Degrowth: Grüne Alternative zum Kapitalismus?

Alex Zora, Infomail 1229, 1. August 2023

Wer sich in den letzten Jahren mit den Themen Klima, Umweltschutz und Nachhaltigkeit auseinandergesetzt hat, wird wahrscheinlich auch irgendwann über das Thema Degrowth (Direktübersetzung: Wachstumsrücknahme bzw. Entwachstum) gestoßen sein. Oft wird auch das Wort Postwachstum für dasselbe Konzept verwendet. Vertreter:innen der Degrowth-Bewegung üben Kritik am Kapitalismus und seinem Wachstumszwang. Sie treten stattdessen für eine Gesellschaft ein, die sozial und ökologisch sein soll. Hört sich erstmal alles ganz vernünftig an, doch kann Degrowth wirklich eine Strategie zu Überwindung von Umweltzerstörung und Kapitalismus sein?

Eine kurze Geschichte

Die Ursprünge der Degrowth-Bewegung liegen Mitte der 1970er Jahre. 1972 publizierte der „Club of Rome“ (im Wesentlichen ein bürgerlicher Think-Tank aus einer Zeit bevor der Begriff Think-Tank populär wurde) „Die Grenzen des Wachstums“. In dieser Systemanalyse, basierend auf Computersimulationen, wurde festgestellt, dass aufgrund begrenzter Ressourcen kein unbegrenztes Wirtschaftswachstum möglich ist: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“

Der Bericht löste zwar große Debatten aus und ist mit 30 Millionen verkauften Exemplaren weltweit das meistverkaufte ökologische Buch, die Degrowth-Bewegung ist aber eigentlich erst ein Produkt des 21. Jahrhunderts. Wichtigen Input dafür lieferte das 2002 in Lyon gegründete „Institut zur Wirtschafts- und Sozialforschung für nachhaltigen Degrowth“[1], später breitete sich die Bewegung – vor allem im akademischen Bereich – weiter aus. Seit 2008 gibt es internationale Degrowth-Konferenzen, die alle 2 Jahre stattfinden. Heute ist Degrowth bzw. Wachstumskritik wichtiger Bestandteil der meisten Organisationen der Klimabewegung.

Was ist Degrowth?

Innerhalb der Degrowth-Bewegung gibt es sowohl radikale wie gemäßigte Teile. Teile der Grünen in Österreich und Deutschland sind Anhänger:innen des Konzepts, ehemalige Umwelt-Aktivist:innen wie Kathrin Henneberger sind als Degrowth-Anhänger:innen mittlerweile sogar im deutschen Bundestag vertreten, die deutsche Parteistiftung der Grünen war auch Unterstützer:in der Degrowth Konferenz 2014 in Leipzig. Aber auch in Österreich ist Degrowth z.B. in der Grünen Parteiakademie ein wichtiges Thema[2].

Gleichzeitig gibt es auch radikalere Teile, insbesondere die, die auch in der realen Klima(-gerechtigkeits-)bewegung aktiv sind. Teile der Degrowth Bewegung beziehen sich sogar positiv auf den Sozialismus (wie zum Beispiel der griechische Ökonom Giorgis Kallis) bzw. Teile des Ökoszialismus beziehen sich positiv auf Degrowth (wie zum Beispiel Michael Löwy). Eine gesonderte Auseinandersetzung mit den linken Auslegern der Postwachstum-Bewegung wäre mit Sicherheit auch fruchtbar, doch wir werden uns an dieser Stelle vor allem mit dem Mainstream der Degrowth-Bewegung auseinandersetzen.

Das Webportal degrowth.info beschreibt Postwachstum folgendermaßen: „Unter Degrowth oder Postwachstum verstehen wir eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform, die das Wohlergehen aller zum Ziel hat und die ökologischen Lebensgrundlagen erhält. Dafür ist eine grundlegende Veränderung unserer Lebenswelt und ein umfassender kultureller Wandel notwendig. Das aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Leitprinzip lautet „höher, schneller, weiter“ – es bedingt und befördert eine Konkurrenz zwischen allen Menschen. Dies führt zum einen zu Beschleunigung, Überforderung und Ausgrenzung. Zum anderen zerstört die Wirtschaftsweise unsere natürlichen Lebensgrundlagen sowie die Lebensräume von Pflanzen und Tieren. Wir sind der Überzeugung, dass die gemeinsamen Werte einer Postwachstumsgesellschaft Achtsamkeit, Solidarität und Kooperation sein sollten. Die Menschheit muss sich als Teil des planetarischen Ökosystems begreifen. Nur so kann ein selbstbestimmtes Leben in Würde für alle ermöglicht werden. Praktisch gesehen heißt das:

  • Eine Orientierung am guten Leben für alle. […]

  • Eine Verringerung von Produktion und Konsum im globalen Norden, eine Befreiung vom einseitigen westlichen Entwicklungsparadigma und damit die Ermöglichung einer selbstbestimmten Gestaltung von Gesellschaft im globalen Süden.

  • Ein Ausbau demokratischer Entscheidungsformen, um echte politische Teilhabe zu ermöglichen.

  • Soziale Veränderungen und Orientierung an Suffizienz, statt bloßen technologischen Neuerungen und Effizienzsteigerung, um ökologische Probleme zu lösen. Wir betrachten die These von der Möglichkeit der absoluten Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch als historisch widerlegt.

  • Regional verankerte, aber miteinander vernetzte und offene Wirtschaftskreisläufe.  […]“

Ein zentrales Konzept der Degrowth-Bewegung ist die Ablehnung des Bruttoinlandsprodukts (der Summe aller in einem Jahr erzeugten Dienstleistungen und Waren minus aller Vorleistungen) als zentrales Maß gesellschaftlicher Entwicklung. Statt eines fortschreitenden Wirtschaftswachstums soll die Wirtschaft gezielt geschrumpft werden. Ergänzt wird das oft damit, dass insbesondere der Throughput (also die Rate, mit der sich Waren (und Dienstleistungen) durch den Wirtschaftskreislauf bewegen) reduziert werden soll. Damit solle die Kopplung zwischen Wirtschaftswachstum und Treibhausgasausstoß (und Umweltzerstörung) bekämpft werden. Im Kapitalismus ist dieses gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis in den Daten recht klar ersichtlich. Die einzigen Zeitpunkte seit dem Ende des Nachkriegsbooms, zu denen der Ausstoß von Treibhausgasemissionen gegenüber dem jeweiligen Vorjahr relevant gesunken ist, waren 1974 (1. Ölpreiskrise), Anfang der 1980er Jahre (2. Ölpreiskrise), 1992 (Zusammenbruch der UdSSR), 2009 (globale Finanzkrise) und 2020 (Corona-Krise). Die Verknüpfung von wachsender Wirtschaft und wachsender Belastung für die Umwelt sind deshalb – zumindest im heutigen Wirtschaftssystem – sehr eindeutig.

Es gibt durchaus Beispiele einzelner Länder oder Kontinente (z.B. der EU), die es zwar schaffen Wirtschaftswachstum mit sinkenden Treibhausgasemissionen zu verbinden. Hierbei werden aber Auslagerungseffekte (z.B. wird CO2-intensive Produktion aus Europa nach China oder Indien verlagert, die dort hergestellten Produkte aber weiterhin in Europa konsumiert) berücksichtigt. Der zentrale Punkt ist jedoch, ob die Summe (also Einsparung in Land A + Erhöhung in Land B) der Emissionen steigt oder sinkt, was zumindest auf globaler Ebene außerhalb der oben erwähnten Wirtschaftskrisen bisher nicht passiert ist. Das Argument, im Kapitalismus wäre Wirtschaftswachstum mit sinkenden Emissionen vereinbar, ist deshalb zumindest mehr als fraglich. Abseits davon umfasst ökologische Nachhaltigkeit noch um einiges mehr als das Thema Treibhausgase.

Degrowth als Lösung?

Wir können also einige wesentliche Argumente der Degrowth-Bewegung nachvollziehen. Die Feststellung von Teilen der Bewegung, dass Nachhaltigkeit und Kapitalismus unvereinbar sind, teilen wir – auch wenn die Auffassung über das, was den Kapitalismus genau ausmacht, bei der Degrowth-Bewegung mehr als fraglich ist. Aber auch, wenn es einige Übereinstimmungen gibt, bestehen gleichzeitig wesentliche Unterschiede sowohl in der Analyse wie in den vorgeschlagenen Lösungen.

Analytisch ist das Problem bei den meisten Teilen der Degrowth-Bewegung, dass der Kapitalismus als Produktionsweise nicht verstanden wird. Denn sehr oft wird der Fokus der Kritik am Kapitalismus auf dessen Ideologie bezogen. Wachstumsideologie, Konzern-Gier oder kapitalistische Denkweise werden hier zum zentralen Ziel der Kritik. Kultureller Wandel, gesellschaftliches Umdenken und neue Werte stehen als Lösungen im Zentrum. Insbesondere bei den gemäßigten Teilen der Bewegung geht es deshalb in erster Linie darum, das „Wachstumsparadigma“ des Kapitalismus zu überwinden, nicht notwendigerweise um die Überwindung des Kapitalismus selbst. Die radikaleren Teile der Bewegung hingegen sehen die Lösung der Umweltprobleme und eine weitere Existenz des Kapitalismus als unvereinbar an. Doch wie und durch wen so eine Überwindung geschehen soll oder kann, ist dann auch wieder wenig ausformuliert. Meistens hängt man sich am neuen Modewort des linken Reformismus – Transformation – an. Ob damit auch zentrale Konzepte wie gramscianische Hegemonietheorie oder Poulantzas Staatstheorie [3] übernommen werden, bleibt meistens unklar, die Vermutung liegt aber nahe.

Für uns ist an dieser Stelle zentral festzuhalten, dass es zwar durchaus so etwas wie eine Wachstumsideologie im Kapitalismus gibt, aber dass diese ein Ausdruck der ökonomischen Verhältnisse und Zwänge des Kapitalismus selbst ist. Der Kapitalismus ist eine Gesellschaft basierend auf Privateigentum an Produktionsmitteln, Konkurrenz auf einem mehr oder weniger freien Markt und der Produktion für eben diesen Markt in Form von Waren. Unternehmenswachstum (was nichts anderes ist als Anhäufung bzw. Akkumulation von Kapital) ist ein essentieller Bestandteil der kapitalistischen Ökonomie. Wenn ein Unternehmen aufhört zu wachsen und seine Konkurrenz am Markt aber weiterhin gute Wachstumsraten zu verzeichnen hat, dann wird es im Wettbewerb verlieren. Wachstum ist deshalb ein essentieller Bestandteil des Kapitalismus, es erwächst aus dessen ökonomischen Prinzipien und nicht aus irgendwelchen falschen Denkweisen oder Paradigmen.

Postwachstumsgesellschaft

Erklärtes Ziel der Degrowth-Bewegung ist der Aufbau einer Postwachstumsgesellschaft als Alternative zu unserem aktuellen Wirtschaftssystem. Über die Frage, wie weitreichend diese Transformation sein muss – also ob es reicht, lenkend in die Marktwirtschaft einzugreifen und das Denken der Menschen zu ändern, oder ob das ganze kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem auf dem Misthaufen der Geschichte landen soll – besteht auch in der Degrowth-Bewegung keine Einigkeit.

Auch die zentrale Frage, was die Grundpfeiler einer Postwachstumsgesellschaft sein sollen, bleiben zumeist sehr vage beantwortet. Echte Demokratie, Nachhaltigkeit, gesundes Schrumpfen und viele andere werden als zentrale Werte einer Postwachstumsgesellschaft proklamiert, doch WIE eine Gesellschaft organisiert sein kann, die solche Werte umsetzen kann, wird nicht beantwortet. Solange keine Brücke geschlagen wird zwischen den materiellen Grundlagen sowie der gesellschaftlichen Organisation von Politik und Ökonomie auf der einen Seite und den angestrebten Werten auf der anderen Seite, bleibt Degrowth utopistisches Wunschdenken. Wie bei den utopischen Sozialist:innen des 19. Jahrhunderts fehlt die Verbindung zwischen Ideen für eine neue Gesellschaft, den materiellen Verhältnissen der heutigen Gesellschaft und der sich daraus ergebenden Möglichkeiten dafür, wie eine neue Gesellschaft organisiert sein kann. Die Fragen, wie produziert wird und wer darüber bestimmt, welche Eigentumsverhältnisse und welche Organisation von Produktion und Verteilung es braucht, wird außerhalb eines kleines Teils der Degrowth-Bewegung mit explizit sozialistischem Anspruch nicht beantwortet.

Unserer Ansicht nach liegt der Schlüssel zur Überwindung des Kapitalismus in den widersprüchlichen Interessen der Klassengesellschaft. Um Waren zu produzieren und Gewinne zu realisieren, benötigt der Kapitalismus eine globale Klasse von Arbeiter:innen. Diese Arbeiter:innenklasse (darunter fallen überausgebeutete Näher:innen in Bangladesch genauso wie IT-Programmierer:innen mit Studienabschluss in Japan) hat die ökonomische Macht und das grundsätzliche Interesse, dieses System zu überwinden und die Grundlage für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung (sowohl von Mensch als auch Natur) und Unterdrückung zu legen.

Wachstumskritik und Kapitalismus

Wie weiter oben schon erwähnt, ist unserer Meinung nach ein grüner Kapitalismus nicht möglich. Solange das Motiv der Wirtschaft die Maximierung von Profit ist und die Entscheidungsmacht bei einzelnen Unternehmer:innen, Aufsichtsräten und CEOs liegt, wird der Kapitalismus weiterhin Mensch und Natur ausbeuten. Sie tun das nicht aus Böswilligkeit, Gier oder Unwissenheit, sondern wegen der Gesetze des Marktes, der Konkurrenz und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit zur Profitmaximierung. Doch die Kritik der Degrowth-Bewegung richtet sich ja nicht gegen kapitalistisches Wachstum, sondern gegen jegliches Wirtschaftswachstum an sich.

Grundsätzlich sehen wir auch die Möglichkeit und Notwendigkeit, wesentliche Teile der kapitalistischen Ökonomie zu schrumpfen bzw. gänzlich abzuschaffen. In einer globalen, nachkapitalistischen Gesellschaft gäbe es keine Notwendigkeit mehr für eine Rüstungsindustrie und die Produktion von Luxusgütern; nahezu die gesamte Finanzbranche könnte ersatzlos gestrichen werden; weite Teile der Wirtschaft, die heute auf Werbung und Marketing ausgerichtet sind, würden entfallen; gesellschaftliche Ausgaben für Repression, Justiz und Strafvollzug würden massiv abnehmen; schnell verschleißende Billigproduktion könnte durch qualitativ hochwertige und langlebige Erzeugnisse ersetzt werden. Darüber hinaus gibt es bestimmt noch viele andere Branchen, in denen aktuell unnötig Ressourcen und Güter verschwendet werden.

Gleichzeitig gibt es Branchen, die massiv ausgebaut werden müssten. Große Teile der Welt brauchen einen massiven Ausbau der Infrastruktur; Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssysteme werden massiv ausgeweitet werden müssen. Und viele Probleme, die der Kapitalismus verursacht hat, erfordern auch nach Überwindung des Kapitalismus massive gesellschaftliche Ressourcen (z.B. wird die globale Verschmutzung insbesondere durch Mikroplastik nicht verschwinden, nur weil der Kapitalismus aufhört zu existieren).

Insgesamt ist es deshalb allein aus dieser Perspektive unklar, ob die vielfältigen Probleme des Kapitalismus eine schrumpfende oder eine wachsende Wirtschaft erfordern. Von Degrowth-Seite wird der kapitalistische Zwang zum Wachstum mit dem Zwang zum Schrumpfen beantwortet, der Fokus liegt damit nicht direkt, sondern nur indirekt auf Nachhaltigkeit und Ökologie. Statt sich anzusehen, wie die Wirtschaft demokratisch gestaltet und geplant werden kann, um die sozialen und ökologischen Probleme des Kapitalismus zu lösen, wird ein negatives Vorzeichen vor die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus gesetzt. Nicht gesehen wird, dass mit einer Überwindung des Kapitalismus auch die blinden Kräfte des Marktes überwunden werden können.

Gleichzeitig ist dabei auch eine grundlegende Betrachtung dessen wesentlich, wie menschliche Arbeit und Produktion funktionieren. Alles, was heute an Infrastruktur, Wissen, Produktionsstätten, etc. existiert, ist das angehäufte Produkt von Jahrtausenden menschlicher Arbeit. Weil Menschen nicht ausschließlich alles, was produziert wurde, auch wieder unmittelbar konsumierten, konnte eine Entwicklung in Gang gesetzt werden, die es erlaubte, die Produktivkräfte massiv auszubauen. Es muss nicht mehr wie früher der Großteil der Gesellschaft an der unmittelbaren Produktion von Lebensmitteln beschäftigt sein. Die Gesellschaft, in der wir heute leben, lässt zwar hunderte Millionen Menschen in Armut, Hunger und ohne sauberes Trinkwasser leben, doch die materiellen Möglichkeiten sind geschaffen worden für ein gutes Leben für mittlerweile 8 Milliarden Menschen (wenn es nicht so etwas wie das Privateigentum an Produktionsmitteln gäbe).

Wenn wir deshalb zukünftigen Generationen ein fortschreitendes Maß an individueller und kollektiver Freiheit geben wollen, die Arbeitszeit nicht bei X Stunden pro Tag einfrieren, sondern nach und nach weiter reduzieren möchten und der Menschheit als Ganzes insgesamt mehr kollektive und individuelle Möglichkeiten geben wollen, dann braucht es eine Anhäufung von menschlicher Arbeit. Das ist natürlich nicht beschränkt auf unmittelbar materielle Güter (z.B. automatisierte Produktionsstätten und Supercomputer), sondern hat genauso eine wissenschaftlich-technisch-strategische Komponente. Beispielsweise hat die Frage, wie eine Gesellschaft ihr Gesundheitssystem so aufbauen kann, sodass Vorsorge und Prävention in einem optimalen Verhältnis zu Behandlung und Therapie stehen, einen bedeutenden Einfluss auf die Möglichkeit, die Produktivkräfte massiv zu steigern, ohne gleichzeitig unmittelbar auf abzubauende oder zu verheizende Ressourcen angewiesen zu sein. Eine sozialistische Akkumulation[4] müsste keineswegs nur eine quantitative Anhäufung von immer mehr und mehr materiellen Gütern, Maschinen und Co. bedeuteten, sondern kann auch eine qualitative Weiterentwicklung der Produktivkräfte bedeuten (wie zum Beispiel die Ersetzung von Glühbirnen durch LEDs; den massiven Ausbau des globalen Bildungssystems oder die alleine durch Abschaffung von Patenten ausgehenden Möglichkeiten von kollektiver Arbeit).

Unbegrenztes Wachstum und begrenzte Ressourcen?

Von Vertreter:innen der Degrowth-Bewegung wird gerne eines der ursprünglichen Probleme angeführt, das den Club of Rome dazu brachte „Die Grenzen des Wachstums“ herauszugeben. Wie funktioniert exponentielles Wirtschaftswachstum in einer Welt mit begrenzten Ressourcen. Und in der kapitalistischen Produktionsweise ist das eine mehr als berechtigte Frage, sind hier doch die Möglichkeiten rational in die Wirtschaft einzugreifen stark limitiert. Selbst dort, wo eingegriffen wird (z.B. durch eine CO2-Steuer, Subventionen für PV-Anlagen oder Förderungen für den öffentlichen Verkehr), passiert das in den meisten Fällen vermittelt über Marktanreize. Die Entscheidungen, was und wie produziert wird, werden von einer kleinen Klasse an Kapitalist:innen mit Hinblick auf Wettbewerb und Profitlogik getroffen.

Dabei muss eine Steigerung von Effizienz und Produktivität nicht unbedingt aus einem immer größeren Verbrauch von materiellen Ressourcen erwachsen. Zum Beispiel die hat die Einführung von Schrift vor vielen tausend Jahren unmittelbar sehr wenig materielle Ressourcen erfordert (abgesehen von Tontafeln und Papyrusrollen), doch die dadurch ermöglichten Fortschritte in Produktivität und Wissen(saustausch) waren enorm. Gleichzeitig gibt es rein technisch gesehen schon recht viele Möglichkeiten zum Recyceln im großen Stil. Doch solange die Entscheidung, ob die Förderung von Kobalt durch Kinderarbeit im Kongo oder durch das Recyceln von alten Batterien passiert, vom Preis der Produktion abhängt, wird sich an der Ausbeutung von Mensch und Natur wenig ändern. Wenn diese Entscheidung aber demokratisch von der Gesellschaft und nicht von der Klasse der Besitzenden getroffen wird, kann diese sich auch dafür entscheiden nachhaltig zu handeln, auch wenn das unmittelbaren Profitbetrachtungen im Weg stehen würde.

Demokratische Planwirtschaft

Die heutigen massiven Probleme, vor denen die menschliche Zivilisation steht, sind vielfältig. Nicht nur der in den Medien extrem präsente Klimawandel ist ein Problem für unsere Gesellschaft. In den letzten Jahrzehnten ist auch der globale Stoffwechsel massiv in Mitleidenschaft gezogen worden. Stickstoff- und Phosphorkreislauf sind hoch gefährdet, die Übernutzung von Boden und die Vernichtung von Biodiversität erreichen mittlerweile gefährliche Ausmaße. Insgesamt bedroht der Kapitalismus unmittelbar die Zukunft unseres Planeten.

Die Lösung dafür besteht, wie auch schon weiter oben erwähnt, nicht in einer Ökologisierung des Kapitalismus (nach Bild eines Green New Deal), in mehr Marktanreizen für grünere Produktion (etwa CO2-Steuer oder Emissionszertifikatshandel), sondern letztlich müssen wir als Gesellschaft direkt darin eingreifen können, was wie produziert wird. In einem System, in dem diese Entscheidungen privatisiert sind und das Recht auf Eigentum an Produktionsmitteln demokratische Entscheidungen darüber verhindert, gewinnt Profitorientierung immer über Nachhaltigkeit.

Stattdessen braucht es eine Organisation der Wirtschaft, in der demokratisch und rational entschieden werden kann was wie produziert wird – auch wenn das nicht unmittelbare Profite produziert. Es braucht außerdem eine globale Abstimmung und Arbeitsteilung über Produktion und Verteilung. Damit kann auch gewährleistet werden, dass die aufgrund imperialistischer Interessen gezielt unterentwickelt gehaltenen Länder des globalen Südens auf dasselbe Level von Produktivität und kollektiven Wohlstand kommen können. Für all das ist es sekundär, ob die Wirtschaft wächst oder schrumpft. Das zentrale Element ist die schnellstmögliche Reduktion von Treibhausgasemissionen, die Umstellung auf eine nachhaltige Landwirtschaft und so gut wie möglich die Lösung der ökologischen Probleme des Kapitalismus. Entscheidungen können nach modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen rational von der Mehrheit der Gesellschaft getroffen werden. All das bedeutet nicht, dass das auch automatisch alles von allein passieren wird, aber eine demokratische Planwirtschaft ist die Voraussetzung dafür, dass solche Entscheidungen überhaupt erst getroffen werden können.

Um zu einer demokratischen Planwirtschaft zu gelangen, die sich bewusst und deutlich von den bürokratischen Planwirtschaften des Stalinismus abgrenzen muss, braucht es die Vergesellschaftung von Produktion und Verteilung. Die Arbeiter:innenklasse muss die Macht in den Betrieben übernehmen und sie in gesellschaftliches Eigentum überführen. Auf verallgemeinerter Ebene (und nicht nur in isolierten Hochburgen inmitten des kapitalistischen Marktes) kann das nur durch die Übernahme der Staatsmacht durch die Arbeiter:innenklasse gelingen. Der bürgerliche Staat kann aber nicht übernommen oder transformiert werden, er muss zerschlagen und durch eigene Organe der proletarischen Gegenmacht (Räte) ersetzt werden. So ein Programm mag sich sehr entfernt anhören, doch eine langsame Transformation des Kapitalismus in einer sozial-ökologischen Wende ist nicht nur noch viel weiter weg, sondern letztlich auch eine gefährliche Illusion.

Endnoten

[1] Institut d’Etudes. Economiques et Sociales pour la Décroissance Soutenable, http://www.decroissance.org/

[2] https://wien.gbw.at/artikelansicht/beitrag/gruenes-wachstum-im-wandel/

[3] Für eine ausführliche Kritik am Konzept der Transformationstheorie siehe „Modell Oktoberrevolution – Aktualität und Diskussion der bolschewistischen Revolutionskonzeption“ in Revolutionärer Marxismus Nr. 49

[4] Sie hierzu auch Die Neue Ökonomik von Jewgeni Preobraschenski




Klimawandel: Der nächste Waldbrandsommer?

Leo Drais, Neue Internationale 275, Juli/August 2023

Verschwunden sind die Rauchfahnen südlich von Berlin. Nach zwei langen Wochen konnte das Feuer im Waldgebiet bei Jüterbog Mitte Juni gelöscht werden. 733 Hektar Wald gingen verloren, mehr als doppelt so viel wie das Berliner Tempelhofer Feld. Was bleibt ist ein Bild der Verwüstung. Erschwert wurden die Löscharbeiten durch das Vermächtnis der imperialistischen Armeen deutscher Vergangenheit des Kaiser- und Dritten Reichs, nach 1945 aufgestockt v. a. durch die Hinterlassenschaft der sowjetischen Besatzungsarmee: tonnenweise Munitionsrückstände, die über die Waldgebiete verstreut sind. Ein ähnliches Problem gab es bereits in den vergangenen Jahren bei Bränden im Berliner Grunewald oder bei Treuenbrietzen.

Immer häufiger werden auch in Deutschland Waldgebiete durch verheerende, nicht zu kontrollierende Brände vernichtet. Und mit ihnen – wie etwa in Jüterbog, das sich seit Jahrzehnten in  Renaturierung befand – der Rückzugsraum für teils bedrohte Tierarten und ein Erholungsgebiet für die Bevölkerung. Insbesondere Nordost-, Ost- und Südwestdeutschland sind von Waldbränden zunehmend bedroht. In Bayern werden inzwischen Flugzeuge eingesetzt, um nach Brandherden Ausschau zu halten. Keine Region scheint wirklich mehr sicher vor Waldbränden. Die menschengemachte Klimaerwärmung mit ihren Dürresommern macht es möglich.

Plantagen, keine Wälder

Dabei wird bei fast allen in der jüngeren Vergangenheit eines klar: Die kapitalistische Forstwirtschaft ist mitverantwortlich. Ihr Profitinteresse steht einer ökologischen Waldnutzung entgegen – und erhöht stattdessen stetig die Gefahr, die jetzt, mit den trockenen Sommern, ausbricht.

Egal ob staatlich oder privat, die profitgelenkte Forstwirtschaft kennt nur eine Maxime: So viel verkäufliches Holz wie nur möglich aus einem Waldgebiet herauszuholen, dass es gerade eben erhalten bleibt. Der Weg dorthin führt unweigerlich über die Monokultur: Die exklusive Bepflanzung mit Fichten und Kiefern versprach den größten Gewinn in Gestalt schnellwachsender Bäume, wobei sich die Fichte auch noch hervorragend als Bauholz eignet. Die eigentlich heimischen Bäume wie Buchen oder Eichen wachsen deutlich langsamer. Buche ist zudem als Bauholz ungeeignet. Hinzu kommt ein steigender Brennholzbedarf, wo wiederum vor allem Buchen verbrannt werden.

Kaum noch ein Wald in Deutschland setzt sich annähernd naturnah aus Mischhölzern zusammen. Ihr Anteil ist seit langem rückläufig. Selbst in Nationalparks wie dem Harz oder der Sächsischen Schweiz wurden Fichtenplantagen angelegt, die nun großteils abgestorben oder verbrannt sind. Die Hauptprobleme bei diesen sind, dass Nadelhölzer randvoll mit gut brennbaren ätherischen Ölen und vor allem Fichten durch anhaltende Trockenheit nicht mehr in der Lage sind, sich gegen den Borkenkäfer zu wehren, und absterben, was zusätzlich trockenes, brennbares Gehölz bedeutet. Zudem sind Fichten- und Kiefernplantagen nicht in der Lage, viel Wasser zu speichern, und heizen sich somit stärker auf. Es fehlt der Kühleffekt durch Verdunstung. Gerade für Brandburg wird immer wieder das Argument vorgetragen, dass es die sandigen Böden sind, die das Wasser nicht speichern. Jedoch provoziert die Monokulturbepflanzung mit Kiefern genau diese Versandung. Es gibt Mischwälder, die, ebenfalls auf sandigen Böden stehend, ihren eigenen Wasserspeicher bilden. Hinzu kommt, dass durch die maschinisierte Forstwirtschaft die Böden in den Rückegassen und Harvesterschneisen verdichtet sind, Wasser hier also auch nicht versickert, sondern stehenbleibt und nach wenigen trockenen Tagen verdunstet ist.

Kapitalistische Misstöne

Der kapitalistische Dreiklang des Waldbrands lautet also: Waldvernichtung, Artendegradierung und Klimawandel. Das ist übrigens nicht erst seit den vergangenen Dürresommern bekannt. Der Holzhunger der Forstwirtschaft wurde z. B. auch 1970 beim Brand in der Lüneburger Heide bitter bezahlt: Mehr als 13.000 Hektar Wald, Moor- und Heideland verbrannten, sieben Menschen starben. Auch beim größten Waldbrand in der Geschichte Deutschlands spielten Kiefernmonokulturen – also die profitorientierte Nutzung der Waldgebiete – eine erhebliche Rolle. Große Teile der verbrannten Gebiete wurden erneut mit Kiefern aufgeforstet, wider besseres Wissen.

Und schließlich ist die größte Auslöserin von Waldbränden menschliche Fahrlässigkeit oder Mutwilligkeit.

Klimawandelfolgenbewältigung

Der Großteil der modernen Forstwirtschaft kennt keine adäquaten Antworten auf das Problem. Abgebrannte oder abgestorbene Gebiete werden beräumt und wieder plantagenartig aufgeforstet, mit ordentlich staatlicher Förderung. Kahle, sich leicht aufheizende Flächen entstehen, die im Sommer schnell vertrocknen.

Hinzu kommt die unzureichende Ausrüstung von Katastrophenschutz und Feuerwehren. Beide werden zu über 90 Prozent im Ehrenamt betrieben. Mit Satelliten ließen sich Waldbrände binnen kurzer Zeit erkennen, aber weil die Überwachung durch sie teuer ist, wird bisher wenig davon Gebrauch gemacht. Daneben bleibt vielerorts das spezifische Problem von militärischen Altlasten.

Für Regionen wie Deutschland, aber auch generell spielt Wald eine sehr wichtige Rolle dabei, wie sehr Gebiete von Trockenheit und Hitze betroffen sind. Die Dürre in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern hängt auch damit zusammen, dass große Teile der Landfläche dort land- und forstwirtschaftlich genutzt werden und der Wald als „Regenmacher“ fehlt. Im Kontinentalklima bildet er einen der wichtigsten Faktoren für die Wolkenbildung. Wälder reichen das Wasser über die Landmasse weiter . Es gilt als erwiesen, dass der Regen in Nordchina sein Wasser eigentlich aus dem Atlantik bezieht.

Es wäre also wichtig, wieder mehr Wald – und zwar naturnahen – zu haben. Es zeigt sich bereits, dass wenn der Wald mehr sich selbst überlassen wird, er sowohl sturmfester als auch brandresistenter wächst. In Deutschland würden sich langfristig standortheimische Bäume durchsetzen. Pionier:innen wie Birken und Pappeln zeigen in Untersuchungen, dass diese als erste verbrannte Flächen erobern und effektiver Wasser speichern als neu angepflanzte Douglasien oder Stieleichen. Erstere wachsen schneller und bieten die Wachstumsvoraussetzungen für z. B. für Buchen.

Hinzu kommt der Aspekt, dass Wälder gigantische Kohlenstoffspeicher sind, im Kampf gegen die Klimaerwärmung also einen der wichtigsten Verbündeten darstellen.

Kapitalismus, Natur und Sozialismus

Wie im Generellen offenbart sich auch im Umgang, in der Nutzung und Ausbeutung der Wälder, deren Brandanfälligkeit zu großen Teilen eine Folge davon ist, wenigstens in gemäßigten Klimazonen  – ein Mensch-Natur-Verhältnis, in dem der Kapitalismus über natürliche Grenzen hinauszutreiben versucht und damit Ökosysteme ins Wanken bringt.

Am offensichtlichsten ist das beim Vergleich Holznutzungsdauer zu Baumwachstum. Bspw. wird kaum ein Möbelstück von IKEA solange genutzt, wie die Bäume, aus denen ihr Holz stammt, zum Wachsen gebraucht haben. Bei Papier oder Energie-/Wärmeerzeugung fällt dies noch mehr auf. Eine ökologische Kreislaufwirtschaft müsste bedeuten, dass im Schnitt so viel Holz entnommen wird, wie nachwachsen kann, jedoch müsste zuvor deutlich mehr Fläche wieder bewaldet werden – Stichwort: Wald und Lokalklima, siehe oben.

Erst dann wäre hier ein ausgeglichenes Mensch-Natur-Verhältnis im Kohlenstoffkreislauf erreicht. Hier wird bereits deutlich, dass das Problem nicht isoliert gelöst werden kann. Der Holzhunger der Industrie steht ökologischen Erfordernissen entgegen. Die Enteignung und Verstaatlichung der Holzindustrie als auch der Forste selbst, die Etablierung eines demokratischen Wirtschaftsplans, kontrolliert von Forstarbeiter:innen, Wissenschaftler:innen und Holzverarbeiter:innen, ist daher die Voraussetzung für eine wirkliche Nachhaltigkeit. Dieser könnte zum Beispiel eine Holznutzungskette etablieren, sprich Holz mehrfach nutzen lassen (etwa: Bauholz und dann erst Brennholz), was heute selten passiert.

Der Wald ist dabei ein Beispiel dafür, wie lange, selbst wenn sie in den nächsten einhundert Jahren erreicht würde, eine sozialistische Gesellschaft an den Folgen des Kapitalismus zu knabbern hätte, auch wenn Tätigkeiten wie Katastrophenschutz und Feuerwehr dann nicht ins Ehrenamt gedrängt würden und eine bessere Waldbrandüberwachung gewährleistet werden könnte. Zudem würde in einer sozialistischen Gesellschaft durchschnittlich das Bewusstsein für Natur und Mensch steigen, würden Waldbrände aus Unachtsamkeit und Böswilligkeit also wahrscheinlich zurückgehen.

Vor allem aber – und das kann wenigstens Hoffnung machen – zeigen Orte, die, zum Beispiel auch nach Waldbränden, der Natur selbst überlassen wurden, dass hier eine relativ schnelle Wiederbewaldung erfolgt. Das bedeutet, dass eine der wichtigsten Lebensgrundlage der Menschen sich auch schon ohne ihr Zutun mitunter am besten regeneriert. Wenn es ein Gesellschaftssystem gibt, das in der Lage ist, sich auf die Langsamkeit der Bäume einzustellen, kann das von Menschenhand erstmals gesamtgesellschaftlich rational überwacht, gesteuert und im Sinne der Wiederherstellung eines ausgeglichenen Mensch-Natur-Verhältnisses, einer ökologischen Kreislaufwirtschaft, gefördert werden.




European Gas Conference

REVOLUTION Austria, Infomail 1220, 14. April 2023

5.000 Menschen, darunter Genoss:innen des Arbeiter*innenstandpunkt und von REVOLUTION Austria, demonstrierten am 28. März in der Wiener Innenstadt gegen die European Gas Conference. Aufgerufen hatte ein breites Spektrum von Organisationen der Umweltbewegung, antirassistischen Kräften, linken Gruppierungen und Parteien links von SPÖ und Grünen.

Die Demonstration war begleitet von einer Gegenkonferenz, kleineren Blockaden und Aktionen um den Kongress des „fossilen“ Kapitals. Arbeiter*innenstandpunkt und REVOLUTION organisierten außerdem am 31. März eine Podiumsdiskussion zur weiteren Strategie der Bewegung. Im Folgenden spiegeln wir einen Artikel von REVOLUTION Austria, der vor der Konferenz veröffentlicht wurde und auf ihre Bedeutung verweist.

European Gas  Conference

Seit Jahren sind Klimaaktivist*innen in den Medien und lenken die öffentliche Aufmerksamkeit auf das wichtigste Thema unserer Zeit: die Klimakrise. Auch am 28. März wird es wieder eine Großdemonstration gegen den fossilen Energiesektor geben. Es versammeln sich nämlich die relevantesten Energiekonzerne in Wien, um unter anderem die Perspektive von Gas zu diskutieren. Eine Eintrittskarte kostet 3.000 Euro und es werden hier Entscheidungen angekündigt und getroffen, die das Untergehen unserer Zukunft zementieren werden.

Die fossile Industrie und ihr Kongress

Für die European Gas Conference verschlägt es vom 27. bis zum 29. März Vertreter:innen aller wichtigen Energiekonzerne nach Wien, darunter Total Energy, Shell, BP, RWE und Eni sowie die OMV. Gesponsort wird der Gipfel von Finanzunternehmen wie BlackRock und der Raiffeisenbank.

Mit hundert privaten Meetings mit Konzernvertreter:innen und Politiker:innen sowie den Vorträgen von sogenannten Expert:innen, die allesamt leitende Personen innerhalb der Energiekonzerne sind, verspricht die Konferenz das wichtigste Lobbytreffen des Jahres dieser Industrie zu werden.

Die Botschaft der einzelnen Vorträge und des Gipfels als Ganzem ist dabei klar: Erdgas ist ein Rohstoff der Zukunft, der eine grünere Alternative zu Öl und Kohle aufgrund seiner saubereren Verbrennung mit einem niedrigeren Ausstoß an Treibhausemissionen darstellt. Es sei von der Politik also sicherzustellen, dass es auch in den kommenden Jahrzehnten einen fixen Platz im Energiemix einnimmt. Schon jetzt zeigen die Bemühungen der Industrie erste Erfolge, denn von der EU wurde Erdgas kürzlich bereits als umweltverträglicher Rohstoff eingestuft.

Außerdem seien neue Investitionen in die entsprechende Infrastruktur notwendig, um Europa für die nächsten Jahrzehnte politisch und wirtschaftlich abzusichern, nicht zuletzt wegen des Ukrainekrieges, aufgrund dessen kein Erdgas mehr von Russland gekauft werden kann. In diesem Sinne werden auf der Konferenz neben der Trans Adriatic Pipeline vor allem Projekte in Afrika und Asien beworben.

In den Broschüren der verschiedenen Zusammenschlüsse der Industrie wird damit geprahlt, dass gerade in verarmten Gebieten der Anschluss an das Gasnetz sehr positive Auswirkungen auf die Luftqualität und Gesundheit der lokalen Bevölkerung hat. Eine Investition in diesem Bereich sei also nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern ein regelrecht selbstloses Sozialprojekt.

Unverzichtbar sei der Rohstoff auch in der Produktion von Dünger und Wasserstoff.

Grünes Erdgas?

Die tatsächlichen ökologischen Konsequenzen der Erdgasindustrie werden während der ganzen Konferenz nicht behandelt. Die Förderung und Verwendung von Erdgas erzeugt rund 25 % der weltweiten Treibhausgase. Speziell die absichtliche wie unabsichtliche Freisetzung von Methan in die Atmosphäre bei Produktion und Transport wird von den Konzernen seit Jahrzehnten de facto ignoriert.

Jede neue Investition in Infrastruktur für die Unternehmen wie Total Energy oder BP, die heute getätigt wird, sorgt dafür, dass die weltweiten Emissionen der Industrie für die nächsten 50 Jahre nicht nur auf dem derzeitigen hohen Stand bleiben, sondern auch noch weiter anwachsen. Der Ausbau festigt weiter unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und der Ausbau bindet außerdem Ressourcen, die für eine schnelle Energiewende dringend gebraucht werden.

Was die Konferenz versteckt, ist, dass sämtliche vertretende Unternehmen nicht nur Produzenten von Erdgas sind, sondern auch von Kohle und Erdöl. Sie sind nicht nur die wichtigsten Verursacher des Klimawandels, sondern profitieren auch am meisten von der weltweiten Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Ihr objektives Interesse am Erhalt der derzeitigen Energieversorgung drückt sich unter anderem dadurch aus, dass die Energiekonzerne ihre enorme politische Macht dafür nutzen, staatliche Programme zur Umstellung von fossilen Energieträgern, für z. B. Heizen und Kochen, auf erneuerbare zu verhindern.

Aber warum wird das getan? Ist Erdgas wirklich die einzige Lösung in der Energie- und Umweltkrise? Was sind unsere Alternativen? Wir müssen die Frage von der anderen Seite beantworten: Wir können uns nicht mehr leisten, immer wieder auf umweltschädliche fossile Energien zurückzugreifen. Was können wir also tun? Dafür ist wichtig zu betonen: Wer trifft denn momentan die Entscheidung, wie viel Energie wofür zur Verfügung steht? Der mit Abstand höchste Energieverbrauch findet in Produktion und Verkehr statt, und zwar in faktisch jedem Land. Verkehr ist hierbei auch stark verknüpft mit Logistik. Die Entscheidung, wie diese stattfindet, liegt bei den Unternehmen und ist damit nicht demokratisch legitimiert. Ähnlich wie bei der Gaskonferenz kommen hier Leute zusammen, die kein Entscheidungsrecht haben, entscheiden für uns, wie, was und warum produziert wird, und behaupten dann, dass es leider nur mit fossilen Brennstoffen geht, damit „unsere“ Bedürfnisse nach Energie gedeckt werden.

Wir wollen stattdessen gemeinsam entscheiden, wo und warum Energie genutzt wird. Die umweltfeindlichsten Bereiche, die, wo es möglich ist, sowieso abgeschafft werden müssen, sind auch die, die häufig den höchsten Energieverbrauch haben. Statt riesigen Leuchtreklamen und Just-in-time-Autotransporten könnten wir uns demokratisch für einen Ausbau des Schienennetzes und erneuerbarer Energie einsetzen, wenn wir die demokratische Macht dazu hätten, dies zu entscheiden.

Deshalb kämpfen wir für eine bedingungslose Enteignung und politische Kontrolle über Entscheidungen des Energiesektors.

Fossile Energie und der europäische Imperialismus

Für Jahrzehnte war Russland für Europa ein wichtiger Lieferant für fossile Energieträger. Nach der erneuten Eskalation des Krieges in der Ukraine kam es zu einer verstärkten Blockbildung zwischen Russland auf der einen Seite und der EU sowie den USA auf der anderen, die zu einer Einstellung des Handels mit Erdgas führte. Der europäische Imperialismus ist daher auf der Suche nach einer anderen Bezugsquelle für Erdgas und Erdöl, die am besten möglichst kontrollierbar und billig ist.

Ein Beispiel für jene Entwicklung ist die bereits 2020 fertiggestellte Transadriatische Pipeline, die Erdgas aus Aserbaidschan, einem engen westlichen Verbündeten, über die Türkei nach Griechenland und Italien liefert. Ebenfalls in Planung ist die Transsahara Gaspipeline, die Erdgas aus Nigeria durch Niger bis an die algerische Mittelmeerküste bringen wird. Ob der Bau, wie von den drei beteiligten Ländern vorgesehen, wirklich ohne Beteiligung ausländischer Unternehmen erfolgen wird, bleibt abzuwarten.

Die Bemühungen der Energiekonzerne um die Erschließung neuer Quellen für fossile Brennstoffe beschränken sich nicht nur auf Erdgas, sondern inkludieren auch Erdöl. So wird derzeit eine neue Pipeline für Rohöl in Ostafrika vom französischen Unternehmen Total Energy gebaut, das ebenfalls auf der Konferenz in Wien vertreten ist. Sie soll die Ölfelder in Uganda mit dem Hafen von Tanga in Tansania verbinden. Das Projekt führte bereits zu mehreren rücksichtslosen Umsiedelungen von Gemeinschaften, durch deren landwirtschaftliche Flächen die Pipeline führen wird, und bedroht die wirtschaftliche Lebensgrundlage und Wasserversorgung der Bevölkerung. Es wird davon ausgegangen, dass das Victoriaseebecken besonders stark durch Wasserverschmutzung und Erosion geschädigt werden wird.

Die Gewinne aus der Anlage gehen größtenteils an den Konzern Total Energy und zu einem kleineren Anteil an staatliche Ölkonzerne von Tansania und Uganda. Man kann nicht erwarten, dass die geschädigte Bevölkerung vor Ort jemals etwas von den Milliarden an Gewinnen aus der Unternehmung sehen wird.

Wir müssen international kämpfen, weil wir in den imperialistischen Ländern Druck aufbauen müssen, damit die ökonomische Abhängigkeit in halbkolonialen Ländern geschwächt wird. Die Menschen dort, die am stärksten unter der Klimakrise leiden, können dadurch effektiver dafür kämpfen, dass sie selbst in der Lage sind, Energieprojekte in einer nachhaltigen Art und Weise zu managen.

Wir kämpfen deshalb unter anderem für die Streichung aller Schulden, die halbkoloniale Länder an imperialistische Länder zu zahlen hätten.

Gewinner der Energiekrise auf unsere Kosten

Die Konzerne im Öl- und Erdgassektor haben nicht nur ihre klimaschädlichen Geschäfte und politische Einflussnahme zu verantworten. Die Firmen konnten in der derzeitigen Gaskrise ihre Profite enorm steigern, vor allem auf Kosten von Lohnabhängigen, die sich die gestiegenen Heizkosten kaum noch leisten können. Keine einzige europäische Regierung ist gewillt, dem Wucher durch Preisobergrenzen oder Vergesellschaftungen ernsthaft Einhalt zu gebieten, denn man möchte ja nicht die Profitraten einer so wichtigen Klientel wie der Erdölindustrie einschränken. So beschränken sich staatliche Hilfen für die Arbeiter:innenklasse auf kleine Einmalzahlungen, die keine wahre Entlastung schaffen. Die jetzige Inflation, die von den Energiepreisen getrieben wird, trifft vor allem die Haushalte, die nicht in der Lage sind zu sparen und die Kosten, die jetzt auf sie zukommen, nicht wirklich abfangen können.

Auch die Menschen, die in nicht nachhaltigen Bereichen arbeiten, haben in diesen Branchen keine Zukunft. Wir brauchen ihre Expertise und ihr Können für eine nachhaltige Umstellung der Wirtschaft. Sie sind diejenigen, die ein tatsächliches Interesse daran haben, ihre Unternehmen und Konzerne umzugestalten und zu nutzen, was zu nutzen ist und aufzugeben und zu verhindern, was die Klimakrise weiter anheizt.

Wieder einmal sehen wir alle nur zu gut, warum sich Arbeiter:innen und Jugendliche nur auf sich selbst verlassen können. Hoffnungen auf Preisobergrenzen und finanzielle Hilfen werden vergebens sein, wenn sie nicht durch Streiks und Besetzungen erzwungen werden. Keine Profite mit Heizen und Miete! Vergesellschaftung der Energiekonzerne unter Arbeiter:innenkontrolle ohne Entschädigungen!

Eine neue Klimabewegung

Im deutschsprachigen Raum haben die Proteste gegen die Räumung von Lützerath in Deutschland sowie die Besetzung der Baustellen für die Stadtautobahn in Wien zu einer klaren Radikalisierung der Klimabewegung geführt. Gerade die Erfahrungen mit Polizeigewalt und die absolute Unwilligkeit der Grünen in beiden Ländern, bei ihren Versprechen für mehr Klimaschutz zu bleiben, hat viele junge Aktivist:innen zum Umdenken bewegt. Doch dieses beschränkt sich oft nur auf eine höhere Stufe an „Radikalität“ bei den eigenen Aktionen wie den Unibesetzungen von End Fossil: Occupy! oder dem Festkleben an Straßen durch die Gruppe Letzte Generation. Nicht geändert hat sich aber, an wen diese Forderungen gerichtet werden und wer die Klimakrise lösen soll: bürgerliche Regierungen und deren Staatsapparat.

REVOLUTION sieht sich als Teil der Klimabewegung und wir stehen solidarisch zu allen Gruppen, die sich an diesem entscheidenden Kampf beteiligen. Jedoch sehen wir, dass das Unterfangen, die Klimakrise durch Appelle an ein Parlament oder besonders radikale Einzelaktionen zu bekämpfen, nicht zu verwirklichen ist. Daher schlagen wir einen neuen, klassenkämpferische und internationalistischen Weg vor.

Klasseninteressen in Zeiten der Klimakrise

In der Klimakrise sitzen nicht alle im gleichen Boot. Wie auch die Erzeugnisse des kapitalistischen Wirtschaftssystems national und international sehr ungleich verteilt werden, so werden auch die Lasten des Kapitalismus von manchen Menschen stärker getragen als von anderen. Besonders betroffen sind Jugendliche und Arbeiter:innen sowie Menschen außerhalb der imperialistischen Zentren. Sie profitieren kaum von der erhöhten Produktivität durch die rücksichtslose Ausbeutung der Umwelt und haben meist nicht die Möglichkeit, vor den schlimmsten Folgen des Klimawandels wie Überflutungen, Luftverschmutzung und Dürre zu fliehen. So ist es Menschen mit großen finanziellen Mitteln möglich, ihre Häuser zu klimatisieren oder einfach in weniger stark betroffene Gebiete umzusiedeln.

Für Kapitalist:innen, also Menschen, die Kontrolle über Produktionsmittel wie z. B. Fabriken ausüben, verspricht jedoch jedes Jahr ohne Klimaschutz höhere Gewinne. Auch verfügen sie über die notwendigen Ressourcen, um gegebenenfalls den Folgen ihres eigenen zerstörerischen Handelns aus dem Weg gehen zu können.

Sogar wenn sich einzelne Unternehmer:innen gegen ihr eigenes objektives Interesse für härtere Klimaschutzmaßnahmen im eigenen Betrieb entscheiden, würden sie aufgrund der dadurch stärkeren Konkurrenz schnell an Bedeutung verlieren.

Das Kapital als Klasse stellt sich also nicht aufgrund von Unwissenheit gegen stärkeren Umweltschutz, sondern aufgrund des eigenen materiellen Interesses und des ökonomischen Zwangs, auf dem Weltmarkt profitabel und wettbewerbsfähig zu bleiben. Da die Kapitalist:innenklasse als Ganze die meisten Mittel für Lobbying und Propaganda zur Verfügung hat, werden die Interessen des Kapitals auch in Fragen des Klimaschutzes von den bürgerlichen Regierungen jeder Art rücksichtslos durchgesetzt. Daran ändert auch eine Regierungsbeteiligung der Grünen nichts.

Der Kampf gegen den Klimawandel ist immer einer gegen das Kapital. In der Klimakrise teilen sich die Interessen von Menschen also nicht nach Bildungsgrad oder dem persönlichen Wissen über den Klimawandel, sondern nach der Klassenzugehörigkeit. Als Klimabewegung ist es unsere Aufgabe, stets den Kontakt zu den Massen an Jugendlichen und Arbeiter:innen zu suchen, die das größte objektive Interesse (weil es um ihr Überleben geht) an einer konsequenten Klimapolitik hegen. Diese Gruppen müssen wir für den gemeinsamen Kampf für unsere Zukunft mobilisieren. Genauso wie wir es nicht schaffen, die Klimakrise durch unser persönliches Konsumverhalten abzuwenden, reicht es auch nicht aus, mit isolierten Aktionen und Aktivismus einer kleinen Szene Aufmerksamkeit zu generieren. Wir wollen eine Bewegung werden und dafür müssen wir den Kampf für einen Systemwechsel in die Schulen und Unternehmen tragen.

Als Aktivist:innen innerhalb des imperialistischen Kerns sollten wir die Kämpfe von Arbeiter:innen und Jugendlichen gegen Ausbeutung und Klimawandel in den Halbkolonien als unsere eigenen sehen. Nur eine breite, internationale, antikapitalistische Bewegung wird in der Lage sein, die Produktionsverhältnisse weltweit ökologisch und sozial zu gestalten. Diese Aufgabe ist weder den eigenen Parlamenten noch irgendeiner parlamentarischen Partei anzuvertrauen, da jene Institutionen in der Vergangenheit schon zu oft gezeigt haben, dass sie sich stets dem Willen der Kapitalist:innen beugen werden.

Unsere Forderungen sollen nicht den Anschein erwecken, dass kapitalistische Staaten diese tatsächlich eines Tages umsetzen könnten. Aber sie geben uns einen klaren Weg vor, um erfolgreich zu sein, und zeigen auf, welche Schritte notwendig sind, um die jetzige Krise zu überwinden. Forderungen sollten aber auch immer versuchen, eine Brücke zwischen dem derzeitigen Bewusstsein der Menschen und diesen notwendigen Maßnahmen zu spannen.

Daher sagen wir: Nein zu neuer Infrastruktur von Erdgas! Nein zur Ausbeutung von Rohstoffen in den Halbkolonien durch imperialistische Staaten! Nein zu Treffen zwischen Industrie und Politik, die immer nur der Maximierung des eigenen Profits dienen! Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern, auch Erdgas! Keine Profite mit Heizen und Miete, die Lasten der Wirtschaftskrise sollen nicht von Arbeiter:innen und Jugendlichen getragen werden. Enteignung der Energiekonzerne unter Arbeiter:Innenkontrolle!

