Regierungsprogramm in Österreich: Ein grünes Feigenblatt für die ÖVP

Michael Märzen, Infomail 1083, 7. Januar 2019

Mit der Zustimmung von mehr als 93 % des
Bundeskongresses der Grünen zum schwarz-grünen Koalitionsabkommen ist die neue
österreichische Regierung fixiert. Doch die Zustimmungsquote täuscht über eine
berechtigte Skepsis an der Parteibasis hinweg, denn die Regierung steht
deutlich unter der Dominanz der ÖVP.

Die Volkspartei stellt 11 Ministerinnen und Minister
(darunter Finanzen, Inneres, Äußeres, Verteidigung, Wirtschaft, Arbeit,
Bildung, …) die Grünen nur vier (Justiz, Soziales, Umwelt, Kunst). Das
Regierungsprogramm selbst trägt eine rechts-konservative Handschrift. Dementsprechend
verfolgt die Grundausrichtung einen neoliberalen, rassistischen und autoritären
Kurs im Stil der „neuen Volkspartei“ unter Sebastian Kurz. Die ökologischen
Reformen, die wohl stark auf das Konto der Grünen gehen, werden zwar als Erfolg
präsentiert, einen ernsthaften Durchbruch in der Umweltpolitik bedeuten sie
aber nicht.

Große Zufriedenheit gibt es aber auch aufseiten der
Volkspartei nicht. Die vormalige schwarz-blaue Regierung war von Sebastian Kurz
als längeres strategisches Projekt angelegt worden, um bedeutende
Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung zurückzunehmen. Das ist zum Teil
gelungen, insbesondere bei der Ausweitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit
auf 12 Stunden pro Tag bzw. 60 Stunden pro Woche oder bei der Reform der
Sozialversicherung, welche die finanziellen Beiträge der Unternehmen entlastet
und ihren VertreterInnen mehr politischen Einfluss gibt. Andere wichtige
Projekte wie eine Steuerreform, die Reform der Arbeitslosenversicherung oder
Kürzungen für die ArbeiterInnenkammer konnten jedoch nicht mehr umgesetzt
werden, weil die schwarz-blaue Koalition am Ibiza-Skandal von Heinz-Christian
Strache bzw. damit verbundenen Auseinandersetzungen zerbrochen ist. Weitere
Skandale und Streitereien um den ehemaligen Parteichef Strache haben die FPÖ so
stark erschüttert, dass eine Fortsetzung des schwarz-blauen Projekts nach den
Neuwahlen im September kaum mehr möglich erschien – zum Bedauern von Sebastian
Kurz. Angesichts des Rechtskurses der ÖVP einerseits und der politischen Krise
der Sozialdemokratie andererseits war auch eine Versöhnung dieser beiden
Parteien unrealistisch. Durch das starke „Comeback“ der Grünen ins Parlament
und die aktuelle Bedeutung des Klimawandels in der öffentlichen Debatte wurde
die „grüne Option“ für die Volkspartei nun naheliegend.

Zentrale Reformen

Das übergeordnete Kurz‘sche Projekt, die Abgabenquote auf 40 %
zu senken, bleibt auch in der Regierung mit den Grünen erhalten. Dahinter steht
die neoliberale Ideologie der Volkspartei, Unternehmen und Besserverdienende zu
entlasten. Natürlich bedeutet das auf der anderen Seite weniger Einnahmen,
worunter mittelfristig das Sozialsystem leiden wird – aber das ist Teil der
neoliberalen Idee. Die Senkung der Abgabenquote ist letztlich eine populistisch
formulierte Strategie, die zu einer Umverteilung von unten nach oben führt. Ein
Element davon ist die Reform der Einkommenssteuersätze nach unten, von der auch
große Teile der ArbeiterInnenklasse profitieren, aber natürlich auch die
reicheren Einkommen. Die ärmsten Teile der Bevölkerung, die kaum oder keine
Einkommenssteuer zahlen, bekommen dabei keine Entlastung. Für die Bourgeoisie
lockt zusätzlich die Reduzierung der Körperschaftssteuer (von 25 auf 21 %),
welche die Gewinne von größeren Unternehmen besteuert.

Zeitgleich zur Reduktion der Abgabenquote möchte die
Regierung auch am Staatshaushalt sparen und die Schuldenquote auf 60 % des
BIP herunterdrücken. In der letzten Regierungsperiode hat diese Logik noch
funktioniert, weil die gute wirtschaftliche Lage zu höheren Steuereinnahmen
geführt hat. Nun sind die Konjunkturaussichten allerdings schlecht und die
gewünschten Investitionen in den Klimaschutz werden auch nicht wenig kosten.
Angesichts einer möglichen Weltwirtschaftskrise wird das österreichische
Kapital auch wieder nach milliardenschweren Konjunkturprogrammen schreien bzw. es
werden möglicherweise sogar große Mengen Geld für Banken- oder
Unternehmensrettungen erforderlich werden.

Um ein gewisses Wahlzuckerl umzusetzen, plant die Regierung
eine Erweiterung des Kurz-Prestigeprojekts Familienbonus. Ab nun sollen
kinderreiche und einkommensstarke Haushalte mit bis zu 1.750 statt 1.500 Euro
Steuerrückerstattung pro Kind und Jahr profitieren, sofern sie überhaupt so
viel Einkommenssteuer zahlen. Zwar kommen nun nicht mehr nur alleinerziehende,
sondern alle Niedrigverdienenden in den Genuss eines erhöhten
„Kindermehrbetrags“, allerdings beträgt dieser immer noch nur 350 Euro pro
Kind.

Die Grünen haben sich mit letztgenannter Maßnahme offenbar
für den Familienbonus überzeugen lassen, weil sie damit Maßnahmen zur
Armutsbekämpfung behaupten können. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch die
Ankündigung eines „Lückenschlusses bei Niedriglöhnen“, welche unter den
niedrigsten Kollektivvertragslöhnen liegen. Die Ankündigung wirkt nett,
allerdings handelt es sich dabei keinesfalls um einen gesetzlichen Mindestlohn,
wie teilweise in Medien suggeriert, sondern um sozialpartnerschaftliche
Verhandlungen, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts Wesentliches
herauskommen wird.

Das „Arbeitslosengeld neu“ aus schwarz-blauen Zeiten, über
das die Notstandshilfe abgeschafft werden sollte, findet sich in dieser Form
nicht mehr, allerdings eine „Weiterentwicklung des Arbeitslosengelds mit
Anreizen, damit arbeitslose Menschen wieder schnell ins Erwerbsleben
zurückkehren können“. Das zeigt natürlich, dass die ÖVP nicht von ihren
Reformplänen ablassen möchte, aber wohl keine Einigung erzielen konnte. Wie ein
grünen-konformer Angriff auf die Arbeitslosen aussehen kann, wird wohl noch
verhandelt.

Die Lage der Frauen wird sich mit dieser Regierung wohl kaum
verbessern. Nach Förderungskürzungen für Frauenvereine und einem
kontraproduktiven „Gewaltschutzpaket“, welches Gesundheitspersonal über den
Willen der Betroffenen hinweg zu Anzeigen bei Verdacht von Vergewaltigung
verpflichtet, soll das Frauenbudget in unbekannter Höhe aufgestockt werden und wird
es Ressourcen für Gewaltschutzzentren geben. Außerdem wird die Kinderbetreuung
ausgebaut (mit einem mittelfristig eventuell verpflichtenden zweiten
Kindergartenjahr) und die Umsatzsteuer auf Hygieneartikel für Frauen reduziert.
Eine geplante Studie über die Verteilung unbezahlter Arbeit wird dann zeigen,
dass sich an der geschlechtlichen Arbeitsteilung, der Grundlage für Sexismus
und Frauenunterdrückung, nichts geändert hat. Dazu wären eine Arbeitszeitverkürzung
und die Organisierung der Reproduktionsarbeit als eine gesellschaftliche
Aufgabe nötig.

Natürlich finden sich in diesem Regierungsprogramm wieder
einige rassistische Maßnahmen, mit denen die Kurz-ÖVP bei den rechtsstehenden
WählerInnen punkten will. So wird das schwarz-blaue Projekt der sogenannten
„Deutschförderklassen“ fortgeführt, d. h. für 15–20 Wochenstunden die
Separation von Kindern und Jugendlichen mit „ungenügenden Deutschkenntnissen“
vom Rest der Klasse. Anknüpfend an die schwarz-blauen Pläne soll die
„Versorgung und Rechtsvertretung von Schutzsuchenden“, d. h. von
AsylwerberInnen, „verstaatlicht“ werden, soll heißen, diese Aufgabe den NGOs zu
entziehen. Das würde mit Sicherheit zu einer schlechteren Situation für
Geflüchtete führen. Relativiert wird dieser Plan nur dadurch, dass die NGOs
einen „Qualitätsbeirat“ beschicken sollen. Wenig überraschend will man auch die
Asylverfahren beschleunigen, sich also weniger Zeit für ein angemessenes
Verfahren nehmen und orientiert sich nur noch an den „Mindeststandards“ der
Genfer Flüchtlingskonvention. Weiters soll es ein Kopftuchverbot für Mädchen
unter 14 an Schulen geben, was mit der „Religionsmündigkeit“ begründet wird,
andere religiöse Maßnahmen gegenüber Kindern wie Taufen, Beschneidungen usw.
werden dagegen toleriert.

Prinzipiell haben die ÖVP und Grünen sich im Bereich von
Flucht, Migration und Asyl die Möglichkeit offengehalten, potenziell ohne die
Koalitionspartnerin Gesetze in den Nationalrat einzubringen. In der Realität kann
die ÖVP daher jederzeit auf die FPÖ, mit der sie zusammen eine Mehrheit im
Nationalrat hält, zurückgreifen.

Ebenfalls unter „Asyl“ angeführt, obwohl es wohl alle
betreffen wird, ist die Einführung einer sogenannten „Sicherungshaft“, mit der
Personen präventiv, also auf Verdacht, eingesperrt werden sollen. Dieser
Schritt in Richtung Polizeistaat wird von einer gehörigen Aufstockung der
Polizei begleitet. Es soll gleich 2.300 zusätzliche Planstellen und 2.000
zusätzliche Ausbildungsplätze geben. Zur antimuslimischen Paranoia passt die
Einführung einer Dokumentationsstelle für „politischen Islam“, der pauschal als
Extremismus gebrandmarkt wird. Ganz allgemein soll es Maßnahmen gegen Vereine
mit „staatsfeindlichem Gedankengut“ geben. Als Beispiel werden hier die
Identitären genannt, aber zu befürchten sind Gesetze, die selbst linke
Organisationen mit revolutionärem oder schlicht staatskritischem Anspruch
treffen.

Für die Grünen und die Umweltbewegung ist das wichtigste
Thema natürlich der Klimaschutz. Hier plant die Regierung eine
„Klimaneutralität“ bis 2040 und 100 % Ökostrom ab 2030. Dazu sollen der nationale
Energie- und Klimaplan nachgebessert und Emissionsreduktionsziele festgelegt
werden. Darin finden sich durchaus gute Maßnahmen wie der Ausbau des
öffentlichen Verkehrs, ein 1-Million-Dächer-Photovoltaik-Programm oder ein
Ausstieg aus der fossilen Raumwärme. Eine CO2-Bepreisung soll durch eine Taskforce für 2022 erarbeitet
werden. Hier gab es offenbar keine Einigung. So oder so reichen diese Maßnahmen
allerdings wohl kaum, um die Klimaneutralität zu erreichen. Dazu bräuchte es
die Verstaatlichung der Konzerne und einen Wirtschaftsplan, um die CO2-Emissionen gezielt zu
reduzieren.

