[’solid] Berlin: Was tun mit dem ersten Schritt nach Links?

Lukas Resch, REVOLUTION, Infomail 1174, 21. Dezember 2021

Ein Beschluss gegen den RGR-Koalitionsvertrag, ein Antizionist im LandessprecherInnenrat (LSPR) und ein „Nein zur EU der Banken und Konzerne“, ein klares Bekenntnis zum Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co enteignen“: Diese und weitere Entwicklungen in [’solid] Berlin sorgen seit der letzten Wahl für Aufsehen, bis in die bürgerlichsten Teile der Presse hinein. Einige Reaktionen aus der eigenen Organisation und der Mutterpartei lassen es scheinen, als hätte man das rote Berlin ausgerufen. Von ewig gestrigen StalinistInnen ist die Rede, öffentliche Hetzkampagnen gegen eigene Mitglieder lassen nicht lang auf sich warten. Was ist los in [’solid] Berlin?

The way so far …

Spricht man mit Mitgliedern, zeigt sich ein positiv gestimmtes Bild: Bei der Wahl zum LSPR schafften es die linkeren Basisorganisationen, diesen gemeinsam mit einigen neuen und vielversprechenden Gesichtern zu besetzen. Auch auf der letzten Landesvollversammlung zeichnete sich ein deutlich linkeres Bild ab als in der Vergangenheit. Unter anderem wurde beschlossen:

Eine Aufforderung an die Linkspartei Berlin, die Koalitionsverhandlungen abzubrechen, und an die Mitglieder, gegen den Vertrag und die Koalition mit den Grünen und der SPD zu stimmen; ein Beschluss gegen die alleinige Zusammenarbeit mit Jusos und grüner Jugend, um nicht als RGR-Jugend zu erscheinen. Eine Zusammenarbeit in größeren Bündnissen wird damit nicht ausgeschlossen.

Dies stellt einen Schritt in die richtige Richtung dar, auch wenn es weiter notwendig sein wird, die Jusos als die Massenjugendorganisation einer bürgerlichen ArbeiterInnenpartei (1) zu gemeinsamen Mobilisierungen aufzufordern. Diese Notwendigkeit stellt sich auch bezüglich der Grünen Jugend, die trotz ihrer ökobürgerlichen Mutterpartei über eine Verankerung in der Umweltbewegung verfügt.

Eine Einschätzung der „EU der Banken und Konzerne“, die ersetzt werden soll durch „die Vereinigung europäischer Staaten“ (auch wenn unklar ist, wie diese  erreicht werden und wie sie aussehen soll), suggeriert immerhin einen „Bruch mit der EU“ (wobei aufgepasst werden muss, dass nicht einfach für einen „linken“ Austritt Deutschlands aus der EU eingetreten wird, sondern für eine sozialistische Vereinigung Europas).

Trotz allem: eine willkommene Entwicklung, die einige Mitglieder von [’solid] bereits von einem Linksrutsch sprechen lässt. Diese Entwicklungen sind, immerhin, ein frischer Wind, erst recht nach der zerschmetternden Wahlniederlage der Linkspartei bei der Bundestagswahl.

Grenzen

Deswegen wollen wir die Situation nutzen, um uns zu positionieren und zur Diskussion über das weitere Vorgehen etwas beizutragen.

Die neue Zusammenstellung des LSPR ist sicher ein Schritt nach vorne, auch wenn dieser noch in der kommenden Zeit beweisen muss, ob der radikale Ruf der ihm vorauseilt, auch entsprechende Taten mit sich bringt.

Die Ergebnisse der Landesvollversammlung sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache. Man stellt sich entschieden gegen die Ausrichtung der Berliner Linkspartei und erhebt den Anspruch, eine eigene, sozialistische Perspektive dagegenzuhalten.

Der erste Dämpfer ist da natürlich, die Abstimmung gegen die RGR-Koalition verloren zu haben. Von den 50 % der teilnehmenden Linksparteimitglieder haben 75 % für diese gestimmt.

Wie geht es jetzt also weiter für alle, die sich eine linkere, antikapitalistische Politik und Linkspartei wünschen und dafür im Jugendverband kämpfen?

Wir wollen uns auf zwei Punkte konzentrieren: die Grenzen, an die revolutionäre Jugendliche in der Linkspartei und [’solid] stoßen, und die Taktik, mit der sie kämpfen können.