Klimaschutz heißt Klassenkampf: Vernetzung von Klimabewegung und Gewerkschaften! Es gibt keinen grünen Kapitalismus, Klimaschutz muss antikapitalistisch und internationalistisch sein! Kein Vertrauen in bürgerliche Staaten und Parteien!




Lützi bleibt! Tagebuch von Aktivist:innen

Genoss:innen von Arbeiter:innenmacht und REVOLUTION beteiligen sich an den Aktionen und Demonstrationen gegen die Räumung von Lützerath. Hier ihre Eindrücke vor Ort.

Sonntag, 15.1.23: Wir kehren Lützi nicht den Rücken, wir tragen es nun in die Betriebe

Nach einer Woche gemeinsamen Zusammenlebens, gemeinsamen Kampfes in Lützi und in Keyenberg geht nun eine wichtige Zeit der gemeinsamen Erfahrung für unsere Genoss:innen zu Ende. Wir kehren in unsere Heimatstädte, an unsere Arbeitsplätze, Schulen und Universitäten zurück.

Es ist uns wichtig zu betonen: Wir gehen nicht, weil wir denken, die Auseinandersetzung sei vorbei. Die Genoss:innen sagten heute auf der Pressekonferenz von Lützi Bleibt vollkommen zu Recht, dass, egal ob das Dorf falle oder nicht, wir weiter um jeden Zentimeter Erde und damit gegen weitere Erderwärmung kämpfen würden. Genoss:innen – und das richten wir hier auch ganz explizit an unsere anarchistischen Genoss:innen in Lützerath – wir schätzen euren Mut und euer Engagement. Haltet durch, verzagt nicht!

Es sind unsere eigenen Umstände, die uns zwingen zu gehen. In Gedanken bleiben wir bei euch, jenen, die nach wie vor in und um Lützerath ausharren. Auch ihr seid bei uns, während wir versuchen, den Klimaklassenkampf im Bundesgebiet weiter voranzubringen.

An alle, die sich ihrer Verantwortung bewusst werden, ihre eigene Zukunft in die Hand zu nehmen, und erkennen, dass die kapitalistische Regierung und ihre Freund:innen in Banken und Konzernen es nicht tun werden: Schließt euch den Aktionen am 17. Januar im Bundesgebiet an!

Lasst uns noch einen Schritt weiter gehen, lasst uns gemeinsam unsere Kolleg:innen und ihre Gewerkschaften, unsere Mitschüler:innen und die Klimabewegung für die notwendigen Mittel gewinnen: für Massendemonstrationen und politische Massenstreiks, um die Enteignung von RWE und aller Engeriekonzerne unter Arbeiter:innenkontrolle zu erzwingen.

Unser Ziel ist es, eine ökologische Transformation in Gang zu setzen, die ihren Namen wirklich verdient: ine ökologische Planwirtschaft, für deren Aufbau die Reichen und nicht die Arbeiter:innen und Menschen des globalen Südens zahlen müssen.

Samstag, 14.1.23: Zehntausende gegen RWE!

Heute versammelten sich 35.000 Menschen um Lützerath. Sie wurden in dieser Woche aus Lützi verdrängt, sind aber noch vor Ort, reisten in den letzten Tagen ins Unser Aller Camp nach Keyenberg oder stießen heute aus dem Bundesgebiet und  Ausland zu uns. Jedes Gesicht war willkommen im gemeinsamen Kampf um Lützi.

Die Polizei bezifferte ursprünglich die Zahl auf 8.000 Demonstrant:innen und hat damit so unverschämt gelogen wie über alle anderen Verbrechen an Mensch und Natur, die sie in den letzten Tagen im Namen RWEs beging. Doch weder ihre Lügen und die wütende Hetze der rechten Presse noch Starkwind, strömender Regen und die Abgelegenheit Lützeraths hielten die Bewegung davon ab, ihre zahlenmäßige Stärke zu demonstrieren. Das allein ist ein Achtungserfolg.

Anarchist:innen liefen Schulter an Schulter mit Kommunist:innen. Jung lief neben Alt. Eltern waren mit ihren Kindern gekommen. Großeltern hatten ihren Enkeln Taschengeld mitgegeben, um für deren Zukunft zu kämpfen.

Auch die Slogans nach Klimagerechtigkeit und System Change sind konkreter geworden.

Populäre Slogans vergangener Tage wie „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“ wurden erneut von tausenden Stimmen erhoben. Neben sie traten neue wie „Alle Dörfer bleiben, RWE enteignen“. Sie finden ihr Echo in einer breiten Bewegung, nicht nur in den Köpfen einiger weniger. Herbert Reuls Gespenst des Antikapitalismus macht sich breit in der Klimabewegung.

Mit großem Mut und immenser Opferbereitschaft kämpften vorwiegend junge Menschen darum, die Ketten der Cops und ihre Absperrungen zu durchbrechen. Ihr Ziel war, die Gewalt gegenüber den verbliebenen Bewohner:innen Lützis zu beenden.

Sie kämpften aber auch für sich. Das spürte man. Es geht nicht nur um den Kampf für eine manchmal scheinbar ferne Utopie. Es geht darum, die unmittelbar bevorstehende Dystopie zu verhindern. Das gibt der Bewegung eine große moralische und argumentative Kraft.

Dieser Opferwille wurde mit massiver Gewalt durch die Polizei beantwortet. Tausende psychopathischer Kräfte, die ganz eindeutig auf Verletzung und „Zerstörung“ der Demonstrationsteilnehmer:innen eingepeitscht wurden, forderten ihren Tribut. Mindestens eine Person musste per Hubschrauber in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Viele weitere hatten grauenhafte Wunden. Währenddessen feierte die Polizeiführung ihre eigene Gewalt im Welt-TV als „vorbildlichen Einsatz nach Handbuch“.

Wir möchten aber auch zwei Dinge zur Diskussion stellen. Wer Dörfer wie Lützerath in einer Situation wie in der vergangenen Woche verteidigen will, braucht neben Mut, Solidarität und vielen Innovationen der Bewegung zwei weitere Zutaten.

Einerseits eine Massenbewegung, die mehr als nur dazu in der Lage ist, groß zu mobilisieren. Denn das ist uns gelungen. Wir müssen diese Bewegung gleichzeitig in den Gewerkschaften verankern. Und zwar gegen den Widerstand einer von SPD und Grünen kontrollierten Bürokratie, die den Kapitalismus und die Eigentumsrechte der Reichen als Naturgesetz begreifen. Das ist harte Arbeit. Aber wir wissen, dass viele in der Bewegung sich nicht vor solcher scheuen. Es ist eine Frage der Strategie und taktischen Vorgehens.

Zweitens ist es vollkommen legitim, Proteste zu schaffen, an denen alle teilnehmen können, die die großen Ziele der Bewegung teilen. Die Mutter, das Kleinkind, der Großvater und die Jugendliche, die Kranken, die Ängstlichen, die Mutigen. Für sie alle muss Platz sein. Es darf keinen Gewaltfetisch geben. Aber das heißt eben auch, es nicht einfach aus Prinzip abzulehnen, sich gegen die Gewalt der Unterdrücker:innen zu wehren. Sich gegen einen bewaffneten Staat durchzusetzen, der Unrecht tut, ist nie friedlich passiert.

Das ist einfach eine deutsche Ideologie. Im Übrigen auch eine, die in eurozentrischer Manier die Kämpfe des globalen Südens verdreht.

Nicht Gandhis Ideologie brachte die Unabhängigkeit vom Kolonialismus, sondern Massenbewegungen, die Generalstreiks kannten, in denen Kolonialbeamt:innen zunehmend um ihre eigene Haut fürchten mussten und die zum Beispiel in Indien 1946 in Matrosen- und Soldatenaufstände mündeten. Es war gerade die halbe Revolution, die von den Bürgerlichen wie Gandhi ausgebremst wurde, die viele damalige nationale Revolutionen „akzeptabel und friedlich“ für die westliche herrschende Klasse gestaltete, die diese Länder weiter in der Abhängigkeit vom Imperialismus hielt und dementsprechend heute besonders anfällig für den globalen Klimawandel machte.

Von solchen Zuständen sind wir in Deutschland weit entfernt. Aber es würde helfen, wenn die, die in den ersten Reihen stehen, nicht dafür gescholten werden, dass sie sich wehren, wenn der behelmte schwarze Block mit Schusswaffen, Knüppeln, Giftgas und Vollkörperausrüstung sich zwischen sie und eine lebenswerte Zukunft stellt.

Der Tag wird Zehntausenden in Erinnerung bleiben. Als ein Tag der Solidarität, des Mutes und vielleicht auch als ein Tag, aus dem wir gemeinsam für die Zukunft lernen können, um die wir kämpfen.

Freitag, 13.1.23: Können wir Lützerath zurückgewinnen?

Diese Frage stellen sich heute alle, die sich um Lützerath aufhalten oder auf dem Weg hierher sind. Wir sagen: ja, wenn wir uns gut organisieren und entschlossen sind!  Während wir auf den morgigen Tag und die Großdemo hoffen, geht die Polizei brutal in Lützerath vor und versucht nicht nur das Morgen sondern unsere gesamte Zukunft im Namen der Profite von RWE zu zerstören. Einige mutige Aktivist:innen harren aber nach wie vor in Lützi aus, so wie Pinky und Brain, die mit ihrem Tunnel versuchen, den Kapitalismus, immerhin aber den Polizeieinsatz vorübergehend zu untergraben.

In Keyenberg sind mittlerweile viele, viele neue Gesichter und Menschen angekommen, wie auch viele, die aus Lützi geräumt wurden. Dass wir viele sind, gibt uns Hoffnung. Wir nehmen Greta Thunberg beim Wort, die heute aus Lützerath aufrief, sie morgen vor Ort zu sehen! Wir sind froh über die Solidarität in vielen deutschen Städten und aus dem Ausland. Die Besetzung der Grünen Büros ist absolut gerechtfertigt, Habecks Aussage, dass der „Kohlekompromiss“ ein Erfolg sei, ist Heuchelei. Dem Klima ist es egal, ob dank den Grünen Garzweiler II verkleinert wurde oder nicht, wenn Lützi fällt, fallen die 1,5 Grad – Versprechen gebrochen! Diese Leute verraten offenen Auges. Sie wissen das, wir wissen das.

Wer eine lebenswerte Zukunft will, kann nicht auf Habeck, Baerbock und Co. hoffen. Wir müssen die Grünen ablehnen, alle die auf der Welle von FFF in die Grünen eintraten und jetzt enttäuscht sind, sind das mit Recht. Sie sollten die Partei verlassen! Zwar ist es lobenswert, dass Luisa Neubauer und andere versuchen, in den Grünen für ihre Prinzipien zu kämpfen, aber es ist hoffnungslos in einer Partei, die auf bürgerliche Regierungsbeteiligung statt auf Klimaschutz pocht. Solange Luisa Neubauer und Co. weiter in dieser Partei ist, ist auch ihre Sitzblockade und ihr sich von den Cops- wegtragen-lassen letztlich unglaubwürdig und inkonsequent.

Wir brauchen mehr: eine revolutionär-sozialistische Partei, die sich internationalistisch organisiert und die es schafft, die Arbeiter:innen in Deutschland wieder gegen den Hauptfeind zu organisieren: Das deutsche Kapital und den deutschen Staat. Nicht weniger schulden wir Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die am 15. Januar 1919 umgebracht wurden, von der gleichen Klasse, die auch heute unsere Zukunft zerstört!

Donnerstag, 12.1.23: Polizei zerstört und gefährdet Leben im Namen von RWE

Seit Mittwoch morgen ist die Polizei in Lützerath, räumt und zerstört auch nachts. Sie missachtet dabei auch ihre eigenen Sicherheitsvorkehrungen: Es gab Fälle, wo Tripods laut Einschätzung der Kletterercops nur sicher mit Kränen geräumt werden könnten. Andere Polizist:innen fanden, dass “dies viel zu lange dauere” und legten selbst Hand an! Damit RWE schneller räumen und mehr Profite machen können, gehen die Cops für das Kapital auch über Leichen, wir haben den Hambi nicht vergessen!

Auch bei der Rodung neben Bäumen mit Baumhäusern riskieren sie Leben: Bei Starkwind sind nun etliche nicht mehr durch eine erste Reihe Bäume geschützt, die den Wind abfängt. Die jetzt umgestürzten Bäume könnten zusammenbrechen, ganz davon abgesehen, dass bei den Rodungen keine Sicherheitsabstände eingehalten wurden!

Während die rechte Presse von Randalen und Sinnlosigkeit seitens der Klimabewegung spricht, schweigt sie sich darüber aus, wie die Polizei Lützerath zerstört.

Von Keyenberg startete am Morgen eine Demo mit rund 600 Personen in Richtung Lützerath. Es gab von einem Teil der Demonstrant:innen den Versuch, über die Felder in Richtung des Dorfes zu gehen, einige blockierten längere Zeit eine Zufahrtsstraße der Polizei.

Ein Genosse von Revolution wurde dabei aus der angemeldeten Demonstration festgenommen und einer Identitätskontrolle unterzogen, in der er mehr als 3 Stunden in Wind und Regen stehen musste. Grund: Er hatte eine Fahne!

Trotz allem war die Solidarität unter den Aktiviti sehr groß. Es wird sich geholfen und freundlich begegnet, trotz widriger Umstände.

Besonders zynisch übrigens: Während große Teile des geretteten Keyenbergs und umliegender Dörfer RWE gehören und leer stehen, sind Geflüchtete in Notunterkünften und nicht in eigentlich vorhandenem Leerstand untergebracht. RWE enteignen heißt um Garzweiler also auch, Wohnraum zur Verfügung stellen, der von Menschen gebraucht wird!

Jetzt am Abend gehen die Cops in das Camp in Keyenberg und versuchen Personenkontrollen durchzuführen! Wenn Ihr her kommen wollt, passt auf Euch auf! Checkt den Lützi-Ticker!

Wir hoffen vor allem auf Unterstützung am Wochenende, um das Blatt erneut zu wenden!

Lützi bleibt – im Baumhaus und im Tunnel, in Keyenberg im UAC, in der besetzten Geschäftsstelle der Grünen!

Mittwoch, 11.1.23: Es wird ernst

Es wird ernst! Heute hat die Polizei mit der eigentlichen Räumung begonnen. Am Morgen wurde das Dorf gestürmt, über 1000 Cops sind da und versuchen mit RWE Lützerath einzuzäunen. Barrikaden und Strukturen werden geräumt, außerdem die großen Hallen.

Die Presse – an der Spitze WELT, Bild und Co – versucht dabei, den legitimen Protest zu diffamieren und als gewalttätig darzustellen. Die Gewalt geht hier aber eindeutig von den Cops und RWE aus! Schmerzgriffe, Pfeffer, Schubsen, Schlagen und mit Brachialmaschinen Lützi platt machen, was ist das anderes als rohe kapitalistische Gewalt??

Wir lassen uns nicht spalten! Solange aufeinander acht gegeben wird, haben alle Formen des Protestes Platz, ob friedlich oder „anderweitig“, ob in Lützi selbst, im UAC (Unser aller Camp) in Keyenberg oder in deiner Stadt!

Kommt ins „Unser aller Camp“, kommt nach Lützi, kommt am Samstag zur Großdemo gegen Polizei, RWE, die Landesregierung und die Grünen, die das hier mitzuverantworten haben!

Info zu den Aktionen und Protesten: https://luetzerathlebt.info/

Spendenkonto: https://luetzerathlebt.info/spendenkonto/

Dienstag, 10.01.23: Die Polizei provoziert: erfolglos.

Die Polizei hat begonnen, Strukturen im Tagebauvorfeld und auf der Landstraße 277 zu räumen, mit dem Ziel, ihre Zauntrasse zu errichten. Währenddessen befestigen Straßenbaumaschinen die Wege für Räumfahrzeuge.

Aus 14 Bundesländern reisen Polizist:innen an. Die Räumung des Orts wird ab morgen oder übermorgen vermutet. Aktuell ist aber der Zugang nach Lützerath weiterhin physisch offen. Gleichzeitig stoppt und schikaniert die Polizei Reisende mit Trekkingrucksäcken und Zelten bis zu Bahnhöfen in Düsseldorf.

Auch in und um Lützerath kam es zu Provokationen der Polizei, die mit Schubsen und Schlägen versuchte, Sitz- und Stehblockaden einzuschüchtern oder aufzubrechen.

Gerade im Angesicht der breiten öffentlichen Solidarität und der inneren Widersprüche in der schwarz-grünen Landesregierung ist die Taktik von Polizei und Regierung vermutlich, ein Narrativ zu schaffen, in dem wir Besetzer:innen „den ersten Stein“ warfen, um die folgende und bereits jetzt geplante massive Brutalität bei der Räumung Lützeraths zu rechtfertigen. Vorerst ist dieses Kalkül nicht aufgegangen.

Wir betonen an dieser Stelle ausdrücklich, dass die systematische Gewalt von dem Konzern RWE ausgeht, der dutzende von Quadratkilometern Land zerstören und Millionen Tonnen Kohle für seine Profite verfeuern will. Dies versucht die Landesregierung, durch den Einsatz und die Vorbereitung eines millionenschweren und brutalen Polizeieinsatzes durchzusetzen. Widerstand ist legitim und gerechtfertigt.

Montag, 09.01.23: Die Ruhe vor dem Sturm

Die Polizei baut weiter im Tagebauvorfeld ihr Lager auf. Bisher tut sie dies eher vorsichtig. Es gibt vorrangig ein Abtasten der Kräfte und der Situation, keine ausgedehnten Konfrontationen.

Zwei Tripods direkt vor der Polizei konnten so den ganzen Tag gehalten werden. Überall entstehen Barrikaden und Strukturen zur Verhinderung der Räumung. Es gibt etliche Baumhäuser und verschanzte Höfe.

In der lokalen Bevölkerung herrscht viel Unterstützung – ein Umstand, der aktuell kaum in den Medien erwähnt wird.

Ab Mittwoch wird mit dem offiziellen Beginn der Räumung gerechnet. Dies ist natürlich eine Vermutung, kein gesicherter Fakt. Eventuell ist der Zutritt zu Lützerath auch danach noch möglich, wenn auch unter erschwerten und kriminalisierten Bedingungen.

In jedem Fall steht nun aber das zweite Camp in  Keyenberg, das als Rückzugsort und alternativer Ausgangspunkt für Protest dient.

Die Stimmung ist motiviert. In Lützerath haben sich vorwiegend jene Jugendlichen versammelt, die vor vier Jahren mit Fridays for Future begannen, aktiv zu werden. Viele von ihnen haben sich über ihre Erfahrungen und Überlegungen antikapitalistischen Ideen zugewandt.

Sonntag, 08.01.23: Belagerungszustand und Volksfest – Lützerath vor der Räumung

Nach der Ausrufung des Tags X fand heute der letzte Dorfspaziergang nach Lützerath statt. 5.000  – 7.000 Menschen nahmen daran teil.

Die Unterstützung ist sehr breit aufgestellt. So haben auch prominente Kulturschaffende wie Jan Böhmermann und Henning May in den letzten Tagen ihre Solidarität mit dem Widerstand in und um Lützerath erklärt.

Das zeigte sich auch am heutigen Tag. Durch Shuttlebusse herangebracht und von der Küche für Alle versorgt, konnten so viele Leute wie nie zuvor durch Lützerath ziehen.

Während die zentrale Kundgebung stattfand, musste der nahe Kohlebagger stillstehen, da sich zu viele Menschen im Tagebauvorfeld befanden.

Währenddessen wurden im Dorf und auf den Zubringerstraßen zahlreiche Barrikaden errichtet. Nicht nur zahlenmäßig, sondern auch moralisch scheint der Widerstand nach diesem Wochenende so stark zu sein wie nie zuvor.

Die Stimmung im Ort war friedlich und kämpferisch. Neben Jugendlichen in Maleranzügen und Vermummung arbeiteten angereiste Familien gemeinsam am Aufreißen des Pflasters oder dem Ausheben von Gräben, um Räumfahrzeuge zu stoppen.

Der große Andrang drängte auch die Polizei zurück. Am Abend wurde die Lage unübersichtlich.

Der heutige Tag hat uns Kraft und Zuversicht gegeben. Wenn sich die Stimmung, die heute an der Abbruchkante herrschte, auf das Bundesgebiet überträgt, können wir gewinnen und Lützerath bleibt!

Weitere Artikel zu Lützerath auf unserer Website

Tag X: Lützerath verteidigen

Lützerath, die Umweltbewegung und die Grünen

„Nix bliev wie et wor“: Lützerath verteidigen!

Auf geht’s, ab geht’s: Welche Strategie brauchen wir als Klimabewegung in Zeiten von Krieg & Krise?




Klimakatastrophenbewältigung auf kapitalistisch: ein Jahr nach der Flut im Ahrtal

Joshua Kornblum, Neue Internationale 266, Juli/August 2022

Etwa ein Jahr ist es nun her, dass sich die Flut in der Region um Ahrweiler ereignet hat. Eine Katastrophe, die 134 Menschen das Leben gekostet hat – Menschenleben, die umsonst verlorengegangen sind. Denn die Katastrophe war, auch laut Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags, vorhersehbar und hätte verhindert werden können. Entgegen allen vorhandenen Informationen des DWD (Deutscher Wetterdienst) oder des EFAS (Europäisches Hochwasserwarnsystem) wurde erst gar nicht und dann viel zu spät gehandelt. Um die Ignoranz auf die Spitze zu treiben, sprach noch am selben Nachmittag das Landesumweltministerium eine Entwarnung aus: Es gebe „kein Extremhochwasser“. Versagt haben ebenfalls diverse Warninstrumente, welche unzureichend oder gar nicht genutzt worden sind, auch wegen fehlender Instandhaltung.

Schuld daran will keine:r sein. Es handle sich um „eine Verkettung mehrerer vor allem lokaler und regionaler Besonderheiten“ oder die Katastrophe sei schlicht „nicht vorstellbar“ gewesen, sagt die Politik. Es wird auf bürokratische Vorgänge verwiesen. Man habe mit den vorhandenen Informationen eben nichts anfangen können oder man dachte, dass die erforderlichen Maßnahmen schon von anderer Ebene eingeleitet worden seien. Der Untersuchungsausschuss vermutet, dass sich die verantwortlichen Zeug:innen zwecks unwahrheitsgemäßer Aussagen absprechen.

Umgang mit den Folgen

Im August letzten Jahres, fast einen Monat nach der Katastrophe, beschloss die Bundesregierung einige Maßnahmen mit dem Ziel, die entstandenen Schäden und Kosten zu erstatten sowie ein besseres Warnsystem zu etablieren. Versprochen wurden außerdem ausreichend finanzielle Soforthilfen für die betroffenen Einwohner:innen.

Was ist daraus nun geworden? Der Katastrophen- und Alarmplan? Fehlt, „steht noch am Anfang“, „kein Fertigstellungsdatum“. Ein gewünschter Hochwasserschutzplan für die gesamte Länge der Ahr wird nicht einmal angegangen. Die elektronischen Warnsirenen seien zwar zum Großteil schon aufgebaut, ein Datum zur Inbetriebnahme gibt es aber auch nicht. Es herrscht berechtigterweise weiterhin Angst vor einem ähnlichen Ereignis in der Zukunft – vor allem, wenn man einbezieht, dass Hausbesitzer:innen kaum Unterstützung bekommen, sollten sie ihr Heim an einer sichereren Lage wiederaufbauen wollen.

Der betreffende, standortgebundene Wiederaufbau geht schleppend und umständlich voran. Jetzt, wo das Thema keine bundesweite Präsenz mehr besitzt, zeigt sich der Charakter der kostenscheuenden deutschen Bürokratie. Wenn man sich heute ins Ahrtal wagt, bekommt man den Eindruck, die Flut sei keine zwei Monate her.

Das, obwohl zum Wiederaufbau eine Unterstützung von 30 Milliarden Euro angekündigt worden ist. Bei flüchtiger Beurteilung könnte man also meinen, dass die Problematik nicht finanzieller Natur ist. Jedoch wurde von den versprochenen 30 Milliarden bisher nur ein Bruchteil ausgezahlt. So erhalten Hausbesitzer:innen nur 20 Prozent der – wohlgemerkt selbst vorgenommenen – Kostenschätzung zur Wiedergutmachung der Gebäudeschäden. Bei den damaligen unmittelbaren Soforthilfen wurde nur die Deckung der unmittelbaren Grundbedürfnisse berücksichtigt, in Höhe von läppischen 3.500 Euro pro Haushalt. Vielen fehlen also die Mittel, um überhaupt mit dem Wiederaufbau beginnen zu können. Anträge zur Geldbewilligung sind überaus kompliziert, werden bei minimalen Formfehlern abgelehnt, und für die Antragsverfahren dringend nötige Gutachter:innen sind völlig überlastet. Anschließend gebrauchte Handwerker:innen sowie Material fehlen ebenfalls. Über ein halbes Jahr nach der Flut wurden nur 700 Anträge bewilligt und davon lediglich 5 Antragssteller:innen voll ausgezahlt. In Folge geben viele Einwohner:innen ihren Anspruch auf finanzielle Unterstützung oder gar ihren Heimatort auf und ziehen fort. Diejenigen, die bleiben, müssen zum Teil noch immer bei Freunden oder Verwandten unterkommen.

Zu Glück beginnt sich auch Widerstand zu formieren. Am 2. Juli demonstrierten rund 350 Betroffene der Flutkatastrophe in Mainz, um endlich Gelder aus dem Wiederaufbaufonds zu erhalten, die sie bis heute aufgrund der komplizierten Verfahren nicht bewilligt gekriegt haben.

Wer hilft wirklich?

Der bürgerliche Staat zieht sich in Fällen verheerender Katastrophen stark aus der Verantwortung. Gesundheit oder Klimaschutz sind dem Kapitalismus lästige Kostenfaktoren, und in außerordentlichem Maß betrifft das auch den Katastrophenschutz.

Hier wird fast vollkommen auf die gegenseitige (und unvergütete) Solidarität der Menschen selbst gesetzt. Offiziell heißt es zwar, Katastrophenschutz sei Ländersache. Gemeint ist damit aber nicht ein von der Landesregierung unterhaltener öffentlicher Dienst, sondern sind die in dem jeweiligen Bundesland ansässigen freiwillige Hilfskräfte. So kommen in erster Linie Organisationen wie das DRK (Deutsches Rotes Kreuz), die AWO (Arbeiterwohlfahrt), kirchlich begründete (und finanzierte) Organisationen wie die Malteser oder die Johanniter neben vielen anderen Freiwilligen zum Einsatz. Die Feuerwehr stellt in Deutschland mit einer Freiwilligenquote von 93,5 Prozent keine Ausnahme dar.

In Extremfällen bietet „der Bund“ auch Unterstützung, sprich in Form des THW (Technisches Hilfswerk), mit einer Freiwilligenquote von ganzen 98 Prozent, neben größtenteils ungeeigneten Kräften wie der Bundespolizei oder Bundeswehr, deren Einsatz eher an Imagepflege erinnert.

Fazit: Es war und ist vor allem die überwältigende Solidarität der einfachen Bevölkerung untereinander, die Hilfskonvois organisierte, wochenlang beim Aufräumen half und riesige Geldsummen spendete – lange bevor sich die Regierung dazu durchringen konnte –, die die Katastrophe zu bewältigen versucht.

Was erwartet uns?

Angesichts der für Arbeiter:innen sich stets verschlechternden Lebensverhältnisse und der immer größeren Gefahr klimatisch bedingter Desaster muss die Frage gestellt werden, ob wir uns auf den Schutz des Staates verlassen können oder unser Leben auch hier den Profitinteressen des Kapitals ausgeliefert ist. Schauen wir uns dazu die Funktion und die dahinterstehenden Interessen des heutigen Systems des Katastrophenschutzes an:

Dysfunktionale Struktur, bedürftige Kommunikation sowie ein insgesamt fehlender politischer Wille bilden den Hintergrund, vor dem sich das Unglück in Ahrweiler abspielte. Laut Katastrophenforscher:innen ist dieser Zustand auch auf den Rest Deutschlands übertragbar. Formale Vereinbarungen existieren zwar für den schlimmsten Fall, nötige Übungen in Zusammenarbeit und transparente Katastrophenschutzpläne vermisse man jedoch. Meist haben die Verantwortlichen andere Aufgaben, die priorisiert werden. Und es besteht keine Tendenz, dies zu ändern. „Ohne Hochwasser keine Deiche“, bisher beschlossene Maßnahmen seien „nur kosmetische Verbesserungen“ und der Film „Don’t look up“ sei „gar nicht so originell“, so die Einschätzung der Katastrophenforscher Martin Voss und Christian Kuhlicke in der taz, April 2022.

Einen weiteren wichtigen Aspekt finden wir bei wiederholter Betrachtung der Freiwilligenorganisationen, ohne die es praktisch gar keinen funktionierenden Katastrophenschutz gäbe. Diese werden zu großen Teilen von Spenden und Mitgliedsbeiträgen finanziert. Weiter sinkende Reallöhne und andere Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse haben einschneidende Folgen: Erstens sinkt die Anzahl spendenwilliger Privatpersonen, die ohnehin schon von 34,6 Millionen (2005) auf 20 Millionen (2021) gesunken ist. Zweitens lässt auch die Bereitschaft zum Engagement als freiwillige Hilfskraft nach. Denn Einkommen und Arbeitsbedingungen beeinflussen die Zeit, die für gesellschaftliches Engagement zur Verfügung steht. Somit ist es nicht verwunderlich, dass Unternehmen schon heute für einen Großteil der Spenden aufkommen. Die Folge ist eine immer größere Einflussnahme durch das Kapital, sodass zwangsläufig der Schutz von Menschenleben immer deutlicher dem Profitzwang untergeordnet oder reale Hilfe durch Imagewerbung ersetzt wird.

Aus all dem können wir schließen, dass wirksamer Katastrophenschutz wie jede Form von Vorsorge selbst eine Frage des Klassenkampfes ist. Wollen wir unsere Lebensgrundlagen erhalten und Katastrophen wie im Ahrtal in Zukunft verhindern, müssen wir als Arbeiter:innenklasse ein eigenes Programm durchsetzen.

Das inkludiert natürlich die Bereitstellung und Freigabe von Hilfsgeldern. Wie ein Jahr bitterer Erfahrung zeigt, kann diese Aufgabe nicht einfach Staatsbeamt:innen sowie Banken und Versicherungen überlassen werden. Vielmehr müssen Vertreter:innen der Gewerkschaften, der Hilfsorganisationen und der Bevölkerung die unbürokratische Auszahlung und Bereitstellung kontrollieren und durchsetzen.

Dasselbe betrifft aber auch Schutzpläne gegen Katastrophen und Aufwand zu deren zukünftiger Verhinderung. Damit diese angesichts des Klimawandels rasch umgesetzt werden, braucht es massive Investitionen, die durch die Besteuerung von Großvermögen und Unternehmensgewinnen finanziert werden. Alle jene, die aus Sicherheitsgründen ihr bisheriges Haus oder ihre Wohnung verlassen müssen, müssen dafür voll entschädigt werden.

Dies sind nur einige, aber wichtige Elemente eines ausgebauten Katastrophenschutzes unter Arbeiter:innenkontrolle, welcher Leben schützt, nicht Profite!




Umweltbewegung: Der Krieg bringt die Energiewende?

Joshua Kornblum, Neue Internationale 263, April 2022

Während es noch bis Anfang diesen Jahres angeblich keine Möglichkeiten, kein Geld, keine Mehrheiten für ein klimaneutrales Deutschland gab, scheint nun die Zeit dafür gekommen. Der Grund der angekündigten Energiewende ist aber nicht die schon lange bekannte Klimakrise, sondern der Krieg. Das Ziel ist keine schnellstmögliche klimaneutrale Welt, sondern eine Energieunabhängigkeit Deutschlands – unabhängig zumindest von der imperialistischen Konkurrenzmacht Russland.

Die Grünen

So plant die Bundesregierung, die BRD zwar schon 2035 „fast vollständig“ aus erneuerbaren Energien zu versorgen. Konkreter lautende Pläne sprechen jedoch von Flüssiggas aus Katar, von Öl aus dem Iran. Man fragt sich zu Recht, wie solche Alternativen humaner als der Import von Gas aus Russland via Nord Stream sein sollen. Moralisch müsse man nach Habeck jedoch zwischen einem „nicht-demokratischen Staat mit einer problematischen Menschenrechtssituation“ und einem „autoritären, kriegstreibenden Staat wie Russland“ unterscheiden.

Dass Katar den Krieg im Jemen tatkräftig unterstützt und der Iran die kurdischen Gebiete im Nordirak attackiert, solche Tatsachen entgehen der bürgerlichen Moral gerne mal. Die Alternative – aufwendig verschifftes Frackinggas aus den USA, bei dessen Gewinnung Methan freigesetzt wird, welches für das Klima 87 Mal schädlicher als Kohlendioxid ist – kann man auch nur äußerst heuchelnd dem 1,5-Grad-Klimaschutzpfad zuordnen.

Von einer tatsächlichen Wende in der Energieversorgung ist nichts zu erkennen.  Die Grünen verkünden nun: Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen, soll kein Denktabu sein; Gas gilt jetzt als Übergangstechnologie. Außerdem regen sich Stimmen für ein verzögertes Ende des Atomausstiegs.

Der Krieg dient also als Vorwand dafür, konkrete Maßnahmen für den Klimaschutz zu blockieren, und wird gleichzeitig als Gelegenheit dargestellt, dieselben Maßnahmen endlich umsetzen zu können. Was aber Krieg in Wahrheit mit den menschlichen Lebensgrundlagen in Verbindung bringt, ist nicht deren Rettung, sondern Vernichtung! Und das Klima ist nur eine der Lebensgrundlagen, die diesem zum Opfer fallen.

Und die Klimabewegung?

Während Fridays for Future eine tatsächliche Energiewende, weg von Kohle, Öl oder Gas fordert, steht ihre Position zum Krieg momentan im Einklang mit der des NATO-Imperialismus. So fordert FFF Deutschland auf Twitter ein #EmbargoForPeace und tritt daher ebenfalls für Sanktionen gegen Russland ein.

Positiv zu bemerken ist aber ihre Position zum Thema Aufrüstung. Im Gegensatz zu der gerade in Deutschland herrschenden Kriegsstimmung und der damit einhergehenden mehrheitlichen Unterstützung für Investitionen in die Bundeswehr spricht sich FFF Deutschland zusammen mit Ende Gelände und dem Netzwerk Abolish Frontex gegen das 100-Millarden-Aufrüstungspaket aus und fordert richtigerweise, das Geld stattdessen für Klimaschutz, Pflege und Bildung einzusetzen. Im Gegensatz dazu wollen sich aber wohl weder FFF noch Ende Gelände gegen Waffenlieferungen in die Ukraine positionieren.

Wer zahlt?

Lebensmittel, Sprit, Gas, Strom: Die Preise schnellen aufgrund der Sanktionen im Zuge des Krieges zusätzlich in die Höhe. Die Energie- und Mineralölkonzerne werden unmittelbar von den Auswirkungen des imperialistischen Konfliktes getroffen und wälzen die Kosten auf die Arbeiter:innenklasse ab oder nutzen die Situation mit absurd teuren Spritpreisen schamlos aus, um ordentlich Profite zu kassieren.

Als Trost soll es von der Regierung ein Entlastungspaket geben, welches wohl, wenn überhaupt, nur einen Bruchteil der entstandenen Kosten von Berufstätigen erstatten würde, die dieses am Ende doch wieder aus Steuern usw. begleichen sollen. Diejenigen, deren finanzielle Situation am prekärsten ist, bekommen am wenigsten.

So sind Rentner:innen wie Studierende (nicht inbegriffen diejenigen, die Löhne oberhalb des steuerfreien Betrags beziehen) komplett ausgenommen und Hartz-IV-Empfänger:innen „gönnt“ die Bundesregierung einen schäbigen Zuschuss von 100 Euro. Zynisch brüstet sich die Ampelkoalition noch damit, sie „handle auch in schwierigen Zeiten“.

Damit nicht genug, werden die Leidtragenden von den Kriegstreiber:innen der Grünen gebeten, ihren Energieverbrauch zu senken. Nicht um Geld zu sparen oder für Klimaschutz, was auch höhnisch und von zweifelhafter Auswirkung aufs Klima ist, sondern um der russischen Konkurrenz zu schaden.

Auf die Arbeiter:innenklasse kommen nicht nur weiter steigende Strom- und Gaspreise zu, sondern auch eine allgemein steigende Inflation. Außerdem wird schon jetzt verkündet, dass aufgrund der erhöhten Rüstungsausgaben verschiedene Mehrausgaben im Sozialbereich wie z. B. die Rentenerhöhung wahrscheinlich „nicht realisierbar“ sind.

Fazit

Grundsätzlich ist die Forderung nach einer schnellstmöglichen Energiewende natürlich zu befürworten. Es darf aber nur eine im Interesse der Arbeiter:innenklasse und nicht des deutschen Kapitals werden. Derzeit passiert das Gegenteil, in jeder Hinsicht: Von einer Energiewende kann mit katarischem Gas keine Rede sein, zumal wir die Mehrkosten für den aufwendigen Transport zahlen sollen! Was die Grünen gerade wieder einmal probieren, ist, den deutschen Imperialismus im Ringen mit dem russischen Konkurrenten grün anzustreichen.

Wer es ernst meint mit dem Kampf für Frieden und gegen den Klimawandel, sollte nicht nur die 100 Milliarden für die Bundeswehr ablehnen, sondern auch gegen Sanktionen und Waffenlieferungen eintreten – denn es gilt, mit dem grünen deutschen Imperialismus zu brechen. Der Umgang der Grünen, aber auch der Umweltbewegung mit dem Krieg wird uns die Energiewende nicht entscheidend und schnell genug näher bringen. Eine antikapitalistische Politik, die Gazprom, Shell und RWE enteignet und unter Arbeiter:innenkontrolle verstaatlicht, dagegen schon.




Strategiepapier der Linkspartei: Nicht einmal alter Wein in neuen Schläuchen

Susanne Kühn, Neue Internationale 262, Februar 2022

DIE LINKE beschwört einmal mehr den Aufbruch. Das tun schließlich alle Parteien, die gerade eine vernichtende Niederlage erlitten haben und eine solche hat sie bekanntlich bei den Bundestagswahlen 2021 eingefahren. Auch für die kommende Landtagswahl im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sieht es nicht gerade rosig aus.

So soll der Jahresauftakt am 16. Januar wenigstens Mut machen. „Die Linke wird gebraucht“, versichert sich die Parteiführung selbst – und verdeutlicht mit dieser Beschwörungsformel ungewollt, dass sie selbst ihrer eigenen Existenzberechtigung nicht sicher ist. Gefordert wird vor allem das, was der Partei fehlt: Einigkeit, Geschlossenheit, Zusammenhalt, Solidarität, Vision, Strategie.

Die Parteispitze will daher Abhilfe schaffen. Die beiden Vorsitzenden, Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow, präsentieren ein sog. Strategiepapier: „Für eine LINKE Transformation. Sozial UND klimagerecht“.

Transformationsstrategie?

Alter Wein in neuen Schläuchen ist noch eine höfliche Beschreibung für einen Text, der an saueren Essig erinnert. Im Grunde unterscheidet das „Transformationskonzept“ von älteren Papieren aus den Reihen der Grünen, der SPD, diverser NGOs oder Umweltverbände nur, dass DIE LINKE diesen Parteien eine Abkehr von ihren Versprechungen einer sozial gerechten und ökologisch wirkungsvollen Transformation vorhält. Trotzig wiederholt das Papier, was auch diese Parteien jahrelang in Wahlprogrammen oder Sonntagsreden beschworen haben: Klimaneutralität bis 2035, Kohleausstieg bis 2030, Klimacheck für alle Gebäude bis 2025, gerechter Lastenausgleich, ehrgeiziger und rascher Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor, Ausbau des öffentlichen Verkehrs.

Das Papier spricht sich für staatliche Eingriffe und Regularien aus, weil es der Markt allein nicht richten wird. Marktwirtschaft und Privatkapitalismus werden an keiner Stelle in Frage gestellt. Allerdings sollen nur noch solche Unternehmen gefördert und subventioniert werden, die soziale Standards einhalten, nach Tarifverträgen zahlen, Arbeitsplätze erhalten, den Betrieb demokratisieren und ökologischen Umbau vornehmen. Für diese winken Gelder aus einem staatlichen Transformationsfonds. So sollen AktionärInnen, InvestorInnen und private Konzerne „in die Pflicht genommen“ werden. Außerdem wollen Wissler/Hennig-Wellsow auch die Übernahme von krisengeschüttelten Unternehmen durch die Belegschaften fördern. Diese müssten ein Vorkaufsrecht beim Verkauf von Unternehmen genießen.

Schließlich sollen auch die öffentliche Daseinsvorsorge gefördert und die Armut durch Transferleistungen oberhalb der Armutsgrenze abgeschafft werden. Am Schluss schlägt DIE LINKE auch noch eine „echte“ Agrarwende vor.

Das war es dann auch. Diese Kernpunkte der „Transformationsstrategie“ sind selbst für ein reformistisches Programm überaus handzahm. In besseren Zeiten hatten nicht nur Grüne und SPD, sondern auch die Linkspartei Weitergehendes und Umfassenderes zu bieten.

An manchen Stellen – z. B. beim Vorschlag, krisengeschüttelte Betriebe in Belegschaftseigentum umzuwandeln – geht das Transformationspapier sogar in eine direkt falsche Richtung und würde sich nur als Fallstrick für die Beschäftigten erweisen, die zu Verantwortlichen für die Sanierung ihres eigenen Betriebes mutieren würden.

Was erst gar nicht erwähnt wird

Bemerkenswert am Papier ist freilich weniger die dünne politische Bettelsuppe, die darin zusammengebraut wurde, sondern was erst gar nicht erwähnt wird. Wohlgemerkt, das Strategiepapier soll nach Aussage von Janine Wissler „Konturen eines inhaltlichen Aufbruchs“ darstellen. Zu diesem gehören folgende Themen und Fragen (Aufzählung unvollständig) offenkundig nicht:

Internationale Fragen

Am Beginn des Textes wird zwar festgehalten, dass die vom Kapitalismus verursachte Ungleichheit und Zerstörung unserer Lebensgrundlagen den Fortbestand unseres Planten bedrohen würde. Das war es dann aber auch. Im Papier finden Weltmarkt, Imperialismus, Kriegsgefahr, Militarismus, Aufrüstung, rassistische Abschottung oder die globale Dimension der ökologischen Katastrophe erst gar keine Erwähnung. Die Transformationsstrategie endet an der Landesgrenze.

Bei früheren Strategiepapieren oder inszenierten Auftaktveranstaltungen hatte sich die Linkspartei gern als Friedenspartei, als Anti-NATO-Partei, als Kritikerin von Auslandseinsätzen, Rüstungsexporten und Interventionen präsentiert. Manche beschworen sie gar als „Bewegungspartei“, konsequente antirassistische Kraft oder wollten sie als Partei für eine „neue Klassenpolitik“ fit machen. Natürlich stand das auch damals im Gegensatz zur Regierungspraxis in verschiedenen Bundesländern und/oder zur mangelnden Mobilisierung. Beim diesjährigen Jahresauftakt verzichtet die Führung der „linken“ Opposition im Bundestag gleich von vornherein darauf.

Streitpunkte

Das hängt sicher auch damit zusammen, dass mittlerweile jede wichtige politische Frage in der Linkspartei eine Streitfrage ist. Das betrifft Auslandseinsätze, die Haltung zur EU, Migration, Regierungsbeteiligung, Pandemiepolitik, Eigentumsfrage, Identitätspolitik und vieles mehr. Das Strategiepapier umschifft möglichst alles, was in der Partei strittig ist. So beschränkt sich die ökologische Transformation für Leute wie Klaus Ernst, der etwa zur Zeit der Jahreswende zum Vorsitzenden des Umweltausschusses ernannt wurde, bekanntlich auf die Umrüstung der PKWs von Verbrennungs- auf Elektromotoren. Das empört zu Recht Tausende GenossInnen der Linkspartei, die den offenen Brief „Nicht Euer Ernst“ an die Bundestagsfraktion der Partei unterzeichneten.

Zwischen solchen, letztlich unvereinbaren Richtungen versucht das Strategiepapier zu vermitteln, indem es den kleinsten gemeinsamen Nenner der Partei als Zukunftsvision schönredet. Dieser Etikettenschwindel, der den Autorinnen bewusst sein mag oder auch nicht, kann jedoch die Krise der Linkspartei allenfalls fortschreiben. Wo die Partei auseinanderdriftet, helfen Beschwörungsformeln nichts, zumal wenn sie diese von den Regierungsparteien SPD und Grüne, die man zu bekämpfen vorgibt, nur schwer unterscheidbar machen.

Die Regierungsfrage

Kein Wunder also, dass die Regierungsfrage im Strategiepapier nicht vorkommt. Wie die bescheidenen Vorschläge der Partei gegen die herrschende Klasse durchgesetzt werden sollen, ob auf der Straße, in Klassenkämpfen oder durch imaginierte parlamentarische Kombinationen – dazu hüllt sich die Parteispitze vornehm in Schweigen.

Derweil werkelt Ramelow unverdrossen als Ministerpräsident in Thüringen, kaum unterscheidbar von anderen LänderchefInnen, munter weiter. Die Bourgeoisie hat sich mit dem „Roten“ längst abgefunden. Auch in Berlin, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern führt sich DIE LINKE als handzahme Partnerin an der Regierung auf. Unter SPD-Führung trabt sie brav weiter Richtung Untergang, verrät Massenkampagnen, die sie unterstützt hat oder zu unterstützen vorgibt, wie Deutsche Wohnen und Co. enteignen, und rechnet sich womöglich noch hoch an, dass sie sich selbst aufgibt, um zu verhindern, dass die SPD in Berlin zur FDP oder in Mecklenburg-Vorpommern zur CDU wechselt.

Klassenkampf

Bei der Transformationsstrategie von Wissler und Hennig-Wellsow findet die Welt außerhalb Deutschlands praktisch nicht statt. Doch auch Ausbeutung, Klassenverhältnisse, Klassenkampf werden erst gar nicht erwähnt. Die Lohnabhängigen treten bloß als Objekte staatlicher und tarifrechtlicher Reformen auf. An der Ausbeutung selbst wird gleich gar nichts grundsätzlich kritisiert, solange sie zu tariflichen Vereinbarungen und oberhalb der Armutsgrenze stattfindet.

In den letzten Jahren präsentierte ein Bernd Riexinger als Parteivorsitzender noch eine linksreformistische Konzeption von Transformation und versuchte, eine neue Klassenpolitik als strategische Grundlage der Partei zu präsentieren, was ihn zum Teil in offenen, zum Teil in verdeckten Gegensatz zum regierungssozialistischen wie auch zum populistischen Flügel um Wagenknecht brachte.

Eigentum

Ein wichtiger Bestandteil dieser linksreformistischen Konzeption war auch das Aufgreifen der Eigentumsfrage, wie sie auch von Kampagnen wie DWe populär gemacht wurde oder in der ökologischen Bewegung vermehrt diskutiert wird. Selbst Kevin Kühnert, damals noch Kritiker der SPD-Spitze und der Großen Koalition, brachte ehedem die Enteignung von BMW in Spiel. Selbst dazu reicht es bei der neuen Führung der Linkspartei nicht. Im krampfhaften Bemühen, alle Unterschiede zwischen den Flügeln der Partei und wohl auch zwischen den beiden Vorsitzenden, jeden als zerstörerisch empfunden Streit zumindest im Strategiepapier aus der Welt zu schaffen, wird es so ausgehöhlt, so schal, belanglos und erbärmlich, dass selbst eine reformistische Sonntagsrede noch als klassenkämpferische Offenbarung erscheinen würde. Unmittelbar werden von solchen Formelkompromissen nur die RegierungssozialistInnen, mag vielleicht auch der populistische Flügel der Partei profitieren.

Ein Teil der Parteispitze DER LINKEN mag es für eine kluge Taktik halten, Differenzen und Richtungsstreit unter den Tisch zu kehren. Der Verzicht auf eine offene Konfrontation zwischen letztlich miteinander unvereinbaren Positionen in der Linkspartei wird den Laden jedoch nicht retten, sondern nur die Krise verschärfen. Er wird Unvereinbares nicht vereinbar machen und schon gar nicht zur Formierung einer linken Opposition beitragen, die den längst überfälligen politischen und organisatorischen Bruch mit dem Reformismus in die Weg leiten könnte. Der Schritt ist längst überfällig, wenn im neuen Schlauch nicht einmal mehr alter Wein aufgetischt wird, sondern nur sauerer Essig.




Umwelt und Kapitalismus

Zu den grundlegenden Widersprüchen zwischen Nachhaltigkeit und der kapitalistischen Produktionsweise

Chris Kramer, Revolutionärer Marxismus 54, Dezember 2021

Einführung

Seit 1987 der berühmte Bericht „Our Common Future“ („Unsere gemeinsame Zukunft“) der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (auch bekannt als Brundtland-Kommission) veröffentlicht wurde, hat der Begriff der Nachhaltigkeit einen Siegeszug angetreten. Die UN-Konferenz in Rio de Janeiro 1992 (Earth Summit) benannte nach Jahrzehnten wichtiger außerparlamentarischer Auseinandersetzungen die Umweltfrage als globales Problem und erklärte eine „nachhaltige Entwicklung“ zum politischen und ökonomischen Ziel.

Seitdem hat die Bedeutung von Nachhaltigkeit und Umwelt-/Naturschutz im politischen Diskurs weltweit an Bedeutung gewonnen und auch Eingang in die bürgerliche Öffentlichkeit gefunden. Heute gibt es kaum noch eine Regierung, kaum ein Unternehmen oder eine Institution, die nicht von sich behaupten, „nachhaltig“ zu sein oder zumindest dieses Ziel anzustreben. Produkte, Konsum, Politik, Entwicklung – alles bekommt heute den Stempel der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist heutzutage im öffentlichen Diskurs allgegenwärtig.

Damit einhergehend gab und gibt es unzählige Gipfel, Konferenzen, Initiativen etc., die sich mit dem Thema auf verschiedensten Ebenen auseinandersetzen. Seit nunmehr über 20 Jahren – 1997 wurde das Kyoto-Protokoll zur Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen verabschiedet – wird auf globaler, regionaler und nationaler Ebene auch versucht, wissenschaftliche Erkenntnisse in praktische Politik umzusetzen.

Trotz all dieser Anstrengungen und Beteuerungen verschärft sich das Problem der Umweltzerstörung, das mit der Entwicklung des Kapitalismus globale Ausmaße erreicht und deren menschheitsbedrohende Folgen während der sogenannten Globalisierung immer dramatischer hervortreten. Umweltprobleme können allgemein in zwei große Kategorien eingeteilt werden: die Übernutzung von (erneuerbaren oder nicht erneuerbaren) Ressourcen einerseits und die Überlastung von Senken andererseits. Unter die erste Kategorie fällt z. B. der Raubbau an Ressourcen wie Boden, (Grund-)Wasser, Bodenschätzen oder Holz. Unter die zweite Kategorie fallen z. B. die zunehmende Verschmutzung von Flüssen, Seen und Meeren sowie die Übernutzung der Atmosphäre als Senke für Treibhausgase. Alle diese Umweltprobleme nehmen heute nie gekannte Ausmaße an, mit dramatischen Folgen. Dazu zählen z. B. der Verlust von Biodiversität, die Auslaugung, Versalzung und Versandung von Böden, der Zusammenbruch von Fischpopulationen, die Akkumulation von Schadstoffen in den Nahrungsketten, die Überdüngung, Vergiftung und Erschöpfung von Oberflächen- und Grundwasserressourcen und nicht zuletzt die globale Klimaerwärmung. Die kapitalistische Wirtschaftsweise fördert nicht nur spürbare negative Einflüsse auf die globale Umwelt, diese drohen mittlerweile auch, die Reproduktionsbedingungen der gesamten Menschheit zu zerstören. Deshalb kann zusammenfassend von Umweltzerstörung gesprochen werden, definiert als Überausbeutung von Ressourcen und/oder Überlastung von Senken. Zusammenhängend mit der fortschreitenden Umweltzerstörung steigt auch die Anzahl an Konflikten und Kämpfen, die durch diese Entwicklung verursacht werden.

Trotz aller Beteuerungen, Werbung und Propaganda: Von „nachhaltiger Entwicklung“ kann keine Rede sein – weder in Deutschland, der EU, noch weltweit. Die tatsächliche Entwicklung steht in krassem Gegensatz zu den Beteuerungen und erklärten Absichten der herrschenden Eliten. Es bestehen offensichtlich tiefgründigere Ursachen, die einen „Politikwechsel“ in Richtung „nachhaltige Entwicklung“ und eine Lösung der Probleme verhindern. Diese liegen in der aktuellen Wirtschaftsform der Menschheit begründet – dem Kapitalismus.