Rolle der Grünen und linke Strategie

Die Grünen sind sich über ihre untergeordnete,
steigbügelhalterische Stellung in dieser Regierung bewusst. Allerdings sehen
sie den Kompromiss als Notwendigkeit, um in der Umweltpolitik etwas voranzubringen.
Tatsächlich werden die ökologischen Maßnahmen für eine „grüne Wende“ aber nicht
ausreichen und die grüne Politik muss an den kurzfristigen Profitinteressen der
Bourgeoisie scheitern. Darüber hinwegzutäuschen, ist im wahrsten Sinne des
Wortes brandgefährlich. Die Grüne Partei offenbart sich dabei nun als
ökologisches Feigenblatt für reaktionäre bürgerliche Politik.

Dass die Grenzen der schwarz-grünen Klimapolitik ersichtlich
werden und zusätzlich Reibungen in der Regierung entstehen, bei denen die
Grünen wohl oder übel einknicken werden, wird sich auch in der Klimabewegung
ausdrücken. Die künftigen Auseinandersetzungen um eine radikalere Strategie sind
ein wichtiger Ansatzpunkt für die Linke, um die Klimabewegung von ihren
(klein)bürgerlichen Illusionen zu trennen und für ein Bündnis mit der ArbeiterInnenbewegung
zu gewinnen. Umgekehrt muss ein entsprechender Kampf in der ArbeiterInnenklasse,
insbesondere in den Gewerkschaften geführt werden. Auf diese Weise können die
Grünen auch so unter Druck kommen, dass die Regierung fällt und die ÖVP
isoliert wird. Eine internationalistische Offensive der Umwelt- und ArbeiterInnenbewegung,
die sich auf eine rätedemokratischen Organisierung stützt, kann dann die
antikapitalistische Zukunftsperspektive für die Milliarden Werktätigen
aufzeigen, die heute so dringend nötig ist.




Österreich: Regierung gegen die Unterdrückten

Heidi Specht, Arbeiter*innenstandpunkt, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 6

Kurz vor Weihnachten trat in Österreich eine neue Regierung ihren Dienst an – gebildet aus der konservativen Unternehmer*innenpartei ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ.

ÖVP

Die ÖVP schaffte es erstmals seit dem Jahr 2002 bundesweit auf den ersten Platz. Das verdankt sie insbesondere ihrer Galionsfigur Sebastian Kurz, der neuen Wind versprach und seine Ernsthaftigkeit unter anderem durch Änderung der Parteifarbe von Schwarz zu Türkis unter Beweis stellte. Er schaffte es, bei vielen Wähler*innen durch sein Alter und seine Versprechen Illusionen zu wecken, die darüber hinwegtäuschten, dass er als längstdienendes Regierungsmitglied bereits jahrelang die Politik mitgestaltet hatte. Viele Menschen haben in ihrem Wunsch nach Veränderungen übersehen, in welche Richtung diese gehen sollen: Angriffe auf die Armen und Unterdrückten zugunsten der Reichen und Unternehmen.

FPÖ

Die FPÖ befand sich bereits seit längerem im Aufwind. Sie hätte wohl noch stärker gewonnen, wäre die ÖVP unter Kurz nicht so stark nach rechts gegangen. In ihrer rechtspopulistischen Rhetorik ging es darum, sich für den kleinen, österreichischen Mann einzusetzen und die österreichische Frau vor Zuwanderer*innen zu beschützen. Außer Frage steht, dass sie ihr bestes tun werden, um ihre rassistischen Pläne umzusetzen und in Kurz darin auch einen guten Verbündeten haben. Dass durch rassistische Einsparungen nicht unbedingt mehr Geld für arme Österreicher*innen bleibt, wird wohl manche ihrer Wähler*innen enttäuschen.

Diese Regierung steht also für Reiche und Unternehmen, gegen die Unterdrückten und damit die Mehrheit der Bevölkerung. Sie plant in ihrem Programm nicht nur Angriffe gegen Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung, sondern auch gegen Frauen, Jugendliche, Arbeitslose und Migrant*innen.

Familienbonus Plus

Bereits durch den Ministerrat beschlossen wurde der sogenannte Familienbonus Plus, der laut Plänen der Regierung Anfang 2019 in Kraft treten soll. Dabei sollen pro Kind unter 18 Jahren um bis zu 1.500 Euro weniger Steuern gezahlt werden müssen. Was auf den ersten Blick gar nicht so schlecht wirkt, birgt doch einige Probleme. Um in den vollen Genuss dieser Leistung zu kommen, muss erst einmal genug verdient werden. Erst ab einem Bruttomonatseinkommen von 1.700 Euro bekommt man mit einem Kind den Vorzug der vollen Leistung, bei zwei Kindern benötigt man dazu mindestens 2.300 Euro. Viele Menschen in Österreich würden also sogar zu wenig verdienen, um bei nur einem Kind den vollen Betrag zu erhalten, und mit jedem zusätzlichen Kind muss mehr verdient werden, um zu profitieren. Diese Maßnahme ist damit klar eine zugunsten der Besserverdiener*innen. Im Ausgleich sollen zwei Leistungen abgeschafft werden, nämlich der Kinderfreibetrag und die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten für Kinder unter 10 Jahren. Wenn Bundeskanzler Kurz jetzt verspricht, niemand solle weniger bekommen als vorher, scheint das bereits fragwürdig. Konzepte wie die Erhöhung des Alleinverdiener*innen- bzw. Alleinerzieher*innenabsetzbetrages, von der unter anderem jene 60.000 Alleinerzieher*innen profitieren sollen, die so wenig verdienen, dass sie überhaupt keine Lohnsteuer zahlen und damit durch den Familienbonus Plus genau null Euro bekommen würden, sind noch höchst unausgegoren und auch nur eine Reaktion auf massive Kritik. Ungeachtet dessen bleibt die Tatsache bestehen, dass durch das Wegfallen der Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten für Familien die Option, dass ein Elternteil (üblicherweise die Frau) zuhause bleibt, weil das billiger ist als Kinderbetreuung, wieder stärker an Relevanz gewinnt.

Und um den Rassismus auch wirklich überall unterzubringen, betont FPÖ-Chef Strache, dass damit „österreichische Familien“ entlastet werden sollen, es aber „kein Förderprogramm für Groß-Zuwanderer*innenfamilien“ gäbe.

Familienbeihilfe

Eine weitere Idee, die derzeit auch innerhalb der EU heiß diskutiert wird, ist die Anpassung der Familienbeihilfe an die Lebenserhaltungskosten des Landes, in dem das Kind, für das die Beihilfe bezogen wird, wohnt. Das betrifft besonders Frauen aus Osteuropa, die in Österreich (häufig in der Pflege) arbeiten, um ihren Familien Geld nach Hause schicken zu können.

Um den Schein der Fairness zu wahren, soll für Kinder, die in Ländern leben, in denen die Lebenserhaltungskosten höher sind als in Österreich (z. B. die Schweiz oder skandinavische Länder), die Familienbeihilfe erhöht werden. Dass es dabei um sehr viel weniger Geld geht und außerdem um Personen, die tendenziell sowieso bereits besser verdienen, ist „natürlich reiner Zufall“.

Frauen als Mütter

Generell kann festgestellt werden, dass die Regierung das Thema Frauen fast ausschließlich in ihrer Rolle als Mütter thematisiert. Die Unterdrückung von Frauen, die über die Doppelbelastung von arbeitenden Müttern hinausgeht, wird wenig thematisiert. Zwar ist die Erleichterung der Berufstätigkeit für Mütter ohne Frage ein wichtiges Thema, doch auch hier scheint es sich eher um ein Lippenbekenntnis zu handeln, denn dazu tatsächlich notwendige Schritte wie der Ausbau kostenloser Kinderbetreuung werden nicht vorangetrieben. Im Gegenteil, unter Schwarz-Blau in Oberösterreich gab es in diesem Bereich sogar massive Verschlechterungen. Auch Pläne wie die Einführung von 12 Stunden täglicher Höchstarbeitszeit oder die Erhöhung der zumutbaren Entfernung des Arbeitsplatzes vom Wohnort erreichen das genaue Gegenteil.

„Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ steht zwar im Regierungsprogramm, wie das erreicht werden soll oder welche Konsequenzen Unternehmen erwarten die sich nicht daran halten, wird aber kaum bis gar nicht thematisiert. Damit fällt es schwer, das als ernsthaftes Ziel wahrzunehmen. Dafür werden Kürzungen im Sozialbereich Frauen wie immer härter treffen als Männer, und zwar nicht nur jene, die Familien betreffen. Frauen verdienen nach wie vor deutlich weniger als Männer, sind wesentlich häufiger von Altersarmut betroffen und damit zentraler auf Leistungen wie zum Beispiel Notstandshilfe oder Mindestsicherung angewiesen, bei denen eingespart werden soll.

Sexismus, Rassismus und Konservativismus

Generell kann festgestellt werden, dass dieses Regierungsprogramm Frauenförderung gleichsetzt mit Mütterförderung. Es versucht, seinen Rassismus mit angeblichem Antisexismus zu rechtfertigen. So suggeriert es, dass ein Unverständnis für die Gleichwertigkeit der Geschlechter in erster Linie bei Asylwerber*innen herrscht. Und es legt viel Wert auf die Feststellung, dass es nur zwei Geschlechter gibt und eine Familie eine Mutter und einen Vater braucht.

Noch gar nicht erwähnt sind die widerlichen Angriffe auf Asylwerber*innen, angefangen damit, ihnen Geld und Handys wegzunehmen, über Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht, Massenunterkünfte und noch weitere Erschwernisse beim Zugang zu Bildung.

Gegen das Regierungsprogramm mobilisieren

Die Opfer dieses Programms sind alle von Lohnarbeit Abhängigen und Unterdrückten. Um diese Maßnahmen abzuwehren, bedarf es einer ArbeiterInneneinheitsfront, also eines Bündnisses der Arbeiter*innenbewegung gemeinsam mit Geflüchteten, Arbeitslosen und anderen Unterdrückten, die gemeinsam mobilisieren und streiken. An so einem Bündnis werden wir uns nicht nur beteiligen, sondern legen Wert darauf, die Forderung nach Bildung einer Abwehrfront an diese Massen und ihre Führungen, besonders die SPÖ, KPÖ und die Gewerkschaftsvorstände zu richten. Daneben kämpfen der Arbeiter*innenstandpunkt und REVOLUTION Österreich im Rahmen so eines Bündnisses dafür, sich nicht nur gegen die geplanten Angriffe zu wehren, sondern auch eigene Forderungen wie die nach offenen Grenzen oder Arbeitszeitverkürzung aufzuwerfen. Ein erster Schritt, eine kampfstarke Bewegung ins Leben zu rufen, sind Versammlungen in Arbeiter*innen- und Migrant*innenvierteln, Betrieben, an Schulen, Unis, in Gewerkschaften und Sozialverbänden, um über praktische Kampfmaßnahmen und -strukturen zu diskutieren, zu entscheiden und Organe der Einheitsfront des Widerstands zu wählen, deren Leitungen ihrer Basis rechenschaftspflichtig sind und jederzeit an- und abwählbar sein müssen.




Vier Jahre Bürgerblock

Kapitalismus und Klassenkampf in Österreich

Von Michael Pröbsting, Revolutionärer Marxismus 34, Mai 2004

2003 sah Österreich die bedeutendsten Klassenkämpfe seit 1950. Im Frühjahr gingen Zehntausende auf die Straße, um gegen den Irak-Krieg zu protestieren. Unmittelbar danach organisierten die Gewerkschaften Massenproteste gegen die Pensionsreform, deren Höhepunkte zwei große Streiks  mit einer halben bzw. einer Million TeilnehmerInnen sowie eine Massendemonstration von 200.000 ArbeiterInnen. Im Herbst gab es mehrere Streiks des Bordpersonals der Fluglinie AUA sowie einen dreitägigen Streik der EisenbahnerInnen.

