Israel verbietet UN-Flüchtlingshilfswerk

Dave Stockton, Infomail 1268, 8. November 2024

Am Montag, den 28. Oktober, stimmte das israelische Parlament, die Knesset, mit 92 gegen 10 Stimmen für das Verbot des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge (UNRWA), das 1948 während der Nakba gegründet wurde.

Nun, da eine zweite Nakba im Gange ist, stimmte auch die israelische Opposition, die so genannten liberalen Zionist:innen, unter Führung der Partei der Nationalen Einheit von Benny Gantz (Chosen LeJisra’el; seit 2022 Teil des Bündnisses HaMahane) für diese grausame Maßnahme. Dies bestätigt den kriminellen Charakter des gesamten israelischen Regimes.

Bis zu ihrem Inkrafttreten bleiben angeblich noch 90 Tage, in denen sie zur Schließung der Einrichtungen des UNRWA in den gesamten besetzten palästinensischen Gebieten – einschließlich des Westjordanlands und Ostjerusalems – führen wird. Wenn dies geschieht, werden 2,9 Millionen Palästinenser:innen in rund 30 Flüchtlingslagern keine Schulen, keine medizinische Versorgung, keine Müllabfuhr, keine Versorgung mit sauberem Wasser und keine anderen kommunalen Dienstleistungen mehr haben, wie es ihnen bisher zur Verfügung stand.

Die UNRWA hat über 13.000 Mitarbeiter:innen, die ihren Arbeitsplatz verlieren werden; 233 wurden bereits getötet. Zwei Drittel der Einrichtungen der Agentur in Gaza sind seit Kriegsbeginn schwer beschädigt oder zerstört worden. Viele der Einrichtungen, die als Schutzräume vor dem intensiven Bombardement dienten, wurden gezielt angegriffen.

Zwei israelische Luftangriffe von F-16 Bomberflugzeugen auf eine Schule, in der vertriebene Familien im zentralen Gazastreifen untergebracht sind, haben mindestens 28 Todesopfer und 54 Verletzte gefordert. Die Bomben trafen auch zwei Räume, in denen Lebensmittel gelagert und verteilt wurden.

Genozid

Israel hat den 400.000 im nördlichen Gazastreifen verbliebenen Menschen, von denen viele kranke oder ältere Angehörige haben, 10 Tage Zeit gegeben, um in den Süden zu ziehen. Giora Eiland, der Autor des berüchtigten Generalplans, warnt: „Nach Ablauf dieser Frist wird dieses ganze Gebiet zur Militärzone werden. Und alle Hamasleute, egal ob einige von ihnen Kämpfer:innen oder Zivilist:innen sind, werden zwei Möglichkeiten haben: entweder sich zu ergeben oder zu verhungern. Die Armee blockiert alle Lieferungen von Lebensmitteln, Wasser und anderen lebensnotwendigen Gütern.“

Es ist inzwischen unbestreitbar, dass Israel die Vernichtung oder Vertreibung der Bevölkerung des Gazastreifens und die Zerstörung palästinensischer Gemeinden im Westjordanland und in Ostjerusalem vorantreibt. Außerdem wird der Südlibanon als Pufferzone geräumt, und es werden eine Million Menschen nach Norden vertrieben.

In Großbritannien, Deutschland, der Europäischen Union und den USA müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um die Regierungen – die die Täter:innen weiterhin mit Waffen versorgen und unterstützen – zu zwingen, die Unterstützung des laufenden Völkermord in vollem Umfang zu stoppen.

Die Gewerkschaften, die die Macht haben, wenn sie sie nur nutzen würden, müssen klarmachen, dass sie keine weiteren Waffenlieferungen, Wirtschaftsbeziehungen oder diplomatische Deckung für den mörderischen zionistischen Staat dulden werden. Und sie sollten dies in der einzigen Sprache tun, die sie verstehen – mit Streiks, die verdeutlichen, dass die Arbeiter:innen sich nicht an dem Völkermord beteiligen werden.




Statement: Ein Jahr seit Beginn des israelischen Genozids

Gemeinsame Erklärung von Internacional Socialist League (ISL), International Trotskyist Opposition (ITO) und League for the Fifth International (L5I)

Nein zum zionistischen Staat in Palästina! Stoppt die Invasion des Libanon! USA raus aus dem Nahen Osten! Für ein demokratisches, säkulares und sozialistisches Palästina!

1. Am 7. Oktober jährt sich rzum ersten Mal der Tag, an dem die Hamas die Grenzverteidigung im Süden Israels überwand, militärische Ziele angriff, Geiseln nahm – hauptsächlich Zivilist:innen – und zu ihren Stützpunkten zurückkehrte. Die Operation kam für Israel überraschend, zerschlug den Mythos seiner Unverwundbarkeit und lähmte den Prozess der „Normalisierung“ seiner Beziehungen zu den arabischen Komplizenstaaten, die vom US-Imperialismus gefördert werden. Der Schmerz über den Tod und die Misshandlung unbewaffneter Zivilist:innen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wesentliche Verantwortung für die Gewalt beim zionistischen und kolonialistischen Staat liegt, der seit dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 unter dem Schutz des britischen Imperialismus ethnische Säuberungen und Völkermord am palästinensischen Volk begangen hat, mit einem dramatischen Anstieg, als der israelische Staat 1948, vor 76 Jahren, gegründet wurde.

2. Als Vergeltung für die Aktionen der Hamas haben die israelischen Streitkräfte (IDF) einen brutalen Krieg gegen Palästina, insbesondere im Gazastreifen, wieder aufgenommen. Die gnadenlose Bombardierung von Häusern, Krankenhäusern, Schulen, Bäckereien und Flüchtlingslagern, die Unterbrechung der Wasser-, Strom- und Internetversorgung und die Blockade internationaler humanitärer und medizinischer Hilfe haben bisher mehr als 200.000 palästinensische Todesopfer gefordert, 41.000 davon durch Kugeln und Bomben, Zehntausende weitere durch Unterernährung und fehlende Medikamente – hauptsächlich Frauen und Kinder –, fast zwei Millionen Vertriebene und die Zerstörung der gesamten grundlegenden Infrastruktur. Zusätzlich zu diesem Massaker greifen zionistische Truppen und Siedler:innen palästinensische Bewohner:innen im besetzten Westjordanland an.

3. In der letzten Woche hat der Staat Israel seine Angriffe auf den Libanon vervielfacht. Zuerst wurden Tausende von Pagern und Walkie-Talkies gesprengt und dann Bombenangriffe auf Zivilisten im Süden geflogen, wodurch die Möglichkeit einer Eskalation des Krieges im gesamten Nahen Osten eröffnet wurde. Bisher hat die Offensive Hunderte von Toten, Tausende von Verletzten und eine massive Vertreibung aus dem Südlibanon und den Gebieten Baalbek, Bekaa-Ebene und Hermel-Distrikt in Richtung der Hauptstadt Beirut verursacht. Es handelt sich um den größten Angriff auf dieses Land seit der zionistischen Besetzung im Jahr 1982, eine Aggression, die Israel nun zu wiederholen beabsichtigt. Die Ermordung von Nasrallah und die Invasion des Südlibanon entwickeln sich zu einem umfassenden Krieg gegen die Hisbollah und das gesamte libanesische Volk. Gleichzeitig sind die Kapazitäten der Krankenhäuser und humanitären Hilfsorganisationen aufgrund des wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Libanon erschöpft.

4. Im vergangenen Jahr haben Israels Angriffe und bewaffnete Operationen auch Syrien, Jemen und den Iran erreicht, immer mit der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Unterstützung durch die Vereinigten Staaten, den westlichen Imperialismus und ihre Regierungen. Israel genießt auch die ausdrückliche oder stillschweigende Komplizenschaft der neuen Imperialismen Russlands und Chinas sowie der Mehrheit der kapitalistischen Regierungen der arabischen Länder. Abgesehen von seiner antiisraelischen Rhetorik hat das reaktionäre und theokratische iranische Regime den palästinensischen Widerstand nicht in der Praxis gemäß dessen Erwartungen unterstützt. Gleichzeitig besteht die größte Bedrohung für die Möglichkeit eines echten Friedens in der Region in der zionistisch-imperialistischen Unterdrückung.