Green Economy – die falschen Antworten des Kapitalismus

In dem Brundtland-Bericht wurde nachhaltige Entwicklung folgendermaßen definiert: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ (WCED 1987, S. 41)

Diese Definition lässt die soziale Frage weitgehend offen und stellt die zukünftiger Generationen (Generationengerechtigkeit) in den Mittelpunkt. Sie impliziert zugleich, dass es ein weitgehend einheitliches, allgemeines Interesse „der Menschheit“ – unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihren sozialen Interessen – gäbe. Die Definition war und ist deshalb zu Recht Gegenstand vieler Kritik. Dass sie sich dennoch durchsetzte und einen so hohen Stellenwert im politischen Diskurs erhielt, liegt nicht in erster Linie an einem steigenden, abstrakten Umweltbewusstsein der Bevölkerung und/oder der PolitikerInnen, sondern daran, dass die Grundlagen der Kapitalakkumulation selbst langfristig durch die zunehmende Umweltzerstörung gefährdet werden und zugleich Massenkämpfe und Bewegungen die Stabilität des bürgerlichen Systems unterminieren könnten. Diese Besorgnis von Teilen der herrschenden Klassen wurde bereits 1972 in dem berühmten Bericht „The Limits to Growth“ („Die Grenzen des Wachstums“; Meadows et al. 1972) von dem elitären Club of Rome zusammengefasst. Die zentrale Besorgnis der Eliten liegt dabei nicht in der Integrität der Umwelt an sich oder den Auswirkungen der zunehmenden Umweltzerstörung auf arme oder weniger privilegierte Bevölkerungsgruppen, sondern der Aufrechterhaltung und Fortführung der kapitalistischen Wirtschaftsweise und Kapitalakkumulation.

In diesem Sinne wurden und werden im Rahmen des Diskurses der nachhaltigen Entwicklung nicht nur die Probleme im Zusammenhang mit Umwelt definiert, sondern auch deren Lösungen: „Green Economy“ und „Green Growth“ sind hier die wichtigsten Schlagworte. Sie umschreiben die Vorstellung, dass die Grundlagen unserer Gesellschaft und Ökonomie – die kapitalistische Wirtschaftsordnung – weiter bestehen und ihre negativen Umweltauswirkungen reduziert und/oder schließlich ganz überwunden werden könnten bei gleichzeitiger Beibehaltung des Wachstums in Form der kapitalistischen Akkumulation. Diese Konzepte sind heute im öffentlichen Umweltdiskurs vorherrschend. Sie werden nur selten hinterfragt, geschweige denn in Frage gestellt, sondern meistens als völlig selbstverständlich vorausgesetzt.

Eine Schlüsselrolle tragen in diesen Konzepten neue, sog. „grüne“ Technologien. Kern der Vorstellung ist, dass der Kapitalismus weiter, wenn auch nicht unbegrenzt, so doch „reguliert“ und zum Wohle von Mensch und Umwelt wachsen könne, wenn er nur auf grüne Technologien umgestellt würde. Diese müssten nur in „vernünftige“ staatliche und globale „Rahmenbedingungen“ eingebettet werden, die die Interessen der verschiedenen Klassen, zwischen Armen und Reichen, den „reichen“ Nationen und der sog. „Dritten Welt“ zum Wohle aller ausgleichen würden. Deshalb wird die Umweltfrage im vorherrschenden Diskurs immer und vordergründig im Zusammenhang mit technologischen Aufgaben diskutiert. Wo politische und gesellschaftliche Fragestellungen auftauchen, werden diese gewissermaßen sozialtechnisch betrachtet, die im Rahmen eines „Green New Deal“ prinzipiell lösbar wären. Die Frage, ob auf Basis der kapitalistischen Produktionsweise, also der grundlegenden Verfasstheit der gegenwärtigen Ökonomie und Politik, eine ökologische Nachhaltigkeit etabliert werden kann, wird systematisch ausgeblendet.

Am deutlichsten wird dieser Ansatz im Bereich der Energiegewinnung und -versorgung. Die Energieversorgung ist nicht nur für die kapitalistische, sondern für jede Art von Ökonomie von zentraler Bedeutung. Die Entwicklung des Kapitalismus ist aufs Engste mit der Erschließung und Nutzung von fossilen Brennstoffen – Kohle, Öl und Gas – verbunden. Die gesamte moderne, kapitalistische Gesellschaft ist auf diesen Energieträgern aufgebaut, ihre ganze Infrastruktur darauf ausgelegt und danach geformt. Wie Marx bereits im im ersten Band von „Das Kapital“ im Kapitel über die relative Mehrwertproduktion zeigt, erfordert die kapitalistische Produktionsweise eine Antriebsmaschinerie und ein Energiesystem, das permanent, ohne Schwankungen und im großen Stil, Energie für das Fabriksystem und die dazu passende allgemeine Infrastruktur bereitstellt. Daher historisch die enorme Bedeutung der Dampfmaschine bei der Durchsetzung der großen Industrie, als der dem Kapitalismus angemessenen technischen Grundlage. Diese – und mit ihr die aus fossilen Brennstoffen entstandene Energieversorgung – ist von Beginn an auf den Weltmarkt und die Expansion über nationale Schranken hinaus angelegt, formt daher notwendigerweise auch die technologische Basis der Weltwirtschaft. Mit den fossilen Energieträgern und der dazu gehörigen Maschinerie (Dampfkraft, später Elektrizität) konnte die kapitalistische Logik der permanenten Beschleunigung und Expansion etabliert werden, die, im Kapital begrifflich schon vorausgesetzt, zur Wirklichkeit in jedem Land wird. Die zunehmenden Erkenntnisse über die Auswirkungen des steigenden Treibhausgasausstoßes bei ihrer Verbrennung haben die Einstellung gegenüber fossilen Brennstoffen jedoch grundlegend geändert. Wurden sie während eines Großteils des 20. Jahrhunderts als Grundlage von Entwicklung, Wachstum und Reichtum verherrlicht, werden sie heute zunehmend als Problem angesehen. Interessanterweise – und vom Mainstream der ökologischen Bewegung totgeschwiegen – stellten AutorInnen wie Marx und Engels schon im 19. Jahrhundert die unvermeidlichen negativen, gesellschafts- und naturzerstörenden Auswirkungen des Kapitalismus dar und verwiesen auf die widersprüchliche Natur des Fortschritts. Dieser kritische, der Marx’schen Kapitalismustheorie innewohnende Blick auf die ökologischen Folgen ging jedoch in der ArbeiterInnenbewegung aufgrund der Vorherrschaft des sozialdemokratischen und stalinistischen Reformismus verloren.

Doch zurück zum „grünen Kapitalismus“. In seiner Logik ist die Lösung für dieses Problem schon in Sicht, schon lange sogar: erneuerbare Energien. Wind, Sonne, Biomasse und Wasser (in etlichen Ländern auch Uran) sollen Öl, Gas und Kohle ersetzen. Damit könne der Treibhausgasausstoß gesenkt werden, bei gleichzeitigem Beibehalten der sog. „Versorgungssicherheit“ und wirtschaftlichen Wachstums – sprich der stetigen, wenn auch ökologisch regulierten Kapitalakkumulation.

Auch ein bedeutender Teil der klassischen Umweltbewegung, vor allem in den reichen, imperialistischen Ländern, ist inzwischen auf diese Linie eingeschwenkt. Dabei kann alles im Wesentlichen so bleiben wie heute, nur eben mit erneuerbaren Energien versorgt. Die Umwelt- und sozialen Auswirkungen von erneuerbaren Energien im Kapitalismus werden oft unterschätzt, übersehen oder sogar ignoriert.

Der massive Anbau von Biomasse für die Produktion von Treibstoffen hat in vielen Ländern zur Vertreibung der Landbevölkerung und Konzentration von Ackerland in der Hand von mächtigen Unternehmen und Konzernen geführt. Die mit dem Anbau verbundenen Monokulturen verursachen die Übernutzung von Böden, den massiven Einsatz von Kunstdüngern und Pestiziden und einen hohen Artenverlust. Darüber hinaus trug die gestiegene Produktion von Biotreibstoffen zu einer Erhöhung der Preise von Nahrungsmitteln, welche auf dem Weltmarkt gehandelt werden, bei und damit auch zu den negativen Auswirkungen auf die Nahrungsmittelsicherheit von Millionen Menschen. Noch heute werden native Wälder für den Anbau von Biotreibstoffpflanzen gerodet, z. B. in Kolumbien, Indonesien oder Malaysia. Biotreibstoff aus diesen Quellen führt oft absurderweise zu höheren Treibhausgasemissionen als fossile Brennstoffe (Transport and Environment o. D.).

Auch Wind- und Sonnenenergie sind – anders als oft suggeriert – nicht frei von negativen Auswirkungen. Beide Energieformen benötigen Rohstoffe zur Herstellung der Turbinen bzw. Solarzellen und haben je nach Anwendung einen hohen Landbedarf. In ihrer Produktion werden viele Materialien eingesetzt, die teilweise unter schwer umweltschädigenden Bedingungen gefördert werden. Das gilt z. B. für die „Seltenen Erden“, die zu überwiegendem Teil in China gewonnen werden, und für Coltan (Columbit-Tantalit; ein Tantal-Erz) aus dem Kongo (zu den heftigen Umweltauswirkungen der Gewinnung v. a. seltener Erden in China siehe z. B. den Bericht von Maughan [2015]). Aber auch soziale Konflikte, die durch erneuerbare Energien verursacht werden, zeichnen sich zunehmend ab. Z. B. hat die Errichtung großer Windparks von ausländischen InvestorInnen in Oaxaca, Mexiko, zu heftigen Konflikten mit der lokalen, kleinbäuerlichen Bevölkerung geführt, die durch die Windparks massiv beeinträchtigt werden (siehe z. B. Schenk 2012, oder – auf Spanisch – Castillo Jara 2011). Auch hier werden im Interesse des Profits der KapitalistInnen die negativen Auswirkungen auf die lokale, weniger privilegierte (Land-)Bevölkerung abgewälzt – dasselbe Prinzip wie bei fossilen Energieträgern, auch wenn die Auswirkungen andere sind.

Wasserkraft, vor allem große Staudämme, hat durch die Förderung erneuerbarer Energien eine Renaissance erlebt. Im Gegensatz zu den anderen zitierten Energieformen ist ihre Nutzung schon lange im Kapitalismus etabliert. 2015 hatte sie einen Anteil von 16 % der weltweiten Stromerzeugung und repräsentierte damit 70 % der weltweit erzeugten erneuerbaren Energien (IEA 2017). Die heftigen sozioökonomischen Auswirkungen von Staudämmen, die viel studiert und dokumentiert wurden und zu großen sozioökologischen Konflikten geführt haben (siehe z. B. Hess et al. 2016 oder Hess und Fenrich 2017), haben bis zur Jahrtausendwende zu einer abfallenden Dynamik des Wasserkraftsektors beigetragen, zumindest bei den großen Projekten. Seitdem haben sie aber vor dem Hintergrund der Treibhausgasdiskussionen wieder an Fahrt aufgenommen. Staudämme sind als (angeblich) treibhausgasarme Technologie in dem Clean Development Mechanism (Mechanismus sauberer Entwicklung; CDM) der UN anerkannt und können darüber gefördert werden. Dabei sind die Auswirkungen oft gigantisch: von der Umsiedelung bzw. Vertreibung von tausenden bis zu hunderttausenden von Menschen, über die Zerstörung von Fischpopulationen und der Ökologie ganzer Flusssysteme bis zu der Verletzung von Arbeitsrechten, offener Gewalt und struktureller Korruption. Und selbst die angeblich niedrigen Treibhausgasemissionen sind inzwischen widerlegt, da Stauseen enorme Mengen an Kohlendioxid und Methan ausstoßen können (Mendonça et al. 2012).

Die Politik der Umstellung auf erneuerbare Energien, in Deutschland als „Energiewende“ bekannt, verengt geradezu die Lösung des Problems auf eine der technischen Machbarkeit. Die neue grüne Ökonomie nimmt dies als eine ihrer ideologischen Grundlagen. Auch in anderen Bereichen kann diese Logik beobachtet werden. So werden die intensive Landwirtschaft und Gentechnik von der Agrarlobby als Antworten auf Klimawandel und wachsende Bevölkerung propagiert – als wären die massenhafte Vertreibung von Kleinbäuerinnen und -bauern und die Überausbeutung von Böden und Wasserressourcen nicht gerade auf sie zurückzuführen. Das Elektroauto gilt als neue Hoffnung für die Aufrechterhaltung nicht nur der wirtschaftlichen Bedeutung der Autokonzerne und ihrer Profite, sondern auch der Fixierung der Ober- und Mittelschichten, aber auch großer Teile der ArbeiterInnenklassen auf den Individualverkehr. Selbstredend unterliegt auch der Ökolandbau der Profitlogik und wird heute teilweise bereits in einer ökologisch wie sozial schädigenden Art und Weise betrieben (Biotreibstoffe).

Neben dem Einsatz neuer, umweltfreundlicherer Technologien ist die effizientere Nutzung von Ressourcen im Produktionsprozess das zweite technologische Standbein der Green Economy. In der Tat konnte der Kapitalismus in vielen Prozessen die Effizienz massiv steigern. Das führt aber keineswegs automatisch zu einem geringeren tatsächlichen Verbrauch der betroffenen Rohstoffe. Wird ein Produktionsprozess effizienter – im Sinne der benötigten Menge an Input von Energie und Rohstoffen zur Erstellung eines bestimmten Produktes – so sinkt damit natürlich der Wert der einzelnen Ware, weil weniger Rohstoff und/oder Energie zu ihrer Herstellung verbraucht werden muss. Das günstiger produzierende Unternehmen erzielt damit einen Vorteil gegenüber seinen KonkurrentInnen, da es die von ihm produzierten Waren billiger oder mit mehr Gewinn verkaufen kann. Diese Situation dauert aber notwendigerweise nur begrenzt an, nämlich solange, bis die KonkurrentInnen ebenfalls billigere Rohstoffe oder Energie einsetzen. So unterliegt die technische Basis der Produktion im Kapitalismus einem permanenten Druck zur „Revolutionierung“, zur Umwälzung. Die kapitalistische Art von Wachstum (Profit) führt zur Ausdehnung des erzeugten Tauschwerts und noch größerer der Gebrauchswerte. Ausbeutung der Arbeitskraft und der Natur als der beiden einzigen Quellen des materiellen Reichtums bedingen und verstärken sich also gegenseitig.

Darüber hinaus drängt die Konkurrenz auch zur Ausweitung der Produktion, zum ständigen Wachstum, zur Erschließung neuer Märkte (damit auch zur Vernichtung weniger effektiver Unternehmen), zur Überproduktion über den Bedarf, zur Krise und auch zur Vernichtung „überschüssiger“ Produkte, also solcher, die auf keine kaufkräftige Nachfrage treffen.

Daher geht in der Regel  die Verringerung des Verbrauchs an Rohstoffen und Energie beim Einzelprodukt durchaus mit der Steigerung des Gesamtverbrauchs einher, gerade in Phasen massiven Wachstums und ungebremster Akkumulation.

Dieses Phänomen war auch im 19. Jahrhundert nicht unbekannt und lässt sich im Übrigen, wenn auch in weitaus geringeren Zeitperioden, auch bei der menschlichen Arbeitskraft beobachten, namentlich dann, wenn die Expansion eines bestimmten Sektors so groß ist, dass trotz einer steigenden Arbeitsproduktivität mehr Lohnabhängige in die Produktion gezogen werden. Da die industrielle Produktion jedoch mit einer regelmäßigen Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinerie einhergeht, ist eine solche „paradoxe“ Entwicklung bei Rohstoffen und Energie natürlich ausgeprägter.

Der britische Ökonom William Stanley Jevons beschrieb diesen Effekt bereits im 19. Jahrhundert an dem Beispiel des Verbrauchs von Kohle in Großbritannien und führte diesen 1865 in seinem Buch „The Coal Question“ aus. Deshalb wird dieser Effekt als das Jevons-Paradoxon bezeichnet (siehe z. B. Foster et al. 2010, S. 169 ff.). Jevons verkennt, ja verklärt geradezu die Ursachen des Paradoxons, das auf Grundlage der Marxschen Kapitalismusanalyse leicht erklärbar ist. Jevons selbst war Malthusianer. Malthus bestritt, dass die „Überbevölkerung“ (also die Masse von Armen, die ihre Arbeitskraft nicht verkaufen können und als „Überschussbevölkerung“ kein Auskommen finden) als Folge der kapitalistischen Akkumulation entsteht, und erklärte sie zu einem unabänderlichen Naturgesetz. In derselben Weise erklärt Jevons das Umweltparadox nicht aus den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise, sondern er behauptet, dass es als Naturgesetz jeder industriellen Großproduktion eigen wäre.

Heute wird dieses „Paradox“ auch oft unter dem Stichwort Reboundeffekt zusammengefasst. In der Autoindustrie führt es z. B. dazu, dass die Automodelle größer und schwerer anstatt sparsamer werden. Das Ziel ist hierbei nicht, möglichst sparsame und preiswerte Autos für KäuferInnen mit begrenzter Kaufkraft herzustellen, sondern neue attraktive Angebote für die kaufkräftigen Mittelschichten und ArbeiterInnenaristokratie zu schaffen (siehe hierzu z. B. Brand/Wissen 2017, S. 125 ff.).

Die im Mainstream der „Green Economy“ vorherrschende Reduktion der ökologischen Folgen des Kapitalismus wird hier zwar kritisiert, tendenziell jedoch bloß umgekehrt. Während den bürgerlichen IdeologInnen alles technisch lösbar erscheint, so wird auch im „Umweltparadoxon“ die Technik oder eine bestimmte Produktionsform als Ursache benannt, nicht die Produktionsweise. Selbst in den kritischen Arbeiten zum Reboundeffekt erscheint der Zusammenhang von Produktion und individuellem Konsum auf den Kopf gestellt. Wenn sich Autokonzerne in den imperialistischen Ländern stärker auf höherpreisige Produkte fokussieren, folgt dies aus keiner Präferenz gegenüber einkommensstärkeren KäuferInnen, sondern einfach aus der Tatsache, dass die Einkommen der mittleren und unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse stagnieren, wenn nicht sinken. Höhere Gewinnmargen lassen sich daher nur in den Premiumsegmenten erzielen.

Auch im institutionellen und ökonomischen Bereich hat die hohe Bedeutung der Umweltfrage zu neuen Entwicklungen geführt. Diese sind allerdings, wie bereits erwähnt, in der Regel den technologischen Innovationen untergeordnet. Ein zentrales Beispiel hierfür ist der berühmte Emissionshandel, der mit dem Kyoto-Protokoll geboren wurde. Hintergrund ist die Förderung der Konkurrenzfähigkeit erneuerbarer Energien gegenüber fossilen Energieträgern. Das Prinzip folgt der Logik, dass eines der zentralen Probleme des Kapitalismus in Bezug auf Umwelt sei, dass viele Umweltfaktoren sich gar nicht oder nur unzureichend in den Preisen von Gütern und Dienstleistungen widerspiegeln – Auswirkungen auf die Umwelt werden von kapitalistischen Unternehmen, die einzig und alleine den Profit als Antrieb kennen, externalisiert.

Die „Externalisierung“ gesellschaftlicher Kosten prägt die kapitalistische Produktionsweise von Beginn an. Marx selbst diskutiert im „Kapital“ eine Reihe dieser Phänomene. So weist er auf ein ganz allgemeines hin: „Indem das Kapital sich die beiden Urbildner des Reichtums, Arbeitskraft und Erde, einverleibt, erwirbt es eine Expansionskraft, die ihm erlaubt, die Elemente seiner Akkumulation auszudehnen jenseits der scheinbar durch seine eigne Größe gesteckten Grenzen, gesteckt durch den Wert und die Masse der bereits produzierten Produktionsmittel, in denen es sein Dasein hat.“ (Marx 1962, S. 630 f.)

So erfordert beispielsweise die extraktive Industrie kaum Ausgaben für den Rohstoff, dieses Naturprodukt wird einfach „nur“ abgebaut. Der Wert, der dem Produkt zugesetzt wird, besteht ausschließlich aus Arbeitskraft, Nutzung von Arbeitsmitteln und Transport. Dasselbe trifft auch auf die Kooperation von Arbeitenden zu. Deren kombinierte Produktivkraft und planmäßiger Einsatz werden vom Kapital während des Arbeitsprozesses einfach verwandt – da es sich die Arbeitskraft selbst einverleibt, diese als Teil von ihm fungiert. Wie sich die Arbeitskraft umgekehrt (re)produziert, wie Lebensmittel hergestellt, Kinder versorgt werden, ob es eine Schule gibt oder nicht, stellt sich dem/r individuellen KapitalistIn als außerhalb ihrer/seiner Verantwortung, ihrer/seiner Interessen liegende „Naturbedingung“ dar. Sie/Er nutzt diese Verhältnisse einfach, um so die Arbeitskraft möglichst effektiv und schrankenlos auszubeuten.

Dasselbe gilt auch für die ohne sein Zutun vorgefundenen oder neu geschaffenen gesellschaftlichen Entwicklungen, Infrastruktur, Kommunikationsmittel. Diese eignet sich das einzelne Kapital „gratis“ mit jeder seiner Umwälzungen an. So wird der „gesellschaftliche Fortschritt“, den z. B. Wissenschaft, öffentliche Universitäten, … verkörpern, „in seine neue Form einverleibt“ (Marx 1962, S. 632).

Diese „externalisierten“ Kosten umfassen also drei Elemente: erstens die Erde (Rohstoffe, Wasser, Luft, „Natur“ … ), zweitens die Arbeitskraft, deren private Reproduktion der „Familie“, also v. a. der Frau im Haushalt überlassen wird, und drittens allgemeine gesellschaftliche Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit (Wissenschaft, Bildung, Infrastruktur, öffentlicher Transport, … ).

Auf die Umweltproblematik übertragen bedeutet Externalisierung, dass Unternehmen umweltbezogene Kosten (z. B. Wasser- und Luftverschmutzung, die Extraktion von Wasser und anderen Ressourcen als Produktionsmittel, der Ausstoß von Treibhausgasen etc.) nicht in ihre Bilanzen mit einbeziehen und diese Kosten deshalb auf die Allgemeinheit bzw. die Gesellschaft abwälzen. Dabei können zwei grundlegende Praxen unter dem Begriff zusammengefasst werden: erstens die Externalisierung von diffusen Umweltauswirkungen, die nicht oder nur schwer eindeutig örtlich und räumlich zugeordnet werden können (z. B. Treibhausgasemissionen, die zu einem globalen Klimawandel mit vielfältigen Auswirkungen führen), und zweitens die bewusste Auslagerung umweltschädlicher Produktion in andere, meist ärmere Länder.

Im Falle von Treibhausgasemissionen wird die Atmosphäre der Erde als Senke für sie in Anspruch genommen – lange Zeit völlig sorgen- und kostenlos. Kapitalistische Unternehmen ändern dieses Verhalten nur, wenn sie durch gesellschaftliche Kämpfe und Bewegungen, vom Staat oder suprastaatlichen Institutionen durch Regelungen und Gesetze gezwungen werden oder attraktive finanzielle Anreize erhalten. Bei Treibhausgasen ist der erstere Weg aus mehreren Gründen schwierig bis unmöglich – schließlich ist die Verbrennung von fossilen Treibstoffen eng mit der vorherrschenden Ökonomie verzahnt und kann nicht einfach per Gesetz beschränkt werden, ohne massive Auswirkungen auf das Kerngeschäft der kapitalistischen Ökonomie, der Kapitalakkumulation, zu haben. Die kapitalistische Lösung ist der Emissionshandel. Treibhausgase sollen über Zertifikate einen Preis erhalten und damit in die Bilanzen der Unternehmen einfließen. Unternehmen, die viel Treibhausgas ausstoßen, müssen sich Zertifikate von anderen kaufen, die wenig ausstoßen. Darüber sollen emissionsarmen Technologien und Innovationen gefördert werden.

Während der Ansatz der Internalisierung von umweltbezogenen Kosten in die Bilanzen der Produktion von Gütern und Dienstleistungen durchaus positiv und richtig sein kann, wird er im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise oft in sein Gegenteil verkehrt. Der Emissionshandel hat in der Praxis bislang nicht zu einer Senkung von Treibhausgasemissionen geführt, dafür aber zu einer neuen lukrativen Quelle von Profiten für große Konzerne. Die Europäische Union war bisher die führende Institution bei dem Versuch, einen flächendeckenden Handel mit Emissionsrechten einzuführen. Die Zertifikate wurden aber über Jahre hinweg viel zu billig verkauft, was dazu geführt hat, dass sie im Überfluss gerade für die Unternehmen und Konzerne zur Verfügung standen, die am meisten Treibhausgase ausstoßen. Dadurch konnten sie sich billig Zertifikate erwerben, ohne jedoch irgend etwas zu verändern, und diese auch noch weiterverkaufen, um daran zu verdienen. Schließlich kann der Zertifikathandel grundsätzlich auch spekulative Züge annehmen, sobald Emissionsrechte selbst zu einer Ware werden, die auf eigenen Börsen gehandelt werden können. Im Kontext des internationalen Kapitalismus kann er  zu einer verstärkten Kapitalkonzentration und einer weiteren Unterdrückung der ärmeren Länder führen (siehe Kapitel Umweltimperialismus). Die Treibhausgasemissionen steigen derweil weiter an und der Emissionshandel ist als Instrument zu ihrer Reduzierung in der Krise.

Wie bereits erklärt liegt der „Grünen Ökonomie“ die Vorstellung zu Grunde, dass die Herausforderungen im Bereich von Umwelt und Klima im Wesentlichen durch die Umstellung auf neue Technologien und regulative wirtschaftliche Eingriffe bei gleichzeitiger Beibehaltung und sogar Intensivierung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu meistern seien. So schafft der Emissionshandel einen riesigen neuen Markt. Im Rahmen seiner anhängenden Instrumente, wie z. B. des CDM erschließt er sogleich neue Märkte, Ressourcen und Flächen im globalen Süden zur Ausbeutung (Energieprojekte) und/oder Rechtfertigung von umweltschädigenden Aktivitäten anderswo (sog. Ausgleichsflächen). Das Prinzip der „Einpreisung“ von Umwelt-Faktoren („getting the prices right“) wird von vielen internationalen Entwicklungsinstitutionen wie z. B. der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, „Entwicklungshilfe“) als Rechtfertigung für die (Teil-)Privatisierung von Umweltgütern oder -dienstleistungen propagiert. In derselben Logik arbeitet das REDD-Programm der Vereinten Nationen. Während dessen löbliches Ziel die Reduzierung von Entwaldung (und den damit zusammenhängenden Treibhausgasemissionen) darstellt, führt es in der Praxis oft dazu, dass traditionelle Gemeinschaften die Kontrolle über ihr Territorium verlieren und neue Gebiete für global agierende Konzerne erschlossen werden (Fatheuer et al. 2015, S. 81). Im Bereich der Landwirtschaft sind gemäß der vorherrschenden neoliberalen Logik nicht die massenhafte Vertreibung von Kleinbäuerinnen und -bauern, die zunehmende Konzentration von Böden in der Hand multinationaler Konzerne und/oder lokaler Eliten und die zunehmende Orientierung auf kapital-, wasser- und pestizidintensive Cashcrops (Anbau von Feldfrüchten für den Export) das Problem, sondern es ist – ganz im Sinne der global agierenden Konzerne – die fehlende Klarheit der privaten Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden (Fritz 2010, S.115 f.).

Sicher spielen neue, weniger umweltschädigende Technologien eine Schlüsselrolle in der Überwindung der aktuellen, ausbeuterischen und räuberischen Wirtschaftsweise. Die Umstellung auf erneuerbare, emissionsarme Energien und ressourcenschonende, effizientere Produktionsformen ist angesichts der Erkenntnisse über den Klimawandel und dessen mögliche Folgen richtig und notwendig. Jedoch zeigen die Erfahrungen der letzten zehn bis zwanzig Jahre deutlich, dass eine rein technologische Umstellung im Rahmen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht die erhofften Resultate und/oder neue Probleme hervorbringt.

Technologien und deren Auswirkungen sind immer abhängig von ihrer Verwendung, ihrer Einbettung in bestimmte sozioökonomische Verhältnisse und welchen bzw. wessen gesellschaftlichen Interessen sie entsprechen. Im Kapitalismus geht die technologische Entwicklung immer mit der Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinerie einher. Dies würde in einer zukünftigen, nachkapitalistischen Gesellschaft eine zentrale Quelle des gesellschaftlichen Fortschritts und der Ausweitung freier Zeit für alle bedeuten. Im Kapitalismus geht sie unvermeidlich mit der Festigung der Herrschaft des Kapitals über die Arbeit, mit der Verschärfung der Ausbeutung der Beschäftigten und der Freisetzung der „überflüssig“ gemachten Lohnabhängigen einher.

Und so werden auch erneuerbare Energien und andere neue Technologien oder Ansätze (wie z. B. auch der Ökolandbau) im Interesse des Kapitals eingeführt und eingesetzt und unterliegen der Logik der Profitmaximierung um (fast) jeden Preis. Und in dieser Logik gehen sie mit Vertreibung, Landraub, Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung einher, anstatt diese „Kollateralschäden“ der kapitalistischen Wirtschaftsweise zu überwinden. Mittlerweile sind erneuerbare Energien ein etablierter, florierender Wirtschaftszweig und für Teile des Kapitals von hohem Interesse. Das zeigt nicht zuletzt der Protest von Teilen des US-amerikanischen Kapitals (inklusive großer Energiekonzerne wie Exxon) gegen die Entscheidung von Präsident Trump, das Pariser Klimaschutzabkommen zu verlassen. Anderseits verdeutlicht dieser Schritt auch, dass in der globalen Konkurrenz und im Kampf um die Neuaufteilung der Welt selbst halbherzige, zu wenig bis nichts verpflichtenden Abkommen keinen Bestand haben werden, wenn es darum geht, wem die Kosten der Zerstörung der Umwelt aufgebürdet werden sollen.

Das Umweltparadoxon

Obwohl sich die globalen Umweltprobleme weiter verschärfen und zuspitzen, ist die direkte Umweltverschmutzung und -zerstörung in den reichen, imperialistischen Ländern (im Wesentlichen in Westeuropa, USA, Kanada, Australien und Japan) seit den 1970er Jahren in einigen Bereichen zurückgegangen. Das mag angesichts von Dieselskandal und zunehmender Grundwasserverschmutzung mit Nitrat in Zweifel gezogen werden, betrifft aber z. B. die Wasserverschmutzung durch häusliches und industrielles Abwasser, die Luftverschmutzung durch Schwefeldioxid und Stickoxide, die heftigen Auswirkungen auf Boden und (Grund-)Wasser durch offene Mülldeponien oder direkte industrielle Umweltbelastungen durch das Freisetzen von toxischen Stoffen. In den meisten imperialistischen Ländern existieren heute umfangreiche Umweltvorschriften und -gesetze und in vielen gibt oder gab es auch (mehr oder weniger) bedeutende Umweltbewegungen und Parteien, die sich auf diese Bewegungen stützen. Darüber hinaus führten v. a. die ArbeiterInnenbewegung und die Gewerkschaften über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte einen erbitterten Kampf um einigermaßen menschenwürdige Lebensbedingungen, also solche, die eine dauerhafte Reproduktion der Arbeitskraft ermöglichen. Im Frühkapitalismus war deren Existenz oft durch absolute Verelendung gekennzeichnet. Die neu entstehende Industrie setzte sie in Fabrik und Wohnviertel unerträglichen Bedingungen aus (fehlende oder schlechte Kanalisation, kein Schutz vor gesundheitsgefährdenden Gasen und Chemikalien, fehlende Kranken- und Altersvorsorge, Kinderarbeit, … ), die in den Ländern der sog. Dritten Welt bis heute Realität sind.

Bei oberflächlicher Betrachtung scheint es, dass sich die reichen Länder auf einem guten Weg befänden, während Umweltverschmutzung und -zerstörung heute vor allem ein Problem der armen Länder im globalen Süden seien. Bei näherem Hinschauen zeigt sich hier allerdings ein Paradoxon: In den Ländern, in denen der Verbrauch von Ressourcen (absolut und noch deutlicher pro Kopf) besonders hoch ist (imperialistische Länder), scheint die Umweltzerstörung geringer auszufallen als in denen, in denen der Ressourcenverbrauch weitaus geringer ist. Dieser Umstand wird in der (bürgerlichen) Soziologie als „environmental degradation paradox“ (Jorgensen/Rice 2005) oder „ökologisches Paradoxon“ (vgl. Lessenich 2016, S. 96 ff.) bzw. Umweltparadoxon bezeichnet.

Um dieses zu erklären, erweitert der Soziologe Stephan Lessenich das Prinzip der Externalisierung auf das Verhältnis zwischen Ländern. Mit der Entwicklung des kapitalistischen Weltmarktes konnten die reichen Länder dazu übergehen, systematisch energieintensive, besonders umweltschädigende und auch sozial schädliche Produktionsbereiche in andere Länder zu verlagern. Lessenich (2016, ebd.) fasst zusammen, „dass die reichen Industriegesellschaften in der Lage sind, die Voraussetzungen und Folgen ihres ,überbordenden Konsums‘ systematisch in andere Weltregionen, nämlich an die Gesellschaften der ärmeren, rohstoffexportierenden Länder, auszulagern. Auf diese Weise säubern sie konsequent ihre eigene Umwelt- und Sozialbilanz – und überlassen das schmutzige Geschäft anderen. Bis auf die ökonomischen Profite natürlich, die daraus zu ziehen sind.“

Diese Verlagerung hat besonders in drei Bereichen stattgefunden: (i) Auslagerung naturzerstörender Rohstoffförderung (Energieträger wie Öl, Kohle und Uran sowie Rohstoffe wie Eisen, Aluminium, Kobalt, Kupfer und viele andere Metalle etc.); (ii) Auslagerung umweltschädlicher Industrieproduktion (z. B. Stahlproduktion, Textilsektor, Zement- und Papierherstellung, Elektronikindustrie); (iii) Auslagerung landvernutzender Agrarwirtschaft (z. B. Soja, Getreide, Fleisch, nachwachsende Rohstoffe wie Zuckerrohr oder ölhaltige Pflanzen) und intensiver Aquakultur (Fisch und Garnelen). Diese Entwicklung wurde in den vergangenen Jahrzehnten, während der Globalisierung, nochmals verschärft und beschleunigt. Ein großer Teil der Umweltzerstörung der reichen kapitalistischen Ökonomien wird somit auf dritte, ärmere Staaten abgewälzt. Das bedeutet auch, dass die negativen wie positiven Umweltauswirkungen eines Landes nicht alleine anhand interner Kenndaten beurteilt werden können (z. B. inländischer Strom- oder Ressourcenverbrauch), sondern die Material- und Energieflüsse an Ressourcen und Abfallprodukten mit anderen Ländern mit einbezogen werden müssen.

An dieser Stelle könnte argumentiert werden, dass für viele der genannten Auslagerungen nicht laxere Umweltauflagen, sondern niedrigere Lohnkosten die Hauptmotivation waren und sind. Diese Faktoren widersprechen sich jedoch nicht, sondern ergänzen sich. Die Motivation der KapitalistInnen für die Auslagerung ist die Senkung der Produktionskosten und die Steigerung der Profite sowie der Profitrate – dazu können sowohl niedrigere Löhne als auch laxere Umweltauflagen beitragen. Das Verhältnis zwischen diesen Faktoren mag von Branche zu Branche oder auch von Firma zu Firma unterschiedlich sein, die systematische Externalisierung sozioökologisch negativer Auswirkungen in ärmere, halbkoloniale Länder ist jedoch das Resultat.

Zweitens könnte eingewendet werden, dass manche natürlichen Rohstoffe wie Agrarprodukte nur in bestimmten Weltregionen ab- bzw. angebaut werden können und deshalb in den entsprechenden Ländern produziert werden. Oftmals hat die billige Verfügbarkeit dieser Ressourcen (aufgrund niedrigerer Löhne und Umweltauflagen in den Herkunftsländern) jedoch systematisch dazu beigetragen, einheimische Produkte zu ersetzen oder bestimmte technische Entwicklungen und Innovationen erst für das Kapital attraktiv zu machen. Ersteres gilt z. B. für den Import von Zucker als Nahrungs- oder von Soja als Futtermittel. Letzteres gilt z. B. für die billige, ständige Verfügbarkeit von Öl als Voraussetzung des ölbasierten Individualverkehrs.

Die Ökonomie von Europa (bzw. vor allem der EU) ist dafür beispielhaft. Im Vergleich zu den USA, Kanada oder Australien verfügen die europäischen Staaten über weit weniger Flächen. Die Bedeutung der Landwirtschaft ist in den westlichen europäischen Ländern seit dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich gesunken. In Deutschland arbeiteten 2017 nur noch ca. 2 % der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft (ca. 940 000 von 44,7 Mio. Beschäftigten, siehe Statistisches Bundesamt 2017). Trotzdem hat sich die Ernährungssicherheit stark gesteigert. Ein Grund hierfür liegt zweifellos in der gestiegenen Produktivität der Landwirtschaft, ein anderer aber auch in der erfolgreichen Externalisierung des Flächenverbrauchs für landwirtschaftliche Produktion. Heute deckt Deutschland nur ca. 50 % seines Agrarflächen-, 25 % seines Waldflächen- und ca. 35 % seines Grünlandbedarfs durch die Produktion im eigenen Land (Umweltbundesamt 2017a). Für die EU sind die Anteile der Eigenbedarfsdeckung 77 %, 74 % und 60 % (Fischer et al. 2017). Auch bei der Bilanz von Energieträgern und metallischen Rohstoffen kann dieses Verhältnis festgestellt werden. Obwohl die EU –  und hier vor allem die sogenannten Kernländer Deutschland und Frankreich  – nach wie vor zu den führenden Regionen in der weltweiten Industrieproduktion zählt, verfügt sie über sehr wenige eigene Ressourcen. Eisen, Aluminium, Zement, Kupfer, Kobalt, Seltene Erden, Kohle, Uran und Gas – viele der für die Produktion notwendigen Ressourcen werden in anderen Teilen der Welt hergestellt und in die EU importiert. Mit Ausnahme von Norwegen und in geringerem Maße Großbritannien gibt es in West- und Zentraleuropa auch keine bedeutenden Erdölförderländer. Dazu kommt der massenweise Import von Textilien und Konsumgütern (vor allem Elektronikartikel), die in der EU verbraucht werden. Auf der Kehrseite steht dann der massenhafte Export von erzeugten Abfallprodukten wie z. B. der von Elektronikschrott in afrikanische Länder oder Plastik- und anderen Abfällen nach China. Im Jahr 2016 hat die EU 1,6 Mio. Tonnen Plastikmüll, davon Deutschland alleine 560 000 Tonnen, nach China exportiert (Tagesschau 2018). Mit dem Aufstieg Chinas zur imperialistischen Macht verschieben sich freilich die Gewichte. Ende 2018 verbot das Land die Einfuhr stark verschmutzenden und schlecht sortierten Altmülls – der Dreck soll zukünftig in andere asiatische Länder verfrachtet werden. Gleichzeitig beginnt China selbst, Müll zu exportieren.

Die Externalisierung von negativen Umweltauswirkungen hat jedoch ihre Grenzen. Auch in den reichen Ländern ist sie natürlich nicht vollständig gelungen und kann es auch nicht. Nach wie vor gibt es auch in diesen Ländern viele gravierende alte und neue Umweltprobleme, die sich weiter zuspitzen oder neu auftreten wie z. B. die Verschmutzung von Grundwasser mit Nitrat, Arten- und Biodiversitätsverlust, Degradierung von Böden, Luftverschmutzung durch Auto-, Kraftwerks- und Industrieabgase und Eintrag in die Umwelt von schädlichen Chemikalien oder solchen, deren Auswirkungen unbekannt sind. In der EU sind zehntausende von Chemikalien in der Industrie im Einsatz und gelangen in die Umwelt und laufend kommen neue dazu. Nur die wenigsten (einige Hundert) sind reglementiert und von einem Großteil gibt es überhaupt keine gesicherten Erkenntnisse über ihre (Langzeit-)Wirkungen in der Umwelt. Darüber hinaus kommt es bei der Externalisierung der negativen Auswirkungen von Treibhausgasemissionen zu natürlichen Grenzen und die Konsequenzen fallen durch den Klimawandel teilweise auch auf die reichen Länder zurück – wenn auch vermutlich in geringerem Ausmaß.

Des Weiteren gibt es gegenläufige Tendenzen und Interessen. Die hohe Subventionierung der Agrarproduktion in der EU ist z. B. ein Faktor, um weitere Auslagerung zu verhindern oder abzubremsen und damit erstens nicht noch abhängiger von Importen zu werden und zweitens selbst hochindustrialisierte Agrarprodukte international gewinnbringend verkaufen zu können und damit die importierenden Länder wiederum in Abhängigkeiten zu halten. Ein weiteres Beispiel ist der Fracking-Boom in den USA. Dieser führt zu einer Verringerung der Abhängigkeit von Erdölimporten zum Preis von sozioökologischen Auswirkungen innerhalb der eigenen Grenzen (das sind jedoch neue, teilweise unbekannte und/oder in ihrer Tragweite noch nicht kalkulierbare Auswirkungen, die bisher noch nicht in großen Ausmaß „an die Oberfläche“ gekommen sind und deshalb noch nicht zu großen Konflikten geführt haben). Donald Trump hatte als Präsident eine aggressive Agenda der Reinternalisierung von externalisierten Umweltauswirkungen wie z. B. die Wiederansiedlung und Stärkung der Kohle- und Erdölförderung zugesagt. Er versprach der US-amerikanischen ArbeiterInnenklasse dadurch Arbeitsplätze, verschwieg jedoch die sozioökologischen Auswirkungen, die damit einhergehen.

Natürlich geht es dabei nicht um die Interessen der Lohnabhängigen. Auch die kurzfristigen Gewinne, die die US-Ölindustrie daraus schöpfen kann und weiterhin wird, erklären diesen Kurs nur bedingt. Vielmehr bildet die Krise der Globalisierung, die verschärfte Konkurrenz zwischen den alten und neuen Großmächten den Hintergrund, vor dem solche Wendungen verstanden werden müssen. Die Konkurrenz zwischen den imperialistischen Hauptmächten USA und China, aber auch Japan, Russland und Führungsmächten der EU (insbes. Deutschland und Frankreich) nimmt eine immer größere Schärfe an, was auch bedeutet, dass der exklusive Zugang zu Märkten und ganzen Kontinenten umkämpft ist. So haben sich die USA unter Trump von multilateralen Übereinkünften wie dem Pariser Klima-Abkommen verschiedet, weil sie – durchaus nicht unrealistisch – davon ausgingen, dass sie einzelnen Staaten politisch und wirtschaftlich (und natürlich auch in Klimafragen) viel leichter und umfassender ihre Bedingungen diktieren können als in multilateralen Verhandlungen und Abkommen. Biden ist als neuer Präsident zwar wieder zu einer mehr multilateral ausgerichteten Außenpolitik (und dem Pariser Klima-Abkommen) zurückgekehrt, die grundsätzliche Zuspitzung zwischen den imperialistischen Blöcken wird sich jedoch auch in seiner Politik äußern. Die Corona-Krise hat diese Zuspitzung noch mal verschärft, indem China bisher als größter Gewinner aus dieser Krise hervorgeht. China hat darüber hinaus ein eigenes Projekt aufgelegt – die „Neue Seidenstraße“ – , das durch Corona zwar sicherlich auch gebremst, keineswegs jedoch ganz verhindert wurde. Viele Länder werden sich für den wirtschaftlichen Wiederaufbau vermehrt in Richtung China wenden. Für Deutschland fungiert die EU als imperialer Herrschaftsraum, indem die Länder Süd- und Osteuropas als halbkoloniale Gebiete integriert werden.

All dies verdeutlicht, dass die Verschärfung der ökologischen Probleme untrennbar mit dem imperialistischen Entwicklungsstadium des Kapitalismus verbunden ist – und die ökologischen Fragen ohne Sturz des imperialistischen Weltsystems und dessen Ersetzung durch eine sozialistische Planwirtschaft nicht lösbar sind.

Umweltimperialismus

Die Externalisierung von negativen sozioökologischen Auswirkungen entsteht naturwüchsig in allen Ländern, wo kapitalistische Produktionsweise vorherrscht. Die Expansion des Weltmarktes, die Abschaffung von Regulierungen und die Durchsetzung des Neoliberalismus verschärfen diesen Prozess nur. Im Rahmen der imperialistischen Weltordnung geht er notwendigerweise mit einer Abwälzung und Auslagerung der Kosten der reichen, imperialistischen Länder auf die halbkolonialen einher. Hierbei ist – wie in der Kapitalanalyse generell – immer zwischen der stofflichen und der Wertseite dieser Transfers zu unterscheiden.

Die Stellung der „armen“, also halbkolonialen Länder innerhalb der internationalen Arbeitsteilung reflektiert das. Die reichen Länder importieren energie-, flächen- und umweltintensive Rohstoffe und Konsumgüter und exportieren kapital- und mehrwertintensive Industrieprodukte und Dienstleistungen.

Die armen Länder hingegen orientieren sich auf die Produktion für den Export von entsprechenden Rohstoffen oder Gütern, wodurch ihre sozioökologischen Probleme ständig verschärft werden. Grundlage hierfür ist die sich immer weiter verstärkende Konzentration von Kapital in den imperialistischen Zentren (USA, Kanada, West- und Mitteleuropa, Japan, China und Russland). Die großen Kapitale kontrollieren einerseits die jeweils gerade entscheidenden Technologien, die durch überlegene Produktivität Kosten- und Preisvorteile ermöglichen. Dadurch sind sie in der Lage, sich immer mehr Wert anzueignen, der von kleineren, unproduktiveren Kapitalen hergestellt wird (und letztere sind zumeist in den nichtimperialistischen Ländern angesiedelt). Hierauf beruht der ungleiche Warentausch auf dem Weltmarkt. Andererseits bestimmen die großen Kapitale auch durch massiven Kapitalexport die für die abhängigen Länder ungünstige ökonomische Struktur. Dieser Kapitalexport kann sich sowohl in direkten Investitionen und dem Aufbau von Zulieferketten als auch in wachsender öffentlicher und privater Verschuldung ausdrücken.

In der bürgerlichen ökonomischen Theorie wird von einer „Senke der Wertschöpfungskette“ gesprochen: Die „wertvollsten“ Tätigkeiten bei der Herstellung eines Produkts wie Erfindung, Design, Marketing und Verkauf werden den „minderwertigen“ Tätigkeiten der Rohstoffextraktion und der nötigen Handarbeit bei der Produktion gegenübergestellt. Hier werden die wahren Quellen des Wertes, die Verausgabung von notwendiger menschlicher Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen, verschleiert. Es wird aber auch klar, dass sich diese „Senken der Wertschöpfung“ immer mehr in die abhängigen Länder verschieben. Je ausbeuterischer, Ressourcen verbrauchender und umweltschädlicher, umso mehr werden die Industrien und zugehörige Bereiche in die halbkoloniale Welt ausgelagert. Energie-, flächen- und umweltintensive ebenso wie arbeitsintensive, monotone und gefährliche Produktion verschwindet immer mehr in diese Länder, während in den imperialistischen Zentren die „sauberen“ Dienstleistungen, die Steuerungstätigkeiten und immer weniger werdende Endfertigungen verbleiben.

Dieser Prozess darf nicht einfach mit einer „Deindustrialisierung“ der imperialistischen Länder verwechselt werden, sondern bedeutet vielmehr, dass wir es mit einer internationalen Arbeitsteilung zu tun haben, die zu einer bloß selektiven und abhängigen Industrialisierung der restlichen Welt unter der Kontrolle durch die Großmächte führt. Daher gehen die Investitionen und kapitalistischen Projekte in den „armen“ Ländern notwendigerweise mit einer extremen Verschärfung der Ungleichheit einher – wie sich gerade in den „Schwellenländern“ wie Indien, Brasilien oder Südafrika zeigt. Diese ungleichzeitige und kombinierte Entwicklung, bei der wichtige moderne Produktionsstätten mit extremer Rückständigkeit und Armut einhergehen, stellt ein Kennzeichen der gesamten imperialistischen Epoche dar, wie es heute handgreiflich in allen „Megacities“ des Südens hervortritt. Alle diese extreme Ungleichzeitigkeit der Entwicklung verschärft die ökologische Frage im Verhältnis von Stadt und Land wie auch im Rahmen der Urbanisierung.

Die ökonomische Entwicklung der semikolonialen Länder verharrt aufgrund der Dominanz des Finanzkapitals, das institutionell, politisch und militärisch durch die Großmächte abgesichert wird, in struktureller Abhängigkeit. Die Profite werden von den international operierenden Konzernen und Unternehmen angeeignet, deren Zentralen sich in den imperialistischen Ländern befinden, weshalb die Profite kontinuierlich in diese abfließen – womit der Kreislauf von vorne beginnt. Während zu Beginn der imperialistischen Epoche die kapitalarmen Länder vor allem Lieferanten billiger Rohstoffe im Austausch gegen Industrieprodukte aus den imperialistischen Zentren waren, so wurde dies inzwischen durch eine neue Form der Arbeitsteilung ergänzt. Im Zuge einer immer globaleren Produktion werden inzwischen auch Teile von globalen Wertschöpfungsketten in halbkolonialen Ländern angesiedelt wie z. B. in der Elektronik- und Textilindustrie. Die Hälfte des Welthandels besteht heute aus Zwischenprodukten. Neben Rohstoffen und Konsumgütern sind die halbkolonialen Länder für die Zentren auch als Standorte billiger Zulieferindustrien interessant. Dabei wird nicht nur Ausbeutung und Umweltzerstörung in die halbkoloniale Welt externalisiert – die zum Teil absurde Verteilung von Produktionsketten auf die ganze Welt und die damit verbundenen riesigen Transportflotten in der Luft, auf dem Wasser, der Straße etc. sind selbst schon eine massive Form ökologischer Verschwendung im Interesse kurzfristiger Kostenvorteile der großen Konzerne.

Die Handelsbeziehungen zwischen armen, halbkolonialen einer- und imperialistischen Ländern andererseits basieren auf einem Werttransfer, der Aneignung eines großen Teils des geschaffenen Reichtums durch die imperialistischen Zentren, wo nach wie vor der größte Teil des Kapitalstocks konzentriert bleibt. Dieser Werttransfer spiegelt sich in einer Arbeitsteilung wider, die mit der Fixierung der von den Zentren dominierten Ökonomien auf bestimmte Produkte einhergeht. Der Werttransfer zugunsten des globalen Finanzkapitals bestimmt wesentlich die Entwicklungsrichtung dieser Länder und reproduziert, ja verstärkt beständig deren Abhängigkeit.

Diese Strukturen drücken sich in einem ökonomisch wie ökologisch „ungleichen“ Tausch aus. Die (verschiedenen) Theorien des ökonomischen ungleichen Tausch beziehen sich auf ein quantitatives Problem im Austausch von Wert und gehen von einem systemischen Werttransfer von den halbkolonialen zu den imperialistischen Ländern aus, was sich einigen dieser Theorien zufolge auf den Tausch von mehr Arbeitskraft für weniger zurückzuführen lässt.

Die Grundlage für diese Theorien legte bereits Marx im dritten Band vom „Kapital“: „Kapitale, im auswärtigen Handel angelegt, können eine höhere Profitrate abwerfen, weil hier erstens mit Waren konkurriert wird, die von andern Ländern mit mindren Produktionsleichtigkeiten produziert werden, so daß das fortgeschrittnere Land seine Waren über ihrem Wert verkauft, obgleich wohlfeiler als die Konkurrenzländer. Sofern die Arbeit des fortgeschrittnern Landes hier als Arbeit von höherm spezifischen Gewicht verwertet wird, steigt die Profitrate, indem die Arbeit, die nicht als qualitativ höhere bezahlt, als solche verkauft wird. Dasselbe Verhältnis kann stattfinden gegen das Land, wohin Waren gesandt und woraus Waren bezogen werden; daß dies nämlich mehr vergegenständlichte Arbeit in natura gibt, als es erhält, und daß es doch hierbei die Ware wohlfeiler erhält, als es sie selbst produzieren könnte. Ganz wie der Fabrikant, der eine neue Erfindung vor ihrer Verallgemeinerung benutzt, wohlfeiler verkauft als seine Konkurrenten und dennoch über dem individuellen Wert seiner Ware verkauft, d. h., die spezifisch höhere Produktivkraft der von ihm angewandten Arbeit als Mehrarbeit verwertet. Er realisiert so einen Surplusprofit.“ (Marx 1983, S. 247 f.)