Ohne Zweifel ist Österreich – berühmt-berüchtigt für seine Stabilität und sozialpartnerschaftliche Friedhofsruhe – in eine Periode des Klassenkampfes eingetreten. Umso dringlicher ist es, diese Umbrüche vor dem Hintergrund der ökonomischen und politischen Veränderungen des österreichischen Kapitalismus zu analysieren.

In diesem Artikel beabsichtigen wir, einen Überblick über die wichtigsten Merkmale und Veränderungen in der Physiognomie des österreichischen Kapitalismus zu geben. Aus Platzgründen sind wir gezwungen, verschiedene Aspekte nur thesenartig und in konzentrierter Form dazulegen. Trotzdem hoffen wir damit, einen Beitrag für zum Verständnis der spezifischen Probleme des österreichischen Kapitalismus zu liefern. Ein Beitrag, der angesichts der äußerst bescheidenen Literatur auf diesem Gebiet seitens der Linken umso dringlicher ist (1).

Weltpolitischer Hintergrund

Ausgangspunkt einer Untersuchung des österreichischen Kapitalismus muss die Weltlage sein. Denn die politischen und ökonomischen Verhältnisse in Österreich – wie in jedem Nationalstaat – können vom marxistischen Standpunkt aus betrachtet nicht nur und nicht einmal in erster Linie aus den inneren Faktoren abgeleitet werden. Genau genommen sind die Weltwirtschaft und die Weltpolitik – die sich wiederum als Schmelztiegel aller nationalen Faktoren zu einer eigenständigen Totalität über diese erheben – die ausschlaggebenden Triebkräfte. Die ungleichzeitige und kombinierte Entwicklung des Weltkapitalismus trifft mit den lokalen Besonderheiten eines Landes zusammen und verschmilzt dann zur jeweils spezifischen nationalen Dynamik der politischen und ökonomischen Verhältnisse dieses Staates.

Von dieser methodologischen Prämisse ausgehend hat der ArbeiterInnenstandpunkt (ASt) – die österreichischen Sektion der Liga für die 5. Internationale (LFI) – immer das in der Linken verbreitete Vorurteil über den Ausnahmecharakter Österreichs und der „leider anderen österreichischen Mentalität“ abgelehnt. Wir beharrten darauf, dass sich die Klassenverhältnisse hierzulande verändern müssen und werden.

Wir haben in den letzten zwei Jahren in einer Reihe von Artikeln die Zuspitzung der ökonomischen und politischen Widersprüche des Weltkapitalismus dargelegt. Diese Entwicklung schlug um die Jahrhundertwende in eine neue Qualität um und eröffnete eine weltweit vor-revolutionäre Periode, die sich durch folgende Merkmale auszeichnet:

Die Phase der relativen Dynamik des globalen Kapitalismus geht zu Ende und macht einer Tendenz zur Stagnation der Produktivkräfte Platz. Daraus resultiert eine verschärfte Konkurrenz zwischen den Kapitalien und den imperialistischen Großmächten.

Das führt zu einer neuen, verschärften Angriffen der herrschenden Klasse. Der krisenhafte Charakter des Kapitalismus zwingt sie zu einer brutalen Offensive sowohl gegen die ArbeiterInnenklasse in den imperialistischen Metropolen als auch gegen die unterdrückten Völker. Daher die verstärkte Aggressivität des Imperialismus – allen voran des US-Imperiums – gegenüber den halb-kolonialen Ländern. Wir sind in eine Phase zunehmender militärischer Konflikte eingetreten, v.a. zwischen Imperialismus und Halbkolonien. Aus dem gleichen Grund bläst die Bourgeoisie – gerade in Westeuropa – zum Generalangriff gegen alle historischen Errungenschaften der Nachkriegsperiode.

Gleichzeitig provozierte die permanente Offensive des Imperialismus und der kapitalistischen Globalisierung sowohl einen Aufschwung massiver Klassenkämpfe als auch die Entstehung einer massiven antikapitalistischen und Anti-Kriegsbewegung.

Stärkung des österreichischen Kapitals auf Kosten der Arbeiterklasse

Weltweit leidet das Kapital darunter, dass die wachsende organische Zusammensetzung des Kapitals – das Anwachsen des konstanten Kapitals (Maschinen, Rohstoffe etc., c) im Vergleich zum variablen (Löhne, v) – die Profitrate nach unten drückt (tendenzieller Fall der Profitrate), wobei sich die Profitrate (p) aus dem Verhältnis des aus der dem Arbeiter nicht-bezahlten Arbeitszeit (Mehrwert m) im Verhältnis zum eingesetzten Kapital bildet (p = m/c+v).

Dies ist unausweichliches Resultat der Kapitalakkumulation. Letztlich ist das Vorgehen der Unternehmer vom Interesse geleitet, dieser Tendenz entgegenzuwirken. Möglichkeiten dafür bieten v.a. die Steigerung der Ausbeutung der ArbeiterInnen (z.B. Senkung der Lohnkosten, Verlängerung der Arbeitszeit) und die Verbilligung des konstanten Kapitals (billigere Technologien, Rohstoffe etc.). Besonders akut wird dieser Druck in Perioden der Stagnation oder gar Rezession, von der die Weltwirtschaft und daher auch Österreich gerade erfasst sind.

Die sich vertiefende Krise des Weltkapitalismus, die Globalisierung und die Herausbildung der Europäischen Union als ein imperialistischer Block haben einschneidende Konsequenzen für Österreich. Sie zwingen die herrschende Klasse zur Offensive gegen die eigene Arbeiterklasse.

Gegenwärtig befindet sich die österreichische Ökonomie – wie auch die europäische – in einer Stagnationsphase. Die letzten Jahre waren insgesamt im Vergleich zur Nachkriegsperiode vom geringsten Wirtschaftswachstum seit 1945 gekennzeichnet (BIP 2001: +0,7%, 2002: +1,0%, 2003: +0,8%; für 2004 werden +2,1% prognostiziert) (2). Im Jahr 2001 befand sich Österreich für ein Quartal in der Rezession. Der Ökonom Günther Chaloupek bemerkt zurecht: „Wir befinden uns in einem Zustand der Beinahe-Stagnation.“ (3)

Das zeigte sich besonders im starken Rückgang der Bruttoanlageinvestitionen 2001 (-2,2%) und 2002 (-4,8%), wobei hier vor allem die Ausrüstungsinvestitionen einbrachen und in beiden Jahren um 13 % zurückgingen. Parallel dazu stagnieren die Profitraten. Wenn wir als einen Annäherungswert die Kategorie der „Gewinnspanne“ aus der bürgerlichen Statistik nehmen, zeigt sich, dass diese 2002 nur um +0.5% wuchsen, 2003 erstmals seit 1993 sanken (-0.1%) und für 2004 und 2005 ein bescheidenes Wachstum von +0.4% bzw. +0.8% prognostiziert wird (4).

Die kurzfristigen Konjunkturaussichten hängen bei einer so stark vom Weltmarkt abhängigen Ökonomie wie der österreichischen naturgemäß von den internationalen Entwicklungen ab. Je nach Entwicklung der US- und der EU-Ökonomie wird Österreich entweder weiterhin stagnieren bzw. ein schwaches Wachstum erleben oder erneut in eine Rezession geraten.

Das Drücken der Lohnkosten ein zentrales Mittel des Kapitals, um die Profitrate zu erhöhen. In der Tat gelang es der österreichischen Bourgeoisie – dem internationalen Trend folgend – im letzten Jahrzehnt, ihre Position auf Kosten der Arbeiterklasse zu stärken und in den letzten Jahren eine massive Umverteilung von unten nach oben durchzusetzen. Die Lohnquote (der Anteil der Löhne am Volkseinkommen) fiel seit 1982 fast durchgehend. Die bereinigte Brutto-Lohnquote ging von 1982-2000 um 8% zurück und steht 2001 auf 72.5%. Die Netto-Lohnquote liegt noch deutlich tiefer (5). Entsprechend stiegen die Gewinne. Dies drückt sich auch in den Jahresabschlüssen in Industrie und Handel aus. Während in der Industrie die ordentlichen Personalaufwendungen 1997-2001 von 19.9% (im Verhältnis zur Betriebsleistung) auf 17.6% zurückgingen und im Handel von 11.4% auf 10.1% (trotz Beschäftigungswachstums!), stiegen die Profite und die Gewinnausschüttungen in der Industrie verdoppelten sich sogar (6). Angesichts der Stagnation der Weltwirtschaft und der verschärften Konkurrenz ist davon auszugehen, dass die Offensive des Kapitals in Richtung Lohnkürzungen unvermindert weitergehen wird.

Ebenso gelang dem Kapital die erfolgreiche Privatisierung öffentlicher Unternehmen. Auch hier liegt Österreich im internationalen Trend, v.a. der EU, in der sich in den 1990er Jahren die Hälfte aller Privatisierungen weltweit abspielte. Vergleicht man die Privatisierungsoffensive in Österreich mit anderen kleineren imperialistischen Ökonomien, so liegt Österreich im oberen Mittelfeld. Im Verhältnis zum BIP lagen die Privatisierungserlöse in Österreich 1998 bei 1.39%, in Portugal bei 4,05%, in Griechenland bei 3,26%, Dänemark 2,58% und Spanien 2,09% (7).

Nichtsdestotrotz existieren hier noch gewaltige Potentiale und das unter der Verwertungskrise leidende Kapital giert nach neuen Märkten. Daher stehen gewaltige Privatisierungen noch bevor bzw. wurden schon eingeleitet – z.B. Böhler-Uddeholm, VA Tech, Voestalpine, Bergbauholding, Telekom Austria, Post sowie viele Dienstleistungsbereiche. Die Industriellenvereinigung schätzte vor 4 Jahren das Privatisierungspotential auf umgerechnet 10.5 Mrd. €.

Als Resultat des Konzentrations- und Zentralisationsprozess des Kapitals bildete sich eine selbstbewusst agierende Großbourgeoisie heraus (z.B. Magna-Boss Stronach, Raiffeisen-Landesbank-OÖ-Chef „König Ludwig“ Scharinger, Prinzhorn). Im Zusammenhang mit der Privatisierungsoffensive werden auch die engen, cliquenhaften Verbindungen von Großkapital und Regierung immer offensichtlicher. Ein Paradebeispiel dafür ist die Affäre um die Homepage von Finanzminister Grasser, der sich diese durch eine Spende von 283.000 Euro (!) von der Industriellenvereinigung finanzieren ließ.

Damit hängt eine wichtige Veränderung in der österreichischen Klassengesellschaft zusammen: In der II. Republik herrschte das Finanzkapital jahrzehntelang durch die institutionelle Einbindung von städtischem Kleinbürgertum, Bauernschaft und Arbeiteraristokratie. Diese Klassenkonstellation bildete im wesentlichen die Grundlage des Systems der Sozialpartnerschaft.

Aufgrund der Krisenperiode des Kapitalismus seit den 1970er Jahren, der Globalisierung und den damit zusammenhängenden Veränderungen der Physiognomie der Klassen – Rückgang des Kleinbürgertums, Angriffe auf die oberen Arbeiterschichten – wurde diesem Block die Grundlage entzogen und das System der Sozialpartnerschaft zerfällt.

