbeiterInnen gewinnen können.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die AktivistInnen der UCI damit einverstanden wären. Aber das Problem ist, dass ihre Organisation das nicht sagt, den Klassenkampf nie in einem solchen programmatischen Licht sieht.

Für sie reduziert sich revolutionäre Politik auf gewisse ewige Wahrheiten, ohne Bezug zur Aktualität des Klassenkampfes und ohne eine konsequente Intervention zu versuchen.

Ausgestattet mit der Politik der UCI wäre eine palästinensische Organisation schnell durch das programmatische Unvermögen verdammt, welches LO in Frankreich auszeichnet. UCI hat den unterdrückten Massen nichts zu bieten, als ihre guten „revolutionären“ Absichten. Die Aufgabe von TrotzkistInnen besteht aber darin, die marxistische Methode auf den Klassenkampf anzuwenden und eine Antwort auf die Frage „Was tun?“, ein trotzkistisches Programm, zu entwickeln. Seit ihrer Gründung haben LO und UCI nie diese grundlegende Wahrheit kommunistischer Politik verstanden.

Die UdSSR und andere degenerierte ArbeiterInnenstaaten

Wenn LO sagt, dass es „nicht genügend“ mit der Situation in anderen Ländern vertraut ist, um zu sagen, was zu tun sei, ist sie dennoch in der Lage, Analysen über die Natur verschiedener Länder zu liefern. Folglich hat LO eine Reihe von Broschüren über die UdSSR, China, Kuba, Europa, den Osten usw. veröffentlicht.

Man muss anerkennen, dass LO eine vollkommen originäre Position zu dieser Frage hat. Für Reagan, Mitterrand, und Gorbatschow sowie für alle „revolutionären“ Organisationen gibt es keinen grundlegenden Unterschied zwischen der UdSSR und jenen anderen „sozialistischen Staaten“. Wer auch immer sich genauer für die Wirtschaft dieser Länder interessiert, kommt nicht umhin, festzustellen: wenn sie weit entfernt davon ist, sozialistisch zu sein, ist sie ebenso wenig kapitalistisch. Das dem Kapitalismus inhärente Wertgesetz und der Mehrwert sind durch die bürokratische Planung beseitigt.

Daher sind diese Länder nach-kapitalistische ArbeiterInnenstaaten, aber degenerierte ArbeiterInnenstaaten. Im Fall der UdSSR handelt es sich um die Degeneration einer authentischen proletarischen Revolution, die einer bürokratischen Konterrevolution erlag. In allen anderen Fällen  handelt es sich um von ihrer Entstehung an degenerierte ArbeiterInnenstaaten. In keinem dieser Staaten ist die ArbeiterInnenklasse im Besitz der Macht. Aber wir verteidigen trotz der anti-proletarischen Natur des politischen Regimes den nach-kapitalistischen Charakter dieser Länder gegen den Imperialismus.

LO, und wahrscheinlich auch UCI, sind in der Lage, das zu sehen, was niemand anders auf der Welt erkennen kann. Denn für LO ist die UdSSR ein ArbeiterInnenstaat, aber die Länder Osteuropas, sowie auch von China, Vietnam, Kuba etc. blieben kapitalistische Länder, bürgerliche Staaten.

Aber wenn LO nirgends erklärt, wie sich die Wirtschaft dieser Länder von jener der UdSSR unterscheidet, liegt das einfach daran, dass es keinen grundlegenden Unterschied gibt. LO begnügt sich damit zu erklären, dass es in den Ländern Osteuropas keine Bourgeois gibt, weil sie „unterentwickelte“ Länder sind und weil „wir wissen, das, was unterentwickelte Länder genau charakterisiert, ist, dass sie sich auf kapitalistischer Basis nicht entwickeln und keine leibhaftige Bourgeoisie gebären können.“ (11)

Nach der Logik von LO gäbe es also in Mexiko, Brasilien, Argentinien, Ägypten sowie in allen anderen „unterentwickelten“ Ländern keine „leibhaftigen“ Kapitalisten? Die UCI müsste es wagen, das den ArbeiterInnen dieser Länder zu erklären. Wir sind gewiss, sie wären sehr amüsiert!

Wir merken nebenbei an, dass sich LO auch wenig über die Natur der UdSSR selbst klar ist. Sie sagt uns, sie wäre ein degenerierter ArbeiterInnenstaat. So sei es. Aber das soll heißen, dass der Kapitalismus nicht mehr existiert. Doch wie erklärt es sich dann, dass LO so leicht darüber spricht, wie sich die russische KP wirtschaftlich verköstigt „von dem durch die Bürokratie angeeigneten Mehrwert“. (12)

Wenn es eine Abführung und Aneignung von Mehrwert in der UdSSR gibt, haben wir es mit einer kapitalistischen Wirtschaft zu tun. Der Mehrwert ist eine marxistische wissenschaftliche Kategorie, die dazu verwendet wird, den Prozess der kapitalistischen Ausbeutung zu beschreiben und setzt einen Markt voraus, auf dem alle Waren gekauft und verkauft werden können, einschließlich der Arbeitskraft der ArbeiterInnen. In der UdSSR existieren weder Mehrwert noch Kapitalisten oder Profit.

Handelt es sich daher einfach um eine falsche Formulierung seitens der LO? Wir denken das nicht, denn man findet das sehr oft in ihren Publikationen. Weiter erlaubt es sich LO, die UdSSR u.a.  „ökonomische Weltmächte“ in gleicher Weise abzuweisen. (13)

Ist die UdSSR für LO eine kapitalistische Wirtschaft? Soweit sind sie noch nicht gegangen. Aber ihre Analyse lässt klar ihre Gedanken in diesem Punkt erkennen.

Denn wenn man mit den „bürgerlichen Staaten“ in Osteuropa zu tun hat, deren Wirtschaft in jeder Hinsicht mit jener der UdSSR vergleichbar ist, dann muss die UdSSR selbst eine kapitalistische Wirtschaft haben. Ist das die Position von LO? Letztendlich wäre ihre widersprüchliche und unhaltbare Analyse nur zu verteidigen, wenn die UdSSR auch kapitalistisch ist, oder es handelt sich umgekehrt überall um degenerierte ArbeiterInnenstaaten. Mit ihrer aktuellen Position riskiert LO jederzeit in Richtung einer Analyse der UdSSR vom Typ des „Staatskapitalismus“ oder des „bürokratischen Kollektivismus“ abzugleiten.

Diese wenig ernsthafte Haltung seitens LO hat allerdings nichts Anormales, weil ihre bizarre Position nicht auf einer marxistischen Analyse von Tatsachen beruht, sondern auf abstrakten, sterilen und dogmatischen Prinzipien. LO findet es toll, den Satz von Marx und Engels zu zitieren, gemäß dem „die Befreiung der ArbeiterInnen das Werk der Arbeiter selbst“ sein wird.

Diese vollständig richtige Behauptung wird von LO benutzt, um die nachkapitalistische Natur der Länder im Osten in Frage zu stellen. Wie? Indem für LO die Zerstörung des Kapitalismus „die Befreiung der ArbeiterInnen“ impliziert, und weil die ArbeiterInnen „selbst“ tatsächlich nicht an den verschiedenen „Revolutionen“ in Osteuropa teilgenommen haben. Daher hat es laut LO keinen Umsturz des Kapitalismus in diesen Ländern gegeben. Quod erat demonstrandum!

Diese Erklärungsweise gebraucht eine Methode der formalen Logik und nicht die des dialektischen Materialismus. Das ist eine syllogistische Operation, die von Trotzki in „Verteidigung des Marxismus“ oft kritisiert wurde. Zugleich ist das eine normative Methode; daher, „für eineN Marxisten/Marxistin hat der Begriff ArbeiterInnenstaat eine genaue Bedeutung: jene des bewaffneten Proletariats, das in seinen Klassenorganisationen, den Arbeiterräten zusammengefasst ist.“ (14)

Jedes Phänomen, das für LO nicht in diese Norm passt, sei kein ArbeiterInnenstaat „für eineN Marxisten/Marxistin“. Und die UdSSR? Für LO ist sie ein ArbeiterInnen-staat. Aber, wie sie ohne Schwierigkeiten zugeben wird, gibt es dort seit langer Zeit keine ArbeiterInnenräte mehr. Es muss daher sogar für die speziellen „MarxistInnen“ der LO einen Typ von ArbeiterInnenstaat geben, in dem die ArbeiterInnen nicht die Macht haben.

Ah, sagen unsere „MarxistInnen“, die nicht versäumen, uns zu erinnern, dass es in der UdSSR sehr wohl ArbeiterInnenräte gegeben hat, wohingegen es in Osteuropa niemals welche gab, und dass daher „für eineN Marxisten/Marxistin erfolgt ein ArbeiterInnenstaat nur aus einer siegreichen proletarischen Revolution, und kein Heiliger Geist – selbst Rote Armee getauft – kann die ArbeiterInnenklasse in der Erfüllung ihrer historischen Aufgabe ersetzen.“ (15)

Die Ironie von LO, die gedacht ist, um „religiöse“ Positionen von Organisationen in Schwierigkeiten zu bringen, die denken, es existieren andere ArbeiterInnenstaaten als die UdSSR, ist wirklich schlecht platziert. Das ist in der Tat die Position von LO, die auf einer idealistischen Analyse fußt, welche die Wahrheit verzerrt. LO ist dermaßen entschlossen, ihre strengen Prinzipien nicht zu verlassen, die sie aus anderen Quellen als der Realität zieht.

Das ist die klassische Vorgehensweise einer Sekte: „Unser Glaubenssatz besagt, das gibt es nicht, also gibt es das nicht!“ Dennoch berufen sich diese Leute auf Marx, Lenin und Trotzki, für die die revolutionäre Politik auf der zu entwickelnden materialistischen Wissenschaft beruht und nicht auf einem Dogma, um die Realität zu deformieren!

Denn dieses letzte Zitat der LO zeigt, dass die GenossInnen die Tatsache ignorieren, dass sich ohne die Existenz der UdSSR, selbst konkretes Ergebnis einer „siegreichen proletarischen Revolution“, kein anderer degenerierter ArbeiterInnenstaat herausgebildet hätte. Tatsächlich, einzig die Existenz der stalinistischen Bürokratie des Kremls hat die Schaffung anderer degenerierter ArbeiterInnenstaaten seit dem Krieg erlaubt. Die Schaffung degenerierter Arbeiterstaaten erfolgte in Bulgarien, der DDR, Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei  und in Ungarn mehr oder weniger direkt auf den Bajonetten der siegreichen „Roten Armee“, während in Albanien, China, Jugoslawien, Kambodscha, Laos, Vietnam und überwiegend in Nordkorea einheimische stalinistische bzw. kleinbürgerliche Guerillaarmeen, die sich später in stalinistische transformierten (Kuba), den bewaffneten bürgerlichen Staatsapparat besiegten und später den Kapitalismus abschafften – teils mit, teils ohne „Zustimmung“ des Kreml.

Dieser Prozess steht mitnichten in Widerspruch zur marxistischen Staatstheorie (die besagt, der kapitalistische Staat müsse zerschlagen werden). Er zeigt, dass der kapitalistische Staat von einer stalinistischen Bürokratie zerstört werden kann, aber nur in dem Maße, indem die neuen Staaten nicht die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse verteidigen und die Mehrheit der gemeinsamen Merkmale mit bürgerlichen Staaten bewahren.

Statt wie LO die Augen vor der Realität zu verschließen, muss man erklären, wie diese bürokratischen sozialen Revolutionen stattgefunden haben und mit der politischen Unterdrückung der ArbeiterInnen einhergingen.

Es gibt hier keine Verletzung der Prinzipien von LO, weil die Befreiung der ArbeiterInnen in Osteuropa, China, Kuba, etc. immer noch durchzuführen ist. Die Schaffung eines gesunden proletarischen Staates, eines authentischen „Halbstaates“ bleibt also eine der Aufgaben der politischen Revolution des Proletariats gegen die bürokratische Kaste. In diesen Ländern konnten die Stalinisten den Kapitalismus auf eine einzigartige Weise stürzen, weil sie die „Gruppen bewaffneter Menschen“ des Kapitalismus bereits ersetzt hatten, sie kontrollierten somit also den kapitalistischen Staat. Am Anfang waren diese Staaten in Polen wie in Kuba, in China wie in der Tschechoslowakei bürgerliche Staaten, weil das ökonomische System der Kapitalismus war.

Nur unter dem Druck des Imperialismus mussten die StalinistInnen gegen ihren Willen (schließlich ist ihre Strategie die der „friedlichen Koexistenz“) das Kapital enteignen, um an der Macht zu bleiben. Sie haben das ohne und gegen die Intervention der ArbeiterInnen gemacht.

Die Analyse, wie eine Bürokratie unter besonderen Umständen den Kapitalismus stürzen kann, verdient das Interesse aller MarxistInnen. Es liegt zu einem großen Teil an ihrer falschen Analyse dieser Umstürze, vor allem Jugoslawien betreffend, dass die 4. Internationale politisch degeneriert und in den Zentrismus abgeglitten ist.

Die Analyse solcher Phänomene bestimmt unsere Analyse des Stalinismus und also auch der Taktiken, die wir anwenden, wenn wir mit ihm konfrontiert sind. Es ist also keine Frage, die man so leichtfertig behandeln kann, wie es LO tut. Weder der Opportunismus der alten Führung der 4. Internationale nach dem Krieg, noch das dogmatische Sektierertum der LO geben adäquate Antworten auf diese Frage.

Es ist wahr, dass die Schaffung einer Serie von ArbeiterInnenstaaten, die von Anfang an bürokratisch degeneriert waren, ein großes Problem für den „orthodoxen“ Marxismus darstellt. Für die 4. Internationale der Nachkriegszeit ist z.B. der jugoslawische Führer Tito, der den Kapitalismus gestürzt und mit Moskau gebrochen hat, kein stalinistischer Konterrevolutionär mehr, sondern eine Art von Zentrist (16). Doch die sterile Antwort der LO, die einfach darin besteht, die Realität der Abschaffung des Kapitalismus zu leugnen, ist nicht besser.

Wir sind hier am Kern der LO-Methode angelangt, die sich niemals ändert. Doch für eine Welt, die sich nie verändert, die, „je mehr sich  verändert, desto unveränderlicher bleibt“, passt eine formale, idealistische, dogmatische Methode perfekt. Jedoch hat die Welt sich seit den Zeiten von Marx verändert und auch seit den Zeiten von Trotzki. Ihre Methode ist auch heute gültig, vorausgesetzt, sie behält ihren kritischen und lebendigen Charakter, den solche dogmatischen Sekten wie LO wie die Pest meidet.

Das Programm zuerst

Wir haben gesehen, wie weit die Idee des kommunistischen Programms als etwas Lebendigem, in Kontakt mit der Realität der Klassenkämpfe Stehendem, LO fremd ist. Anstatt sich der marxistischen Methode zu bedienen, um auf kreative Weise das trotzkistische Programm weiter zu entwickeln, um den bedeutenden Veränderungen der letzten 50 Jahre Rechnung zu tragen, suggeriert LO, dass das Übergangsprogramm, welches seinen 50. Geburtstag bereits hinter sich hat, genug sei.

Auch hier zeigt LO wieder einmal, wie blind und dogmatisch es sein kann: „Die Aktivität des Proletariats hat seitdem keine neuen Gipfel erreicht, die es ermöglichen würden, das Programm um neue Lehren zu bereichern.(…) Deswegen bleibt es bis heute das einzige Programm, auf das sich militante sozialistische RevolutionärInnen beziehen könnten.“ (17)

Das hieße, dass die Antworten zu den Entwicklungen in Ungarn und Ostdeutschland alle in Trotzkis Übergangsprogramm gefunden werden könnten. Hat Trotzki die relative Stabilität des Imperialismus und des Stalinismus nach dem Zweiten Weltkrieg vorhergesehen? Nein. Aber es ist schließlich nicht erstaunlich, dass eine Organisation, die glaubt, dass Osteuropa kapitalistisch sei, diese Fragen mit „Ja“ beantwortet! Und der Kampf um Frauenbefreiung, wird der im Übergangsprogramm durch diskutiert? Nein. Zugleich macht sich LO aber darüber lustig …

Die letzten 50 Jahre haben sehr wohl Situationen hervorgebracht, die eine Bereicherung des Programms „um neue Lehren“ nötig machen. Das Problem ist, dass LO, wie eine Menge anderer, sich selbst trotzkistisch nennende Organisationen damit zufrieden ist, sich in eine „Orthodoxie“ zu flüchten, die in Wirklichkeit aber nur wenig orthodox ist. Wenn dieses Versteckspiel mit der Realität 40 Jahre lang dauern konnte, dann nur, weil diese Organisationen wie LO sich großteils vom Klassenkampf ferngehalten haben.

Ohne eine relevante ArbeiterInnenbasis können sich diese zentristischen Organisationen vor der Realität abschirmen. Im Gegenteil, in den zwei Fällen, in denen diese Organisationen wichtige Teile der ArbeiterInnenklasse in einer gesteigerten Klassenkampfsituation führen konnten (die bolivianische POR und die sri-lankesische LSSP) wurden die desaströsen Konsequenzen ihrer zentristischen Politik für die ArbeiterInnen deutlich sichtbar. Denn wenn sich eine zentristische Organisation in einer extremen Kampfsituation an der Spitze der ArbeiterInnenmas-sen befindet, kommt sie an dem Punkt an, an dem sie ihre Unzulänglichkeiten klar offenbart.

Das ist der Grund, warum wir sagen, dass die Hauptaufgabe von revolutionären Organisationen heute – ebenso, wie es die der 4. Internationale vor dem Weltkrieg war – die programmatische Aufarbeitung, die Weiterentwicklung des marxistischen Programms auf Grundlage der marxistischen Methode ist, um den wichtigsten grundsätzlichen Veränderungen Rechnung zu tragen, die sich in den letzten 50 Jahren des internationalen Klassenkampfes ereignet haben. Diese Arbeit wird nicht auf Kosten einer Intervention in die täglichen internationalen Klassenkämpfe gemacht, sondern ist untrennbar mit dieser verbunden und ergänzt sie, wie Trotzki klar feststellte, als er über das Kommunistische Manifest von Marx und Engels sprach:

„Das revolutionäre Denken hat mit Götzenverehrung nichts gemein. Programme und Prognosen werden im Licht der Erfahrung, die für das menschliche Denken die oberste Instanz ist, überprüft und verbessert. Der Korrekturen und Ergänzungen bedarf auch das ‚Manifest‘. Doch können diese Korrekturen und Ergänzungen   wie die geschichtliche Erfahrung bezeugt – nur dann mit Erfolg vorgenommen werden, wenn sie von der dem ‚Manifest‘ zugrunde liegenden Methode ausgehen.“ (18)

Das Leben ist viel zu einfach für LO. Wenn sie über die Geschichte ihrer Vorgängerorganisation, der Gruppe „Voix Ouvrière“ (ArbeiterInnenstimme) sprechen, erklärt uns LO: „Weil sie eine zu kleine Organisation waren, hatten sie die Einschätzung, dass es notwendig sei, alle ihre Kräfte auf die Verankerung in der ArbeiterInnenklasse zu konzentrieren, und zwar ausschließlich darauf.“ (19)

Und das Häuflein TrotzkistInnen in den 30er Jahren, hätten sie sich auch „ausschließlich“ auf die Verankerung in der ArbeiterInnenklasse konzentrieren sollen? Natürlich nicht. Trotzki hat das für unentbehrlich gehalten, aber die Hauptaufgabe blieb die Verteidigung und daher die Entwicklung des revolutionären Programms. Es war notwendig, AktivistInnen um ein Programm und eine internationale Organisation zu versammeln. Dieses Programm ist nicht vom Himmel gefallen und hat sich auch nicht schon in den Schriften Lenins finden lassen. Es wurde von Trotzki und den AktivistInnen um ihn im Klassenkampf geschmiedet. Es wurde wieder erarbeitet.

LO ist so stolz auf ihre Methode, dass sie sie gleich als Kriterium für die Degeneration der 4. Internationale (deren Teil sie nie war) erhebt:

„Das Scheitern der 4. Internationale rührte von der Ablehnung ihrer AktivistInnen und ihrer Führung, sowohl auf der Ebene der Sektionen als auch in der internationalen Leitung, da es sich hierbei um ein globales Phänomen handelt, anzuerkennen, dass ihre soziale Komposition, die großteils kleinbürgerlich und intellektuell war, strenge politische und organisatorische Maßnahmen erforderte, um aus ihrer Mitte diejenigen Elemente aus den Sektionen der Internationale zu entfernen, die bestechlich bzw. verdorben sind. Um sich dem Einfluss der kleinbürgerlichen Ideologie zu entziehen, muss man sich bemühen, sich maximal aus der ArbeiterInnenklasse zu rekrutieren und die Elemente mit kleinbürgerlichem Hintergrund zur Arbeit in den Betrieben verpflichten.“ (20)

Zuerst muss man betonen, um der historischen Wahrheit Rechnung zu tragen, dass LO immer einen Hang dazu hatte, die Unfähigkeit der jungen trotzkistischen Bewegung, sich in der ArbeiterInnenklasse zu verankern, zu übertreiben. Sie spricht wenig über ihre Erfolge, in einer Reihe von Situationen, die unvergleichbar schwieriger und wichtiger waren als jene, die LO jemals erlebt hat: der LKW-FahrerInnenstreik in Minneapolis in den USA 1934 (21), der Lehrlingsstreik in Newcastle in Großbritannien 1944, die Arbeit der bolivianischen POR unter den MinenarbeiterInnen nach dem Krieg, die Arbeit der PCI bei Renault zwischen 1945 und 1950 in Frankreich, um nur einige Beispiele zu nennen.