5. Trotz des enormen Ungleichgewichts der Kräfte und der Massaker ist es Israel immer noch nicht gelungen, den palästinensischen Widerstand zu brechen, die Hamas zu zerschlagen oder die Geiseln zu befreien. Gleichzeitig finden in den wichtigsten imperialistischen Ländern, in der arabischen Welt und weltweit, mit der Jugend an vorderster Front, massive Demonstrationen, Zeltlager und andere Aktionen in Solidarität mit Palästina und zum Boykott zionistischer Interessen statt, die die kriminelle Rolle Israels aufdecken. Aktivist:innen stellen sich gegen die Unterdrückung und Verfolgung durch mitschuldige Regierungen. Diese wachsende Ablehnung hat den Internationalen Strafgerichtshof und die UN-Organisationen dazu gezwungen, Resolutionen zu verabschieden, in denen Israel verurteilt und ein Waffenstillstand, die Bereitstellung humanitärer Hilfe und ein Ende der Besetzung neuer Gebiete gefordert werden. Aber sie beschränken sich auf formelle Erklärungen ohne wirksame Sanktionen. Das einzige entscheidende Instrument für den Sieg bleibt der palästinensische Widerstand und die aktive Solidarität der arabischen Völker und der ganzen Welt.

6. Die rechtsextreme Regierung von Netanjahu, der Likud und die religiösen Parteien vertiefen ihre antipalästinensische Offensive mit eindeutig pogromistischem Charakter. Die Proteste in Israel kritisieren die Regierung und fordern, dass sie mit der Hamas über einen Gefangenenaustausch verhandelt, aber sie unterstützen die zionistische Vorherrschaft. Progressive Antibesatzungskräfte sind stark in der Minderheit. Auf der anderen Seite spielen die Palästinensische Autonomiebehörde von Abbas und die PLO im Westjordanland eine Rolle der mehr oder weniger offenen Zusammenarbeit mit Israel. Was die Hamas, die Hisbollah und andere bürgerliche und dschihadistisch-nationalistische Führungen betrifft, so ist ihr politisches Projekt ein kapitalistischer und islamisch-fundamentalistischer palästinensischer Staat im Stil des Iran, den wir als reaktionär und autoritär ablehnen. Wir sind von dieser Strategie durch unüberbrückbare Differenzen getrennt, weshalb wir den Aufbau einer neuen revolutionären, sozialistischen und internationalistischen palästinensischen Führung unterstützen.

7. Trotz dieser grundlegenden Unterschiede unterstützen wir bedingungslos die Sache des palästinensischen Volkes für seine Befreiung und Selbstbestimmung, sein Recht, sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen und in seine usurpierten Häuser und Ländereien zurückzukehren und diese wiederzuerlangen. Wir rufen die Jugend, Arbeiter:innen und Völker, Menschenrechts- und Volksorganisationen, antizionistische arabische und jüdische Aktivist:innen in den Vereinigten Staaten, Europa, dem Nahen Osten, dem Maghreb und der ganzen Welt auf, ihre Mobilisierung zur Ablehnung des Staates Israel und zur Unterstützung Palästinas zu verstärken. Die erste Aufgabe revolutionärer Sozialist:innen besteht darin, die größtmögliche Einheit des Handelns gegen den zionistischen Völkermord und in Solidarität mit dem palästinensischen Volk zu fördern. Wir sprechen auch darüber hinaus dem libanesischen Volk unsere Unterstützung aus, das heute von Israel ungestraft angegriffen wird.

8. Es gab keinen, gibt keinen und wird keinen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten geben, solange die Unterdrückung durch den zionistischen, theokratischen und terroristischen Staat Israel, der künstlich als proimperialistischer Gendarm der arabischen Völker positioniert ist, anhält. Weder mit der gescheiterten Zweistaatenpolitik, die der Imperialismus und seine Verbündeten wieder aufleben lassen wollen, noch mit einem kapitalistischen und islamistischen palästinensischen Staat. Um eine fortschrittliche Rolle zu spielen, müssen die israelische Arbeiter:innenklasse und die Jugend mit dem Zionismus brechen, seinen Krieg ablehnen und die palästinensische Sache unterstützen. Frieden wird nur möglich sein, wenn der unterdrückerische israelische Staat endgültig besiegt und durch ein einziges, säkulares, demokratisches und sozialistisches Palästina im Rahmen einer regionalen sozialistischen Revolution ersetzt wird.

9. Die unterzeichnenden Organisationen schlagen vor:

• Die breitestmögliche internationale Mobilisierung zur Verteidigung und in Solidarität mit dem palästinensischen Volk gegen die zionistische Apartheid und den Völkermord. Solidarität mit dem libanesischen Volk angesichts der israelischen Aggression.

• Sofortige Waffenruhe und Beendigung der israelischen Angriffe auf Gaza, das Westjordanland, den Libanon und Syrien. Rückzug der zionistischen Truppen und Siedler:innen aus Gaza und dem Westjordanland.

• Forderung an die Regierungen, die diplomatischen, wirtschaftlichen, akademischen und militärischen Beziehungen zu Israel abzubrechen. Unterstützung der BDS-Kampagne: Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen.

• Freiheit für alle palästinensischen Gefangenen in Israel. Recht auf Rückkehr für palästinensische Flüchtlinge und auf Rückerlangung ihres Landes und ihrer Häuser. Volle Gleichberechtigung.

• Für die revolutionäre Überwindung des zionistischen Staates. Für ein einziges, säkulares, demokratisches und sozialistisches Palästina, in dem alle Völker in Frieden leben.

• Nieder mit den arabischen Monarchien und kapitalistischen Regierungen, Komplizinnen des Zionismus und Imperialismus. Für eine Föderation sozialistischer Republiken im Nahen Osten.

• USA und alle Imperialist:innen raus aus dem Nahen Osten!

Internacional Socialist League (ISL)

International Trotskyist Opposition (ITO)

League for the Fifth International (L5I)




Solidarität mit Palästina! Stoppt den Krieg gegen Gaza und den Libanon!

Arbeiter:innenmacht-Flugblatt, Infomail 1265, 4. Oktober 2024

Israel führt seit einem Jahr einen völkermörderischen Krieg gegen die Bevölkerung von Gaza und in der Westbank, der auf die Vertreibung und Zerstörung der palästinensischen Nation zielt. Nun ergreift der Krieg den Libanon und auch den Iran.

Der vielbeschworene Flächenbrand wird zur Wirklichkeit. Wir stehen am Beginn einer Bodeninvasion und „begrenzten“ Besetzung Libanons, ein Krieg gegen den Iran droht.

Das Andenken und die Trauer über die Opfer des 7. Oktober werden genutzt, um einen grausamen Genozid zu rechtfertigen, immer wieder vier weitere Staaten zu bombardieren, Millionen zur Flucht zu zwingen und den Tod Zehntausender zu legitimieren. Die Regierung und die Medien rechtfertigen diese Barbarei und zeigen damit, wie eng Krieg und Vertreibung mit den Interessen des westlichen Imperialismus verbunden sind.

Ein Jahr Krieg – ein Jahr Eskalation

Seit 7. Oktober 2023 haben wir es mit einer systematischen Eskalation der Lage zu tun, die vom israelischen Staat ausgeht und von seinen internationalen Verbündeten – mal offen, mal mit einigen „humanitären“ Mahnungen – unterstützt wird.

  • Seit einem Jahr führt Israel einen pogromistischen Krieg gegen Gaza. 40.000 – 50.000 Menschen wurden bei den Angriffen getötet, rund 200.000 starben nach UN-Schätzungen infolge ihrer Auswirkungen. 70 % der Häuser und Infrastruktur sind vernichtet.

  • Die zionistischen, bewaffneten faschistoiden Siedlerverbände intensivieren unter dem Schutz und in Zusammenarbeit mit der Armee Angriffe und Vertreibung auch in der Westbank.

  • Bei den Angriffen auf den Libanon starben hunderte Menschen, darunter Nasrallah und andere Hisbollah-Anführer, vor allem aber auch zahllose Zivilist:innen. Hunderttausende sind auf der Flucht, eine massive Offensive zur Errichtung einer „begrenzten“ Besatzung wurde gestartet.