Das Konzept des ökologisch ungleichen Tauschs hat analog dazu den Austausch von mehr ökologischem Gebrauchswert (oder Naturprodukten) gegen weniger als Grundlage und bezieht sich somit auf die qualitativen Aspekte von Gebrauchswert (vgl. Foster/Holleman 2014, S. 205 und 207). Foster/Holleman (2014, S. 227) definieren ökologisch ungleichen Tausch als „den disproportionalen und unterkompensierten Transfer von Materialien und Energie von der Peripherie zu den Zentren und die Ausbeutung von Umweltraum innerhalb der Peripherie für intensive Produktion und Müllentsorgung.“

Während klassische marxistische Theoretiker wie Otto Bauer von den Unterschieden in der organischen Zusammensetzung des Kapitals von kapitalistisch fortgeschrittenen und rückständigeren Ländern als Ursache für ökonomisch ungleichen Tausch ausgehen, haben spätere AutorInnen wie Arghiri Emmanuel argumentiert, dass die hohen Lohnunterschiede zwischen den Ländern die Ursache seien (vgl. Howard/King 1992, S. 190). Aus diesen Theorien wurden reformistische Konzepte abgeleitet, die zumeist davon ausgehen, dass durch regulative Eingriffe und „Importsubstitution“ in den halbkolonialen Ländern ein gerechter, freier Welthandel erreicht werden könne. Sie beinhalten den Fehler, dass sie ein Symptom (die ungleichen Bedingungen auf dem Weltmarkt) für die (kurierbare) Ursache verkennen. Die ungerechten Weltmarktbedingungen sind jedoch nur die Folge: Nicht die Organisation der Warenzirkulation ist das Entscheidende, sondern die Form der Kapitalakkumulation, die ihren Bewegungsschwerpunkt in den imperialistischen Zentren hat. Nur der international koordinierte Kampf gegen die Macht der Konzerne und die mit ihnen verbundenen politischen Mächte kann diese strukturell bedingte Abwärtsspirale der armen Länder brechen. Zu diesem koordinierten Kampf ist nur die international organisierte ArbeiterInnenklasse in der Lage, die sich auch mit denjenigen verbinden muss, die gegen die ökologischen und agrarischen Zerstörungen dieses Systems aufstehen.

Die internationale Arbeitsteilung zu Gunsten der reichen Länder hat eine extreme sozioökologische Ungleichheit zwischen den reichen und den armen Ländern hervorgebracht. Diese unbestreitbare Tatsache ist auf dem Boden des Kapitalismus selbst ein Resultat der von den imperialistischen Zentren bestimmten Kapitalbewegung. Die Problematik bei den Theorien des ökologischen ungleichen Tausches besteht freilich darin, dass sie in der stofflichen Seite des Transfers die Ursache, wenn nicht den Kern des Problems erblicken, daher die begriffliche Scheidung von Gebrauchswert und Wert/Tauschwert aufgeben und verwässern und damit einen Schritt zurück hinter die Errungenschaften der Marx’schen Theorie darstellen. Dies trifft auch auf die Arbeiten von Foster/Holleman (2014) zu, wie ihr positiver Bezug auf Howard Odums Konzept von „emergy“ verdeutlicht. Dieses Konzept soll ein gemeinsames energetisches Maß zur Messung von realem Reichtum und Gebrauchswert darstellen, so dass ungleicher Transfer von Gebrauchswert anhand ungleicher Energiebilanzen dargestellt wird. Damit wird freilich selbst ein willkürliches und strittiges Moment zum Vergleich von Gebrauchswerten eingeführt, das Odum und seine SchülerInnen letztlich dazu führt, auf Geld als Maß des Gebrauchswerts zurückzugreifen (und zu einem Streit darum, wie weit und ob das zulässig sei). Die ganze Konfusion ergibt sich jedoch nicht zufällig, sondern daraus, dass versucht wird, eine alternative, gemeinsame Substanz der Werte außerhalb der in den Waren vergegenständlichten gesellschaftlichen Arbeit zu finden.

Typisch für diese Theorien ist dann, ein Hauptaugenmerk auf die Verteilung von Einkommen und Ressourcen zu legen, nicht auf die Bewegung der Kapitalakkumulation. So verweist z. B. Lessenich (2016) darauf, dass die Ungleichheit im Weltmaßstab noch größer als die Ungleichheit zwischen den Reichsten und Ärmsten innerhalb einzelner Länder sei. Solche Verweise haben eine Berechtigung, wenn es darum geht, auf Unrecht und Ungleichheit hinzuweisen. Der Verweis auf „arm“ und „reich“ bezieht sich jedoch nur auf das Verhältnis von EinkommensbezieherInnen. Die ihr zugrunde liegenden Klassenverhältnisse werden ausgeblendet oder tendenziell als nachrangig betrachtet, womit die Ausbeutung von Arbeitskraft in den imperialistischen wie in den halbkolonialen Ländern nicht mehr im Zentrum der Analyse steht.

Lessenich (2016) umschreibt die herrschenden Verhältnisse der internationalen kapitalistischen Produktionsweise mit dem Begriff „Externalisierungsgesellschaft“, Brandt/Wissen (2017) sprechen von „imperialer Lebensweise“. Beide Begrifflichkeiten verfehlen den Kern der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Sie lassen die Machtverhältnisse und die Möglichkeiten, die herrschende Ordnung zu gestalten und zu verändern, außen vor oder räumen ihnen einen untergeordneten Stellenwert ein. Denn die herrschende Gesellschaftsordnung ist im Wesentlichen eine Ordnung im Sinne der herrschenden Klasse, im Kapitalismus eine des Kapitals. Ob erstere mehr oder minder erfolgreich darin ist, untergeordnete, subalterne und ausgebeutete Klassen und Schichten dabei mit einzubeziehen und ihre Ordnung damit zu stabilisieren oder nicht, ändert dieses grundlegende Verhältnis nicht.

Wie Thomas Sablowski (2018) zeigt, blendet die These der „imperialen Lebensweise“ die Klassenfrage letztlich aus. Die meisten Menschen in den imperialistischen Ländern würden Bandt/Wissen zufolge „auf Kosten der Natur und der Arbeitskräfte anderer Weltregionen“ leben. Alle Gesellschaftsmitglieder – von der/dem superreichen KapitalbesitzerIn bis zum/r prekär Beschäftigten oder Langzeitarbeitslosen – wären in eine gemeinsame „Lebensweise“ oder „einheitliche Konsumnormen“ eingebunden, der Unterschied wäre letztlich bloß quantitativ. So problematisch es schon ist, den Armen und Reichen eine gemeinsame „imperiale Lebensweise“ zu unterschieben, so enthält die ganze Theorie eine Reihe falsche politischer Konsequenzen. Erstens wird der Blick auf den individuellen Konsum und weg von der Produktion gelenkt. Zweitens unterstellt die Theorie ein gemeinsames Interesse von AusbeuterInnen und Ausgebeuteten, dem gegenüber der Klassengegensatz in den Hintergrund tritt – und zwar nicht nur in den Zentren, sondern spiegelbildlich natürlich auch in den „peripheren Ländern“. Nicht die Klasse der Lohnabhängigen und deren gemeinsamer internationaler Kampf, sondern entweder individuelles „Ausscheren“ aus der „imperialen Lebensweise“ (z. B. durch Kauf von regionalen Bioprodukten) oder klassenübergreifende und letztlich nationalistische Allianzen in den abhängigen Ländern bilden die politisch fatale, aber logische Folge aus dieser Theorie.

So sehr diese Erklärungen auch das Verdienst haben mögen, den Blick auf wichtige Erscheinungsformen der ökologischen Verheerungen zu werfen, so greifen sie theoretisch zu kurz und führen politisch in eine Sackgasse, ja im Extremfall zu reaktionären Schlussfolgerungen.

Die Ganzheit des globalen kapitalistischen Regimes kann treffender als Imperialismus, bezogen auf die ökologische Frage als ökologischer oder Umweltimperialismus bezeichnet werden. Der Begriff des Imperialismus wurde und wird in der bürgerlichen Theorie heute oft als geopolitischer Begriff verstanden, als Umschreibung des Kolonialismus der europäischen Mächte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (auch wenn der Schöpfer des Begriffs, der britische linksliberale Ökonom Hobson, die Wurzel des Imperialismus korrekterweise im ökonomischen Expansionsstreben des Kapitals verortete).

Lenin hat in seiner berühmten Schrift über Imperialismus den Begriff weiterentwickelt und marxistisch interpretiert. Der Imperialismus beschreibt ein bestimmtes Entwicklungsstadium des Kapitalismus, in dem sich Finanz- und Industriekapital zu großen Kapitalgruppen vereinen – wobei ersteres die Oberhand über letzteres gewinnt –, die ganze Welt der kapitalistischen Verwertung erschlossen wird und der Kapitalexport der reichen, imperialistischen Länder die Verhältnisse auf den Weltmärkten bestimmt (Lenin 1975 [Original: geschrieben 1916, zuerst veröffentlicht 1917]). Der Imperialismus geht mit einer Aufteilung der Welt unter einige wenige Großmächte einher, die auf einer gewaltigen Konzentration des Kapitals in den imperialistischen Zentren beruht und zu deren Sicherung dient. Die politische Ordnung des Imperialismus schafft Institutionen, die die weltweiten Geschäfte der großen Kapitalgruppen absichern. War dies zu Beginn der imperialistischen Epoche der Kolonialismus, so kann der Imperialismus heute zumeist auf direkte koloniale Verwaltung verzichten. Die weltweiten Verschuldungs-, Währungs- und Investitionsstrukturen erzeugen über Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank, die internationalen Handelsorganisationen etc. zusammen mit bilateralen Kredit- und Handelsabkommen zumeist genug Druck zur indirekten Herrschaftssicherung. Sollte es dennoch Abweichungen geben, existieren immer noch genug Mittel für militärische, paramilitärische oder politische Interventionen, die zur Unterwerfung führen. Oft genügt aber schon die Androhung von Kapitalabzug oder von Handelssanktionen, verbunden mit Währungs- und Börsenturbulenzen, um das Einlenken ungehorsamer Regierungen zu bewirken. Die Form der Beherrschung hat sich zwar liberalisiert, aber dafür ist die Ausbeutung umso intensiver geworden und hat die ganze Welt in eine immer stärker vernetzte globale Arbeitsteilung eingebunden, die im Interesse der in den imperialistischen Zentren konzentrierten Kapitale funktioniert. Der koloniale Status für die armen Länder wurde daher durch einen halbkolonialen ersetzt.

In seiner Imperialismustheorie verweist Lenin auch schon darauf, dass die imperialistische Ausbeutung mit bestimmten Formen des materiellen Transfers von Kolonie/Halbkolonie zu den imperialistischen Zentren einhergeht. Vor allem aber hebt er gegenüber dem Kolonialismus die zentrale Bedeutung des Kapitalexports hervor.

Suchanek (2020) fasst die Bedeutung des Außenhandels und des Kapitalexports in der Epoche des Imperialismus wie folgt zusammen: 1. Der Import billigerer Lebensmittel und Konsumgüter für die ArbeiterInnenklasse führt zur Senkung des Werts der Ware Arbeitskraft und damit, bei sonst gleichbleibenden Bedingungen, zur Erhöhung des relativen Mehrwerts und der Profitrate. 2. Kapitalexport stellt einen Weg dar, auf die Überakkumulation in den imperialistischen Zentren zu reagieren und überschüssiges Kapital im Ausland zu investieren. 3. Das Kapital aus den imperialistischen Ländern kann sich aufgrund der Konkurrenzvorteile gegenüber den Halbkolonien und Kolonien Extramehrwert aneignen. 4. Durch die geringere organische Zusammensetzung des Kapitals in der Halbkolonie bzw. Kolonie findet ein Werttransfer zu den imperialistischen Unternehmen statt.

Um die ökologische Dynamik des Kapitalismus zu verstehen, muss an diesem Verständnis angeknüpft und die Material- und Energieflüsse zwischen den imperialistischen und halb-/kolonialen Nationen als Teil des imperialistischen Gesamtsystems begriffen werden.

Dies hat notwendigerweise auch Folgewirkungen auf die Klassenstruktur in den imperialistischen Zentren – nicht nur hinsichtlich der Bereicherung der herrschenden Klasse, der oberen Schichten des KleinbürgerInnentums und der Mittelschichten, sondern auch für die ArbeiterInnenklasse. Ein bedeutender Teil der Lohnabhängigen kann über einen Anteil an der Ausbeutung der „Dritten Welt“ integriert werden, über längere Perioden Einkommen erkämpfen, die über den Reproduktionskosten liegen, die eine dem KleinbürgerInnentum ähnliche Lebensweise erlauben, wenn auch oft mit enorm hoher Ausbeutung verbunden (was sich z. B. in der enormen Arbeitsproduktivität und -intensität der Beschäftigen in den Exportindustrien zeigt).

Der Kapitalismus kann sich das nur unter drei Bedingungen leisten: (i) eine ständige Expansion der Kapitalakkumulation, (ii) die Extraktion von Extraprofiten aus armen Ländern und (iii) die systematische Externalisierung seiner sozioökonomischen Auswirkungen. Die soziale Stabilisierung „zu Hause“ durch die Externalisierung negativer sozialer und ökologischer Folgen des Kapitalismus bildet somit ein zentrales, herrschaftsstabilisierendes Element dieses Systems. In den halbkolonialen Ländern werden dafür Rohstoffe geplündert, Landstriche und Wasserressourcen zerstört, Bevölkerungen entwurzelt und zwangsumgesiedelt, Kleinbäuerinnen und -bauern von ihren Felder vertrieben, Wälder gerodet und geplündert. Das kennzeichnet das System des Umweltimperialismus und erklärt das „Umweltparadoxon“.

Foster et al. (2010, S. 370) beschreiben den Umweltimperialismus wie folgt: „Ökologischer Imperialismus bedeutet, dass die schlimmsten Formen der Umweltzerstörung, im Sinne von Plünderung von Ressourcen und Bruch von nachhaltigen Beziehungen zur Erde, vor allem auf die Peripherie anstelle der Zentren fallen. Ökologischer Imperialismus erlaubt imperialistischen Ländern eine Überziehung der ökologischen Tragfähigkeiten (environmental overdraft), die von den Naturressourcen der peripheren Länder zehrt. Während die materiellen Voraussetzungen für Entwicklung zerstört werden, werden Dritte-Welt-Länder mehr und mehr in der Schuldenfalle gefangen, die extraktive Ökonomien auszeichnet. Die Prinzipien des Umweltschutzes, welche die Unternehmen in den entwickelten Ländern teilweise eingeführt haben, um ihren Ressourcenverbrauch bis zu einem bestimmten Punkt zu rationalisieren, wurden nie in demselben Ausmaß in der Dritten Welt angewandt, welcher der Imperialismus eine offene ,Nach mir die Sintflut’-Philosophie auferlegt hat.“

Vandava Shiva beschreibt z. B. in einem Interview von 2011 sehr anschaulich, welche Auswirkungen der Umweltimperialismus in Indien hat und dass das vorherrschende, kapitalistische Wachstum nicht nur zu Umweltzerstörung, sondern auch zu einem Anstieg der Armut führt: „Denn Wachstum misst nur kommerzielle Transaktionen und externalisiert die Zerstörung der Natur sowie der Lebens- und Existenzgrundlagen der Armen. Wachstum ist de facto ein Prozess, der Armut hervorbringt und verschlimmert. Es ist keine Lösung für Armut.“ Ländliche Kleinbäuerinnen und -bauern werden u. a. durch Aluminium- und Stahlwerke enteignet und vertrieben und enden in den riesigen Slums der Großstädte, in denen sie wiederum durch die Immobilienspekulation, die eine Minderheit von Superreichen noch reicher macht, erneut vertrieben werden. Der Staat hilft durch Gesetzgebung und Militäraktionen kräftig nach.

Um an die leninistische Imperialismustheorie anzuknüpfen, fällt die Entstehung des Umweltimperialismus mit der Herausbildung des imperialistischen Stadiums des Kapitalismus ca. um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zusammen. Es handelt sich dabei nicht um ein eigenes oder neues Stadium des Imperialismus – vielmehr bildet er von Beginn an einen Teilaspekt des ökonomischen Imperialismus, entwickelt sich mit diesem Hand in Hand. Da die Ökonomie auf der stofflichen und energetischen Basis der Natur beruht, führt die Ausbeutung der Menschen auch zur Ausbeutung der Natur – und umgekehrt.

Foster und Clark (Foster et al. 2010, S. 352 ff.; siehe auch Foster/Clark 2009) charakterisieren die Überausbeutung von Guano (einem natürlichen Dünger) in Peru im 19. Jahrhundert durch Großbritannien und andere europäische Mächte als klassisches Beispiel für ökologischen bzw. Umweltimperialismus. So gut dieses Beispiel auch geeignet ist, die Praxis der ökologischen Plünderung mit all ihren Folgen (inkl. der Überausbeutung von ArbeiterInnen und Krieg) zu illustrieren, so handelt es sich doch um eine methodische Ungenauigkeit. Wie der Kolonialismus bereits vor dem Kapitalismus entstand, gab es auch ökologische Plünderung durch kapitalistische Mächte vor der imperialistischen Epoche.

Marx (1962, S. 779) schreibt in Bezug auf die sogenannte ursprüngliche Akkumulation: „Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingebornen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation.“

In Anlehnung an diese Analyse bezeichnen die ökologischen Plünderungen im 19. Jahrhundert wie der Guanoausbeutung die Morgenröte der Ära des Umweltimperialismus, der sich im 20. Jahrhundert mit der Entstehung des Imperialismus auf die gesamte Welt ausbreitete.

Dabei stellt der Imperialismus nicht nur eine quantitative Steigerung der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und der damit einhergehenden Umweltzerstörung dar, sondern führte auch zu einer qualitativen Veränderung in den Ökonomien der peripheren Länder. Er führte und führt – wie bereits erwähnt – zu einer ungleichzeitigen und  kombinierten Entwicklung, in der einerseits industrielle Produktionen in diese Länder ausgelagert und z. B. Teile der Landwirtschaft massiv industrialisiert wurden, andererseits halbfeudale Strukturen nach wie vor fortbestehen.

Der Imperialismus hatte für die imperialisierte Welt immer schon verheerende sozioökologische Auswirkungen. Die Art der imperialistischen Ausbeutung hat sich jedoch verändert: Anfänglich waren Kolonialgesellschaften, Aktiengesellschaften für bestimmte Ausbeutungsprojekte, große Schuldverschreibungen an bestimmte Staaten etc. vor allem an der extensiven Ausbeutung ganz bestimmter Reichtümer ausgerichtet. In der Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dies durch direkte Investitionen und Zweigstellen der großen Kapitale in der halbkolonialen Welt ergänzt. Inzwischen wurde die extensive Ausbeutung durch ein System der intensiven Ausbeutung in einer von den großen Kapitalen global ausgerichteten Arbeitsteilung weiterentwickelt. Flexible Finanzströme erlauben die rasche Verlagerung von Produktions- und Handelsströmen gemäß den Ausbeutungsbedingungen. Direkte Zweigstellen wurden durch Ketten von indirekt abhängigen Zulieferbetrieben abgelöst. Immer größer konzentrierte Kapitalgruppen kontrollieren unüberschaubare Netze von untergeordneten Firmengruppen, die weltweit vernetzt sind.

So wird der weltweite Agrarmarkt für Sojaöl, -mehl, -bohnen, Palm- und Rapsöl, Mais, Weizen, Grobgetreide und Zucker heute von fünf Großkonzernen aus den USA, den Niederlanden und China kontrolliert, die allein auf sich 70 % des Weltmarktes konzentrieren (Herre 2017, S. 26). Diese beherrschen nicht nur die Marktbedingungen für Zuliefer- und AbnehmerInnen, sondern können sich auch über Warenterminbörsen und ihre Derivate gegen Marktschwankungen absichern, ganz im Gegensatz zu den von Preisschwankungen betroffenen Bevölkerungen. Dabei sind die Rohprodukte nur noch das grundsätzliche Standbein der Konzerne, während die Weiterverarbeitung nicht nur für Lebensmittel zur viel interessanteren Gewinnquelle geworden ist (z. B. wird Palmöl auch für Reinigungsmittel, Kosmetik und zur Energiegewinnung genutzt). Ähnliche Konzentrationsprozesse finden sich auch bei der Fleischindustrie, Agrartechnologie und Lebensmittelkonzernen. Darüber hinaus wird die Agrarproduktion immer stärker von Pharmaunternehmen (Saatgutindustrie) und Chemiekonzernen (Pestizide, Gentechnik) bestimmt. Mit der Fusion von Bayer und Monsanto wird der Weltmarkt für Saatgut und Pestizide unter nur mehr 4 Großkonzerne aufgeteilt. Insgesamt führen diese Konzentration und globale Ausrichtung von Agrar- und Lebensmittelindustrie zu einer katastrophalen sozioökologischen Schieflage. Z. B. hat die globale Konzentration der Agroproduktion zu einer Vernichtung der agrarischen Selbstversorgung ganzer Regionen u. a. in Lateinamerika und Afrika geführt, die abhängig von den Importen billiger Agrarprodukte der weltweiten Agroindustrie geworden sind. Erschütterungen der Weltagrarmärkte – wie z. B. nach 2009, als alle wesentlichen Agrarpreise sich in kurzer Zeit verdoppelten – führen sofort zu massiven Versorgungsproblemen und Hungerkatastrophen.

Diese Aufzählung von Konzentrationsprozessen lässt sich auch in Bezug auf die extraktiven Industrien wie z. B. Bergbau und Energie fortführen. Mit ihren Großplantagen zum Anbau von Pflanzen für Energiegewinnung oder als Rohstoffe für die verarbeitende Industrie überschneiden sich Agro- und klassische Industrie auch zunehmend. Ob durch die Agroindustrie, Energie- und Bergbau oder Fleischindustrie – die von wenigen großen Konzernen für ihre Kapitalverwertung beherrschten und übernutzten Flächen steigen jährlich in atemberaubendem Tempo.

Unter dem Deckmantel der „Green Economy“ und des „Green New Deal“ entwickeln sich mittlerweile neue Formen des Umweltimperialismus unter ökologischen Vorzeichen. Dazu gehört z. B. die Aneignung von Wäldern, Ländern und anderen Ressourcen in halb-/kolonialen Ländern durch internationale Konzerne als Ausgleichsmaßnahmen für Umweltzerstörung (siehe auch die Kritik am CDM und dem REDD-Programm im Kapitel zur Green Economy). Auch der Emissionshandel könnte in besonderem Maße zu einer neuen Form des Umweltimperialismus führen. Bruno Kern (2019, S. 105) verweist darauf, dass der Zertifikatehandel die Kapitalkonzentration beschleunigen könnte: „Die Wirkweise der Marktkräfte könnte so dafür sorgen, dass sich die Verschmutzungslizenzen in den Händen weniger großer Firmen konzentrieren.“ Bei einem funktionierenden internationalen Emissionshandelssystem liegt die imperialistische Komponente auf der Hand: „Reiche Industrieländer mit hoher Kaufkraft könnten durch das Aufkaufen von Verschmutzungsrechten die globale soziale Kluft erheblich verstärken und sich auf Kosten der ärmeren Länder das Recht auf überproportionale Verschmutzung sichern.“

Alle Proteste der Betroffenen in den Halbkolonien gegen die Projekte der großen Agro-, Saatgut-, Bergbau-, Energieunternehmen etc. führen sofort zum Auftreten der internationalen GeldgeberInnen und Institutionen, die die Regierungen vor Ort dann meist als willige Vollzugsorgane vorfinden. Ob Proteste gegen Staudammprojekte, Landvertreibungen, Preis- und Abnahmediktaten bei Saatgut, Dünge- oder Lebensmitteln, gegen massive Rodungen z. B. im Interesse der Fleischindustrie etc. – überall hier zeigt der Umweltimperialismus sein wahres, brutales und repressives Gesicht. In den imperialistischen Zentren wird die tatsächlich betriebene Raubbaupolitik dann mit zynischen Kampagnen über angeblich „nachhaltige“ und für die Menschen vor Ort gerechte Produktion verbunden. Ökosiegel und Alibi-Ökoprojekte der Großkonzerne sind zumeist nichts anderes als „green washing“ für imperialistische Ausbeutung und Zerstörung. Nur eine Zerschlagung der Macht der großen internationalen Konzerne könnte es den Kleinbauern/-bäuerinnen und Landlosen in der semikolonialen Welt ermöglichen, zu einem Ausgleich zwischen notwendiger Selbstversorgung der einheimischen Bevölkerung und den inzwischen erreichbaren Standards für ökologisch nachhaltige Landwirtschaft zu kommen (z. B. durch regional selbst erzeugtes und gemeinschaftlich verwaltetes Saatgut).

Lenin hat im Zusammenhang mit seiner Imperialismustheorie auch auf die Bildung einer privilegierten Schicht in den imperialistischen Ländern innerhalb der ArbeiterInnenklasse, der sog. Arbeiteraristokratie, hingewiesen. Diese ArbeiterInnenaristokratie wird in besonderem Maße in das weltweite System des Imperialismus einbezogen und profitiert von guten, sich verbessernden Arbeitsbedingungen und steigenden Löhnen. Sie ist die Basis für einen weitverbreiteten Reformismus und eine ArbeiterInnenbürokratie in den imperialistischen Ländern und einigen entwickelteren Halbkolonien. Die ArbeiterInnenbewegung kann sich nicht internationalisieren und ihr revolutionäres Potential entfalten, solange sie von diesen reformistischen Strömungen dominiert ist.

Grundsätzlich unterminiert die Entwicklung des Kapitalismus heute die Stellung der ArbeiterInnenaristokratie in den imperialistischen Zentren, was einerseits den Nährboden für Konflikte und Klassenkampf, andererseits auch für reaktionäre populistische und nationalistische Lösungen bilden kann. Um diese Schichten wie die ArbeiterInnenklasse überhaupt für den Kampf um ihre unmittelbaren Interessen wie für eine Lösung der ökologischen Fragen zu gewinnen, muss freilich der sich objektiv verschärfende Klassenwiderspruch auch politisch zugespitzt werden.

An dieser Stelle müssen wir auf unsere Kritik des Konzepts der imperialen Lebensweise zurückkommen. Diese TheoretikerInnen behaupten, dass auch die unteren Schichten in den reichen Ländern von der Verschiebung gewaltiger Ausbeutungs- und Umweltprobleme erfolgreich z. B. durch die günstigen Preise von Konsumgütern aller Art profitieren würden. Dadurch könnten die Ärmeren in den reichen Ländern ihren Lebensstandard – bzw. genauer gesagt: Konsumstandard – steigern. „So wäre es ohne die auf Kosten von Mensch und Natur andernorts hergestellten und ebendeshalb billigen Lebensmittel womöglich weitaus schwieriger gewesen, die Reproduktion der unteren Gesellschaftsschichten des globalen Nordens auch angesichts der tiefen Wirtschaftskrise seit 2007 zu gewährleisten.“ (Brand/Wissen 2017, S. 13)

Natürlich hat die Senkung der Lebenshaltungskosten durch günstigere Konsumgüter auch einen stabilisierenden Aspekt. Vor allem aber erlaubte diese – und zwar nicht erst seit 2007, sondern während der gesamten Globalisierungsperiode –  eine Senkung des Werts der Ware Arbeitskraft in den imperialistischen Ländern. Diese hatte die Ausweitung des Billiglohnsektors sozial erleichtert, mit zur Schaffung eines Millionenheeres von Working Poor beigetragen und zur Steigerung der Ausbeutungsrate in den imperialistischen Ländern!

Hier zeigen sich die reaktionären und antiproletarischen Seiten der „Theorie“ von der imperialen Lebensweise, indem die Erhöhung der Ausbeutungsrate der Lohnarbeit zu einem „Transfer“, nicht zugunsten des Kapitals, sondern der ArbeiterInnenklasse umgedichtet wird. Denken wir diese Annahme logisch zu Ende, so wäre jeder Lohnkampf, jeder Kampf gegen Hartz IV usw. letztlich einer für einen höheren Anteil an der Ausbeutung der halbkolonialen Welt und bloß ein Streit unter allen, die einer „imperialen Lebensweise“ frönen würden.

Der Begriff „imperiale Lebensweise“ von Brand/Wissen (2017) suggeriert, dass die ArbeiterInnenklasse in den imperialistischen Ländern selbst zu einem Teil der herrschenden Klasse geworden sei. Das ist sie aber nicht. Sie stellt bloß einen im internationalen Kontext des globalen Kapitalismus relativ privilegierten Teil der unterdrückten und ausgebeuteten Klasse dar. Um den Kapitalismus zu bekämpfen, ist es zentral, diese Zusammenhänge und Mechanismen des Imperialismus und deren Wirkungen auf die ArbeiterInnenklassen sowohl in den imperialistischen, in den sog. Schwellenländern als auch in den Halbkolonien zu verstehen. Die ArbeiterInnenklasse des Nordens muss den Kampf gegen den sozioökologischen Raubbau im Süden als ihren aufgreifen, bei dem es letztlich um das Überleben der gesamten Menschheit geht. Wenn Menschen zu tausenden aufgrund dieses Raubbaus aus dem Süden in den Norden fliehen, heißt es schnell: „Fluchtursachen bekämpfen“. Tatsächlich bildet die eigentliche Ursache der Imperialismus, und solche Phänomene, bei denen die Auswirkungen dieses imperialistischen Systems vor aller Augen sichtbar werden, müssen zu der Schlussfolgerung führen, dass dieses insgesamt bekämpft werden muss. Jedes Programm im Kampf gegen den Imperialismus muss daher von den Betroffenen und den globalen Interessen der ArbeiterInnenklasse ausgehend auch zentral Forderungen zum Kampf gegen den weltumspannenden ökologischen Raubbau zu Lasten vor allem der Halbkolonien entwickeln.

Der grundlegende Widerspruch zwischen Kapitalismus und Umwelt

Eine nachhaltige Wirtschaftsweise ist im Kapitalismus unmöglich. Jede/r einzelne KapitalistIn sowie das Gesamtsystem sind zu der permanenten Steigerung der Kapitalakkumulation gezwungen. Foster et al. (2010, S. 201) bezeichnen diesen Zwang als „Tretmühle der Akkumulation“. Im herrschenden Diskurs wird Akkumulation allgemein als Wachstum bzw. Wirtschaftswachstum bezeichnet. Dahinter verbirgt sich ein grundlegendes Missverhältnis zwischen Gebrauchs- und Tauschwert. Im Kapitalismus werden Waren, Güter und Dienstleistungen nicht primär hergestellt, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um Wert anzueignen. Der in einer Ware vergegenständlichte Wert (Tauschwert) ergibt sich aus der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, die zu ihrer Produktion notwendig ist. Das bedeutet, dass dieser Wert abhängig von der sich gesellschaftlich durchsetzenden Produktivität der Arbeit ist. Die Natur geht in die Bestimmung des Tauschwertes nur insofern als „Kostenfaktor“ ein, wenn menschliche Arbeitskraft notwendig ist, um sie nutzbar zu machen (z. B. die notwendige Arbeit zur Extraktion eines Rohstoffes). Die von menschlicher Arbeitskraft unabhängige Natur wird im Kapitalismus als Quelle von Wert ausgeschlossen (vgl. Foster/Holleman 2014, S. 216). Die Reproduktion von Arbeitskraft oder Natur ist dieser Frage der möglichst günstigen Produktion der Waren untergeordnet. Die Produktion dient nicht der Reproduktion, sondern umgekehrt: Die Reproduktion der ArbeiterInnen und der Natur wird nur anerkannt, insofern sie der Produktion von Mehrwert für das Kapital dient.

Darüber hinaus besteht im Kapitalismus als der Produktionsweise der verallgemeinerten Warenproduktion der Hauptzweck der Produktion nicht mehr nur in der Produktion von Wert an sich, sondern vor allem von Mehrwert. Die Mehrarbeit über die zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendige Arbeit hinaus vergegenständlicht sich in diesem Mehrwert, der zur Quelle des Profits für das investierte Kapital wird. Damit wird für das Kapital der Produktionsprozess zum Verwertungsprozess. Im Gegensatz zu früheren Produktionsweisen resultiert daraus im Kapitalismus ein schrankenloses Bedürfnis nach Mehrarbeit: „Indes ist klar, daß, wenn in einer ökonomischen Gesellschaftsformation nicht der Tauschwert, sondern der Gebrauchswert des Produkts vorwiegt, die Mehrarbeit durch einen engern oder weitern Kreis von Bedürfnissen beschränkt ist, aber kein schrankenloses Bedürfnis nach Mehrarbeit aus dem Charakter der Produktion selbst entspringt.“ (Marx 1962, S. 250)

Dies bestimmt das Wesen der Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus. Produktivitätsfortschritt aus Sicht des Kapitals bedeutet, weniger Arbeitskraft für dieselbe Produktionsmenge einsetzen zu müssen als die Konkurrenz. Dies erlaubt es, entweder (a) bei gleichbleibenden Preisen einen größeren Teil des gesellschaftlich produzierten Mehrwerts anzueignen (Werttransfer in Richtung produktiveres Kapital), oder (b) durch niedrigere Preise die Konkurrenz aus dem Markt zu drängen (Konzentration des Kapitals). Pro Stück wird durch die Reduktion eingesetzter Arbeitskraft gegenüber dem notwendigen Einsatz von Maschinen und Rohstoffen dabei jedoch immer weniger Mehrwert erzielt, was zu einem tendenziellen Fall der Profitrate führt. Als Folge ist das Kapital zur ständigen Ausweitung der Produktion gezwungen, um den relativen Fall der Profitrate mit einem absoluten Wachstum der Profitmasse auszugleichen. Daher ist das Kapital aus seinem Wesen als Verwertungs„maschine“ heraus zu beständigem Wirtschaftswachstum gezwungen. Durch jeden Einbruch dessen muss die Tendenz zum Fall der Profitrate sofort in eine Verwertungskrise des Kapitals umschlagen.

Das Kapital muss beständig Auswege aus dem Fall der Profitrate suchen. Neben der Tendenz zur Kapitalkonzentration und der Erschließung billiger Finanzierungsquellen (z. B. Aktienkapital), zählen hierzu u. a. Methoden der Intensivierung von Arbeit und zur Einsparung bei den materiellen Grundlagen der Produktion („konstantes Kapital“, z. B. Energie- und Rohstoffquellen). Das Kapital ist daher auch zur rücksichtslosen Ausnutzung möglichst kostengünstig anzueignender Umweltressourcen gezwungen, um Verwertungskrisen zu vermeiden – und wälzt somit seine Verwertungsprobleme als langfristige Kosten von Umweltzerstörung auf „die Allgemeinheit“ ab.

Die kapitalistische Wirtschaft, die sogenannte Marktwirtschaft, ist auf globaler Ebene ineffizient, was die Verteilung von Waren und Dienstleistungen anbelangt. Gerne wird auf die sehr viel höhere Effizienz einer Marktwirtschaft im Vergleich zu den bürokratischen Planwirtschaften des „real existierenden Sozialismus“ hingewiesen. Im globalen Maßstab allerdings – und der Kapitalismus kann nur global verstanden und beurteilt werden – funktioniert die Verteilung extrem schlecht und ungerecht: Diejenigen, die bereits sehr viel haben, bekommen ständig mehr, während diejenigen, die fast nichts haben, nach wie vor am Existenzminimum und oft auch darunter verharren. Die kapitalistische Wirtschaft – und mit ihr der Großteil des produktiven und kreativen Potentials der ArbeiterInnen – ist weit mehr damit beschäftigt, ständig neue Feinheiten für die zahlungskräftigen Mittel- und Oberschichten zu entwickeln und zu vermarkten, als die grundlegenden Probleme der Welt zu lösen. Und selbst in den imperialistischen Zentren nimmt der Lebensstandard großer Teile der ArbeiterInnenklassen seit Jahrzehnten tendenziell ab.

An diesem grundlegenden Verhältnis ändert auch der wirtschaftliche „Aufstieg“ der sog. Schwellenländer nichts. Länder wie Brasilien, Mexiko oder Indien können ihre strukturelle Abhängigkeit und Unterordnung innerhalb der globalen Ökonomie nicht überwinden. Mit einer Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schlittern diese Länder schnell wieder in eine heftige Krise und die bescheidenen Verbesserungen für die ArbeiterInnenklassen und das KleinbürgerInnentum, die in Zeiten des Exportbooms tendenziell erreicht werden können, stehen damit ständig auf dem Spiel (während die gewaltigen Privilegien der Eliten geschützt werden). Zur Überwindung der Krise greifen die Regierungen dieser Länder dann zu den altbewährten Mitteln: einer Intensivierung der Ausbeutung und der Exporte zulasten der ArbeiterInnen, Kleinbauern/-bäuerinnen, der traditionellen Bevölkerungen und – nicht zuletzt und damit zusammenhängend – der Umwelt.

Die große Ausnahme in diesem Szenario stellt China dar. (Zora 2020) Das Land hat es aufgrund spezieller politischer und ökonomischer Konstellationen geschafft, selbst in den erwählten Kreis der imperialistischen Länder aufzusteigen. China hat systematisch daran gearbeitet, produktive Sektoren und die industrielle Entwicklung im eigenen Land zu verankern, zu festigen und zu fördern. Gleichzeitig ging mit der Entwicklung des chinesischen Kapitalismus eine Umweltzerstörung und –inwertsetzung einher, deren Ausmaß in der Kürze der Zeit in der Geschichte der Menschheit vermutlich einzigartig ist. Heute hat China begonnen, selbst daran zu arbeiten, Kapital und negative sozioökologische Auswirkungen in andere Länder und Regionen zu exportieren, auch wenn es das diesbezügliche Niveau der klassischen imperialistischen Länder noch nicht erreicht hat.

Der Zwang zur permanenten Steigerung der Kapitalakkumulation bewirkt, dass sich der Kapitalismus ständig einerseits revolutionieren und andererseits ausdehnen muss. Nie wurde das besser auf den Punkt gebracht als im Kommunistischen Manifest: „Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. [ … ] Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.“ (Marx/Engels 1988 [Original: 1848], S. 48 f.) Wie Lessenich (2016, S. 41 f.) anmerkt, gilt dieses Bedürfnis nicht nur für neue Territorien, sondern auch für weitere Möglichkeiten, die Verwertung des Kapitals auszuweiten wie z. B. die Ausdehnung auf neue Wirtschaftszweige (Privatisierung), für neue Personengruppen und -kategorien, die als Arbeitskräfte in (weltweite) Produktionsketten eingegliedert werden, für Fähigkeiten und Eigenschaften dieser Arbeitskräfte oder für neu zu erschließende profitable Geschäftsfelder (z. B. Gentechnik oder Biotechnologie).

Die permanente Steigerung der Kapitalakkumulation bedeutet aber nicht nur eine äußerliche, rein quantitative Ausdehnung der Profitwirtschaft auf immer mehr Territorien und Wirtschaftszweige, sondern auch eine qualitative Umwälzung der Arbeitsprozesse selbst. Marx spricht davon, dass ab einem gewissen Entwicklungsstand der Kapitalakkumulation „an die Stelle der formellen die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital [tritt]“ (Marx 1962, S. 533). Dies bedeutet, dass bei neu vom Kapital erfassten Bereichen dieses zunächst nur als Käufer und Verkäufer von Waren und Arbeitskräften auftritt, den Arbeitsprozess selbst aber erstmal so weiter laufen lässt wie bisher (formelle Subsumtion). Die Profitabilitätszwänge des Kapitals führen jedoch früher oder später dazu, dass das Kapital beginnt, den Arbeitsprozess zu zerlegen, neu zu organisieren, zu rationalisieren, nach Kosteneinsparungen zu suchen, gewisse Arbeitsprozesse auszulagern, andere zu automatisieren, nach billigeren Rohmaterialien zu suchen etc. D. h. das Kapital beginnt, den Arbeitsprozess selbst in allen seinen Aspekten und Eingangsstoffen nach seinen Prinzipien zu organisieren und zu intensivieren (reelle Subsumtion).

So wird eine umfassende Wertschöpfungskette geschaffen von der kostengünstigen Rohstoffaneignung, über ausbeuterische Zulieferbetriebe, logistische Optimierung von Endfertigung und dazwischen liegendem Transport bis zu ebenso ausbeuterischen Verkaufs- und Auslieferbetrieben hin zu den EndkundInnen. In dieser Intensivierung und Verwissenschaftlichung der Verwertungsprozesse kommen natürliche Reproduktionssysteme im Wesentlichen als zu minimierende Kostenfaktoren und verwertungskonform zu erschließende Quellen für die Expansion der Produktion vor. Wenn hier von „Nachhaltigkeit“ die Rede ist, dann nur, insofern sie die Kostenziele insgesamt nicht wesentlich berührt und dann als billige Marketingstrategie verwendet werden kann. Natürlich können Umweltgesetzgebungen und Imageprobleme dazu führen, dass KapitalistInnen reagieren müssen. In diesem Fall fällt eine bestimmte Form von Produktivitätssteigerung auch für die Konkurrenz zeitweise aus – bis man entsprechende Schlupflöcher durch Produktionsverlagerung oder Gesetzesänderungen durch Lobbyarbeit etc. gefunden oder erreicht hat.

Auch wenn es den Kapitalismus historisch kennzeichnet, dass er nicht erschlossene Territorien oder Bereiche der Kapitalverwertung unterordnet, so sollte diese „Inwertsetzung“ von bisher nicht genutzten Ressourcen für die Kapitalverwertung nicht absolut gesetzt werden: Mit Bezug auf Rosa Luxemburg behaupten (vor allem feministische) ReproduktionstheoretikerInnen, die fortgesetzte Kapitalakkumulation würde ein beständiges nichtkapitalistisches „Außen“ erfordern, das erst die Kapitalreproduktion auf immer erweiterter Stufenleiter ermögliche. Marx hat dagegen im zweiten Band des „Kapital“ im Schema der erweiterten Reproduktion (Marx 1963) gezeigt, dass das Kapital, sobald es an die Grenzen des rein expansiven, einfachen Wachstums stößt, durch Wechsel zu intensivem, sogar zu beschleunigtem Wachstum fortschreitet. Durch Investieren in die Ausweitung der Produktion mithilfe der geschilderten Methoden der Subsumtion unter Verwertungsprinzipien schafft sich das Kapital gleichzeitig die Nachfrage für die steigende Kapitalakkumulation selbst. Dadurch werden auch neue, nichtkapitalistische Bereiche für die Inwertsetzung und damit für extensive Akkumulation erschlossen (z. B. Rohstoffe, Arbeitsbereiche, Techniken etc., die bisher für die Kapitalverwertung nicht von Interesse waren). Damit verschiebt sich die „Grenze“ der Kapitalexpansion in jedem Kapitalverwertungszyklus neu. Der Kapitalismus definiert sich sein „Außen“ immer wieder von Neuem selbst.

Die Steigerung der Kapitalakkumulation ist historisch eindeutig mit dem Verbrauch einer immer größeren Material- und Energiemenge gekoppelt. Zwar gibt es Diskussionen, wonach es für hochentwickelte kapitalistische Ökonomien möglich sei, das Wirtschaftswachstum – sprich die Kapitalakkumulation – vom steigenden Verbrauch von Ressourcen und Energie zu entkoppeln. Die Mechanismen des Umweltimperialismus lassen es auf den ersten Blick sogar so erscheinen, als sei eine solche Entkoppelung in einigen fortgeschrittenen Ökonomien tatsächlich gelungen. So sinken in Deutschland z. B. der Primärenergie- sowie der direkte Ressourcenverbrauch, der sog. abiotische direkte Materialeinsatz, seit 1990, während das Bruttoinlandsprodukt ansteigt. Der abiotische direkte Materialeinsatz erfasst jedoch nicht die Ressourcen, die im Ausland gewonnen und verarbeitet werden, um nach Deutschland exportierte Halb- oder Fertigwaren zu produzieren. Werden diese mit einbezogen, dann ergibt sich ein anderes Bild. Zwischen den Jahren 1994 und 2015 stiegen die Einfuhren an Fertigwaren um 109 %, während die von Halbwaren um lediglich 12 % zunahmen. Die Importe von Rohstoffen erhöhten sich um 23 %. Im selben Zeitraum sank die Gewinnung von Energieträgern in Deutschland um 30 %, während die Importe um 43 % anstiegen. Auch die Importe von Erzen und ihren Erzeugnissen (überwiegend Metallwaren) stiegen um 46 % an, während z. B. die inländische Gewinnung von mineralischen Baurohstoffen um 34 % sank (Umweltbundesamt 2017b). Das Umweltbundesamt (UBA) schlussfolgert: „Die starken Anstiege der Fertigwaren gelten gleichermaßen für metallische Güter wie auch für Produkte aus fossilen Energieträgern, etwa Kunststoffe. Mit dem zunehmenden Import von Fertigwaren werden rohstoffintensive Herstellungsprozesse mitsamt den meist erheblichen Umwelteinwirkungen der Rohstoffgewinnung und -aufbereitung verstärkt ins Ausland verlagert.“ (Ebenda) Werden die Im- und Exporte in die Statistik mit einbezogen, was in dem Indikator Rohstoffverbrauch der Fall ist, dann ist dieser für Deutschland nicht nur deutlich höher als der direkte Materialeinsatz, sondern hat auch zwischen 2000 und 2011 um ca. 2 % zugenommen. Da das BIP im selben Zeitraum deutlich stärker zunahm, stieg die sog. Gesamtrohstoffproduktivität (relative Entkopplung), es konnte jedoch keine absolute Entkopplung erreicht werden. Für den Energieverbrauch stellt das UBA keine analoge Statistik, unter Berücksichtigung der Im- und Exporte, für Deutschland zur Verfügung.

Die Natur erscheint im Kapitalismus als reine Ressource zur Vermehrung von Kapital, als notwendige Variable im Akkumulationsprozess. In der klassischen bürgerlichen Ökonomie sowie in der Neoklassik werden natürliche Ressourcen und Senken als „kostenfreie Geschenke“ angenommen, die es auszubeuten gilt (Foster et al. 2010. S. 61). Auch Marx wurde oft vorgeworfen, dass er mit seiner ökonomischen Theorie den Wert einer Ware rein auf die in ihr enthaltene menschliche Arbeit reduziert und deshalb die ökologische Basis der Ökonomie außer Acht gelassen habe. Foster et al. (2010, S. 61 f.) haben gezeigt, dass dieser Vorwurf auf einer Verwechslung von Wert und Reichtum basiert, die in der bürgerlichen Ökonomie als Synonyme verwendet werden. Nicht so jedoch bei Marx: „Der Mensch kann in seiner Produktion nur verfahren, wie die Natur selbst, d. h. nur die Formen der Stoffe ändern. Noch mehr. In dieser Arbeit der Formung selbst wird er beständig unterstützt von Naturkräften. Arbeit ist also nicht die einzige Quelle der von ihr produzierten Gebrauchswerte, des stofflichen Reichtums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty sagt, und die Erde seine Mutter.“ (Marx 1962, S. 57 f.) In diesem Sinne kritisiert Marx in seiner Kritik am Gothaer Programm der SPD die Behauptung, dass die Arbeit die Quelle allen Reichtums sei: „Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft.“ (Marx 1973, S. 15, Hervorhebungen im Original).

Ohne Zweifel war der Kapitalismus sehr erfolgreich darin, Gebrauchswerte in großer Masse zu produzieren und in diesem Sinne ein großer historischer Fortschritt gegenüber vorkapitalistischen Produktionsformen. Er hat die Grundlage dafür gelegt, materiellen Mangel und Not auf der Welt für alle Menschen zu überwinden. Doch mit seiner zunehmenden Entwicklung hat sich ein grundlegendes Missverhältnis zwischen Gebrauchs- und Tauschwerten eingestellt. Letztere werden zunehmend auf Kosten ersterer produziert und hergestellt. So führt z. B. die zunehmend massenhafte Produktion von Fleisch für eine kaufkräftige Minderheit auf der Welt zu einer enormen Profitmasse für die immer mehr monopolisierten ProduzentInnen, richtet gesamtgesellschaftlich gesehen jedoch immensen Schaden an, da sie mit zunehmender Umweltzerstörung und extremer Ausbeutung von Mensch und Tier einhergeht und dabei den Hunger eines großen Teils der Menschheit nicht verringert oder sogar verschärft. Noch offensichtlicher ist dieses inverse Verhältnis zwischen Gebrauchs- und Tauschwert z. B. bei der Rüstungsproduktion.

Dieses Missverhältnis ändert sich auch nicht in der neuen, grünen Ökonomie. Um eine nachhaltige Wirtschaftsweise zu erreichen, ist aber genau seine Überwindung notwendig. Das ist im Kapitalismus unmöglich. Durch die permanente Steigerung der Kapitalakkumulation wird erstens sichergestellt, dass sich die Profite des Kapitals allgemein ständig vermehren können (auch wenn natürlich einzelne KapitalistInnen immer auf der Strecke bleiben). Zweitens werden dadurch die Mechanismen des Umweltimperialismus aufrechterhalten. Die sog. Postwachstumstheorien gehen fälschlich davon aus, dass der Zwang zur Kapitalakkumulation innerhalb des Kapitalismus überwunden werden könne. Was sie dabei ausblenden oder ignorieren, ist, dass ohne permanente Steigerung der Kapitalakkumulation der Kapitalismus noch vermehrt Massenarbeitslosigkeit und -armut verursachen würde, auch und vor allem in den imperialistischen Zentren. So kann in dieser Produktionsweise selbst bei steigender Kapitalakkumulation Arbeitslosigkeit entstehen oder zunehmen, z. B. durch Automatisierung und Rationalisierung. Wachstum ist also keine hinreichende Bedingung oder Garantie dafür, dass sich Arbeitslosigkeit verringert, jedoch eine notwendige Voraussetzung für das stabile Fortschreiten des Systems.

Damit im Zusammenhang steht, dass im Kapitalismus als einzige Möglichkeit zur Steigerung der Lebensqualität der Menschen die ihrer Konsumfähigkeit erscheint. Das Bedürfnis, immer mehr zu konsumieren, wird gleichzeitig durch Werbung und Ideologie beständig gefördert. Foster et al. (2010, S. 398) argumentieren, dass während Gebrauchswerte authentische Bedürfnisse widerspiegeln und diese ein Limit zur Befriedigung haben, in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft die Menschen zunehmend dazu gebracht werden, stattdessen symbolische Werte wertzuschätzen und zu konsumieren, die von sich aus grenzenlos sind. Das wird z. B. deutlich an der hohen Bedeutung von Marken bei Textilien oder anderen Konsumgütern, bei denen der eigentliche Gebrauchswert schon mal ins Hintertreffen gerät: „Marken sind zunächst nichts anderes als Warenzeichen zur Kennzeichnung bestimmter Produkte im Unterschied zu anderen. Aber sie drücken schon bald auch das Versprechen an die KäuferInnen aus, mit dem Kauf der angebotenen Ware mehr als den konkreten Gebrauchswert zu erhalten. […] Der Name hat eine Selbständigkeit erlangt, die mit dem Produkt selbst, dem Gebrauchswert, nicht unbedingt oder auch gar nicht in Relation stehen muss. Der Markenfetisch fußt auf dem Warenfetisch, er ist eine Weiterentwicklung.“ (Waidhofer 2003, S. 132 f.) Diese Art der Konsumideologie entspricht dem Bedürfnis des Kapitals nach grenzenlosem Wachstum.

Während die steigende Produktion von Massenkonsumgütern zunächst ein bedeutender Fortschritt gegenüber vorkapitalistischen Produktionsweisen war, um z. B. die Ernährungssicherheit der Bevölkerung sicherzustellen und deren Lebensstandard zu erhöhen, hat sich diese mittlerweile in einen absurden Fetisch verkehrt. Das führt dazu, dass z. B. Bildung, Gesundheitsversorgung und Kultur entweder vernachlässigt werden (Bildung), degenerieren (Kultur) oder selbst zu großen Teilen privatisiert werden (Gesundheit).  Einkaufstempel sprießen dagegen in vielen Ländern geradezu aus dem Boden und werden als Inbegriff des Fortschritts verherrlicht.