Zunächst das Ernüchternde: Das, was in [’solid] Berlin passiert – ebenso die gewisse Bewegung in der Basis der Linkspartei –, stehen einer bundesweit gegenläufigen Tendenz gegenüber. Real sind die Linkspartei und ihr Jugendverband in den letzten Jahren nach rechts gegangen. Auch wenn sich in den letzten Wochen eine linke Opposition in Berlin gebildet hat und im Landesverband Nordrhein-Westfalen nach dem katastrophalen Ergebnis der Bundestagswahlen ein linker Landesvorsitzender gewählt wurde, so ändert das noch nicht das Gesamtbild. Ramelows Regierungspolitik stellt keine Ausnahme dar. Für alle Landesregierungen mit LINKE-Beteiligung gilt: Mitgehangen, mitgefangen – mit kapitalistischer Realpolitik. Und das gilt auch für Berlin.

Das ist auch kein Zufall oder einfach eine Schwäche gegenüber der größeren SPD, sondern das Interesse der Linksparteiführung . Sie betreibt reformistische Politik, die immer nur den Kompromiss mit dem Kapitalismus sucht, mit dem Leute wie Klaus Lederer an sich ganz gut leben können. Daher ist es für ihn auch kein Problem gewesen, DWe fallen zu lassen.

An die Grenzen dieses Führungsapparates werden alle RevolutionärInnen, die gern eine andere Linkspartei und ein antikapitalistisches [’solid] hätten, irgendwann stoßen, solange dieser Apparat die Partei und ihre Strukturen kontrolliert – so, dass der Apparat die Kontrolle gut behalten kann. Das muss sich auch in [’solid] niederschlagen, und wenn es der Geldhahn ist, an dem die Mutter vielleicht mal dreht.

 … and the way ahead

Ohne über diese Grenzen Gedanken anzustellen, wird jeder Versuch, [’solid] revolutionär umzugestalten, in blindem Aktivismus und Selbstverbrauch oder aber Anpassung an den erwähnten Apparat enden. Unserer Meinung nach sollte sich daher jede//r klar machen, dass es bei der Konfrontation mit der reformistischen Mehrheit und dem Apparat um eine grundsätzliche Auseinandersetzung geht. Letztlich vertritt der Reformismus nicht den Klassenstandpunkt der Lohnabhängigen, sondern ordnet vielmehr deren Interessen jenen der herrschenden Klasse unter.

Trotzdem kann sich das Ringen mit dem Apparat lohnen und unzufriedene Jugendliche in (und außerhalb von) [‚solid] um revolutionäre oder wenigstens eine alternative Politik zu RGR sammeln. Dazu sollten die vorhandenen Ansätze der letzten Wochen vertieft werden. Konkret sollten sich alle Jugendlichen zu einer Opposition organisieren – einer Fraktion.

Die angepeilte Taktik, um die eigene Mutterorganisation mittels einer digitalen Kampagne wieder auf die eigenen Werte zu besinnen, begleitet von Veranstaltungen, kann das nur begrenzt leisten, ist sie doch dazu verurteilt, vor allem einen Nachhall im eigenen Kreis hervorzurufen.

Darüber hinaus braucht es ein Sammeln um Aktionen wie Demonstrationen bis hin zu Streiks in Schule und Betrieb und mehr – wenigstens braucht es jetzt die Debatte darum. Und für sich alleine bringen solche Aktionen auch noch nichts. Es sollte sich auf einige Forderungen verständigt werden, die für Jugendliche gerade akut sind, um die mobilisiert werden kann und mit denen auch andere – Jusos, Grüne Jugend, Gewerkschaftsjugendliche, DWe usw. angesprochen werden können. Beispiele?

  • Sofortige Umsetzung des DWe-Volksentscheids! Gerade Jugendliche können sich das Wohnen ohne (reiche) Eltern nicht leisten! Dazu braucht es eine Massenbewegung und die Unterstützung der Gewerkschaften und MieterInnenverbände, um die Vergesellschaftung durch politische Streiks und Mietboykotts durchzusetzen!
  • Für eine echte Verkehrswende in Berlin – keine S-Bahn-Zerschlagung, dafür massive Einschränkung des Straßenverkehrs, Ausbau von S-Bahn und Tram, kostenloser ÖPNV!
  • Für die Kontrolle über coronabedingte Schulöffnungen und -schließungen durch demokratische Komitees der SchülerInnen und LehrerInnen selbst!