Österreich als Junior-Imperialismus

Die Globalisierung des Kapitalismus drückt auch Österreich ihren Stempel auf. Nicht nur in Form des Beitritts zur EU im Jahr 1994, sondern auch durch die wachsende Bedeutung von Auslandsinvestitionen. Die Verbindungen und Abhängigkeiten des österreichischen Kapitalismus von der Weltwirtschaft nahmen in den letzten 12 Jahren deutlich zu.

Diese Entwicklung ist höchst widersprüchlich und weist auf den spezifischen Charakter Österreichs als Junior-Imperialismus hin. Zusammengefasst verstärkte sich die Abhängigkeit und Unterordnung des österreichischen Kapitals gegenüber der EU im allgemeinen und dem deutschen Kapital im besonderen.

Gleichzeitig – und dies steht in einem dialektischen Zusammenhang damit, wie wir unten zeigen werden – konnte das österreichische Kapital seine imperialistische Rolle im halbkolonialen Osteuropa massiv ausbauen.

Folgende Zahlen zeigen deutlich die wachsende Integration der österreichischen Ökonomie in den Weltmarkt. Entsprachen die ausländischen Direktinvestitionen in Österreich 1990 noch 5.85% des Brutto-Inlandsprodukts (BIP) und jener österreichischer Direktinvestitionen im Ausland 2.5% des BIP, so wuchsen diese Werte im Jahr 1995 auf 8.04% bzw. 4.8% des BIP und 2002 auf 19% bzw. 16.8%.

Wir erlauben uns an dieser Stelle eine kurze Anmerkung zum parasitären Charakter des Kapitals am Beispiel Österreichs. Auch wenn die Direktinvestitionen – also weitgehend produktive Investitionen – zunahmen, wird viel mehr Kapital rein spekulativ investiert; sowohl von österreichischen Kapitalisten im Ausland als auch von ausländischen in Österreich. So hatten die grenzüberschreitenden Vermögenswerte Österreichs zum Stichtag 31. Dezember 2001 einen Wert von 303.5 Mrd. Euro. Davon machten Direktinvestitionen 31.5 Mrd. Euro aus. Mit anderen Worten: Nur etwas mehr als 10% aller österreichischen Auslandinvestitionen sind produktiver Natur – der Rest spekulativ. Denn der größte Teil des Vermögensbestands entfiel auf Portfolioinvestitionen, die zum Jahresende 2001 einen Marktwert von 135.2 Mrd. Euro erreichten. Inländische Anleger erhöhten dabei ihren Bestand an Rentenwerten auf 92.2 Mrd. Euro, während sich der Besitz an Anteilspapieren um 9% auf 41,9 Mrd. Euro reduzierte. Das Auslandsvermögen der ÖsterreicherInnen in Form von Krediten, Einlagen und sonstigen Forderungen erreichte Ende 2001 einen Wert von 119.1 Mrd. Euro. Ähnlich verhält es sich mit ausländischen Investitionen in Österreich (8).

Das ausländische Kapital spielt eine immer stärkere Rolle in Österreich. Eine Übersicht über Direkt- und Letzteigentümer und zeigt, von wem die österreichischen Firmen letztendlich kontrolliert werden. Die zwei wichtigsten Eigentümerkategorien sind inländische Nichtbanken, die 37.2% der Beteiligungen besitzen, und ausländische Firmen. Ausländische Firmen halten 32.8% der Beteiligungen direkt, 35.6% als Letzteigentümer und stellen in 37.4% der untersuchten Firmen den größten Letztanteilseigner (9).

Ohne Zweifel konnte sich in den letzten 13 Jahren das ausländische Kapital gegenüber dem inländischen stärken. Die meisten Auslandsinvestitionen kommen aus der EU (2001: 73%) und dabei besonders vom mit Abstand wichtigsten Auslandsinvestor in Österreich – dem deutschen Kapital (43,5%). Damit konnte das deutsche Kapital seine Position in Österreich in den letzten 15 Jahren weiter ausbauen.

Gleichzeitig aber fand mit der Herausbildung eines halbkolonialen Hinterlandes in Ostmitteleuropa eine der wichtigsten Veränderungen für den österreichischen Kapitalismus in der Nachkriegsgeschichte statt. Hier konnte das österreichische Kapital die 1990er Jahre ausnützen, um seine Position zu stärken und teilweise eine führende Rolle einzunehmen. Heute sind österreichische Unternehmen in Slowenien der größte Auslandsinvestor, in der Slowakei belegen sie Platz 2 und in Tschechien und Ungarn Platz 3. Insgesamt stellt Osteuropa den zentralen Ort für Neuinvestitionen im Ausland dar.

Seit 1995 investierte das österreichische Kapital mehr in Osteuropa als in der EU! Insgesamt ist für Österreichs Unternehmen die Bedeutung Osteuropas für den Kapitalexport heute fast genauso groß wie die EU: 2001 lagen 38.2% des österreichischen, im Ausland investierten Gesamtkapitalstocks in der EU, aber bereits 35.7% in Osteuropa (10)! Ende 2001 arbeiteten 70 % der knapp 270.000 in österreichischen Unternehmen im Ausland Beschäftigten in Osteuropa (davon jeweils über 50.000 in Ungarn und in der Tschechischen Republik, 25.000 in der Slowakei und 20.000 in Polen). In der EU findet sich ein Fünftel, außerhalb Europas nur weniger als ein Zehntel der Beschäftigten (11).

Hier zeigt sich eine Ausnahmeposition Österreichs im Vergleich zu den imperialistischen Konkurrenten in der EU und weltweit. Für kein imperialistisches Land spielt das halb-koloniale Osteuropa eine so wichtige Rolle für den Kapitalexport wie für Österreich. Während Osteuropa, das Ziel nur von 2% aller weltweiten ausländischen Direktinvestitionen ist, strömen zwischen 2-5% aller Auslandsinvestitionen des deutschen, schweizerischen oder skandinavischen Kapitals in diese Region. Hingegen geht ein Drittel aller ausländischen Direktinvestitionen in Österreich beheimateter Unternehmen nach Osteuropa (12)!

Der Grund dafür? Österreichs Unternehmen investieren v.a. in Branchen mit geringer Kapitalintensität und hoher Arbeitsintensität, also technologisch rückständigen Branchen, da das österreichische Kapital selber schwächer und rückständiger ist als die Konkurrenz in der EU. Für das österreichische Kapital liegt die Profitrate für Auslandsinvestitionen in Osteuropa deutlich höher als in Westeuropa oder den USA. So lag 1999 die Eigenkapitalrentabilität für österreichische Investitionen in Osteuropa bei 10.4%, jedoch nur bei 5.7% in Westeuropa oder Übersee (13).

Osteuropa spielt als Quelle eines imperialistischen Extraprofits also eine zentrale Rolle für das österreichische Kapital.

Spätestens an diesem Punkt müssen wir jedoch auf folgendes Phänomen hinweisen. Die massiven Auslandsinvestitionen in Osteuropa und die wachsende Stellung des deutschen Kapitals in Österreich sind nicht zwei voneinander unabhängige Prozesse, sondern stehen in engem Zusammenhang. Teilweise nützt das ausländische – v.a. das deutsche – Kapital Österreichs Position in Osteuropa. Nach einer Untersuchung der Österreichischen Nationalbank waren 1999 bei den österreichischen Auslandsinvestitionen insgesamt knapp 23% der aktiven Beteiligungen und 32% der im Ausland Beschäftigten ausländisch beeinflusst. Das ist jedoch nur der Durchschnittswert. Bei den Auslandsinvestitionen in der EU bzw. dem restlichen Europa betrug der Einfluss ausländischer Konzerne 18 bis 19% bei den Beteiligungen bzw. nur 16 bis 18% bei den Beschäftigten. Im Falle der österreichischen Auslandsinvestitionen in Osteuropa jedoch lag dieser Anteil bei 26% bei den Beteiligungen und 39% bei den Beschäftigten (14).

Mit dem EU-Beitritt der ostmitteleuropäischen Länder 2004 könnte jedoch diese Position unter Druck kommen, da dadurch der Zugang zu den osteuropäischen Märkten für andere Kapitalien leichter wird. Eine solche Entwicklung hätte wiederum massive negative Folgen für das österreichische Kapital. Andererseits jedoch könnte das österreichische Kapital seine Rolle als Junior-Imperialismus nützen und sich durch verstärkte Unterordnung unter das deutsche Kapital Nischen in Osteuropa sichern.

Fazit: Österreich ist ein Junior-Imperialismus des großen deutschen Bruders in einer sich globalisierenden Welt. Sein Motto lautet: nach oben (Deutschland und EU) buckeln und nach unten (Osteuropa) treten. Um seine Position am Weltmarkt zu verteidigen, muss es sich angesichts des zunehmenden Konkurrenzkampfes und des weltweiten Konzentrations- und Zentralisationsprozess – bei Strafe des Untergangs – zunehmend dem EU- und insbesondere dem deutschen Kapital unterordnen.

Probleme und Schwächen des österreichischen Kapitals

Betrachtet man das österreichischen Kapital im internationalen Vergleich, zeigt sich, dass es innerhalb des imperialistischen Lagers nur eine untergeordnete Rolle am Weltmarkt spielt und nach wie vor deutlich schwächer ist als vergleichbare kleinere imperialistische Ökonomien.

Unter den von der US-Wirtschaftszeitschrift „Business Week“ jährlich aufgelisteten Global Top 1000 Konzernen befinden sich nur 2 österreichische Unternehmen (auf Platz 689 und 737), während Belgien 9, Dänemark 6, Finnland 5, Griechenland 7, Irland 4, Niederlande 19, Norwegen 5, Schweden und Schweiz je 17 Top-Konzerne stellen (15). Nur in einigen – auf dem Weltmarkt von seiner Kapitalmasse her aber unbedeutenden – Nischen gelingt es österreichischen Konzernen, eine führende Position einzunehmen. Damit einher geht die oben angeführte Zurückdrängung des österreichischen Kapitals am Binnenmarkt.

Österreichs Kapital gibt nach wie vor sehr wenig für neue Technologien sowie Forschung und Entwicklung aus. Bei den Ausgaben für Forschung & Entwicklung liegt Österreich innerhalb der OECD nur an 14. Stelle und hinter den meisten anderen kleineren imperialistischen Staaten. Nach wie vor ist Österreichs Industrie arbeitsintensiv und rückständig. Die höchsten Exportmarktanteile in die EU liegen in der Holz- und Papierindustrie sowie bei mineralischen Produkten.

Ein anderer Ausdruck der Rückständigkeit des Kapitals ist die niedrige Kapitalproduktivität, also das Verhältnis von eingesetztem Kapital und Output sowie die den technologischen Fortschritt ausdrückende Totale Faktorproduktivität. Ebenso spielen im internationalen Vergleich bei der Kapitalakkumulation in Österreich die Bauinvestitionen eine deutlich höhere Rolle als die Ausrüstungsinvestitionen (16).

All diese Faktoren führen dazu, dass das österreichische Kapital dem tendenziellen Fall der Profitrate und dem wachsenden Druck durch die internationale Konkurrenz nur durch immer schärfere Attacken auf die Arbeiterklasse und die wachsende Ausbeutung Osteuropas begegnen kann.

Zusammengefasst können wir die Resultate der Bemühungen des österreichischen Kapitals folgendermaßen charakterisieren: Die Bourgeoisie konnte ihre Position gegenüber der österreichischen Arbeiterklasse signifikant stärken, im internationalen Konkurrenzkampf gelangen ihr Fortschritte im Aufbau eines halbkolonialen Hinterlandes in Osteuropa; gegenüber den imperialistischen Konkurrenten gelangen ihr insgesamt jedoch keine Fortschritte bzw. fiel sie sogar zurück. Insgesamt ergibt sich daraus der verstärkte Junior-Charakter des österreichischen Imperialismus, der sich an Größere anhängen muss (v.a. Deutschland). Ebenso erklärt sich daraus die Entscheidung der österreichischen Bourgeoisie für eine besonders reaktionäre Regierungsform – die ÖVP/FPÖ-Koalition. Um ihre Position in einer Periode der Krise zu verteidigen, ist die österreichische Bourgeoisie zu noch schärferen Angriffen gegen die Arbeiterklasse gezwungen.