  • Mit der Ermordung des Hamas-Führers Haniyya in Teheran hat Israel jedes auch nur begrenzte Waffenstillstandsabkommen mit der Hamas faktisch ausgeschlossen und provoziert bewusst einen möglichen Krieg mit dem Iran.

Diese Eskalation hat mehrere, miteinander verbundene Ursachen:

Erstens sieht der rechtsextreme, in Teilen faschistische Flügel der Regierung seine Chance, eine vollständige Säuberung Palästinas durchzusetzen. Er setzt bewusst auf Eskalation und Aggression gegen Iran, Jemen, Libanon oder Syrien, um trotz einer großen Protestbewegung gegen Netanjahu die reaktionäre Einheit unter dem Banner der „Verteidigung Israels“  herzustellen. Seit Jahren zeigt sich dabei: Solange die jüdische Arbeiter:innenklasse Israels mit dem rassistischen Zionismus nicht bricht, ist sie unfähig, der Rechten Paroli zu bieten, bleibt sie politisch ohnmächtig, toleriert oder unterstützt gar die pogromistische Politik.

Zweitens stehen die westlichen imperialistischen Verbündeten Israel zur Seite, obwohl sie ein moderateres Vorgehen gegen die Palästinenser:innen bevorzugen würden. An allen wichtigen Wendepunkten unterstützen sie es, zu keinem Zeitpunkt wurde die politische, finanzielle und militärische Unterstützung in Frage gestellt. So blockieren sie UN-Resolutionen, liefern Waffen und setzen ihre Marine und Luftwaffe gegen Iran, die Hisbollah und Huthi ein.

Drittens beschränken sich die meisten Staaten des Nahen Ostens – Saudi-Arabien und Ägypten, aber auch Katar und die Türkei – auf Protestresolutionen gegen die zionistische Aggression. Zugleich bieten sie sich als Vermittler:innen für den Imperialismus und Israel an. Eine ähnliche Rolle spielen China und Russland, die zwar auf eine „Mäßigung“ Israels drängen, aber die imperialistische Ordnung letztlich nicht in Frage stellen. Selbst der Iran and die Hisbollah wollen einen Waffengang mit Israel vermeiden und haben daher bisher alle Gegenschläge gegen dessen Aggression beschränkt. Für alle diese Kräfte spielt das Schicksal der Palästinenser:innen bestenfalls eine ihren eigenen Zielen untergeordnete Rolle.

Die Rolle der Führung

Trotz dieser ungünstigen internationalen Verhältnisse leisten die Massen in Gaza und der Westbank bis heute heroischen Widerstand gegen Besatzung und Vertreibung. Aber sie stehen angesichts der Offensive scheinbar übermächtiger Gegner:innen mit dem Rücken zur Wand.

Die drohende Katastrophe ist jedoch auch Resultat der Politik der palästinensischen Führungen. Seit Jahrzehnten fungieren die Palästinensische Autonomiebehörde und die Fatah faktisch als verlängerter Arm der Besatzung, der EU und USA.

Die Führung der islamistischen Hamas erweist sich auch als reaktionäre Sackgasse. Sie setzte über Jahre auf die sog. „Achse des Widerstandes“, ein Bündnis zwischen Hisbollah, Syrien, Iran, deren Hauptkräfte im Bündnis mit Russland vor allem die syrische Revolution bekämpften und das Assad-Regime retteten.

Die Hamas, aber auch die Hisbollah und andere bürgerliche und dschihadistische nationalistische Führungen verfolgen ein reaktionäres Ziel – die Errichtung eines kapitalistischen und islamisch-palästinensischen Staats. Dieses Vorhaben erleichtert nicht nur die Dämonisierung der Hamas und des palästinensischen Volkes, es ist auch den Interessen der Massen an umfassender Befreiung von nationaler und sozialer Unterdrückung direkt entgegensetzt und vollkommen ungeeignet, die Einheit der Arbeiter:innen und Bäuer:innen im Nahen Osten gegen Zionismus, Imperialismus und Kapitalismus herzustellen.

Trotz dieser grundlegenden Differenzen unterstützen wir bedingungslos den Befreiungskampf und das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes, sein Recht, sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen. Wir rufen die Jugend, die Arbeiter:innen und die unterdrückten Massen, die antizionistischen arabischen und jüdischen Aktivist:innen in den Vereinigten Staaten, in Europa, im Nahen Osten, im Maghreb und in der ganzen Welt auf, ihre Mobilisierung zu verstärken. Die erste Aufgabe der revolutionären Kommunist:innen besteht darin, die größtmögliche Aktionseinheit gegen den Völkermord und in Solidarität mit dem palästinensischen Volk zu fördern. Das gilt auch für das libanesische Volk, das heute von Israel angegriffen wird, sowie allen anderen Zielen der zionistischen und imperialistischen Aggression.

Es gab, gibt und wird keinen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten geben, solange die Unterdrückung durch den zionistischen Staat Israel, der als proimperialistischer Gendarm fungiert, anhält. Auch nicht mit der gescheiterten Zwei-Staaten-Politik, die der Imperialismus und seine Verbündeten wiederherzustellen versuchen, und auch nicht mit einem kapitalistischen und islamistischen palästinensischen Staat. Um eine fortschrittliche Rolle zu spielen, müssen die israelische Arbeiter:innenklasse und Jugend mit dem Zionismus brechen, seinen Krieg ablehnen und den palästinensischen Befreiungskampf unterstützen. Frieden wird nur möglich sein, wenn der unterdrückerische israelische Staat durch ein einheitliches, säkulares, demokratisches und sozialistisches Palästina im Rahmen einer regionalen sozialistischen Revolution ersetzt wird.

  • Sofortiger Waffenstillstand und sofortiges Ende der israelischen Angriffe auf Gaza, das Westjordanland, den Libanon, Jemen, Syrien und Iran! Abzug der zionistischen Siedler:innen und Truppen aus Gaza und Westbank! Alle US- und imperialistischen Truppen raus aus dem Nahen Osten!

  • Keine Waffen für den Genozid! Stopp der diplomatischen, wirtschaftlichen, akademischen und militärischen Beziehungen zu Israel!

  • Freiheit für alle palästinensischen Gefangenen in Israel! Recht auf Rückkehr für palästinensische Flüchtlinge! Volle Gleichberechtigung!

  • Für einen säkularen, demokratischen und sozialistischen Staat in ganz Palästina, in dem alle Nationen in Frieden leben!

  • Nieder mit den arabischen Monarchien und kapitalistischen Regierungen! Für eine Föderation der Sozialistischen Republiken im Nahen Osten!

Anhang: Palästinasolidarität stärken und aufbauen!

Die bedingungslose Solidarität mit Israel wird nicht nur zur Staatsräson verklärt, der deutsche Staat und die Regierung agieren auch wie eine Kriegspartei. Die Bundesrepublik ist zweitgrößter Waffenlieferant Israels und hält dessen Kriegsmaschinerie mit am Laufen. Die Regierung und sämtliche bürgerlichen Parteien und Medien hetzen gegen jede Solidarität mit Palästina, verbreiten Rassismus gegen Palästinenser:innen, Muslim:innen und Migrant:innen. Und der Repressionsapparat führt aus – mit Verboten von Demos, Vereinen und Kongressen, Schikanen, willkürlichen Festnahmen, Berufsverboten und Abschiebungen.

Die SPD-Spitzen, ihre Leitungsgremien und die Gewerkschaftsspitzen machen dabei willfährig mit. „Bestenfalls“ sagen sie nichts. Das BSW ist zwar für „Frieden“, fordert aber zugleich mehr Abschiebungen und forciert den antimuslimischen Rassismus. DIE LINKE will den Rechtsruck bekämpfen und das Asylrecht verteidigen, weiß aber nicht, ob sie sich mit Palästina oder doch mit Israel solidarisieren soll.

Auch in der Linken und Arbeiter:innenklasse stehen wir somit mächtigen Hindernissen gegenüber, eine starke Solidaritätsbewegung aufzubauen. Dennoch demonstrieren seit einem Jahr tausende Aktive regelmäßig, organisieren Besetzungen, Demonstrationen, Kongresse und Veranstaltungen. Auch wenn wir gegen den Strom der (ver)öffentlich(t)en Meinung schwimmen müssen, lassen wir uns nicht entmutigen.