Das sind nur mal drei Beispiele. Der Kampf um solche Forderungen ist einer gegen die RGR-Regierung, und damit gegen Lederer und Co! Völlig richtig ist deshalb, dass [’solid] am kommenden Dienstag zu Protesten gegen RGR aufruft.

Aber es sind die nächsten Monate, die durchscheinen lassen werden, ob die gewisse Dynamik in [’solid] (und Linkspartei) nach links weitergetrieben werden kann oder im Treibsand reformistischer Realpolitik ausgebremst wird. Denn trotz aller positiven Berliner Entwicklungen der letzten Monate im Windschatten der Wahlen – DWe, Krankenhausstreik oder eben auch ein gewisser Linksdrall in DIE LINKE – gegen die Regierung zu kämpfen wird eine andere Nummer, in der das Überwinden der defensiven Position mit davon abhängen wird, ob sich revolutionäre, antikapitalistische Kräfte sammeln können und in [’solid], Jusos usw. reinwirken können.

Daher sollten sich AntikapitalistInnen ernsthaft überlegen, inwieweit sie in ihrem Kampf auf die LINKE setzen wollen, die die nächsten fünf Jahre Verrat schon ab Tag 1 beginnt, oder ob ein revolutionärer Bruch mit der Partei sinnvoller ist. Früher oder später wird dieser unserer Meinung nach unausweichlich. So oder so sind wir für die Debatte mit Euch offen.

Übrigens: Vor sieben Jahren hat die Jugendorganisation REVOLUTION eine umfassende Broschüre rausgebracht, die [’solid] kritisch beleuchtete und RevolutionärInnen im Jugendverband einen Handlungsvorschlag zur Sammlung ihrer Kräfte machte … immer noch aktuell: http://onesolutionrevolution.de/wp-content/uploads/2011/04/Solid-Polemik_Lukas_Müller_2014.pdf

Endnote

(1) Unter einer bürgerlichen ArbeiterInnenpartei verstehen wir eine bürgerliche Partei, die sich jedoch über historische Verbindungen, über Gewerkschaften, proletarische Mitgliedschaft und WählerInnen auf die Klasse der Lohnabhängigen stützt, mit dieser organisch verbunden ist.




Berliner Linkspartei-Spitze in Feierlaune

Martin Suchanek, Infomail 1173, 19. Dezember 2021

Nach dem deutlichen Ja der LINKEN-Mitglieder zum Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen präsentierte sich die Parteispitze am vergangenen Freitag, den 17. Dezember, in seltener Feierlaune. Sie darf weitermachen – im Berliner Senat. Die Wahl der rechten Sozialdemokratin Franziska Giffey zur neuen Regierenden Bürgermeisterin der Hauptstadt gilt als sicher, die rot-grün-rote Landesregierung kann fortgesetzt werden.

Insgesamt beteiligten sich 4220 (53,64 %) der 8016 Mitglieder der Berliner Linkspartei am Entscheid über den Koalitionsvertrag, davon waren 3926 Stimmen gültig. 2941, also 74,91 %, votierten für Rot-Grün-Rot, 880 oder 22,4 % stimmten mit Nein, 105 (2,67 %) enthielten sich.

Die Landesparteivorsitzende Katina Schubert – und mit ihr die gesamte Senatsriege um den alten und zukünftigen Kultursenator Klaus Lederer – konnten ihre Freude kaum verbergen. „Das ist ein klarer Auftrag für uns. Das gute Ergebnis ist Rückenwind für die aktuellen und kommenden Herausforderungen,“ erklärt sie und lässt weiter verlauten:

„Wir haben angekündigt, den Berlinerinnen und Berlinern die Stadt zurückzugeben. Daran werden wir entschlossen und mit voller Kraft weiterarbeiten.

Am 20. Dezember 2021 werden unsere Senator:innen offiziell nominiert und sie werden ihre Ressorts mit progressivem Gestaltungswillen entschlossen ausfüllen. Wir haben uns viel vorgenommen, wie wir unsere Stadt in den nächsten Jahren weiter sozial und ökologisch verändern wollen.“ (https://dielinke.berlin/start/presse/detail/news/klares-ja-der-linken-mitglieder-zum-koalitionsvertrag-1/)

Kröten

Angesichts der miesen Bilanz der letzten fünf Jahre und des ausgehandelten Koalitionsvertrages fragt man sich: Lebt die Spitze der Berliner Linkspartei bloß in ihrer eigenen Welt, fernab jeder Realität? Ist sie einfach nur zynisch oder beides? Oder bewirbt sich da jemand für ein (Real-)Satiremagazin?