Eigener Weg oder kleiner Bruder Deutschlands?

Wir haben die enorme ökonomische Abhängigkeit Österreichs von der EU im allgemeinen und Deutschland im besonderen nachgewiesen. Gleichzeitig haben wir auch die wachsende Bedeutung Osteuropas für das heimische Kapital aufgezeigt. Was bedeutet dies nun für die politische Positionierung der österreichischen Bourgeoisie innerhalb der EU?

Innerhalb der herrschenden Klasse – insbesondere in der Großbourgeoisie – herrscht Einigkeit darin, dass sie ihr Überleben in einer Welt zunehmender Spannungen und Instabilität nur im Rahmen der EU abgesichert werden kann. Deswegen ist – unabhängig von allen rhetorischen Drohungen seitens mancher FPÖ-Politiker – ein Austritt aus der EU oder auch nur eine ernsthafte Obstruktion zentraler EU-Projekte undenkbar.

Dies bedeutet aber nicht, dass die österreichische Bourgeoisie keine spezifischen Interessen hätte. Beispiele dafür sind die Konflikte rund das AKW in Temelin, die Debatten um die Benes-Dekrete, das Mitspracherecht kleinerer Staaten in der neuen EU-Verfassung oder der Transit-Konflikt.

Insgesamt war die EU-Politik der ÖVP/FPÖ-Regierung seit ihrem Machtantritt im Februar 2000 von Rückschlägen und Schwierigkeiten geprägt. Zuerst einmal der so genannte diplomatische Boykott der EU-Staaten gegenüber Österreich. Diese Krise konnte zwar überwunden werden, aber wie die Niederlage im Transitkonflikt zeigt, gelang es der Regierung Schüssel auch danach nicht, effektives Lobbying zu betreiben und Einfluss in der EU zu gewinnen.

Unabhängig von solchen konjunkturellen Entwicklungen sind die strategischen Überlegungen über das „Mitteleuropa-Konzept“ bedeutsam. Manche Teile des außenpolitischen Establishments (z.B. der frühere ÖVP-Vorsitzende Erhard Busek) streben in Anlehnung an die Vergangenheit des Habsburger Reiches danach, um Österreich einen Block ostmitteleuropäischer Länder zu scharen. Damit erhoffen sie sich eine unabhängigere Rolle Österreichs. Diese Überlegungen werden mit der EU-Osterweiterung noch bedeutender.

Aus verschiedenen Gründen ist eine ernsthafte Umsetzung dieses „Mitteleuropa-Konzepts“ jedoch höchst unwahrscheinlich. Erstens unterminierte gerade die teilweise aggressive Außenpolitik der schwarz-blauen Regierung gegenüber osteuropäischen Nachbarstaaten wie der Tschechischen Republik und der reaktionäre Populismus der Regierungspartei FPÖ eine solche außenpolitische Annäherung.

Zweitens aber – und dies ist viel wichtiger – besitzt Österreich nicht das notwendige ökonomische und politische Gewicht, um einen solchen Block zu bilden. Das österreichische Kapital kann sich nicht aus der Umklammerung Deutschlands befreien. Dies trifft umso mehr zu, als wichtige österreichische Vorposten in Osteuropa wie z.B. die Bank Austria mittlerweile einen deutschen Eigentümer haben.

Angesichts der Verschärfung der inner-imperialistischen Konkurrenz und der Polarisierung auch innerhalb der EU (zwischen Deutschland-Frankreich einerseits und Ländern wie Italien, Britannien oder Spanien andererseits) wird Österreichs Spielraum immer geringer. Es ist daher wahrscheinlich, dass Österreich im Fall eines „Europas der zwei Geschwindigkeiten“, mit einem von Deutschland und Frankreich geführten „Kern“ geht.

Neutralität oder Militärbündnis?

Der Druck zur stärkeren Anbindung an die voranschreitende Integration der EU bzw. des deutsch-französischen Kerns drückt sich auch militärisch aus. Dies zeigt sich bei Österreich deutlicher als bei anderen EU-Staaten, da hierzulande seit dem Ende der Besatzung 1955 die Doktrin der außen- und militärpolitischen Neutralität gilt.

Natürlich existierte diese Neutralität niemals wirklich. Politisch und ökonomisch war Österreich immer an den imperialistischen Westen angebunden. Auch militärisch war Österreich nicht wirklich neutral. Dies zeigte sich bei den bereitwilligen Spionage- und Abhördiensten, die Österreich für die NATO leistete (z.B. Projekt Goldhaube, regelmäßige Weitergabe von Informationen durch den Heeresnachrichtendienst an die NATO-Stellen in München). Wie in anderen westeuropäischen Ländern existierte das Gladio-Projekt – ein von westlichen Geheimdiensten eingerichtetes Netz von Stützpunkten, geheimen Waffenlagern und verlässlichen Agenten gegen eine mögliche „kommunistische Machtübernahme“ – auch in Österreich.

Trotzdem beinhaltete die Neutralität zumindest, dass Österreich nicht einem Militärbündnis beitrat. Noch bedeutender war, dass sich in der Bevölkerung ein Bewusstsein breit machte, das mit der Neutralität die Hoffnung verband, nach den schrecklichen Erfahrungen der beiden Weltkriege nicht mehr in Kriege hineingezogen zu werden. Daher war und ist es für die herrschende Klasse nach wie vor schwierig, die Bevölkerung für die Teilnahme Österreich an einem militärischen Abenteuer des US-amerikanischen oder eines anderen Imperialismus zu begeistern.

Doch die voranschreitende EU-Integration, die Notwendigkeit militärischer Aufrüstung und einer eigenständigen EU-Militärpolitik zwingen die österreichische Bourgeoisie immer mehr, das aus der Periode des Kalten Krieges stammende „Dogma“ der Neutralität aufzugeben. Daher der Beitritt zur NATO-„Partnerschaft für den Frieden“ als erster Schritt; daher der Ankauf der teuren, NATO-kompatiblen Eurofighter, daher die (symbolische) Stationierung österreichischer Soldaten im Kosovo und in Afghanistan.

Alles weist darauf hin, dass Österreich in der kommenden Periode einem Militärbündnis beitreten wird. Dabei ist es möglich, dass dies nicht die NATO ist, sondern ein Militärbündnis der EU bzw. von Teilen der EU.

Ein solcher Beitritt wird für die österreichische Bourgeoisie zur Notwendigkeit, zum Preis, den sie für ein „Mitfahren“ im imperialistischen EU-Block zu zahlen hat. Österreich wird sich daher mit aller Wahrscheinlichkeit auch an künftigen Kriegseinsätzen der EU beteiligen.

Allerdings stößt dieser Schritt auf breite Ablehnung in der Bevölkerung und es wird daher nicht so leicht für die herrschende Klasse werden, dieses Projekt durchzudrücken.

Als marxistische RevolutionärInnen lehnen wir einen Beitritt Österreichs zu einem imperialistischen Militärbündnis ab, da dies militaristische Bestrebungen erleichtert. Wir stellen aber einem Beitritt nicht das rosige Bild der Neutralität entgegen.

Der österreichische Staat ist ein imperialistischer, der andere Länder ausplündert und dessen herrschende Klasse immer auch die Mittel zu Verteidigung ihrer imperialistischen Stellung verteidigen wird – auch ohne formelle Mitgliedschaft in NATO oder EU. Eine „wirkliche“ Neutralität Österreichs ist unter kapitalistischen Bedingungen einfach unmöglich.

Schwarz-blauer Generalangriff

Wir haben die Probleme der österreichischen Bourgeoisie unter den Bedingungen des krisenhaften globalen Kapitalismus skizziert. Aus ihnen ergibt sich der unausweichliche Zwang für die herrschende Klasse, die Ausbeutung der Arbeiterklasse drastisch zu erhöhen. Es ist dieser Zwang der kapitalistischen Notwendigkeiten, der sich jede Regierung, die sich auf die Grundlage bürgerlicher Eigentumsverhältnisse stellt, unterwerfen muss. Auch eine rot-grüne Regierung könnte keine wesentlich andere Politik verfolgen als die Regierung Schüssel (wie man eindrucksvoll in Deutschland sehen kann).

Die österreichische Bourgeoisie kam in den späten 1990ern zur Ansicht, dass eine schwarz-blaue Wenderegierung am ehesten geeignet ist, die notwendigen schweren Angriffe auf das Proletariat durchzusetzen. Trotz der massiven Schwächung der FPÖ bei den Nationalratswahlen vor einem Jahr und ihrer damit zusammenhängenden inneren Fragilität, befürwortete das Großkapital im Frühjahr 2003 eine Fortsetzung dieser Koalition.

Die jüngste Pensionsreform und die vollständige Privatisierung des Linzer Stahlkonzerns Voest zeigen, dass nun die wirklich schweren Angriffe auf die Errungenschaften der Arbeiterbewegung folgen. Das Ziel der herrschenden Klasse und ihrer Regierung ist eine massive Veränderung des Klassenverhältnisses zu ihren Gunsten und eine substantielle Schwächung der Arbeiterbewegung. Es handelt sich also sowohl um eine ökonomische Offensive zwecks Verbesserung der Verwertungsbedingungen für das Kapital als auch eine politische Offensive ähnliche wie jene Reagans and Thatchers in den 1980ern.

Die Pensionsreform war der erste erfolgreiche Großangriff von Schwarz-Blau II. Weitere werden und müssen – vom Gesichtspunkt des Kapitals – folgen. Hier sind v.a. zu nennen: „Harmonisierung“ der Pensionssysteme, Angriffe auf den Gesundheitssektor, Privatisierung der staatlichen Industrie, Ausgliederungen und Privatisierung im öffentlichen Dienstleistungsbereich (GATS).

Das österreichische Kapital braucht aufgrund der Überalterung der österreichischen Bevölkerung neue, junge und qualifizierte Arbeitskräfte. Bereits seit Jahrzehnten holt das Kapital immer mehr ImmigrantInnen nach Österreich. Machten diese 1965 nur 1.3% aller Lohnabhängigen aus, so stieg dieser Anteil kontinuierlich auf 4.6% (1970), 6.1% (1980), 7.4% (1990), 9.8% (1995) und schließlich 10.6% (2002) (16). Durch die EU-Osterweiterung wird die notwendige verstärkte Arbeitsimmigration erleichtert. Wir gehen also für den Zeitraum der kommenden 5-10 Jahre von einem Zuzug zehntausender Arbeitskräfte v.a. aus Osteuropa aus.

Natürlich verwendet die Bourgeoisie die wachsende Zahl von ArbeitsimmigrantInnen, um den Lohn zu drücken und „teure“ einheimische Arbeitskräfte (inkl. schon eingebürgerter ImmigrantInnen) durch billigere ausländische ArbeiterInnen zu ersetzen. Insofern stellt diese Entwicklung eine enorme Gefahr dar: die Bourgeoisie wird versuchen, den Rassismus zu schüren, dadurch die Klasse zu spalten und von den sozialen Widersprüchen abzulenken.