Es ist in der Tat richtig, dass die Mehrheit der Kader der jungen 4. Internationale, ebenso wie jene  der LO heute, keine proletarische Klassenherkunft haben. Die soziale Komposition der 4. Internationale nach dem 2. Weltkrieg hat wahrscheinlich zur politischen Degeneration der trotzkistischen Internationale beigetragen. Dennoch reicht das nicht, um alles zu erklären.

Die These von LO weist die marxistische Methode zurück zugunsten eines soziologischen Determinismus, eines Vulgärmaterialismus. Er geht davon aus, dass auch das beste Programm eine Organisation unter gewissen Umständen nicht daran hindern könnte, zu degenerieren oder zusammenzubrechen. Auch wir glauben, dass selbst das beste Programm keine Garantie auf Erfolg ist, wofür Trotzki am Anfang der 30er Jahre ein Beispiel geliefert hat mit seinem Aktionsprogramm gegen Faschismus und Krieg.

Dennoch: ebenso, wie es unzureichend ist, ist ein Programm zugleich absolut notwendig, es ist der erste Ansatzpunkt für jegliche revolutionäre Aktion. Denn „es ist das Programm, das die Partei ausmacht“. Umgekehrt reicht auch die beste Verankerung in der ArbeiterInnenklasse nicht: die PCF, die „fest in der ArbeiterInnenklasse verankert“ ist, ist das nächste Beispiel, welches das klar aufzeigt.

Die Partei und die Internationale

Wie die 4. Internationale im September 1938 erklärte, hatten die meisten ihrer Sektionen nicht mehr als einige hunderte AktivistInnen. Die SWP (USA), die wichtigste Sektion, beanspruchte etwa 1.500 AktivistInnen für sich, was ca. der Größe der LO heute entspricht. Aber: „Ist unsere Internationale zahlenmäßig auch noch schwach, so ist sie doch stark aufgrund ihrer Lehre, ihres Programms, ihrer Tradition und der unvergleichbaren Festigkeit ihrer Kader.“ (22)

Nun aber hat die 4. Internationale niemals ein relevantes Niveau an Verankerung in der ArbeiterInnenklasse erreicht, eine unerlässliche Vorbedingung für die LO. Hatte also Trotzki Unrecht damit, eine Internationale gründen zu wollen? LO mag akzeptieren, dass es richtig war, dies zu tun, wegen des Krieges und der unvermeidlichen Revolten der ArbeiterInnen. Dennoch schreibt LO:

„Die 4. Internationale wurde aus dem alleinigen Willen Trotzkis heraus geboren. Ihre Gründung war auf eine Art künstlich. Sein Programm wurde mit der Perspektive einer revolutionären Krise, die nicht existierte, geschrieben, und es wurde kleinbürgerlichen Organisationen aufgesetzt, die nicht dazu in der Lage waren, es anzuwenden. Die Gründung der 4. Internationale war ein willkürlicher Akt. Und Trotzki war sich dessen besser als irgend jemand anderer bewusst.“ (23)

Also wenn man das richtig versteht, hatte Trotzki Recht … Unrecht zu haben! Und das wusste er sogar!

Hinter den Begriffen „willkürlich“ und „künstlich“ entdecken wir leicht die echte Position von LO, nämlich, dass es der 4. Internationale an starken nationalen Sektionen gemangelt hätte, und dass man damit hätte beginnen müssen. Diese Vorstellung ist ein Etappenkonzept: sie geht davon aus, dass man eine Internationale von unten nach oben aufbaut und ignoriert die vorantreibende Rolle, die eine internationale revolutionäre Strömung dabei spielt. LO versteht das nicht. Sie versteht auch nicht, dass die Perspektive revolutionärer Krisen, die Trotzki gesehen hat, nicht falsch war: zwischen 1943 und 1946 gab es eine ganze Reihe von revolutionären Krisen (Griechenland, Italien, Osteuropa, Vietnam). LO hat definitiv gezeigt, dass sie Trotzkis Methode nicht verstanden hat, die darin besteht, eine Internationale der Propaganda zu schaffen, um sie dann in eine Masseninternationale zu transformieren.

Zu guter Letzt ist der Grund, warum die LO sagt, Trotzki habe Recht gehabt, die 4. Internationale zu gründen, der, dass sie zukünftigen Generationen ermöglicht hätte, „die Flamme nicht ausgehen zu lassen“. Das hat nichts gemeinsam mit der Position Trotzkis, der damit versuchte, die AktivistInnen der 4. Internationale politisch auszurüsten, um sie in die Lage zu versetzen, konkret in die revolutionären Krisen zu intervenieren.

Ihm lag die sektiererische, dogmatische und mystische Haltung der kleinbürgerlichen Götzenverehrung fern. Für ihn sollte das Programm als eine Anleitung für die revolutionäre Aktivität der Massen erarbeitet werden und nicht als ein interner Kurs zur Schulung.

Trotz ihrer sehr zweideutigen Haltung „für“ die Gründung der 4. Internationale glaubt die LO, dass es an der Zeit sei, Organisationen im nationalen Maßstab aufzubauen. LO sagt, dass die Gründung einer Internationale „Erfolg in der Organisation der revolutionären Partei und in der Führung von Klassenkämpfen voraussetzt.“ (24)

Bevor man also die Internationale ausrufen kann, braucht man starke nationale Sektionen, die in der ArbeiterInnenbewegung verankert sind. Man arbeitet also am Aufbau nationaler Organisation, beginnend mit der Betriebsarbeit und erst dann … das Programm? Das von 1938 reicht, meint LO. Trotzdem hat sich LO in den letzten Jahren mit einer kleinen Konstellation von Organisationen umgeben – Schwesterorganisatio-nen, die weder groß noch fest verankert sind. Nach über 10 Jahren Zusammenarbeit fühlte LO sich verpflichtet, einen organisatorischen Rahmen für diese Gruppen zu schaffen, mit dem Namen UCI (Union des Communistes Internationaliste).

Aber diese Organisation ragt vor allem dadurch hervor, dass es kaum Informationen über sie gibt. Was genau ist das Programm der UCI? Mangels der Publikation gemeinsamer Positionen können wir nicht anders als anzunehmen, dass die Politik der UCI von der wichtigsten Gruppe, von Lutte Ouvrière, bestimmt wird. Eine solche Vorgehensweise steht der Praxis eines Lambert oder eines Healy um nichts nach. LO rühmt sich damit, eine internationale Organisation aufzubauen mit  „Leuten, die sich im Leben ein realistisches Ziel gesetzt haben, in einem Wort, eine Organisation, die, wenn sie eine Massenorganisation wird, fähig sein wird, dort zu siegen, wo die anderen degeneriert sind.“ (25) Aber wenn man keine einzige programmatische Deklaration dieser internationalen Strömung lesen kann, muss man mit Recht glauben, dass LO und UCI nichts anderes machen, als die politischen und organisatorischen Fehler der anderen zentristischen Organisationen zu wiederholen.

Schlussfolgerungen

Wir haben in diesem Artikel gezeigt, bis zu welchem Grad LO sich von der Methode Trotzkis entfernt hat, sei es im Klassenkampf in Frankreich oder im Aufbau einer revolutionären Internationale. Seit den Zeiten von „Voix Ouvrière“, die 1968 aufgelöst wurde, hat LO ihre Größe und die Effizienz ihrer Intervention bedeutend erweitert. Aber wie die anderen so genannten trotzkistischen Organisationen in Frankreich – die PCI und die LCR – bewahrt LO die gleichen Methoden wie am Anfang.

Denn die Fehler von LO sind weder miteinander unverbunden noch sind sie etwas Neues. Die Methode der LO ist konstant geblieben. Für die LO geht es um die abstrakte Wiederholung „revolutionärer Ideen“ ohne direkten Bezug zur aktuellen Situation. Und wenn die ArbeiterInnen sich in Bewegung setzen, passt sie sich an deren aktuelles Bewusstsein an. Aber anstatt beim aktuellen Bewusstseinsstand stehen zu bleiben, versuchen RevolutionärInnen diesen zu überwinden, indem sie eine Verbindung zwischen dem Bewusstsein und der historischen Aufgabe der Revolution schaffen. Und dafür reicht die abstrakte Propaganda der LO nicht aus.

Diese Verbindung wird ausgehend vom Kampf um Übergangsforderungen geschaffen. Das ist genau der Weg, den die Revolution immer gegangen ist. Eine Organisation, die sich ihrer nicht bedienen kann, ist in einer revolutionären Situation zur Ohnmacht verdammt. Wir sagen das ohne Furcht vor Übertreibung.

20 Jahre sind seit den Ereignissen des Mai 1968 vergangen, die ArbeiterInnen haben eine vorrevolutionäre Situation erlebt, mit dem größten Generalstreik der Geschichte, in der sich die Machtfrage gestellt hat. Diese Situation wurde in erster Linie von der Bürokratie der PCF und des CGT beruhigt. Sie haben die Bewegung in die Sackgasse der parlamentarischen Wahlen kanalisiert und sie dazu gebracht, die „Übereinkunft“ von Grenelles zu akzeptieren.

Die Verantwortung einer revolutionär-kommunistischen Organisation war es, ein Programm, das auf ArbeiterInnenkontrolle abzielt, vorzuschlagen: die Kontrolle der ArbeiterInnen über ihren Streik, über ihre Fabrikbesetzungen, über ihre Arbeit und über die ganze Gesellschaft, indem sie eine echte ArbeiterInnenregierung bilden, basierend auf ArbeiterInnenkomitees, denen sie  rechenschaftspflichtig ist.

Die Aufgabe war es, diesen gigantischen Kampf, der sich großteils durch „ökonomische“ Forderungen ausdrückte, zu einem Kampf um die ArbeiterInnenmacht zu erheben. Statt eine solche  Politik anzunehmen, entschied sich Voix Ouvrière dazu, sich auf Forderungen, die von den ArbeiterInnen bereits artikuliert wurden, und eine reformistische Lösung zu beschränken. Wir zitieren die „Voix Ouvrière“ vom 20.5.68, ein Tag, an dem mehr als 2 Mill. ArbeiterInnen im Streik waren:

„Auch wenn es Jules Moch nicht gefällt, die BesetzerInnen gehen nicht nach Hause, die Arbeit wird nicht wieder aufgenommen, bevor die folgenden Forderungen der ArbeiterInnen vollständig erfüllt sind:

Keine Löhne unter 1.000 Francs;

Rückkehr zur-40 Stunden-Woche (oder weniger, wo das möglich ist) ohne Lohneinbußen, durch Aufteilung der Arbeit auf alle;

Vollständige Bezahlung der Streikstunden, ohne die das Recht auf Streik nichts bedeutet;

Vollkommene politische und gewerkschaftliche Rechte in den Betrieben: das Recht auf freie Zirkulation von Presse und Ideen, Versammlungsrecht für alle innerhalb des Betriebes.

ArbeiterInnen, wir dürfen uns nicht mit Versprechungen zufrieden geben. Vorwärts, auf ein neues 1936, aber ein 1936, bei dem wir nicht zulassen, dass uns die Siege 3 Jahre später entrissen werden, von denen, denen wir an die Macht geholfen haben.“ (26)

Ohne die hier vorgeschlagenen Forderungen vollständig zu kritisieren, deren Unzulänglichkeit als Programm für die ArbeiterInnenbewegung für jedeN RevolutionärIn auffällig sein müsste, verweisen sie doch auf eine grundlegend nachtrabende und ökonomische Methode, in der das lebendige Konzept der ArbeiterInnenkontrolle und revolutionäre Aufgaben nicht vorhanden sind.

Wir sagen nicht, dass die Revolution stattgefunden hätte, wenn die LO eine korrekte Politik vorgeschlagen hätte. Aber wenn die LO eine Massenbasis gehabt hätte wie die zentristische POUM 1936/37 in der Spanischen Revolution, hätten die ArbeiterInnen teuer für die politische Unfähigkeit ihrer Organisation bezahlt.

Mit dieser Methode versucht LO nun, eine internationale Organisation aufzubauen: die UCI. Angesichts des Opportunismus anderer wichtiger internationaler Strömungen, die sich trotzkistisch nennen, mag LO den Anschein erwecken, „seriöser“ und prinzipienfester zu sein. Doch das stimmt nicht. Weder LO noch UCI bauen eine revolutionäre Organisation auf. Der relative Erfolg der LO in den letzten Jahren zeugt vielmehr von der Schwäche echter „revolutionärer Ideen“ in der ArbeiterInnenbewegung. Es liegt an uns, diese Situation zu ändern.

LO verzerrt die Geschichte der 4. Internationale

Die Methode, mit der LO die Vergangenheit analysiert, offenbart schon deutlich ihre aktuellen Obsessionen. Aus ihrer Broschüre „50 Jahre nach der Gründung der 4. Internationale“ erfährt man viel über … die bessere Orientierung der LO im Vergleich zur PCF heute!

Tatsächlich will LO uns glauben machen, dass die TrotzkistInnen der 30er Jahre die gleiche Orientierung hatten. Zweifellos versuchen sie durch die Umschreibung der Geschichte ihre aktuelle Linie zu rechtfertigen.

Daher sagt uns LO auf S. 17 ihrer Broschüre: „Wie die 3. Internationale aus der 2. hervorgegangen ist, so konnte die 4. Internationale nicht anders als aus der 3. hervorgehen, indem sie den Großteil der Massen und AktivistInnen zu sich heranzog, während die FührerInnen der vorhergehenden Internationale zusahen. Woher sonst?“

All das ist völlig abwegig, vom Anfang bis zum Schluss! Erstens ist die 3. Internationale nicht einfach ein Resultat des Überlaufens von AktivistInnen der 2. Internationale. Einerseits waren die FührerInnen, die von der 2. in die 3. Internationale gewechselt sind, oft die am meisten korrumpierten KarrieristInnen, dazu vorherbestimmt, als loyale Stütze für Stalin zu dienen. Andererseits vergisst LO die 100.000en jungen RevolutionärInnen, die die 2. Internationale nur kannten, um sie zu beleidigen: die Jugendlichen, die in den Schützengräben oder in der Schule der revolutionären Gewerkschaftsarbeit heranreiften.

Schließlich vertrat  Trotzki nie die Auffassung, „dass die 4. Internationale nicht anders als aus der 3. hervorgehen konnte“, wie LO uns glauben machen will. In den 30er Jahren bediente sich die trotzkistische Bewegung einer Reihe von Taktiken, von denen keine einzige in der LO-Broschüre erwähnt wird, um AktivistInnen aus den verschiedenen zentristischen Parteien zu gewinnen: aus der PC (vor 1935), aus den Tendenzen im Schoß der Sozialdemokratie (solche wie die SFIO in Frankreich, von 1934-36), den zentristischen Parteien (POUM in Spanien, ILP in Großbritannien, SAP in Deutschland, PSOP in Frankreich) oder aus dem gewerkschaftlichen Milieu (CIO in den USA) usw.

Tatsächlich hat die Aktivität Trotzkis seit 1923 darin bestanden, den revolutionären Marxismus im Gegensatz zu den zentristischen Irrungen weiterzuentwickeln, zuerst innerhalb der Sowjetunion (gegen Stalin, Sinowjew und Kamenew), später auf internationalem Maßstab. In einer Serie von Polemiken und Diskussionen hat Trotzki den Unterschied zwischen zentristischer Politik, welche sowohl von Massenparteien als auch von kleinen Organisationen betrieben werden kann, und revolutionärer Politik dargelegt.

Die gesamte Aktivität Trotzkis zielte darauf ab, einen politischen Schlüssel zu schmieden, der es RevolutionärInnen in jedem Land und in jedem Moment erlauben würde, zentristische AktivistInnen davon zu überzeugen, mit ihrer Methode und ihrer aktuellen Ausrichtung zu brechen. Folglich hat Trotzki eine ganze Serie an Taktiken für die Arbeit der Sektionen vorgeschlagen. Es stand außer Frage, sich nur auf die kommunistischen Parteien zu konzentrieren.

LO traut sich nicht einmal, den Begriff „Zentrismus“ zu verwenden, den man so oft in den Schriften Trotzkis der 20er und 30er Jahre findet. Es scheint, als wäre das Konzept des Zentrismus für LO unbrauchbar, trotz des Aufschwungs zentristischer Strömungen in der aktuellen Epoche. Das ist nicht überraschend. „Der Zentrist proklamiert gerne seine Gegnerschaft zum Reformismus. Aber er schweigt zum Zentrismus, mehr noch: Er hält den Begriff des Zentrismus selbst für einen ‚unklaren‘, ‚willkürlichen‘ usw. ist. In anderen Worten, der Zentrismus mag nicht beim Namen genannt werden.“ (27)

Die LO-Version der Geschichte der 4. Internationale ist wenig ernsthaft und falsch. Sie müsste ihren SympathisantInnen und Mitgliedern eigentlich zeigen, dass die LO-Methode jener Trotzkis fern liegt.

Endnoten

(1) Leo Trotzki: Die Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs, in: Trotzki, Die Bedeutung der Gewerkschaften im Kampf für die Revolution, intarlit, Dortmund 1977, S. 39

(2) Lutte de Classe, Februar 1988

(3) Lutte Ouvrière, 20. Juni 1987

(4) Siehe Pouvoir Ouvrier Nr. 7 für unsere Kritik an LO während dieses Streiks.

(5) Lutte de Classe, September 1987

(6) ebenda, S. 34

(7) Lutte de Classe, April 1987, S. 2

(8) ebenda

(9) ebenda, S. 6

(10) ebenda

(11) Sind Volksdemokratien sozialistische Staaten?, LO-Broschüre, S. 16

(12) ebenda, S. 13, siehe beispielsweise auch: Vom revolutionären Russland zur UdSSR der BürokratInnen, Zusatz zu LO Nr. 874

(13) Vom revolutionären Russland zur UdSSR der BürokratInnen, Zusatz zu LO Nr. 874, S. 53

(14) Sind Volksdemokratien sozialistische Staaten?, LO-Broschüre, S. 16

(15) ebenda, S. 3

(16) Siehe dazu Nummern 11 und 12 von Pouvoir Ouvrier sowie Nr. 7 zu China und Kuba.

(17) Lutte Ouvrière, 20. September 1978

(18) Trotzki, Neunzig Jahre „Kommunistisches Manifest“, in: Trotzki, Denkzettel, Frankfurt/Main 1981, S. 333

(19) Lutte Ouvrière dans le mouvement trotskyste, S. 7

(20) Ebenda, S. 32

(21) Siehe, Pouvoir Ouvrier No. 8.

(22) Trotzki, Das Übergangsprogramm, S. 132, Arbeiterpresse Verlag, Essen 1997

(23) Lutte Ouvrière, 20. September 1978

(24) Lutte Ouvrière dans le mouvement trotskyste, S. 22

(25) 50 ans après la fondation de la IVème Internationale, S. 62

(26) Voix Ouvrière“ vom 20.5.1968

(27) Trotzki, Zentrismus und die IV. Internationale, in: Trotzki, Schriften, Band 3.3, Linke Opposition und IV. Internationale 1928-1934, Köln, 2001, S. 524




Orthodoxer Trotzkismus oder workeristischer Maximalismus?

Christian Gebhardt, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Im August 2013 wurde von der internationalen Strömung „Fracción Trotskista“ (FT) ein „Manifest für eine Bewegung für eine Internationale der sozialistischen Revolution (Vierte Internationale)“ (1) veröffentlicht. In Anbetracht ihrer durchaus vorhandenen Dynamik und gewissen Anziehungskraft in der zentristischen Linken wollen wir uns in diesem Artikel nicht nur mit dem vorgeschlagenen Manifest, sondern mit den theoretischen Grundsteinen der FT auseinandersetzen. Diesen Grundsteinen werden wir unsere programmatische wie auch theoretische Basis entgegenstellen. Hierbei werden wir uns einerseits auf die veröffentlichten programmatischen Grundlagen beziehen und zusätzlich weitere theoretische Veröffentlichungen von uns heranziehen.