Faktisch begräbt der Koalitionsvertrag den Volksentscheid für die Enteignung der großen Wohnungsbaukonzerne, die Privatisierung schwebt weiter über der Berliner S-Bahn, die outgesourcten Töchter von Vivantes und Charité sollen auch in der nächsten Legislaturperiode nicht zurückgeholt werden. An den Schulen soll das reaktionäre BerufsbeamtInnentum wieder gestärkt werden. Freuen kann sich dafür die Berliner Polizei, deren Befugnisse ausgeweitet, deren Personal aufgestockt und für die auch neues (Repressions-)Gerät angeschafft werden soll. Die rassistische Abschiebepraxis soll, wie schon unter dem letzten Senat, fortgesetzt werden.

So viel zum „progressiven Gestaltungswillen“ der kommenden Jahre, so viel zur Rückgabe der Stadt an die Berlinerinnen und Berliner.

Für die ArbeiterInnenklasse und die Berliner Linke gibt es an der Fortsetzung der Koalition nichts schönzureden, nichts zu verteidigen. Im Gegenteil: DIE LINKE Berlin gerät nur zur noch jämmerlicheren Juniorpartnerin von SPD und Grünen. Deren SenatsheldInnen und die Mehrheit ihrer Abgeordneten werden wohl, da sollte sich niemand Illusionen machen, so ziemlich jede Kröte schlucken, so ziemlich jeden Scheiß mitmachen.

Da hilft es auch nichts, wenn die KoalitionsbefürworterInnen darauf verweisen, dass sie einige drittrangige „progressive“ Projekte fortführen und ansonsten einige Luftschlösser in den Senatskanzleien in Auftrag geben dürfen. Neben diesen „Gestaltungsspielräumen“ rechnen sich die UnterstützerInnen von Rot-Grün-Rot außerdem an, dass sie so die von Giffey eigentlich bevorzugte  Ampel in Berlin verhindert hätten. Damit die rechte Sozialdemokratin erst gar keine Chance hat, die Koalition zu brechen, gibt sich DIE LINKE nicht nur im Koalitionsvertrag so willfährig, wie es die FPD wohl nicht gewesen wäre.

Nun sollte niemand den Mitgliedern, die mit Ja gestimmt haben, unterstellen, dass sie damit auch jeden faulen Kompromiss, jedes Zugeständnis der Senatsriege und der Parteispitze gleich mit befürwortet hätten. Aber unabhängig von den politischen Illusionen, Wünschen oder vom Opportunismus der Mehrheit der Mitglieder wird die Führung deren Votum zur Rechtfertigung ihrer opportunistischen, bürgerlichen Politik im Senat und im Abgeordnetenhaus heranziehen. Schließlich würde sie nur den Willen der Basis umsetzen – und diesem mögen sich die parteiinternen KritikerInnen endlich beugen. Sie mögen schweigen oder am besten die Arbeit des Senats konstruktiv und „solidarisch“ begleiten.

Opposition

In der Tat wirft der Ausgang der Abstimmung ein Licht auf das Kräfteverhältnis in der Berliner Linkspartie und den Zustand der Organisation. Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass nur etwas mehr als die Hälfte der Mitglieder an der Abstimmung teilgenommen haben. Rund 4000 beteiligten sich erst gar nicht an der Entscheidungsfindung – und das bei einem für die Berliner Linkspartei zentralen politischen Thema. Dies illustriert ein für reformistische Parteien typisches Phänomen – nämlich, dass sich die Parteiführung nicht nur auf einen bürokratischen Apparat, sondern auch auf eine passive Mitgliedschaft stützt. Gerade weil die Arbeit in den verschiedenen Körperschaften des bürgerlich-parlamentarischen Systems die zentrale politische Aktivität der Partei ausmacht, bilden auch diese „AktivistInnen“, deren Masse nicht im Abgeordnetenhaus, sondern in Bezirksämtern, Beiräten, Bezirksverordnetenversammlungen sitzt, das eigentliche Rückgrat der Partei.