Doch gleichzeitig enthält die wachsende Immigration ein fortschrittliches Potential, denn sie sprengt die (gerade in Österreich starke) nationalstaatliche Borniertheit und schafft die objektiven Voraussetzungen für einen Internationalismus der Arbeiterklasse. Lenin stellte schon vor mehr als 90 Jahren fest:

„Es besteht kein Zweifel, daß nur äußerstes Elend die Menschen veranlaßt, die Heimat zu verlassen, und daß die Kapitalisten die eingewanderten Arbeiter in gewissenloser Weise ausbeuten. Doch nur Reaktionäre können von der fortschrittlichen Bedeutung dieser modernen Völkerwanderung die Augen verschließen. Eine Erlösung vom Joch des Kapitals ohne weitere Entwicklung des Kapitalismus, ohne den auf dieser Basis geführten Kapitalismus gibt es nicht und kann es nicht geben. Und gerade in diesen Kampf zieht der Kapitalismus die werktätigen Massen der ganzen Welt hinein, indem er die Muffigkeit und Zurückgebliebenheit des lokalen Lebens durchbricht, die nationalen Schranken und Vorurteile zerstört und Arbeiter aller Länder in den großen Fabriken und Gruben Amerikas, Deutschlands usw. miteinander verbindet.“ (17)

Historische Beispiele dafür sind die gemeinsamen Sitzstreiks von schwarzen und weißen Automobilarbeitern Mitte der 1930er Jahre in den USA oder auch die verstärkte Beteiligung türkischer Arbeiter in der deutschen IG Metall. Um eine dauerhafte Überwindung des Rassismus zu erreichen, ist letztlich der Aufbau einer multinationalen, revolutionären Arbeiterpartei notwendig, die den proletarischen Internationalismus in die Klasse trägt.

Die Verschärfung des Klassenkampfes bedingt für die herrschende Klasse auch verschiedene Änderungen auf der Ebene des Staatsapparates. Daher der Ausbau des Polizeistaates und allgemein der sozial-administrativen Kontrolle der Bevölkerung (z.B. Gesundheitschip). Dies wird über kurz oder lang auch zu einem verstärkten Vorgehen gegen Linke (wie auch andere Elemente wie z.B. IslamistInnen) führen.

In Zusammenhang mit den Veränderungen des österreichischen Kapitalismus muss auch die geplante Neuerstellung einer Verfassung durch den Österreich-Konvent gesehen werden. Hier wird die Großbourgeoisie versuchen, die Verfassung zu ihren Gunsten neu zu schreiben.

Das bürgerliche Lager

Trotz der Stärkung der Bourgeoisie in den letzten beiden Jahrzehnten ist das bürgerliche Lager keineswegs frei von inneren Widersprüchen. Der ÖVP ist insgesamt seit dem Höhepunkt ihrer Krise 1994/95 eine bemerkenswerte Konsolidierung gelungen. War sie früher von massiven internen Konflikten zwischen Bund und Ländern geprägt, ist sie nun zu einer einheitlichen Kraft unter Führung des Bonaparten Schüssel geworden. Dies drückt die Hegemonie der neoliberalen Großbourgeoisie innerhalb der Partei (Schüssel, Bartenstein, Raiffeisen-Konzern usw.) und die Unterordnung der ÖAAB-Hofräte in den Gewerkschaften und der Bauern aus.

Dies zeigt sich darin, dass die ÖVP-Führung oft die Interessen der Großbourgeoisie offensiver in der Öffentlichkeit vertritt als die Industriellenvereinigung (she. Pensionsreform). Natürlich schließt dies gewisse innerparteiliche Konflikte in Zukunft nicht aus. Aber erst massive Umbrüche – hervorgerufen entweder durch eine scharfe Wende in der Weltwirtschaft bzw. Weltlage oder durch Niederlagen gegen die Arbeiterbewegung – würden zu einer neuerlichen Führungskrise der Bourgeoisie und damit der ÖVP führen.

Die FPÖ hat ohne Zweifel ihre strategische Krise nach wie vor nicht überwunden. Sie kann sie auch nur überwinden, wenn sie entweder in Opposition geht und sich dort als rechts-populistische, rassistische, neoliberale, radikale Anti-Gewerkschaftspartei konsolidiert (wohl gegen eine Regierung mit SPÖ-Beteiligung) oder wenn sie treibende Kraft in einer Regierung wird, die unter dem Vorzeichen der radikalen Offensive gegen die Arbeiterbewegung und einer Art politischen Ausnahmezustandes steht (vergleichbar mit den USA nach dem 11. September). Beide Varianten sind durchaus denkbar, sind aber gegenwärtig nur unter einer Führung Haiders mit entsprechenden innerparteilichen Umbrüchen denkbar. Mit einem Kurs als Juniorpartner der ÖVP haben die Freiheitlichen keine Zukunft. Nicht auszuschließen wäre auch eine kalte Spaltung etwa in Form einer formellen Trennung der Kärntner FPÖ und die Bildung eines CDU/CSU-Modells mit der Rest-FPÖ.

Die Grünen haben ihren Charakter als besondere bürgerliche Partei bestätigt und konnten mit der Gewinnung des Bezirksvorsteherpostens im 7. Wiener Gemeindebezirk einen gewichtigen Erfolg erzielen. Während sie ganz offensichtlich politisch zu einer vollständig angepassten, bürgerlichen Kraft mutiert sind, verfügen sie nach wie vor über nur geringe Verankerung innerhalb der Bourgeoisie. Insofern stellen sie eine besondere bürgerliche Partei dar – ohne relevante organische Verbindungen mit der Bourgeoisie.

Daher war es auch nicht überraschend, dass die Regierungsverhandlungen mit der ÖVP scheiterten. Dennoch konnten sich die bürgerlichen Kräfte innerhalb der Partei stärken, was sich in der Annäherung an eine Koalition mit der ÖVP und deren Realisierung in Oberösterreich ausdrückt. Die Grünen werden sich wohl weiterhin als liberale, „humanistische“ Partei profilieren (she. ihren Erfolg bei den Hochschülerschaftswahlen 2003) und auf die nächsten Wahlen und eine Regierungsbeteiligung mit der SPÖ oder der ÖVP hoffen.

Die Möglichkeit von vorgezogenen Neuwahlen aufgrund einer Regierungskrise existiert. Es ist aber unwahrscheinlich, dass diese von der ÖVP ausgeht, denn sie könnte dabei nur verlieren (42% sind nicht leicht wiederholbar). Sie könnten nur das Resultat eines Führungswechsels in der FPÖ durch Haider sein, wenn dieser den Moment für gekommen sieht, die letzte Wahlniederlage wettzumachen.

Veränderungen in der Arbeiterklasse

Für die österreichische Arbeiterklasse bedeuteten die letzten Jahre Verarmung und verstärkte Ausbeutung. Die Reallöhne sanken (2001: -1%, 2002: -0.5%, Schätzung für 2003: -0.4%). Während die Beschäftigung in den letzten 10 Jahren insgesamt auf 3,2 Millionen anstieg, schnellte auch die Arbeitslosenrate auf 7% hinauf.

Lag die Zahl der Arbeitslosen 1985 noch bei 103.687, verdoppelte sie sich bis zum Jahr 2003 auf das Rekordniveau von 208.502 bzw. 248.174 (inkl. der aus der offiziellen Statistik „weggeschönten“ Arbeitslosen, die sich in einer Schulung befinden) (19). Der Grund dafür liegt darin, dass das Kapital immer mehr Arbeitskräfte zur Ausbeutung aufsaugt und durch die Verarmung auch immer mehr Menschen zwingt, sich am Arbeitsmarkt anzubieten, gleichzeitig jedoch auch immer mehr ArbeiterInnen zumindest vorübergehend aus einem Beschäftigungsverhältnis ausspuckt.

Allerdings gibt es auch innerhalb der Arbeiterklasse eine wachsende Differenzierung. Während die oberen Schichten in den letzten zwei Jahrzehnten ihre Einkommen steigern konnten, verarmen die unteren Schichten zunehmend (20). Eine Untersuchung zur Einkommensverteilung innerhalb der Lohnabhängigen im Jahre 1999 hält fest: „In diesem Jahr verdienten die einkommensschwächsten 20% der unselbständig Erwerbstätigen nicht einmal 3% des Gesamteinkommens. Hingegen bezogen die einkommensstärksten 20% beinahe die Hälfte des gesamten Einkommens.“ (21)

Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit einer drastischen Zunahme der Teilzeitarbeit und prekärer Dienstleistungsverhältnisse. Zwischen 1980 und 1999 stieg der Anteil der Teilzeitbeschäftigten von 6.1% auf 13.3%. (22) Auch die Anzahl von geringfügig Beschäftigten – im Frühjahr 2003 waren es 211.000 (23) – und der Selbstständigen steigt. Eine Untersuchung im Bundesland Steiermark zeigt, dass der Anteil der Einzelunternehmen an den Unternehmensneugründungen deutlich zunimmt. Fielen 1993 noch 73.5% aller Neugründungen unter diese Kategorie, waren es 2001 bereits 85.1% (24).

Diese Entwicklung betrifft besonders Frauen. Während die letzten 2-3 Jahrzehnte von einem Wachstum der Frauenbeschäftigung (und einem Rückgang der Männerbeschäftigung) gekennzeichnet waren, hat der Anteil von Frauen besonders in den unteren Schichten der Arbeiterklasse zugenommen. Fast alle Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. So hat sich der Anteil der teilzeitarbeitenden Frauen zwischen 1980 und 1999 von 15.5% auf 28.7% fast verdoppelt (25). Die einzige Ausnahme in dieser Entwicklung sind jene Frauen, die als Beamtinnen im öffentlichen Dienst eintraten und deren Löhne sich im Gleichklang mit denen ihrer männlichen Kollegen entwickelten. Außerdem sind von den drastischen Angriffen auf das Sozialsystem Frauen noch deutlich stärker betroffen als Männer. Verstärkte reaktionäre Vorstöße sind auch von den militanten AbtreibungsgegnerInnen möglich, auch wenn kurzfristig von staatlicher Seite her nicht mit einer Einschränkung des Rechts auf Abtreibung zu rechnen ist.

Die Zahl der arbeitslosen Frauen steigt. Besonders betroffen sind Wiedereinsteigerinnen und Ausländerinnen. Die Einführung des Kindergeldes hat die längere, über 2 Jahre dauernde Babypause attraktiver werden lassen, der Kündigungsschutz endet jedoch nach 2 Jahren und der Job ist dann zumeist längst vergeben. Die gestiegene Arbeitslosigkeit führt dazu, dass schlecht ausgebildete Frauen von besser qualifizierten Arbeitskräften verdrängt werden, was besonders Ausländerinnen trifft.

In den vergangenen Jahren gab es auch wichtige Veränderungen im Jugendbereich. Im Gegensatz zu den meisten kapitalistischen Staaten ist die Jugendarbeitslosigkeit in Österreich nach wie vor relativ gering. Dennoch darf nicht unterschätzt werden, dass für die proletarische Jugend die Suche nach einer Lehrstelle schwieriger geworden ist und sie teilweise durch schulische Maßnahmen aufgefangen wird. Bedeutsam ist auch der steigende Bildungsgrad: Heute besucht eine deutliche Mehrheit – zumindest in Wien – der 14- bis 18jährigen ein Gymnasium und 27.9% aller 18-21jährigen gehen auf die Universität oder eine Fachhochschule (in Wien: 38.1%).

Politisch muss als wichtigste Veränderung wohl die massive Politisierung von Teilen der Jugend – v.a. im Schülerbereich – angesehen werden. Sie spielten (nicht nur in Österreich!) eine gewisse Avantgarderolle in der Anti-Kriegsbewegung. Hingegen zeigten sich eine deutliche Demoralisierung und Anpassungsdruck auf den Hochschulen nach den Niederlagen bei den Studiengebühren. Diese Konstellation wird wohl auch im kommenden Jahr bestehen bleiben.