Das Hauptdokument stellt das 1989 veröffentlichte Gründungsprogramm unserer Strömung – das „Trotzkistische Manifest“ (2) dar. Dieses Manifest war der erste Versuch unserer internationalen Strömung, das Übergangsprogramm von 1938 (3) neu zu erarbeiten und mit den seit 1938 geschehenen historischen Ereignissen und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen zu ergänzen. Darüber hinaus werden wir uns auch auf die weiteren veröffentlichten internationalen Programme unserer Strömung beziehen: „Vom Widerstand zur Revolution – Manifest für Arbeitermacht“ (2003) (4) und „Vom Widerstand zur Revolution – Manifest für eine Fünfte Internationale“ (2010) (5). Diese beiden Programme haben jedoch im Vergleich zum „Trotzkistischen Manifest“ eher den Charakter aktueller Aktionsprogramme und sollten daher als Ergänzung zum Ersteren betrachtet werden.

Durch die Gegenüberstellung unserer programmatischen Unterschiede wie auch Übereinstimmungen wird deutlich, dass unsere beiden Strömungen in manchen Punkten sich sehr nahe stehen. Dennoch legen wir hier grundlegende Differenzen zu wichtigen Fragestellungen revolutionärer Politik dar, anhand derer sich weitere Unterschiede in Bezug auf Orientierung und Praxis im aktuellen (internationalen) Klassenkampf ableiten und begründen lassen. Diese grundlegenden Differenzen betreffen die Vorstellung, wie ein revolutionäres Bewusstsein in der ArbeiterInnenklasse gebildet werden kann, was unter dem Begriff der Avantgarde verstanden wird, wie das Verständnis von Programm und sein Verhältnis zur Praxis begriffen wird und, zu guter Letzt, die unterschiedlichen Konzepte und Vorstellungen des Aufbaus revolutionärer Parteien. Diese Differenzen und die davon ableitbaren taktischen und strategischen Unterschiede lassen unsere beiden Strömungen trotz mancher Nähe doch sehr weit voneinander stehen.

Gerade weil die FT als internationale Strömung eine der wenigen dynamisch wachsenden zentristischen Strömungen ist und sich oft sehr orthodox, trotzkistisch-leninistisch und revolutionär gibt, ist eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit ihr notwendig, verbirgt sich schlussendlich doch – wie wir in diesem Artikel zeigen werden – hinter der FT und ihrer Politik nichts anderes als ein klassischer, workeristischer Zentrismus mit Hang zum Ökonomismus und allen typischen sektiererischen sowie opportunistischen Charakteristiken des Zentrismus.

Analyse der Weltlage – Historische Krise des Kapitalismus

Ein grundlegender Teil ihrer Analyse der Weltlage, auf welchen die FT ihr Manifest aufbaut und mit welchem wir übereinstimmen, stellt die Charakterisierung der kapitalistischen Krise seit 2008 als eine historische Krise des Kapitalismus dar. Laut der FT konnte der weltweite Kapitalismus „(t)rotz der neoliberalen Offensive der vergangenen drei Jahrzehnte und der kapitalistischen Restauration in den ehemaligen ArbeiterInnenstaaten (…) keinen Weg hin zu einem neuen Zyklus des lang anhaltenden Wachstums finden.“ (6)

Stattdessen brachen „(d)er Widerspruch zwischen der wachsenden Vergesellschaftung der Produktion und der immer konzentrierteren Aneignung des gesellschaftlich produzierten Reichtums sowie der Widerspruch zwischen der Internationalisierung der Produktivkräfte und der nationalstaatlichen Grenzen (…) wieder aus und führten zu einer Krise historischen Ausmaßes.“ (7)

Im Umgang mit der Krise stellt die Politik der „neokeynesianischen“ sowie der „konservativen“ Regierungen keinen grundlegenden Unterschied dar, endet ihr Umgang mit der Krise in beiden Fällen doch damit, dass ihre Kosten die ArbeiterInnenklasse und nicht ihre Verursacher bezahlen müssen. Jedoch stellt dieser Umgang mit der Krise nicht gleichzeitig eine Überwindung der Krise dar. Durch die „staatlichen Rettungen der großen Banken und Konzerne und der Zuführung von Geld in das finanzielle System konnten die kapitalistischen Regierungen und die Zentralbanken die Perspektive eines Einbruch, wie nach dem Fall  von Lehman Brothers, nach hinten schieben. Diese Mechanismen haben aber nicht zu einer wirtschaftlichen Erholung geführt, sondern zur Rezession oder zu geringem Wachstum in den zentralen Ländern und zur Verlangsamung des Wachstums in den ‚Schwellenländern‘. Das passierte gleichzeitig mit der Schaffung neuer Zeitbomben: die enormen Staatsschulden, die die Wirtschaft wiederholt an den Rand des Abgrundes drängen.“ (8)

Im letzten Zitat wird unserer Meinung nach schön deutlich, warum wir einerseits mit der FT übereinstimmen, dass wir uns in einer historischen Krise des Kapitalismus befinden, warum wir jedoch anderseits der Meinung sind, dass die Analyse der kapitalistischen Krise und der Umgang mit dieser von Seiten der Kapitalisten und ihren Regierungen zu sehr mit Hinblick auf das „finanzielle System“ beobachtet wird. Die FT stellt zwar richtig dar, dass die Finanzsphäre ein wichtiger Teil der Krise von 2008 darstellte und die staatlichen Banken- und Gläubigerrettungsprogramme die Krise beruhigten, aber nicht gelöst haben. Die Analyse geht jedoch nicht an die Wurzel des eigentlichen Problems: den tendenziellen Fall der Profitrate.

Auch in neuen theoretischen Artikeln der FT, in welcher sie sich grundlegend mit der wirtschaftlichen Krise von 2008 und ihrem Verlauf seitdem beschäftigt, spielt der tendenzielle Fall der Profitrate keine zentrale Rolle. Die Schwere der Krise wird stattdessen dadurch erklärt, dass die „Dotcom-Krise“ 2000 durch eine Überakkumulationskrise – vor allem im Informatik- und Kommunikationsbereich – ausgelöst wurde. Diese Krise wurde jedoch durch starke Finanzhilfen der FED aufgefangen, welches einen finanziellen Zyklus in Gang setzte. Diese Finanzsphäre verband sich schlussendlich 2008/09 mit der Überakkumulationskrise von 2000 und löste eine tiefgreifende Strukturkrise aus, welche sich laut der FT auch von anderen historischen Krisen unterscheidet (9). Der tendenzielle Fall der Profitrate als zugrunde liegende treibende Kraft dieser beiden Krisen fließt aber auch nicht in diesen Artikel mit ein.

In unserem Manifest von 2010 heißt es dazu wie folgt:

„Kreditklemme, Rezession und Verschuldungszeitbombe von 2008 – 10 traten eine neue historische Krise für das kapitalistische System los. In dieser Periode werden intensive Klassenauseinandersetzungen revolutionäre Krisen, Konterrevolutionen, Instabilität und Konflikte zwischen rivalisierenden Mächten hervorbringen. Dies ist nicht einfach ein typischer zyklischer Abschwung, eine der ‘gewöhnlichen’ Kurven des Systems. Die Ursachen liegen in der tendenziellen Kapitalüberakkumulation des Systems. Jahrzehnte sinkender Profitraten schmälerten profitable Produktionsinvestitionen in den imperialistischen Kernländern. Stattdessen verlegten sich Großkonzerne und Geldinstitute auf spekulative Anlagen an Aktienbörsen, Devisenmärkten und im Derivatenhandel wo mit einem Mausklick Millionen ‘gemacht’ werden konnten. Noch allgemeiner strebte die herrschende Klasse in den Globalisierungsjahren 1992 – 2006 danach, die Probleme mittels billiger Kredite sowie der Erzeugung einer großen Blase fiktiven Kapitals in Gestalt von Verbraucher- und Haushaltsverschuldung und allen Arten raffinierter Verbriefungen und Derivaten zu lösen.” (10)

Hiermit erkennen wir ebenfalls wie die FT in ihrem Manifestvorschlag die Finanzsphäre als einen Ausdruck der spekulativen Aktionen des Kapitals an. Jedoch stellen wir die Überakkumulation des Kapitals und die damit einhergehenden fallende Profitrate als zugrunde liegende Triebkräfte stärker in den Vordergrund. Die FT stellt dies ebenfalls in weiter zurückliegenden Dokumenten (11) fest, wieso jedoch der tendenzielle Fall der Profitrate und die damit verbundenen Notwendigkeiten der Krisenüberwindung von Seiten der Kapitalisten nicht den Einzug in ihr Manifest gefunden haben, bleibt für uns unverständlich.

Dies hat jedoch sehr relevante Auswirkungen auf politische Fragestellungen, auf die internationalistische RevolutionärInnen Antworten finden müssen. Unserer Meinung nach liegt die einzige Lösung für die Krise aus der Sicht der Kapitalisten darin, dem Fall der Profitrate entgegenzuwirken. Dies geschieht entweder dadurch, dass die Kapitalisten aggressiver expandieren und dadurch innerimperialistische Konflikte erhöhen, den ArbeiterInnen weltweit tiefgreifende Niederlagen zufügen oder indem sie Produktionskapazitäten stilllegen bzw. zerstören (12) und damit Millionen von ArbeiterInnen in die Arbeitslosigkeit und Armut treiben. Die derzeit stattfindende Massenverarmung in vielen Teilen der Welt (z. B. Südeuropa) oder die Auflagen des IWF oder der Troika zur „Liberalisierung der Arbeitsmärkte“ wirken gezielt in diese Richtung.

Imperialismus

Dieser weltweite Umgang mit der Krise zeigt eines auch sehr deutlich: den weltweiten Organisationsgrad des Kapitalismus innerhalb der imperialistischen Epoche und die Zunahme der innerimperialistischen Konflikte. Auf dieser Stufe der Entwicklung ist der Kapitalismus durch heftige, weltweite Konkurrenz zwischen den riesigen Monopolen gekennzeichnet, da die einzelnen herrschenden Bourgeoisien versuchen, sich Vorteile auf Kosten ihrer Rivalen zu verschaffen. Diese Tatsache wurde zum Beispiel durch den Ukrainekonflikt sehr stark verdeutlicht, in welchem der EU-, US- sowie russische Imperialismus gegeneinander um ihren Einfluss in der Ukraine rangen und dies auch weiterhin tun.

Der Imperialismus wird auch im FT-Manifest als die derzeitige Periode des Kapitalismus, in welcher unterschiedliche imperialistische Mächte um ihren Einflussbereich kämpfen, anerkannt. Das Manifest hebt vor allem den US-Imperialismus hervor, spricht aber auch die Europäische Union (EU) als imperialistische Macht, unter der Federführung des deutschen Kapitals, an. Es gebe laut der FT derzeit „keine traditionelle oder ‚aufkommende‘ Macht, die den USA die weltweite Hegemonie streitig machen“ (13) könne, jedoch heißt dies nicht, „dass es keine Rivalitäten und Wettstreite gäbe“. (14) Neben der EU und den USA als klar angesprochene imperialistische Mächte nennt das Manifest nur noch China sowie Russland als Regionalmächte, welche ihre eigenen regionalen Ziele verfolgen und welche den Niedergang der US-Hegemonie innerhalb des Imperialismus begleiten.

„Die USA, die wichtigste imperialistische Macht, befindet sich weiter auf dem Weg des Niedergangs ihrer Hegemonie, der durch die Niederlage ihrer strategischen Ziele im Irak und in Afghanistan und das Entstehen regionaler Mächte, die ihre eigenen Ziele verfolgen – wie Russland und China (Hervorhebungen des Autors in Kursivschrift) -, akzentuiert wird. Dieser Verlust der Führungsrolle zeigte sich darin, dass die Regierung Obamas doch keinen unilateralen Militärangriff auf Syrien starten konnte und stattdessen die diplomatische Lösung, die von Russland vorgeschlagen wurde, akzeptieren musste.“ (15)

Hier werden einige Unterschiede zwischen unserer Charakterisierung des Imperialismus und der des Manifestes deutlich. In der ersten Hervorhebung wird ersichtlich, dass die FT den Niedergang des US-Imperialismus stark an seinen militärischen Niederlagen in den Irak- sowie Afghanistaninterventionen festmacht. Außer Acht lässt es jedoch die Ungleichmäßigkeit der kapitalistischen Entwicklung in einer Krisenperiode. Mit der Wirtschaftskrise seit Beginn 2008, welche unterschiedliche Länder ungleich stark getroffen hat, gingen die einzelnen imperialistischen Länder verschieden um. Während die US-Regierung vor allem große Geldmengen in den Finanzsektor warf, nutzte China ein vergleichbar großes Volumen an Geld, um wichtige Infrastrukturprojekte voranzubringen. Dies stellt zwar den chinesischen Imperialismus bei Weitem nicht auf die gleiche Stufe wie den US-Imperialismus, zeigt aber auf, dass China seit dem Ausbruch der Krise seine internationale Stellung im Vergleich zum US-Imperialismus ausbauen konnte.

Die zweite Hervorhebung soll verdeutlichen, wie die FT Russland sowie China charakterisiert. Im Gegensatz zu unserer internationalen Strömung, welche China und Russland als imperialistische Mächte charakterisieren (16, 17), stellen diese beiden Staaten für das FT-Manifest Regionalmächte dar. Auch wenn die FT eine Neuevaluierung ihrer Charakterisierung Chinas seit der Veröffentlichung ihres Manifestes ankündigte, spricht sie zwar China das Potential zu, eine imperialistische Macht zu werden: „Die starken Ambitionen Pekings, im ökonomischen wie militärischen Bereich, sich in eine neue große imperialistische Kraft zu verwandeln, sind Ausdruck eines langen anhaltenden Überakkumulationsprozesses (…)“ (18). An ihrer Charakterisierung Chinas als Regionalmacht hat dies jedoch nichts geändert (19).

Dass ein solch tiefgreifender Unterschied in der Sicht der Weltlage auch unterschiedliche politische Ansichten und Schlussfolgerungen mit sich bringt, sollte nicht überraschen. Überraschend ist jedoch, dass sich dann die FT in vielen Auseinandersetzungen zwischen – aus unserer Sicht – imperialistischen Mächten wie z. B. im Ukrainekonflikt ebenfalls gegen die Intervention von Russland gestellt hat. Die Erklärung, warum hier gegenüber einer Regionalmacht die gleichen Taktiken und Strategien angewendet werden sollen wie gegenüber imperialistischen Mächten, bleibt von Seiten der FT unbeantwortet. Was die Regionalmächte von den imperialistischen Mächten unterscheiden soll, bleibt ebenfalls unklar. Es wird hauptsächlich mit militärischen Argumenten begründet, dass ohne große Konflikte keine andere Macht den USA ihre Hegemonie streitig machen kann. Dass es im imperialistischen System aber nicht darauf ankommt, ob jemand die volle Hegemonie erlangt hat oder „nur“ als imperialistische Macht in unterschiedlichen Situationen agieren kann, erfahren wir von der FT nicht. Hier wird Schwarz-Weiß-Malerei hinter vorgeblicher Orthodoxie versteckt, die Feinheiten des imperialistischen Systems werden dabei aber grandios übersehen. Zu den Unterschieden im Ukrainekonflikt (20, 21) haben wir in den letzten beiden Ausgaben des Revolutionären Marxismus unsere Positionen ausformuliert. Zur ihrer schematischen Herangehensweise an die Frage, wie ein Land als imperialistisch charakterisiert werden kann oder nicht, haben wir uns in unseren Thesen zu Russland und dessen imperialistischem Charakter ebenfalls schon zu geäußert (22).

Europa als Konstrukt konkurrierender Imperialismen

Neben dem US-Imperialismus erkennt das FT-Manifest die EU als imperialistische Macht an. Die EU stellt einen Block unterschiedlicher kapitalistischer und imperialistischer Mächte Europas dar und ist somit von vornherein dazu verdammt, Konflikte unter den einzelnen kapitalistischen Klassen der zu ihr gehörenden Nationen hervorzurufen. Daher ist und war die EU laut Manifest nicht in der Lage, sich zu einem einheitlichen Block zu entwickeln. Eher würde die „europäische Einheit früher oder später mit den unüberwindbaren Grenzen der Interessen der imperialistischen Bourgeoisien, aus denen sie besteht, kollidieren (…). Deshalb sei keine Umwandlung dieses Blockes in ein supranationales Staatengebilde möglich. Die Krise hat diese objektive Grenze des imperialistischen europäischen Projektes mit aller Klarheit offengelegt, was sich in den zentrifugalen Kräften zwischen dem harten Kern rund um Deutschland und die nordischen Ökonomien und dem schwächeren Kern der mediterranen Länder des Südens zeigt.“ (23)

Durch die von der EU-Krise hervorgerufenen Zentrifugalkräfte sehen sich RevolutionärInnen mit unterschiedlichen Lösungsansätzen konfrontiert. Das Manifest stellt richtigerweise zwei Hauptpositionen fest und entwickelt eine handfeste Kritik daran. Einerseits gibt es die innerhalb der Linken häufig vertretene Position nach der Demokratisierung und Reformierung der EU. Andererseits werden durch die EU-Krise auch rechtspopulistische und nationalistische Strömungen gestärkt, welche durch das Verlassen der Eurozone und mit der Verteidigung der „Nationalstaaten“ eine höchst reaktionäre „Lösung“ für die EU propagieren. Leider gibt es auch Teile innerhalb der Linken, welche sich dieser Position anschließen.

Die von der FT erarbeitete Lösung in ihrem vorgelegten Manifest können wir nur uneingeschränkt unterstützen:

„Wir müssen die Zersplitterung in den ArbeiterInnenreihen überwinden, die Fremdenfeindlichkeit und die migrantInnenfeindliche Politik der europäischen Regierungen bekämpfen. Die durch die Krise verarmten Sektoren der Mittelschichten könnten sich in eine fruchtbare soziale Basis für die rechtsextreme Demagogie entwickeln und möglicherweise für den Faschismus. Angesichts dieser tiefen Krise ist es notwendig, die Kämpfe gegen die verschiedenen Kürzungsregierungen sowie gegen die ‚Troika‘ und die imperialistischen Institutionen der EU in die strategischen Perspektive der Vereinigten sozialistischen Staaten von Europa einzubinden. Dies ist der einzige fortschrittliche Ausweg für die ArbeiterInnen.“ (24)

Zwar haben wir in Bezug auf die Analyse der EU, ihrer Krise und deren Auswirkungen keine großen Differenzen mit den angeführten Punkten im Manifest, jedoch verbirgt sich eine größere Meinungsverschiedenheit in Hinblick auf die Taktiken und Strategien bei den rund um die EU-Krise aufkommenden Konflikten innerhalb der EU (z. B. BREXIT, siehe Tobi Hansen in dieser Ausgabe), sowie im Hinblick auf politische Bewegungen und Umgruppierungsprojekte, wie zum Beispiel rund um SYRIZA, PODEMOS, der NPA oder in kleinem Ausmaße der NaO in Deutschland (siehe Wilhelm Schulz in dieser Ausgabe). Auf diese Unterschiede werden wir weiter unten im Text näher eingehen.

Lateinamerika auf dem Weg nach rechts

Weitere Teile des Manifestes, welche mit unserer Analyse in großen Zügen übereinstimmen, sind die Abschnitte, die sich mit der Situation in Lateinamerika auseinandersetzen. Hierbei stellt das Manifest die Lage in Amerika als eine postneoliberale Regierungsära dar. Sie war über Jahrzehnte durch Regierungen wie die der Kirchners in Argentinien, von Morales in Bolivien, Lula/Dilma in Brasilien sowie Chávez in Venezuela geprägt. Diese postneoliberalen Regierungen stützten sich stark auf die ArbeiterInnenklasse und deren Bewegungen gegen den neoliberalen Kurs des US-Kapitals in Lateinamerika. Das anhaltende Wirtschaftswachstum Lateinamerikas in diesen Jahren spielte den postneoliberalen Regierungen in die Hände, konnten sie sich doch somit als Alternative für die ArbeiterInnenklasse darstellen. Die Wirtschaftskrise seit 2008 und ihre Auswirkungen in Lateinamerika wie auch weltweit bringen jedoch den Handlungsspielraum dieser Regierungen ins Wanken und zwingen sie dazu, offen ihre arbeiterInnenfeindliche Politik zu betreiben und Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse auszuweiten.

„Jetzt, da man die Verlangsamung des Wachstums als Produkt der weltweiten Krise spürt, fangen sie an, ihren arbeiterInnenfeindlichen Charakter offen zu zeigen: Cristina Kirchner in Argentinien lehnt die Lohnforderungen angesichts der Inflation ab und hält an der Lohnsteuer fest; Maduro setzte eine Mega-Abwertung der Währung in Venezuela durch und verhandelt mit den putschistischen KapitalistInnen und Evo Morales begann eine brutale Offensive gegen die ArbeiterInnen, um das neoliberale Rentensystem zu verteidigen.“ (25)

Dies führt zu zunehmenden Bruchlinien zwischen den Verbindungen der ArbeiterInnenklasse und diesen Regierungen, welche Raum zur revolutionären Intervention lassen sowie die Notwendigkeit aufzeigen, unabhängige, revolutionäre ArbeiterInnenparteien aufzubauen.