Der Zwang zur permanenten Kapitalakkumulation ist ein struktureller Grund, warum im Kapitalismus keine nachhaltige Produktionsweise möglich ist. „Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug“, stellte bereits der antike Philosoph Epikur von Samos im 4. Jahrhundert vor unserer Zeit fest. Dieser Zwang führt aber nicht nur zu einem immer größer werdenden Verbrauch von Material und Energie, während gleichzeitig elementare menschliche Bedürfnisse nicht befriedigt werden, sondern auch zu grundlegenden Brüchen in den natürlichen und gesellschaftlichen Stoffkreisläufen. Marx, inspiriert durch die Arbeiten des deutschen Chemikers Justus von Liebig, hatte bereits erkannt, dass die kapitalistische Landwirtschaft nicht nachhaltig ist: „Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z. B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Marx 1962,  S. 529 f.) In früheren Gesellschaften wurden die Nährstoffe aus der Landwirtschaft zu einem großen Teil den Böden wieder zugeführt. Im Kapitalismus jedoch ist ein „Riss“ in diesem Kreislauf entstanden: „Auf der anderen Seite reduziert das große Grundeigentum die agrikole Bevölkerung auf ein beständig sinkendes Minimum und setzt ihr eine beständig wachsende, in großen Städten zusammengedrängte Industriebevölkerung entgegen; es erzeugt dadurch Bedingungen, die einen unheilbaren Riß hervorrufen in dem Zusammenhang des gesellschaftlichen und durch die Naturgesetze des Lebens vorgeschriebnen Stoffwechsels, infolge wovon die Bodenkraft verschleudert und diese Verschleuderung durch den Handel weit über die Grenzen des eignen Landes hinausgetragen wird.“ (Marx 1983, S. 821)

Der steigenden Auslaugung und dem Verlust an Fruchtbarkeit der Böden wurde mit der Erfindung des Kunstdüngers im Haber-Bosch-Verfahren (technische Synthese von Ammoniak als Ausgangsstoff) begegnet, der endgültig das Zeitalter der Expansion der kapitalistischen Landwirtschaft einläutete. Viele KritikerInnen aus der neoklassischen Ökonomie argumentieren deshalb, dass das Argument des „unheilbaren Risses“ in der Landwirtschaft überholt sei. Die Realität hat die KritikerInnen aber inzwischen eingeholt. Die industrielle Landwirtschaft hat zwar kurz- und mittelfristig Produktionssteigerungen erzielt, führt aber langfristig durch die permanente Überdüngung der Böden, verursacht durch industrielle Düngemittel und die Konzentration tierischer Extremente in industriellen Großbetrieben, die stets steigende Anwendung von Pestiziden im Ackerbau und Antibiotika in der Tierhaltung sowie die durch die Herstellung von industriellen Düngemitteln verursachten Treibhausgasemissionen zu vielen, enormen ökologischen und sozialen Problemen. Der Verlust an fruchtbaren Böden ist heute ein zunehmendes sozioökologisches Problem in vielen Teilen der Welt (vgl. Fritz 2010). Foster et al. (2010, S. 78) argumentieren, dass der „Riss“ im Nährstoffkreislauf der Landwirtschaft nicht überwunden, sondern verlagert wurde – in diesem Fall durch die massenhafte Verwendung und die daraus resultierende Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, die notwendig sind, um die Düngemittel zu produzieren. Sie weisen auch darauf hin, dass dieses Prinzip nicht nur für die Landwirtschaft, sondern für die gesamte kapitalistische Produktionsweise gilt, und sprechen in Anlehnung an Marx von einem ökologischen Riss im Kapitalismus. Die Logik des Kapitals und die permanente Konkurrenz und Expansion „[…] führen zu einer Reihe von Rissen und Verlagerungen, wobei Risse im Stoffwechsel kontinuierlich erzeugt werden und ihnen durch die Verlagerung auf andere Risse begegnet wird – typischerweise erst nachdem sie das Ausmaß einer Krise erreicht haben. Einem kurzsichtigen Beobachter mag es erscheinen, dass der Kapitalismus zu einem bestimmten Zeitpunkt einige Umweltprobleme erfolgreich bearbeitet, da in diesem Moment eine Krise gemindert wird. Ein weitsichtigerer Beobachter wird jedoch erkennen, dass neue Krisen entstehen, wo alte vermeintlich gelöst wurden. Das ist unvermeidlich, da das Kapital zu einer konstanten Expansion gezwungen ist.“

Deshalb ist die Lösung der ökologischen Frage aufs Engste mit der Überwindung des Kapitalismus verbunden. Die Schaffung einer Perspektive für eine sozialistische Gesellschaftsordnung, die in der Lage ist, diese grundlegende Widersprüche zwischen der menschlichen Ökonomie und den natürlichen Bedingungen zu überwinden, bei gleichzeitiger Befriedigung der materiellen und immateriellen Bedürfnisse aller Menschen, ist die zentrale Herausforderung für RevolutionärInnen im 21. Jahrhundert.

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Umweltkatastrophe stoppen, Umweltimperialismus bekämpfen

Liga für die Fünfte Internationale, aus „Die Krise der Globalisierung und die sozialistische Revolution“, Juni 2019, Revolutionärer Marxismus 54, Dezember 2021

Die Verschlechterung und Zerstörung der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen auf der Erde schreitet unvermindert fort und nimmt immer bedrohlichere Ausmaße an. Die immer häufigeren extremen Wetterereignisse, immer heftigere Stürme, Überschwemmungen und Waldbrände, ausgedehntere Dürreperioden, das Abschmelzen der Eiskappen, welches zu einem bedrohlichen Anstieg des Meeresspiegels führen wird und viele Länder mit totaler Überschwemmung bedroht, sind alle Indizien für den fortschreitenden Klimawandel auf der Erde.

Der Klimawandel, verursacht durch den massiven Ausstoß von Treibhausgasen, stellt die größte Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen auf unserem Planeten dar. Aber er ist wahrlich nicht die einzige. Die Versauerung und zunehmende Vermüllung und Verschmutzung der Ozeane, die Überlastung und Unterbrechung von Nährstoffkreisläufen, die Übernutzung von Trinkwasserressourcen und Verschmutzung von Gewässern, die Dezimierung der Biodiversität und die Anreicherung von giftigen Chemikalien in der Umwelt – all das sind sehr bedrohliche Entwicklungen für die Existenz der gesamten Menschheit.

Während Eingriffe in die Umwelt und die Nutzung der Umwelt für menschliche Bedürfnisse notwendig sind und auch im Sozialismus fortbestehen werden, ist es der Kapitalismus, der aus seinem grenzenlosen Drang nach Kapitalakkumulation die Umwelt um der Profite willen zerstört. Die großen Wirtschaftsmächte der Welt weigern sich hartnäckig, wirksame Maßnahmen für ein Umsteuern zu ergreifen. Die Unvereinbarkeit kapitalistischer „Entwicklung“ mit der Erhaltung und Wiederherstellung eines für menschliche Gesellschaften wünschenswerten Zustands der Umwelt, von der alles Leben abhängt, wird hier besonders deutlich. Der unstillbare Drang des Kapitals nach maximalem Gewinn forciert nicht nur die Ausbeutung der Menschen, sondern auch der natürlichen Ressourcen, die für den künftigen menschlichen Fortschritt erforderlich sind.

Diese Phänomene, neben der Bedrohung durch einen globalen Krieg, zeugen davon, dass der Kapitalismus ein im Sterben liegendes System ist. Die entscheidende Frage ist, ob er rechtzeitig durch eine revolutionäre Umwälzung überwunden wird, oder ob die Menschheit mit ihm den Weg in die Barbarei und sozialen Rückschritt beschreitet. Trumps Ankündigung von 2017, dass die USA das Pariser Abkommen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen und anderer „Klimakiller“ zurückweisen wollen, bestätigt dies. Doch der US-Rückzug verhüllt die Tatsache, dass weder die „entwickelten“ Hauptemittenten der Welt wie die USA, Japan und die Europäische Union noch die „sich entwickelnden“ Giganten wie China und Indien wirklich bereit sind, die Gewinne der Konzerne zu gefährden, um die notwendigen Emissionsminderungen vorzunehmen. Schlimmer noch: die meisten Regierungen und Großkonzerne ignorieren weiterhin alle Pläne und Vorschläge von WissenschaftlerInnen und UmweltaktivistInnen, wie die bevorstehende Katastrophe zu verlangsamen oder umzukehren ist.

Der Kapitalismus zerstört nicht nur die natürlichen Lebensgrundlagen, sondern hat sich global zu einem System des Umweltimperialismus entwickelt. Die Ausbeutung in den halb-kolonialen Ländern wird systematisch ohne Rücksicht auf die ökologischen und sozialen Folgen intensiviert, um die Profite in den imperialistischen Zentren zu vermehren. Die sozio-ökologischen Auswirkungen werden systematisch in die Halbkolonien ausgelagert. Der Umweltimperialismus ist gekennzeichnet durch unregulierte Weltmärkte, in denen der Handel zugunsten der reichen, imperialistischen Länder organisiert wird. Grundlage dafür ist die immer weiter zunehmende Konzentration von Kapital und die Unterdrückung der halb-kolonialen Länder mithilfe der Kontrolle über entscheidende Technologien und mittels des Kapitalexports.

Alle Proteste der Betroffenen in den Halbkolonien gegen die Projekte der großen Agro-, Saatgut-, Bergbau-, Energiekonzerne etc. führen sofort zum Auftreten der internationalen Geldgeber und Institutionen, die die Regierungen vor Ort dann meist als willige Vollzugsorgane vorfinden. In den imperialistischen Zentren wird der tatsächlich betriebene Raubbau an Mensch und Natur dann mit zynischen Kampagnen über angeblich „nachhaltige“ Produktion verbunden, die es aber nur für die Menschen dort gibt . Jedes Programm im Kampf gegen den Imperialismus muss, ausgehend von den Betroffenen und den globalen Interessen der ArbeiterInnenklasse, auch zentral Forderungen zum Kampf gegen den weltumspannenden ökologischen Raubbau zu Lasten vor allem der Halbkolonien entwickeln.

Klimawandel und Umweltzerstörung können nur gemildert und umgekehrt werden, wenn die Kontrolle über die Produktion den Händen der großen Kapitalformationen entzogen wird, die die Menschheit an den Rand der Katastrophe gebracht haben. In den letzten Jahrzehnten hat sich starker Widerstand gegen Umweltzerstörung und die Bedrohungen des Klimawandels herausgebildet, ausgehend von lokalen Initiativen gegen bestimmte Großprojekte, großen Bewegungen gegen die falschen politischen Antworten z.B. zur Klimapolitik, Widerstand in Halbkolonien, aber auch Umweltbewegungen in den imperialistischen Zentren. In Europa waren es die Jugendlichen, die mit weltweiten Schüler- und Schulstreiks und direkten Aktionen die Vorreiterrolle spielten. Die Arbeiterbewegung muss sich mit ihnen verbinden, ihre Aktionen und Kampagnen unterstützen und erweitern, ohne zu versuchen, ihre Begeisterung zu unterdrücken. In gewissen Bereichen konnte das bisher ungehemmte Handeln der Großkonzerne und ihrer Helfershelfer in Bezug auf Umweltfragen gebremst werden. Es ist notwendig, diese Erfolge zu einer gesellschaftlichen Kontrolle über die sozio-ökologischen Auswirkungen von ökonomischen Entscheidungen auszubauen. Demokratische legitimierte Kontrollorgane aus Beschäftigten, KonsumentInnen, Betroffenen von Großprojekten, um ihre Zukunft kämpfenden Jugendlichen etc. müssen gebildet und befähigt werden, um über Projekte, Gefährdungsstufen, Grenzwerte, ökologische Maßnahmen etc. zu entscheiden. Dem Kapital muss systematisch die gesellschaftliche Kontrolle in Bezug auf die sozio-ökologischen Auswirkungen seines Handelns entgegengesetzt werden. Letztlich wird nur die sozialistische Revolution das System des Umweltimperialismus überwinden und die geplante optimale Nutzung der Ressourcen unter Kontrolle der Mehrheit weltweit ermöglichen.

Die folgenden Forderungen richten sich nicht einfach an staatliche und supra-nationale Umweltpolitik, sondern sind Forderungen, die sich nur in einer internationalen Bewegung umsetzen lassen, die die zuvor dargestellte Form demokratisch legitimierter gesellschaftlicher Kontrolle über die hier geforderten Maßnahmen durchsetzt.

• Für einen Notfallplan zum Umbau des Energie- und Transportsystems – weg vom weltumspannenden Verbrauch fossiler Brenn- und Treibstoffe!

• Die großen Konzerne und imperialistischen Staaten wie die USA und die EU müssen für die Umweltzerstörung bezahlen, die sie im Rest der Welt verursacht haben. Für Reparationszahlungen, um die halb-kolonialen Ländern darin zu unterstützen, den notwendigen ökologischen Wandel herbeizuführen.

• Für einen Plan zum Ausstieg aus der fossilen und nuklearen Energieerzeugung. Für massive Investitionen in regenerative Energieformen wie Wind-, Wasser- und Sonnenenergie sowie in geeignete Speichertechnologien!

• Für ein großes globales Programm zur Wiederaufforstung zerstörter Wälder bei gleichzeitigem Schutz der noch vorhandenen naturnahen Ökosysteme!

• Für den Schutz und das Recht auf Selbstbestimmung der indigenen Völker!

• Für die Unterstützung der Kämpfe der von Umweltzerstörung bedrohten Bevölkerungen und indigener Völker!

• Für ein globales Programm zum Schutz der Wasserressourcen. Für massive Investitionen in Trinkwasserversorgung und Abwasserbehandlung!

• Für ein globales Programm zur Ressourcenschonung, Müllvermeidung und Abfallmanagement.

• Für die Umstellung der Landwirtschaft auf nachhaltige Anbaumethoden. Für die Enteignung des Großgrundbesitzes und eine Verteilung von Land an die Menschen, die es bebauen (wollen). Für tiergerechte Haltungsbedingungen in allen landwirtschaftlichen Betrieben! Für die Intensivierung der Erforschung nachhaltiger Anbausysteme unter Kontrolle der BäuerInnen und ArbeiterInnen! Wo nötig auch die Verpflichtung zur Anwendung von ökologisch nachhaltigen Anbaumethoden wie der ökologischen Landwirtschaft unter Berücksichtigung der Ernährungssicherheit.

• Kostenloser Nahverkehr für alle und massive Investitionen in öffentliche Verkehrssysteme! Umbau des Verkehrssystems zu einem auf Schienenverkehr basierenden System, sowohl bei der Personen, als auch bei der Güterbeförderung. Gleichzeitig massive Reduktion von Auto, LKW und Flugverkehr!

• Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses! Abschaffung des Patentschutzes! Für die Zusammenführen dieses Wissens, um nachhaltige Alternativen zu bestehenden Technologien zu schaffen. Echte Unterstützung der weniger entwickelten Ländern durch Technologietransfer!

•  Verstaatlichung aller Umweltressourcen, wie Agrarflächen, Wälder und Gewässer.

• Verstaatlichung aller Energiekonzerne und aller Unternehmen mit Monopolen auf grundlegende Güter wie Wasserwirtschaft, der Agrarindustrie sowie aller Luftverkehrsgesellschaften, Schifffahrts- und Eisenbahnunternehmen unter ArbeiterInnenkontrolle!

•  Für eine restriktive Chemikalienpolitik nach dem Vorsorgeprinzip, dh keine Zulassung solche Stoffe, die im Verdacht stehen schädlich zu sein! Für das Verbot von Chemikalien, die erwiesenermaßen oder wahrscheinlich gesundheitsgefährend und/oder umweltzerstörend sind, wie z.B. Glyphosat! Grenzwerte oder Gefahrenstufen in der Chemikalienverwendung müssen von Organen demokratisch legitimierter gesellschaftlicher Kontrolle bestimmt werden!

Für den Umbau unserer Städte

Mehr als die Hälfte der Menschheit lebt heute in Städten, aber die Mehrheit von ihnen in Baracken- und Elendsvierteln ohne richtige Straßen, Beleuchtung, sauberes Trinkwasser oder Abwasser- und Abfallentsorgung. Ihre behelfsmäßigen Konstrukionen werden von Erdbeben, Wirbelstürmen, Überschwemmungen und Tsunamis weggerissen, wie wir es in Indonesien, Bangladesch, New Orleans und auf Haiti gesehen haben. Hunderttausende sterben nicht einfach an diesen „natürlichen“ Ereignissen, sondern an einer von Armut geprägten Infrastruktur. Die Flucht der Menschen in die Städte wird durch die Unfähigkeit des Kapitalismus, des Großgrundbesitzes und der Agrarindustrie getrieben, ein Leben auf dem Land zu ermöglichen.

Nur wenige BewohnerInnen dieser Viertel haben dauerhafte und sichere Arbeitsplätze. Ihre Kinder haben keinen Zugang zu Tagesstätten, Kliniken oder Schulen. Kriminelle Banden, DrogendealerInnen und Polizei nötigen und erpressen die BewohnerInnen. Frauen und Jugendliche werden in Prostitution und sexuelle Sklaverei oder Sklavereiarbeit in gefährlichen und gesundheitsschädigenden Klitschen (Sweatshops) gezwungen. Echte Sklaverei und der Handel mit Menschen nehmen wieder zu. Dies ist ein weiteres Phänomen, das nach Abschaffung des Kapitalismus schreit! Dieses entsetzliche Anhäufung menschlichen Elends muss ein Ende haben.

Dies kann aber nicht mit dem bisschen Hilfe aus reichen Ländern, Spendenveranstaltungen, NGOs oder von Kirchen, Moscheen und Tempeln betriebenen Wohltätigkeitsorganisationen erreicht werden. Auch Selbsthilfe- oder Mikrokreditprogramme können diese enormen Probleme nicht lösen. Die Bevölkerung der Barrios, Favelas und Townships kann, wie sie gezeigt hat, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Durch Massenmobilisierungen in Venezuela, Bolivien und Südafrika konnte sie bereits Reformen durchsetzen. Im Verbund mit der ArbeiterInnenklasse kann sie mittels einer gemeinsam durchgeführten sozialen Revolution den repressiven Staat und die wirtschaftliche Ausbeutung zerschlagen und an ihrer Stelle eine auf Komitees und Räten der ArbeiterInnen und Armen gegründete Gesellschaft aufbauen als Instrument zur vollständigen Transformation unserer Städte.

• Wohnungen, Licht und Strom, Abwasser- und Müllentsorgung, Krankenhäuser und Schulen, Straßen und öffentliche Verkehrsmittel für die EinwohnerInnen der riesigen und rasch wachsenden Armutsviertel, die alle Großstädte der „Entwicklungsländer“ umgeben, von Manila und Karatschi bis Mumbai, Mexiko-Stadt und Sao Paulo!

• Für ein Programm öffentlicher Arbeiten unter der Kontrolle der ArbeiterInnen und der Armen! Für einen kostenlosen Personennahverkehr und Berufsverkehr für die ArbeiterInnen!

• Massive Investitionen in Sozial- und Gesundheitsdienste, Wohnungswesen, öffentliche Verkehrsmittel und eine saubere, nachhaltige Umwelt!

• Unterstützung der Kämpfe von KleinbäuerInnen, LandarbeiterInnen und Landlosen!

Die Landfrage und das Leben auf dem Land

Noch leben 45 Prozent der Menschheit in Dörfern, auf Plantagen und in den ländlichen Gemeinschaften indigener Völker. Bis 2050, so schätzt die UNO, wird sich diese Zahl auf ein Drittel reduzieren. Die Landflucht ist nicht nur durch den Reiz des Stadtlebens motiviert. Für die meisten MigrantInnen überwiegen die Nachteile der Slums, der Kriminalität und der Überausbeutung die Vorzüge des Stadtlebens bei weitem. Verantwortlich ist vielmehr die Unfähigkeit des Kapitalismus, ein Minimum an würdigem Leben auf dem Land zu bieten. Das Ausbleiben und Scheitern von Landreformen hat die Arbeitslosigkeit in den Dörfern und Landlosigkeit verstärkt. Die Kluft zwischen Einkommen, Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Kommunikation dort und dem in den Städten verfügbaren ist oft enorm. Darüber hinaus sind die LandbewohnerInnen von der Zerstörung der ländlichen Umwelt durch Industriezweige wie Holzwirtschaft, Bergbau sowie durch Monokulturen und andere wirtschaftliche Aktivitäten betroffen, die zu Überschwemmungen oder zur Auslaugung des Bodens führen. Zugleich konzentriert der Kapitalismus unermüdlich Landbesitz in den Händen einer wohlhabenden Elite oder des internationalen Agrobusiness. Von China und Bengalen bis Südamerika und Afrika werden Bauern/Bäuerinnen und indigene Gemeinschaften vom besten Land vertrieben und müssen in die Slums der Städte wandern.

Das Leben auf den Plantagen, auf denen Zucker, Kaffee, Tee, Baumwolle, Sisal, Gummi, Tabak und Bananen erzeugt werden, reproduziert viele der Merkmale der Sklaverei und von unfreien Vertragsarbeitsverhältnissen. PlantagenarbeiterInnen werden oft in Schuldknechtschaft gezwungen. Eine Revolution auf dem Lande, angeführt vom Proletariat, den landlosen Bauern/Bäuerinnen oder kleinen LandbesitzerInnen, bleibt immer noch eine mächtige Verbündete der städtischen ArbeiterInnenschaft und diese ist wiederum eine unverzichtbare Unterstützung für ihre Schwestern und Brüder auf dem Land.

• Enteignung der OligarchInnen, ehemals kolonialer Plantagen und des multinationalen Agrobusiness unter Kontrolle von ArbeiterInnen, armen BäuerInnen und LandarbeiterInnen!

• Das Land denen, die es bebauen!

• Abschaffung der Pachtrente und Streichung aller Schulden der armen BäuerInnen!

• Kostenlose Kredite für den Kauf von Maschinen und Dünger; Anreize, um die SubsistenzbäuerInnen zu ermutigen, freiwilligen Produktions- und Vermarktungsgenossenschaften beizutreten!

• Freier Zugang zu Saatgut, Abschaffung aller Patente in der Landwirtschaft!

• Modernisierung des ländlichen Lebens. Volle Elektrifizierung, Internetzugang und moderne städtische Einrichtungen. Stopp der Abwanderung der Jugend aus dem ländlichen Raum durch die Förderung kreativer und kultureller Aktivitäten.

• Gegen die Armut auf dem Land; Einkommen, Zugang zu Gesundheit, Bildung und Kultur an die Städte angleichen! Dies allein kann die pathologische Form der Verstädterung des Kapitalismus verlangsamen und umkehren und den Weg zu dem im Kommunistischen Manifest festgelegten Ziel ebnen: „Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land.“




Die Green New Deals. Programm zur Rettung des Klimas oder des Kapitalismus?

Martin Suchanek, Revolutionärer Marxismus 54, Dezember 2021

In der Not verspricht auch die bürgerliche Politik Rettung für die Menschheit und den Planeten. Längst können selbst große Teile der herrschenden Klassen die Krise des Kapitalismus und die drohende ökologische Katastrophe nicht mehr ignorieren. Zu augenscheinlich mehren sich jährlich die Auswirkungen der Umweltkrise, vor allem des Klimawandels, in Form von Extremwetterlagen. Die wichtigsten kapitalistischen Mächte,  ob nun die USA unter Biden, die EU unter der Kommissionsvorsitzenden von der Leyen oder das aufstrebende China, bekennen sich zum Klimaschutz. Alle wollen erklärtermaßen nicht nur die Welt retten, sondern beanspruchen auch noch eine führende Rolle bei der ökologischen Runderneuerung des Kapitals.

Die Realität straft diese Behauptungen Lügen. Bei den Weltklimagipfeln kommt regelmäßig wenig mehr als heiße Luft heraus. Nichts gewesen außer Spesen und viel Blabla. Die Gipfel dienen mittlerweile allenfalls als Foren dafür, die eigenen Anstrengungen schönzureden, eine Reihe unverbindlicher Erklärungen abzugeben und ansonsten die Schuld für das weitere Voranschreiten der Katastrophe bei der Konkurrenz im Kampf um die Neuaufteilung der Welt zu suchen. Wie unlängst im November 2021 in Glasgow besteht der gemeinsame Nenner dieser Umweltpolitik darin, Meeting für Meeting dieselben Ziele und Absichten zu formulieren – und ansonsten möglichst keine konkreten Verpflichtungen einzugehen.

Zugleich konstatieren die Berichte des Weltklimarates IPCC regelmäßig die Verschlechterung der Lage und ein Zurückbleiben hinter den selbst gestellten, ohnehin moderaten Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens aus dem Jahr 2015. Nachdem die Emissionen 2020 infolge von Corona und globaler Rezession zeitweilig zurückgingen, werden sie 2021 wieder das Vorkrisenniveau erreichen. 2022 droht, einen neuen Höchstwert des CO2-Ausstoßes mit sich zu bringen. Eine Zusammenfassung des IPCC-Berichts aus dem Jahr 2021 bringt das folgendermaßen auf den Punkt:

„Die globale Oberflächentemperatur wird bei allen betrachteten Emissionsszenarien bis mindestens Mitte des Jahrhunderts weiter ansteigen. Eine globale Erwärmung von 1,5 °C und 2 °C wird im Laufe des 21. Jahrhunderts überschritten werden, es sei denn, es erfolgen in den kommenden Jahrzehnten drastische Reduktionen der CO2– und anderer Treibhausgasemissionen.“[i]

Diese und ähnliche Schlussfolgerungen werden mittlerweile durch beachtliche Fortschritte der Klimaforschung und durch Untersuchungen weiterer ökologischer Krisenprozesse so gut untermauert, dass sie über jeden ernst zu nehmenden Zweifel erhaben sind. Betrachtet man darüber hinaus nicht nur den Klimawandel, auf den sich die bürgerliche Umweltpolitik konzentriert, sondern weitere ökologische Krisenprozesse, so kann die aktuelle Gefahr kaum überschätzt werden. Parallel zum Klimawandel nehmen auch die Versauerung der Ozeane, die sinkende biologische Vielfalt, der Eintrag von Stickstoff und Phosphor in die Biosphäre, die Gefährdung der Ozonschicht, die Übernutzung von Land und Trinkwasser sowie die Verschmutzung durch Nanomaterialien und Mikroplastik kritische Ausmaße an. In der 2009 veröffentlichen Studie über die „Belastungsgrenzen des Erdsystems“ untersuchte der Agrarwissenschafter Johan Rockström diese verschiedenen Subsysteme und ihren Zusammenhang.

„Laut dieser Bestandsaufnahme der ökologischen Krise sind nur zwei von sieben Belastungsgrenzen noch nicht überschritten (nämlich die Süßwasser-Regeneration und Aufnahmefähigkeit der Ozeane für Kohlendioxid). Die Probleme sind zudem miteinander verbunden.“[ii]

Die wechselseitige Verbundenheit der oben benannten Phänomene erfordert nicht nur rasches, sondern vor allem auch planmäßiges, vorausschauendes Handeln, um den Stoffwechsel von Mensch und Natur und die Reproduktion des Erdsystems so zu organisieren, dass die Reproduktion der Menschheit dauerhaft und nachhaltig möglich ist. Das Fortschreiten nicht nur des Klimawandels, sondern auch aller anderen ökologischen Krisenphänomene droht letztlich, die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit selbst zu zerstören.

Auf einen rationalen, vernünftigen Umgang durch die herrschende Klasse kann jedoch keinesfalls gerechnet werden, weil der eigentliche Zweck kapitalistischen Wirtschaftens, nämlich möglichst hohe Profite zu erzielen, nicht in Frage gestellt wird und von Kapitalseite auch nicht in Frage gestellt werden kann. Unabhängig davon, was einzelne UnternehmerInnen, AktionärInnen, ManagerInnen oder deren politische SprecherInnen auch wollen, sorgen die Zwangsgesetze der Konkurrenz dafür, dass sie bei Strafe des eigenen Zurückbleibens und Untergangs gezwungen sind, eben diesen Folge zu leisten, sich als Personifikationen des Kapitals zu verhalten.

Während zur Zeit die meisten Regierungen der Erde die Gefahr als solche durchaus anerkennen, ist das keineswegs bei allen der Fall. Die Leugnung des Klimawandels oder anderer ökologische Gefahren durch die Trumps und Bolsonaros dieser Welt ist zwar irrsinnig, hat aber nachvollziehbare systemische Ursachen. Angesichts der aktuellen strukturellen Krise des Kapitalismus, der verschärften Konkurrenz und des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen den Großmächten stellen sie eine mögliche Rechtfertigung dafür dar, sich der Kosten des Klimawandels zumindest kurzfristig zu entziehen. Die aktuelle Weltlage bringt solche Formen des Irrationalismus durchaus folgerichtig hervor, sowohl bei einem Flügel des Kapitals als auch in Form reaktionärer kleinbürgerlich-populistischer Parteien und Bewegungen.

Vom Standpunkt der Konzerne und Nationalökonomien, die um ihre Stellung auf dem Weltmarkt fürchten, oder der Kleinunternehmen, die im Konkurrenzkampf zu unterliegen drohen, erscheint der Klimawandel als Ursache für ihren drohenden Niedergang oder Ruin. Sobald dieser oder der menschliche Einfluss auf ihn geleugnet wird, erscheint jede Anstrengung zur Abwendung der drohenden ökologischen Katastrophe als das  eigentliche Problem. Selbst die unzureichenden Pläne der Klimakonferenzen werden dann zum Anschlag, zur regelrechten Verschwörung gegen die „eigene“ Wirtschaft, Nation, den kleinen Laden oder den Arbeitsplatz verkehrt. Gerade weil sich die vorherrschende bürgerliche Klimapolitik als unfähig erweist und erweisen wird, auch nur eines der großen ökologischen Probleme zu lösen, werden früher oder später weitere reaktionäre bürgerliche und kleinbürgerliche Bewegungen auf den Plan treten, die die drohenden Katastrophen leugnen und mit nationalistischen, chauvinistischen und populistischen Lösungen reaktionär verknüpfen.

Das Versprechen des Green (New) Deal

Zur Zeit erkennen jedoch die vorherrschenden politischen Kräfte das Problem als solches an. Die EU-Kommission und alle Parteien, die sie tragen (Konservative, Liberale, Grüne und Sozialdemokratie), vertreten ein Programm des Green Deal. Biden verspricht das größte Klimaschutzprogramm der Geschichte im Umfang von zwei Billionen US-Dollar. Sowohl die EU als auch die USA, also die beiden (noch) größten Wirtschaftsregionen der Welt, haben sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein. China will dies 2060 erreichen, Indien 2070. Eine Klimapolitik, die ökologisch und ökonomisch nachhaltig sein will, versprechen heutzutage unter dem Titel Green Deal, Green New Deal oder einem ähnlichen Öko-Label fast alle.

Sicherlich sind die EU-Mächte wie Deutschland und Frankreich oder die USA nicht aus reinen Vernunftgründen zu dieser Einsicht gelangt, sondern wegen der kaum zu leugnenden Auswirkungen der ökologischen Krisen, vor allem aber aufgrund des politischen und gesellschaftlichen Drucks von Massenbewegungen und linker VertreterInnen einer sozialökologischen Transformation.

Es bedurfte langer, erbitterter Kämpfe vor allem jugendlicher und lohnabhängiger AktivistInnen der Umweltbewegung in den imperialistischen Metropolen, von Bauern und Bäuerinnen, von Landlosen, von GewerkschafterInnen und Indigenen in den halbkolonialen Ländern, um die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, die „ökologische Frage“ überhaupt ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zu rücken. Über Jahrzehnte bekämpften viele, die heute den Green Deal versprechen, diese Bewegungen und in zahlreichen Ländern werden Bauern und Bäuerinnen und indigene Völker, die sich gegen Landraub und Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen wehren, weiter mit brutaler Gewalt unterdrückt, vertrieben oder gar ermordet.

Selbst die Ideen des Green Deal (GD) und der ökologischen Modernisierung der Wirtschaft, der sich USA und EU mit milliardenschweren Programmen verschrieben haben, gehen ursprünglich auf radikalere Programme aus dem kleinbürgerlichen oder reformistischen Flügel der Umweltbewegung zurück. So wurden erste Vorschläge für einen Green New Deal (GND) 2007/2008 in Britannien von der Green New Deal Group veröffentlicht, der VertreterInnen von NGOs, eine grüne Abgeordnete und später auch einige der Labour Party angehörten. Ähnliche Vorstellungen wurden auch in anderen grünen Parteien in Europa entwickelt und zur Klimakonferenz in Dänemark 2009 einer größeren Öffentlichkeit präsentiert.

In den letzten Jahren wurde der GND von zahlreichen linken Kräften aufgegriffen und popularisiert. Die britische Labour Party machte ihn 2019 zu einem Bestandteil des Wahlprogramms. Linke demokratische US-amerikanischen PolitikerInnen wie Bernie Sanders und Alexandra Ocasio-Cortez (AOC) griffen ihn ebenfalls auf. Schließlich fordern auch die Parteien der europäischen Linkspartei einen Green New Deal, der sich durch eine stärkere Betonung der sozialen Frage und globaler Klimagerechtigkeit vom Green Deal der EU-Kommission abheben soll.

Im folgenden Artikel wollen wir uns mit verschiedenen Konzepten des GD und GND auseinandersetzen und diese einer Kritik unterziehen. Auch wenn die verschiedenen Ansätze selbst noch eine bunte Bandbreite unterschiedlicher Theorien, AutorInnen und Schwerpunkte inkludieren, so werden wir uns mit drei Hauptströmungen befassen bzw. mit AutorInnen, die für diese stehen. Zwischen ihnen existiert natürlich eine Reihe von Überschneidungen, Übergängen und Zwischenstufen. Dennoch macht unserer Meinung nach eine Unterscheidung Sinn, weil sie auf verschiedene soziale Kräfte zur Umsetzung des Green (New) Deal verweist.

1. Großkapitalistischer Green Deal

Hier handelt es sich um das Programm und die politische Strategie von Kräften der herrschenden Klassen wie der EU-Kommission, der Biden-Administration oder den Grünen. Auch die Versprechen ökologischer Erneuerung, wie sie der chinesische Imperialismus proklamiert, gehören letztlich zu dieser Form von Umweltpolitik.

Darüber hinaus steht auch der Mainstream der europäischen Sozialdemokratie sowie der Gewerkschaften in den imperialistischen Zentren auf dem Boden dieses Programms, ebenso wie die etablierten, bürgerlichen Umweltverbände, also BUND oder NABU in Deutschland, Oxfam oder Greenpeace auf internationaler Bühne.

Als AgentInnen des ökologischen Wandels fungieren beim GD Regierung und bürgerlicher Staat, die mithilfe von Konjunkturprogrammen, Steuerpolitik und Bepreisung (Emissionshandel, CO2-Bepreisung) ökologisch schädlicher Technik, Produkte oder Verhaltens eine Veränderung der Lebensweise der Menschen und eine stoffliche Erneuerung des Kapitals anstreben. Letzteres stellt ein zentrales Ziel dar, weil das ökologisch modernisierte Kapital auch konkurrenzfähiger sein soll als die fossile Abteilung.

Die Programme der EU oder USA (aber auch Chinas) sind daher wesentlich solche zur Erneuerung des Gesamtkapitals einer imperialistischen Nation oder eines imperialistischen Blocks.

2. Linksbürgerlicher und radikal kleinbürgerlicher GND

Zur Linken des Programms des Großkapitals finden sich VertreterInnen aus bürgerlichen Parteien wie  US-DemokratInnen (z. B. Sanders, AOC), AnführerInnen von politisch kleinbürgerlichen Massenbewegungen wie Fridays for Future (Greta Thunberg) oder AutorInnen wie Naomi Klein.

Sie betrachten soziale Bewegungen als notwendigen Bestandteil zur Durchsetzung eines GND, der nicht nur ökologisch nachhaltiges Wirtschaften gewährleisten, sondern auch soziale Gerechtigkeit herbeiführen soll. Das schließt auch eine diffus antikapitalistische Zielsetzung ihrer Politik ein, die jedoch nicht wirklich an die Wurzeln des Systems geht, sondern Antikapitalismus auf einen Bruch mit dem Neoliberalismus reduziert. Die Zielsetzung dieser Spielart des GND besteht darin, den Staat darauf zu verpflichten, eine regulierte, sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Marktwirtschaft weltweit durchzusetzen.

Als zentrale Akteurin des GND gilt dieser Strömung eine Bewegung, die sich auf verschiedene Communities (Gemeinschaften) stützt, auf Gewerkschaften, Bauern-/Bäuerinnenschaft, aber auch „aufgeklärte“ bürgerliche Schichten und die eine andere, soziale und demokratische staatliche Politik durchsetzt.

Der GND soll also von eine Allianz scheinbar gleichberechtigter Klassenkräfte verwirklicht werden, die sich gegen das „fossile Kapital“ zusammenschließen, Druck auf die Staaten und Regierungen ausüben und ihrerseits ökologisch orientierte Regierungen an die Macht bringen. Die Triebkraft diese Politik sind daher nicht Klassen – und somit natürlich auch nicht die Lohnabhängigen –, sondern „das Volk“, „die“ Community oder „die“ Menschen. Daher trägt diese Politik einen (links)populistischen Charakter, der die gegensätzlichen Klasseninteressen diese Allianz verschleiern soll – und somit auch den eigentlich bürgerlichen Charakter dieses Programms.

3. Reformistische Transformationsstrategie

Der kleinbürgerlich-radikale GND weist viele Gemeinsamkeiten mit der reformistischen Strategie bürgerlicher ArbeiterInnenparteien auf. Dennoch unterscheidet er sich davon, auch wenn sich eine ganze Reihe der erhobenen Forderungen deckt. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch im Verhältnis eines Green New Deal zur organisierten ArbeiterInnenbewegung. Organisationen wie Labour unter Corbyn, die Democratic Socialists of America (DSA) oder die Europäische Linkspartei verknüpfen den GND mit einer sog. Transformationsstrategie, also einem Konzept des graduellen Übergangs zu einer „anderen“ Gesellschaft.

Das zentrale gesellschaftliche Subjekt der Veränderung bildet für diese Strömung die Klasse der Lohnabhängigen. Sie setzt auf eine Politik der Mobilisierung der Gewerkschaften und der ArbeiterInnenklasse, um eine Reformregierung durchzusetzen, die, gestützt auf diese Kräfte und im Bündnis mit den Mittelschichten, ein linkskeynesianisches Programm, einschließlich einer Reihe von Verstaatlichungen in Kernsektoren (Energie, Transport/Verkehr, Gesundheit, … ) durchsetzt, um so eine sozialökologische Transformation zu einer anderen Wirtschaftsordnung in Gang zu bringen.

Wir sehen also, dass der GD bzw. der GND zum Programm verschiedener Klassenkräfte geworden sind. Grundlegend gehen jedoch alle von der Vorstellung aus, dass auch unter kapitalistischen Bedingungen eine staatliche Politik möglich sei, die ein ökologisch nachhaltiges Wirtschaften erzwingen könne. Offen oder implizit beziehen sich der GD und noch mehr der GND auf die Politik F. D. Roosevelts in den 1930er Jahren und dessen New Deal, weil sie als Beweis für die Machbarkeit einer solchen Reformpolitik auch unter kapitalistischen Bedingungen gilt.

Der New Deal

Bevor wir uns mit der Interpretation der Politik Roosevelts und des New Deal beschäftigen, wollen wir deren Ursachen, Verlauf und Durchsetzung betrachten.

Der Börsencrash von 1929, die darauf folgende tiefe Rezession der US- und Weltwirtschaft hatten den US-Kapitalismus erschüttert wie keine andere ökonomische Krise davor und danach. Von 1929 bis 1933 halbierte sich das BIP der USA nahezu, von 103,6 Mrd. US-Dollar auf 56,4 Mrd. Selbst wenn wir eine inflationsbereinigte Rechnung zugrunde legen, so brach es um von 1929 auf 1933 um rund 25 % ein.[iii]

Infolge der Finanzkrise mussten 9 490 Banken – 40 % des gesamten Sektors – Insolvenz anmelden und schließen. Die Industrieproduktion halbierte sich in diesem Zeitraum und die Landwirtschaft erfasste ebenfalls eine tiefe Krise, Export und Investitionen brachen ein.

Die sozialen Auswirkungen waren verheerend. Die Einkommen der FarmerInnen sanken um rund 70 %, Millionen Betriebe mussten aufgeben. Die Massenarbeitslosigkeit traf die Lohnabhängigen mit voller Wucht. Die Arbeitslosenrate stieg von 3 % 1929 auf 24,9 % 1933 – und das ohne öffentliche Arbeitslosen-, Rentenversicherung und soziale Absicherung. Nur ein Prozent der ArbeiterInnen und Angestellten hatte eine private Versicherung abgeschlossen. Aufgrund des Zusammenbruchs der Banken verloren viele obendrein noch ihre restlichen Ersparnisse.

Auch die Organisationen der ArbeiterInnenklasse wurden Ende der 1920er Jahre und während der großen Depression in eine tiefe Krise gestürzt . Die Gewerkschaften organisierten Ende der 1920er Jahre nur noch rund 2 Millionen Lohnabhängige (gegenüber rund 4 Millionen nach der großen Streikwelle 1919), was nur rund 6 % der Beschäftigten entsprach. Zu diesem Zeitpunkt hatte die AFL-Bürokratie ihre Kontrolle über die gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen sogar noch ausgebaut und hielt hartnäckig an ihren reaktionären, berufsständischen Prinzipien fest. Auch deshalb trafen die sozialen Auswirkungen die Lohnabhängigen mit voller Wucht.

Auch wenn es schon 1932 zu wichtigen gewerkschaftlichen Kämpfen kam, so drückten sich Frustration, Wut und Empörung, aber auch die Desillusionierung von Millionen bis 1933 weniger in ArbeiterInnenkämpfen als vielmehr in lokalen Unruhen und einer Abwendung vom etablierten System aus.

Die Politik des amtierenden US-Präsidenten Herbert C. Hoover hatte sich nicht nur als vollkommen unfähig erwiesen, die Lohnabhängigen und die kleinbürgerlichen Massen vor Not, Elend und Ruin, vor Armut und Hunger zu bewahren, sondern konnte auch die herrschende Klasse nicht zufriedenstellen.

Dem Wahlsieg Roosevelts 1933 lagen also  eine grundlegende politisch-ökonomische Krise und die Unzufriedenheit aller Klassen zugrunde. Anders als Hoover erblickten er und seine BeraterInnen im Brain Trust, einer Gruppe von Wirtschafts- und RechtswissenschaftlerInnen, die maßgeblich den New Deal und seine Ausrichtung beeinflussten, die Ursachen für die Depression nicht in den Verhältnissen außerhalb der USA, sondern in inneren Problemen und Ungleichgewichten.

Die Monopolisierung der US-Wirtschaft und stagnierende Löhne hätten in den 1920er Jahren ein ökonomisches Ungleichgewicht – eine Art chronischer Unterkonsumtion – geschaffen, die durch staatliches Handeln ausgeglichen werden müsse. Der New Deal sollte Abhilfe schaffen. Erstmals verwandte Roosevelt diesen Begriff am 2. Juli 1932 in seiner Nominierungsrede: „Aus der ganzen Nation schauen Männer und Frauen auf uns, die von der politischen Philosophie der Regierung vergessen wurden, um Führung und eine gerechtere Chance auf einen Anteil am nationalen Wohlstand zu bekommen. Ich verpflichte mich zu einer Neuverteilung der Karten für das amerikanische Volk. Das ist mehr als eine politische Kampagne. Das ist ein Ruf zu den Waffen.“[iv]

Der New Deal selbst durchlief mehrere Phasen. Nach der Wahl zur ersten Präsidentschaft war Roosevelts Politik vor allem auf eine unmittelbare Stabilisierung der Wirtschaft und der sozialen Lage gerichtet. Dies umfasste eine Banken- und Finanzreform und die Abwertung des US-Dollar sowie Maßnahmen zur Stabilisierung der Agrarproduktion. Zur Bekämpfung der Deflation und Stabilisierung der Kaufkraft diente vor allem die National Recovery Administration (NRA), ein korporatistisches Projekt, das die Unternehmen auf einen Verhaltenscode verpflichten und Arbeit und Kapital zur Zusammenarbeit bringen sollte. Zu dem Maßnahmenkatalog der NRA gehörten außerdem auch Reformen, die die Rechte der LohnarbeiterInnen erweiterten – Mindestpreise und Mindestlöhne, gewerkschaftliche Organisationsrechte, die 40-Stunden-Woche und Ähnliches. Diese gingen naturgemäß vielen Unternehmen zu weit und wurde auf verschiedene Weise bekämpft. 1935 wurde die NRA vom Verfassungsgericht kassiert.

In den ersten Monaten erfreuten sich die Präsidentschaft Roosevelts und der New Deal unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise zwar einer breiten Zustimmung. Dies änderte sich jedoch bald. Einerseits betrachteten Teile der herrschenden Klasse den GND als Angriff auf ihre Privilegien, andererseits ermutigte die Politik Roosevelts auch die ArbeiterInnenklasse. Teils durch den Präsidenten und die mit ihm verbündeten Gewerkschaften vorangetrieben, vor allem durch den neu entstandenen Congress of Industrial Organizations (CIO), teils durch Bewegung von unten stiegen sowohl der Organisationsgrad wie auch die Zahl der Streiks und Arbeitskämpfe massiv. In den Jahren 1933 – 37 vervielfachte sich die Mitgliedschaft der Gewerkschaften von 2 auf 7 Millionen.

Dieses Wachstum war selbst ein Resultat der neuen Gesetze, die die Organisierung der Beschäftigten erleichterten, als auch von Arbeitskämpfen zu deren Durchsetzung auf betrieblicher Ebene. Allein 1934 traten 1,5 Millionen Lohnabhängige in den Streik, oft um ihre neue gewonnenen, legalen Möglichkeiten gegen den Widerstand von UnternehmerInnen, StreikbrecherInnen, bewaffnete Schlägergruppen und Polizeikräfte durchzusetzen. In Städten wie San Francisco, Minneapolis und Toledo kam es zu lokalen Generalstreiks.

Der Widerstand des Kapitals gegen den New Deal und die Aufhebung des NRA durch das Verfassungsgericht entfachten den Kampfeswillen der Lohnabhängigen. In den Jahren 1935 – 37 ergriffen die Kämpfe weitere zentrale Industriesektoren, und der Sitzstreik (Sit In) geriet zu einer besonders effektiven und dynamischen Kampfform.

Roosevelt selbst beunruhigten diese Entwicklungen. Nachdem das NRA aufgehoben worden war, versuchten er und seine Administration durch eine Reihe weiterer Reformen, der wachsenden Militanz der ArbeiterInnenklasse und auch der Entstehung populistischer Strömungen Rechnung zu tragen.

Eine Schlüsselrolle spielte dabei der Wagner Act von 1935. Mit ihm wurde den ArbeiterInnen erneut das Recht zugestanden, Gewerkschaften zu bilden und Löhne und Arbeitsbedingungen kollektiv zu verhandeln. Das Streikrecht wurde anerkannt und Lohnabhängige durften nicht mehr wegen einer Gewerkschaftsmitgliedschaft entlassen werden.

Doch auch nach der Verabschiedung des Gesetzes gingen die Kämpfe weiter, teilweise in brutaler und blutiger Form, bei der etliche ArbeiterInnen von der Polizei getötet wurden. Doch der Wagner Act umfasste nicht nur eine Reihe von Garantien für die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten. Mit ihm wurde auch das National Labour Relations Board eingeführt, das bei Arbeitskämpfen vermitteln sollte und diese Funktion auch immer mehr ausübte, nachdem sich die Einzelunternehmen mit der neuen Gesetzeslage abgefunden hatten.

Ab 1935 wurde zudem eine Reihe weiterer Gesetze eingeführt, die die Lage der ArbeiterInnenklasse verbessern sollten – so eine Sozial- und Rentenversicherung, ein Mindestlohn und das Verbot der Kinderarbeit für alle unter 16, das allerdings nicht für die schwarze Bevölkerung der Südstaaten galt.

Dass die Verbesserungen des New Deal Stückwerk blieben, verdeutlichen jedoch gerade dessen Beschränkungen und Grenzen. Der Social Security Act blieb selbst hinter den meisten damals bereits bestehenden europäischen Regelungen zurück, was unter anderem auf die Intervention des damaligen Finanzministers Hans J. Morgenthau zurückzuführen ist. So blieben LandwirtInnen, Hausangestellte und Selbstständige von der Renten- und Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen. Dies bedeutete, dass gerade die ärmsten und unterdrücktesten Schichten der Lohnabhängigen nichts von den Segnungen des New Deal abbekamen. Diese Exklusion trug darüber hinaus einen eindeutig rassistischen Charakter. 65 % aller Schwarzen waren von der Sozialversicherung faktisch ausgeschlossen, in den Südstaaten sogar 70 – 80 %.

Neben diesen beinhaltete der New Deal der 1930er Jahre auch eine Reihe von Infrastruktur- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Diese waren ursprünglich eigentlich eine Antwort darauf, dass die Arbeitslosigkeit trotz BIP-Wachstums weiter sehr hoch blieb. In den 1930er Jahren sank sie nie unter 14 % und nie unter die absolute Zahl von 10 Millionen. Roosevelt und die Mitglieder des Brain Trusts machten aus dieser Not eine Tugend.

1935 wurden mit der Emergency Relief Appropriation Bill erstmals Milliarden US-Dollar für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verwandt. Die Projekte wurden dabei auf Anweisung Roosevelts so konzipiert, dass sie arbeitsintensiv und langfristig sinnvoll sein sollten. Innerhalb weniger Jahre wurden so wichtige Infrastrukturprojekte in Gang gebracht, darunter eine Million Kilometer Autobahnen und Straßen, 77.000 Brücken, Bewässerungssysteme, die Elektrifizierung ländlicher Regionen und öffentliche Gebäude und Erholungseinrichtungen wie Schwimmbäder oder Parks.

Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren weit davon entfernt, ein Wohlfahrtsprogramm für die Lohnabhängigen darzustellen. Roosevelt persönlich bestand vielmehr darauf, dass die ArbeiterInnen bei diesen Projekten schlechter bezahlt werden mussten als jene in der Privatwirtschaft.

Auch wenn die Infrastrukturprojekte gegen den Widerstand einzelner Kapitalgruppen durchgesetzt wurden, entsprachen sie insgesamt den längerfristigen Interessen der besitzenden Klasse. Der Staat agierte als ideeller Gesamtkapitalist und leistete einen massiven Anschub zur Erneuerung der allgemeinen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen in den USA, also essentieller Voraussetzungen für eine anhaltende erweiterte Reproduktion des nationalen Gesamtkapitals.

Dennoch führte der New Deal während der 1930er Jahre keineswegs zu einer Wiederherstellung eines dynamischen, expansiven Gleichgewichts der US-Ökonomie. Nicht nur die Arbeitslosigkeit blieb chronisch hoch. Die Maßnahmen des New Deal wurden durch eine Erhöhung der Staatsverschuldung erkauft. Wie sehr die US-Wirtschaft auf die staatliche Nachfrage angewiesen war, verdeutlicht die reale Entwicklung. Nachdem Roosevelt 1936 das Haushaltsdefizit etwas senken konnte, schlitterte die Wirtschaft 1937 in eine Krise.

Der Grund dafür liegt im Charakter des New Deal selbst begründet. Damit er als Programm funktionieren konnte, bedurfte es nicht nur der Erneuerung der Infrastruktur des US-Kapitalismus. Um ein neues Akkumulationsregime samt höherer Profitraten und einer Neujustierung des Verhältnisses zwischen den Klasse etablieren zu können, mussten nicht nur innere, sondern vor allem äußere Bedingungen geschaffen werden, die eine Überwindung der strukturellen Krise des US-Kapitalismus erlaubten: Der New Deal hatte letztlich nur Aussicht auf Erfolg als Bestandteil eines umfassenderen Programms zur Neuordnung der Welt.

In seiner Schrift „Marxismus in unserer Zeit“[v] unterzieht Trotzki den New Deal einer Analyse. Er verweist dabei auf den aristokratischen Charakter dieser Politik, die im Grunde nur für reiche, imperialistische Nationen möglich ist.

„Die Politik des New Deal, die die imperialistische Demokratie durch Bestechung der Arbeiter- und Farmer-Aristokratie zu retten sucht, steht im großen Stil nur den sehr reichen Nationen offen; in diesem Sinn ist sie die amerikanische Politik par excellence. Die amerikanische Regierung hat versucht, einen Teil der Kosten dieser Politik auf die Schultern der Monopolisten abzuladen, indem sie diese ermahnte, die Löhne zu erhöhen und die Arbeitszeit zu verkürzen und so die Kaufkraft der Bevölkerung zu heben und die Produktion zu erweitern.“[vi]

Trotzki berührt hier einen entscheidenden Punkt bezüglich des Klassencharakters des New Deal, der versucht, die oberen aristokratischen Schichten der ArbeiterInnenklasse zu integrieren, nicht jedoch die Gesamtheit der Lohnabhängigen. Auch ließ der New Deal die Jim-Crow-Gesetze, also die Politik der sog. Rassentrennung, unberührt. Der Ausschluss der schwarzen Massen stellte den politischen Preis für die Unterstützung des New Deal durch die demokratischen Abgeordneten aus den Südstaaten dar. Doch die Bedeutung dieses Ausschlusses ist weit grundlegender.

Die Politik der Klassenzusammenarbeit, des Korporatismus, wie sie der New Deal einleitet und wie sie den westlichen Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg prägen wird, entspricht einer Politik der Integration der ArbeiterInnenaristokratie in den imperialistischen Staat. Sie kann ihrer eigenen Natur nach nicht auf die gesamte Klasse der Lohnabhängigen ausgedehnt werden, sondern setzt vielmehr eine imperiale und rassistische Spaltung der Arbeitskraft im Inneren wie erst recht auf globaler Ebene voraus und reproduziert diese, wenn auch in unterschiedlichen Formen.