Wir müssen weiter daran arbeiten, die Lügen der Herrschenden zu entlarven, um einen Stimmungsumschwung in der Arbeiter:innenklasse, insbesondere in den Gewerkschaften herbeizuführen, um eine breite Solidaritätsbewegung aufzubauen. Dazu brauchen wir klare Forderungen, die wir auch gegen die deutsche Politik richten müssen:

  • Schluss mit der Repression! Nein zum Verbot palästinensischer Organisationen und Vereine, ihrer Fahnen und Symbole!

  • Schluss mit der Kriminalisierung der Solidaritätsbewegung! Einstellung aller Verfahren, Überwachungs- und Bespitzelungsmaßnahmen! Aufhebung aller Berufsverbote, Exmatrikulationen und Entlassungen! Stopp aller Abschiebungen!

  • Sofortiger Rückzug der Bundeswehr, der US-Armee und aller NATO-Truppen aus dem Roten Meer und dem Nahen Osten! Nein zu Aufrüstung und Sondervermögen der Bundeswehr für den Krieg!

  • Keine Waffen an Israel! Sofortige Einstellung jeglicher militärischer, diplomatischer und wirtschaftlicher Unterstützung Israels durch den deutschen Staat!

Wir rufen Gewerkschaften, Beschäftigte und die Bevölkerung dazu auf, Waffenlieferungen aus Deutschland zu stoppen. Wir fordern die Gewerkschaften auf, dem Aufruf ihrer palästinensischen Schwesterorganisationen zu folgen und eine international koordinierte Kampagne gegen das Morden zu organisieren. Lasst uns jegliche Rechtfertigung und Unterstützung des Genozids durch Streiks, Blockaden und Besetzungen stoppen!




Der Völkermord in Gaza ist kein Ort für politische Manöver!

Offener Brief an Albin Kurti, Premierminister der Republik Kosovo, Vorsitzender der Partei Vetevendosje, Infomail 1265, 1. Oktober 2024 

Überall auf der Welt sind die Menschen schockiert und wütend über den Völkermord in Gaza und die Diskriminierung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes in Israel und im Westjordanland. Für diejenigen, die von nationaler, ethnischer oder rassischer Unterdrückung betroffen sind, für diejenigen, die gegen Unterdrückung jeglicher Art und für gleiche Rechte oder gegen Ausbeutung und Armut kämpfen, ist die Solidarität mit Palästina zu einem gemeinsamen Bindeglied in der ganzen Welt geworden. 

Sie, Albin Kurti, Ihre Partei und Ihre Regierung haben geschwiegen. Sie haben den Völkermord nicht erwähnt, Sie haben sich nicht dagegen gestellt, Ihre Partei hat nicht zu Demonstrationen oder Kundgebungen dagegen aufgerufen. Schlimmer noch, Ihre Partei hat ihre eigenen Dokumente aus ihrem Internetarchiv entfernt, in denen sie sich während des israelischen Angriffs im Jahr 2014 mit den Menschen in Gaza solidarisiert hat. Albin Kurti, das ist beschämend! Freiheit ist für alle Menschen oder es gibt keine Freiheit! 

Albin Kurti, Sie haben einmal erklärt, Sie kämen vom Marxismus. Aber Karl Marx hat gesagt: „Ein Volk, das ein anderes Volk unterdrückt, kann nicht frei sein“. Das gilt für Israel, Serbien, Russland – aber auch für den Kosovo und die Albaner! Der Kampf um die Unabhängigkeit von Serbien ist wertlos, wenn das Kosovo zur Marionette und Kolonie von Washington, Brüssel oder Berlin wird! Die Verfälschung der Geschichte ist das Erbe des Stalinismus. Wir halten es mit Rosa Luxemburg: „Die revolutionärste Tat ist zu sagen, was ist“! A

lbin Kurti, kehren Sie zurück auf den Weg der Unabhängigkeit, der Selbstbestimmung und des Kampfes für die Freiheit! Sagen Sie heute die Wahrheit über Gaza und stellen Sie die Dokumente von Vetevendosjes online!

Erstunterzeichner:innen:

  • Matthias Fritz, metalworker, Trade-unionist, Berlin
  • Albi, Student Coalition, Berlin
  • Martin Suchanek, League for the Fifth International
  • Dilara Lorin, Youth Organisation, REVOLUTION
  • Socialisticka Zora, Skopje

Unterschreiben könnt ihr als Einzelpersonen oder Gliederungen einzelner Gewerkschaften/Organisationen.
Bitte teilt den Aufruf!

https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSdlbYXXUnM9ps5edhdoRiZPCoepn3o8h6tfl-uYD_fc1LPKYg/viewform




Israel: Hände weg vom Libanon!

Flo Rojo, Infomail 1264, 21. September 2024

Israel greift den Libanon an: am 20. September durch Bomben auf Beirut, davor durch welche, die in Pagern und Walkie-Talkies versteckt waren. Ein offener Akt des Terrors, der die Eskalation von Israels Krieg gegen Gaza hin zu einem regionalen Flächenbrand billigend in Kauf nimmt und hunderten Menschen schon jetzt das Leben gekostet hat.

Die Manipulation der Pager zu Sprengsätzen forderte 37 Tote und über 3.000 Verletzte, die am 17. und 18. September durch die Explosionen getroffen wurden, darunter auch zwei Kinder. Pager, also Kommunikationsgeräte, werden zwar von den meisten Menschen nicht genutzt, sind jedoch im militärischen und medizinischen Bereich Alltag. Diese wurden höchstwahrscheinlich durch den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad vor dem Kauf tödlich präpariert. In jedem Fall passt diese Attacke klar zum jüngst verkündeten strategischen Ziel der israelischen Regierung, nun den Kampf auf den Libanon zu konzentrieren, um „den Norden wieder bewohnbar zu machen“. Dazu führt die zionistische Militärmaschinerie faktisch einen Präventivkrieg gegen die Hisbollah und den Libanon, dem primär Menschen Zivilist:innen zum Opfer fallen.

Statt sich mit dieser Realität zu konfrontieren, schwafeln jedoch zionistische Hetzer:innen davon, dass es gezielte Angriffe auf Militante der Hisbollah gewesen wären. Wenn sie der Wahrheit dann doch ins Auge schauen, kommen sie jedoch zu dem Entschluss, dass es die Menschen durch ihren Kontakt zur Hisbollah ohnedies verdient hätten zu sterben. So schaffen sie es, erneut immenses Leid als Kollektivbestrafung zu legitimieren.

Auch die bürgerliche „Qualitätspresse“, die ansonsten gern mit Humanismus und Demokratie hausieren geht, bekundet dem Terror ihre Anerkennung. So schreibt

Der Spiegel am 17. 9. von einer „raffinierten Attacke“. So schnell kann der Ton wechseln bei Berichten über Terror, trifft ja anscheinend diesmal die Richtigen. Mit ihrer Reaktion hat sich die Mehrheit der Journalist:innen der westlichen Welt ein weiteres Mal entlarvt. Ihnen geht es, ganz wie „ihren“ Regierungen und Staatsapparaten, nicht um Sicherheit, das Leben von Zivilist:innen oder Terrorbekämpfung. Sie zeigen wie schon zu oft davor, dass ihre Motive die Verteidigung von Apartheid, Mord, Folter und Genozid auf dem Rücken der palästinensischen sowie libanesischen Bevölkerung sind!

Um 5 Uhr morgens am 20. September legte die israelische Luftwaffe noch eine Schippe drauf. In den schwersten Angriffswellen seit dem Beginn der Auseinandersetzung im Oktober attackierte sie Raketenabschussrampen der Hisbollah. Am Nachmittag erfolgten dann noch weitere Attacken auf Beirut, bei denen ein hochrangiger Kommandeur der Miliz und zwölf weitere Menschen gestorben sind. Bis zum 21. September starben 31 Menschen aufgrund des Bombardements.