Die derzeitigen objektiven Gegebenheiten und die Rechtsentwicklung der politischen Landschaft Lateinamerikas rund um das Amtsenthebungsverfahren von Dilma in Brasilien (26), die Wahlniederlage des Kirchnerismus in Argentinien (27) oder die Niederlage von Maduro in Venezuela geben dieser Analyse recht. Sie werfen deutlich die Frage auf (wie auch in Europa rund um die Flüchtlingsthematik und die erstarkenden rechten Bewegungen), wie die recht kleine radikale Linke die ArbeiterInnenklasse für ihre Politik gewinnen kann. Die verfolgten Taktiken und Strategien der FT zeigen hierbei unserer Meinung nach viele Differenzen zwischen unseren beiden Strömungen auf, die weiter unten im Text einzeln abgearbeitet werden. Auf jeden Fall zeigen die meisten Herangehensweisen der FT eine gewisse Passivität (wenn auch nicht in Worten) in Bezug auf die Entwicklung innerhalb der unterschiedlichen ArbeiterInnenklassen Lateinamerikas.

In Argentinien z. B. wird richtigerweise davon gesprochen, dass einige Teile der ArbeiterInnenklasse den Bruch mit dem Peronismus vollziehen. Der Stimmenzuwachs des rechten Lagers in den letzten argentinischen Wahlen habe jedoch gezeigt, dass dieser Bruch nicht gleichbedeutend mit einer Linksentwicklung sein muss. Hier geht die FT jedoch nicht aktiv genug mit ihrem großen Potential um, welches sie in Form der Front der Linken und ArbeiterInnen (Frente de la Izquierda y de los Trabajadores – FIT) in ihrer Hand hat. Mit einer klaren Spielart der Einheitsfronttaktik gegenüber den peronistischen dominierten Gewerkschaften in Form der ArbeiterInnenparteitaktik könnte die FT versuchen, eine Dynamik rund um sich oder der FIT zu generieren, welche die Abwanderungsbewegungen weg vom Peronismus nicht nur verstärken, sondern auch auf sich kanalisieren könnte. So aber stellt sie sich mit der FIT passiv-propagandistisch in eine Ecke und wartet ab, welche Teile der ArbeiterInnen, die sich vom Peronismus wegbewegen, zu ihnen kommen. Es dürfte interessant werden, inwiefern die Beschlüsse des XV. Parteikongresses der PTS zur geplanten aktiveren Arbeit innerhalb der FIT hin zur Bildung einer revolutionären ArbeiterInnenpartei verwirklicht werden. (28)

Im Allgemeinen ist dieser Teil zu Lateinamerika  der stärkste . Dies verdeutlicht klar die dortige starke Verankerung der FT. Ein Kritikpunkt, welcher in der Analyse der politischen Lage Lateinamerikas von unserer Seite jedoch angebracht werden muss, ist die Charakterisierung bürgerlicher ArbeiterInnenparteien, z. B. der brasilianischen Partido dos Trabalhadores (PT). Diese – wie auch weitere bürgerliche ArbeiterInnenparteien in Europa und anderen Teilen der Welt – werden von der FT nicht als solche angesehen, was zu Unterschieden im taktischen Umgang mit diesen Parteien, z. B. der Zustimmung oder Ablehnung einer kritischen Wahlunterstützung, führt.

Die politisch fatalen Konsequenzen werden besonders in Brasilien angesichts des Putsches der Rechten gegen die Präsidentin Dilma deutlich. Die FT und ihre dortige Sektion erkennen zwar an, dass sich die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten gegen das Amtsenthebungsverfahren wehren müssen – sie lehnen aber zugleich die Bildung einer Einheitsfront mit der PT ab, also der dominierenden Partei der ArbeiterInnenklasse, die direkt von den Putschisten angegriffen wird! Eine solche Politik ist anti-putschistisch nur in Worten. Praktisch stellt sie ein politisches Ultimatum an die AnhängerInnen der PT und die CUT-Gewerkschaften dar, von denen der Bruch mit der PT als Vorbedingung für den gemeinsamen Kampf gefordert wird. Ein solches Sektierertum verunmöglicht in der Realität die Bildung jeder Einheitsfront mit den reformistischen ArbeiterInnen und läuft darauf hinaus, dem gemeinsamen Kampf mit der Mehrheit der ArbeiterInnenklasse fernzubleiben – eine reaktionäre Konsequenz des Sektierertums.

Restliche Welt?

Neben Europa und Lateinamerika hebt das FT-Manifest den Nahen Osten als weitere zentrale und strategisch wichtige Region der Weltpolitik hervor. Wir widersprechen dieser Einschätzung nicht, zeigen der Arabische Frühling, die anhaltenden Konflikte zwischen Palästina/Israel, die Auseinandersetzungen in Irak/Syrien/Rojava sowie der Islamische Staat (IS, Daesch), dass diese Region freilich einen sehr zentralen Punkt der Weltpolitik darstellt. Jedoch darf hier gefragt werden, wieso asiatische Teile wie Afghanistan oder Pakistan im Manifest komplett völlig unbeachtet bleiben, begründet die FT in ihrem Manifest doch die überaus wichtige Stellung des Nahen Ostens auf der imperialistischen Weltbühne durch „die Wichtigkeit, die die Region für die ökonomischen und geopolitischen Interessen der USA, des Staates Israel und anderer imperialistischer Mächte besitzt (,…)“ (29). Trifft dies auf Länder wie u. a. Afghanistan oder Pakistan in den Augen der FT nicht zu? Diese Regionen spielen unseres Erachtens in Hinblick auf die sich zuspitzenden Konflikte zwischen dem US- sowie dem chinesischen und russischen Imperialismus ebenfalls eine wichtige Rolle.

Das Manifest argumentiert weiter, dass der Nahe Osten nicht nur ökonomisch und geopolitisch eine wichtige Region darstellt, sondern „(…) wegen seiner gemeinsamen demokratischen und sozialen Motoren, hat dieser Prozess trotz seiner Ungleichheiten eine Reihe von programmatischen und strategischen Debatten in der Linken weltweit forciert“ (30).

Dies ist durchaus richtig und trifft in diesem Maße auf die Konflikte rund um Afghanistan/Pakistan derzeit nicht zu. Wieso jedoch das Manifest solch wichtige Regionen innerhalb der Weltpolitik mit der einzigen Begründung ausklammert, es würden darüber keine strategischen und programmatischen Debatten innerhalb der Linken geführt, erschließt sich uns nicht. Unserer Meinung nach stellt dies eine opportunistische sowie passive Herangehensweise an den Umgang mit derzeit stattfindenden Debatten innerhalb der internationalen Linken dar, anstatt selbst programmatisch und strategisch wichtige Fragen der internationalen ArbeiterInnenklasse aufzuwerfen und in den Mittelpunkt zu stellen. Dies versuchen wir nicht nur propagandistisch von außen mit unseren Thesen „Revolution und Konterrevolution in der arabischen Welt“ zum Arabischen Frühling und Nahen Osten (31), sondern auch aktiv durch den Kampf unserer pakistanischen Sektion rund um ihr „Aktionsprogramm für Pakistan“ (32).

Zusammenfassend betrachtet, charakterisiert das FT-Manifest die wirtschaftliche Weltlage als eine neue Periode. Diese ist geprägt durch zunehmende Auseinandersetzungen der ArbeiterInnenklasse seit Beginn der kapitalistischen Krise. Jedoch wird hier nicht deutlich, ob das Manifest diese Periode als vorrevolutionär oder revolutionär begreift. Dass die historische Weltwirtschaftskrise mit ihrem Beginn 2008 zu einer Zunahme von Auseinandersetzungen der ArbeiterInnenklasse führte, ist sicher richtig, allerdings auch keine besondere Erkenntnis. Dies wurde besonders deutlich durch den Ausbruch der Arabischen Revolutionen sowie der Krise in Südeuropa.

Allerdings macht die FT den Charakter der Periode in erster Linie nicht an den objektiven Erschütterungen der globalen Ordnung fest, sondern in erster Linie am Bewusstseinsstand der ArbeiterInnenklasse. Daher bleiben bei ihr die politischen Konsequenzen und die unvermeidliche Zuspitzung der Lage eher vage, während unsere internationale Strömung die derzeitige Periode als eine Krise historischen Ausmaßes charakterisiert, die die Frage von Revolution oder Konterrevolution in zugespitzten Situationen immer akuter auf die Tagesordnung stellt.

Lage und Führungskrise der ArbeiterInnenklasse

Anschließend an ihre Analyse der objektiv wirtschaftlichen und politischen Weltlage stellt die FT in ihrem Manifest auch die Frage in den Mittelpunkt, wieso diese in der derzeitigen Lage entstandenen revolutionären Möglichkeiten von der ArbeiterInnenklasse nicht genutzt werden. Das Manifest stellt hierbei fest, dass zwar die objektiven Gegebenheiten für eine revolutionäre Entwicklung existieren, die die Kämpfe der ArbeiterInnenklasse immer mehr in den Mittelpunkt sozialer Auseinandersetzungen stellen, jedoch die subjektiven Voraussetzungen – v. a. eine revolutionäre Führung der ArbeiterInnenklasse – fehlen.

Diese Führungskrise der ArbeiterInnenklasse erklärt das Manifest mit einer aus seiner Sicht noch nie dagewesenen Fragmentierung der ArbeiterInnenklasse. Dies verkörpere sich durch das konterrevolutionäre Handeln der Gewerkschaftsbürokratie.

„Die Rückkehr der ArbeiterInnenbewegung auf die Bühne und das Anhalten der weltweiten Krise setzen die Perspektive größerer Auseinandersetzungen der Klassen auf die Tagesordnung. Doch trotz der Kampfbereitschaft, die die ArbeiterInnen weltweit zeigen, haben sie an der Spitze ihrer Organisationen immer noch Gewerkschaftsbürokratien, deren Aufgabe es ist, diese Kampfbereitschaft der ArbeiterInnen und der Massen gegen die KapitalistInnen und ihre Regierungen zurückzuhalten.“ (33)

Auch wenn wir durchaus zustimmen, dass die Gewerkschaftsbürokratie den Klassenkampf hemmt und gerne auch verrät, ist dies doch nur eine Seite der Medaille der Führungskrise der ArbeiterInnenklasse. Die andere Seite – die politischen Kampforgane der Klasse in Form der reformistischen ArbeiterInnenparteien und ihrer historischen Entwicklungen – stellt das Manifest als Grund für die Fragmentierung der Klasse, jedoch nicht als deren Verkörperung dar:

„Diese Krise der ArbeiterInnenbewegung hat seine tiefen Wurzeln in den revolutionären und konterrevolutionären Prozessen des 20. Jahrhunderts, unter ihnen die Bürokratisierung der Sowjetunion und die Durchsetzung des Stalinismus als ‚real existierender Sozialismus‘, und die Bewahrung der Sozialdemokratie als reformistische Führung der ArbeiterInnenbewegung im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg“ (34).

Auch wenn wir hier der Analyse nicht widersprechen, dass der Stalinismus sowie die Sozialdemokratie einen erheblichen Beitrag dazu geleistet haben, die ArbeiterInnenbewegung in eine Krise zu stürzen, begeht die FT einen interessanten und, wie wir im Folgenden näher ausführen werden, weitreichenden Fehler.

Für sie stellen die Sozialdemokratie sowie der Stalinismus (vom Maoismus als Variante des letzteren spricht das Manifest erst gar nicht) nur den Grund für die Krise der ArbeiterInnenklasse dar. Die Verkörperung und den Ausdruck dieser Krise bildet ihrer Meinung nach nur die Gewerkschaftsbürokratie. Die reformistischen Spielarten innerhalb der ArbeiterInnenbewegung und ihrer historisch-politischen Kampforgane stehen hierbei auf unterschiedlicher Stufe. Diese Analyse impliziert, dass man sich den reformistischen Parteien der Klasse nicht in dem Maße widmen  muss wie den ökonomischen Organen der Klasse – den Gewerkschaften, stellen diese doch den alleinigen Ort dar, an welchem sich eine Führungskrise verkörpert und somit auch angegangen und geändert werden kann. Dieser Ökonomismus der FT hat schwerwiegende Folgen, wenn es um Taktiken und Strategien gegenüber den reformistischen Parteien und neuen politischen Umgruppierungsphänomenen innerhalb der ArbeiterInnenklasse geht.

Aber auch dann, wenn wir bei den Gewerkschaften bleiben, müssen wir uns die Frage stellen, wo diese Gewerkschaftsbürokratie herkommt und wie sie überhaupt entstehen kann. Das FT-Manifest gibt hier leider keine Antwort. Anstatt eine marxistische Analyse der objektiven Grundlagen für die Bürokratie zu geben, wird die ArbeiterInnenklasse von der FT nur in zwei unterschiedliche, nicht näher definierte Teile aufgeteilt: einen prekären Teil der ArbeiterInnenklasse und einen privilegierten Teil der ArbeiterInnenklasse, welcher auf Kosten des ersten Teils seine bessere Stellung innerhalb der Gesellschaft erhält.

„Dennoch entwickelte sich dieser Prozess (eine Neuzusammensetzung der weltweiten ArbeiterInnenklasse, Anm. des Autors) Hand in Hand mit einem enormen Anstieg der Zersplitterung. Zusätzlich zu der traditionellen Spaltung der ArbeiterInnenklasse durch das Kapital zwischen der ArbeiterInnenklasse imperialistischer Länder und der Halbkolonien, sind weitere hinzugekommen, die gemeinsam mit der Ausbreitung von Langzeitarbeitslosigkeit zur Entstehung von ArbeiterInnen ‚zweiter Klasse‘ (…) führte, die fast die Hälfte der weltweiten ArbeiterInnenklasse ausmachen. Im Gegensatz dazu steht ein privilegierter Sektor der ArbeiterInnenklasse mit Gewerkschaftsbindung, Löhnen und Arbeitsbedingungen oberhalb des Durchschnitts.“ (35)

Wir wiederum geben in unseren programmatischen Schriften eine klare Analyse der Entstehung der  ArbeiterInnenaristokratie sowie der Bürokratie wieder. So schreiben wir im „Trotzkistischen Manifest“ Folgendes:

„Im Wesentlichen werden Gewerkschaften von einer reformistischen Bürokratie dominiert, die sich in den imperialistischen Ländern während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aus der Arbeiteraristokratie entwickelte und sich vor allem auf die organisierten Facharbeiter stützte. In vielen Halbkolonien entstand ebenfalls eine Bürokratie, auch hier aus der Arbeiteraristokratie. Doch ist sie kleiner und genießt weniger materielle Privilegien als die der imperialistischen Länder. Sie wurde von bürgerlich-nationalistischen oder reformistischen Kräften gefördert, die sich so eine soziale Basis zu sichern hofften (wie in Mexiko und Argentinien). In anderen Ländern, wo sich entweder noch keine Arbeiteraristokratie entwickelt hat oder diese noch zu schwach ist, um die Gewerkschaften oder reformistische bzw. nationalistische Parteien zu beeinflussen, entstand eine reformistische Bürokratie oft durch Verbindungen mit der internationalen Gewerkschaftsbewegung und durch die materielle Hilfe der Bürokratien in den imperialistischen Ländern.

Die Gewerkschaftsbürokratie ist eine besondere Kaste, die ihre Position und ihre materiellen Privilegien (wie gering sie auch immer sein mögen) ihrer Rolle als Unterhändler im Klassenkampf zwischen den Arbeitern und ihren Bossen verdankt. Ihre privilegierte Position geht oft einher mit ihrer Einbindung in untere Ebenen des kapitalistischen Staates. Um diese Positionen aufrechtzuerhalten, hat sie ein objektives Interesse an der Erhaltung des Systems der Klassenausbeutung und beschränkt und verrät daher die Klassenkämpfe. Sie handelt also als Feldwebel der Kapitalisten in der Arbeiterklasse und ist ein verschworener Feind des militanten Klassenkampfes und einer echten Arbeiterdemokratie.“ (36)

Dass diese privilegierten Schichten der ArbeiterInnenklasse auch die objektive Basis der Bürokratie innerhalb der reformistischen ArbeiterInnenparteien darstellen und somit die „Verkörperung“ der Führungskrise nicht nur in den Gewerkschaften, sondern auch in den politischen Kampforganen der Klasse auftritt und davon unmöglich zu trennen ist, kann von der FT leider auf Grund ihres oben erklärten Ökonomismus nicht verstanden werden. Es verwundert daher auch nicht, dass dazu nichts in ihrem Manifest zu finden ist.

Wir lassen hier unser Manifest sprechen, um die Verbindung zwischen der reformistischen Sozialdemokratie und der oben erklärten ArbeiterInnenaristokratie zu beschreiben:

„Seit langem hat die imperialistische Bourgeoisie ihre Ressourcen dazu verwendet, Spaltungen im Proletariat zu fördern und sogar die Existenz einer privilegierten Schicht, der ‚Arbeiteraristokratie‘, deren Lebensstandard wesentlich höher als der der Arbeitermassen war, zu akzeptieren. Dieser Teil der Arbeiterklasse bildete die hauptsächliche Grundlage für eine ‚Arbeiterbürokratie‘, deren Rolle es war, mit dem Kapital zu verhandeln, und deren spontane politische Auffassung daher die Klassenzusammenarbeit war.

1914 wurden die proletarischen Massenparteien Europas bereits von der Politik der Kollaborateure beherrscht. Dies stimmte sowohl für Parteien wie die britische Labour Party, die seit ihrer Gründung eine reformistische Partei war, als auch für die sozialdemokratischen Parteien, die formal am Marxismus festhielten. Im Verrat der Zweiten (Sozialistischen) Internationale an der Arbeiterklasse fand diese Entwicklung ihren Höhepunkt. 1914 rührten sie die Werbetrommel für den imperialistischen Krieg. Als dann die Welle von Revolutionen durch Europa fegte (1917 – 23), stellten sie sich offen auf die Seite der bürgerlichen Konterrevolution gegen die arbeitenden Massen.

So nahm die Sozialdemokratie ihre grundlegende Gestalt an. Sie wurde strategisch an die kapitalistische Ökonomie und den kapitalistischen Staat, wenn auch in den idealisierten Formen des Staatskapitalismus und der bürgerlichen Demokratie, gebunden. Dies war sogar dort der Fall, wo der Kapitalismus noch keine voll entwickelten Arbeiteraristokratien und -bürokratien herausgebildet hatte. In Rußland zum Beispiel waren die Menschewiki, die für eine lange Periode der bürgerlichen Demokratie als einer notwendigen Entwicklungsstufe argumentierten, gegen die proletarische Revolution und ergriffen sogar die Waffen gegen sie. Direkte Aktion und militärische Gewalt waren für die Reformisten Mittel, die nur gegen die Gegner des bürgerlich-demokratischen Ziels verwendet werden konnten, niemals jedoch, um die Gegner der Arbeiterklasse zu schlagen.” (37)

Wie oben angesprochen, muss, wenn über die Überwindung der Führungskrise des Proletariats gesprochen werden soll, über beide Formen der Organisierung der ArbeiterInnenklasse – Gewerkschaften wie Parteiformationen – gesprochen werden. Beide Strömungen heben richtigerweise die verräterische Rolle der Gewerkschaftsbürokratie und die Notwendigkeit des Aufbaus klassenkämpferischer Basisoppositionen, welche der Gewerkschaftsbürokratie die Führung über die Gewerkschaften streitig machen sollen, hervor.

Jedoch geht das Manifest der FT nicht dazu über, Lösungsansätze zu entwickeln, wie dieser Kampf innerhalb der ökonomischen Kampforganisationen der ArbeiterInnenklasse mit einem Kampf um die politische Führung der ArbeiterInnenklasse verbunden werden kann. Außer dem Ansprechen der Notwendigkeit des Aufbaus unabhängiger, revolutionärer ArbeiterInnenparteien sowie der Anwendung von Einheitsfronten zur Überwindung der Fragmentierung innerhalb der Klasse lässt das Manifest die LeserInnen vollkommen im Unklaren, welche strategischen und taktischen Züge angewendet werden sollen. Es lässt die Fragen außer Acht, wie der Bruch der ArbeiterInnenklasse mit ihren reformistischen Führungen in den Parteien und Gewerkschaften herbeigeführt und beschleunigt werden kann, um die Führungskrise zu überwinden.

Um den Aufbau revolutionärer Organisationen näher zu untersuchen und unser Verständnis des Parteiaufbaus dem der FT gegenüberzustellen, müssen wir uns erst einmal näher damit auseinandersetzen, wie überhaupt revolutionäres Bewusstsein in der Klasse entstehen kann.