Dies erklärt auch, warum der Anteil der Nein-Stimmen in der Mitgliedschaft, also an der Basis, eher geringer ausfiel als unter den Parteitagsdelegierten, wo er über ein Viertel ausmachte. Leider liegen noch keine Zahlen vor, wie sich die 880 GegnerInnen der rot-grün-roten Koalition auf die Bezirke verteilen. Es dürften aber Neukölln und Mitte Zentren der Ablehnung bilden (jedenfalls was die öffentliche Wahrnehmung betrifft).

Schließlich erklärt die Mehrheit auch, dass die Berliner Linkspartei (und davor die PDS) schon seit Jahrzehnten von den RegierungssozialistInnen dominiert werden. Insofern bedeuten selbst 22,4 % Nein-Stimmen, dass diese Dominanz geschwächt wurde –, und das Agieren der rot-grün-roten Regierung könnte dieses Kräfteverhältnis weiter zugunsten der Opposition verschieben.

Es hängt von der Opposition ab, welche Perspektive sie selbst einnimmt, wie sie sich zur neuen Landesregierung, zur Parteimehrheit und zu den sozialen Bewegungen und den Lohnabhängigen verhält, die unweigerlich mit Rot-Grün-Rot in Konflikt geraten werden.

Sollten die GegnerInnen der Regierung darauf verzichten, den Kampf gegen die neue Regierung auf der Straße und parteiintern organisiert fortzuführen, so wäre die ganze Abstimmung wenig mehr gewesen als ein Sturm im Wasserglas. Die Opposition würde sich dann als politische Episode, als parteiinterne Begleitmusik zu den Niederungen der Regierungspolitik erweisen. Eine solche Opposition würde sich als politischer Wurmfortsatz der Parteiführung entpuppen, die ihrerseits wenig mehr als einen Wurmfortsatz von SPD und Grünen darstellt.

Die Opposition in der Linkspartei kann aber auch den Kampf aufnehmen und ihre Chance nutzen, die 880 Nein-Stimmen zu einer organisierten Kraft gegen die kommenden Angriffe der Regierung und gegen die RegierungssozialistInnen zu gestalten.

Dazu muss sie sowohl das Bündnis mit der Linken außerhalb und links der Linkspartei, mit den sozialen Bewegungen wie DWe enteignen, antirassistischen Kräften, der Krankenhausbewegung und vielen anderen vertiefen und suchen. Wir schlagen daher vor, rasch ein Aktionbündnis gegen die Angriffe des kommenden Senates zu gründen, um dagegen auf der Straße und in den Betrieben zu mobilisieren.

Das erfordert aber auch eine politische Klärung in der Opposition, die Schaffung einer politisch-programmatischen Plattform, die sich nicht nur gegen den Koalitionsvertrag, sondern auch gegen die reformistischen Grundlagen der Linkspartei richtet und für eine revolutionäre Alternative eintritt. Auch dazu sollte, ja müsste sich diese Opposition auch für die Linke außerhalb der Linkspartei öffnen, um so einen strategischen und programmatischen Diskussionsprozess zur sozialistischen Neuformierung voranzubringen.




Mitgliederentscheid Berliner Linkspartei: Nein zu Rot-Grün-Rot!

Martin Suchanek, Neue Internationale 261, Dezember 2021/Januar 2022

Bis zum 17. Dezember sollen die Mitglieder der Berliner Linkspartei in einer Urabstimmung entscheiden, ob ihre Koalition mit SPD und Grünen fortgesetzt werden soll oder nicht.

Für alle, die den Koalitionsvertrag einigermaßen nüchtern lesen, ist die Sache klar. Das Papier trägt die Handschrift des rechten Flügels der SPD, garniert mit allerlei bürgerlich-grünen Elementen. Giffey und Jarasch, SPD und Grüne, stehen politisch eng zusammen. Die Linkspartei sorgt für etwas Sozialschaum, Bewegungsberuhigung und eine Flankendeckung nach links, mit denen die FDP natürlich nicht dienen kann. Außerdem stellt die DIE LINKE allein schon durch das Mitmachen die linken Flügel von SPD und Grünen ruhig. Dafür werden diesmal giftige Kröten geschluckt, die selbst für sie, über Jahre im parlamentarischen Opportunismus erprobt, schwer verdaulich werden dürften.

Die Vergesellschaftung der großen Immobilienkonzerne soll trotz klarer Mehrheit in eine sog. „Expertenkommission“ politisch entsorgt, der Wille von einer Million WählerInnen ignoriert werden. Das Bauressort geht, durchaus folgerichtig, an die SPD. Die Räumung besetzter Häuser wird ebenso fortgesetzt wie die von MieterInnen, die ihre Mieten nicht mehr zahlen können.