Zuspitzung der Lage

Schon seit Oktober 2023 gibt es zwischen Hisbollah und Israel gegenseitige Beschüsse, wenn jedoch in begrenztem Ausmaß. Im Sommer spitzte sich die Situation bereits einmal zu und barg das Potenzial, sich zu einem Flächenbrand zu entwickeln. Schon damals kalkulierte Israel, dass die Hisbollah einen vollen Krieg noch mehr fürchtet als der zionistische Staat, so dass die begrenzte Eskalation zu keiner qualitativen Veränderung der Lage führte. Doch wir sollten und können uns  hier nicht in Sicherheit wiegen.

Denn auch wenn das Essentielle der Strategie der zionistischen Regierung deren Machtdemonstration ist, kann sich diese auch schnell in einem offenen Krieg ausdrücken. Der nun seit fast einem Jahr andauernde Genozid an den Palästinenser:innen in Gaza beweist uns das mehr als deutlich. Mit über 40.000 Toten, fast 2 Millionen Vertriebenen sowie der Zerstörung von 70 % des Streifens beweist Israel praktisch die Fähigkeit und den Willen zu expandieren, zu vertreiben und die Kontrolle über seine Besatzung zu behalten. Dass es vertreiben kann, hat es auch schon dem Libanon gezeigt, als es 2006 fast eine Millionen Libanes:innen zur Flucht zwang.

Israel geht es nicht um den Schutz von jüdischem Leben, Selbstverteidigung oder sonstige ideologische Verkleidungen, durch welche es seine reaktionäre Propaganda verbreitet. Ihm geht es darum, die eigene Position im Nahen Osten weiter zu festigen und die palästinensische Bevölkerung aus Gaza und auch der Westbank zu vertreiben. Daher wird der Krieg ständig weiter verschärft. Auch wenn die USA und die EU eine Befriedung der Lage in Gaza und im Nahen Osten zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorziehen würden, so stehen sie fest an der Seite Israels, weil das Land einen zentralen Vorposten der imperialistischen Ordnung, einen Brückenkopf des westlichen Imperialismus in Nahost darstellt.

Was braucht es jetzt?

In den bürgerlichen Medien, von Regierung, bürgerlicher und rechter Opposition im Bundestag wird der bewaffnete Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah geradezu auf den Kopf gestellt und zum Krieg zwischen „Demokratie“ und „Islamismus“ verklärt. Selbst Teile der Linken machen sich diese imperialistische Lüge zu eigen. Andere wiederum betrachten die Konfrontation als eine zwischen zwei, gleichermaßen reaktionären Kräften.

Doch auch das verkennt den Kern der Sache. Es handelt sich um einen bewaffneten Konflikt und möglichen Krieg zwischen einem Unterdrückerstaat, der auf der Vertreibung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes beruht und gleichzeitig die Rolle eines politischen Gendarmen für den westlichen Imperialismus erfüllt, gegen eine Kraft – in diesem Fall den Libanon und die Hisbollah, die als Gegner:innen dieser Ordnung betrachtet werden. Es geht nicht um Selbstverteidigung, sondern um Expansion und (präventive) Unterwerfung all jener, die sich Imperialismus und Zionismus in den Weg stellen. Jeder Sieg Israels stärkt letztlich diese reaktionäre Ordnung.

Es bedeutet aber auch, dass wir das Recht der Hisbollah und aller Widerstandskräfte im Libanon verteidigen, sich einem zionistischen Angriff zu widersetzen. Das hat nichts mit politischer Unterstützung für die Hisbollah zu tun. Vielmehr lehnen wir ihr Programm und ihre Ziele (und auch die aller anderen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräfte im Libanon) entschieden ab. Wir bekämpfen ihre islamistische, kleinbürgerliche und konterrevolutionäre Ideologie und Politik, wie sie sich besonders in Syrien gezeigt hat.

Doch der Angriff Israels stellt nichts als eine kollektive Bestrafung für das Aufbegehren gegen den Genozid in Gaza und die Unterdrückung der Palästinenser:innen dar. Sich dagegen aufzulehnen, ist nicht nur richtig, sondern notwendig.

Um sich einer Eskalation durch die zionistische Kriegsmaschinerie in den Weg zu stellen, muss die Solidaritätsbewegung weltweit den Propagandalügen der Herrschenden entgegentreten. So kann sie politische Grundlagen legen, über symbolischen Protest hinauswachsen und die praktischen Waffen schmieden, um deren Aggression gegen den Libanon etwas entgegenzustellen und den Genozid zu beenden. Dafür braucht es in den imperialistischen Zentren Kampagnen an Schulen, Unis, in Gewerkschaften und Betrieben, welche neben Druck auf die Unis und Co. zum Bruch mit den Institutionen der Besatzung Waffenlieferungen nach Israel blockieren und durch Streiks und Protest die Komplizenschaft bei Genozid und Unterstützung des Apartheidstaats in die Knie zwingen. So können und müssen wir auch hier Israel schwächen!

In den arabischen Staaten müssen sich die Massen gegen die Heuchelei ihrer Herrscher:innen auflehnen und die Flamme des Arabischen Frühlings wieder aufflammen lassen. Sie müssen für eine sofortige und effektive Einstellung jeder politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kooperation mit dem zionistischen Staat und für die bedingungslose Solidarität mit dem palästinensischenVolk kämpfen.

Als Lehre aus den Niederlagen der Kämpfe des letzten Jahrzehnts wird es entscheidend, dass die Arbeiter:innenklasse die Führung der Bewegung übernimmt, was selbst den Aufbau revolutionärer Parteien voraussetzt. Nur die proletarische Revolution wird eine Eskalation eines Krieges verhindern können und zuletzt durch den Aufbau einer Föderation von sozialistischen Staaten im Nahen und Mittleren Osten Israel ein für alle mal den Garaus machen!

Hände weg vom Libanon!




Kosovo und der Gazakrieg: Ohne Solidarität keine Selbstbestimmung!

Frederic Haber, Infomail 1263, 12. September 2024

Die Verlogenheit und Demagogie führender Politiker:innen ist ungeheuerlich. Sie reden von Demokratie und Menschenrechten, stellen sich als Freiheitskämpfer:innen dar und verteidigen dann den Völkermord in Gaza mit lächerlichen Argumenten, glatten Lügen oder indem sie sich dumm stellen. Die deutschen Grünen, die US-Demokrat:innen, fast alle Sozialdemokrat:innen und auch eine Reihe von „Linken“ und „Sozialist:innen“ haben zu Recht viel von ihrer Glaubwürdigkeit verloren.

Albin Kurti hat auch ein Problem mit seiner. Er ist auf der globalen politischen Bühne relativ unbekannt. Er wurde 2020 und 2021 zum Premierminister des Kosovo gewählt und gilt als einer der wenigen Linken in einer führenden Position auf dem Balkan oder allgemein in Osteuropa. Und in der Tat unterscheidet sich Kurti von Leuten wie Edi Rama, dem Ministerpräsidenten Albaniens (2013, 2017, 20219), oder Stevo Pendarovski, dem Staatspräsidenten Nordmazedoniens (2019 bis Mai 2024), der kürzlich abgewählt wurde. Kurti ist nicht aus einer als sozialdemokratische Partei getarnten bürgerlichen Partei hervorgegangen, die sich nach 1990 aus der stalinistischen Partei entwickelt hat.

Stattdessen baute Albin Kurti, der gerade 15 Jahre alt war, als Jugoslawien zusammenbrach, seine eigene Partei auf, die sich lange Zeit ausdrücklich nicht als Partei, sondern als Bewegung verstand. Ihr Name „Levizja Vetevendosje!“ steht albanisch für „Bewegung Selbstbestimmung!“. Sie war in der Lage, Zehntausende zu Demonstrationen zu mobilisieren. Die Selbstbestimmung, die Vetevendosje forderte, war nicht nur die Unabhängigkeit von Serbien, sondern auch von den USA und der EU, die die Republik Kosovo seit ihrer Gründung politisch kontrolliert haben. Sie kontrollieren sie weiterhin politisch und militärisch durch die UNMIK (United Nations Interim Administration Mission in Kosovo) und die KFOR (Kosovo Force) und nutzen sie – im Falle der USA – als Militärbasis (Camp Bondsteel bei Ferizaj, Hauptquartier des US-amerikanischen KFOR-Kontingents), um die südliche Balkanregion zu dominieren.