Bewusstsein

Der höchste Ausdruck des Bewusstseins und der Erfahrung der ArbeiterInnenklasse lasse sich „in den ersten vier Kongressen der III. Internationale vor ihrer stalinistischen Degeneration und danach in der von Trotzki gegründeten Vierten Internationale.“ (38) finden. Den Grund für ihre Degeneration und Zersplitterung erklärt sich das FT-Manifest folgendermaßen:

„Dennoch verwandelte sich die Vierte Internationale, die eine Alternative zum Stalinismus und die Kontinuität des revolutionären Marxismus darstellte, anders als von Trotzki vorhergesagt, nicht in eine Massenorganisation. Eine Vielzahl von Faktoren, darunter die Ermordung Trotzkis, das widersprüchliche Resultat des Krieges – das der stalinistischen Bürokratie durch ihren Sieg gegen die Nazis neues Ansehen verlieh – die Blockade der revolutionären Dynamik in den zentralen Ländern und das Erstarken des Reformismus auf der Basis des teilweisen Wachstums der Produktivkräfte, die durch die vorhergegangene massive Zerstörung des Krieges ermöglicht wurde, bewirkten, dass der Trotzkismus marginal blieb und sich dem reformistischen, stalinistischen und „drittweltlerischen“ Druck ausgesetzt sah.“ (39)

Wir erkennen die im Manifest angesprochenen Faktoren ebenfalls als geschichtliches Korsett an, in welchem sich die Degeneration des Trotzkismus während der Nachkriegszeit abspielte. In dieser Analyse fehlt uns jedoch die kritische Aufarbeitung der Fehleinschätzungen Trotzkis, welche zu seiner Annahme führten, die stalinistischen sowie sozialdemokratischen Parteien würden sich in einer revolutionären Periode nach dem 2. Weltkrieg in den Augen der ArbeiterInnenklasse diskreditieren.

Trotzki ging in seiner Analyse davon aus, dass sich das Ende des 2. Weltkrieges zu einer Periode revolutionärer Bürgerkriege entwickeln würde, wie es sich am Ende des 1. Weltkrieges abgespielt hatte. Diese Periode würde den Organisationen der 4. Internationale ermöglichen, zu wirklichen Massenorganisationen der Klasse anzuwachsen, ähnlich den Organisationen der Komintern im Anschluss an den 1. Weltkrieg. Das Manifest spricht diese Fehleinschätzung Trotzkis jedoch nicht an, sondern spricht nur von einem „widersprüchlichen Resultat des Krieges“. (40) Daher zieht die FT  zwar den  richtigen, aber auch verkürzten Schluss, dass der „Trotzkismus marginal blieb und sich dem reformistischen, stalinistischen und „drittweltlerischen“ Druck ausgesetzt sah“ (41), ohne jedoch die Auswirkungen dieser Marginalisierung auf die schlussendliche Degeneration des Trotzkismus wirklich zu beschreiben. Sie spricht zwar an, dass sich der Trotzkismus in der Periode von 1951 – 1953 in eine zentristische Bewegung verwandelt habe; was sie jedoch unter diesem Zentrismus versteht und was ihrer Meinung nach die Auswirkungen und Anpassungen „an die stalinistischen, nationalistischen oder kleinbürgerlichen Führungen von Tito, Mao und Castro bis zur algerischen FLN (Front de Libération Nationale, Nationale Befreiungsfront)“ (42) darstellen, wird im Manifest nicht deutlich. Sie vergisst hierbei auch die starken Annäherungen vieler trotzkistischer Strömungen an die sozialdemokratischen sowie stalinistischen/maoistischen Führungen.

Obwohl die FT die Degeneration der 4. Internationale sieht, fand ihrer Meinung nach dies in einem Rahmen statt „der von dem Bruch der revolutionären Tradition geprägt war, (…) einige korrekte Auseinandersetzungen und programmatische Errungenschaften statt, die gewisse Fäden der Kontinuität aufrechterhielten, auch wenn diese sich immer weiter verdünnten, bis sie während der neoliberalen Offensive und der kapitalistischen Restauration fast rissen.“ (43)

Die Leser dürften sich hierbei jedoch wundern, wie korrekte Auseinandersetzungen und programmatische Errungenschaften erzielt werden können, wenn die gesamte Entwicklung vom Bruch der revolutionären Tradition geprägt war. Dieser Widerspruch wird auch nicht aufgehoben, indem sich die FT über die von ihr angesprochenen kontinuierlichen Fäden ausschweigt. Auch in einem weiteren Text von Emilio Albamonte (44), in welchem sich die FT das letzte Mal ausgiebiger mit der Frage des Wiederaufbaus der 4. Internationale beschäftigte, kann nichts über die von ihr angesprochenen „Fäden“ gefunden werden. Es wäre jedoch sehr hilfreich zu erfahren, was sich die FT unten diesen Fäden der Kontinuität vorstellt, da diese doch für ihr Konzept des „Wiederaufbaus der 4. Internationale“ wichtige Leitsätze darstellen und somit in einer „Bewegung für eine Internationale der sozialistischen Revolution (Vierte Internationale)“ debattiert werden sollten, sofern sie überhaupt existieren sollten.

Wir haben längere theoretische Artikel unserer Analyse der Degeneration des Trotzkismus gewidmet, die grundlegende Positionen unserer internationalen Strömung wiedergeben. Diese Artikel sind in der Broschüre „Der Letzte macht das Licht aus“ zu finden und werden hier nicht weitergehend ausgeführt (45). Wir verweisen jedoch auf unser Programm, um kurz und bündig unsere Position der Degeneration der IV. Internationale zu erläutern und warum wir es für nötig erachten, die Wiedererarbeitung und somit den Aufbau einer neuen Internationalen anzugehen:

„Während unser Programm in seinem Zentrum ähnlich dem Programm von 1938 ein zugespitztes Aktionsprogramm enthält, ist es heute aber auch notwendig, Probleme anzusprechen, die in diesem Dokument nicht behandelt wurden. Als wiedererarbeitetes Programm muß es der Tatsache ins Auge sehen, daß die Kontinuität der marxistischen Bewegung 1951 mit der Degeneration der Vierten Internationale in den Zentrismus unterbrochen wurde. Eine Periode von vier Jahrzehnten ist seit dieser Degeneration verstrichen. Die Fragen der Perspektiven, der Taktik und der Strategie wurden während dieser vierzig Jahre niemals in einer revolutionären Weise analysiert, geschweige denn in einem konsequent revolutionären Programm beantwortet.“ (46)

Es reicht jedoch nicht darzulegen, wie die höchste Form des Bewusstseins ausgesehen hat und wie sie verloren wurde. RevolutionärInne müssen auch darlegen, wie ein solches wieder in die Klasse getragen werden kann.

In der kapitalistischen Gesellschaft – wie in jeder anderen Gesellschaft auch – muss das grundlegende Bewusstsein das der herrschenden Klasse sein, weil sich ansonsten eine Gesellschaft, in welcher sich eine kleine Minderheit als herrschende Klasse der Mehrheit der Gemeinschaft gegenüberstellt, als nicht stabil erweisen würde. Hierzu zitieren wir aus Lenins Werk „Was tun? – Brennende Fragen unserer Bewegung“, wo er anhand eines Kautskyzitats hervorragend herausarbeitet, wie ein sozialistisches Bewusstsein nicht aus der proletarischen Klasse selbst entstehen kann, sondern in sie hineingetragen werden muss:

„Denn es heißt da: ‚Je mehr die Entwicklung des Kapitalismus das Proletariat anschwellen macht, desto mehr wird es gezwungen und befähigt, den Kampf gegen ihn aufzunehmen. Es kommt zum Bewußtsein der Möglichkeit und Notwendigkeit des Sozialismus etc. In diesem Zusammenhang erscheint das sozialistische Bewußtsein als das notwendige direkte Ergebnis des proletarischen Klassenkampfes. Das ist aber falsch. Der Sozialismus als Lehre wurzelt allerdings ebenso in den heutigen ökonomischen Verhältnissen wie der Klassenkampf des Proletariats, entspringt ebenso wie dieser aus dem Kampfe gegen die Massenarmut und das Massenelend, das der Kapitalismus erzeugt; aber beide entstehen nebeneinander, nicht auseinander, und unter verschiedenen Voraussetzungen. Das moderne sozialistische Bewußtsein kann nur erstehen auf Grund tiefer wissenschaftlicher Einsicht. In der Tat bildet die heutige ökonomische Wissenschaft ebenso eine Vorbedingung sozialistischer Produktion wie etwa die heutige Technik, nur kann das Proletariat beim besten Willen die eine ebensowenig schaffen wie die andere; sie entstehen beide aus dem heutigen gesellschaftlichen Prozeß. Der Träger der Wissenschaft ist aber nicht das Proletariat, sondern die bürgerliche Intelligenz (hervorgehoben von K. K.); in einzelnen Mitgliedern dieser Schicht ist denn auch der moderne Sozialismus entstanden und durch sie erst geistig hervorragenden Proletariern mitgeteilt worden, die ihn dann in den Klassenkampf des Proletariats hineintragen, wo die Verhältnisse es gestatten. Das sozialistische Bewußtsein ist also etwas in den Klassenkampf des Proletariats von außen Hineingetragenes, nicht etwas aus ihm urwüchsig Entstandenes.“ (47)

Auch wenn sich die FT in ihrem Manifest zur Fragestellung des Bewusstseins der Klasse ausschweigt, äußert sie sich an einer anderen Stelle dazu äußerst antileninistisch, ganz im Gegensatz zum typisch formal-orthodoxen Gewand der FT-GenossInnen. Sie stellt sich gegen Lenin und behauptet, revolutionäres Bewusstsein muss nicht nur von außen in die Klasse getragen werden, sondern kann auch spontan aus ihr selbst heraus entstehen. Hierbei versuchen sie Trotzki als Unterstützer dafür zu verwenden und machen den Revisionismus perfekt:

„Trotzki wird ein Fortführer des ‚reifen‘ Bolschewismus sein, der nach der Erfahrung mit den ersten ArbeiterInnenräten 1905 die These aus ‚Was tun?‘ von Lenin korrigierte, nach der das Klassenbewusstsein nur ‚von außen‘ in die ArbeiterInnenbewegung hereingetragen werden könne. Was die Beziehung zwischen Sowjet und Partei angeht, sagte er, auf die Erfahrungen der russischen Revolution gestützt: ‚Es wäre ein offener Fehler, die Stärke der bolschewistischen Partei mit der Macht der von ihr geleiteten Sowjets zu identifizieren: die letztere war um vieles beträchtlicher, jedoch ohne die erste hätte sie sich in Ohnmacht verwandelt.‘ Davon ausgehend wurde er ein überzeugter Anhänger der Idee einer leninistischen Kampfpartei.“ (48)

Die FT als internationale Strömung beweist hier ein schlechtes Verständnis von historischen Prozessen und ihren Analysen. Sie wirft hier zwei unterschiedliche historische Zeiten und Umstände durcheinander, stellt diese gegeneinander und versucht dadurch, ihren antileninistische Kurs in Bezug auf die Bewusstseinsbildung und damit im Umkehrschluss ihre Passivität und ihr Sektierertum im politischen Klassenkampf gegenüber reformistischem und zentristischem Bewusstsein innerhalb der ArbeiterInnenklasse zu rechtfertigen. Wenn revolutionäres Bewusstsein auch spontan aus der Klasse entstehen kann, muss der politische Kampf gegenüber den Teilen, die am meisten der Entstehung von revolutionärem Bewusstsein entgegenarbeiten, auch nicht aufgenommen werden. Die Passivität wird somit entschuldigt und man versucht mit Hilfe von Trotzkizitaten  dies in ein „revolutionäres“ Gewand zu hüllen.

Lenin schrieb, wie oben schon angesprochen, im Jahre 1902. In dieser Zeit stellten die revolutionären Kräfte in Russland die Minderheit dar und mussten sich im Kampf gegen reformistische und kleinbürgerliche Einflüsse auf das Bewusstsein der ArbeiterInnen vorbereiten. Er entwickelte eine Antwort darauf, wie marginalisierte RevolutionärInnen in Russland 1902 (vergleichbar mit der Situation von RevolutionärInnen in der heutigen Zeit) ohne starke Verankerung in der ArbeiterInnenklasse revolutionäres Bewusstsein schaffen und dieses in die Klasse tragen und dort verankern könnten.

Das von der FT verwendete Zitat von Trotzki um gegen Lenin ins Gefecht zu ziehen, stammt aus „Die Geschichte der Russischen Revolution“ (49)  und beschäftigte sich mit dem Verhältnis zwischen der bolschewistischen Partei und den in den russischen Sowjets organisierten ArbeiterInnen im Zuge des Oktoberaufstandes 1917,  einer Zeit, in welcher die Bolschewiki im langen und zähen Kampf reformistisches und kleinbürgerliches Bewusstsein – verkörpert in Form der Menschewiki, Sozialrevolutionären, etc. – innerhalb der russischen ArbeiterInnenklasse bekämpften und die Führung in der russischen ArbeiterInnenklasse erobern konnten, was schlussendlich den Ausdruck eines hohen Grades an revolutionärem Bewusstsein innerhalb der russischen ArbeiterInnenklasse darstellte. In einer solchen Situation, in welcher die ArbeiterInnen revolutionäres Bewusstsein erlangt haben, es Massenorgane der Klasse gibt, die es der Klasse ermöglichen, eine Klasse für sich selbst zu sein und ihre Leitung selbst in die Hand zu nehmen, kann durchaus davon ausgegangen werden, dass revolutionäres Bewusstsein auch selbst aus der Klasse heraus vorangetrieben und aufrechterhalten werden kann. Trotzki jedoch in den Mund legen zu wollen, er hätte damit grundlegend die These von Lenin korrigiert, ist ein unhaltbarer revisionistischer Fehler von Seiten der FT-GenossInnen und auch historisch-materialistisch nicht sauber durchdacht – werfen sie doch hier zwei, historisch und objektiv, betrachtet unterschiedliche Situationen durcheinander, in welchen sich die russischen RevolutionärInnen jeweils befanden.

Das FT-Zitat muss man schon an den Haaren herbeiziehen, um Lenins Konzeption aus „Was tun?“ zu „korrigieren“. Trotzki sagt lediglich, dass für eine siegreiche Revolution eine revolutionäre Partei und eine in Doppelmachtstrukturen organisierte Gesamtklasse erforderlich seien. Aber auch hier muss die Partei führen, sonst verpufft die Revolution. Sie muss für ihr Programm, das Ziel der Diktatur des Proletariats Mehrheiten in den Räten finden. Das kann nur erfolgreich sein, wenn sie es in Taktik übersetzt und in die Doppelmachtorgane hineinträgt. Misslingt dies, scheitert die proletarische Revolution!

Es war der junge Trotzki, nicht der „reife“, der Lenins Organisationskonzept 1904 in „Unsere politischen Aufgaben“ als substitutionalistisches kritisierte, in dem die Organisation der Berufsrevolutionäre so hingestellt wird, als solle sie eine „jakobinische Diktatur“ über die ArbeiterInnenklasse ausüben, sie als revolutionäres Subjekt ersetzen (50).

Isaac Deutscher unterzieht Trotzkis Schrift einer gründlichen Kritik (51). Der „reife“ Trotzki selbst schreibt zu dieser Kontroverse mit Lenin:

„Aus dieser meiner Empörung ergab sich der Bruch mit Lenin auf dem zweiten Kongreß. Sein Verhalten erschien mir unzulässig, schrecklich, empörend. Es war aber dennoch politisch richtig, folglich auch organisatorisch notwendig. Der Bruch mit den Alten, die in der vorbereitenden Periode verharrten, war auf jeden Fall unvermeidlich. Lenin hatte dies früher als die anderen erkannt…Meine Trennung von Lenin erfolgte also gleichsam auf ‚moralischem‘, ja sogar auf persönlichem Gebiet. Doch schien es nur äußerlich so. Im Grunde hatte unser Auseinandergehen einen politischen Charakter, der nur auf organisatorischem Gebiet nach außen durchbrach…Der Leninsche Zentralismus ergab sich für mich noch nicht aus einer klaren, selbständig durchdachten revolutionären Konzeption…In jenen noch ziemlich unklaren Stimmungen, die sich um die Fahne der ‚Iskra‘ gruppierten, vertrat Lenin voll und restlos den morgigen Tag mit all seinen ernsten Aufgaben, grausamen Zusammenstößen und unzähligen Opfern.“ (52)

Und in „Die permanente Revolution“ stellt er den Zusammenhang zwischen seinem Versöhnlertum mit dem Menschewismus und seiner Überbewertung revolutionärer Massenspontaneität, damit aber auch der Unterschätzung der Rolle der revolutionären Partei her:

„Mein Versöhnlertum entstammte einem gewissen sozial-revolutionären Fatalismus. Ich glaubte, die Logik des Klassenkampfes werde beide Fraktionen zwingen, die gleiche revolutionäre Linie zu verfolgen. Mir war damals der große historische Sinn der Haltung Lenins noch unklar, seiner Politik der unversöhnlichen geistigen Abgrenzung und, wenn nötig, Spaltung zum Zwecke der Vereinigung und Stählung des Rückgrates der wahrhaft proletarischen Partei…Indem ich die Einheit um jeden Preis anstrebte, mußte ich unwillkürlich und unvermeidlich die zentristischen Tendenzen im Menschewismus idealisieren.“ (53)

Eine Neuauflage von „Unsere politischen Aufgaben“ wurde ausdrücklich nicht in die russische Ausgabe von Trotzkis Werken übernommen, er hat dies nicht autorisiert. (54)

Trotzkis grundlegender Wandel in der Übernahme der leninistischen Parteikonzeption ab 1917 wird auch an anderer Stelle belegt (55) und lässt an der Kritik der FT kein Haar übrig. Vielmehr ist es ihr workeristisches Parteiverständnis, sodass sie die Kritik am Trotzki von 1904 und 1915 („Unsere politischen Aufgaben“, „Der Kampf um die Macht“) auf sich selbst beziehen müsste.

Kontinuität und Wandel in der leninistischen Parteikonzeption sehen wir wie folgt:

„Lenins Auffassung zur Organisationsfrage und der Rolle der Avantgardepartei legte den Grundstein für eine Politik, die in ihrer Einschätzung der Entwicklung von Bewusstsein, in der steten Auseinandersetzung mit dem vorherrschenden Bewusstsein in der Arbeiter/innen/schaft und gegen den menschewistischen Opportunismus, in der Lage war, eine Organisation herauszubilden, die – bei zahlreichen Fehltritten – schließlich 1917 zur Führung der Revolution in der Lage war. Was tun? Kennzeichnet dabei keineswegs die ‚Leninsche Parteiauffassung’…Lenins Verhältnisbestimmung von umfassenden Arbeiter/innen/organisationen und revolutionärer Organisation änderte sich entsprechend der veränderten Bedingungen, ohne die prinzipielle Notwendigkeit der bewussten Führung durch die fortgeschrittensten Elemente der Klasse über Bord zu werfen.“ (56,)

Was ist jedoch die praktische Schlussfolgerung daraus? Obwohl die FT ebenfalls von der Fragmentierung der ArbeiterInnenklasse sowie der Marginalisierung der RevolutionärInnen spricht, begeht sie dennoch den Fehler, Lenin zu „korrigieren“ und behauptet, dass revolutionäres Bewusstsein nicht von außen in die Klasse getragen werden, sondern dies durch die Organisierung der ArbeiterInnenavantgarde von innen geschehen muss.

Auch wenn sie nicht klar darstellt, wie nun genau revolutionäres Bewusstsein ihrer Meinung nach entstehen kann, ist es wichtig, an diesem Punkt ihre antileninistische Position aufzuzeigen und vor allem zu unterstreichen, was diese Aussage impliziert. Sie impliziert, dass revolutionäres Bewusstsein aus der Klasse selbst entstehen kann. Das bedeutet auch, dass es  nicht als notwendig erachtet wird, den Kampf und die Auseinandersetzung mit reformistischen und zentristischen Strömungen innerhalb der Klasse zu suchen, voranzutreiben und zuzuspitzen. Diese Einflüsse können links liegen gelassen werden, während man sich selbst im Sektierertum suhlt. Es wird stattdessen passiv auf einen spontan-revolutionären Sektor in der ArbeiterInnenklasse gewartet, welcher noch nie in Berührung mit reformistischen oder zentristischen Organisationen der Klasse gekommen und von diesen „unabhängig“ ist. Die deutsche Sektion der FT – die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO) – sieht in dieser Logik diese spontan-revolutionäre Vorhutschicht derzeit vor allem  in den ArbeiterInnen von Amazon oder dem Botanischen Garten in Berlin, welche auf ihrem unbewussten Weg zu revolutionärem Bewusstsein unterstützt und auf ihre Fusion mit der revolutionären Organisation/Partei vorbereitet werden sollen.