Insgesamt also schwächt die kapitalistische Krise die materielle Basis der Arbeiterklasse. Grob gesprochen verarmt die Klasse und wird in ihrer Konsistenz aufgeweicht. Während die Kernsektoren in der Industrie und dem Transportsektor durch Privatisierungen und Entlassungen geschwächt werden, nimmt das Gewicht der Randschichten – also der wenig geschützten ArbeiterInnen, der in oft kleinen Dienstleistungsbetrieben Beschäftigten usw. – zu.

Arbeiterbewegung vor neuen Herausforderungen

Wie bereits erwähnt, erlebte Österreich 2003 neben der Antikriegsbewegung erstmals seit drei Jahrzehnten Massenstreiks. Dies waren für Österreich ohne Zweifel historische Ereignisse. Hier muss man sich vor Augen halten, dass Österreich eine traurige Tradition der fast absoluten Klassenkampfruhe nach 1950 besitzt. Nach der Niederlage des Oktoberstreiks 1950 (26) kam es in Österreich durch das System der Sozialpartnerschaft – also der weitgehenden Einbindung der Arbeiterbürokratie in die politischen Herrschaftsmechanismen des bürgerlichen Staates – kaum noch zu Streiks. In allen internationalen Untersuchungen über Streiks liegt Österreich daher ganz am Ende. Zwischen 1975 und 1993 streikten Österreichs Lohnabhängige im Durchschnitt 1.7 Minuten – ein internationaler Minusrekord, der nur von der Schweiz unterboten wurde. Zwischen 1990 und 1998 entfielen auf je 1.000 unselbständig Beschäftigte 2 durch Streiks verlorene Arbeitstage – eine Bilanz, die nur von Japan unterboten wird.

Wir wollen an dieser Stelle nicht den Verlauf der Streiks und die Gründe ihrer Niederlage analysieren. Wir haben dies bereits an anderer Stelle getan (27). Vielmehr wollen wir hier die wichtigsten Konsequenzen und Lehren für die Arbeiterbewegung benennen.

Nicht nur die Antikriegsbewegung, auch der Widerstand gegen die Pensionsreform endete in einer Niederlage. So schwer diese Niederlage im materiellen Sinne auch ist – die Pensionen wurden massiv gekürzt – so stellt sie keine strategische Niederlage dar (28). Der Streik des Bordpersonals bei der Fluglinie AUA und der Arbeitskampf der Eisenbahner kurz danach im Herbst 2003 zeigen das.

Die Klassenkämpfe 2003 brachten äußerst wichtige Erfahrungen und politische Folgewirkungen. Besonders bedeutsam ist das Ende der Klassenkampfruhe, die wie ein Alp auf der österreichischen Arbeiterbewegung lastete. Ab nun sind Streiks und Massendemonstrationen kein Tabu mehr.

Die Ursache für die Niederlagen liegt vor allem am Verrat der reformistischen Bürokratie. Unter dem Druck der Basis musste die Bürokratie den Kampf beginnen, aber als dieser aufgrund mangelnder Kompromissbereitschaft der Bourgeoisie eine Radikalisierung der Kampfformen erforderte, knickte sie ein.

Dies weist auf ein grundlegendes Problem der Streiks und der Arbeiterbewegung im allgemeinen hin: die unangefochtene Vorherrschaft der reformistischen Bürokratie über die Arbeiterklasse. Oder in anderen Worten: die himmelschreiende Kluft zwischen der Schärfe der Klassengegensätze und der Notwendigkeit des konsequenten Klassenkampfes und dem Fehlen einer revolutionären Führung.

So wichtig die Massenstreiks auch waren, so muss man auch sehen, dass sie in höchst bürokratischer Weise durchgeführt wurden. Es kam de facto zu keinen authentischen Basisversammlungen, diese dienten vielmehr der Selbstdarstellung der gewerkschaftlichen FührerInnen. Die Bewegung dauerte auch zu kurz, als dass eine Bewegung an der Basis hätte entstehen können. Die Hegemonie der reformistischen Bürokratie um ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch konnte daher keineswegs in Frage gestellt werden.

Durch die Jahrzehnte sozialpartnerschaftlicher Friedhofsruhe besitzt das österreichische Proletariat – nicht einmal sein fortgeschrittener, kämpferischer Teil – keine Tradition der Organisierung an der Basis und der Opposition gegen die Gewerkschaftsspitze. Daraus resultiert auch eine oft passive Haltung der Basis gegenüber der Führung. Viele ArbeiterInnen sind oft empört über das Vorgehen der Spitzen, aber es fehlt ihnen an Selbstvertrauen und Organisation, um etwas dagegen zu unternehmen. Dieses strategische Problem existiert in vielen Länden, ist jedoch in Österreich aus historischen Gründen (Sozialpartnerschaft, Klassenkampfruhe usw.) stärker ausgeprägt als in vielen anderen Ländern.

Dennoch wäre es falsch, wichtige Veränderungen und „unterirdische“ Entwicklungslinien zu ignorieren. Die ununterbrochene Offensive des Kapitals auf die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse, die zunehmende ideologische Diskreditierung des Neoliberalismus und die internationalen Beispiele klassenkämpferischen Widerstandes machen die bisherige passive Politik der Gewerkschaftsbürokratie immer unhaltbarer. Bereits im Frühjahr zwang der ungeheure Druck der Basis die Verzetnitsch-Führung, Streiks zu organisieren. Dazu wird es wohl auch in Zukunft kommen.

Aber die verstärkten Klassenauseinandersetzungen führen auch zu ersten Ansätzen einer Differenzierung innerhalb der Bürokratie und der Herausbildung eines „links“-reformistischen, „kämpferischen“ Flügels wie z.B. Robert Hengster (Gewerkschaft für Handel-Transport-Verkehr – HTV) und die AUA-Betriebsräte, Robert Wurm und die Postbus-GewerkschafterInnen, in gewissen Sinn auch Sallmutter von der GPA oder Eisenbahner-Chef Haberzettel.

Dieser Flügel zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er für den bedingungslosen Klassenkampf gegen die Offensive des Kapitals eintritt. Aber während für Verzetnitsch und die Mehrheitsfraktion in der Bürokratie der Streik eigentlich nur ein unvorhersehbares (und höchst bedauernswertes) Notmittel darstellt, sieht dieser „kämpferische“ Flügel der Bürokratie die Notwendigkeit und „Normalität“ von Streiks, um dem Kapital zumindest zu gewissen Zugeständnissen zu zwingen.

Natürlich steht dieser Flügel auch nicht für Basisdemokratie, aber er sieht, dass es für die Durchführung von Streiks auf die Dauer nicht ausreicht, die Basis passiv zu halten. Sie verfolgen eine Strategie der bürokratisch kontrollierten, begrenzten Mobilisierung der Basis für Streiks und andere Formen des Kampfes, um in Verhandlungen mit dem Kapital ein besseres Ergebnis zu erzielen. Während also Verzetnitsch & Co. noch von einer Rückkehr zu den guten alten Zeiten der Sozialpartnerschaft träumen oder besser: phantasieren, versucht der „linke“ Flügel, die reformistische Politik den Bedingungen der neuen Periode – also des Endes der Sozialpartnerschaft und der Unausweichlichkeit zunehmender Klassenzusammenstöße – anzupassen.

Bilanz und Ausblick des Klassenkampfes

Dass eine solche kämpferische reformistische Politik nicht ausreicht, um die Interessen der Arbeiterklasse zu verteidigen, zeigen alle internationalen Beispiele. Hierzu ist eine grundlegende Revolutionierung der Gewerkschaften notwendig, also eine konsequent klassenkämpferische Politik verbunden mit einer Strategie des revolutionären Sturzes des Systems der kapitalistischen Ausbeutung, der radikalen Demokratisierung der Gewerkschaft und der Beseitigung des bürokratischen Apparates. Der Aufbau einer Basisbewegung und die Bildung einer revolutionären, kommunistischen Gewerkschaftsfraktion sind Voraussetzungen dafür.

Die tatsächliche Entstehung einer Basisbewegung kann jedoch nur vor dem Hintergrund länger andauernder Konflikte stattfinden, in denen Teile der Basis bzw. der unteren Schichten der Bürokratie in Konflikt mit der Führung geraten. Solche werden stattfinden, auch wenn wir natürlich nicht sagen können, wie lange es noch dauert.

Um in den kommenden Klassenauseinandersetzungen in diese Richtung zu wirken, müssen marxistische RevolutionärInnen einerseits für die zum Sieg notwendigen, militanten Kampfmittel eintreten (Massenstreik, aktiver unbefristeter Generalstreik). Andererseits gilt es, Organisationsformen vorzuschlagen, die die Schlagkraft der Klasse sowie die Eigenständigkeit der Klasse gegenüber der Bürokratie erhöhen und eine  demokratische Kontrolle der AktivistInnen über ihren jeweiligen Kampf ermöglichen. Zentrale Mittel dafür sind Aktions- und Streikkomitees in den Betrieben und Ausbildungsstätten sowie Urabstimmungen über Verhandlungsergebnisse.

Abschließend eine Bemerkung zur Sozialdemokratie. Die SPÖ-Führung unter Alfred Gusenbauer verfolgt weiterhin ihren Kurs, verbale Opposition gegen Sozialabbau mit Vorschlägen für eine Modernisierung des österreichischen Kapitalismus zu verbinden. Allerdings hält sich die Nachfrage nach solchen Ratschlägen seitens der Bourgeoisie in Grenzen – ein Schicksal, dass dem Reformismus oft widerfährt.

Die SPÖ versucht (mit gewissem Erfolg), durch eine Stärkung der traditionellen Arbeitsteilung mit der Gewerkschaftsbürokratie, den Aufschwung der Klassenkämpfe zu nützen, ohne sich deswegen als Verhandlungspartnerin für die Großbourgeoisie zu diskreditieren. Sie überlässt den Abwehrkampf den Gewerkschaften und „unterstützt“ sie auf politischer Ebene (durch parlamentarische Initiativen, Volksbegehren etc.).

In diesen Rahmen gehören auch die Avancen an die FPÖ. Sie sind nicht als ein ernsthaftes Vorspiel für eine rot-blaue Koalition zu werten. Aufgrund der stärkeren Abgehobenheit der Partei von der Gewerkschaft spiegeln sich Klassenkämpfe einstweilen nur im geringen Ausmaß in der Partei wieder. Das kann sich ändern (Ansätze eines linken Flügels gibt es in der Jugendorganisation), steht aber nicht kurzfristig bevor. Ebenso wenig ist mit einem politischen Meinungsstreit innerhalb der Parteibürokratie zu rechnen (auch wenn es durchaus personelle Machtkämpfe geben kann). Insofern sind also in der nächsten Periode die Gewerkschaften als Fokus des Klassenkampfes wichtiger als die SPÖ.

In den kommenden Jahren stehen weitere schwere Angriffe aber auch massive Abwehrkämpfe bevor. Bei den Angriffen wird es sich dabei einerseits möglicherweise um neuerliche imperialistische Kriege handeln, andererseits kommen neue Angriffe auf zentrale Errungenschaften der Arbeiterklasse in den nächsten Jahren so sicher wie die Nacht nach dem Tag. Insbesondere die Privatisierung von traditionellen Bastionen der österreichischen Arbeiterbewegung (der Stahlkonzern Voest, Post, Telekom, Bundesbahn, der Werkzeugstahlerzeuger Böhler Uddeholm) sind bereits heute Brennpunkte des Klassenkampfes. Zusätzlich wird es weiterhin verallgemeinerte Angriffe auf das Pensions- und Gesundheitssystem sowie die Kollektivverträge geben.