Auch wenn viel von einem Rückkauf der S-Bahn durch die Stadt erzählt wird, bleibt es weiter bei Ausschreibungen an private AnbieterInnen. Dass die rassistische Abschiebepraxis und „racial profiling“ nicht nur in sog. Problemgebieten weiter fortgesetzt werden, dafür steht nicht nur SPD-Innensenator Geisel. Die Befugnisse der Polizei werden ausgeweitet, ihre Kräfte aufgestockt und aufgerüstet.

Die Beschäftigten in den Krankenhäuser, in den Bezirken und bei den Ländern können weiter auf die Erfüllung sozialer Versprechungen warten. Im Bildungsbereich soll das reaktionäre Berufsbeamtentum wieder gestärkt werden.

Man muss schon zu den SchönrednerInnen aus der Spitze der Berliner Linkspartei gehören, um bei so viel Schatten auch noch Licht ausmachen zu können und unverdrossen an der Koalition festzuhalten.

Opposition

Doch erstmals seit die PDS und später die Linkspartei in Regierungen mit SPD bzw. SPD und Grünen eintraten, hat sich eine größere innerparteiliche Opposition gebildet, die sich gegen die weitere Regierungsbeteiligung wendet. So erzwang eine Gruppe von 47 Delegierten die Einberufung eines Landesparteitages zur Diskussion des Koalitionsvertrags für den 4. Dezember, ein erstes öffentliches Kräftemessen zwischen BefürworterInnen und GegnerInnen der Fortsetzung des alten Senats als Rot-Grün-Rot (unter geänderten Kräfteverhältnissen).

Die GegnerInnen der Parteispitze reichen von grundsätzlichen KritikerInnen einer solchen Regierung bis hin zu deren ehemaligen UnterstützerInnen, für die jedoch eine Fortsetzung der Senatsbeteiligung auf Basis des Koalitionsvertrags einem politischen Selbstmord gleichkommt (und die damit einen gewissen Realismus an den Tag legen).

Erstere Parteilinkeströmung ist vor allem in der Plattform Zusammen für eine linke Opposition vertreten, die sich vor allem auf die linken Bezirksverbände Neukölln und Mitte stützt. Etliche ihrer bekannteren AnhängerInnen sind bei marx21 sowie AKL, SoL und SAV organisiert. Darüber hinaus unterstützen Linksjugend [’solid] und SDS Berlin die Plattform.

Ehemalige SenatsbefürworterInnen sind um linke Abgeordnete wie Katalin Gennburg gruppiert. Gennburg und andere Delegierte repräsentieren eine breitere Schicht von Mitgliedern und FunktionärInnen der Linkspartei, die zwar die Beteiligung an bürgerlichen Regierungen nicht grundsätzlich ablehnen, den bestehenden Koalitionsvertrag aber schlichtweg für eine politische Zumutung und einen Ausverkauf aller linksreformistischen Versprechungen der Partei halten.

Insgesamt umfassen die beiden Strömungen rund ein Drittel der Delegierten zum Berliner Parteitag. Dass sich diese offene, bis hinein in Teile des Funktionärskörpers reichende Opposition bildet, hat wohl mehrere, miteinander verbundene Gründe:

a) Die desaströse Wahlniederlage der Linkspartei bei den Bundestags- und die Verluste bei den Berliner Wahlen. Diese haben den bestehenden Apparat geschwächt und damit auch den Kredit des Berliner Parteivorstandes und seiner KoalitionsmacherInnen.

b) Der Druck, den Bewegungen wie Deutsche Wohnen & Co. enteignen, die Krankenhausbewegung und antirassistische Mobilisierungen auf die Partei ausüben.

Gerade weil die Berliner Linkspartei mit diesen zumindest teilweise verbunden ist, zeichnet sich deutlich ab, dass sie mit ihnen in Konflikt geraten wird, sollte sie die Beschlüsse des Senats umzusetzen müssen.

c) Die Wahlniederlage hat auch das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Strömungen durcheinandergebracht, die sich seit dem 26. September faktisch paralysieren.