Wie windet sich jedoch die FT nun aus dieser antileninistischen Analyse heraus, um sich weiter trotzkistisch-revolutionär zu geben? Anstatt einen Fokus auf das Bewusstsein der Klasse zu setzen und Strategien und Taktiken anzuwenden, welche notwendig sind, um die unweigerliche reformistische und zentristische Prägung ihres Bewusstseins herauszufordern, fokussiert sich die FT in ihrem Manifest wie auch in ihren theoretischen Schriften mehr auf die Hegemonie des Kapitals, welche die Klasse im Griff hält, statt auf das vorherrschende proletarische Bewusstsein.

Avantgarde – was ist das?

Wenn von einer Führungskrise gesprochen wird, muss auch ausgeführt werden, was eigentlich zur Überwindung dieser Krise geschehen muss und dadurch erreicht werden soll. Als Organisationen mit revolutionärem Anspruch stellt der Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei für die FT wie auch für unsere internationale Strömung das notwendige Mittel zur Lösung der proletarischen Führungskrise dar. Wir schreiben hierzu in unserem Trotzkistischen Manifest:

„Sogar in seiner Todeskrise wird der Kapitalismus nicht von selbst verschwinden. Er muß bewußt durch die Arbeiterklasse gestürzt werden. Dazu ist die Bildung einer neuen revolutionären Vorhut notwendig, die einen bewußten strategischen Plan, ein Programm und eine proletarische Avantgardepartei braucht.“ (57)

Was ist jedoch diese ominöse Avantgarde? Wie wird eine solche Avantgardepartei aufgebaut? Besteht sie nur aus den schon „revolutionären“ Teilen der Klasse oder gibt es Teile der ArbeiterInnenbewegung, welche eine gewisse Avantgardeposition einnehmen, obwohl sie (noch) nicht voll von einem revolutionären Programm überzeugt sind oder es sich selbst erarbeitet haben? Da in unserem Programm wie auch im Manifest der FT von Avantgarde gesprochen wird, ist es wichtig zu verstehen, wie die unterschiedlichen Organisationen den Begriff der Avantgarde fassen. Wir haben hierzu in unserer letzten RM-Ausgabe einen Artikel mit einer kurzen Analyse und Beschreibung unseres Verständnisses von Avantgarde veröffentlicht (58).

Von Seiten der FT ist uns aus ihrem Manifestvorschlag sowie aus ihren theoretischen Schriften und Publikationen wenig Konkretes über ihr Verständnis von Vorhut bekannt. Daher bleibt uns nichts anderes übrig, als Vermutungen darüber anzustellen, was für sie die Avantgarde der Klasse darstellt, und zu versuchen, diese Vermutung mit ihrer Praxis zu belegen. Aufgrund ihrer morenistischen Vergangenheit (59) liegt es nahe, sich zuerst mit dem Avantgardekonzept von Moreno auseinanderzusetzen und zu untersuchen, inwiefern dieses Konzept von der FT noch geteilt wird.

Moreno entwickelt einen sehr einseitigen, verkürzten Begriff von Avantgarde der Klasse. Sie entsteht in den einzelnen Kämpfen und Auseinandersetzungen des Klassenkampfes und verschwindet wieder, wenn diese nachlassen. Diese Avantgarde verlässt die Kämpfe entweder und hört damit auf, eine solche zu sein, oder sie schließt sich einer Partei oder Organisation an. Nur wenn sie sich einer revolutionären Organisation/Partei anschließt, stellt sie weiterhin die Avantgarde dar. Sollte sie sich einer reformistischen, populistischen, etc. Organisation anschließen, verliert sie ebenfalls ihren Avantgardecharakter. Was an dieser Aussage bzw. Charakterisierung von Moreno unserer Meinung nach richtig ist, ist, dass wir von einer bewusst revolutionären Klassenvorhut nur dann sprechen können, wenn sie sich in einer revolutionären Partei – einer bolschewistischen Partei – zusammenschließt. Nur dann ist die Avantgarde dazu in der Lage, ihre historische Aufgabe zu erfüllen, die ArbeiterInnenklasse als Ganze und alle Unterdrückten im Kampf gegen das bürgerliche System anzuführen und die Bildung der Diktatur des Proletariats anzuleiten.

Aber auch dann reicht es nicht aus, wenn die Avantgarde dies über sich selbst weiß. Damit die revolutionäre Partei als Partei der Avantgarde wirken kann, muss sie den rückständigen Teilen der Klasse in der Praxis beweisen können, Kämpfe anführen zu können, die Rolle der Avantgarde auch wirklich auszufüllen. Eine alleinige Proklamation zur Avantgarde (wie z. B. von den stalinistischen Parteien ab Beginn der „3. Periode“) reicht nicht aus. Die Avantgarde stellt eine Beziehung zur der Klasse dar, nicht nur eine Eigenschaft.

Wir erkennen natürlich, dass in jedem Streik Avantgardeelemente entstehen bzw. in Bewegung kommen können, denken jedoch, dass die Charakterisierung Morenos hier viel zu eng gefasst wird und hauptsächlich nur die Teile der Avantgarde einbezieht bzw. auf diese zugehen möchte, welche sich derzeit in ökonomischen Kämpfen befinden. Laut seiner Definition ist die Avantgarde nämlich keine mehr, sobald sie sich einer reformistischen oder zentristischen Organisation/Partei anschließt; somit würden auch ArbeiterInnen anderer politischer Organisationen außer der eigenen oder denen, die als subjektiv revolutionär charakterisiert werden, nicht dazugehören.

Wie oben schon angesprochen, ist das dominante Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse im Kapitalismus ein bürgerliches. Auch wenn Kämpfe entstehen, wenn ArbeiterInnen also gezwungen werden, sich zusammenzuschließen, um für ihre direkten Interessen einzustehen, stellt ihr „spontanes“ Bewusstsein eine Form bürgerlichen Bewusstseins dar – ein nur-gewerkschaftliches. Der Reformismus stellt eine Art „Verlängerung“ dieses Bewusstseins in die politische Sphäre der ArbeiterInnenbewegung hinein dar, ist jedoch im Vergleich zum „Nur-Gewerkschaftertum“ einen Schritt weiter, erkennt dieser – auch wenn weiterhin im bürgerlichen Bewusstsein befangen – an, dass die ArbeiterInnenklasse nicht nur den ökonomischen, sondern auch den politischen Kampf gegen den Kapitalismus aufnehmen muss.

Wenn die ArbeiterInnenklasse in Kämpfe gezwungen wird, wird sie generell mit den Widersprüchen der kapitalistischen Gesellschaft konfrontiert und es besteht die Möglichkeit, dass ihr Bewusstsein aufgebrochen wird und Teile der in Bewegung geratenen ArbeiterInnen nicht nur die Widersprüche in der Gesellschaft, sondern auch innerhalb ihres Bewusstsein erkennen und nach revolutionären Lösungen und Antworten suchen. In solchen Situationen bilden die Avantgarde diejenigen, die nicht nur die Kämpfe anführen, sondern auch diejenigen, die „spontan“ dahingehend treiben, die Natur ihrer Auseinandersetzung mit dem System zu verstehen, die danach streben die Probleme, vor denen sie stehen, zu begreifen, ihre Erfahrungen zu vereinheitlichen und, davon ausgehend, anhaltende politische Rückschlüsse zu ziehen.

Es besteht somit nicht nur eine ökonomische oder gewerkschaftliche Avantgarde innerhalb der ArbeiterInnenklasse, sondern es gibt auch politisch bewusstere ArbeiterInnen, welche sich in bestimmten Parteien organisieren oder sich diesen anschließen werden – auch wenn diese reformistisch sind und ihnen keine schlussendlichen Lösungen für ihre aufgeworfenen Fragen geben können. Das Erstarken reformistischer oder „neu-reformistischer“ Kräfte in Europa im Zuge der Wirtschaftskrise zeigt dies deutlich an. Nicht nur suchen die ArbeiterInnen nach einer „spontan“ ökonomischen Antwort auf ihre Fragen, sondern auch nach einer politischen (wenn auch reformistischen) Antwort.

Was sagt nun die FT zu all dem? Wie oben schon erwähnt, gibt es nach unserem Wissen keine Veröffentlichung der FT, in welcher ihr Verständnis von Avantgarde klar und deutlich dargelegt wird (so wie wir es z. B. im RM 47 getan haben), bzw. inwiefern sie sich noch auf die morenistische Definition bezieht, nach ihrem Bruch mit diesem. Beim Lesen ihrer Publikationen, in welchen Begriffe wie „Avantgarde“ auftauchen und ihre derzeitige Lage bzw. Beeinflussung dargestellt werden (60, 61), kann der Eindruck entstehen, sie teile immer noch die Definition Morenos. So können wir in diesen Schriften Passagen finden wie: „(…), wenn Avantgardeschichten auftauchen (…)“, „Der wichtigste Prozess in den imperialistischen Ländern ist die Entstehung neuer ArbeiterInnen- und Jugendavantgarden(…)“, „(…) aus der Verschmelzung der am weitesten entwickelten Schichten der Avantgarde der ArbeiterInnen und Jugend mit dem revolutionären Marxismus.“ (62, Übersetzung des Autors) oder „Das Aufkommen neuer Avantgarden bestehend aus tausenden von AktivistInnen, wirft die Notwendigkeit zur Bildung einer revolutionären Avantgardepartei auf, (…)“ (63, Übersetzung des Autors). All diese Zitate weisen deutlich die Nähe der FT zum morenistischen Avantgardekonzept auf: einer Avantgarde, die in Kämpfen neu entsteht und die Notwendigkeit aufzeigt, eine revolutionäre Partei aufzubauen, welcher sich jene anschließen kann. Politische Formationen der Vorhut bzw. Umgruppierungen dieser werden von der FT nicht als  solche tituliert. Daher unsere Schlussfolgerung – alter morenistischer Wein in neuen „orthodoxen“ FT-Schläuchen.

Was hat dies jedoch für eine Auswirkung auf die Praxis der FT? Wie oben schon erwähnt, führt die morenistische Definition von Avantgarde unweigerlich zur Hervorhebung des ökonomischen Kampfes – in den Ökonomismus. Die politischen Entwicklungen innerhalb der Klasse können somit außer Acht gelassen und nur passiv-propagandistisch bis sektiererisch behandelt werden. Vor allem verbunden mit den oben ausformulierten Unterschieden zur Bewusstseinsbildung zwischen uns und der FT unterstreicht dieser Punkt nur noch deutlicher den tiefsitzenden Ökonomismus und damit Zentrismus der FT und wie, ausgehend von ihrem Avantgardekonzept und Bewusstseinskonzept, ihre Passivität und Sektierertum zu den politischen Entwicklungen innerhalb der Klasse von ihr theoretisch „entschuldigt“ werden.

Kampf für eine revolutionäre Partei – auf welcher Basis?

Wie auch wir bejaht die FT in ihren schriftlichen programmatischen Grundlagen, dass eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei eine Partei der Avantgarde darstellen soll. Auf welcher Basis soll nun aber eine solche Partei aufgebaut werden? Und was haben die oben veranschaulichten Unterschiede im Bezug zur Bewusstseinsbildung und dem Avantgardeverständnis für Auswirkungen auf die Beantwortung dieser Frage?

Für uns ist die Basis einer revolutionären Partei ein revolutionäres Programm. Ein Programm, welches aus den Kämpfen der ArbeiterInnenklasse hervorgeht und, kurz gesagt, die Zusammenfassung kollektiver Erfahrungen darstellt, welche mit Lösungsansätzen und Vorschlägen an Handlungsmöglichkeiten zur Erreichung der gesteckten Ziele – dem revolutionären Umbruch und der Errichtung der Diktatur des Proletariats – verbunden sind. Inwiefern hier praktisch in die Praxis des Klassenkampfes eingegriffen werden kann, hängt vor allem vom Stadium des Parteiaufbaus ab, in welchem sich eine revolutionäre Organisation befindet. Durch die starke Marginalisierung von RevolutionärInnen befinden sich alle derzeit subjektiv als revolutionär verstehende Organisationen im Stadium „kämpfender Propagandagruppen“: einem Stadium, in welchem sich die Sektionen unserer Strömung, aber auch die Sektionen der FT – mit der möglichen Ausnahme der PTS in Argentinien als kleiner Kaderpartei – befinden. In einem solchen Stadium ist die Teilnahme an allen praktischen Aufgaben, welche der Klassenkampf aufwirft, nicht möglich. In diesem Stadium ist es unumgänglich, ein revolutionäres Programm zu erarbeiten (für uns unsere programmatischen Texte), das einerseits propagiert wird und andererseits exemplarisch in allen Ebenen des Klassenkampfes (ökonomisch, politisch und ideologisch) als Anleitung zum Handeln dient. Unser Verständnis einer kämpfenden Propagandagruppe sowie der Methoden und Grundsätze ihrer Organisierung haben wir in unseren „Thesen zu den ersten Stadien des Parteiaufbaus“ sowie den „Methoden und Grundsätze der kommunistischen Organisation“ ausformuliert (64, 65).

Aus einer Polemik von RIO (der deutschen Sektion der FT) geht ihr Verständnis von Programm deutlich hervor (66). Diese Ausformulierung von RIO offenbart ihr Programmverständnis, somit einen weiteren erheblichen Unterschied zwischen unseren beiden Strömungen. Für sie ist es: „(…) überhaupt nicht ausreichend, sich nur mit diesem kurzen Schriftstück (dem geschriebenen Programm (Anmerkung des Autors)) auseinanderzusetzen. Leo Trotzki erklärte immer wieder, dass das ‚Programm‘ einer Organisation sich nicht auf ihre schriftliche Plattform beschränkt, sondern ihre gesamte politische Tätigkeit umfasst. Eine Diskussion ausschließlich auf der Grundlage eines einzigen Programmdokuments lehnte Trotzki als ‚rein formal, leblos, nicht politisch und nicht revolutionär‘ ab.“ (67)

Auch wenn dieses Trotzkizitat fesch daher kommt, ist es doch aus dem Zusammenhang gerissen, da das Programm einer Organisation nur im Stadium einer Partei mit Massenanhang vollkommen in ihrer gesamten politischen Tätigkeit aufgehen und getestet werden kann, in dem eine Organisation die Möglichkeit hat zu jeglichen Fragestellungen, die in einer Gesellschaft auftreten, Stellung zu beziehen und Aktivitäten zu entfalten. Aber auch dann ist die Praxis von der schriftlichen Programmatik, dem Leitfaden für alle Aktivitäten der Partei, abhängig und nicht ihr gleichgestellt, wie die RIO-GenossInnen uns erklären wollen.

Über die Bedeutung des Organisationsprogramms lässt Trotzki keine Zweifel – im Gegensatz zu RIO:

„Das Programm zuerst! Massenorgan? Revolutionäre Aktion? Umgruppierung? Communen überall? Sehr gut, sehr gut…Aber das Programm zuerst! Ihre politischen Pässe, meine Herren! Und bitte keine falschen, die richtigen! Sie haben keine? Dann lassen sie uns zufrieden!“ (68)

„Die Annahme dieses Programms, die durch eine ausführliche vorangegangene Diskussion – oder besser, durch eine ganze Reihe von Diskussionen – vorbereitet und gesichert worden war, ist unsere wichtigste Errungenschaft.“ (69)

Die oben genannte exemplarische Teilnahme am Klassenkampf ist daher so wichtig, da durch sie die Richtigkeit aber auch die möglichen Fehler im Programm aufgezeigt werden und zur Weiterentwicklung dessen führen können. Diese Weiterentwicklung ist auf allen Ebenen des Klassenkampfes (der ökonomischen, politischen und ideologischen) nur dann möglich, wenn sich eine kämpfende Propagandagruppe zu den wichtigsten Fragen des (internationalen) Klassenkampfes verhält.

In ihrer Polemik wirft uns RIO vor, wir würden als Strömung zu Entwicklungen in Griechenland, Spanien und der Türkei abstrakt Lösungsansätze propagieren, welche wir jedoch wegen fehlender Verankerung nie in der Praxis testen können. Auch wenn wir selbst wissen, dass wir in Griechenland, Spanien und der Türkei keinen organischen Einfluss in Form einer Sektion besitzen, heißt es noch lange nicht, dass eine Auseinandersetzung mit den Entwicklungen des Klassenkampfes auf internationaler Ebene nicht von hoher Bedeutung für RevolutionärInnen in jedem Land ist. Auch wenn nur auf der ideologisch-programmatischen Ebene des Klassenkampfes von uns hier Erfahrungen gesammelt werden können, ist und bleibt dies immer noch der richtige Schritt. RIOs Aussage würde uns hier zu Passivität, Abwarten und abstrakter Propaganda verdammen. Außerdem enthält sie sich keineswegs Aussagen zu Ländern, in denen die FT keine Sektion besitzt. Das Verdikt dieser „Erleuchteten“ richtet sich lediglich gegen andere Organisationen, die dies zu unternehmen wagen! Ihre „Lösungsansätze“ zeichnen sich zudem im Vergleich zu unseren erst recht durch dürftige Abstraktionen unter dem Mantra der „Klassenunabhängigkeit“ aus (siehe unsere Kritik an ihren Positionen im ukrainischen Bürgerkrieg in RM 46 und 47).

Auch in unserem Stadium des Parteiaufbaus steht die Praxis auf allen Ebenen des Klassenkampfes in einem direkten Verhältnis zum Programm und verhindert somit, dass es „rein formal, leblos, nicht politisch und nicht revolutionär“ ist. Die Praxis muss hier unweigerlich auf eine programmatische Grundlage gestellt werden und kann nicht auf gleicher Ebene wie das schriftliche Programm stehen bzw. sich zusammen mit ihm zu einer abstrakten, nicht näher definierbaren und vor allem nicht überprüfbaren Form – wie von RIO behauptet – verschmelzen. Im Grunde genommen schiebt die deutsche Sektion der FT in ihrer Polemik gegen uns das Programm nach hinten und stellt sich gegen Trotzkis Aussage, dass das Programm einer Organisation immer an erster Stelle stehen müsse.

Die Ansicht von RIO bzw. der FT in Bezug auf das Verhältnis zwischen Praxis und Programm birgt jedoch viele Gefahren und bereitet ultralinke und sektiererische, aber auch opportunistische Handlungen vor. Wenn das Programm alles miteinschließt (das schriftliche Programm, jede organisierte Demonstration, gehaltene Rede oder geschriebenen Artikel) wird jede Scheidung zwischen Programm, Theorie, Propaganda, Agitation, also Formen zur Verbreiterung des Programms, dessen Anwendung und Vermittlung, nutzlos. Nehmen wir dann auch noch Demonstrationen, Aktivitäten der Gruppe hinzu, ist das Programm also nicht nur eine Anleitung zum Handeln, sondern das Handeln selbst, dann wird auch jede Scheidung zwischen der Aktivität einer Gruppe, ihrer Verallgemeinerung im Programm usw. letztlich sinnlos, der Begriff des Programms so umfassend, dass er nichts Bestimmtes mehr aussagen kann.

Die opportunistische Konsequenz zeigt sich dabei darin, dass dem spontanen Bewusstsein der ökonomischen Avantgarde schon ein revolutionäres Bewusstsein im Werden zugesprochen wird, dass daher das Programm für diese durchaus abgeschwächt werden kann, wie wir weiter unten bei der FIT in Argentinien sehen werden.

Die sektiererische Konsequenz dieser Auffassung zeigt sich bei RIO/FT, wenn es um politische Umgruppierungsprozesse geht. Diese werden ja als außerhalb der „Avantgarde“ betrachtet. Daher haben politische Abkommen, Plattformen, Blöcke zwischen solchen Gruppen für RIO/FT schon per se einen opportunistischen Charakter (letztlich unabhängig vom Inhalt dieser Programme).

Auch wenn die NaO gescheitert ist (siehe Artikel von Wilhelm Schulz in dieser Ausgabe), verwenden wir hier Beispiele aus NaO-Kampagnen, anhand derer die sektiererische Haltung RIOs deutlich wurde. Die NaO hatte unterschiedliche Kampagnen initiiert wie z. B. zur Ukraine, zu den revolutionären Erster-Mai-Demonstrationen in Berlin 2014 sowie 2015, aber vor allem die „Solidarität mit Rojava! Waffen für die YPG/YPJ!“-Kampagne, welche auf bundesweite wie in gewissem Maße auch auf internationale Resonanz stieß.

RIO weigerte sich jedoch an allen diesen Kampagnen teilzunehmen. Die Teilnahme am Internationalistischen Block 2015 wurde abgelehnt auf Grund des fehlenden Fokus auf den Klassenkampf in Deutschland. Der Internationalistische Block – organisiert von der NaO – würde einen falschen Schwerpunkt damit setzen, Themen wie Rojava, die Ukraine oder Griechenland in den Vordergrund zu stellen. Die damals stattfindenden Streikauseinandersetzungen in Deutschland hätten im Brennpunkt des Blockes zu stehen eher verdient. Somit lief RIO alleine in ihrem eigenen Block, anstatt sich mit 4000 TeilnehmerInnen den wohl wichtigsten Thematiken im jüngeren internationalen Klassenkampf zu widmen. Dass für RevolutionärInnen in einem imperialistischen Land wie Deutschland solche Themen, hervorgebracht durch die zunehmenden innerimperialistischen Auseinandersetzungen, keinen Fokus darstellen, sondern sektiererisch übergangen werden sollen, kann nur dann verstanden werden, wenn man wie die RIO-GenossInnen auf revolutionär „lupenreine“ Praxis setzen muss.