Auch auf diesen Zusammenhang verweist Trotzki schon 1939: „Natürlich sind die sich auftürmenden Staatsschulden eine Hypothek für die Nachwelt. Aber der New Deal selbst war nur möglich auf Grund des von den früheren Generationen aufgehäuften Reichtums. Nur eine sehr reiche Nation kann sich eine solche Politik der Verschwendung erlauben. Aber auch eine derartige Nation kann nicht unbegrenzt fortfahren, auf Kosten vergangener Generationen zu leben. Die New Deal-Politik mit ihren eingebildeten Großtaten und ihrem sehr realen Steigen der Staatsschulden ist unvermeidlich dazu verurteilt, in wilder kapitalistischer Reaktion und in einer verheerenden Explosion des Imperialismus zu gipfeln.“[vii]

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, also durch den Sieg über die imperialistischen RivalInnen, die Vernichtung überschüssigen Kapitals, die Etablierung hoher Ausbeutungs- und Profitraten, die Neuordnung des Weltmarktes und des Weltwirtschaftssystems unter Vorherrschaft der USA, des US-Dollar und des Bretton-Woods-Systems, können die Maßnahmen des New Deal Teil eines Ganzen werden, das eine dynamische Expansion des Kapitalismus über mehrere Zyklen erlaubt – und somit auch eine stabile Integration der ArbeiterInnenaristokratie und sogar breiterer Schichten der ArbeiterInnenklasse in den imperialistischen Zentren. Hier wird deutlich, dass der New Deal eine Politik im Interesse der herrschenden Klasse war, die jedoch einzelnen konkurrierenden Kapitalen selbst aufgezwungen werden musste:

„Die artikulierte Mehrheit der amerikanischen Großbürger schrie Zeter und Mordio über Roosevelts ,New Deal’; sogar Trumans ‚Fair Deal’ wurde mit nicht wenig Geschrei über ‚schleichenden Sozialismus’ beantwortet. Aber kein objektiver Beobachter der Entwicklung der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft der letzten 35 Jahre könnte heute bestreiten, daß sich in dieser Epoche die Akkumulation des Kapitals erweitert und nicht eingeschränkt hat; daß die amerikanischen Großkonzerne unvergleichbar reicher und mächtiger geworden sind, als sie in den zwanziger Jahren waren; daß die Bereitschaft anderer Gesellschaftsklassen – hauptsächlich der Industriearbeiterschaft – die Herrschaft dieser Konzerne unmittelbar gesellschaftlich und politisch in Frage zu stellen, geringer geworden ist, als sie während und sofort nach der großen Wirtschaftskrise war.“[viii]

Vom Klassencharakter des New Deal wie auch von seinen historischen Voraussetzungen wollen die heutigen ParteigängerInnen dieser Politik aus verschiedenen Lagern – vom bürgerlichen Linksliberalismus bis zu den „demokratischen SozialistInnen“ in den USA oder in der europäischen Linkspartei – nichts wissen.

Vielmehr negieren die VertreterInnen des GND dessen Klassencharakter und stellen ihn vielmehr als Politik im Interesse der gesamten Gesellschaft oder gar der ArbeiterInnenklasse dar, an die es heute anzuknüpfen gelte.

Sie abstrahieren dabei nicht nur von den Krisen und Kämpfen der 1930er Jahre und vom imperialistischen Charakter der US-Politik im Zweiten Weltkrieg. Sie abstrahieren auch  davon, dass der Einbindung von Elementen des New Deal in die US-geführte Nachkriegsordnung  eine historisch einzigartige Kapitalvernichtung vorausgehen musste und ein Weltkrieg, der überhaupt erst eine neue Periode der Kapitalakkumulation im Weltmaßstab möglich machte.

Das überschüssige US-Kapital hätte ohne Krieg und Neuordnung der Welt auf Kosten der geschlagenen imperialistischen und verbündeten RivalInnen, ohne Sieg über den deutschen und japanischen Imperialismus und ohne Aufbrechen der britischen und französischen Kolonialreiche nie die erforderlichen Anlagegebiete gefunden. Nur durch Errichtung der US-Hegemonie im Krieg und in der unmittelbaren Nachkriegsperiode bis Ende der 1940er Jahre konnten die realen Bedingungen für die Expansion des Kapitalismus geschaffen werden.

Die VertreterInnen des GND müssen jedoch von diesen Voraussetzungen absehen, weil sie mit dem Bezug auf den New Deal zeigen wollen, dass eine solche Politik voraussetzungslos sei, dass sie unabhängig von der Akkumulationsdynamik des Kapitals und der internationalen Ordnung gewissermaßen jederzeit durchgeführt werden könnte, wenn nur der politische Wille vorhanden wäre.

Die ApologetInnen des New Deal in der heutigen reformistischen und kleinbürgerlich-radikalen Linken interpretieren ihn darüber hinaus als eine quasi antikapitalistische Politik, weil sie sich auch gegen wichtige Monopole und Konzerne wandte. Sie übersehen dabei, dass der Widerspruch zwischen den kurzfristigen Profitinteressen der Einzelkapitale und den langfristigen des Gesamtkapitals selbst ein notwendiges Element der Kapitalbewegung darstellt, der in Krisenperioden offen und sichtbar als politische Krise der Bourgeoisie und der Gesellschaft, als innerer Konflikt des Kapitals hervortritt. Genau das meint beispielsweise Lenin, wenn er davon spricht, dass eine revolutionäre Krise davon gekennzeichnet sei, dass die Herrschenden nicht mehr so regieren könnten wie bisher.

Diese Lage führte überhaupt erst dazu, dass das Programm Roosevelts und des Brain Trusts zu einer staatlichen Politik werden konnte. Diese musste jedoch in langjährigen Kämpfen gegen den Widerstand von Einzelkapitalen durchgesetzt werden.

Aufgrund der Verelendung breiter Massen und der Lage der ArbeiterInnenklasse konnte sich Roosevelt dabei auf ein Bündnis mit den Gewerkschaften, genauer mit Teilen der Gewerkschaften und ihres Apparates stützen. Die ökonomische Lage erforderte drastische Maßnahmen, um überhaupt die Reproduktion der Lohnabhängigen zu sichern und somit auch eine ausreichend qualifizierte und arbeitsfähige ausgebeutete Klasse dem Kapital zur Verfügung zu stellen. Die Verringerung der Arbeitszeit und die Erhöhung der Löhne sollten letztlich durch andere Mittel zur Erhöhung der Profitrate (Produktivitätssteigerung, Verringerung der Kosten für Transport, Infrastruktur, Extraprofite auf dem Weltmarkt) ausglichen werden.

Insofern trugen die Klassenkämpfe der 1930er Jahre auch einen zwiespältigen Charakter. Einerseits drückten sie eine potentiell revolutionäre Erschütterung des US-Kapitalismus aus, eine Zunahme des Klassenkampfes, der deutlich machte, dass auch die „unten“ nicht mehr so leben wollten wie bisher.

Zugleich ordneten sich die Gewerkschaftsführungen in diesen Jahren faktisch immer der Führung Roosevelts und der Demokratischen Partei unter. Ihre teilweise überaus militant geführten Kämpfe bargen zweifellos das Potential, über die Grenzen des New Deal und einer Modernisierung des US-Kapitals hinauszugehen. Dies hätte aber eine Überwindung des vornehmlich nurgewerkschaftlichen Kampfes erfordert – und somit einen politischen Bruch mit den US-DemokratInnen und mit Roosevelt, den Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei, die sich auf die gewerkschaftliche und betriebliche Militanz stützt. Doch hätte eine solche Partei  nicht nur auf gewerkschaftlicher Ebene die US-Bourgeoisie bekämpfen müssen, sondern beispielsweise auch  den dem New Deal  inhärenten Rassismus. Sie hätte den New Deal als das betrachten müssen, was er war  – ein Programm zur Rettung des US-Imperialismus. Daher hätte eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei vor allem auch die US-amerikanische imperialistische Politik bekämpfen müssen. Genau dies taten die Gewerkschaften und vor allem ihre Führungen nicht. Spätestens mit dem Kriegseintritt wurden sie zu patriotischen Verteidigerinnen des demokratischen Imperialismus und seiner Weltmachtambitionen.

Und die heutigen ParteigängerInnen des ND wollen von all dem nicht nur nichts wissen. Sie stellen vielmehr die politische Unterstützung Roosevelts als vorbildlich hin. Sie behaupten nämlich, dass es möglich wäre, den bürgerlichen Staat zu Reformen für die ArbeiterInnenklasse zu nutzen und den Einfluss des Kapitals zurückzudrängen.

So wird der damalige Opportunismus auch heute gefeiert, während die Kritik am New Deal als „Sektierertum“ gebrandmarkt wird. Dafür reicht schon, den New Deal als bürgerliches Programm zur Rettung des Kapitalismus zu charakterisieren, wie es die TrotzkistInnen und RätekommunistInnen und sogar die stalinisierte KP in den 1930er Jahren taten.

Das Abfeiern des New Deal soll vor allem darauf einstimmen, dass seine grüne Neuauflage, sollte sie je verwirklicht werden, ähnliche Bündniskonstellationen erfordern wird.

Der bürgerliche GD/GND

Staats- und Regierungschefs wie Biden, von der Leyen, Scholz, Macron oder Xi eignen sich allerdings nicht gut als zeitgenössische Roosevelts. Das ficht die VertreterInnen des GND aber nicht oder nur bedingt an. Schließlich schwankte auch die US-Regierung in den 1930er Jahren und musste durch Gewerkschaften und Druck von unten zum Handeln gezwungen werden. Von den US-DemokratInnen, von der europäischen Sozialdemokratie oder den Grünen mag zwar keine konsequente sozialökologische Transformation erwartet werden. Aber wenn es eine linke Partei oder Bewegungen gäbe, die genügend gesellschaftlichen Druck entfalteten, könnten sie zum „vernünftigen“ Handeln gedrängt werden und der bürgerliche Staat zu einem Instrument sozialer und ökologischer Transformation mutieren.

Schließlich erkennen mittlerweile fast alle Regierungen und auch zahlreiche führende UnternehmensvertreterInnen die Realität der ökologischen Probleme an – und damit scheinbar auch die Notwendigkeit des Handelns. Vor diesem Hintergrund, so die Kalkulation der AnhängerInnen eines „echten“ Green New Deal, könnten auch die EU-Kommission, die Regierungen Deutschlands und der USA vom fossilen Saulus zum nachhaltigen Paulus mutieren. Wer lieber auf den chinesischen Imperialismus als alternatives Modell staatsinterventionistischer Politik setzt, kann seine Hoffnungen auf die Erneuerungspläne Pekings projizieren, auch wenn diese zur Zeit noch in den Kohlegruben des Landes lagern.

In diesem Abschnitt wollen wir daher kurz die proklamierten Klimaziele und Strategie der wichtigsten imperialistischen Regierungen oder Staatenbündnisse wie der EU sowie der Grünen skizzieren, um deren wesentliche Aspekte herauszuarbeiten.

USA

Zuerst betrachten wir das Programm der USA. Nach seiner Wahl zum Präsidenten verkündete Joe Biden bekanntlich eine Wende in der Klimapolitik. Auch auf diesem Gebiet wolle das Land nach den Jahren unter Trump wieder zum Vorreiter werden.

So verkündete er ein massives zwei Billionen US-Dollar schweres Programm, das  verschiedene Bereiche der US-Wirtschaft stimulieren und die Beschäftigung erhöhen soll. Einen damit verbundenen Teil bildet auch der „Clean-Energy Plan“. Insgesamt sah das Biden-Programm ursprünglich vor:

  • Die US-Infrastruktur soll massiv aufgebaut werden: Straßen und Brücken, Wasserversorgungssysteme, Strom- und Breitbandnetze sollen saniert oder verbessert werden.
  • Eine Million Jobs sollen in der Autoindustrie und bei ihren ZuliefererInnen geschaffen werden, dabei liegt der Schwerpunkt auf Elektroautos.
  • Alle Städte mit mehr als 100 000 Einwohnern sollen mit emissionsfreien öffentlichen Transportmitteln ausgestattet werden.
  • Millionen Arbeitsplätze sollen auch durch Investitonen in den Energiesektor geschaffen werden, der bis 2035 saubere Energie „made in America“ ohne Emissionen erreichen soll.
  • Investitionen in die energetische Sanierung von vier Millionen Gebäuden und der Bau von 1,5 „Millionen nachhaltigen“ Häusern und Wohnungen sollen zur Jobmaschine werden.[ix]

Auf den ersten Blick erscheint das ursprünglich geplante Programm Bidens sehr umfangreich. Rund die Hälfte der im sog. Recovery Act anvisierten 2 – 2,7 Billionen US-Dollar sollten zur Umrüstung der US-Wirtschaft auf Klimaneutralität verwendet werden. Die Summe erscheint jedoch schon deutlich geringer, wenn man bedenkt, dass die Ausgaben über 8 Jahre verteilt werden. Aufgrund des Widerstandes der RepublikanerInnen und der Konzession der neuen Administration ist mittlerweile die Hälfte schon kassiert, aus über zwei Billionen wurde eine. Ähnliches gilt, nebenbei bemerkt, für die Sozial- und Arbeitsbeschaffungsprogramme.

Vergessen wird zudem, dass der Umfang des Umweltprogramms weit hinter dem zurückbleibt, was ÖkonomInnen für notwendig halten, um eine Volkswirtschaft von der Größe der USA bis 2050 umzurüsten, nämlich rund 5 – 7 % des BIP pro Jahr. Das Biden-Programm kommt hier dem Topfen auf den heißen Stein gleich:

„Großzügig geschätzt, ist etwa die Hälfte der zwei bis 2,7 Bill. für die Bewältigung der Klimakrise bestimmt. Verteilt man eine bis 1,3 Bill. über acht Jahre, kommt man auf etwa 0,5 Prozent des derzeitigen Bruttoinlandsprodukts jährlich. Das liegt weit unter jeder vernünftigen Schätzung des für die Dekarbonisierung benötigten Investitionsvolumens. Das Lager von Bernie Sanders verlangte, unterstützt von der 350.org-Kampagne des Aktivisten Bill McKibben, 16,3 Bill. Dollar. Die Thrive-Act-Initiative, die von Gruppen aus dem Umfeld des Green New Deal unterstützt wird, fordert zehn Bill. Dollar, von denen achtzig Prozent vor allem der Klimapolitik zufließen sollen.“[x]

Vergleicht man außerdem die konkreten Reformvorhaben der US-Regierung, so fällt auf, dass sie auf vielen Gebieten weit hinter ihren imperialistischen RivalInnen zurückliegen und wohl auch weiter zurückfallen werden – selbst wenn Bidens Pläne umgesetzt würden. Dazu 2 Beispiele:

  • China verfügt über ein Hochgeschwindigkeitsnetz für Züge in der Länge von 19 000 Kilometern, die USA über eines von – 500 Kilometern! Selbst wenn das gesamte Biden-Programm für den Ausbau der Schiene verwendet würde, würde das nicht reichen, um China einzuholen.
  • Für die Umstellung auf E-Autos plant die US-Regierung, bis Ende 2030 im ganzen Land 500 000 Ladestationen zu errichten. Das scheint viel, ist aber wenig im Vergleich zu China (3 Millionen) oder Deutschland (eine Million). Lassen wir einmal den problematischen Charakter der E-Mobilität als „Lösung“ der Verkehrsproblematik beiseite, so lässt sich anhand solcher Zahlen ermessen, wie ernst es der US-Regierung mit dem Ausstieg aus den fossilen Energieträgern wirklich ist.

Da sich die Regierung Biden nicht einmal im begrenzten Maße wie einst Roosevelt mit US-Unternehmen anlegen will und sie fürchten muss, die Mehrheiten im Kongress und Senat bei den Wahlen 2022 zu verlieren, sind große Taten auf diesem Gebiet wie bei anderen Reformvorhaben nicht zu erwarten.

Die „Lösung“ des Problems? Ganz einfach: Die staatlichen Ausgaben sollen nur einen Bruchteil der Summen ausmachen, die in „grüne“ Anlagen fließen. Sie sollen gewissermaßen nur als Funke wirken, der ein regelrechtes Investitionsfeuerwerk entfachen soll. Die staatlichen Ausgaben würden so als Multiplikatorinnen wirken – und schon löst sich das ganze Problem. Wer braucht schon Staatsintervention, wenn Kredite und Finanzmärkte für die notwendigen Investitionen zur Entwicklung neuer, grüner Märkte sorgen sollen?

Es bleibt also entweder die Hoffnung darauf, dass es ausgerechnet die Finanzmärkte richten. Damit diese nicht zuerst stirbt, muss die Regierung allerdings nachhelfen. Sie muss garantieren, dass die nachhaltige Investition vor allem profitabel, genauer profitabler ist als jene in traditionelle, auf fossilen Trägern basierende Produktion.

Das ist nicht nur von ökologischer Nachhaltigkeit weit entfernt. Es stößt auch beständig an die Grenzen der aktuellen Akkumulationsdynamik des Kapitalismus. Die chronische Überakkumulation von Kapital ist es ja gerade, die Investitionen in spekulative Anlagen, in Finanzgeschäfte fließen lässt. Die InvestorInnen und großen Player auf diesen Anlagemärkten vergleichen Gewinnerwartungen zwischen den einzelnen Sphären, um eine möglichst hohe und möglichst sichere Rendite einzufahren. Damit das Kapital also in ökologische Modernisierung fließt, müsste diese daher, wie bei jeder anderen Anlagesphäre, mit überdurchschnittlichen Gewinnerwartungen aufwarten. Dies wiederum erfordert Expansion, wachsenden Markt und hohe Ausbeutungsraten in der sog. Zukunftsbranche.

Gigantische Investitionen in erneuerbare Energien, in Infrastruktur usw., die über den Finanzmarkt vorfinanziert werden, werden zudem logischerweise zum spekulativen Markt, der alles Mögliche bewerkstelligen mag – aber sicher keine gezielte, effektive und ressourcensparende ökologische Umrüstung, weil die stoffliche Seite der Investition wie im Kapitalismus allgemein, so auf den Finanzmärkten in besonders drastischer Form, nur Mittel zum Zweck ist.

Hinzu kommt außerdem, dass eine Umrüstung der gesamten US-Wirtschaft auf „Nachhaltigkeit“ notwendigerweise das Ende oder wenigstens die Reduktion ganzer Produktionszweige (Öl, Gas, Bergbau) bzw. die Umstellung ganzer Sektoren usw. erfordern würde. Unter privatkapitalistischen Bedingungen schließt das die Vernichtung von bestehendem Kapital ein. Und das will die Regierung Biden nicht, jedenfalls nicht in den USA. Ökologische Erneuerung ist gut, aber sie darf die Profite der großen US-Kapitale – und das heißt natürlich auch der Ölmultis, der Autoindustrie usw. – nicht beschneiden. Ebenso wenig soll die internationale Konkurrenz die US-Konzerne auf dem Gebiet neuer, grüner Technologien ausstechen. Daher führt eine ökologische „Runderneuerung“ der KonkurrentInnen auf dem Weltmarkt gerade unter den aktuellen Bedingungen unvermeidlich zu einem ruinösen Wettbewerb zwischen den verschiedenen nationalen Kapitalen darum, wer bei der Neuorganisation des Weltmarktes die Nase vorn hat. Dieser muss nicht nur früher oder später zur Vernichtung der auf dem Markt unterlegenen Konkurrenz oder zur Austragung ebendieser mit außerökonomischen Mitteln führen, sondern resultiert logischerweise in einer Überakkumulation in diesen Sektoren samt Überproduktion, da unter Bedingungen der kapitalistischen Konkurrenz nicht in das ökologisch sinnvollste oder nachhaltigste Produkt, sondern in das mit den größten Profiterwartungen investiert wird.

Selbst wenn das Biden-Programm zum Klimaschutz voll umgesetzt würde, würde es am anarchischen Charakter des Kapitalismus nichts ändern, würde es in vielfacher Hinsicht das Problem verschärfen und den Output der US-Wirtschaft weiter erhöhen – also die ökologischen Folgewirkungen weiter verschärfen.

EU

So wie die US-Regierung ihren Green Deal hat, so auch ihre Konkurrenz. Unter der Kommissionspräsidentin von der Leyen erklärte die Europäische Union den Green Deal zur eigenen Kernstrategie. Getragen wird er von einer ganz großen Koalition aus Konservativen, Liberalen, Grünen und Sozialdemokratie. Folgen wir der Selbstdarstellung der Kommission, so liest sich das folgendermaßen:

„Klimawandel und Umweltzerstörung sind existenzielle Bedrohungen für Europa und die Welt. Mit dem europäischen Grünen Deal wollen wir daher den Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft schaffen, die

  • bis 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr ausstößt,
  • ihr Wachstum von der Ressourcennutzung abkoppelt,
  • niemanden, weder Mensch noch Region, im Stich lässt.

Der europäische Grüne Deal führt uns auch aus der Corona-Krise: Ein Drittel der Investitionen aus dem Aufbaupaket NextGenerationEU und dem Siebenjahreshaushalt der EU mit einem Umfang von insgesamt 1,8 Billionen EUR fließt in den Grünen Deal.“[xi]

Wie alle grünen Wirtschaftsprogramme fehlt es auch bei jenem der EU nicht an philanthropischen Beschwörungsformeln. Niemand soll im Stich gelassen werden: Davon können nicht nur die Geflüchteten  an den EU-Außengrenzen ein Lied singen, sondern auch Millionen Arbeitslose und prekär Beschäftigte.

Wie die US-Regierung setzt auch die EU auf die Hebelwirkung ihres Förderprogramms, um Investitionen in den Umweltsektor zu fördern. Mit der Taxonomie-Verordnung vom 18. Juni 2020 wurde die weltweit erste „grüne Liste“ für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten geschaffen, gewissermaßen ein offizielles Gütesiegel für Anlagen mit wirklichen oder jedenfalls behaupteten positiven Klima- und Umweltauswirkungen. Darüber hinaus hat die EU auch einen Fonds von 150 Milliarden Euro aufgelegt, um Regionen mit überdurchschnittlich hohem Verbrauch fossiler Energie den Übergang zu nachhaltigen zu subventionieren.

Anders als das aktuelle Biden-Programm setzt die EU auf die CO2-Bepreisung, um über diesen Mechanismus Konsum und Investitionen in grüne Produkte und Wirtschaftszweige zu stimulieren.

Ähnlich wie die USA – und alle anderen imperialistischen Staaten mit einem riesigen Kapitalstock – steht freilich auch die EU vor dem gigantischen Problem, die eigenen industriellen Konzerne und die Infrastruktur auf „Nachhaltigkeit“ umzurüsten. Dabei sollen die bestehenden Kapitalien nicht nur erhalten, sondern möglichst auch noch zu WeltmarktführerInnen in den neuen, grünen Branchen entwickelt werden.

Fazit

Alle Programme zur Erreichung der Klimaziele (Green Deal … ) der Großmächte – und das gilt auch für China, Japan oder andere imperialistische Konkurrenz von USA und EU – sind wesentlich solche zur Erneuerung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals der jeweiligen Nationen oder Blöcke. Sie unterscheiden sich natürlich angesichts der verschiedenen Herrschaftsformen, inneren Kräftekonstellationen und historischen Voraussetzungen, der Zusammensetzung der jeweiligen Kapitale wie auch ihrer Stellung in der globalen Konkurrenz.

Bei der grünen Erneuerung geht es daher vor allem darum, das eigene nationale Kapital so umzustrukturieren, dass es sich als produktiver und konkurrenzfähiger als die anderen erweist, es seine Stellung auf den internationalen Märkten ausbaut – und das notwendigerweise auf Kosten der anderen.

Daher sind alle Programme des Green Deal wesentlich nationale Wirtschaftsprogramme – nicht bloß in dem Sinne, dass ein Nationalstaat die Rahmenbedingungen( gesetzlichen Rahmen und Regularien für eine Umstrukturierung der Wirtschaft) setzt, überwacht oder  ökologisches Handeln mit wirtschaftlichen Anreizen oder Sanktionen herbeizuführen trachtet. Vor allem geht es darum, dass sich die jeweiligen Großkapitale als führende, als Champions auf dem Weltmarkt bewähren, also die Konkurrenz aus den anderen Blöcken übertreffen.

Die Aufgabe des imperialistischen Staates (oder eines Staatenbundes) besteht darin, genau diese überlegende Konkurrenzfähigkeit herzustellen und das Zurückbleiben der eigenen großen Konzerne zu verhindern. Solange die Aussicht auf eigene Überlegenheit besteht, erscheint der Green Deal als Zukunftskonzept für das Gesamtkapital. Doch genau aus denselben Gründen muss früher oder später auch auf die Bremse getreten werden. Die Rettung der Erde soll schließlich nicht auf Kosten des eigenen Kapitals oder der eigenen imperialen Ambitionen gehen. Besser ist es, in der fossilen Hölle zu herrschen, als im nachhaltigen Himmel zu dienen.

Vor dem Hintergrund struktureller Überakkumulation, einer verschärften Konkurrenz auf dem Weltmarkt und eines Kampfes um die Neuaufteilung der Welt kann von einem ausgewogenen, geplanten Umbau der Ökonomie im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit erst recht nicht die Rede sein.

Im Gegenteil. Die Fragen der Dominanz der Ökonomie und des Weltmarktes sowie der Halbkolonien durch das Großkapital (neuer Formen des Finanzkapitals, Großindustrie, Multis, Agrarkonzerne) taucht im kapitalistischen ökologischen Diskurs selbst als Aspekt imperialistischer Politik, der Sicherung grüner Rohstoffe und als Investitionsprojekt auf. Die Verpreisung der Umweltpolitik, der Zertifikathandel, ist dafür nur ein Beispiel.

Die Hilfen für die ärmsten Länder, die eigentlich 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr betragen sollen, existieren bis heute nur auf dem Papier. Wo es welche auf bilateraler Ebene gibt, nehmen sie die Form von Almosen oder Exportförderung für InvestorInnen aus den finanzstarken Ländern an.

Alle Ideologien bürgerlicher Umweltpolitik kennzeichnet eine Abstraktion von den grundlegenden gesellschaftlichen Widersprüchen des Kapitalismus. Dessen innerer Zwang zur immer größeren Aneignung fremder Arbeit zur Vermehrung des Profits, der daraus resultierenden stetigen Ausdehnung des Kapitals und damit auch der Produktionsmittel und des Outputs spielt nicht nur keine Rolle. Er muss notwendigerweise negiert werden, beispielsweise in Phantasien von einem kapitalistischen Wachstum ohne Ausdehnung der Produktion und Ausbeutung. Dies mag zwar für einige Zeit in Form der Ausweitung fiktiven Kapitals möglich sein. Grundsätzlich ist das auf dem Boden des Kapitalismus aber ausgeschlossen. Da der ganze Zweck der Produktion und jeder anderen wirtschaftlichen Tätigkeit für das Kapital darin besteht, sich Mehrwert in Form von Profit anzueignen, dessen Rate und Masse zu erhöhen, bedarf es notwendigerweise auch der stetigen Suche nach neuen Feldern zur Ausbeutung der Lohnarbeit. Da mehr Lohnarbeit aber ohne mehr und neue Produktionsmittel nicht in Bewegung gesetzt werden kann, müsste das Kapital dem eigentlichen Zweck seiner Betätigung entsagen, müsste aufhören, Kapital zu sein.

Die IdeologInnen des Green Deal müssen daher notwendigerweise nicht nur das Wesen des Kapitalismus negieren. Sie müssen die Frage der Nachhaltigkeit letztlich als technische begreifen, als Frage der Innovation, der „richtigen“ Lenkung von Angebot und Nachfrage. Rezessionen, Einbrüche, ja selbst die Umweltzerstörung gelten allenfalls als Exzesse, als Betriebsunfälle der Marktwirtschaft, der es mit etwas staatlicher Unterstützung und richtigem Konsumverhalten auf die Sprünge zu helfen gelte. Der Kapitalismus gilt einfach als die natürliche und beste Ordnung der Welt, die nur noch besser und so nachhaltig gemacht werden soll, dass sie ewig hält.

Allenfalls braucht es ergänzende Maßnahmen der Steuerpolitik, der sozialen Abfederung, um die Ärzte und Ärztinnen am Krankenbett des Kapitalismus, die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften, an Bord zu halten.

Wie auch der New Deal stellt der Green Deal ein Programm zur Rettung des Kapitals dar. Wie der New Deal stellt er ein nationales Programm dar. Internationale Zusammenstöße und der Kampf um die Kosten der Klimakatastrophe bilden dabei einen integralen Bestandteil der imperialistischen Dominanz der ärmeren Länder wie auch der imperialistischen Konkurrenz.

Anders als der New Deal vermag der Green Deal wie jedes kapitalistische Umweltprogramm jedoch eines nicht: Das Problem, das er zu lösen vorgibt, irgendwo zu meistern. Der New Deal bzw. das Akkumulationsmodell, auf das er sich bezog, konnten nach der Etablierung des Nachkriegsordnung zu für mehrere Weltmarktzyklen dominierenden Modellen werden (Sozialstaat), weil es mit den Akkumulationsbedingungen des Kapitals nicht nur vereinbar war, sondern für eine bestimmte Periode sogar ermöglichte, die kapitalistische Expansion auf der Basis des relativen Mehrwerts mit einer Ausdehnung des Konsums der ArbeiterInnenklasse zu vereinbaren. Unter bestimmten, historischen Voraussetzungen erwies sich dieses Akkumulationsregime sogar als das günstigste für das Gesamtkapital der wichtigen imperialistischen Länder. Mit dem Ende des sog. langen Booms und mit der Krise der frühen 1970er Jahre ist diese Phase jedoch unwiederbringlich vorbei.

Der New Deal erwies sich für eine bestimmte Periode vor allem als ein Instrument, die Akkumulationsbedingungen des Kapitals zu verbessern. Diese Komponente inkludiert auch der Green Deal.

Sie steht aber in einem unauflösbaren Widerspruch zum eigentlich proklamierten Ziel ökologischer Nachhaltigkeit. Diese ist, wie oben kurz skizziert, auf der Basis einer kapitalistischen Marktwirtschaft grundsätzlich unmöglich. Die kann nicht einfach besser reguliert werden. Sie muss vielmehr durch eine demokratische Planwirtschaft ersetzt werden. Nur so können eine globale Wirtschaftsweise gemäß den Bedürfnissen der Menschen und eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft reorganisiert werden. Ziele und Umfang der gesellschaftlichen Gesamtarbeit müssen und können unter diesen Voraussetzungen bewusst bestimmt, das Was und Wie von Produktion und Reproduktion so festgelegt werden, dass die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit reproduziert werden können. Dazu ist der Kapitalismus grundsätzlich nicht in der Lage.

Das Programm der Grünen

Als Beispiel der ideologischen Verkleisterung wollen wir nicht liberale, konservative Umweltpolitik heranziehen, sondern das Wahlprogramm der deutschen Grünen.

Unter dem Titel „Deutschland. Alles ist drin.“[xii] versprechen sie nicht nur eine Klimaregierung und eine Kanzlerin, sondern auch allen Klassen und Schichten das Blaue vom Himmel.

Das erste Kapitel „Lebensgrundlagen schützen“ stellt uns einen klimagerechten Wohlstand, Versorgungssicherheit mit Erneuerbaren, nachhaltige Mobilität, ein gutes Leben für alle sowie eine Stärkung von Bauern, Bäuerinnen und deren Tieren in Aussicht. Diese Versprechungen werden in weiteren Abschnitten auf allen möglichen Ebenen ergänzt. So wollen die Grünen für faire Löhne und Gehälter sorgen, Kinder, Jugendliche und Familien fördern, Gerechtigkeit zwischen  Geschlechtern schaffen und soziale Netzwerke sichern.

Gleichzeitig wollen sie Unternehmensgeist, Wettbewerb und Ideen stimulieren, dem Markt einen sozialökologischen Rahmen verleihen, die Digitalisierung voranbringen, die Finanzmärkte stabiler und nachhaltiger gestalten sowie die Wirtschafts- und Währungsunion vollenden.

Mehr als alle anderen stehen die Grünen für ein Konzept zur Überwindung der gegenwärtigen Krise: den Green New Deal. Diese „sozialökologische Transformation“ soll nicht weniger leisten als die Lösung der wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und demokratischen Herausforderungen unserer Zeit. Dazu müssten nur alle anpacken und von den Grünen lernen: „Als Gesellschaft haben wir den Schlüssel für so vieles schon in der Hand. Wir wissen, wie man eine Industriegesellschaft sicher ins Zeitalter der Klimaneutralität führt. Wie man dafür den Kohleausstieg beschleunigt und Versorgungssicherheit gewährleistet, wie viel mehr Strom aus Wind und Sonne gewonnen werden kann. Wir wissen, wie man eine sozialökologische Marktwirtschaft entwickelt, die zukunftsfähige Jobs, sozialen Schutz und fairen Wettbewerb in Deutschland und Europa zusammenbringt, wie man der Globalisierung klare Regeln setzt und Tech-Konzerne angemessen besteuert. ( … ) Wir sind in der Lage und fest entschlossen, Europa als Wertegemeinschaft demokratisch zu stärken und im globalen Systemwettbewerb gerechter und handlungsfähiger zu machen.“[xiii]

Die Frage, ob eine sozialökologische Umgestaltung im Kapitalismus an Systemgrenzen stößt, stellt sich für die Grünen im Unterschied zu linkeren Versionen des Green New Deal erst gar nicht. Kein Wunder also, dass die Umverteilungsvorschläge, also die soziale Komponente des Deals, auf den 137 Seiten des Programms dünn und vage ausfallen.

So versprechen die Abschnitte zu Arbeit, Löhnen und sozialen Netzen wenig mehr, als dass alles „sozialer werden“ solle. Hartz IV soll zwar durch eine „Grundsicherung“ ersetzt werden, über deren Höhe schweigen sich die Grünen aber aus. Das Rentenniveau soll auf gerade 48 % gehalten werden, das Renteneintrittsalter bei 67 Jahren festgeschrieben bleiben, also beim erreichten Stand an Verschlechterungen der Großen Koalition. Der Mindestlohn soll auf gerade mal 12 Euro angehoben werden. Armut verhindert das Programm der Grünen trotz gegenteiliger Beteuerung also längst nicht.

Statt einer generellen Arbeitszeitverkürzung soll Vollbeschäftigung durch einen flexiblen Arbeitszeitkorridor von 30 – 40 Stunden pro Woche erreicht werden, ohne Lohnausgleich natürlich. Damit das alles auch weiter friedlich und reguliert über die Bühne geht, soll die SozialpartnerInnenschaft gestärkt werden. Schließlich versprechen die Grünen zur Milderung der Wohnungsnot neben einer Zügelung der Wohnungsspekulation und „fairen Mieten“, ganz wie alle tradierten bürgerlichen Parteien, die Erleichterung des Erwerbs von Wohneigentum.

Betrachten wir die sozialen Versprechungen, entpuppen sich jene der Grünen als bescheidener als jene des sogenannten ArbeitnehmerInnenflügels von CDU/CSU. Die Armen sollen etwas weniger arm werden – darin erschöpft sich die grüne Transformation. Andere Forderungen nach sozialer Absicherung oder nach Ausbau des Bildungswesens, Verbesserung der Digitalisierung usw. sind vor allem Versprechungen gegenüber bessergestellten Teilen der Lohnabhängigen und den bildungsbürgerlichen Mittelschichten, also der Kernklientel der Grünen, und natürlich auch dem Kapital, das besser qualifizierte Arbeitskräfte braucht.

Noch unbestimmter und zahmer erweisen sich die Umverteilungsforderungen gegenüber Kapital und VermögensbesitzerInnen. Neben allgemeinen Beschränkungen von Exzessen der Spekulation und Profitmacherei geht es vor allem darum, dass die Reichen einen gerechten, wenn auch nicht übertrieben hohen Anteil an der sozialökologischen Umgestaltung leisten.

So soll klimaschädliches Verhalten von ProduzentInnen und KonsumentInnen nicht weiter subventioniert werden, was in einem ersten Schritt die Staatsausgaben um jährlich 10 Milliarden Euro reduzieren soll. Des Weiteren sollen mit Steuergeldern umsichtig umgegangen und die Vergabe von öffentlich-privaten Partnerschaften transparenter gestaltet werden.

Die Schuldenbremse soll reformiert werden, um den Spielraum für Staatsausgaben zur Steigerung von Konsum und Zukunftsinvestitionen in Ökologie, Bildung und Digitalisierung zu erleichtern. Der Spitzensteuersatz soll außerdem auf bis zu 48 % angehoben werden, würde also noch immer deutlich geringer als unter Helmut Kohl liegen. Außerdem soll für alle Vermögen von über 2 Millionen Euro eine Vermögensteuer von jährlich 1 % erhoben werden. Selbst davon ist bei den Koalitionsverhandlungen nichts geblieben. Zittern muss das Kapital also nicht, zumal auch Begünstigungen für Betriebsvermögen im verfassungsrechtlich erlaubten und wirtschaftlich gebotenen Umfang eingeführt werden sollen. Fazit des Ganzen: Die Reichen sollen etwas weniger reich werden.

Die Klassenspaltung der Gesellschaft kommt im Programm wie generell bei den Grünen überhaupt nicht vor. Sie erscheint erst gar nicht als Realität, daher auch nicht als Problem. Auch die Kluft zwischen Arm und Reich wird als solche nicht Frage gestellt. Die Grünen stört nur, dass sie mittlerweile zu groß wird – so groß, dass sie den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ gefährde. Dadurch würden nämlich die Demokratie, der soziale Frieden und die Möglichkeit eines „vernünftigen“, von allen akzeptierten Ausgleichs der verschiedenen gesellschaftlichen Interessen untergraben. Doch genau ein solches Mindestmaß an Harmonie scheint der Partei notwendig, um auch den ökologischen Umbau „vernünftig“ zu gestalten und „alle mitzunehmen“.

An mehreren Stellen des Wahlprogramms wird der Green New Deal als neue Wirtschaftsweise verkauft. Jedoch Kritik am Kapitalismus oder an der Warenproduktion ist damit nicht gemeint.

Die neue Wirtschaftsweise soll allerdings klimaneutral sein. Erreicht werden soll das im Wesentlichen durch eine endlich konsequente Umsetzung der internationalen Vereinbarungen zum Klimaschutz und des Grünen Deals, den die EU-Kommission zu implementieren versucht. Während linkere Spielarten des Green New Deal – z. B. das Wahlprogramm der britischen Labour Party unter Corbyn – auch die Verstaatlichung strategischer Wirtschaftsbereiche inkludieren und anerkennen, dass ein ernsthafter ökologischer Umbau nur gegen mächtige Kapitalinteressen durchsetzbar wäre, wollen die Grünen den Konzernen und Banken vermitteln, dass eine ökologische Umgestaltung der Wirtschaft auch in ihrem längerfristigen ökonomischen Interesse läge. Sie präsentieren sich dabei als bessere, weitsichtigere SachwalterInnen der Gesamtinteressen des deutschen und europäischen Kapitals.

Diesem soll die Investition in die sozialökologische Transformation schmackhaft gemacht werden. Da das Kapital aber noch nicht nach Wunsch in diese Branchen strömt, müsse dem freien Spiel der Marktkräfte auf die Sprünge geholfen werden. Auf technologischer Ebene erscheint den Grünen dabei das Problem im Grunde schon als gelöst. Die Unternehmen müssten bloß dazu ermutigt werden, in enger Kooperation mit einer Regierung zu handeln, die sich dem Green New Deal verschrieben hat.

In dieser Politik finden sich Elemente des Keynesianismus wieder: Einerseits sollen Produktion und Konsum von ökologisch schädlichen Gütern durch den Abbau von Subventionen und durch Preissteigerungen (Ökosteuern; CO2-Preis) verteuert werden, so dass nicht nur die Unternehmen solcher Branchen Gewinneinbußen hinnehmen, sondern auch die KäuferInnen ihrer Produkte (also bei Konsumgütern vor allem die Lohnabhängigen) höhere Preise zahlen müssten.

Andererseits sollen steuerfinanzierte Programme zur ökologischen Erneuerung der Wirtschaft das Kapital in die gewünschten Sphären lenken. Dabei setzen die Grünen auf eine Stärkung der europäischen Kooperation und ein großes Investitionsprogramm, um „etwa gemeinsame europäische Energienetze oder ein Schnellbahnnetz“ zu finanzieren. Außerdem soll der Euro als internationale Leitwährung gestärkt werden, auch um zusätzliche InvestorInnen anzuziehen. Wie sehr dabei die Politik der Grünen von den Interessen des deutschen Großkapitals durchdrungen ist, verdeutlichen zwei Passagen:

„Jetzt braucht es Entschlossenheit und Zusammenarbeit, damit unsere Autobauer in Zukunft wieder die Nase vorn haben. Klar ist: Der fossile Verbrennungsmotor hat keine Zukunft. Wir wollen ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zulassen. Wir unterstützen bei Forschung und Innovation und sichern einen schnellen Aufbau der Ladesäuleninfrastruktur und eine weitere Förderung des Markthochlaufs von emissionsfreien Fahrzeugen zu. Aktuell haben Deutschland und Europa den Anschluss bei der Batteriezellenproduktion und damit viel Wertschöpfung verloren. Das darf sich bei den Batterien der nächsten Generation, die günstiger und ressourcensparender sind, nicht wiederholen. Wir wollen Europa zum Weltmarktführer einer ökologischen Batteriezellenproduktion machen.“[xiv]

Und weiter: „Um kritische Abhängigkeiten zu verringern, soll die EU-Kapazität im Bereich der Halbleitertechnologie wie von der EU-Kommission vorgeschlagen auf 20 Prozent der weltweiten Produktion ausgebaut werden. Das gilt vor allem für die Bereiche, in denen wir bei der Halbleitertechnologie für industrielle Anwendungen bereits eine starke europäische Stellung haben oder in denen eine besonders dynamische zukünftige Entwicklung zu erwarten ist.“[xv]

Bei allem kleinbürgerlichen Gedöns über Menschlichkeit, Zusammenhalt, Gerechtigkeit und sonstigen Phrasen präsentieren die Grünen hier ein Programm für den deutschen Imperialismus und eine in seinem Interesse vollendete EU. Diese soll zu einem Bollwerk im Kampf bei der Neuaufteilung der Welt werden, die in der grünen Ideologie zur sozialökologischen Vorreiterrolle Europas verbrämt wird.

Anders als rein neoliberale DoktrinärInnen erkennen die Grünen dabei an, dass es staatlicher Intervention bedarf, wenn ein solches Programm Wirklichkeit werden soll, dass der deutsche Staat und die EU im längerfristigen Interesse des Gesamtkapital als GeburtshelferInnen der Transformation der technischen Basis des Kapitals wirken müssen. Der soziale Anstrich dieser Politik erscheint darüber hinaus rational, weil eine zu große Vertiefung der sozialen Kluft der Gesellschaft das Projekt noch zusätzlich erschweren würde. Daher sollen die ärgsten Auswüchse des Neoliberalismus auch abgemildert werden. Schließlich lässt sich das Programm der kapitalistischen Ökotransformation auch besser verkaufen und gegen andere bürgerliche Kräfte und gesellschaftliche Opposition durchsetzen, wenn man es mit viel sozialer und demokratischer Tünche lackiert.

So wie die Interessen der deutschen Autoindustrie und anderer Konzerne offen benannt werden, so erinnert der Abschnitt „Klimaaußenpolitik“ sehr an klassischen, verlogenen Imperialismus:

„Sie bedeutet zum einen, dass wir Europäer*innen unseren Bedarf an grüner Energie durch Klimapartnerschaften decken helfen: grüner Wasserstoff statt Öl- und Gasimporte. Andererseits werden wir so endlich unserer historischen Verantwortung gerecht, indem wir Elektrifizierung und Technologietransfers insbesondere in afrikanischen Ländern vorantreiben und den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien in diesen Ländern unterstützen. Nur so können wir es schaffen, global auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen.“[xvi] Am deutschen (und europäischen) Kapitalexport soll also die Welt genesen. Der Imperialismus wird so endlich wieder seiner Verantwortung gerecht. In der Vergangenheit mag er Afrika geplündert haben, jetzt macht er es nachhaltig. Die imperialistische Ausbeutung wird bei der sozialökologischen Transformation mit neuen Phrasen beschönigt. Die Realität dieser Politik zeigt der EU-Afrika-Pakt, der seit Jahren im Interesse der europäischen Konzerne vorangetrieben wird, um sich Zugang zu strategisch wichtigen Rohstoffen, Investitionen und Märkten zu sichern. Zugleich bildet er einen Teil der europäischen Strategie, um im neuen Wettlauf um Afrika den USA und China Paroli bieten zu können. In der grünen Ideologie hingegen erscheint diese klassisch imperialistische Politik des europäischen Finanzkapitals als „Win-win“-Situation, ganz so wie die bürgerliche Wirtschaftstheorie immer gerne die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Metropolen und Peripherie als Vorteil für alle verklärt hat.

Die sozialökologische Transformation der Grünen erweist sich weder als sozial noch als ökologisch. Sie entpuppt sich vielmehr als Programm zur Umstrukturierung des deutschen Kapitals. Wie ökologisch das Ganze ist, zeigt der Schulterschluss mit der deutschen Autoindustrie. Die Grünen setzen auf E-Mobilität im privaten, vorgeblich klimaneutralen Pkw. Wenn notwendig, werden dafür auch Wälder gerodet und unsinnige, aber höchst profitable Autobahnbauten durchgesetzt wie zur Zeit im Dannenröder Wald. Was die Grünen für Deutschland und Europa versprechen, führt schon jetzt Kretschmann in Baden-Württemberg vor.

An der kapitalkonformen Ausrichtung lässt das Programm der Grünen keinen Zweifel übrig. Es wird aber nicht nur den ökologischen, geschweige denn den sozialen Fragen unserer Zeit nicht gerecht. Die Grünen skizzieren auch ein alternatives, imperialistisches Programm. Damit werden sie zu einer Option für die deutsche Bourgeoisie. Die Ampel schaltet auf Grün – freie Ökofahrt für das deutsche Kapital.

Linksbürgerliche, populistische und kleinbürgerliche Kritik

Vom bürgerlichen Green (New) Deal heben sich deutlich all jene Spielarten des GND ab, die ihn in ein Gesamtkonzept sozialer und globaler ökologischer und sozialer Transformation einbetten. Oft wird dieses Plädoyer mit einer teilweise recht beißenden und treffenden Kritik bürgerlicher Umweltpolitik und einer engagiert vorgetragenen am neoliberalen Kapitalismus verbunden.

Für diesen Flügel der Umweltbewegung steht u. a. Naomi Klein, eine der meistgelesenen AutorInnen dieser Richtung mit den Büchern wie „Kapitalismus vs Klima“[xvii] (2015) und „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“[xviii](2019). Kernthesen dieser Publikation wollen wir im Folgenden einer Kritik unterziehen, weil darin grundlegende Konzepte dieser politisch kleinbürgerlichen Strömung der Umweltbewegung deutlich werden.

Das Buch „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“ basiert zu einem bedeutenden Teil auf Artikeln und Reportagen der Autorin, die für die Veröffentlichung überarbeitet wurden. Wie bei anderen Texten Kleins liegt deren Stärke und Kraft in der  plastischen und engagierten Darstellung von Beispielen ökologischer Verheerungen, ihrer Verbindung zur Profitmacherei sowie ihren Auswirkungen auf Mensch und Natur. Die Betroffenen werden dabei nicht nur als Opfer, sondern auch als Subjekte von Widerstand, als Kämpfende dargestellt. Die Formen von Selbstorganisation, die sie dabei, ob nun als indigene Gemeinden, als Lohnabhängige oder als KlimaaktivistInnen entwickelt haben, nehmen einen wichtigen Platz in Kleins Artikeln und Büchern ein. Kein Wunder, dass sie viele junge AktivistInnen inspiriert und ermutigt haben.

Eine weitere, für vieler LeserInnen zweifellos mitreißende Seite solcher Texte besteht darin, den Blick auf die VerursacherInnen von Umweltzerstörung und deren soziale Folgen zur richten. Klein tut dies seit Jahren auf zweierlei Art. Erstens, indem sie konkrete ProfiteurInnen, also einzelne Konzerne, AkteurInnen auf den Finanzmärkten, Medien und staatliche Organe (Regierungen, Gerichte, Repressionskräfte) benennt und anprangert, die diese offen und gezielt unterstützen.

Zweitens richtet sie ihre Aufmerksamkeit auch auf die systemischen Ursachen der drohenden Umweltkatastrophe.

Welcher Antikapitalismus?

In dem Buch „Kapitalismus vs. Klima“ stellt Klein 2015 diesen Gegensatz folgendermaßen dar: „Wir haben nicht die notwendigen Dinge getan, um die Emissionen zu reduzieren, weil diese Dinge in fundamentalem Widerspruch zum deregulierten Kapitalismus stehen, der herrschenden Ideologie, seit wir uns um einen Weg aus der Krise bemühen. Wir kommen nicht weiter, weil die Maßnahmen, die am besten geeignet wären, die Katastrophe zu verhindern – und die dem Großteil der Menschheit zugute kommen würden –, eine extreme Bedrohung für eine elitäre Minderheit darstellen, die unsere Wirtschaft, unseren politischen Prozess und unsere wichtigsten Medien im Würgegriff hält.“[xix]

Entscheidend für die Konzeption von Naomi Klein und einer sehr viel breiteren Strömung der Umweltbewegung, deren Positionen sie artikuliert, ist hier Folgendes. Das fundamentale gesellschaftliche Verhältnis, der grundlegende Widerspruch, der den ökologischen Katastrophen zugrunde liegt, wird nicht in der kapitalistischen Produktionsweise ausgemacht, sondern im „deregulierten Kapitalismus“ oder Neoliberalismus. Dieser erscheint darüber hinaus selbst gar nicht als Periode einer Produktionsweise, sondern als vorherrschende Ideologie und Politik.

Dieser Gedanke durchdringt sämtliche ihrer Arbeiten und auch ihre Konzeption des Green New Deal. Mit der neoliberalen Wende unter Thatcher und Reagan hätte es auch einen Bruch mit jenen Institutionen und Formen gegeben, die eine gewisse demokratische Regulierung des Kapitalismus ermöglicht hätten.

In „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“ betont Klein immer wieder diesen Bruchpunkt in der kapitalistischen Entwicklung selbst. So heißt es:

„Und es stimmt absolut, dass die weltweite Entfesselung des unregulierten Kapitalismus, also der Neoliberalismus, in den achtziger und neunziger Jahren den bei weitem größten Beitrag zu einer katastrophalen Emissionsspitze in der jüngsten Zeit geleistet hat und das bei weitem größte Hindernis für wissenschaftsbasierte Klimamaßnahmen darstellt, … “[xx] Doch nicht nur der deregulierte Kapitalismus erwies sich als Desaster. Auch der „autokratische, industrialisierte Sozialismus“ war „eine Katastrophe für die Umwelt“ [xxi]. Zweifellos kann niemand ernsthaft die verheerenden ökologischen Folgen der Herrschaft der Bürokratie in den degenerierten ArbeiterInnenstaaten[xxii] bestreiten wollen. Indem Klein jedoch die bürokratischen Planwirtschaften mit Sozialismus gleichsetzt, verwirft sie zugleich die Möglichkeit und Notwendigkeit einer wirklich antikapitalistischen, demokratischen Planung, die auf der Enteignung des Kapitalismus und der Ersetzung des bürgerlichen Staatsapparates durch Organe der ArbeiterInnendemokratie und -herrschaft wie Räten beruht.

Kleins Antikapitalismus will von einem revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus nichts wissen. Vielmehr stellt sie diesem einen dritten, „demokratisch-sozialistischen“ Weg entgegen:

„Dem (Scheitern des autokratischen, industrialisierten Sozialismus und des Petropopulismus in Venezuela; Anm. d. Red.) müssen wir uns stellen, aber wir können auch darauf verweisen, dass Länder mit einer starken demokratisch-sozialistischen Tradition (wie Dänemark, Schweden und Uruguay) eine Umweltpolitik verfolgen, die zu den visionärsten der Welt gehört. Daraus können wir den Schluss ziehen, dass Sozialismus nicht unbedingt ökologisch ist, aber ein demokratischer Öko-Sozialismus – der die Demut besitzt, die Lehren der indigenen Völker über die Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen und die Verbundenheit aller Lebensformen zu befolgen – die beste Chance für ein kollektives Überleben der Menschheit bietet.“[xxiii]

Hier zeigt sich auch die Brücke zum New Deal Roosevelts. So wie die Beispiele Schwedens, Dänemarks oder Uruguays beweisen sollen, dass auf Basis eines regulierten Kapitalismus eine „visionäre“ Umweltpolitik und eine fast schon sozialistische Gleichheit möglich wären, so soll der New Deal der 1930er Jahre belegen, dass in Krisensituation auch auf Basis der Marktwirtschaft große gesellschaftliche Fortschritte erzielt werden können, wenn nur die richtigen gesellschaftlichen und politischen Weichen gestellt werden.

„Im Hinblick auf die Dimension, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, bezieht das Konzept des Green New Deal seine Inspiration aus Franklin D. Roosevelts New Deal, der mit einem bunten Strauß politischer Maßnahmen und öffentlicher Investitionen auf das Elend und den Zusammenbruch während der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre reagierte.[xxiv]

Natürlich, so Klein, war auch dieser nicht perfekt und enthielt einige offenkundige Schwächen wie die Reproduktion des Rassismus und den Ausschluss der indigenen Bevölkerung der USA. Darüber hinaus basierte er bekanntlich auf dem Ausbau fossiler Energieträger.

Naomi Klein und die ParteigängerInnen eines radikalen Green New Deal begegnen diesem Problem einfach, indem sie darauf verweisen, dass ein solches Programm heute mit Investitionen in erneuerbare Energien sowie einer entsprechenden Umgestaltung anderer Bereiche des Lebens (z. B. Umrüstung auf 100 % energiesparenden Wohnungsbau usw.) kombiniert werden könne. Die Forderungen indigener Gemeinden und rassistisch Unterdrückter müssten eben einfach nur aufgenommen werden – dann wäre ein großer Reformentwurf perfekt.