Das Wagenknecht-Lager bewegt sich weiter nach rechts und arbeitet an seiner Selbstentsorgung, die RegierungssozialistInnen verfügen außer über die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen über kein Konzept. Eine starke Opposition gegen eine neuerliche Senatsbeteiligung und erst recht die Verhinderung der Koalition würden ebenso wie die Wahl von Jules El-Khatib zum neuen Landessprecher in Nordrhein-Westfalen die Bewegungslinke stärken.

Berliner Landesparteitag und die Taktik der Spitze

Der Landesparteitag vom 4. Dezember stellte ein erstes Kräftemessen zwischen der Berliner Parteiführung und der Opposition dar. Vorweg: Wer die rund sechsstündige Übertrag miterlebte, konnte unschwer feststellen, dass zwischen den beiden Flügeln keine wirkliche Waffengleichheit besteht. Wie in reformistischen Parteien üblich, führte die Parteispitze auch gleich Parteitagsregie.

Das erste Drittel der Versammlung wurde von SprecherInnen der Führung, SenatorInnen, VerhandlerInnen und VertreterInnen der Bundespartei bestimmt, die sich fast ausschließlich für eine Fortsetzung der Koalition aussprachen.

Katina Schubert und Klaus Lederer präsentierten mit ihren Reden gewissermaßen das Skript für alle anderen UnterstützerInnen einer Koalitionsregierung.

Es gebe viel Schatten, vor allem den bitteren Verlust des Stadtentwicklungs- und Wohnungsressorts, aber eben auch viel Licht, das nicht übersehen werden dürfe. Außerdem existiere auch viel Gestaltungsspielraum in den Ressorts der Linkspartei.

Vor allem aber: Opposition führe zu Isolation und nicht zur Verankerung in außerparlamentarischer Opposition, die dann ja keine Ansprechpartnerin in der Regierung mehr hätte und für die es dann noch schlimmer käme. Die Partei dürfe nicht an Befindlichkeiten hängen und in die „Wohlfühlzone“ Opposition zurückziehen, sondern müsse für die Menschen da sein. Elke Breitenbach, die scheidende Sozialsenatorin, bemühte gar Bertolt Brecht. Wer im Senat kämpfe, könne verlieren, wer nicht kämpfe, also in die Opposition gehe, habe schon verloren. Wo DIE LINKE eigentlich in Jahren ihrer Regierungsbeteiligung wirklich gesiegt hat, verschwieg Breitenbach geflissentlich.

Schließlich wurde von der Parteispitze auch noch die FDP als mögliche alternative Regierungspartnerin von SPD und Grünen ins Spiel gebracht. Wer die Koalition ablehne, würde objektiv nur Giffey helfen, doch noch die Ampel durchzusetzen. Da macht die Linkspartei die Ampelpolitik, natürlich mit einigen nebensächlichen Verbesserungen, gleich selbst und verhindert so die FDP.

Auch während der weiteren Stunden sprach sich eine Mehrheit der Delegierten für die Fortsetzung der Koalition aus. Zusätzlich gestützt wurde dies durch etliche, wenn nicht alle VertreterInnen von Gewerkschaften, Bündnissen wie DWe und der sog. Stadtgesellschaft. Die meisten waren für eine rot-grün-rote Koalition trotz ihrer Schattenseiten. Einige warnten jedoch auch recht deutlich davor. So enthielt sich Rouzbeh Taheri von DWe zwar einer direkten Empfehlung zum Nein, stellte aber die Frage in den Raum, wie die Linksparteispitze eigentlich auf die Idee komme, dass sie politisch geschwächt all das im Senat durchsetzen könne, was ihr vier Jahre nicht gelang.

Interessant war auch, dass sich Tom Erdmann von der GEW trotz Vorbehalten für einen rot-grün-roten Senat aussprach, weil sonst die FDP drohe. Die ver.di-Vertreterin Jana Seppelt erklärte hingegen, dass die Aktiven der Krankenhausbewegung enttäuscht und sauer auf die Koalitionsregierung seien und ihr Fachbereich keine eindeutige Position zu deren Fortsetzung einnähme.

GegnerInnen

Die GegnerInnen der Koalition waren unter den SprecherInnen eindeutig in der Minderheit, was aber auch der Parteitagsregie selbst geschuldet war. Dies machte Lucia Schnell in ihren Beiträgen und einem Geschäftsordnungsantrag deutlich, als sie aufzeigte, dass sich unter den RednerInnen relativ wenige Personen befanden, die „nur“ Delegierte zum Landespartei waren und keine BerichterstatterInnen von Verhandlungsgruppen, SenatorInnen oder Gäste.