Auch bei der Rojava-Kampagne tat sich RIO sektiererisch hervor und verkleidete dies mit revolutionären Phrasen. Anstatt sich dieser fortschrittlichen und militanten Kampagne anzuschließen, wurde dies abgewiesen mit der Begründung, die Forderungen nach Aufhebung des PKK-Verbots, nach einem Generalstreik in der Türkei sowie das Angebot einer Programmdiskussion an die kurdischen und türkischen ArbeiterInnen seien wichtiger als die Forderung nach Waffen: „Der kurdische Widerstand braucht Waffen, um zu kämpfen und zu siegen, aber vor allem braucht er ein Programm, das sowohl dem IS als auch dem Assad-Regime seine soziale Basis entreißt.“ (70). Auch hier schwebte der Geist „revolutionärer“ RIO-Weisheit über den praktischen Notwendigkeiten des Kampfes in Rojava: sektiererische Passivität in „revolutionären“ Kleidern. Beides gleichzeitig zu vollbringen,  für Waffen einzutreten und gleichzeitig Diskussionen um ein revolutionäres Programm zu führen, war für RIO eine Sache der Unmöglichkeit. Nicht verwunderlich, wenn die Praxis und „schriftliche Plattform“ zusammengeworfen werden. RIO stellt hier nicht nur das Programm in einen falschen Gegensatz zur praktischen Solidaritätsaktion, sondern mit einem Male stehen Programmatik und „Taktiksimulation“ für eine Region, in der die FT ebenso wenig wie wir über eine Sektion verfügt, deutlich an erster Stelle. Aber das wirft sie uns an anderen Stellen ständig als Kardinalfehler des abstrakten Propagandimus vor. Was interessiert den Zentrismus sein Geschwätz von gestern, wenn’s doch billiger Polemik dient?

Noch verwunderlicher wird ihr Verhalten gegenüber der Kampagne jedoch, wenn aus der Erklärung der europäischen FT-Sektionen zu Rojava einer weiteren Passage Aufmerksamkeit geschenkt wird:

„Gleichzeitig müssen wir uns – trotz unserer politischen Unterschiede mit der PYD und der PKK – radikal im militärischen Lager des kurdischen Widerstands positionieren, das heißt alle Solidaritätskampagnen unterstützen, die den Widerstand aufrechterhalten, auch militärisch – vorausgesetzt, dass sie aus den imperialistischen Mächten keine taktischen Verbündeten der kurdischen KämpferInnen machen oder sogar letztlich als Strohmann der imperialistischen Politik in der Region enden, wie es seit den 90er Jahren mit der KDP und der PUK der Fall ist.“ (71)

Entweder wurde der Rojava-Kampagne vorgeworfen, sie hätte den imperialistischen Charakter der westlichen Interventionen verschleiert (was die FT NICHT tat), oder aber RIO wollte sich entgegen ihrer europäischen Erklärung nicht an dieser Kampagne beteiligen. Warum, können uns wohl nur die GenossInnen selbst erklären.

Zwei kleine Beispiele, die deutlich machen, wie das Programmverständnis der FT sektiererisches und ultimatistisches Verhalten produzierte und der notwendigen Wiedererarbeitung eines revolutionären Programms, der Umgruppierung weiterer Teile der radikalen Linken  hin zur Schaffung einer größeren kämpfenden Propagandagruppe oder gar einer revolutionären Kaderpartei entgegenwirkte.

In ihrer Praxis zeigt die FT aber nicht nur sektiererisches Verhalten, sondern – wie dem Zentrismus eigen – auch opportunistische Züge, wenn es darum geht, aktiv in der Klasse für ein revolutionäres Programm zu kämpfen. In Argentinien – wo sie eine dominante Rolle in der FIT spielt – plant die PTS nun ihr digitales Tageszeitungsportal auszubauen und das Portal für UnterstützerInnen und WählerInnen der FIT zu öffnen (72). Begründet wird dies ganz nach „leninistischer“ Machart damit, dass ein zentraler Organisator geschaffen werden soll, welcher der Klasse ermöglichen soll, eine Zeitung und damit ein unabhängiges Sprachrohr für sich selbst zu schaffen. Wir haben hier nicht die Möglichkeit unsere Kritik an dem Zeitungskonzept der FT und ihrer Behauptung, dies wäre ein leninistisches, darzustellen. Hier wollen wir uns auf folgende Zitate beziehen, welche Bände darüber sprechen, wie passiv die PTS die Entwicklung eines revolutionären Programms oder – sollte es ein solches ihrer Meinung nach schon geben – die Verbreitung des Programms in der Klasse, vorantreibt: „Wir wollen, dass bewusste Verteidiger*innen des Gründungsprogramms der FIT entstehen – solche, die sich fragen, wie ihre Artikel zur Entwicklung des Klassenbewusstseins beitragen können.“ (73). Interessant hierbei ist zu betonen, dass die PTS die Mitarbeit an ihrem Zeitungsprojekt auf der Basis des Gründungsprogramms der FIT anstrebt – eines Wahlprogramms, welches sie selbst als „unzureichend“ (74) bezeichnet und nicht als revolutionär.

Bezeichnend wird es dann, wenn sie sich im gleichen Text dann selbst noch widerspricht. Sie stellt den „Leninismus“ zwar richtigerweise so dar, dass er im Kampf um den Aufbau einer revolutionären Partei ein revolutionäres Programm in den Mittelpunkt stellt. Dumm nur, dass hier der „Leninismus“ mit einem zentristischen Programm kombiniert wird:

„Warum sprechen wir von ‚Leninismus‘? In unseren Augen findet die Erfahrung der Organisierung der Arbeiter*innenklasse und ihrer eigenen Partei ihr bestes Beispiel in dem von Lenin angeführten Prozess, der in der Russischen Revolution von 1917 gipfelte. An sich bedeutet ‚Leninismus‘, eine Partei für den Kampf aufzubauen, die in der Arbeiter*innenklasse verankert und auf demokratische Art zentralisiert ist, um die Kapitalist*innen, die Gewerkschaftsbürokratie und die politische Bürokratie mit einem revolutionären Programm zu konfrontieren und letztlich eine Arbeiter*innenregierung und den Sozialismus aufzubauen.“ (75)

Die Frage darf gestellt werden, warum die PTS nicht ein revolutionäres Programm – zum Beispiel ihr eigenes Manifest oder das Übergangsprogramm von 1938, welches laut eigener Aussage noch Aktualität besitzt – als Grundlage der Öffnung ihres Tageszeitungsprojekts für UnterstützerInnen der FIT anbietet, sondern sich mit einem zentristischen Programm zufrieden gibt?

Das Programm der FIT war ein Abkommen von zentristischen Gruppierungen, das von der PTS/FT selbst als mangelhaft kritisiert wurde. Sicher war es richtig, die FIT und ihre Kandidatur zu initiieren. Aber das Programm beinhaltete damals schon folgende zentrale Schwächen: Die Einheitsfront mit anderen Kräften, vor allem den peronistisch dominierten Gewerkschaften, wird tendenziell auf die Einheitsfront von unten beschränkt, so dass sich keine Betonung eines gemeinsamen Kampfes der ArbeiterInnenklasse – ihrer Basis wie der Führung – gegen die Angriffe der Regierung findet; ArbeiterInnenkontrolle und ArbeiterInnenselbstverwaltung werden vermischt, was letztlich einer inflationären und ihres revolutionären Gehalts beraubten Form der ArbeiterInnenkontrolle entspricht; die Losung der ArbeiterInnenregierung wird zwar erhoben, dass sich diese auf Räte und die bewaffnete ArbeiterInnenklasse stützen soll, dass der bürgerliche Staatsapparat zerbrochen werden muss usw., findet sich nicht, wie überhaupt der Begriff (und auch der Gehalt) von Räten im gesamten Programm der FIT kein einziges Mal vorkommt (76).

Dagegen wurde der NaO vorgeworfen, dass ihr Gründungsmanifest „zentristisch“ gewesen wäre, obwohl es ganze Abschnitte zur Notwendigkeit des revolutionären Bruchs, zur Unvermeidlichkeit des Widerstands der herrschenden Klasse und zur Ersetzung des bürokratischen Apparates durch Räte enthält. Selbst das provisorische Programm der NPA war in der Staatsfrage weit deutlicher und linker als das FIT-Wahlprogramm, wurde jedoch von der FT als Schritt zum Reformismus (!) kritisiert. Nun soll ein Programm, das die Perspektive der Rätemacht nicht einmal erwähnt, Grundlage für eine „leninistische“ Partei werden!

Man möchte wohl die WählerInnen und UnterstützerInnen auf ihrem unbewussten Weg zur revolutionären Partei nicht vergraulen und ihnen noch nicht zu viele revolutionäre Positionen zumuten. Typischer Opportunismus, welcher mit knackigen Leninverweisen und -zitaten überspielt werden soll.

Wie sieht jedoch die FT den Weg hin zur Erarbeitung eines revolutionären Programm und einer revolutionären ArbeiterInnenpartei? Größere politische Umgruppierungsprojekte innerhalb der Klasse, in welcher Schichten der Avantgarde eine neue politische Organisierung suchen, aber nicht sofort eine revolutionäre Organisation bilden (z. B. Syriza in Griechenland oder Podemos in Spanien), werden von der FT abgelehnt. Diese ablehnende Haltung macht von ihrem Standpunkt aus auch Sinn. Einerseits verliert die „Avantgarde“ der Bewegung beim Anschluss an ein neo-reformistisches Projekt wie Syriza ihren Avantgardecharakter (siehe oben) und andererseits kann man selbst nicht daran teilnehmen, da ansonsten das revolutionäre Programm (samt Schrift und Praxis) „aufgegeben wird“. Da so die Avantgarde keine revolutionäre Organisation hat, derer sie sich anschließen kann, um weiterhin Avantgarde zu sein, muss man sich von diesen Formationen fernhalten. Die Intervention in diese Formationen mit einem klar ausgearbeiteten revolutionären Aktionsprogramm, mit welchem man den Kampf um die Führung dieser Organisationen aufnimmt, um das reformistische und zentristische Bewusstsein in solchen Neubildungen zurückzuschlagen oder neue Kräfte für seine Ideen zu gewinnen und dann den Bruch mit diesen Formationen zu suchen, ist für die FT aufgrund ihrer theoretischen Grundbausteine unmöglich. Passivität, Abwarten und das Arbeiten in Randphänomenen (gleich wie heroisch diese Kämpfe sein mögen), bestimmen stattdessen das strategische und taktische Repertoire der FT, welches sie für Organisationen im Stadium einer „kämpfenden Propagandagruppe“ zu bieten hat.

Jedoch muss hier danach gefragt werden, ob und inwiefern die FT und ihre Sektionen überhaupt Unterscheidungen von unterschiedlichen Stadien des Parteiaufbaus vornehmen, so wie es unsere Strömung tut. Da uns keine theoretischen Schriften von Seiten der FT dahingehend bekannt sind und auch dieselben Taktiken und Strategien in allen Sektionen der FT in der Praxis angewendet werden (sei es durch die PTS als kleine Kaderpartei oder RIO als kämpfende Propagandagruppe in Deutschland), liegt der Schluss nahe, dass hier keine Unterscheidungen getroffen werden.

Alle Sektionen ihrer internationalen Strömung versuchen sich in kämpfenden Sektoren der ArbeiterInnenklasse zu verankern, welche angeblich unabhängig vom reformistischen oder zentristischen Bewusstsein sind und sich spontan in Richtung eines revolutionären Bewusstseins entwickeln. Die Sektionen haben hierbei die Aufgabe, diese Entwicklung mit Hilfe ihrer revolutionären Praxis und Schrift (ihrem lupenreinen Programm) zu unterstützen und die organische Verbindung mit diesen zu suchen. Auf diese Weise lassen sich, ganz nach Gramsci, Stellungen innerhalb der ArbeiterInnenklasse gewinnen, anhand derer der Einfluss von RevolutionärInnen ausgeweitet werden kann (z. B. über ihre durchaus erfolgreichen Internetnetplattformen wie der Tageszeitung „Izquierda Diario“). Dies führt zur Stärkung der revolutionären Organisation hin zu einer revolutionären Partei, welche bei gegebenen revolutionären Situationen aus der Defensive gestärkt hervorgeht und in der Offensive die proletarische Hegemonie herstellt und schlussendlich die Diktatur des Proletariats durchsetzen kann. Passend hierzu hat das FT-Manifest auch außer dem Aufbau von revolutionären ArbeiterInnenparteien und der Einheitsfront taktisch und strategisch nichts zu bieten. Auch wenn wir uns in diesem Artikel nicht primär mit den von der FT erstellten ausgiebigen und weitreichenden Untersuchungen und Gegenüberstellungen der Lehren Trotzkis und Gramscis (u. a. 77, 78, 79) beschäftigen können, wollen wir uns im kommenden Kapitel ein wenig damit auseinandersetzen, was für Auswirkungen ihre Leseart von Gramsci für ihre Politik bedeutet. Unsere Strömung hat sich in einem längeren Artikel mit dem Leben sowie den politischen Hinterlassenschaften Gramscis befasst. (80)

Gramsci und die Klammer, welche den FT-Zentrismus zusammenhält

Wenn unsere programmatischen Schriften mit dem Manifest sowie weiteren Publikationen der FT verglichen werden, bekommt der Kampf von RevolutionärInnen um die Führung der ArbeiterInnenklasse einen deutlichen Schwerpunkt. Bei der FT hingegen kommt das Wort Hegemonie, und wie die ArbeiterInnenklasse diese innerhalb der Gesellschaft erlangen kann, häufig vor und stellt ein zentrales Ziel dar. Zuerst könnte man sich fragen, ob es sich hierbei nur um reine terminologische Unterschiede handelt.

Im folgenden Zitat wird deutlich, was wir oben schon kurz dargelegt haben:

„Tatsächlich enthält das Übergangsprogramm und seine Methode sowohl Minimalforderungen, soweit sie ihre ‚Lebenskraft‘ behalten (d. h. sie alte Positionen sind, die es zu verteidigen gilt), als auch weitergehende Forderungen, die eine Skala von zu erobernden Stellungen betreffen (von der gleitenden Skala der Löhne und Arbeitszeiten und die ArbeiterInnenkontrolle über die Industrie bis hin zu Sowjets), die hier dazu benutzt werden, den ‚Bewegungskrieg‘ zu eröffnen, d. h. die Machteroberung durch das Proletariat vorzubereiten und durch diese Vorbereitung selbst schon neue Stellungen einzunehmen, einen nationalen Schützengraben der internationalen Revolution.

Das Übergangsprogramm ist vom Standpunkt dieser Diskussion aus gesehen die Brücke, der Übergang von der Stellung zum Manöver.“ (81)

Durch dieses Zitat offenbart die FT unterschiedliche krude Vorstellungen, welche zwar in ihr Konzept passen, jedoch problematisch werden, wenn sie mit unserer oben ausformulierten Kritik an ihrem Verständnis von Bewusstseinsbildung, ihrem Avantgardekonzept sowie ihrem Verständnis von Programm und Parteiaufbau in Verbindung gebracht werden. Die FT geht davon aus, dass RevolutionärInnen auch in „Friedenszeiten“ und unter schlechten objektiven Voraussetzungen für revolutionäre Politik Stellungen innerhalb der Klasse gewinnen und verteidigen können. Diese Stellungen wiederum ermöglichten es RevolutionärInnen, ihren Einfluss durch die Anwendung der Einheitsfronttaktik zu vergrößern, neue Stellungen hinzuzugewinnen und die Position von RevolutionärInnen zu verbessern. Diese Stellungen ließen sich dann in Sowjets umwandeln, die die bürgerliche Hegemonie zerschlagen und die dazu übergehen können, die  proletarische Hegemonie zu implementieren, welche in der Errichtung der proletarischen Diktatur gipfelt (82).

Taktische und strategische Manöver sind natürlich in allen Situation (ob nicht-revolutionär oder revolutionär) unerlässlich. Dazu gehört schließlich ein ganzes Arsenal von Taktiken der Einheitsfront, der Arbeit in Massenorganisationen, des Aufbaus von Vorfeldstrukturen oder von Parteiaufbau.

Die FT hat jedoch eine bestimmte Vorstellung, die unserer Meinung nach überaus problematisch ist. Sie geht davon aus, dass RevolutionärInnen in einer defensiven Situation Stellungen in den Betrieben gewinnen, diese über längere Zeit halten und verteidigen und von dort aus „expandieren“ könnten. Dazu sei v. a. die „Verankerung“ wichtig, weniger die Frage von Taktiken. Daher nimmt auch die Fabrik Zanon, ein selbstverwalteter Betrieb, von dem die FT behauptet, er würde unter ArbeiterInnenkontrolle produzieren, eine Schlüsselstellung ein.

Unabhängig von der Bewertung des Gesamtwerkes von Gramsci besteht ein richtiges Moment seiner Konzeption des „Stellungskrieges“ darin, diesen auf die Ebene des politischen und ideologischen Klassenkampfes zu konzentrieren, weil er richtigerweise davon ausgeht, dass auf der Ebene des „ökonomischen Stellungskrieges“, also des einzelbetrieblichen oder selbst branchenweiten Kampfes, sich die ArbeiterInnenklasse immer in einer defensiven, nachteiligen Stellung befindet. In Zeiten der relativen Stabilität gilt das, weil das Lohnarbeitsverhältnis und seine Folgen für das ArbeiterInnenbewusstsein stabiler sind, weil damit auch mehr Spielraum entsteht, Errungenschaften der Vergangenheit zu integrieren (so z. B. rudimentäre, begrenzte Formen von Kontrolle sozialpartnerschaftlich oder durch Mitverwaltung einzugemeinden). In Perioden der Krise, wachsender Arbeitslosigkeit und Konkurrenz können ökonomische Kämpfe nur begrenzt erfolgreich sein, ja müssen mehr und mehr an ihre Grenzen stoßen, wenn sie nicht zu politischen Klassenkämpfen werden. Das spricht nicht gegen Gewerkschafts- und Betriebsarbeit, wohl aber gegen die letztlich gradualistische Vorstellung, dass aus deren regelmäßigen Zuwächsen irgendwann die „revolutionäre Avantgardepartei“ erwachsen würde.

Genau diese Vorstellung hat jedoch die FT. Es ist kein Wunder, dass sie Gramscis Konzept vom Stellungs- und Bewegungskrieg nicht nur fragwürdig vereinfachend und entgegen Gramscis eigener Sicht in Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution eingliedert, sie kritisiert ihn auch noch falsch, nämlich wenn sie ihm eine Überbetonung des politischen Klassenkampfes vorwirft.

Unserer Auffassung nach können die errungenen „Positionen“ der Klasse in der Defensive nur gehalten werden, wenn die bewusstesten Teile der ArbeiterInnen,  die Avantgarde, um ein revolutionäres Programm herum gruppiert werden, eine revolutionäre Kader- oder Massenpartei geformt wird. Eine solche Partei wiederum kann in revolutionären Situationen – also im Übergang von der Defensive in die Offensive – die Führung über die ArbeiterInnenklasse erlangen und reformistische und zentristische Führungen ablösen und erst dadurch zu einer Massenpartei werden, die die Mehrheit der Klasse leitet und von dieser unterstützt wird – eine notwendige Vorbedingung für eine erfolgreiche proletarische Revolution. Ein einfaches „Hineinwachsen“ aus defensiven Stellungen, wie uns die FT versucht weiszumachen, kann es jedoch nicht geben, weil hier das reformistische und zentristische Bewusstsein vorherrschend ist, welches von Grund auf laut Lenin in der ArbeiterInnenklasse existiert und systematisch durch das Hineintragen von revolutionärem Bewusstsein bekämpft werden muss.

Die FT zieht sich hier auf ihre „Stellungen“ zurück, um ihren sektiererischen Umgang mit dem Einfluss von reformistischem und zentristischem Bewusstsein und der notwendigen Auseinandersetzung innerhalb der Klasse mit diesem aus dem Weg zu gehen. Diesen sektiererischen Umgang sehen wir vor allem im Umgang mit politischen Neugruppierungen innerhalb der ArbeiterInnenklasse.