Insgesamt haben die Massenproteste und Streiks 2003 gezeigt, dass die neue weltpolitische Periode auch in Österreich Einkehr hält und die Folgen der Nachkriegsordnung auch im Bewusstsein der Arbeiterklasse und der Jugend zertrümmert.

Wir stehen an einem Wendepunkt: Klassenkämpfe, wie sie auch in anderen Ländern in den letzten Jahrzehnten stattgefunden haben, sind auch in Österreich in den nächsten Jahren wahrscheinlich. Sie werden sowohl zu einer härteren Vorgangsweise der herrschenden Klasse führen, als auch zu einer Radikalisierung der Arbeiterklasse und ihrer Avantgarde.

 

Fußnoten und Anmerkungen:

(1) Eine ausführlichere Untersuchung des österreichischen Kapitalismus nach dem II. Weltkrieg siehe: Michael Gatter: Gestärkt, aber nicht stark genug. Die Rezession erinnert den österreichischen Imperialismus an seine historischen Schwächen; Revolutionärer Marxismus Nr. 10, 1993

(2 ) Bank Austria: REPORT 4/2003, S. 20

(3) Günther Chaloupek: Ein Jahrzehnt der Stagnation?; Arbeit und Wirtschaft 5/2003, S. 18

(4) Gerhard Fenz, Martin Schneider und Martin Spitzer: Gesamtwirtschaftliche Prognose für Österreich 2003 bis 2005 vom Frühjahr 2003; Österreichische Nationalbank, 20. Mai 2003

(5) Markus Marterbauer, Ewald Walterskirchen: Lohnquote sinkt seit zwei Jahrzehnten;  Arbeit & Wirtschaft, Februar 2003

(6) Alfred Kraus: Von der Arbeit zum Kapital; Arbeit & Wirtschaft, Januar 2003

(7) Friedrich Schneider/Elisabeth Dreer: Privatisierung und Deregulierung in Österreich in den 90er Jahren: Stillstand oder Fortschritt?

(8) Patricia Fahrngruber: Internationale Vermögensposition Österreichs im Jahr 2001; Österreichische Nationalbank: Berichte und Studien 3/2002, S. 52f.

(9) Klaus Gugler: Corporate Governance, Investitionen und Wachstum; Österreichische Nationalbank: Berichte und Studien 1/2003, S. 219

(10) Österreichische Nationalbank: Internationale Verflechtung der österreichischen Wirtschaft weiter gestiegen, 21. Juli 2003, Tabelle 2.1

(11) Österreichische Nationalbank: Internationale Verflechtung der Österreichischen Wirtschaft weiter gestiegen; http://www2.oenb.at/oenb/zabil/direkt_jahreswechsel_2001_2002.htm

(12) Gertrude Tumpel-Gugerell (Vize-Gouverneurin der Österreichichen Nationalbank: World Investment Directory: Central and Eastern Europe 2003, Wien, 9. 4. 2003, http://www2.oenb.at/cgi/reden_p.pl?http://www2.oenb.at/presseaussendungen/

re030408.htm=http://www2.oenb.at/presseaussendungen/*

(13) Ebenda

(14) Rene Dellmour: Osterreichs Direktinvestitionen und die EU-Erweiterung; Österreichische Nationalbank, Berichte und Studien 2/2002, S. 224

(15) The Business Week Global 1000; Business Week, 14.7.2003, S. 48ff.

(16) Markus Marterbauer: Der Verlust des Wachstumsvorsprungs. Österreichs makroökonomische Entwicklung 1970 bis 2000; Wirtschaft und Gesellschaft, Heft 4/2001

(17) Wirtschaftskammer Österreich: Statistisches Jahrbuch 2003, eigene Berechnungen.

(18) W. I. Lenin: Kapitalismus und Arbeiterimmigration; Lenin Werke, Band 19, S.447

(19) Wiener Zeitung: Arbeitsmarkt: Keine Entspannung, 3. 10. 2003

(20) Eine Autorin der Arbeiterkammer stellt dazu fest: „In den neunziger Jahren hingegen blieben die Löhne und Gehälter der unteren drei Dezile deutlich hinter der Durchschnittsentwicklung von 37% zurück. Währenddessen entwickelten sich die oberen zwei Dezile aufgrund des Anstiegs der Angestellten und Beamt/innengehälter überdurchschnittlich. Eine Verstärkung der Einkommensungleichheit in Österreich in den Neunzigern wird auch in anderen Studien festgestellt…“ (Christa Schlager: Löhne und Gehälter 1980-1999; Arbeiterkammer Wien: Wirtschaft und Gesellschaft, Heft 3/2001, Wien 2001, S. 357) Siehe auch: Michael Mesch: Vertikale und intraindustrielle Lohnstreuung in Österreich 1980-94; Wirtschaft und Gesellschaft, Heft 2/2003 sowie: Michael Mesch: Die Branchenlohnstruktur in Österreich 1980-94;  Wirtschaft und Gesellschaft, Heft 3/2002

(21) Thomas Hirnschrodt/Thomas Höpfl: Reichtum und höhere Einkommen in Österreich; Institut für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften: WISO Heft 4/2002, S. 185

(22) Christa Schlager: Löhne und Gehälter 1980-1999; Arbeiterkammer Wien: Wirtschaft und Gesellschaft, Heft 3/2001, Wien 2001, S. 348

(23) Arbeit & Wirtschaft, April 2003, S. 13. Als geringfügig Beschäftigte gelten jene, deren Monatseinkommen nicht 309 Euro überschreitet. Sie zählen in den offiziellen bürgerlichen Statistiken nicht zu den unselbstständig Beschäftigten.

(24) Marcel Kirisits: Atypische Beschäftigung; Wirtschaft und Gesellschaft, Heft 1/2003, S. 50

(25) Christa Schlager: Löhne und Gehälter 1980-1999; Arbeiterkammer Wien: Wirtschaft und Gesellschaft, Heft 3/2001, Wien 2001, S. 349

(26) Im Oktober 1950 fand ein wilder Massenstreik gegen die Preissteigerungen statt. Die sozialdemokratische Gewerkschaftsbürokratie ging mit Prügelgarden gegen den Streik vor, der schließlich – v.a. aufgrund der Politik der Kommunistischen Partei – in einer Niederlage endete. Siehe dazu: ArbeiterInnenstandpunkt Nr. 30, November 1990.

(27) Siehe ArbeiterInnenstandpunkt Nr. 129 sowie diverse Artikel erschienen in unserer Internet-Publikation Red Newsletter. (www.arbeiterInnenstandpunkt.net)

(28) Unter einer „strategischen Niederlage“ verstehen wir eine Niederlage der Arbeiterklasse in einem solchen Ausmaß, dass dadurch für einen längeren Zeitraum hinweg das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zugunsten der Bourgeoisie verschoben wird. Die Arbeiterbewegung bzw. ihre Avantgardesektoren werden also durch diese Niederlage politisch und organisatorisch dermaßen geschwächt und zurückgeworfen, dass ihre Kampfkraft substantiell reduziert wird.




Österreich: Heraus zum Schulstreik gegen Schwarz Blau!

REVOLUTION-Austria, Infomail 978, 13. Dezember 2017

Hiermit veröffentlichen wir einen Aufruf der Jugendorganisation REVOLUTION zum Schulstreik gegen die Angelobung von Schwarz-Blau.

Es wird immer klarer. Die nächste Regierung wird von ÖVP und FPÖ gebildet werden. Das bedeutet für Jugendliche konkret einige Verschlechterungen. Zwischen 2000 und 2006 gab es nämlich schon einmal eine schwarz-blaue Koalition, die bei Bildung, Gesundheit und Sozialem eingespart hat. Wir werden genauso mit Einsparungen bei unseren Schulen rechnen müssen, wie mit der Wiedereinführung von Studiengebühren. Lehrlinge werden genauso getroffen werden wie erwachsene ArbeiterInnen. Am schlimmsten werden aber MigrantInnen, Flüchtlinge und MuslimInnen betroffen sein. Grund genug dagegen auf die Straße zu gehen.

Am Tag X (also am noch unbekannten Tag der Regierungsangelobung von Schwarz-Blau) organisieren verschiedene Gruppen, darunter auch wir von REVOLUTION, einen Schulstreik. Gemeinsam mit anderen linken Bündnissen wird es am Tag X mehrere Demonstrationen und Kundgebungen gegen die schwarz-blaue Sozialabbauregierung geben. Der Schulstreik wird von Landstraße/Wien Mitte aus in die Innenstadt zum Ballhausplatz ziehen. Um möglichst viele Menschen auf diesen Schulstreik zu bringen, musst aber auch du aktiv werden! Sprich dich mit gleichgesinnten MitschülerInnen zusammen und macht in der Schule auf den Schulstreik aufmerksam. Kommt als ganze Klasse zum Streik! Meldet euch bei uns auf Facebook (fb.com/onesolutionrevolution.at) oder über unsere E-Mail-Adressen revolution@onesolutionrevolution.at und holt euch Sticker und Flyer. Lasst uns gemeinsam dieser Regierung zeigen was wir von ihr halten!

Seit Sebastian Kurz die ÖVP in neuen Farben angestrichen hat und sich FPÖ und die „Liste Kurz“ darum streiten, wer denn glaubhafter Hetze und Rassismus verbreiten kann, ist klar, dass die FPÖ und ÖVP gemeinsame Sache beim „Schutz des Abendlandes“ machen wollen. Die staatlichen Ausgaben sollen um mehr als 10 Milliarden gekürzt werden. Das wird auch unsere Schulen und unsere Bildung betreffen. Seit 2000 gab es immer wieder Angriffe von Seiten der Regierung auf unsere Bildung. 2003 wurden die Stunden bei gleichbleibendem Unterrichtsstoff reduziert. 2009 sollten die Schulautonomen Tage gekürzt werden (das konnte mit massiven Schulstreiks verhindert werden). 2015 wurde eine miserable Zentralmatura über die Köpfe von uns SchülerInnen hinweg eingeführt. Eine schwarz-blaue Regierung wird mit ihrem Sparzwang dieser Reihe an Verschlechterungen in nichts nachstehen und sie mit großer Sicherheit sogar noch weiter verschärfen.

Um von den geplanten massiven Einsparungen Im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich abzulenken, spielt die neue Koalition die Karte des Rassismus. Uns soll weiß gemacht werden, dass wir uns die „Wirtschaftsflüchtlinge“ nicht mehr leisten können, anstatt das Geld dort zu holen wo es in Unmengen vorhanden ist – bei den Reichen. Uns wird gesagt, dass der Islam nicht zum „europäischen Abendland“ gehört, anstatt endlich den Einfluss der katholischen Kirche im österreichischen Staat zu beenden. Wir sollen glauben, dass Flüchtlinge „unsere Frauen“ nicht ehren würden, während einem FPÖ Mandatar vorgeworfen wird eine Frau krankenhausreif geprügelt zu haben und FPÖ und ÖVP es ablehnen Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen.

Doch wir lassen uns nicht nach Herkunft oder Geschlecht trennen, wir gehen gemeinsam am Tag X gegen diese rechte Regierung auf die Straße. Zeigen wir schon heute, dass wir die kommenden Angriffe der Regierung auf der Straße zurückschlagen wollen und kollektiv für eine gerechte Gesellschaft stehen. Werde gemeinsam mit uns gegen diese Regierung aktiv und schließ dich mit deinen MitschülerInnen dem Schulstreik an!

Treffpunkt: Tag X, 8:30 bei Landstraße/Wien Mitte

FB-Veranstaltung: https://www.facebook.com/events/1557151571019203/

Schulstreik gegen Schwarz-Blau auf Instragram: https://www.instagram.com/schulstreik_gegen_schwarzblau/