Im Februar 2007 ging die UNMIK mit brutaler Gewalt gegen Aktionen der Vetevendosje (VV) vor, bei denen zwei Demonstrant:innen getötet wurden. Albin Kurti wurde verhaftet, was vom US-Gesandten ausdrücklich begrüßt wurde, der seine Festnahme als „gute Nachricht für den Kosovo“ bezeichnete.

VV hatte auch eine klare Position zu Palästina. Das Internetmagazin KOSOVO2.0 schreibt: „Während des Gazakrieges 2014 gab die VV eine Erklärung ab, in der sie die israelische Gewalt verurteilte und unter anderem erklärte: ,Die Albaner:innen :innen wissen nur zu gut, was es heißt, besetzt, unterjocht und von der Auslöschung des eigenen Landes bedroht zu sein.‘ Die VV und ihr Vorsitzender, der heutige Ministerpräsident Albin Kurti, waren sich auch der systematischen und kolonialen Gewalt Israels im Gazastreifen bewusst und zogen Parallelen zwischen Kosovar:innen und Palästinenser:innen, die seit langem der Gewalt seitens Serbiens bzw. Israels ausgesetzt waren. Auch die Praktiken des westlichen Interventionismus im Kosovo oder das britische Mandatssystem in Palästina, das auch als ‚Vormundschaft fortgeschrittener Nationen’ bezeichnet wurde, waren ihnen nicht verborgen geblieben.“ (https://kosovotwopointzero.com/en/silencing-solidarity/)

Kurti wird „normalisiert“ …

Nach dem Einzug ins Parlament und vor allem nach dem Wahlsieg 2019 begann ein Wandel: Aus der ehemaligen Bewegung wurde eine Regierungspartei und Politiker:innen wurden von etablierten Parteien übernommen, die zuvor als korrupt angegriffen worden waren. Pläne wie eine progressive Einkommenssteuer und die Rücknahme „unnötiger“ Privatisierungen, z. B. im Gesundheits- und Bildungswesen, fanden keine Umsetzung. Was blieb, waren rein symbolische Handlungen wie ein Kindergeld von 10 Euro pro Monat.

Kurtis einzige Möglichkeit, seine Position zu sichern, ist der Nationalismus, aber auch die anderen, rechtsbürgerlichen Parteien im heutigen Kosovo sind sehr gut im dumpfen Nationalismus. Kurti hat diesen, wie seine Vorgänger:innen, auf einen antiserbischen reduziert. Er hat alle Angriffe auf den US- und EU-Imperialismus eingestellt. Schlimmer noch, sein Verhalten in Bezug auf Palästina zeigt, dass er eine Marionette der westlichen Imperialist:innen ist, die ihn vor Jahren inhaftiert und seine erste Regierung im Jahr 2019 unterminiert haben.

… und unterwirft sich dem US-Imperialismus

Seit dem Beginn des Gazakrieges hat die Regierung des Kosovo kein einziges Wort mehr gesagt. Schlimmer noch, die früheren Erklärungen von VV wurden aus dem Internetarchiv entfernt. Vjosa Musliu und Piro Rexhepi schreiben darüber auf KOSOVO2.0:

„Als die meisten westlichen und europäischen Länder eine einheitliche Unterstützung für die Ukraine starteten, versuchte das Kosovo, auf den gleichen Zug aufzuspringen, indem es eine riesige ukrainische Flagge mit der Aufschrift Slava Ukraini (Ehre der Ukraine) am kultigen Hotel Grand in Pristina enthüllte.

Im November 2023 enthüllte eine Gruppe von Aktivist:innen eine ähnlich große palästinensische Flagge an demselben Hotel, direkt neben der ukrainischen Flagge. Sie wurde von der kosovarischen Polizei rasch entfernt. Die Aktion fand Stunden vor einem Fußballspiel der Männer zwischen dem Kosovo und Israel statt, das ursprünglich für den 15. Oktober 2023 angesetzt war, aber nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 verschoben wurde.

Die Entfernung der palästinensischen Flagge verdeutlicht zwei Befürchtungen des derzeitigen politischen Establishments im Kosovo. Erstens erschwert die palästinensische Flagge das geopolitische Kalkül des Kosovo, denn für die politische Elite im Kosovo sendet die palästinensische Flagge die falsche Botschaft an Brüssel, Berlin und Washington und könnte den ,europäischen Weg’ des Kosovo behindern. Zweitens birgt die palästinensische Flagge die Gefahr, die Kosovar:innen als nichtweiße und muslimische Subjekte zu rassifizieren, also als Nichteuropäer:innen und letztlich als unerwünschte Mitglieder der ,europäischen Familie’“.

Protest

Die Autor:innen des Artikels auf KOSOVO2.0 sind zu beglückwünschen, weil sie diese Geschichtsfälschung aufgedeckt haben. Auch im Kosovo wächst die Solidarität mit Gaza. Wir, die Liga für die 5. Internationale, unterstützen einen offenen Brief an Kurti. Die weltweite Palästinasolidaritätsbewegung kann auch der kleinen Linken im Kosovo helfen, ihre Isolation sowohl im Land selbst als auch international zu überwinden.

Gleichzeitig zeigt aber das Beispiel des Kosovo, seines Premierministers und seiner Partei, dass der Kampf gegen nationale Unterdrückung nicht so einfach ist: Eine Partei und Bewegung, die sich in ihrem eigenen Land und international klar zu diesem Kampf bekannt hatte, wird unter dem Druck des US-Imperialismus gezwungen, ihn aufzugeben. Sie ordnet sich unter und macht sich zu einem Werkzeug des Imperialismus, sei es gegen die Palästinenser:innen oder gegen Serbien, das letztlich auch ein unterdrücktes und ausgebeutetes Land im Rahmen des Weltimperialismus ist.

Aus dem berechtigten Kampf gegen die nationale Unterdrückung der Albaner:innen in Jugoslawien, vor allem unter Milosevic nach dem Zerfall Jugoslawiens, wurde im Kosovo und in seiner Befreiungsbewegung UCK schnell ein Ausverkauf an den US-Imperialismus und damit die Unterdrückung der nationalen Minderheiten im Kosovo. Kurti und seine Partei hingegen hatten das Selbstbestimmungsrecht auch gegenüber den USA und der EU gefordert und vertreten. Nun ist auch ihr Kampf um Selbstbestimmung in einen engstirnigen und egozentrischen Nationalismus umgeschlagen, der es den Großmächten vor allem auf dem Balkan, aber nicht nur dort, seit Jahrhunderten erlaubt, ein Volk gegen ein anderes zu instrumentalisieren, heute das eine und morgen das andere fallen zu lassen und nach Gutdünken Konflikte und Kriege anzuzetteln. Den ökonomischen Grund für solche Konflikte, die Not und die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit der Mehrheit aller dort lebenden Menschen, liefern diese Großmächte durch die Ausbeutung von Arbeitskraft und Bodenschätzen ohnehin.

Wie können also selbst Parteien und Völker, die in jüngster Zeit das Leid der nationalen Unterdrückung erfahren und den Kampf dagegen angeführt haben, daran gehindert werden, sich auf eine „letztlich rassistische und reaktionäre Politik“ einzulassen, wie es die Autor:innen von KOSOVO2.0 richtig formulieren?

Ihre Erklärung dafür ist jedoch ein völliger Irrweg: „Andererseits scheint es, dass das Schweigen der VV zu Palästina mehr als ein Schachzug ist, um die Souveränität des Kosovo zu fördern, und ihre Unfähigkeit verdeutlicht, Dekolonialität jenseits der Lektüre von Karl Marx zu verstehen, dessen blinde Flecken gegenüber den Hemisphären der Hautfarbe, des Geschlechts und der Sexualität seit langem entlarvt und bequem wiederhergestellt wurden, um einen scheinbar linken Diskurs, aber letztlich eine rassistische und reaktionäre Politik aufrechtzuerhalten.“

Nein, es ist nicht so, dass VV die Dekolonialität falsch verstanden hat oder zu marxistisch war. Es ist genau das Gegenteil der Fall: Die VV hat soziale Forderungen aufgegriffen, aber nie das Privateigentum an den Produktionsmitteln und den Kapitalismus in Frage gestellt. Sie unterliegt genau demselben Irrtum wie die meisten Anhänger:innen dekolonialistischer Ideologien: dass eine Entkolonialisierung auf nationaler Ebene und im Rahmen des Kapitalismus möglich ist.