JedeR heutige RevolutionärIn wird viel in Gramscis Arbeiten finden, was wertvoll und inspirierend ist. Doch seine Dualismen von Stellungs- und Bewegungskrieg, der Unterschied zwischen West und Ost, seine Ablehnung der Theorie der permanenten Revolution nach 1924, und schließlich sein Hegemoniekonzept deuten auf eine rechtszentristische Entwicklung nach dem Bruch mit den Auffassungen des 5. Kominternkongresses hin. Gramsci wurde zu Unrecht von den EurostalinistInnen als Protagonist des reformistischen „historischen Kompromisses“ mit der bürgerlichen Christdemokratie vereinnahmt, aber er hat durch die Verwandlung der Einheitsfronttaktik in eine Strategie dafür ein Einfallstor geöffnet. Sein Hegemoniekonzept drückt die langfristige Strategie aus, durch welche Partei und Klasse erfolgreich Stützpunkte in der Gesellschaft erobern und dadurch allmählich den Staat umzingeln und belagern können. Dies ist keine Bereicherung des Leninismus, sondern seine Antithese, in gewisser Weise eine Rückkehr zum rechtszentristischen Maximalismus des Serrati-Flügels der PSI! Trotzkis Ansatz der permanenten Revolution kritisiert er fälschlich als eine Variante der ultralinken Offensivtheorie der 3. Periode. Seine „Dialektik“ von Struktur und Superstruktur verlässt den historischen Materialismus von Marx und Engels und ist in vielen Punkten nicht kongruent mit deren Begriffen „Basis“ und „Überbau“. (83) Die FT mag sich seines Erbes in vielen Punkten rühmen – es ist, in marxistischen Kategorien betrachtet, eher ein fragwürdiges als ein würdiges.

Schluss

In diesem Artikel haben wir versucht, die großen und tiefgreifenden Unterschiede zwischen unserer internationalen Strömung der „Liga für die 5. Internationale“ und der „Fracción Trotskista“ herauszuarbeiten. Zusätzlich haben wir den „orthodoxen“ Lack, in welchem die FT gerne leninistisch und trotzkistisch glänzt, zu beschreiben und abzublättern versucht, um den darunter liegenden klassischen workeristischen Zentrismus bloßzulegen. Vor allem durch ihre gewisse Dynamik, welche die FT – maßgeblich durch ihre Arbeit in Argentinien – derzeit innerhalb der radikalen Linken genießt, war eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dieser Strömung vonnöten und wird bei diesem Artikel auch nicht stehen bleiben.

Auch wenn wir die angesprochenen Differenzen noch weiter ausarbeiten bzw. weitere Unterschiede (z. B. zur Taktik der ArbeiterInnenregierung, zum Verständnis von ArbeiterInnenkontrolle oder zum Verhältnis zwischen sozial unterdrückten Schichten – Jugendliche, Frauen, MigrantInnen, LGBTIA – und der Partei) ansprechen müssen, haben wir uns in diesem Artikel vor allem auf die Unterschiede konzentriert, welche unserer Meinung nach die Wurzeln aller weiteren Differenzen darstellen. Den Fragen der Bewusstseinsbildung, des Avantgardekonzepts, des Programs und des Parteiaufbaus wurde daher die Aufmerksamkeit dieses Artikels gewidmet.

In allen Fragen wird deutlich, dass die FT ihrem rechtgläubigen Anspruch einer leninistischen-trotzkistischen Partei nicht gerecht werden kann, sondern sogar soweit geht, Anschauungen Lenins und Trotzkis zu revidieren. Am deutlichsten wird dies an der Umdeutung der leninistischen Konzeption der Bewusstseinsbildung, welche jedoch zentral für die restliche Argumentationslinie des FT-Ökonomismus ist. Nur durch diese antileninistische Annahme eines parteiunabhängigen revolutionären Bewusstseins ist der Kampf um Stellungen in der Defensive überhaupt denkbar und somit der einzige Zugang der FT zur Klasse, um eine revolutionäre Verankerung und eine revolutionäre Partei zu bilden. Wir wissen jedoch schon seit der Aussage Marx`: „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein“, dass Bewusstsein nie unabhängig entstehen kann von der Intervention des wissenschaftlichen Sozialismus in die Klasse hinein – mittels des Transmissionsriemens in Gestalt der revolutionären ArbeiterInnenorganisation.

Zitate und Anmerkungen

(1) Manifest für eine Bewegung für eine Internationale der sozialistischen Revolution, o. O., 2013, https://www.klassegegenklasse.org/dateien/manifest.pdf

(2) Trotzkistisches Manifest – ein neues Übergangsprogramm für die sozialistische Weltrevolution, Wien, 1990, http://www.arbeitermacht.de/programm/tm/index.htm

(3) Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der 4. Internationale, (1938), Essen, 1997, www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1938/uebergang/ index.htm

(4) Vom Widerstand zur Revolution – Manifest für Arbeitermacht, Berlin, 2003

http://www.arbeitermacht.de/programm/l5i/index.htm

(5) Vom Widerstand zur Revolution – Manifest für eine Fünfte Internationale, Berlin, 2010, http://www.arbeitermacht.de/programm/manifest2010/index.htm

(6) Manifest für eine Bewegung für eine Internationale der sozialistischen Revolution, a. a. O., Seite 4, https://www.klassegegenklasse.org/dateien/manifest.pdf

(7) ebenda, Seite 4

(8) ebenda, Seite 5

(9) Chingo, Juan, „A ocho años de la crisis mundial“, in: Estrategia Internacional Nr. 29 (Januar 2016), http://www.ft-ci.org/A-ocho-anos-del-comienzo-de-la-crisis-mundial?lang=es

(10) Vom Widerstand zur Revolution – Manifest für eine Fünfte Internationale, a. a. O., Kapitel „Die große Krise und die globale Gegenwehr“, Abschnitt 5, http://www.arbeitermacht.de/programm/manifest2010/index.htm

(11) Albamonte, Emilio, „Notes on the Capitalist Crisis Underway and the Rebuilding of the Fourth International”, in: Estrategia Internacional Nr. 25 (März 2009), http://www.ft-ci.org/Notes-on-the-Capitalist-Crisis-Underway-and-the-Rebuilding-of-the-Fourth-International?lang=en

(12) Lehner, Markus, „Finanzkapital, Imperialismus und die langfristigen Tendenzen der Kapitalakkumulation“, in: Revolutionärer Marxismus 39, Berlin, August 2008), www.arbeitermacht.de/rm/rm39/rm39finanzkapital.htm

(13) Manifest für eine Bewegung für eine Internationale der sozialistischen Revolution, Seite 5  (2013), https://www.klassegegenklasse.org/dateien/manifest.pdf

(14) ebenda

(15) ebenda

(16) Lehner, Markus; Main, Peter, „Schwache Erholung, massive Aggression, kommende Krise“, in: Revolutionärer Marxismus 46, Berlin, Oktober 2014, http://www.arbeitermacht.de/rm/rm46/weltlage.htm

(17) Thesen der Liga für die Fünfte Internationale, „Revolution und Konterrevolution in der arabischen Welt“, veröffentlicht online im Juni 2014 und in: Revolutionärer Marxismus 46, a. a. O., http://www.arbeitermacht.de/rm/rm46/mena.htm

(18) Chingo, Juan, „A ocho años de la crisis mundial“, in Estrategia Internacional Nr. 29 (Januar 2016), Seite 213, http://www.ft-ci.org/A-ocho-anos-del-comienzo-de-la-crisis-mundial?lang=es

(19) Bach, Paula, „Estancamiento secular, fundamentos y dinámica de la crisis“, in Estrategia Internacional Nr. 29 (Januar 2016), http://www.ft-ci.org/Estancamiento-secular-fundamentos-y-dinamica-de-la-crisis?lang=es

(20) Suchanek, Martin, „Die Ukraine und die Verwirrung des trotzkistischen Zentrismus“, in: Revolutionärer Marxismus 46, a. a. O., http://www.arbeitermacht.de/rm/rm46/ukraine.htm

(21) Ickstatt, Franz, „Die Ukraine und RIOs Unverständnis revolutionärer Politik“, in: Revolutionärer Marxismus 47, Berlin, September 2015, http://www.arbeitermacht.de/rm/rm47/ukraine.htm

(22) Haber, Frederik, „Die Auferstehung des russischen Imperialismus“, in: Revolutionärer Marxismus 46, a. a. O., http://www.arbeitermacht.de/rm/rm46/russland.htm

(23) Manifest für eine Bewegung für eine Internationale der sozialistischen Revolution, Seite 16  (2013), https://www.klassegegenklasse.org/dateien/manifest.pdf

(24) ebenda, Seite 17

(25) ebenda, Seite 21 – 22

(26) Lehner, Markus, „Brasilien nach dem Sturz von Dilma – Ordnung und Rückschritt“, in: Neue Internationale 210, Juni 2016, http://www.arbeitermacht.de/ni/ni210/brasilien.htm

(27) Gebhardt, Christian, „Argentinien: Präsidentschaftswahlen offenbaren Rechtsruck“, in: Neue Internationale 205, Dezember 2015/Januar 2016, http://www.arbeitermacht.de/ni/ni205/argentinien.htm

(28) Lizarrague, Freddy, „PTS-Kongress: Mediensysteme als kollektiver Organisator einer Massenpartei“, in: Klasse gegen Klasse, 28. Juli 2016, https://www.klassegegenklasse.org/pts-kongress-mediensystem-als-kollektiver-organisator-einer-massenpartei/

(29) Manifest für eine Bewegung für eine Internationale der sozialistischen Revolution, Seite 18  (2013), https://www.klassegegenklasse.org/dateien/manifest.pdf

(30) ebenda

(31) Thesen der Liga für die Fünfte Internationale, „Revolution und Konterrevolution in der arabischen Welt“, veröffentlicht online im Juni 2014 und in: Revolutionärer Marxismus 46, a. a. O., http://www.arbeitermacht.de/rm/rm46/mena.htm

(32) 8. Kongress der Liga für die Fünfte Internationale, „Beendet die Tragödie – Kampf für Arbeitermacht. Ein Aktionsprogramm für Pakistan“, beschlossen Juni 2011, in: Revolutionärer Marxismus 45, Berlin, Dezember 2013, http://www.arbeitermacht.de/rm/rm45/pakistan.htm

(33) Manifest für eine Bewegung für eine Internationale der sozialistischen Revolution, Seite 6  (2013), https://www.klassegegenklasse.org/dateien/manifest.pdf

(34) ebenda, Seite 6 – 7

(35) ebenda, Seite 29

(36) Trotzkistisches Manifest – ein neues Übergangsprogramm für die sozialistische Weltrevolution, a. a. O., Kapitel „Die Gewerkschaften“, Abschnitte 5 und 6 http://www.arbeitermacht.de/programm/tm/index.htm

(37) ebenda, Kapitel „Führungskrise des Proletariats“, Abschnitte 4 – 6

(38) Manifest für eine Bewegung für eine Internationale der sozialistischen Revolution, Seite 7  (2013), https://www.klassegegenklasse.org/dateien/manifest.pdf

(39) ebenda

(40) ebenda

(41) ebenda

(42) ebenda

(43) ebenda

(44) Albamonte, Emilio, „Notes on the Capitalist Crisis Underway and the Rebuilding of the Fourth International”, in Estrategia Internacional Nr. 25 (März 2009), http://www.ft-ci.org/Notes-on-the-Capitalist-Crisis-Underway-and-the-Rebuilding-of-the-Fourth-International?lang=en

(45) Broschüre zur Degeneration der 4. Internationale, „Der Letzte macht das Licht aus – Die Todesagonie des Vereinigten Sekretariats der 4. Internationale“,  http://www.arbeitermacht.de/broschueren/vs/index.htm

(46) Trotzkistisches Manifest – ein neues Übergangsprogramm für die sozialistische Weltrevolution, a. a. O., Kapitel „Einleitung“, Abschnitt 11 http://www.arbeitermacht.de/programm/tm/index.htm

(47) Lenin, Wladimir Iljitsch, „Was tun? – Brennende Fragen unserer Bewegung“ (1902), Kapitel II b „Die Anbetung der Spontaneität. Die ‚Rabotschaja Mysl’“, Abschnitt 8, www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1902/wastun/ kap2b.htm

(48) Albamonte, Emilio, „Permanente Revolution oder Stellungskrieg – Die Theorie der Revolution nach Trotzki und Gramsci“, Ersterscheinung in Estrategia Internacional Nr. 19 (Januar 2013), in: Klasse gegen Klasse (Februar 2012), Kapitel „Klasse und Partei“, Abschnitt 5, https://www.klassegegenklasse.org/permanente-revolution-oder-stellungskrieg/

(49) Trotzki, Leo, „Geschichte der Russischen Revolution – Februar- und Oktoberrevolution“ (1930), www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1930/grr/index.htm

(50) ders., „Unsere politischen Aufgaben“, in: Mehringer, Hartmut (Hg.), „Leo Trotzki – Schriften zur revolutionären Organisation“, Reinbek, September 1970, S. 7 – 134

(51) Deutscher, Isaac, „Trotzki – Der bewaffnete Prophet 1879 – 1921“, Stuttgart, 1972 (2. Auflage), S. 94 – 102

(52) Trotzki, Leo, „Mein Leben“, Berlin, 1990, S. 150 – 152

(53) ders., „Die permanente Revolution“, in: ders., „Ergebnisse und Perspektiven – Die permanente Revolution“, Frankfurt/M., 1971, S. 55. – Siehe auch Zitat 11 aus Trotzkis „Der Kampf um die Macht“ (1915), Anhang in: „Ergebnisse und Perspektiven“, welches die randständige Rolle der Partei in seiner workeristischen Parteikonzeption vor 1917 belegt, bei: Krasso, Nicolas, „Trotzkis Marxismus“, www.trend.infopartisan.net/trd0913/t020913.html

(54) SPARTAKIST-ARBEITERPARTEI-DEUTSCHLANDS (Hg.), „Lenin und die Avantgardepartei“, Berlin, Februar 1997, S. 11

(55) Geras, Norman, „Über die Massentätigkeit im revolutionären Denken Leo Trotzkis“, in: „Kritik“ Nr. 14, Berlin, 1977, S. 30 f.; Grabke, Karl, „Avantgardekonzept und revolutionäre Organisation“, in: Arbeitsgruppe Marxismus (Hg.), MARXISMUS Nr. 26, Wien,  S. 139 – 142

(56) Grabke, Karl, a. a. O., S. 140

(57) Trotzkistisches Manifest – ein neues Übergangsprogramm für die sozialistische Weltrevolution, a. a. O., Kapitel „Führungskrise des Proletariats“, Abschnitt 1 http://www.arbeitermacht.de/programm/tm/index.htm

(58) Suchanek, Martin, „Krise, Klasse, Umgruppierung – Strategie und Taktik in der aktuellen Periode“, in: Revolutionärer Marxismus 47, a. a. O., http://arbeitermacht.de/rm/rm47/umgruppierung.htm

(59) Broschüre zum Morenismus, „Morenos langer Schatten“, http://www.arbeitermacht.de/broschueren/sl/ka1.htm

(60) „Mass and vanguard struggles in the decadence of “neo-liberalism”, in Estrategia Internacional Nr. 15, (2000), http://www.ft-ci.org/Mass-and-vanguard-struggles-in-the-decadence-of-neo-liberalism?lang=en

(61) Sanmartino, Jorge, „A balance sheet of the political strategies of the left”, in Estrategia Internacional Nr. 19 (2003), http://www.ft-ci.org/A-balance-sheet-of-the-political-strategies-of-the-left?lang=en

(62) „Mass and vanguard struggles in the decadence of “neo-liberalism”, in Estrategia Internacional Nr. 15, (2000), http://www.ft-ci.org/Mass-and-vanguard-struggles-in-the-decadence-of-neo-liberalism?lang=en

(63) Sanmartino, Jorge, „A balance sheet of the political strategies of the left”, in Estrategia Internacional Nr. 19 (2003), http://www.ft-ci.org/A-balance-sheet-of-the-political-strategies-of-the-left?lang=en

(64) Liga für eine revolutionär-kommunistische Internationale (beschlossen 1992), „Thesen zu den ersten Stadien des Parteiaufbaus“, in: Revolutionärer Marxismus 43, Berlin, Oktober 2011, arbeitermacht.de/rm/rm43/stadiendesparteiaufbaus.htm

(65) Liga für die Fünfte Internationale, „Methoden und Grundsätze der kommunistischen Organisation“, in: Revolutionärer Marxismus 43, a. a. O., http://arbeitermacht.de/rm/rm43/methoden.htm

(66) Flakin, Wladek; Huber, Oskar, „Welcher Weg zu einer revolutionären Partei?“, in: Klasse gegen Klasse, (Februar 2016), http://klassegegenklasse.org/welcher-weg-zu-einer-revolutionaeren-partei/

(67) ebenda, Abschnitt 7

(68) Léon Trotsky, Brief vom 30. Dezember 1935, in: „Bulletin Intérieur du GBL“ No. 5, Januar 1936, Oeuvres, Band 7, S. 244; zitiert nach: Dannat, Anton, „Auf dem Floß der Medusa? – Die französischen Trotzkisten 1924 – 1939“, in: Arbeitsgruppe Marxismus (Hg.), MARXISMUS Nr. 11, Wien, 1997, S. 188

(69) Trotzki, Leo, „Eine große Errungenschaft“, 30.8.1938, in: ders., „Das Übergangsprogramm“, Essen, Juli 1997, S. 207

(70) Fracción Trotskista – Cuarta Internacional, „Für den Sieg Kobanês gegen die Offensive des IS!“, in: Klasse gegen Klasse, (November 2014), https://www.klassegegenklasse.org/fur-den-sieg-kobanes-gegen-die-offensive-des-is/

(71) ebenda, These 6, Abschnitt 5

(72) Lizarrague, Freddy, „PTS-Kongress: Mediensysteme als kollektiver Organisator einer Massenpartei“, in: Klasse gegen Klasse, 28. Juli 2016, https://www.klassegegenklasse.org/pts-kongress-mediensystem-als-kollektiver-organisator-einer-massenpartei/

(73) ebenda, Absatz 20

(74) Flakin, Wladek; Huber, Oskar, „Welcher Weg zu einer revolutionären Partei?“, in: Klasse gegen Klasse, (Februar 2016), Abschnitt „Front der Linken und Arbeiter*innen“, Absatz 6 http://klassegegenklasse.org/welcher-weg-zu-einer-revolutionaeren-partei/

(75) Lizarrague, Freddy, „PTS-Kongress: Mediensysteme als kollektiver Organisator einer Massenpartei“, in: Klasse gegen Klasse, 28. Juli 2016, Absatz 11 https://www.klassegegenklasse.org/pts-kongress-mediensystem-als-kollektiver-organisator-einer-massenpartei/

(76) Gebhardt, Christian, „Wahlen in Argentinien. Wie weiter für die radikale Linke?“, in: Neue Internationale 183, (November 2013), www.arbeitermacht.de/infomail/711/argentinien.htm

(77) Albamonte, Emilio, „Permanente Revolution oder Stellungskrieg – Die Theorie der Revolution nach Trotzki und Gramsci“, Ersterscheinung in: Estrategia Internacional Nr. 19 (Januar 2003), in: Klasse gegen Klasse (Februar 2012), https://www.klassegegenklasse.org/permanente-revolution-oder-stellungskrieg/

(78) Maiello, Matias; Albamonte Emilio, „Gramsci, Trotsky y la democracia capitalista“, in: Estrategia Internacional, Nr. 29 (Januar 2016), http://www.ft-ci.org/Gramsci-Trotsky-y-la-democracia-capitalista?lang=es

(79) Albamonte Emilio; Maiello, Matias, „Trotsky y Gramsci: debates de estrategia sobre la revoluccion en ‚occidente’“, in: Estrategia Internacional, Nr. 28 (August 2012), http://www.ft-ci.org/Trotsky-y-Gramsci-debates-de-estrategia-sobre-la-revolucion-en-occidente?lang=es

(80) Cleminson, Andy; Hassell, Keith, „Gramsci and the revolutionary tradition“, in: Permanent Revolution, Nr. 6, London, September 1987, www.fifthinternational.org/content/gramsci-and-revolutionary-tradition

(81) Albamonte, Emilio, „Permanente Revolution oder Stellungskrieg – Die Theorie der Revolution nach Trotzki und Gramsci“, Ersterscheinung in: Estrategia Internacional Nr. 19 (Januar 2003), in: Klasse gegen Klasse (Februar 2012), https://www.klassegegenklasse.org/permanente-revolution-oder-stellungskrieg/

(82) Maiello, Matias; Albamonte Emilio, „Gramsci, Trotsky y la democracia capitalista“, in: Estrategia Internacional, Nr. 29 (Januar 2016), http://www.ft-ci.org/Gramsci-Trotsky-y-la-democracia-capitalista?lang=es

(83) Siehe dazu: Cleminson, Andy, Hassell, Keith, a. a. O. In vielen Punkten, besonders zu den Punkten historischer Materialismus, Verhältnisse – Institutionen – Faktoren, Bewegungskrieg – Stellungskrieg und Gramscis Trotzki-Kritik, geben wir auch folgender Publikation recht: Klein, Wolfram, „Die politischen Ideen von Antonio Gramsci“, Berlin, Mai 2013