Was die globale Dimension betrifft, haben sie und verschiedene AnhängerInnen des GND auch ein simples, der Neugestaltung des Weltkapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg entlehntes, mit dem historischen New Deal verbundenes Konzept parat – einen neuen Marshallplan (European Recovery Program) für die Erde.

Das Fehlen eines tieferen Verständnisses der kapitalistischen Produktionsweise erlaubt es Klein und anderen VertreterInnen des linksbürgerlichen oder kleinbürgerlichen GND ironischer Weise, eine radikale, scheinbar gegen den Kapitalismus gerichtete Kritik an großen Konzernen und dem politischen Establishment mit einem Reformprogramm zu verbinden, das Marktwirtschaft und Privateigentum an den Produktionsmitteln nirgendwo grundlegend in Frage stellt. Wenn die eigentlichen Gegner, der Neoliberalismus und der deregulierte Kapitalismus, als eine herrschende Ideologie und Politik bestimmt werden, drängt sich geradezu die Schlussfolgerung auf, dass es genügen würde, dieser Politik einfach eine andere, inkludierende bürgerliche Reformpolitik entgegenzusetzen.

Klassenübergreifende Allianz

Neben diesen globalen und institutionellen Aspekten umfasst der Green New Deal Kleins außerdem auch die Ausweitung vorhandener,  widerständiger Erneuerungsbewegungen der kleinbürgerlich-bäuerlichen Selbstorganisation wie in Chiapas, populistischer wie der MAS in Bolivien, der indigenen Bauern und Bäuerinnen im selben Land oder der reformistischen Regierung wie im indischen Bundesstaat Kerala.

Damit sind für Klein auch schon die Kräfte gefunden, die im Rahmen einer globalen Allianz unterschiedlicher Klassen einen Green New Deal durchsetzen sollen:

  • Bürgerliche Kräfte wie z. B. vom linken Flügel der Demokratischen Partei in den USA. Deren bekannteste und auch linkeste VertreterInnen wie AOC und Bernie Sanders gelten Klein, nebenbei bemerkt, auch als SchlüsselautorInnen ihres Programms eines Green New Deal. In ihrem Buch verweist sie auf insgesamt 105 Mitglieder des US-Kongresses und des Senats, die sich vor den Wahlen öffentlich zur Green-New-Deal-Resolution von AOC bekannt hatten – darunter Politikerinnen wie Elizabeth Warren und selbst die nunmehrige US-Vizepräsidentin Kamala Harris.
  • Linke, in den Augen von Klein, demokratisch-sozialistische Regierungen in den imperialistischen wie auch in den halbkolonialen Staaten (Schweden, Dänemark, Uruguay), Parteien wie ein Teil der Grünen oder Bewegungen wie DiEM25 (Democracy in Europe Movement 2025).
  • Aktivistische und kampagnenorientierte Teile der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung wie das Sunrise Movement in den USA, Extinction Rebellion (XR) in Europa oder Fridays for Future. Diese Gruppierungen verfügen selbst nur über sehr rudimentäre Programme. Faktisch greifen sie nicht nur die Losung des Green New Deal auf, sondern übernehmen weite Teile des Programms von linken Grünen und linken DemokratInnen, betonen in Aktionen deren Dringlichkeit.
  • Bewegungen der indigenen und bäuerlichen Gemeinden in den Halbkolonien, einschließlich von linken kleinbürgerlichen Kräften wie den Zapatistas, die auf Basis genossenschaftlichen und kleinbürgerlichen Eigentums eine Form lokaler nachhaltiger Kommunen aufzubauen versprechen.
  • Reformistische Kräfte aus dem linken Flügel der ArbeiterInnenbewegung (Europäische Linkspartei, DSA in den USA, Corbyn-Flügel in Labour).

Für die AnhängerInnen eines linksbürgerlichen Green New Deals wie Naomi Klein stellt die ArbeiterInnenklasse dabei keinesfalls das entscheidende Subjekt der Veränderung dar. Sie ist vielmehr bloß Bestandteil einer breiten, klassenübergreifenden Allianz, die vom „linken“ Flügel des Kapitals über wichtige Teile der lohnabhängigen Mittelschichten und des KleinbürgerInnentums bis hin zu Teilen der ArbeiterInnenbewegung reicht.

Folgerichtig beschränkt sich der Antikapitalismus dieser Strömungen auf eine bestimmte Erscheinungsform und Ideologie der bestehenden Gesellschaftsordnung, den Neoliberalismus. An deren Stelle soll eine regulierte, nachhaltige ökosoziale Marktwirtschaft treten, deren Gehalt jedoch ideologisch überhöht wird, ja werden muss.

Programm des kleinbürgerlichen GND

Das beschränkte Ziel spiegelt sich deutlich in den Programmen des kleinbürgerlichen GND wider. Unbenommen der Tatsache, dass sich die verschiedenen Konzepte in etlichen Aspekten unterscheiden, arbeitet Naomi Klein im Anschluss an die GND-Resolution von AOC in ihren Büchern Eckpunkte dieser Strategie heraus.

Erstens verspricht der GND nicht nur ökologische Erneuerung und das Erreichen der Klimaziele. Er soll sich auch als wahres Jobwunder erweisen, als echte Win-Win-Situation für Klima, Kapital und Arbeit, für kleine und große ProduzentInnen.

Die Frage, welche inneren Hindernisse dem im Wege stehen, warum sich zentrale Teile des gesellschaftlichen Gesamtkapitals entweder gegen eine ökologische Transformation wenden oder sich diese wie die Kohleindustrie dreifach vergolden lassen, wird nicht oder nur oberflächlich betrachtet. Letztlich erscheint der Widerstand gegen den GND als Mischung aus Mangel an Vernunft, übermäßiger Profitgier, fehlenden finanziellen Mitteln und Ängsten von Lohnabhängigen, Jobs und Einkommen zu verlieren.

Dem könne aber leicht abgeholfen werden durch Erhöhung staatlicher Ausgaben und massive Konjunkturprogramme, die sich, so die frohe Botschaft, rasch refinanzieren würden. Zustimmend zitiert Klein den US-amerikanischen Thinktank New Consensus. Diesem zufolge „werden durch den Green New Deal neue Arbeit von Waren und Dienstleistungen entstehen, die die zusätzlichen Ausgaben ausgleichen. Von daher besteht kein Grund zu Bedenken, es könnte durch dessen Finanzierung ein wirtschaftlicher Stillstand eingeleitet werden, ebenso wenig, wie dies bei der Finanzierung von Kriegen oder Steuererhöhungen der Fall war.“[xxv]

Laut AOC sollten alle Erfordernisse für den GND wie Notstandsmaßnahmen finanziert werden. Der Kongress solle einfach die notwendigen Mittel bewilligen, die ihrerseits vom Weltwährungsfonds abgesichert werden. Auf ähnlichem Wege sollte dieser auch die Programme anderer Länder und vor allem des globalen Südens absichern.

Die damit einhergehende Zunahme der Staatsverschuldung stelle kein Problem dar. Letztlich würde diese durch zukünftige Einnahmen infolge einer Expansion der Wirtschaftsleistung und Gewinne gedeckt werden. Die Schulden wären somit nur vorübergehender Natur. Die Austeritätspolitik, die von den neoliberalen und monetaristischen bürgerlichen WissenschaftlerInnen vertreten wird, kritisieren sie und andere VerfechterInnen des GND als „Vernichtungspolitik“. Ihr müsse eine konterzyklische, vom Keynesianismus inspirierte Konjunkturpolitik zur Stimulierung und Finanzierung einer ökosozialen Transformation entgegengesetzt werden.

Zusätzliche ideologische Schützenhilfe erhält diese Strömung durch die dem Neokeynesianismus zuzurechnende Modern Monetary Theory (MMT). Grundsätzlich gehen die AutorInnen der MMT, die dem GND nahestehen, davon aus, dass es ein Finanzierungsproblem eigentlich gar nicht gebe:

„Bezahlbarkeit ist für eine souveräne Regierung nie eine wichtige Frage – die relevante Frage betrifft die Ressourcenverfügbarkeit und ihre Aneignung. Es besteht daher eine natürliche Allianz zwischen der MMT und dem GND. Wenn es uns gelingt, technologisch machbare Projekte zu identifizieren, mit denen die Ziele des GND erreicht werden können ( … ), dann können wir die Finanzierung der Programme ermöglichen.“[xxvi]

Dazu müsse man letztlich nur den Staat und die mit ihm verbundene Zentralbank der Kontrolle des Kapitals, genauer seiner „fossilen“ Fraktion, entreißen und die nationale Souveränität – ganz wie es der Linkspopulismus proklamiert – für die „Linke“ einräumen.

Diese recht optimistischen Annahmen versucht die MMT, damit zu untermauern, dass der Staat über das Monopol der Geldpolitik verfügt, also Geld selbst emittieren kann. Die Gefahr der Staatspleite oder dauerhaften Inflation sei dabei gering, ja ausgeschlossen, wenn mit den quasi schon vorhandenen Mitteln produktive Investitionen getätigt würden.

Ganz in diesem Stil verspricht Naomi Klein daher, dass der GND auch krisenfest wäre. Denn: „Wenn die Weltwirtschaft in einen neuerlichen Abschwung oder eine weitere Krise gerät, was zweifellos der Fall sein wird, wird die Unterstützung für einen Green New Deal nicht abnehmen wie bei früheren größeren ökologischen Initiativen als Gegenmittel gegen eine Rezession. Da er die Wirtschaft in großem Stil stimulieren wird, bietet er die größten Hoffnungen auf ein Ende der wirtschaftlichen Not der Menschen und wird deshalb umso mehr Unterstützung finden.“[xxvii]

Kombiniert werden soll das mit einer Besteuerung der Reichen, einer Art Öko- und Sozial-Solidaritätszuschlag, und einer Mindestsicherung für die Armen, so dass es keine Rückschläge durch GND-VerliererInnen aus den Unterschichten und –klassen geben könne.

Den kleinbürgerlichen und linksbürgerlichen VertreterInnen des GND ist durchaus klar, dass sie mit ihrem Programm auf den entschlossenen Widerstand der Großkonzerne, vor allem des fossilen Kapitals stoßen werden. Diese – jedoch keineswegs alle Unternehmen – werden als Gegner ausgemacht. Die Konzerne sollen, so Klein, „gebändigt“ werden. Wie? Indem Subventionen gestrichen und höhere Steuern erhoben, staatliche Infrastrukturprogramme und Ausgaben für Nahverkehr, Stadterneuerung, Wohnungsbau auf den Weg gebracht werden. Darüber hinaus bedürfte es einer Rückkehr zur öffentlichen Raum-, Industrie- und Flächennutzungsplanung, wie sie in vielen kapitalistischen Ländern noch vor der neoliberalen Wende existierte.

Bemerkenswert an all diesen Reformvorschlägen ist weniger, welche Wünsche noch vorgetragen werden, sondern welche Forderung nirgendwo erhoben wird: die nach Enteignung der großen Kapitale oder auch nur der größten UmweltverschmutzerInnen!

Der ganze Antikapitalismus des GND macht vor dem Privateigentum an Produktionsmitteln aus mehreren miteinander verbundenen Gründe halt.

Erstens entspricht – und das ist auch der entscheidende Grund –  dies der klassenübergreifenden Zusammensetzung der GND-Allianz, die ihrerseits  die Begrenzung der Kritik auf den Neoliberalismus, d. h. einen beschränkten Antikapitalismus, widerspiegelt. Es erscheint, wie wir oben gezeigt haben, als systemische Ursache der aktuellen Umweltkatastrophe, nicht der Kapitalismus als solcher, sondern seine deregulierte, neoliberale Spielart.

Als eigentliche politische Gegnerin wird folglich nicht die herrschende Klasse insgesamt betrachtet, sondern nur eine (neoliberale und fossile) Fraktion dieser. Die anderen gelten als Verbündete im Kampf für den Green New Deal.

Es entspricht daher der gesamten Konzeption dieser Richtung, den Charakter ihres Programms, die Frage, welche gesellschaftliche Kraft eigentlich bestimmen soll, mit Formeln zu übertünchen, hinter denen der Klassenstandpunkt der einzelnen Kräfte zurücktritt.

So erscheinen bei Klein die VertreterInnen der demokratischen Partei nicht als solche einer der beiden tradierten Hauptparteien des US-Kapitals, sondern vielmehr als Dutzende, wenn nicht Hunderte neuer Abgeordnete, die mit ihrer Community, mit ihren WählerInnen verbunden sind, als wohlmeinende, wenn auch vielleicht etwas privilegiertere Menschen, denen die Nöte und Sorgen ihrer Gemeinde noch immer ans Herz gehen, als philanthropische UnternehmerInnen und EigentümerInnen, die sich nicht nur um Profit, sondern auch um ihre Beschäftigten kümmern.

Der Widerstand der Konservativen wird, so Klein, durchaus zu brechen sein – und zwar durch die Resultate des GND selbst. Selbst jene, die den GND als sozialistisches Projekt verteufeln und so gegen ihn polarisieren wollten, würden schließlich eines Besseren belehrt, wenn neue Jobs und Unternehmen geschaffen würden. Schließlich würde das ja auch neue grüne Gewinne mit sich bringen.

„Natürlich werden die Republikaner in Washington den Green New Deal auch weiterhin als das beste Rezept hinstellen, die Vereinigten Staaten in ein zweites Venezuela zu verwandeln. Damit ignorieren sie einen der größten Vorteile unseres Modells, das den Klimanotstand als ein umfassendes Infrastruktur- und Bodensanierungsprojekt betrachtet: Nichts hebt ideologische Trennlinien so schnell auf wie ein konkretes Projekt, das leidenden Gemeinden Arbeitsplätze und Ressourcen verschafft.“[xxviii]

Schließlich, so können wir hinzufügen, söhnten sich auch die bürgerlichen GegnerInnen von Roosevelts New Deal mit diesem aus, nachdem sie erkannt hatten, dass er die Interessen des Kapitals bediente.

Betrachten wir das Programm des GND von AOC oder Klein wie überhaupt der GND-Allianz, so entpuppt es sich letztlich als eines zur ökologisch-sozialen Transformation des Kapitalismus, wenn auch mit mehr sozialen Abfederungen und radikalerer Rhetorik als jenes der großen bürgerlichen Kräfte. Es entspringt dem Bedürfnis, der gesellschaftlichen Stellung der dominierenden aktivistischen Kräfte und der kleinbürgerlichen IdeologInnen dieser Strömung, es als radikaleres und zugleich als „klassenübergreifendes“ darzustellen.

Sie geben zwar vor, die Welt grundlegend verändern zu wollen – freilich ohne ihre eigentlichen Grundlagen, das Privateigentum an den Produktionsmitteln und das System der Profitmacherei, selbst anzugreifen. Unbenommen ihrer vergleichsweise radikalen Aktionsformen ist ihr Ziel letztlich jenem des Bourgeoissozialismus aus dem Kommunistischen Manifest ähnlich: Sie wünschen „den sozialen Mißständen abzuhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern.“[xxix]

Es gehört daher zum notwendigen Erscheinungsbild dieser Richtung, das eigene Reformprogramm als radikaler zu verkaufen, als es seinem Inhalt nach ausfällt. So wird die klassenübergreifende Bewegung des GND, die vor der Enteignung haltmacht und am Standpunkt seiner linksbürgerlichen Elemente, also am Klassenstandpunkt der Bourgeoisie, ihre politische Grenze findet, noch zur „intersektionalen Massenbewegung“[xxx] (Klein, S. 327) verklärt.

Dahinter steckt – wie bei der gesamten Intersektionalitätstheorie – letztlich, dass man sich die Allianz zwischen bürgerlichen Kräften, aus dem KleinbürgerInnentum und den Mittelschichten stammenden UmweltaktivistInnen, kleinbürgerlich-bäuerlichen Communities in den Halbkolonien und Teilen der ArbeiterInnenklasse ähnlich wie bei der Volksfrontpolitik als Addition verschiedener Klassen vorstellt. In Wirklichkeit paralysieren sich jedoch die Kräfte, weil das Bündnis nur funktioniert, wenn die Lohnabhängigen entscheidende Klassenstandpunkte und Ziele ihren Verbündeten aus anderen Klassen, und das heißt vor allem aus der bürgerlichen, unterordnen. Der Verzicht auf die Enteignung auch zentraler Kapitalgruppen verdeutlicht das.

Es entspricht jedoch der inneren Logik solcher Bündnisse, dass das linksbürgerliche Programm – in diesem Fall der Green New Deal – mit scheinradikaler Rhetorik überhöht werden muss. Schließlich sollen die AktivistInnen, die eigentlich radikalere Absichten verfolgen, denen es jedoch an einer eigenen, revolutionären Strategie und einem Klassenstandpunkt fehlt, bei der Stange gehalten werden. Der proklamierte Antikapitalismus, das proklamierte „system change, not climate change“ bildete daher eine notwendige Ergänzung zum bürgerlichen Reformprogramm, das der GND letztlich darstellt.

Modern Monetary Theory

Klein und andere AnhängerInnen des GND propagieren diesen, wie wir oben gesehen haben, gern auch als wirtschaftliches Erfolgsprojekt. Dabei stützen sie sich einerseits auf die Kalkulation, dass ein Konjunkturprogramm allen Klassen der Gesellschaft helfen würde:  Die KapitalistInnen könnten Anlagen und Profite machen, die ArbeiterInnen hätten Jobs und Einkommen und könnten überdies neue grüne Produkte mit Öko-Siegel kaufen.

Finanziert werden soll dies durch eine vorübergehende Erhöhung der Staatsverschuldung, die früher oder später wieder eingespielt werden kann.

Doch selbst wenn dem nicht so wäre, so versichern die VertreterInnen der Modern Monetary Theory (MMT), die dem GND nahestehen, wäre das kein Problem. Wir haben schon oben gesehen, dass die praktischen Schlussfolgerungen dieser Theorie darauf hinauslaufen, dass Staatsschulden für einen  Staat eigentlich kein wirkliches Problem darstellen würden, dass also der Souverän nur Geld drucken müsse, um notwendige Infrastrukturprogramme anzuschieben. Das Finanzierungsproblem eines GND ist damit überhaupt kein ökonomisches, sondern ein rein politisches. Es ginge letztlich nur darum, dass der bestehende bürgerliche Staat für ein solches Programm eingesetzt, also dessen Souveränität gegenüber neoliberalen Gegenkräften behauptet oder wieder erkämpft wird.

Das fehlende Verständnis für den Klassencharakter des bürgerlichen Staates der MMT springt hier natürlich ins Auge. Darauf verweist auch Ingo Stützle in dem lesenswerten Aufsatz „Money makes the world go green?“[xxxi], in dem er die MMT einer grundlegenden Kritik unterzieht und auf den wir uns in den folgenden Ausführungen stützen. Die naive Sicht des bürgerlichen Staates, ja, das Fehlen einer Staatstheorie in der MMT bildet dabei letztlich nur die andere Seite einer falschen Geldtheorie und damit eines falschen Verständnisses des Kapitalismus selbst.

Der MMT zufolge sei eigentlich alles Geld seinem Wesen nach Kredit. Damit es als solches von den Gesellschaftsmitgliedern, also den Tauschenden, anerkannt wird, bedürfe es des Staates, der die Währung emittiert und ein Monopol darauf geltend machen könne, gewissermaßen die StaatsbürgerInnen zwingt, nur sein Geld zu verwenden und ihre Tauschgeschäfte nur mit diesem zu verrichten. Die Steuern erschienen daher nicht als zentrales Finanzierungsmittel des Staates, sondern als Mittel, die StaatsbürgerInnen zur Begleichung einer Schuld mit dem Geld zu zwingen, das der Staat selbst emittiert. Alle Tauschverhältnisse zwischen den Marktsubjekten, alle Steuern usw. werden als Schuldner-Gläubiger-, als Kreditverhältnisse begriffen.

Wie in anderen bürgerlichen Wirtschaftstheorien wird der Kredit nicht von den Geldfunktionen und dem Kapitalbegriff her entwickelt, sondern umgekehrt erscheint jedes Geld und jede Geldfunktion als Kredit. Mit dieser Setzung bedarf die MMT auch keiner werttheoretischen Fundierung. Geld wird nicht wie im Marx`schen Kapital aus der Wertform der Waren (allgemeines Äquivalent) entwickelt und daraus seine Funktionen herausgearbeitet (Maß der Werte, Zirkulationsmittel, Weltgeld usw.): Es wird vielmehr bloß als eine geniale Erfindung zur Erleichterung des Warentausches begriffen. Darüber hinaus bedarf die MMT auch keiner Klärung des Verhältnisses von kapitalistischer Akkumulation und staatlicher (Geld-)Politik und keiner Staatstheorie.

Der Staat bzw. die staatliche Notenbank, die in dieser Theorie einseitig auch bloß als Verlängerung der Regierung aufgefasst wird, setzten das Geld als Währung und zwängen damit  allen StaatsbürgerInnen oder Untertanen ihr Geld auf.

Der Staat steht dieser Theorie zufolge nicht erst vor der Notwendigkeit, Geld über Steuern einzunehmen. Er besitzt es bereits, da er über das Monopol verfügt, es zu drucken, also die Mittel zur Verfügung zu stellen, die notwendig sind, um z. B. die ökologische Umstellung der Wirtschaft zu finanzieren.

Dass der Staat zur Zeit nicht in diesem Sinne handelt, hat für die MMT letztlich zwei Ursachen. Einerseits folgt dies aus den mit dem Kredit selbst verbundenen Krisen- und Spekulationsphänomenen, die letztlich auch die eigentliche Ursache der kapitalistischen Krise ausmachen. Andererseits folgt das aus der falschen politischen Ausrichtung des Staates. Letzterer wird dabei nicht als Organ der Klassenherrschaft begriffen und auch nicht als Kampfterrain zwischen Klassen wie bei der reformistischen Konzeption von Poulantzas, sondern erscheint als eine Art Black Box, die prinzipiell verschiedenen gesellschaftlichen Kräften zur Verfügung stünde. Daher, so einige AutorInnen dieser Schule, müsse die politische Linke selbst zu einer Vorkämpferin der staatlichen Souveränität werden und ihre Distanz zu Begriffen wie „nationale Souveränität“ ablegen.

Da der Staat Geld als Mittel zur Allokation von Gütern und Arbeitskräften selbst in Umlauf bringen kann, kann er auch die negativen Ausformungen des Kredits (Spekulation, … ) politisch in den Griff kriegen. Die Warenproduktion selbst stellt für die MMT kein Problem dar. Um Krisen zu überwinden, genüge es letztlich, das Geld- und Kreditsystem für  bestimmte produktive Zwecke einzusetzen.

Bei den Schlussfolgerungen bezüglich des Staates springen nicht nur die grundlegenden Unterschiede zum Marxismus ins Auge. Die Differenzen beginnen schon bei der Frage, was eigentlich Geld und Kapitalismus sind. Für die MMT ist Geld letztlich nur ein Mittel zur Allokation von Ressourcen.

Der Fehler in der MMT beginnt schon damit, dass sie verkennt, dass eine bestimmte Ware überhaupt nur zur Geldware werden kann, wenn sie selbst vergegenständlichte menschliche Arbeit verkörpert:

„Die Waren werden nicht durch das Geld kommensurabel. Umgekehrt. Weil alle Waren als Werte vergegenständlichte menschliche Arbeit, daher an und für sich kommensurabel sind, können sie ihre Werte gemeinschaftlich in derselben spezifischen Ware messen und diese dadurch in ihr gemeinschaftliches Wertmaß oder Geld verwandeln. Geld als Wertmaß ist notwendige Erscheinungsform des immanenten Wertmaßes der Waren, der Arbeitzeit.“[xxxii] Damit eine bestimmte Warenart überhaupt zum Geld werden kann, muss sie selbst Produkt menschlicher Arbeit sein. Sobald diese jedoch einmal als solche als Geld etabliert ist, sie dauerhaft zur besonderen allgemeinen Äquivalentform aller Waren wird, verschwindet die Wertfundierung des Geldes in der Erscheinung.

„Eine Ware scheint nicht erst Geld zu werden, weil die andren Waren allseitig ihre Werte in ihr darstellen, sondern sie scheinen umgekehrt allgemein ihre Werte in ihr darzustellen, weil sie Geld ist. Die vermittelnde Bewegung verschwindet in ihrem eignen Resultat und läßt keine Spur zurück. Ohne ihr Zutun finden die Waren ihre eigne Wertgestalt fertig vor als einen außer und neben ihnen existierenden Warenkörper.“[xxxiii]

Marx nennt dies den Geldfetisch. Genau diesem sitzt die gesamte Geldtheorie der MMT auf.

Doch damit nicht genug. Marx arbeitet im „Kapital“ heraus, welchen grundlegenderen systemischen, mit der Warenproduktion untrennbar verbunden Charakter Geld hat. Dazu Stützle:

„Die im Kapitalismus nachträgliche vergesellschaftete Privatarbeit erschöpft sich nicht in der Produktion von Gütern, diese sind lediglich Mittel zur Verwertung des Werts, der im Geld seine selbstständige Gestalt hat – es ist Maßstab der Verwertung. Die voneinander getrennten Privatarbeiten sind als Kapitalverhältnis organisiert, Kapital beutet Arbeitskraft aus, um Profit zu machen. Investiertes Geld muss sich rentieren, aus G (Geld; Anm. d. Red.) muss G’ (mehr Geld; Anm. d. Red.) werden, und Produktion, die kein G’ macht, wird nicht als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit anerkannt. Diese Prozesse muss das Geld organisieren, sonst ist es kein Geld und wird nicht als Geld akzeptiert.“[xxxiv]

Anders als für die MMT fungiert Geld nicht als bloßes Hilfs- oder Schmiermittel des Warentausches, sondern stellt Ausgangs- und Endpunkt der Kapitalbewegung dar. Erst auf deren Basis lässt sich die Funktion des bürgerlichen Staates, seine historische Besonderheit gegenüber früheren Staatsformen verstehen. Sein Zweck besteht nämlich, unbenommen aller konkreten Unterschiede zwischen verschiedenen Staaten, darin, die allgemeinen Bedingungen der Kapitalakkumulation zu garantieren.

Formal hat der Staat (oder seine Notenbank) zwar das Recht, beliebig viel Geld zu emittieren. Die MMT  verwechselt aber hier diese formelle Souveränität damit, dass diese materiell keineswegs existiert, sondern vielmehr durch das Kapitalverhältnis, und zwar nicht bloß durch ein nationales, sondern den Weltmarkt und die internationale Arbeitsteilung  beschränkt, ja, bestimmt wird.

„Ob und inwieweit diese staatlichen Zahlungsmittel aber Geld sind, wie weit ihre Zugriffsmacht (,Kaufkraft’) reicht, was dieses Aneignungsrecht gilt, das bestimmt der Staat ebenso wenig wie die Frage, ob sie als Kapital fungieren. Eine Zentralbank kann zwar eine Währung herausgeben. Doch was diese Währung kann, welche Macht sie als Zugriffsmittel hat, das entscheidet sich in der kapitalistischen Privatwirtschaft – und letztlich kommt es darauf an, ob das Geld als Mittel der Verwertung fungieren kann oder nicht.“[xxxv]

Ob ein bestimmtes staatliches Konjunktur- und Investitionsprogramm die Akkumulation des Gesamtkapitals befördert oder es sich als Milliarden schweres Strohfeuer entpuppt, hängt daher nicht vom Willen und politischen Entscheidungen des Staates ab. Entscheidend sind vielmehr der Stand der Akkumulation des Gesamtkapitals, dessen organische Zusammensetzung, die Entwicklung der Profitrate etc.

Für die MMT ist Kapital letztlich bloß eine große Menge Geld, ein „Kredit“, der den Anspruch auch bestimmte Ressourcen (Arbeitskraft und Produktionsmittel) begründet. Ebenso verfüge auch der Staat (über Steuern, Aufnahme von Schulden und über Gelddruck) über eine Menge Geld.

Übersehen wird dabei jedoch, dass Kapital ein gesellschaftliches Verhältnis darstellt, dessen Zweck darin besteht, aus Kapital in Geldform noch mehr Geld, aus G  G’ zu machen. Der Staat ist für das Kapital notwendig, um allgemeine gesellschaftliche Voraussetzungen der Kapitalakkumulation zu sichern, das Konkurrenzverhältnis zwischen konkurrierenden Einzelkapitalen wie auch zwischen den Gesellschaftsmitgliedern zu regeln sowie das Kapitalverhältnis nach innen und außen abzusichern. Dazu bedarf es eines Staatsapparates, einer Bürokratie, eines Heeres, Gemeindiensten, Gerichten, FinanzbeamtInnen und auch staatlicher Investitionen in Bereichen, die einzelnen Kapitalen nicht lukrativ erscheinen.

Die einzelnen KapitalistInnen, ja, die gesamte Klasse nehmen zu diesen Ausgaben ein zwiespältiges Verhältnis ein. Einerseits sind sie unerlässlich, andererseits Abzüge vom Mehrwert. Daher soll der Staat möglichst nichts kosten, aus den Steuern der Masse der Gesellschaft, also vor allem denen der Lohnabhängigen, finanziert werden und zugleich die Interessen des Kapitals bedienen.

Da sich die bürgerliche Gesellschaft als eine unabhängiger PrivatproduzentInnen und voneinander unabhängiger, freier WarenbesitzerInnen konstituiert, muss ihnen der Staat notwendigerweise als eine scheinbar über der Gesellschaft stehende, von ihnen unabhängige Instanz gegenübertreten.

Nur so kann er überhaupt zwischen verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse vermitteln, das Interesse des Gesamtkapitals gegen widerstreitende Einzelkapitale durchsetzen. Nur so kann er den Schein wahren, das gesellschaftlich Allgemeine, also auch die unterdrückten Klassen und Schichten der Gesellschaft, zu repräsentieren. Wie sich diese widerstreitenden Interessen in staatlicher Politik ausdrücken, ist selbst eine Machtfrage im Kampf zwischen den Klassen. Dass die Lohnabhängigen dabei in der Lage sind, auch reale Verbesserungen durchzusetzen, nährt zusätzlich den Schein der Klassenneutralität des Staates.

Es ist diese formelle Unabhängigkeit des Staates, über die und hinter der sich jedoch dessen materieller Klassencharakter durchsetzt. Die MMT sitzt hier einmal mehr der Oberflächenerscheinung gesellschaftlicher Verhältnisse auf. Dass sie diesen Fehler mit der gesamten kleinbürgerlichen Umweltbewegung und dem Reformismus teilt, macht die Sache natürlich nicht besser. Betrachten wir die Programme von Sanders, AOC und anderen, können wir jedoch leicht erkennen, warum die MMT bei diesen VertreterInnen des GND so beliebt ist. Sie verspricht eine Finanzierung einer „radikalen“ Umweltpolitik aus dem Nichts. Wenn der Staat einfach Geld, also die notwendigen Mittel für ökologische Investitionen schöpfen kann, spielen Eingriffe in die Verfügungsgewalt des Kapitals über die Produktionsmittel nur eine Nebenrolle. Selbst partieller Verstaatlichungen z. B. des Energiesektors, des Transportwesens oder der Banken und Finanzinstitutionen bedarf es dann nicht. Die Eigentumsfrage spielt keine Rolle, weil der Staat die Realallokation von Ressourcen (Arbeitskraft, Produktionsmittel) auch selbst hervorbringen oder lenken könne, ohne zu verstaatlichen. Selbst die Frage der Besteuerung spielt eine untergeordnete Rolle, auch wenn die Programme des GND eine Umverteilung der Steuerlast in der Regel vorsehen.

Die MMT führt somit zu falschen Schlüssen, denen die reale Entwicklung entgegenschlägt. In Wirklichkeit ist der Zugriff des Kapitals auf den Staat nur zu brechen durch die Aufhebung des Kapitalverhältnisses selbst. In den letzten Jahrzehnten wurde das Kapital zudem nicht nur ideologisch, sondern auch materiell noch stärker gegenüber dem Staat,  sei es durch Privatisierungen, Umverteilung der Steuerlast, Ausweitung der Staatsschulden. Letztere bilden selbst einen mächtigen Hebel nicht nur des Einflusses des Kapitals auf den Staat. Für es bescheren diese gleich zwei Vorteile: Erstens müssen so weniger Steuern gezahlt, also weniger Gelder den Unternehmen entzogen werden. Zweitens bilden Staatsanleihen und Schulden imperialistischer Staaten einen sicheren Hafen für InvestorInnen in wirtschaftlich stürmischen Zeiten. Das zinstragende Kapital kann also mit einer sicheren Rendite rechnen. Drittens verschafft diese Abhängigkeit den privaten GläubigerInnen auch einen materiellen Hebel. Damit AnlegerInnen „Vertrauen“ in einen mit anderen konkurrierenden Staat als Schuldner haben, muss dieser auch glaubhaft machen, dass er die Kapitalinteressen bedient.

Schon diese Überlegungen verdeutlichen, wie naiv die Sicht ist, dass Staatsschulden kein Problem darstellen. Außerdem kann keineswegs jeder Staat beliebig Schulden bedienen. Deren Höhe ist vielmehr nur so lange ein handhabbares Problem, als Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen ihre Tilgung und Zinsen garantieren. Jede große globale Krise stellt genau diese Fähigkeit der schwächeren, vom Imperialismus beherrschten Länder in Frage. Die sog. Schwellenländer Argentinien oder Türkei sind nur zwei markante Beispiele für diese Entwicklung, die durch einen weiteren Faktor verschärft wird, für den MMT blind ist.

Den verschiedenen Nationalökonomien und den Staaten, die darauf basieren, weisen der Weltmarkt und die imperialistische Ordnung einen bestimmten Platz in der internationalen Arbeitsteilung, in den Wertschöpfungsketten bezüglich des Zugangs zu Finanzmitteln usw. zu. Dieser Hierarchie entspricht auch eine der nationalen Währungen.

Selbst die formelle Währungssouveränität existiert auf dem Weltmarkt letztlich nur für wenige imperialistische Staaten. Ganz oben stehen hier (noch) die USA. Der US-Dollar fungiert als Leitwährung, als Weltgeld, auch wenn China und die EU ihm diesen Platz streitig machen wollen. Für die meisten Länder der Welt existiert eine Währungssouveränität nicht wirklich, so wie die meisten halbkolonialen eben nur formell unabhängig, ökonomisch jedoch als untergeordnete, ausgebeutete Teile in den Weltmarkt integriert sind. Ihre Ökonomien werden vom imperialistischen Großkapital beherrscht – und die Unterordnung ihrer Landeswährungen ist selbst nur ein Ausdruck des Klassenverhältnisses auf imperialistischer Stufenleiter. Diese etablierte und durch das Weltwährungssystem reproduzierte Arbeitsteilung verfestigt logischerweise auch die ökologische Seite der imperialistischen Arbeitsteilung.

Entgegen ihrer eigenen Proklamation, eine Theorie zur Rettung der Menschheit vor der Krise zu liefern, entpuppt sich die MMT eigentlich als Schönwetterideologie, die den  grundlegenden Charakter des Kapitalverhältnisses verkennt.

5. „Linker“, transformatorischer Green New Deal

Die linkeste Variante des Green New Deal, die sich in vielen Forderungen mit denen von Sanders oder AOC durchaus deckt, wurde in den letzten Jahren von reformistischen Parteien bzw. von deren VertreterInnen entwickelt. Im Folgenden wollen wir uns mit dem Wahlprogramm von Labour aus dem Jahr 2019 und mit dem Buch „System Change“ von Bernd Riexinger, dem ehemaligen Vorsitzenden der Linkspartei, beschäftigen, der darin versucht, das Konzept in eine strategische Perspektive einzuordnen.

Das Programm von Labour

Im September verabschiedeten die Delegierten des Labour-Parteitags das, was weithin als die radikalste Umweltpolitik einer großen politischen Partei in der Welt gefeiert wurde:

„Die Maßnahmen des Labour-Konzepts beinhalten die Installation eines Nationalen Transformationsfonds von 400 Milliarden Pfund zur Umsetzung der ‚Green Industrial Revolution’. Davon sollen 250 Milliarden Pfund direkt in den Ausbau erneuerbarer Energie, für den Umbau des Transportwesens, den Erhalt von Biodiversität und Umweltschutz fließen. Die ‚Green Industrial Revolution’ verspricht insgesamt die Schaffung von einer Million neuer Jobs.

Im britischen Energiesektor soll der Übergang zu netto-null Emissionen in den 2030er Jahren erfolgen. Dafür sollen bis 2030 bis zu 90 Prozent der Elektrizität und 50 Prozent der Wärme durch den Ausbau von Off- und Onshore Windenergie, Solar- und Kernenergie erzeugt und auf verbesserten Stromnetzen verteilt werden.

Der Energieverbrauch in Gebäuden verursacht 56 Prozent der britischen CO2-Emissionen; er soll durch den Ausbau und die Erforschung verschiedener Technologien wie Wärmepumpen, solare Warmwassererzeugung und Wasserstofftechnologien reduziert werden. Auch die britischen Haushalte könnten laut Labour profitieren und ab 2030 im Durchschnitt 417 Pfund pro Jahr sparen.

Wichtige Bausteine der ‚Green Industrial Revolution’ sind zudem die Förderung regionaler wirtschaftlicher Entwicklung, besonders in den deindustrialisierten und ökonomisch schlechter gestellten Regionen Großbritanniens, sowie der massive Ausbau öffentlichen Eigentums. Durch demokratische Selbstverwaltung sollen die Menschen bei Entscheidungen über die regionale Entwicklung der Energieversorgung und alle Investitionen mitbestimmen.

• Bus und Bahn sollen wieder verstaatlicht und ausgebaut werden. Der öffentliche Nahverkehr soll verbessert und Straßen für Fußgänger*innen sowie Radfahrer*innen sicherer und komfortabler werden. Zusätzlich ist eine Verbesserung der Infrastruktur für Elektroautos und die Förderung von E-Auto Carsharing Clubs vorgesehen. Bereits ab 2030 sollen in Großbritannien keine neuen Autos mit Verbrennungsmotoren mehr verkauft werden.“[xxxvi]

Der Beschluss, den mittlerweile der Nachfolger Corbyn’s kassiert hat, verpflichtet Labour zu „öffentlichem Eigentum an Energie“ und „öffentlichem Eigentum an den großen Sechs [Energieversorgern]“. Dies stellte zweifellos einen Fortschritt dar gegenüber der bisherigen Politik der Labour-Partei, die zwar das öffentliche Eigentum an den Stromnetzen befürwortete, die Energieverteilung aber in privater Hand belassen wollte. Aber die Grenzen dieses Vorhabens sollten nicht unerwähnt bleiben. Während ein von der Partei in Auftrag gegebener Bericht einräumte, dass erhebliche staatliche Subventionen notwendig sein würden, um Anreize für die Erzeugung von Wind- und Solarenergie zu schaffen, würde Labour der Privatwirtschaft die Freiheit lassen, die Gewinnung fossiler Brennstoffe und die Stromerzeugung aus Kernkraft fortzusetzen, solange sie rentabel seien.

Der Labour-GND sprach auch von einer Verstaatlichung der Verkehrsindustrie und massiven Investitionen in kostenlose oder erschwingliche öffentliche Verkehrsmittel. Die Partei hatte jedoch deutlich gemacht, dass sie bei Verstaatlichung der Eisenbahnen alle privaten Vermögenswerte zum Marktpreis zurückkaufen würde, finanziert durch staatliche Anleihen – ein gewaltiger Vermögenstransfer von den SteuerzahlerInnen zu den ProfiteurInnen. Ähnliches war für den Energiesektor vorgesehen.

Die Betonung technologischer Lösungen, die zu einer verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien, einschließlich Elektroautos, führen sollten, kam außerdem einer unkritischen Unterstützung von Industrien gleich, die weiter schädliche Auswirkungen auf die Umwelt hätten. So werden für den Bau von Wind- und Solarparks Metalle aus seltenen Erden und nicht erneuerbaren Materialien benötigt, deren Herstellung zudem energieintensiv ist. Die Autoindustrie kompensiert geringere Gewinne bei der Produktion von Elektroautos durch den Verkauf von Luxusmodellen an weniger energiebewusste VerbraucherInnen oder durch die billigere Produktion von benzinbetriebenen Modellen in anderen Teilen der Welt.

Am wichtigsten ist jedoch, dass der Labour-Ansatz jeden privaten Industriezweig (Solar, Wind, Autos, Busse, Energieerzeugung) als einzelnes Puzzleteil betrachtete, das sich, wenn es nur mit genügend staatlichen Mitteln gefördert würde, in ein harmonisches Gesamtbild einer grünen Wirtschaft einfügen würde. So als ob die Anarchie des Marktes und das Motiv der Profitmaximierung aufgehoben würden, wenn alle privaten AkteurInnen gleich gefördert würden.

Damit sind wir bei der entscheidenden Frage der Eigentumsverhältnisse angelangt. Auch wenn sie wichtige Verstaatlichungen vorsah, räumt die Labour-Partei letztlich der Logik des Privatkapitals Vorrang ein. Sie betrachtet die Unternehmen als „Partner“ beim grünen Wandel, die vom Staat nur von Zeit zu Zeit an ihre ökologische und soziale Verantwortung erinnert werden müssten. Selbst wenn die versprochenen Summen an staatlichen Investitionen bereitgestellt würden, räumte selbst der Labour-GND ein, würden wesentliche Teile der „grünen“ Industrie in privater Hand bleiben.

Somit erweist sich selbst der relativ radikale „Green New Deal“ in Wirklichkeit als Subventionierung, um Anreize für die Ökologisierung von profitorientierten Unternehmen und Finanziers zu schaffen, von denen viele zu den größten VerursacherInnen der Umweltzerstörung gehören.

Ein radikales Verstaatlichungsprogramm müsste die entschädigungslose Enteignung vorsehen und den gesamten Sektor der Energie und Verkehrswirtschaft umfassen, um eine Planung wenigstens für diesen Bereich gemäß gesellschaftlichen Bedürfnissen sicherzustellen. Doch Labour verpflichtete sich, die Unantastbarkeit des Privateigentums grundsätzlich zu respektieren, indem den ehemaligen EigentümerInnen eine „faire“ (d. h. marktgerechte) Entschädigung angeboten und andere Unternehmen als „Partner“ begriffen werden sollen.

In Wirklichkeit hätten diese „Partner“ freilich auch Labours Programm als Kriegserklärung aufgefasst. Wenn die Partei z. B. bereit gewesen wäre, wesentlich radikalere Steuerpläne zur Finanzierung des GND durchzusetzen, hätte das eine Kapitalflucht in großem Umfang ausgelöst, um das Eigentum in Sicherheit zu bringen und eine Schuldenkrise auszulösen, um damit diese Labour-Regierung zu Fall zu bringen. Die Androhung von Enteignungen hätte zweifellos eine ähnliche Wirkung. In jedem Fall aber müsste Labour auf eine solche Sabotage mit strengen Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen reagieren und diese erzwingen, wobei die Gewerkschaften die ArbeiterInnenkontrolle und die Öffnung der Konten, Bücher und Finanzunterlagen der betroffenen Unternehmen hätten durchsetzen müssen.

All das hätte jedoch zu einer massiven Verschärfung des Klassenkampfes geführt, die ihrerseits die Systemfrage, also die der Enteignung der herrschenden Klasse, der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und Errichtung einer demokratischen Planwirtschaft aufgeworfen hätte.

Das wollte aber auch die linke Labour-Führung unter Corbyn nicht. Mehr noch. Da die Labour-Führung eine sozialistische Umwälzung gegenwärtig als nicht möglich, unrealistisch und utopisch zurückwies und eine Planwirtschaft prinzipiell ablehnte, blieb ihr letztlich nur eine mehr oder minder radikale Reformpolitik übrig.

Die Verhandlungen am Labour-Parteitag brachten jedoch nicht nur die Schwächen und Grenzen ihres New Deals hinsichtlich der herrschenden Klasse zum Ausdruck. Viele Abschnitte stellten auch einen Formelkompromiss mit jenen GewerkschaftsvertreterInnen dar, die vor allem um die Zukunft „ihrer“ Industrie fürchteten.

Die Spannungen zwischen eng definierten Gewerkschaftsinteressen (Erhalt bestehender Arbeitsplätze und Verbesserung der Arbeitsbedingungen) und der Umweltpolitik sind nicht neu. Wie die AktivistInnen zu Recht erkannt haben, ist eine breite Unterstützung der ArbeiterInnenklasse, einschließlich derjenigen, die derzeit z. B. in fossile Energieträger verbrauchenden Industrien arbeiten, für eine ökologische Transformation unerlässlich. Aber die Gegensätze lassen sich nicht dadurch lösen, dass man sie unter den Teppich kehrt, wie es die Labour-Partei z. B. bei der Frage des Flughafenausbaus getan hat. Die Bewegung muss offen zugeben, dass einige Produkte und Produktionsstätten verschwinden müssen – und zwar schnell.

Staatliche Unterstützung für Umschulungsprogramme kann zwar einen gewissen Beitrag leisten, die sozialen Folgen kapitalistischer Umstrukturierungen abzufedern. Sie wird aber niemals in der Lage sein, den anarchischen Marktkräften vollständig entgegenzuwirken, die – zumindest vorübergehend – LohnarbeiterInnen verdrängen und sie in schlechter bezahlte Arbeit zwingen werden.

Auch hier zeigt sich, dass eine grundlegende ökologische Umstrukturierung der Wirtschaft ein Gesamtprogramm der ArbeiterInnenklasse erfordert, das Arbeitskräfte aus Branchen, die geschlossen werden, ohne Einkommensverlust und zu gleichen Arbeitsbedingungen in andere überführt. Allein diese notwendige Neuverteilung der gesellschaftlichen Arbeit lässt sich viel leichter, reibungsloser durchführen, wenn die entsprechenden Unternehmen unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden.

Schließlich sprach der Green New Deal der Labour-Partei auch einige Folgen des Umweltimperialismus und dessen Dynamiken an. Doch blieb er, wie ein großer Teil der vorherrschenden Umweltpolitik, bei freiwilligen Lösungen und wohlklingenden Phrasen stehen, indem er sich auf die Förderung des internationalen Austauschs von Technologien und Ressourcen beruft, um anderen Ländern zu helfen, einen Green New Deal zu erreichen. Diese unverbindliche Erklärung verpflichtet zu nichts. Noch wichtiger ist jedoch, dass die Labour-Partei angesichts ihres Engagements für marktwirtschaftlich-keynesianische Lösungen im eigenen Land sicherlich nicht bereit gewesen wäre, die Zerschlagung aller Institutionen des globalen Imperialismus zu unterstützen, die notwendig wäre, um die Volkswirtschaften des globalen Südens aus den Fesseln zu befreien.

Der linke, reformistische GND – und nicht nur der von Labour – behandelt sowohl soziale Transformation, internationale Verhältnisse wie Umweltfrage als Verteilungsproblem.

Sofern eine Überwindung des Kapitalismus angestrebt wird, geht sie mit einer verengten, reformistischen Vorstellung von Sozialismus einher und einer Wiederbelegung utopischer, marktsozialistischer Konzeptionen. So heißt es z. B. bei Klaus Dörre:

„Neben kollektivem Selbsteigentum benötigt eine neue Wirtschaftsdemokratie drei weitere Säulen:

– eine induktive demokratische Rahmenplanung einschließlich der Abstimmung über Planalternativen im Rahmen allgemeiner, gleicher und freier Wahlen;

– ein Maximum an direkter Partizipation und Demokratie in Region, Kommune, Betrieb und Unternehmen;

– echte Marktwirtschaft und Märkte als wichtiger Allokationsmechanismus.

In einer solchen Wirtschaft könnten noch immer Unternehmen existieren, die Gewinne erwirtschaften. Aber eine gesamtwirtschaftliche Koordination würde sie einer social order unterwerfen, die keine kapitalistische wäre.“[xxxvii]

Was im Labour-Programm noch vergleichsweise altbacken, traditionsreformistisch daherkommt, hebt sich in Dörres Vorstellung von einer „großen Transformation“ letztlich nur durch eine anders geartete Verkennung der Zwangsgesetze der Kapitalakkumulation ab.

Die Vorstellung, dass eine Art „Rahmenplanung“ neben einer funktionierenden oder gar „echten“ Marktwirtschaft harmonisch zum Wohl aller existieren könnte und, ganz nebenbei, sich auch noch ein nachhaltiges Verhältnis von Mensch und Natur etablieren würde, ist kompletter Utopismus. Sie kommt dem Versuch gleich, die Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise unangetastet zu lassen und gleichzeitig alle ihre Missstände und Nachteile durch eine nebulöse, nichtkapitalistische „social order“ auszumerzen. Ebenso gut könnte man die Abschaffung des Kapitalismus auf Basis des Kapitalismus verlangen.

In Wirklichkeit greifen alle Formen eines Green New Deal zu kurz, weil sie das Privateigentum intakt lassen – und somit notwendigerweise auch die Grundstruktur der gesellschaftlichen Arbeitsteilung.

Riexinger

Nachdem wir das Programm der Labour-Partei unter Corbyn betrachtet haben, wollen wir uns dem ehemaligen Vorsitzenden der Linkspartei, Bernd Riexinger, zuwenden. Gegen Ende seine Funktionsperiode ging dieser unter die BuchautorInnen und versuchte sich als Stratege seiner Partei. Schon 2018 legte er mit „Neue Klassenpolitik“[xxxviii] einen Text vor, in dem er die Ausrichtung der Linkspartei zu begründen suchte. Mit seinem vor wenigen Monaten beim Hamburger VSA-Verlag erschienenen „System Change, Plädoyer für einen linken Green New Deal“[xxxix] versucht er, eine langfristige, strategische Antwort auf die derzeitige Krise vorzulegen.

Er will deshalb die herrschenden Zustände angreifen, den „Status quo in Frage stellen“. Auch wenn er den Kapitalismus nicht abschaffen will, so strebt er eine andere „Formation“ desselben an. Dass der Vorsitzende einer reformistischen Partei dem Reformismus treu bleibt, überrascht nicht weiter. Die Beschäftigung mit seinem Buch erweist sich dennoch als sinnvoll. Reformistische Parteien und ParteichefInnen begründen ihre „Realpolitik“ in der Regel erst gar nicht theoretisch, da sie diese ohnedies, ganz im Sinne ihres engen, pragmatischen Horizonts, für alternativlos erachten.

Riexinger hingegen hält eine theoretische Begründung für nötig, weil er einen „neuen“ Linksreformismus begründen will, dessen Vorstellung von Systemwandel (System Change) und Green New Deal sich nicht nur vom revolutionären Marxismus, sondern auch von den Konzepten der Sozialdemokratie und der Grünen unterscheiden und abgrenzen soll.

Dabei greift er reale Probleme auf: „Lange schon schwelen verschiedene Krisen des Kapitalismus: Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise, Klimawandel, Grenzen des Wachstums, soziale Ungleichheit, Zusammenbruch der öffentlichen Daseinsvorsorge und das Gefühl von vielen, dass die Gesellschaft nicht mehr zusammenhält. Corona hat diese Vielfachkrise des Kapitalismus verschärft und zugespitzt.“[xl] Er beschreibt Erscheinungen und Probleme, die mit dem Kapitalismus zu tun haben bzw. von ihm produziert werden. Aber eine marxistische Krisenanalyse stellt dies nicht dar.

Eine theoretisch fundierte, konkrete Untersuchung des Kapitalismus findet nicht statt und auch nicht, wie diese „einzelnen Krisen“ zusammenhängen. Er beschreibt die Erscheinungen meist ganz treffend und belegt, dass die vorgeblichen Bemühungen von Bundesregierung oder EU-Kommission, bestimmte Probleme, z. B. die globale Erwärmung, anzugehen, hilflos sind, Einzelmaßnahmen darstellen und durch die generelle Ausrichtung der Politik konterkariert werden.

Ein Beispiel: „EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bereits Ende 2019 ein Konzept für einen Green Deal auf den Weg gebracht, der die Klima- und Wirtschaftspolitik stärker aufeinander abstimmen soll. Ziel sind massive Investitionen in neue Technologien zur effizienteren Ressourcennutzung und zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen. Das klingt gut, erweist sich aber bei näherem Hinsehen wie eine Mischung aus ,Greenwashing’ und Wettbewerbspolitik. Das Ziel, bis 2050 eine ,grüne Null’ zu erreichen, ist für die EU ein Fortschritt, reicht aber nicht aus, um die Klima-Katastrophe zu verhindern. Während aus einem Fonds Investitionen in den Klimaschutz finanziert werden sollen, fördern zahlreiche EU-Töpfe mit Milliarden Euro klimaschädliche Großprojekte.“[xli]

Aus all diesen Beispielen folgt für Riexinger, dass eine neue Politik nötig ist. Er beansprucht dabei nicht weniger, als alle genannten Probleme in ihrer Vielfältigkeit anzugehen. Sein Ziel ist es, alle Bewegungen, die gegen diese aktiv sind, zu einer einzigen zu vereinen, die dann alles für alle erreicht, was sozial und ökologisch ist, unabhängig von Geschlecht und Herkunft. Riexinger fasst das so zusammen: „Entscheidend ist, ein Bündnis sozialer Bewegungen für den sozialökologischen Umbau und unteilbare Solidarität aufzubauen. Dafür ist der Green New Deal kein Masterplan, sondern ein strategischer Vorschlag, wie wir eine bessere Welt gewinnen können.“[xlii]

Die Ziele, die er vorschlägt, basieren auf den bekannten Forderungen der Linkspartei:

  • Löhne, die zum Leben reichen; 13 Euro Mindestlohn; Leiharbeit verbieten: prekäre Arbeit abschaffen; Arbeitszeit um die 30-Stunden-Woche mit Lohnausgleich.
  • Rentenniveau auf 53 % anheben; Mindestrente von 1 200 Euro; AlG I auf 24 Monate verlängern; Elterngeld auf 24 Monate anheben.
  • Für die „Transformation der Autoindustrie“ stellt Riexinger sich unter anderem vor, Fahrzeuge für kollektive Mobilitätskonzepte herzustellen und einen Ausbau der Bahn zu forcieren.