Kapitalismus bedeutet Ausbeutung der Arbeitskraft durch das Kapital auf internationaler Ebene die Ausbeutung anderer Nationen und Völker durch die imperialistischen Mächte. Und so wie in jedem Land die arbeitende Bevölkerung gegen sich selbst ausgespielt und unterdrückt werden muss, um die Ausbeutung der Mehrheit durch eine Minderheit zu gewährleisten, so spalten die imperialistischen Mächte die „halbkolonialen“ Länder, um sie auszubeuten und zu beherrschen. Sie versuchen, jeden Freiheitskampf für ihre geopolitischen Strategien zu nutzen, sie nutzen jeden Konflikt zwischen zwei Halbkolonien, um sie zu schwächen.

Es ist also gerade die Tatsache, dass die VV nie ein sozialistisches, antikapitalistisches Programm hatte, die sie dazu gebracht hat, vor dem US- und EU-Imperialismus zu kapitulieren. Ein paar Marxzitate sind kein Ersatz dafür, sie können durchaus auch eine dekolonialistische Politik ausschmücken.

Ein revolutionäres Programm würde von der Marx’schen Erkenntnis ausgehen, dass nationale und rassistische Unterdrückung – ebenso wie die geschlechtliche – ein notwendiger Bestandteil der Ausbeutung der Arbeitskraft ist. Die Perspektive „Arbeiter:innen aller Länder vereinigt euch“ richtet sich daher auch an die am stärksten Unterdrückten und damit in der Regel am meisten Ausgebeuteten.

Auch wenn wir mit den Kämpfen aller unterdrückten Völker solidarisch sind, ist uns klar, dass letztlich nur die internationale Revolution, der Sturz des Kapitalismus auf globaler Ebene, die Grundlage für ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben der Völker bilden kann.




Kaschmir: Verteidigt Aktist:innen gegen Blasphemieanklage

Gemeinsame Erklärung von Jammu Kashmir National Students Federation (JKNSF) und der Revolutionary Students Front (RSF), ursprünglich veröffentlicht von International Socialist League, 29.8.2024, Infomail 1263, 1. September 2024

Im pakistanisch verwalteten Jammu Kaschmir (offiziell Asad Jammu und Kaschmir oder AJK genannt) gibt es eine alarmierende Entwicklung: Zwei junge Aktivist:innen wurden leichtfertig der Blasphemie beschuldigt – eines schweren Vergehens in Pakistan und den von ihm verwalteten Gebieten. Der stellvertretende Cheforganisator der Jammu Kashmir National Students Federation (JKNSF), Arslan Shani, und eine Aktivistin der Organisation, Asma Batool, werden der Blasphemie beschuldigt, wobei erstgenannter auf der Flucht ist und letztere bereits von der Polizei verhaftet wurde.

Beide Aktivist:innen haben eine führende Rolle in der jüngsten Volksrechtsbewegung gespielt, die den 4,5 Millionen Einwohner:innen des von Pakistan kontrollierten Kaschmir das Recht auf erschwingliche Elektrizität erkämpft hat. Es sei darauf hingewiesen, dass Jammu Kaschmir ein umstrittenes Gebiet ist, das zwischen den  Regionalmächten Pakistan und Indien aufgeteilt ist, wobei auch China einige Teile kontrolliert. Die unterdrückten Massen Kaschmirs führen seit Jahrzehnten einen mutigen und entschlossenen Kampf für die Befreiung von nationaler Unterdrückung und Klassenausbeutung, wobei die Jugend die Führung übernommen und unzählige Opfer gebracht hat.

In den letzten Monaten sind die staatlichen Behörden, die zuvor gezwungen waren, die Forderungen der oben genannten Bewegung zu akzeptieren, gegen Aktivist:innen vorgegangen, die an der Spitze der Bewegung standen, und haben versucht, sie zu bestrafen. Sie haben religiöse Fundamentalist:innen und kriminelle Elemente angeheuert, um diese unbegründeten Polizeiklagen einzureichen. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass die Blasphemiegesetze in ihrer jetzigen Form vom drakonischen Militärregime von Zia-ul-Haq, einem vom US-Imperialismus unterstützten Diktator, eingeführt wurden, um die Kämpfe der arbeitenden Massen und Studen:innten in Pakistan zu unterdrücken und, was noch wichtiger ist, um den konterrevolutionären Krieg (den so genannten afghanischen Dschihad) gegen die Regierung in Afghanistan zu führen.

Unzählige Menschen, meist Angehörige bereits unterdrückter Minderheiten, sind diesen Gesetzen seit ihrer Einführung in den 1980er Jahren zum Opfer gefallen. Religiöse Fundamentalist:innen und andere reaktionäre Elemente nutzen den Vorwurf der Blasphemie für ihre politischen Ziele aus oder in vielen Fällen einfach, um zu erpressen und persönliche Rechnungen zu begleichen. In fast allen Fällen machen sich die Gerichte entweder mitschuldig oder beugen sich dem Druck der religiösen Extremist:innen. Den Opfern wird oft das Recht auf ein faires Verfahren verweigert, da keine Anwält:innen bereit sind, sie zu vertreten. Darüber hinaus gab es zahlreiche Fälle, in denen die Angeklagten und ihre Anwält:innen entweder im Gerichtssaal oder sogar nach einem Freispruch erschossen wurden. Infolgedessen ist das Leben der Angeklagten immer in großer Gefahr.

Der Hintergrund des aktuellen Vorfalls ist, dass Arslan Shani als Reaktion auf die jüngste grausame Gruppenvergewaltigung und Ermordung einer Ärztin in Kalkutta, Indien, ein Protestgedicht in den sozialen Medien teilte. Dieser Beitrag wurde später von Asma Batool – einer sozialistischen Feministin und unerschrockenen Verfechterin der Frauenrechte in den sozialen Medien und anderswo – auf dem Facebookkonto von Arslan Shani geteilt.

Die schreckliche Vergewaltigung im Krankenhaus von Kalkutta und die anschließenden Massenproteste und Streiks haben die indische Gesellschaft zutiefst erschüttert, was auch in Pakistan und darüber hinaus zu spüren ist. Die Genoss:innen brachten damit ihre Empörung über geschlechtsspezifische Gewalt und Ausbeutung in den krisengeschüttelten Gesellschaften in diesem Teil der Welt zum Ausdruck. Bemerkenswert ist, dass dieselben poetischen Verse in den sozialen Medien in der Region, einschließlich Pakistan, weit verbreitet wurden. Die Verwendung eines viralen Social-Media-Beitrags als Grund für die Anklage und Verhaftung politischer Aktivist:innen zeigt, dass die wahre Absicht des Staates darin besteht, die revolutionäre Jugend einzuschüchtern und alle abweichenden Stimmen zu unterdrücken.

In diesem Zusammenhang heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die zuvor von der Jammu Kashmir National Students Federation (JKNSF) und der Revolutionary Students Front (RSF) veröffentlicht wurde:

„Wenn diesem (Repressions-)Akt hier nicht widerstanden und Einhalt geboten wird, könnten noch viele weitere Aktivist:innen dieser Einschüchterungskampagne des Staates zum Opfer fallen. Wir warnen sowohl die Imperialist:innen als auch die herrschende Elite vor Ort, Vorsicht walten zu lassen und die öffentliche Empörung nicht zu schüren, da sie für jede Eskalation der Situation voll verantwortlich gemacht werden. Wir fordern, dass die Unterstützung und Förderung religiös-fundamentalistischer Elemente durch den Staat eingestellt wird und die Serie von Vergeltungsmaßnahmen gegen die revolutionäre Jugend sofort beendet wird. Andernfalls werden wir unser verfassungsmäßiges und demokratisches Recht auf Proteste im ganzen Land, von Jammu Kaschmir bis Karatschi, wahrnehmen.