GegnerInnen der Weiterführung der Koalition wie Katalin Gennburg verwiesen darauf, dass das Gerade von Licht und Schatten banal sei und von der eigentlichen Frage nur ablenke, nämlich war am Schalter einer rot-grün-roten-Regierung säße – und das wären alle anderen, nur nicht die Linkspartei.

Ferat Koçak, einer der bekanntesten GegnerInnen der Fortsetzung der Koalition, kritisierte, dass die Linkspartei nicht nur ein paar Kröten, sondern einen Elefanten schlucken müsse, wenn sie in die neoliberale Regierung mit „racial profiling“, Abschiebungen und Wohnungsräumungen eintrete. Er machte auch deutlich, dass er in jedem Fall bei der Wahl des neuen Senats im Abgeordnetenhaus mit Nein stimmen werde.

Keine Abstimmung

All das wird die Spitze der Linkspartei, deren Opportunismus nur durch schier endlosen Selbstbetrug übertroffen wird, nicht weiter jucken. Sie wird vielmehr alle Mittel, die dem Apparat zur Verfügung stehen, dafür einsetzen, dass bei der Urabstimmung ein Ja rauskommt. Dies hätte für die Parteiführung den zusätzlichen Wert, die politische Verantwortung für die Senatsbeteiligung im Krisenfall der Basis zuzuschieben, die ihr ja in dieser Form von plebiszitärer Demokratie den „Auftrag“ erteilt hätte.

Auf welche Kniffe die Parteiführung dabei zurückgreift, zeigt schon der Parteitag. Nach sechs Stunden Debatte stand ein Antrag von Katalin Gennburg und anderen Delegierten zur Abstimmung, der folgende Empfehlung enthielt: „Der Landesparteitag von DIE LINKE Berlin empfiehlt den Mitgliedern des Landesverbands, beim Mitgliederentscheid den Koalitionsvertrag abzulehnen und entsprechend mit ‚Nein’ zu stimmen.“

Zur Abstimmung gelangte dieser jedoch nicht. Die Parteivorsitzende brachte einen Antrag auf Nichtbefassung ein, der mit 82 Für- bei 57 Gegenstimmen und drei Enthaltungen angenommen wurde.

Schubert begründete ihren Antrag auf Nichtbefassung damit, dass die Mitglieder das Recht haben müssten, eigenständig zu entscheiden. Eine Empfehlung würde den Mitgliederentscheid konterkarieren. Klingt demokratisch, ist es aber nicht. Schließlich gibt es eine faktische Empfehlung, für eine Fortsetzung der Koalition zu stimmen – durch das Verhandlungsteam und die Parteiführung. Dass der Parteitag über eine Empfehlung erst gar nicht abstimmen durfte, heißt nur, dass er kein Votum darüber abzugeben ermächtigt wurde, ob er die Position der Spitze und der Verhandlungsführung annimmt.

Nein zu Rot-Grün-Rot!

Die Bedeutung der Urabstimmung der Berliner Linkspartei sollte in den kommenden Wochen nicht unterschätzt werden. Schließlich bildet ihr Ausgang, selbst wenn sich die Parteiführung durchsetzen sollte, einen Gradmesser für das Kräfteverhältnis. Nicht minder wichtig ist jedoch, wie die Opposition oder, genauer, die verschiedenen Oppositionskräfte handeln werden, um sich als organisierte politische Kraft in der Linkspartei zu formieren. Gelingt ihnen das nicht, stellt die ganze Ablehnung der Giffey-Regierung wenig mehr als Schall und Rauch –  einen Theaterdonner, ein reformistisches Trauerspiel dar. Entscheidend ist daher, mit welcher Perspektive, mit welchen Initiativen sich eine solche Opposition nicht nur innerparteilich, sondern auch in den Mobilisierungen gegen den nächsten Senat formiert. Dazu braucht die Opposition in der Linkspartei freilich mehr als warme Worte für Initiativen wie DWe, die Krankenhausbewegung oder antirassistische Mobilisierungen. Sie muss gemeinsam mit anderen eine Aktionskonferenz organisieren zum Kampf für die Vergesellschaftung der großen Immobilienkonzerne, gegen den Pflegenotstand, Abschiebungen und „racial profiling“, die Pseudoumweltpolitik des Senats, für die Rekommunalisierung der S-Bahn und im Widerstand gegen die anderen rot-grün-roten Schweinereien.