Um diese Ziele zu erreichen, sollen die Bewegungen, die es schon gibt und die sich noch mehr verbinden müssen, soviel Druck auf den Staat ausüben, dass dieser die Konzerne und das Kapital dazu zwingt. Am Beispiel der Autoindustrie liest sich das so: „Der Staat muss die Auto-Konzerne auf einen sozial gerechten, ökologischen Transformationspfad verpflichten. Das wird nur gelingen, wenn Belegschaften, Gewerkschaften, Umweltverbände und Klimabewegung an einem Strang ziehen.“[xliii]

Er verweist darauf, dass es im Konjunkturpaket Gelder der Regierung für Transformation gebe.

Für die Zukunft will er außerdem die Wirtschaft demokratisieren. DAX-Unternehmen sollen mindestens zu 21 % in öffentlichem Eigentum stehen, 30 % Belegschaftseigentum, den Rest dürfen private AktionärInnen behalten.[xliv]. Was er nicht sagt, ist, wie den DAX-Konzernen 51 % ihres Kapitals genommen werden sollen. Darüber hinaus liegt seinem Buch die Vorstellung zugrunde, dass die VertreterInnen des Staates, des „öffentlichen Eigentums“ und die Belegschaften einen Block formen würden. Realistischer ist jedoch, dass der Staat mit dem Kapital zusammengeht. Hinzu kommt, dass das „Belegschaftseigentum“ letztlich auch eine Form des Privateigentums, nämlich Gruppeneigentum darstellt. Die Beschäftigten wären (Mit-)EigentümerInnen „ihres“ Betriebes und daher auch an dessen Konkurrenzfähigkeit interessiert. Was Riexinger als Schritt zu einer Vergesellschaftung ausgibt, könnte sich nur allzu leicht als weitere Fessel der Lohnabhängigen an „ihr“ Unternehmen erweisen.

Solche Utopien kann man nur schreiben, wenn man alles ignoriert, was MarxistInnen über Konkurrenz und den bürgerlichen Staat formuliert haben. Die Marx’sche Sichtweise erledigt Riexinger, indem er die Aussage, der „Staat sei nur ein Instrument in den Händen von Kapital und Konzernen“[xlv], so interpretiert, als würde sie bedeuten, dass Staat und Kapital als identisch betrachtet würden, dass sich der Kampf zwischen Lohnarbeit und Kapital nicht im Staat reflektieren würde, als könnten überhaupt keine politischen Reformen errungen werden. Zwar weist er die platte bürgerliche Idee, dass „der Staat ein neutrales Instrument sei“ zurück und erklärt stattdessen, „dass sich im Staat Kräfteverhältnisse verdichten. Er ist das Feld, auf dem die verschiedenen Interessen (Klasseninteressen) ausgetragen werden.“[xlvi]

Hinter diesen Ideen steckt zwar ein Körnchen Wahrheit, nämlich dass rein gewerkschaftliche oder soziale Kämpfe allein nicht ausreichen, um grundlegende Veränderungen zu erzielen, sondern ein politischer Kampf notwendig ist. Aber durch die Weigerung, den bürgerlichen Klassencharakter dieses Staates anzuerkennen, verkommt das Ganze nur zu einer komplexeren Begründung einer reformistischen, bürgerlichen Reformstrategie. Letztlich muss und kann die ArbeiterInnenklasse in Riexingers Augen den Staat in einem langwierigen gesellschaftlichen und institutionellen Kampf übernehmen und verändern.

Genau hier liegt der entscheidende Unterschied zur marxistischen Staatstheorie, die den bürgerlichen Staat als Herrschaftsinstrument des Kapitals begreift, das über tausende Fäden materieller Spitzenprivilegien die Armee, den Repressionsapparat, die Justiz- und Staatsbürokratie auf sich als herrschende Klasse verpflichtet, um die Interessen des Gesamtkapitals wahrzunehmen. Die Crux besteht gerade darin, dass der bürgerliche Staat als ideeller Gesamtkapitalist fungieren kann, weil er nicht mit einzelnen Kapitalen oder der ökonomischen Vertretungen der Bourgeoisie identisch ist. So kann er deren Gesamtinteresse auch gegen einzelne dieser Fraktionen durchsetzen – wie beim New Deal der 1930er Jahre.

Das ist auch der Grund, warum ein revolutionäres kommunistisches Programm immer auf die Zerschlagung des bürgerlichen Staates und seine Ersetzung durch einen Rätestaat der ArbeiterInnenklasse, die Diktatur des Proletariats, zielt.

Es würde aber auch reichen, die politische Realität wahrzunehmen: Es ist ja kein Ausrutscher, wenn in den Konjunkturpaketen keine Auflagen für die Lufthansa oder die Autokonzerne enthalten sind, denn es geht diesem Staat, seiner Regierung und seinem Apparat dabei immer um das, was im Wortsinn „systemrelevant“ ist: den Erhalt der Profitmaschinen der deutschen Bourgeoisie im Konkurrenzkampf mit ihren internationalen KonkurrentInnen. Dem werden alle sozialen und ökologischen Fragen untergeordnet.

Es zeigt sich an dieser Stelle, dass die Schwammigkeit zu Beginn des Buches bei der Darstellung der vielfältigen „Krisen des Kapitalismus“ ihre Ergänzung und Fortsetzung findet, wenn es um den Staat im Kapitalismus geht. Die Utopie schließt auch ein, dass dieser sozial und ökologisch gebändigte Kapitalismus funktionieren und nicht weiter Krisen produzieren würde.

Riexinger hält seine Utopie für Realismus. Sein Credo ist, man müsse an die realen Bewegungen anknüpfen, weil nur Menschen in Bewegung etwas verändern können. Sein Irrtum besteht darin, dass er auch an den falschen Vorstellungen der Bewegungen festhält, ja sie zu seinen eigenen macht. Die Führung der Umweltbewegung beispielsweise glaubt, dass eine ökologische Wende in diesem System, ja sogar mit diesen Regierungen möglich sei.

RevolutionärInnen vertreten einen anderen Ansatz: Sie wollen, dass Menschen in der Bewegung lernen und ihre Ziele ändern. Dafür gilt es immer, Vorschläge zu unterbreiten, die realistisch sind, weil sie funktionieren können. Wir leugnen, dass der Staat der Bourgeoisie durch eine Bewegung zu einem anderen werden kann, selbst wenn es möglich ist, Maßnahmen im Interesse der Lohnabhängigen durchzusetzen.

Notwendig ist vielmehr, dass die ArbeiterInnenklasse diese Kämpfe für Reformen – einschließlich von Forderungen nach Verstaatlichung – mit dem Kampf um Kontrolle eben dieser Maßnahmen und den Aufbau ihrer eigenen Macht verbindet. Dass die Beschäftigten Betriebe besetzen, die geschlossen werden sollen. Dass sie für die Verstaatlichung, die Fortführung und Umstellung, Konversion der Produktion unter ihrer eigenen Kontrolle kämpfen und diese gegen Übergriffe des Staates verteidigen.

Eine solche Perspektive ist im revolutionären Sinne realistisch, weil sie von den realen gegensätzlichen Interessen der Klasse und der Rolle des Staates ausgeht und nicht selbst Luftschlösser produziert. Indem sie die Kämpfenden in den Bewegungen darauf vorbereitet, deren Illusionen und falschen Vorstellungen solidarisch kritisiert und darlegt, welche Aktionen und Forderungen notwendig sind, um kurz- und langfristige Ziele zu erreichen, tritt sie für einen revolutionären Realismus ein.

Für seine Vision muss sich Riexinger aber nicht nur den Kapitalismus und seinen Staat schönreden, sondern auch die AkteurInnen seiner Bewegungen. Das fängt an bei der Linkspartei, die sich „behauptet“ und die „stabil“ ist, aber auch in „ständiger Veränderung“[xlvii]. Dies würde wahrscheinlich auch Riexinger nach der Wahlniederlage 2021 anders formulieren. Blauäugig war es aber auch vorher schon. Schon damals musste man die Frage stellen, warum die Linke so gut wie nichts aus den Verlusten der SPD gewinnen konnte. Was ist mit der Politik der Linken an der Regierung? Martin Schulz sagt zu Recht: „Eine Regierung SPD-Grüne-Ramelow, zum Beispiel, vor der hat in Deutschland keiner Angst.“

In den Gewerkschaften sieht Riexinger völlig zu Recht eine entscheidende Kraft für jede Veränderung. Er erkennt auch, dass diese sich entscheiden müssen, „ob sie sich als mobilisierende, organisierende und konfliktorientierte Interessenvertretung stärken oder ob sie sich auf die korporatistische Zusammenarbeit mit (exportorientiertem) Kapital konzentrieren wollen.“[xlviii]  Dann lobt er das IG Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban, um anschließend festzustellen: „Selbstverständlich gibt es auch ganz andere Stimmen. Betriebsräte und GewerkschafterInnen, die Abwrackprämien auch für neue Dieselautos fordern.“[xlix]  Diese „anderen“ Stimmen stellen in der IG Metall die absolute Mehrheit! Auch Urban hat der Forderung nach Kaufanreizen für Verbrennerautos nicht widersprochen.

Aber die SozialpartnerInnenschaft floriert nicht nur in der Exportindustrie. Die maßgeblich von der Linkspartei und ihren FunktionärInnen in ver.di angestoßene Pflegekampagne wurde trotz breiter Wirkung von der ver.di-Bürokratie auf einzelne Betriebe beschränkt, eine Politisierung durch die Verbindung mit der Forderung nach Rekommunalisierung der Krankenhäuser bekämpft und die ganze Kampagne in die Sackgasse von BürgerInnenbegehren gelenkt.

Um die Gewerkschaften und ihre Millionen Mitglieder für antikapitalistische Kampagnen jeder Art zu gewinnen, ist also eine systematische Auseinandersetzung mit der SozialpartnerInnenschaft und ihrer Trägerin, der Gewerkschaftsbürokratie, nötig. Schon die Debatte darüber, wie diese aussehen könnte und sollte, wird in der Linken nicht geführt und auf den Streikkonferenzen der Luxemburg-Stiftung konsequent verhindert.

Die Idee eines sozial gebändigten Kapitalismus‘ ist nicht neu. Riexinger will dem Raubtier nur neue ökologische Fesseln anlegen. Dieser Traum ist immer wieder befeuert worden, weil es Phasen gab, in denen die Bourgeoisie Zugeständnisse an die ArbeiterInnenbewegung machen musste. Er wurde auch genährt, weil in Krisenperioden die gängigen bürgerlichen Ideologien selbst fraglich werden. Daher suchen auch viele nach radikalen Alternativen. Auch das versuchen Riexinger und die Linkspartei wie auch viele ähnliche Strömungen in Westeuropa, den USA und auf der gesamten Welt aufzugreifen, indem sie einen scheinbar radikaleren Reformismus als gangbare quasi revolutionäre, antikapitalistische Politik zu begründen versuchen.

Die Aufgabe für SozialistInnen und KommunistInnen bleibt beständig, in einer historischen Krise des kapitalistischen Systems nicht für eine neue sozialere Formation des Kapitalismus zu kämpfen, welche dieses verrottete System sofort wieder zerlegen würde, sobald es kann.

Fazit

Die reformistischen Spielarten des Green New Deal lösen weder die sozialen und politischen Probleme unserer Zeit noch die ökologischen Krisen. Ganz grundlegend behandelt dieser GND die soziale Transformation, nationale und internationale  Klassenverhältnisse als Verteilungsprobleme. Und in diesen Reigen fügt sich auch die Umweltfrage ein, die sich, ebenso wie Fragen der sozialen Gerechtigkeit, des Verhältnisses von Norden und Süden usw. angeblich durch eine stärkere Regulation der kapitalistischen Wirtschaft lösen ließen. Ob es nun Teilverstaatlichungen, eine „Rahmenplanung“ durch den bürgerlichen Staat oder Belegschaftseigentum an großen Unternehmen sein sollen, in jedem Fall bleiben die grundlegenden Mechanismen der Konkurrenz und der kapitalistischen Akkumulation intakt.

Was den reformistischen Green New Deal von anderen, vor allem vom linksbürgerlichen unterscheidet, ist nicht, dass er Bündnisse mit Teilen der herrschenden Klasse ablehnen würde. Er sieht nur im Unterschied zu anderen Spielarten des GND die Notwendigkeit, dass die ArbeiterInnenklasse, die gewerkschaftlich und in reformistischen Massenparteien organisiert ist, im Bündnis mit der Umweltbewegung ständig Druck auf den Staat, die Regierung und auf die KapitalistInnen ausüben muss, quasi als ständiger Reparaturbetrieb wirken muss, um die „Transformation“ voranzubringen, was, wie jede reformistische oder rein gewerkschaftliche Strategie, bestenfalls einer Sisyphusarbeit gleichkommt.

Bei günstigem Geschäftsgang des Kapitals kann sie noch eine gewisse Logik für sich beanspruchen, weil sich der Umverteilungsspielraum der rein gewerkschaftlichen und sozialreformerischen Aktivität bei Prosperität des Kapitals erweitert, dann die Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft günstiger sind. Krisenperioden jedoch  unterhöhlen die Basis dieser Sisyphusarbeit.

Was die Frage der ökologischen Transformation betrifft, stößt diese Reformpolitik jedoch auf ein zweites, grundlegendes Problem. Während die Prosperität des Kapitals den Spielraum für Sozialreformen erhöhen kann, so gilt dies keineswegs für die Lösung  ökologischer Probleme. Im Gegenteil, der freie Gang der Akkumulation verschärft und beschleunigt diese Krise. Daher greift eine Politik, die die Frage der gesellschaftlichen Transformation letztlich als Verteilungsproblem analog zum gewerkschaftlichen Kampf betrachtet, notwendigerweise immer zu kurz.

Die verschiedenen Formen der ökologischen Krise (in gewisser Weise auch die Corona-Pandemie) werfen vielmehr die Frage nach grundlegender bewusster Reorganisation der Gesellschaft auf: nach dem Was, Wie, Wieviel, Womit und Für wen produziert wird, nach bewusster gesellschaftlicher Planung.

Um die sieben, zu Beginn des Artikels dargestellten, großen ökologischen Krisenphänomene bewältigen zu können, sind grundlegende Eingriffe in die Bestimmung dessen, was wie produziert wird, notwendig. Diese sind untrennbar mit der Überwindung der globalen kapitalistischen Ausbeutungsordnung verbunden, also der internationalen Revolution. Nur so kann Produktion und Reproduktion vernünftig und ökologisch nachhaltig im Interesse der gesamten Menschheit bewusst reorganisiert werden.

Ein Aspekt dieses Gesamtkomplexes betrifft auch die Frage der Endlichkeit von Ressourcen. Sozialismus und Kommunismus können nicht einfach als ein Mehr an Produktion und eine Verallgemeinerung des Konsums der Bevölkerung auf dem Stand der ArbeiterInnenklasse der Industrieländer aufgefasst werden. Für diese wird vielmehr eine Beschränkung des aktuellen individuellen Konsumniveaus notwendig sein.

Dem stehen natürlich ein Gewinn an frei verfügbarer Zeit, weniger Arbeitsstunden, gemeinschaftlich statt nur persönlich nutzbare, wiederverwertbare und langlebige Güter und die Möglichkeit zur viel breiteren, umfassenderen individuellen Entfaltung entgegen, so dass eine sozialistische Umwälzung letztlich im Interesse der gesamten ArbeiterInnenklasse liegt.

Beim Green New Deal werden diese Fragen jedoch entweder grundsätzlich ignoriert oder bloße Scheinlösungen präsentiert, weil auch ein „reformierter“ oder „gebändigter“ Kapitalismus, der notwendigerweise auf einer erweiterten Reproduktion des Gesamtkapitals beruhen muss, mit einer planmäßigen, an den Bedürfnisse von Mensch und Natur ausgerichteten Produktion unvereinbar ist.

6. Zusammenfassende Kritik

a) Alle Spielarten des ND oder GND erkennen an, dass der „reine“ freie Markt nicht ausreicht zur ökologischen Transformation, sondern ein staatliches Eingreifen erforderlich ist. Insofern impliziert der GD oder der GND immer zumindest eine begrenzte Kritik am Neoliberalismus und das Aufgreifen einzelner keynesianischer Momente.

b) Alle unterstellen jedoch zugleich, dass kapitalistisches Wachstum mit ökologischem Umbau erfolgreich verbunden werden muss.

Dies impliziert also die Möglichkeit einer erfolgreichen Regulierung des Kapitalismus durch Regierungen – durch Preispolitik, Stimulation der Konkurrenz für ökologische Ziele, Investitionsprogramme oder, in den linksten Varianten, durch partielles Eingreifen in die Verfügungsgewalt des Privateigentums bis hin zu Verstaatlichungen in einzelnen Sektoren.

Grundsätzlich gehen alle Varianten des GD/GND davon aus, dass die kapitalistische Produktionsweise ökologisch nachhaltig gemacht werden könne, wenn nur eine dementsprechende Technologie verallgemeinert und ökologisch nachteilige Effekte durch staatliche Rahmenbedingungen oder Wirtschaftspolitik ausgeglichen würden.

c) Der bürgerliche Staat wird als Instrument zur Regulierung des Kapitalismus im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit (und bei den linkeren Konzeptionen auch sozialer Gleichheit) begriffen . Er muss gewissermaßen nur selbst reformiert und „richtig“ eingesetzt werden.

d) Staatliche Politik soll durch eine gesellschaftliche Mehrheit (Allianzen) oder Bewegungen gestützt werden. Gesellschaftliche Hegemonie soll hergestellt werden, um den GND (oder GD) gegen Widerstände durchzusetzen. Bei allen Unterschieden zielen sämtliche Konzepte auf eine Art korporatistische und zivilgesellschaftliche Einbindung verschiedener Klassen, auf eine „progressive Allianz“.

e) Alle Varianten des GND unterstellen, dass sich eine nachhaltige Ökonomie analog zur Einbeziehung von Teilen der ArbeiterInnenklasse in eine reformierte kapitalistische gestalten ließe. Das heißt, die ökologischen Fragen werden letztlich wie Umverteilungsfragen behandelt.

f) Alle sind letztlich nationale (oder allenfalls auf einen Staatenbund wie die EU bezogene) Programme, deren internationale Komponente nie über wechselseitige, völkerrechtliche Abmachungen bürgerlicher Staaten und nebulöse Bekenntnisse zu mehr „Fairness“ in den Wirtschaftsbeziehungen hinausgeht. Die bestehende imperialistische Ordnung und die ihr zugrunde liegende Arbeitsteilung werden faktisch vorausgesetzt und bleiben letztlich unangetastet.

7. Umwelt und sozialistische Transformation

Bei aller Kritik wirft der Green New Deal die Frage auf, wie die Produktion, wie Gesellschaft, wie das Verhältnis von Mensch und Natur in Zukunft organisiert werden sollen. Natürlich mussten sich Menschen immer schon zur Natur verhalten, haben immer in diese eingegriffen, diese verändert. Das trifft für alle menschlichen Gemeinschaften und damit natürlich auch alle vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen zu.

Das Verhältnis dieser Gemeinschaften zur Natur war natürlich nie ein naiv-harmonisches. Die äußere Natur tritt dem Menschen oft genug als unbeherrschter, noch wenig erkannter und verstandener Zusammenhang entgegen. Die Mittel zur eigenen Existenz werden teilweise vorgefunden oder als Mittel zur Befriedigung eigener Bedürfnisse entdeckt oder müssen einer oft übermächtigen Naturgewalt abgerungen werden. Die Natur, die natürliche Umwelt, tritt also selbst als sich durch menschlichen Eingriff, Arbeit verändernde Materie auf. Ein „harmonisches“ Mensch-Natur-Verhältnis existiert nicht. Dieses Bild entsteht vielmehr erst auf späteren Stufen der Entwicklung der Klassengesellschaft, insbesondere in verschiedenen Spielarten der Romantik und ihren Ausläufern, als immer schon verklärtes und ideologisiertes, seinem Wesen nach reaktionäres Naturbild.

Reaktionär ist es insbesondere deshalb, weil es den Blick auf das Mensch-Natur-Verhältnis selbst verstellt. Dieses ist immer schon durch die gesellschaftliche Arbeit vermittelt, ja, die menschliche Arbeit konstituiert überhaupt erst den Unterschied zwischen Mensch und Natur. Neben die natürliche Umwelt tritt eine zweite, mit dieser immer eng verbundene menschliche, gesellschaftliche Natur:

„Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur.“[l]

Mit der menschlichen Arbeit geht also immer schon ein zweckmäßiger Eingriff in Natur einher, und als Bildnerin von Gebrauchswert stellt sie, egal, ob nun als Arbeitsmittel oder zum individuellen Verbrauch, eine Grundbedingung jeder menschlichen Gesellschaft dar. Mit der menschlichen Arbeit geht aber auch ihre Zwecksetzung einher. Dies unterscheidet sie von den entwickeltsten anderen Spezies auf dem Planeten. Auch Primaten können z. B. Gegenstände als Hilfsmittel einsetzen, aber sie produzieren diese nicht. Bienen, Termiten oder Ameisen kooperieren instinktiv in riesigen Gemeinschaften, aber sie setzen sich diese Zwecke nicht selbst. Marx macht diesen Unterschied und damit auch ein Wesenselement der menschlichen Arbeit im 1. Band des Kapitals deutlich:

„Wir unterstellen die Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört. Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt; er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seine Willen unterordnen muß. Und diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt.“[li]

Diese allgemeinen Bestimmungen der menschlichen Arbeit verweisen schon darauf, dass im Arbeitsprozess nicht nur ein unvermeidlicher Eingriff in die Natur stattfindet, sondern auch darauf, dass dieser auch die Möglichkeit einer rationalen, nachhaltigen Regelung dieses Stoffwechsels beinhaltet. Auf den ersten Blick erscheint das Verhältnis von Mensch und Natur dabei als recht einfaches, transparentes.

Nicht so jedoch im realen historischen Entwicklungsprozess. Die Menschen machen bekanntlich zwar ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie unter vorgefundenen, ihnen selbst als gegeben entgegentretenden Bedingungen, weder aus freien Stücken noch mit vollem Bewusstsein in Gestalt eines Gesellschaftsplans. Die von ihnen selbst geschaffenen Verhältnisse erscheinen ihnen wie Naturgewalten, als außerhalb ihres Willens und ihrer Kontrolle liegend. Die Produktionsweisen und Gesellschaftsformationen, die sie im Laufe ihrer Entwicklung hervorgebracht haben und die letztlich auf Entwicklungsstufen der menschlichen, und das heißt immer schon der gesellschaftlichen, Arbeit beruhen, erscheinen ihnen daher in ideologisierter Weise.

Auch frühere Produktionsweisen griffen teilweise massiv und extrem zerstörerisch in die Natur ein – bis hin zur Verwüstung ganzer Landstriche, der Ausrottung zahlreicher Tierarten oder auch der Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen lokaler oder regionaler menschlicher Gemeinschaften, die, wenn auch ungewollt, zum Untergang ganzer Kulturen führen konnten. Allerdings waren diese Prozesse letztlich lokal oder regional begrenzt.

Der Kapitalismus stellt das Verhältnis von Mensch und Natur auf eine nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ neue Grundlage. Anders als frühere Produktionsweisen greift er in globalem Maßstab und auf Grundlage der großen Industrie in dieses Verhältnis ein. Die Menschheit wird im Kapitalismus selbst zu einem bestimmenden Faktor der Entwicklungen globaler ökologischer Systeme. Der Klimawandel ist dafür nur ein Bespiel.

Dabei kommt zweierlei zum Ausdruck. Erstens stellt der Kapitalismus von Beginn an eine globale Produktionsweise dar. Zweitens prägt der Widerspruch zwischen gesellschaftlichem Charakter der Arbeit und privater Aneignung der Arbeitsprodukte diese Produktionsweise grundlegend.

Der nützliche Charakter der Arbeit erweist sich erst im Nachhinein über den Markt, also  hinter dem Rücken der ProduzentInnen. Ob ein Produkt das Bedürfnis eines/r Dritten befriedigt, ist dabei jedoch nur eine Bedingung für die erfolgreiche Vermittlung über Kauf und Verkauf. Die Ware muss nicht nur ein Bedürfnis befriedigen, der Bedürftige muss  seinerseits auch kaufkräftig sein.

Wesentlich für das über den Markt vermittelte Verhältnis ist jedoch, dass in der kapitalistischen Produktionsweise noch in einem viel grundlegenderen Sinn die Bedürfnisse Dritter nur Mittel zum eigentlichen Zweck der Produktion verkörpern. Die Metamorphosen (Umwandlung) der Waren stellen selbst ein dem Kapitalkreislauf und den Metamorphosen des Kapitals untergeordnetes Moment dar. Der eigentliche Zweck der Produktion besteht in der Verwertung des Werts, darin, aus Kapital C mehr Kapital C’ zu schlagen. Daher muss der kapitalistische Produktionsprozess ständig nach Expansion, nach Ausdehnung seiner Basis und nach Erweiterung der Akkumulation streben. Ein Kapitalismus ohne Wachstum wäre gleichbedeutend mit einem Kapitalismus ohne erweiterte Reproduktion des Kapitals, wie Sklaverei ohne Versklavung.

Akkumulation ist das Lebenselixier der bestehenden Produktionsweise; ohne diese keine Vermehrung von Profit. Historisch betrachtet, ging dies mit einem enormen Fortschritt gegenüber vorhergehenden Gesellschaftsformationen einher, nämlich der Umwälzung der technischen Grundlage der Produktion, der Einbeziehung von Wissenschaft und Technik in den Arbeitsprozess und damit auch der Schaffung der produktiven Grundlagen für eine bewusste Form der Vergesellschaftung. Doch solange das Kapitalverhältnis selbst besteht, geht der Widersprich zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung auf Kosten von Mensch und Natur. Er  besteht in der Ausbeutung und damit in der Zurichtung der Arbeitenden einerseits in der Ausnutzung der Naturbedingungen ohne Rücksicht auf langfristige Folgen, also der Unterminierung und tendenziellen Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit andererseits.

Die Stärke des Marxismus und seiner Kapitalanalyse besteht zweifellos darin, dass er im 19. Jahrhundert bereits diese grundlegende Tendenz erkannt hat:

„In der Agrikultur wie in der Manufaktur erscheint die kapitalistische Umwandlung des Produktionsprozesses zugleich als Martyrologie der Produzenten, das Arbeitsmittel als Unterjochungsmittel, Exploitationsmittel und Verarmungsmittel des Arbeiters, die gesellschaftliche Kombination der Arbeitsprozesse als organisierte Unterdrückung seiner individuellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbständigkeit. Die Zerstreuung der Landarbeiter über größre Flächen bricht zugleich ihre Widerstandskraft, während Konzentration die der städtischen Arbeiter steigert. Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z. B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“[lii]

In der imperialistischen Epoche wird dieser Widerspruch weiter auf die Spitze getrieben. Die Tendenzen zur Monopolisierung, die immer größere Konzentration und Zentralisation des Kapitals verstärken erstens den Umfang des Produktionsprozesses und der Warenzirkulation, zweitens aber auch die Tendenz zum Beharren auf bestehender (umweltschädlicher) Produktion.

Globale Konkurrenz, Aufteilung der Welt zwischen den großen Kapitalgruppen und die Beherrschung der sog. Dritten Welt bedeuten auch, die Kosten etwaiger ökologischer „Folgeschäden“ auf ärmere Regionen, deren ArbeiterInnenklasse und Bauern- und Bäuerinnenschaft abzuwälzen – allesamt Folgen einer Produktionsweise, die sich auf der Ebene des Mensch-Natur-Verhältnisses zu einem System des Umweltimperialismus’[liii] verdichtet hat.

Die krisenhafte, katastrophische Zuspitzung dieses Widerspruchs drängt in den letzten Jahrzehnten unwillkürlich ins Bewusstsein der Gesellschaft, in den öffentlichen Diskurs. Klimawandel, wachsende Kluft zwischen Stadt und Land, zwischen Nord und Süd, die Fragen der Zukunft der Landwirtschaft, der Energieversorgung, des Artensterbens, die Zunahme von Schadstoffen und Müll sind nur einige Problemfelder, die deutlich machen, dass sich die Gesellschaft in einer ökologischen Sackgasse befindet.

So wie bei großen ökonomischen und gesellschaftlichen Krisen muss das Kapital auch bei der ökologischen Zuflucht beim Staat nehmen. Die Akkumulation und Konkurrenz führen an den Abgrund. Die ökologische Katastrophe bedroht nicht nur den ökonomischen Reproduktionsprozess, sondern die Lebensgrundlagen der Menschheit selbst. Daher ruft auch ein Teil der herrschenden Klasse nach Staatsintervention, ähnlich wie beim ökonomischen Krisenprozess.

So wie die gesellschaftlichen Formen des Kapitals (z. B. die Aktiengesellschaft) und das Staatseigentum ihre jeweilige Kapitaleigenschaft nicht abstreifen können, somit also keine Lösung seiner inneren Widersprüche darstellen können, sondern nur deren Austragungsform verändern, so kann auch kein noch so gut gemeinter Green New Deal, kein noch so ökologisch auftretender bürgerliche Staat ein nachhaltiges Verhältnis zu den natürlichen Grundlagen menschlicher Existenz herstellen.

Ähnlich wie bei Kapitalverhältnissen kann er zwar reformierend eingreifen, z. B. indem bestimmte Umweltauflagen für Unternehmen erlassen, bestimmte Technologien und damit verbundene Kapitalgruppen gefördert werden, indem versucht wird, durch Steuerpolitik einzugreifen usw.

Doch in Wirklichkeit sind die Möglichkeiten, den ökologischen Krisenprozessen mit staatlichen Reformen beizukommen, noch viel begrenzter, als der Verelendung der Lohnabhängigen durch den rein ökonomischen bzw. gewerkschaftlichen Kampf der ArbeiterInnenklasse zu begegnen.

Das liegt daran, dass der Lohnkampf bis zu einem gewissen Grad selbst notwendig ist, um das Wertgesetz im Kapitalismus überhaupt zur Geltung zu bringen. Ohne kollektive gewerkschaftliche Aktionen oder ohne staatliche Gesetze, also ohne Begrenzung des Arbeitstages oder Mindesteinkommen würde der Arbeitslohn für große Teile der Lohnabhängigen unter die Reproduktionskosten sinken, der Arbeitstag immer mehr ausgeweitet werden. Für die einzelnen Kapitale hätte dies natürlich unmittelbare Vorteile, weil es die Mehrwertrate deutlich erhöhen würde, aber für die Reproduktion des Gesamtkapitals würde es langfristig ein Problem darstellen, wenn sich die ArbeiterInnenklasse aufgrund zu geringer Löhne nicht ausreichend reproduzieren könnte. Ihr Gebrauchswert würde damit nämlich zerstört oder zumindest nicht in ausreichendem Maße hergestellt.

Allerdings kennt die herrschende Klasse Lösungswege auf dem Boden der Kapitalakkumulation und der imperialistischen Ordnung. Erstens können Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen oder eine Erhöhung des Soziallohns (Arbeitsschutzbestimmungen, Sozialversicherungen oder staatliche, über Steuern finanzierte Leistungen wie Schulbildung … ) durch eine Erhöhung des relativen Mehrwerts   so kompensiert werden, dass die Akkumulation sogar über mehrere Konjunkturzyklen hinweg weiter expansiv und dynamisch ausfallen kann. Zweitens erzwingt die imperialistische Arbeitsteilung auch, dass neben der Durchschnittsarbeit auch Lohnarbeitende in den Kolonien oder Halbkolonien bzw. rassistisch unterdrückte ihre Arbeitskraft unter ihrem Wert verkaufen müssen. Die Entlohnung der Arbeitskraft zu ihrem Wert findet daher auch im Normalbetrieb des Kapitalismus nur für einen Teil der globalen ArbeiterInnenklasse statt. In Krisenperioden wird auch dieses geschichtlich etablierte Niveau angegriffen.

Doch darüber hinaus muss noch ein weiterer grundlegender Unterschied in Betracht gezogen werden. Die Reproduktion von globalen ökologischen Systemen folgt einer anderen Logik als die des Kapitals. In letzter Instanz trifft das zwar auch auf die menschliche Arbeitskraft zu, aber in Phasen der Prosperität kann diese noch eher mit der Entwicklungsdynamik des Kapitals vermittelt werden.

Für den/die einzelne/n Lohnabhängige/n wie auch ganze Beschäftigtengruppen, ja, für eine gesamte ArbeiterInnenschaft, springt das Interesse an Löhnen, die die Reproduktionskosten auf Basis der kapitalistischen Verhältnisse decken, unmittelbar ins Auge und wird z. B. in der ideologisierten Forderung nach gerechtem Lohn erhoben.

Anders bei den ökologischen Folgekosten des Kapitalismus. Diese sind ohnedies oft externalisiert. Sie erscheinen darüber hinaus in einem Gegensatz zum eigentlichen Produktionsverhältnis. Indem die natürlichen Grundlagen der Produktion und des menschlichen Lebens gewissermaßen gratis vorgefunden werden, scheinen die zerstörerischen Folgen der kapitalistischen Produktion nur als „äußeres“ technisches Problem, nicht als Teil des Gesamtkomplexes gesellschaftlicher Arbeit.

Dies trifft ganz offenkundig auf die kapitalistische Umweltpolitik, aber auch auf linkere Varianten des Green New Deal zu. Alle unterstellen einen dauerhaft expandierenden, aber sozial regulierten Kapitalismus. Die ökologische Frage wird so allenfalls analog zu einem gewerkschaftlichen Problem betrachtet. Doch genau das bleibt unterhalb der eigentlichen Problematik.

In Wirklichkeit wirft die ökologische Krise dauerhaft die Frage auf, die auch jede Krise des Kapitalismus erhebt: die nach der Reorganisation des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs. Schon in der „Deutschen Ideologie“ begründen Marx und Engels die Notwendigkeit der sozialistischen Revolution aus der Entwicklung der inneren Widersprüche des Kapitalismus und verweisen in diesem Zusammenhang auf den grundlegenden Unterschied der kommunistischen Umwälzung gegenüber der bürgerlichen:

„Der Kommunismus unterscheidet sich von allen bisherigen Bewegungen dadurch, daß er die Grundlage aller bisherigen Produktions- und Verkehrsverhältnisse umwälzt und alle naturwüchsigen Voraussetzungen zum ersten Mal mit Bewußtsein als Geschöpfe der bisherigen Menschen behandelt, ihrer Naturwüchsigkeit entkleidet und der Macht der vereinigten Individuen unterwirft. Seine Einrichtung ist daher wesentlich ökonomisch, die materielle Herstellung der Bedingungen dieser Vereinigung; sie macht die vorhandenen Bedingungen zu Bedingungen der Vereinigung. Das Bestehende, was der Kommunismus schafft, ist eben die wirkliche Basis zur Unmöglichmachung alles von den Individuen unabhängig Bestehenden, sofern dies Bestehende dennoch nichts als ein Produkt des bisherigen Verkehrs der Individuen selbst ist.“[liv]

Kurzum, die Aufgabe der sozialistischen Umwälzung besteht darin, die Verkehrsform der Gesellschaft selbst bewusst hervorzubringen und zu gestalten. Dies schließt zugleich ein, die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, also ökologische Nachhaltigkeit selbst zu sichern. Im „Kapital“, wo Marx auf den zunehmenden Riss von Landwirtschaft und Industrie, von Mensch und Natur verweist, deutet er auch allgemein auf die Mittel zur Lösung des Problems:

„Die Zerreißung des ursprünglichen Familienbandes von Agrikultur und Manufaktur, welches die kindlich unentwickelte Gestalt beider umschlang, wird durch die kapitalistische Produktionsweise vollendet. Sie schafft aber zugleich die materiellen Voraussetzungen einer neuen, höheren Synthese, des Vereins von Agrikultur und Industrie, auf Grundlage ihrer gegensätzlich ausgearbeiteten Gestalten.“[lv]

Die Verbindung von Industrie, Agrikultur und Wissenschaft bildet den Schlüssel für diese Produktion der Verkehrsform – aber eben nur unter der Voraussetzung der Enteignung der herrschenden Klasse und einer planwirtschaftlichen Reorganisation der gesamten Produktion und Reproduktion.

Die Entwicklung der Produktivkräfte schafft zwar die Bedingungen zur Lösung der gesellschaftlichen und ökologischen Probleme. Erstere darf aber nicht nur als rein technische  Entwicklung verstanden werden, also solche der Erfindung neuer nachhaltiger Energieträger, effizienterer, Ressourcen sparender Produktion und Technik.

Vielmehr müssen solche in zukünftige Planungen und auch bereits in ein Programm von Übergangsforderungen eingebunden werden, um auf diesem Weg von Beginn an Parameter und Gleichgewichtsbedingungen für den Erhalt (oder teilweise auch die Wiederherstellung) ökologischer Geosysteme zu installieren.. Eine gesellschaftliche Gesamtplanung muss daher nicht nur als Planung bestimmter menschlicher Bedürfnisse, effektiverer, arbeitszeitsparender Produktion und dazu notwendiger Verteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit auf verschiedene Bereiche von Produktion und Reproduktion verstanden werden. Es muss auch der Stoffwechsel mit der Natur in die Planung selbst einfließen, so dass die menschliche Produktion als Teil eines größeren, globalen Kreislaufes begriffen wird.

Die gesellschaftliche Produktionsweise muss und kann nicht nur als Gegensatz zur natürlichen Umwelt verstanden, sondern muss auch als ihr Bestandteil erfasst werden – nämlich weil sich die Menschheit zwar selbst eine eigene, zweite gesellschaftliche Natur schafft, zugleich aber immer auch Naturwesen bleibt.

Die Enteignung des Kapitals, die Eigentumsfrage, stellt wie generell im Übergang zum Sozialismus die Schlüsselfrage zur Reorganisation der Wirtschaft gemäß menschlichen Bedürfnissen und ökologischer Nachhaltigkeit dar. Jedes Programm von Übergangsforderungen muss in der „Expropriation der ExpropriateurInnen“ gipfeln und in der Errichtung einer umfassenden demokratischen Planung.

Auch wenn es möglich und notwendig ist, Umweltreformen auch vom bürgerlichen Staat zu fordern, so entspricht die ökologische Transformation keiner Addition solcher, sondern sie erfordert vielmehr einen grundlegenden Bruch mit der bestehenden Gesellschaftsordnung.

Daher nimmt schon im Hier und Jetzt die Frage der Kontrolle über solche Maßnahmen, über Gesetze, erkämpfte Verbesserungen usw. eine Schlüsselrolle ein. Die Reorganisation der Produktion erfordert die Kontrolle durch die Lohnabhängigen, und zwar nicht nur auf betrieblicher, sondern auf gesellschaftlicher Ebene. So darf die ArbeiterInnenkontrolle z. B. bei der Umstellung von Produktionsverfahren oder Produktion nicht nur auf betrieblicher Ebene gedacht werden. Die Kontrolle z. B. über die Prioritäten der Verkehrsplanung muss über die betriebliche Ebene hinaus erfolgen. Selbiges gilt für die Frage der Reorganisation des Verhältnisses von Stadt und Land, für die Veränderungen in der Agrarproduktion, die Schaffung von Verbindungen und Kontrollorganen nicht nur der ArbeiterInnenklasse, sondern auch mit Bauern und Bäuerinnen, insbesondere der Kleinbauern-/bäuerinnenschaft und den Landlosen, wenn wir an die halbkolonialen Länder denken.

Die ökologische Transformation muss in jedem Fall mit einer massiven Umverteilung der Ressourcen einhergehen, einschließlich einer gewaltigen Zentralisation ebendieser, um das Erreichen von bedrohlichen Kipppunkten bei globalen Erdsystemen wie dem Klima zu verhindern, aber auch um die Mittel für die Bekämpfung der Folgen ökologischer Veränderungen gerade in den ärmsten Ländern und Regionen massiv zu erhöhen.

Die ökologische Transformation ist daher untrennbar mit der Machtfrage verbunden, dem Kampf für ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenregierungen und seiner Verallgemeinerung zur globalen sozialistischen Revolution.

Damit die ArbeiterInnenklasse selbst zum Subjekt, zur entscheidenden Trägerin dieser Umwälzung werden kann, muss sie selbst aber grundlegend verändert werden. Nicht nur die Jahrzehnte der Vorherrschaft von Stalinismus und Sozialdemokratie haben Verheerendes im Bewusstsein der Klasse angerichtet. Auf dem Weg zu einer Revolutionierung der Klasse müssen auch Scheinlösungen wie der Green New Deal politisch überwunden werden. Erst recht trifft das auf  rein ökonomistische Sichtweisen in der Umweltfrage und im ArbeiterInnenbewusstsein zu.

So erfordert beispielsweise ein Übergangsprogramm, auch offen auszusprechen, dass bestimmte Produktionsfelder eingestellt werden müssen, wenn wir die ökologische Krise überwinden wollen. Natürlich können und sollen die Arbeitenden in diesen Sektoren weiter Beschäftigung finden, ja, ihr Wissen, ihre Expertise stellt selbst eine enorme Ressource für die Konversion in ökologische nachhaltige Produktion dar. Zugleich erlaubt eine solche Umverteilung der Arbeit auch eine Reduktion der Arbeitszeit oder eine Verlagerung von Arbeit auf Sektoren, die heute chronisch an Überbelastung leiden (z. B. im Gesundheitswesen). Die Überwindung des entfremdeten Charakters der Arbeit und der repressiven Grundstruktur der bürgerlichen Gesellschaft wird schließlich auch die Bedürfnismuster verändern und die Grundlagen für den vorherrschenden Konsumfetisch allmählich zum Verschwinden bringen.

Aber ein Gesamtprogramm ökologischer Transformation erfordert, auch deutlich zu machen, dass es reale Einschränkungen des Verbrauchs an Konsumgütern nicht nur für KapitalistInnen und Mittelschichten wird geben müssen, sondern auch für bedeutende Teile der ArbeiterInnenaristokratie in den imperialistischen Ländern, wenn nicht für die gesamte Klasse. Schon Lenin wies in der Diskussion über die sozialistische Umwälzung des 20. Jahrhunderts darauf hin, dass das kommunistische Programm den privilegierteren Schichten der ArbeiterInnenklasse – damals der ArbeiterInnenaristokratie in Westeuropa und den USA – nicht einfach den bestehenden Zugang zu Konsumgütern weiter garantieren könne. Schließlich muss die globale sozialistische Revolution zuerst die Lebensbedingungen der Masse der Lohnabhängigen und vor allem der ärmsten und unterdrücktesten Schichten in den halbkolonialen Ländern sichern.

Was die sozialistische Revolution und eine damit einhergehende ökologische Transformation jedoch der gesamten Klasse der Lohnabhängigen und insbesondere auch der oft hoch qualifizierten, für die planmäßige Umgestaltung der Gesellschaft in vielen Fällen überaus wichtigen ArbeiterInnenaristokratie garantieren kann, ist erstens die Überwindung der Entfremdung ihre Arbeit, ihrer knechtischen, vereinseitigenden Unterordnung unter das Kapital und zweitens eine Reduktion der Arbeits- und damit eine deutliches Mehr an disponibler Zeit, um sich selbst umfassend als menschliches Individuum zu entwickeln.

Natürlich muss auch heute eine sozialistische Revolution für die große Masse der weltweiten ArbeiterInnenklasse wie auch der Bauern und Bäuerinnen eine Zunahme an Gütern bedeuten – sei es an Konsumgütern, an Wohnraum, an Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, an Gesundheits- und Altersversorgung usw. Für die privilegierteren Teile der ArbeiterInnenklasse gerade in den imperialistischen Ländern können wir uns jedoch eine sozialistische Revolution nicht ökonomistisch als weitere Vermehrung von Konsumgütern vorstellen. Diese würde die klassenlose Gesellschaft zu einer Unmöglichkeit machen. Auch der Überfluss der kommunistischen Gesellschaft, von dem Marx spricht (z. B. in der Kritik des Gothaer Programms) darf nicht als unbegrenzter Zugang zu Gütern missverstanden werden. Der Überfluss, den die klassenlose Gesellschaft allerdings herbeiführen kann, besteht vielmehr in der Reduktion gesellschaftlich notwendiger Arbeits- und in der Ausdehnung disponibler, frei verfügbarer Zeit, die zur eigenen allseitigen Entwicklung verwendet werden kann. Eng damit verbunden ist die Tatsache, dass eine klassenlose Gesellschaft, eine Reorganisation von Produktion und Reproduktion im Interesse der Gesellschaft selbst und ökologischer Nachhaltigkeit auch dazu beitragen werden, die für den Kapitalismus typische Trennung von entfremdeter Arbeit und, oft nur auf andere Weise entfremdeter, Freizeit zu überwinden, so dass die gesellschaftliche Arbeit selbst zu einem Bedürfnis und Teil einer allseitigen menschlichen Entwicklung wird.

Eine solche Perspektive der sozialistischen Transformation wird jedoch nicht spontan in der ArbeiterInnenklasse entstehen, ja, nicht entstehen können. Grundsätzlich entwickeln die Lohnabhängigen revolutionäres Klassenbewusstsein nie spontan oder auch nur aus ihren ökonomischen Kämpfen heraus. Dieses muss vielmehr von außen in die Klasse getragen werden.

Die aktuelle ökologische Krise und deren Verschärfung führen zweifellos Millionen Lohnabhängige und vor allem Millionen Jugendlicher zur Suche nach einer Lösung für die großen ökologischen Probleme.  Aufgrund der Verhältnisse werden sie geradezu auf den Weg der Systemkritik, auf die Suche nach einer Alternative zum Kapitalismus  gestoßen. Worin der oft geforderte Systemwandel jedoch besteht, wie er erkämpft werden kann, welche gesellschaftliche Neuorganisation daher notwendig ist und wie diese erkämpft werden soll, ergibt sich daraus jedoch noch nicht. Das erfordert vielmehr die Verbindung von ArbeiterInnenklasse, ökologischer Kritik und wissenschaftlichem Sozialismus zu einer Einheit, zu einer revolutionären Partei und Internationale. Es erfordert ein internationales Programm von Übergangsforderungen, das den Kampf gegen die ökologische Krise als Teil der sozialistischen Weltrevolution begreift. Und es erfordert eine Rückbesinnung auf einen umfassenden Begriff von sozialer Umwälzung und Kommunismus. Nur die Umwerfung aller Verhältnisse, die den Menschen zu einem verächtlichen, ausgebeuteten, geknechteten, unterdrückten und vereinseitigten Wesen machen, stellt die notwendige, unerlässliche Voraussetzung dafür dar, dass die Menschen selbst ihre eigene gesellschaftliche Verkehrsform bewusst gestalten und hervorbringen – im Einklang mit ihren natürlichen Lebensbedingungen.

Endnoten

[i] https://www.de-ipcc.de/media/content/Hauptaussagen_AR6-WGI.pdf

[ii] Matthias Martin Becker, Klima, Chaos, Kapital, PapyRossa Verlag, Köln 2021, S. 78

[iii] http://pdwb.de/nd23_2011.htm

[iv] Roosevelt, Nominierungsrede 1932, Zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/New_Deal

[v] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1939/04/marxismus.htm

[vi] Leo Trotzki, Faschismus und New Deal. In: Ders., Denkzettel. Politische Erfahrungen im Zeitalter der permanenten Revolution [Hrsg.: Isaac Deutscher/George Novack/Helmut Dahmer], Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1981, S. 254)

[vii] Ebenda, S. 255

[viii] Ernest Mandel, Trotzkis Faschismustheorie, Einleitung zu Schriften über Deutschland, in: Leo Trotzki, Schriften über Deutschland, Band 1, EVA, Frankfurt/Main 1971, S. 14.)

[ix] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/boerse/biden-klimaschutz-billionenprogramm-101.html

[x] https://www.blaetter.de/ausgabe/2021/juni/bidenomics-klimawende-mit-angezogener-handbremse

[xi] https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de

[xii] https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm-DIE-GRUENEN-Bundestagswahl-2021_barrierefrei.pdf

[xiii] Ebenda, S. 6

[xiv] Ebenda, S. 34

[xv] Ebenda, S. 34

[xvi] Ebenda, S. 117

[xvii] Naomi Klein, Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2015

[xviii] Naomi Klein, Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann, Hoffmann und Campe, Hamburg 2019

[xix] Klein, zitiert nach: Ebenda, S. 280

[xx] Klein, ebenda,  S. 281

[xxi] Ebenda, S. 282

[xxii] Unter degenerierten ArbeiterInnenstaaten verstehen wir Staaten, in denen der Kapitalismus zwar abgeschafft wurde, jedoch die Bürokratie die politische Macht monopolisiert hat. Die Sowjetunion entwickelte sich nach einer genuinen proletarischen Revolution zu einem ArbeiterInnenstaat mit bürokratischen Auswüchsen, Deformationen aufgrund ihrer Isolation. Die Etablierung der stalinistischen Herrschaft bedeutete den Abschluss dieses Prozesses. China, Kuba, Nordkorea, Vietnam oder die Länder Osteuropas waren von Beginn an degenerierte ArbeiterInnenstaaten. Zur Analyse siehe: Revolutionärer Marxismus 52, Theoretisches Journal der Liga für die Fünfte Internationale, Stalinismus und der Untergang der DDR, global red, Berlin 2019

[xxiii] Klein, Warum nur ein … , a. a. O., S. 282

[xxiv] Ebenda, S. 38

[xxv] Ebenda, S. 320

[xxvi] Yeva Nersisyan/Randall L. Wray, How to Pay for the Green New Deal, in: Working Paper des Levy Insitute of Bard College, No 931, Mai 2019; zitiert nach: Ingo Stützle, Money makes the world go green, in: PROKLA 202, 51. Jg., Nr. 1, Bertz + Fischer, Berlin März 2021, S. 72

[xxvii] Klein, Warum nur ein … , a. a. O., S. 324

[xxviii] Ebenda, S. 328

[xxix] Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, in: MEW 4, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1959, S. 488

[xxx] Klein, Warum nur ein … , a. a. O., S. 327

[xxxi] Ingo Stützle, Money makes the world go green? In: PROKLA 202, Bertz + Fischer, Berlin 2021, S. 71 – 94

[xxxii] Karl Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1971, S. 109

[xxxiii] Ebenda, S. 107

[xxxiv] Ingo Stützle, Money makes … , a. a. O.,  S. 83

[xxxv] Ebenda

[xxxvi] Katharina Schramm, Radikal bis neoliberal – aktuelle Konzepte des Green New Deal, in: Z. Zeitschrift für marxistische Erneuerung 121 [Hrsg.: Forum Marxistische Erneuerung e. V./IMSF e. V.], Frankfurt(Main März 2020; [online]: https://www.linksnet.de/artikel/47932

[xxxvii] Dörre, Great Transformation: Die Zukunft moderner Gesellschaften (Vortrag, gehalten auf dem 30. ordentlichen Bundeskongress der NaturFreunde Deutschlands e. V., Nürnberg 31. März bis 2. April 2017); [nur online]:

http://www.intranet.naturfreunde.de/sites/default/files/attachments/nfdbk_vortrag-doerre_great-transformation.pdf

[xxxviii] Bernd Riexinger, Neue Klassenpolitik. Solidarität der Vielen statt Herrschaft der Wenigen, VSA Verlag, Hamburg 2018

[xxxix] Bernd Riexinger, System Change, Plädoyer für einen linken Green New Deal –
Wie wir den Kampf für eine sozial- und klimagerechte Zukunft gewinnen können.
Eine Flugschrift, VSA Verlag, Hamburg 2020

[xl] Ebenda, S. 9

[xli] Ebenda, S. 24

[xlii] Ebenda, S. 132 f.

[xliii] Ebenda, S. 59 f.

[xliv] Ebenda, S. 62

[xlv] Ebenda, S. 103

[xlvi] Ebenda, S. 103

[xlvii] Ebenda, S. 16

[xlviii] Ebenda, S. 96

[xlix] Ebenda, S. 97

[l] Marx, Das Kapital, Band 1, a. a. O., S. 192

[li] Ebenda, S. 193

[lii] Ebenda, S. 528 ff

[liii] Chris Kramer, Umwelt und Kapitalismus, Revolutionärer Marxismus 54, S. 7 – 40

[liv] Karl Marx/Friedrich Engels, Die Deutsche Ideologie, in: MEW 3, Dietz Verlag, Berlin/DDR 1969, S. 70

[lv] Marx, Das Kapital, Band 1, a. a. O.,  S. 528