Wir werden das Thema international vor Jugend-, Arbeiter:innen- und Menschenrechtsforen zur Sprache bringen. Im Geiste der Klassenlosung „Eine Verletzung eines/r Einzelnen ist eine Verletzung aller“ appellieren wir an fortschrittliche Organisationen, Gewerkschaften und Widerstandsbewegungen in der ganzen Welt, ihre Solidarität mit den verhafteten Genoss:innen zu bekunden. Genosse Arslan Shani und andere wie er haben während der jüngsten Bewegung bereits schwere staatliche Repressionen und Inhaftierungen erduldet, doch sie bleiben unbeirrt in ihrer revolutionären Mission. Die Jugend der JKNSF und der RSF wird sich durch solch abscheuliche Taktiken weder einschüchtern noch zwingen lassen.

  • Einstellung der falschen Anklagen und Polizeiverfahren gegen Arslan Shani und Asma Batool

  • Lasst Asma Batool frei

  • Beendet die staatliche Unterdrückung

  • Es lebe die Klassensolidarität der unterdrückten Massen

  • Nieder mit Kapitalismus und Imperialismus.

Die Zeit läuft ab. Handelt jetzt und verurteilt diesen abscheulichen Akt der Unterdrückung durch die Regierung von AJKI  Legt Euren Protest dar und bekundet Eure Solidarität mit den Opfern, indem Ihr die Kontaktdaten der unten aufgeführten Behörden in der Reihenfolge ihrer Bedeutung nutzt.

Regierung von AJK

E-Mail: info@ajk.gov.pk

Website: https://ajk.gov.pk

Telefon: +925822920136

Büro des Premierministers Islamabad, Pakistan

E-Mail: info@pmo.gov.pk

Innenminister Pakistan

Telefon: +92519212026

Telefon: +92519215560

Referent für Öffentlichkeitsarbeit Innenministerium Pakistan

Faxnummer: +92519204193

E-Mail: dslaw2@interior.gov.pk

Chefsekretär AJK

Telefon: +925822921034

E-Mail: csajkpk@hotmail.com

Generalinspekteur der Polizei

Telefon: +925822930810

Zusätzlicher Generalinspektor der Polizei

Telefon: +925822930802

Bahnhofsvorsteher Abbaspur

Mobil: +923444488999

Kanzler des Obersten Gerichtshofs Chaudhry Muhammad Fayyaz

Telefon: +925822921068

Zusätzlicher Kanzler des Obersten Gerichtshofs Raja Muhammad Riaz Shafi

Telefon: +925822924311

Fax: +925822924312

Stellvertretender Generalinspektor der Polizei (Abteilung Poonch)

Telefon: +925824930000

Zentrales Polizeibüro AJK

E-Mail: cpoajkmzd@ajk.gov.pk

Muhammad Sajjad, Sekretär Recht

Telefon: +925822921077

E-Mail: secretary@law.gok.pk

Innenministerium AJK

Telefon: +925822921075

Zusätzlicher Sekretär des Innenministeriums AJK

Mobil: +923135736995

Ministerium für Kaschmirangelegenheiten Pakistan

Fax: +92519201562

Telefon: +92519201563

Minister für Menschenrechte Pakistan, Senator Azam Nazeer Tarar

Telefon: +92519210563

Fax: +92519214525

Ursprünglich veröffentlicht in Asian Marxist Rewiew




Das Elend von Äquidistanz und Raushalten

Martin Suchanek, Neue Internationale 284, Juli/August 2024

Stell Dir vor, es findet ein genozidaler Krieg statt – und die Mehrzahl der deutschen Linksradikalen beteiligt sich nicht an den Solidaritätsaktionen mit den tausenden zivilen Opfern, den Demonstrationen, die ein Ende des Mordens und dessen willfähriger Unterstützung durch den deutschen Staat fordern. Dieses Verhalten stößt zu Recht auf Unverständnis, Kritik, Empörung.

Dummerweise handelt es sich um keinen hypothetischen Fall. Große Teile, wahrscheinlich die Mehrheit der deutschen „radikalen Linken“ versuchen, sich seit Jahren aus dem Thema Israel/Palästina „rauszuhalten“. Die Interventionistische Linke stand über Jahre beispielhaft und bewusst für eine Haltung, die seit dem 7. Oktober 2023 immer untragbarer wird und die anscheinend selbst in ihren Reihen auf Widerspruch stößt.

So schreibt sie im „Zweiten Statement der IL Berlin zum Krieg in Israel/Palästina“ vom 7. Mai 2024: „Die Nicht-Beteiligung vieler (besonders weiß dominierter) linker Gruppen fällt auf, ihr (schweigendes) Nicht-Verhalten wird zu Recht kritisiert.“

Und im letzten Abschnitt des Textes heißt es: „Nichtstun ist in der aktuellen Situation keine legitime Option, auch wenn wir sie selber zu oft und zu lange gewählt haben. Aktuell gilt es für uns als Linke, vereint mit anderen für das Ende dieses Krieges auf die Straße zu gehen.“

Betrachtet man nur diese Passagen, so könnte man sagen: endlich! Doch so eindeutig und ernst ist es mit dem „vereint mit anderen für das Ende dieses Krieges auf die Straße Gehen“ dann doch nicht. Denn zu den „anderen“, also den real existierenden Kräften der Palästinasolidaritätsbewegungen, sieht ein Teil der IL unüberbrückbare inhaltliche Differenzen, die eine gemeinsame Mobilisierung unmöglich machen. Für andere in der IL gilt das nicht.

„Und so versuchen wir als Organisation, auch hier Unterschiede auszuhalten, um aus unserer Lähmung zu kommen: Während sich ein Teil von uns weiter den Demos anschließen wird, wird ein anderer Teil versuchen, andere Wege und Bündnispartner:innen zu finden.“

Die IL nimmt hier ihre eigene Aussage zurück, dass es aktuell darum gehe, geeint gegen den Krieg auf die Straße zu gehen. Während es zuerst hieß, dass „Nichtstun keine legitime Option wäre“, so ist es wenige Zeilen später doch eine. Man tut eben was anderes, während sich einige „privat“ an den Demos beteiligen. Und um diesen Unterschied „auszuhalten“, verzichten beide Seiten darauf, als IL in Erscheinung zu treten. Das mag den inneren Frieden in der eigenen Organisation sichern – Solidarität mit der Bewegung gegen den Gazakrieg ist es keine.

Die IL positioniert sich politisch weiter zwischen den Stühlen, zwischen Solidaritätsbewegung und deutschem Imperialismus. Diese Haltung, einerseits solidarisch sein zu wollen, andererseits den konkreten Aktionen fernzubleiben, durchzieht von Beginn an den gesamten Text. „Da unser Fernbleiben als Organisation von vielen als Entsolidarisierung erlebt wurde, wollen wir mit diesem Text unsere grundsätzliche Solidarität mit den Anliegen der Proteste ausdrücken und zugleich erklären, warum wir als Gruppe nach wie vor an der Frage gespalten sind, ob wir uns den Aufrufen der Demos anschließen wollen.“

Die IL Berlin lügt sich in die eigene Tasche, wenn sie so tut, als ob „grundsätzliche Solidarität mit den Anliegen der Proteste“ und gleichzeitiges bewusstes Fernbleiben miteinander vereinbar wären. Praktisch handelt es sich um eine Distanzierung, die nicht nur als Entsolidarisierung empfunden wird, sondern auch eine solche direkt hervorbringt und verfestigt. Im Folgenden wollen wir uns jedoch nicht nur mit dieser Feststellung begnügen, sondern der Frage nachgehen, woher die innere Widersprüchlichkeit der IL-Position rührt, die sie und Tausende, wenn nicht Zehntausende andere „Linksradikale“ zum „Raushalten“ und damit faktisch zur Distanzierung von der Solidaritätsbewegung führt.

Wir beziehen uns dabei auf das „Zweite Statement der IL Berlin zum Krieg in Israel/Palästina“, das auch den Anspruch erhebt, zu einer „differenzierten Auseinandersetzung“ mit dem Thema beizutragen.

Charakter des Krieges

Nach ihrem ersten Statement vom Oktober 2023 hat die IL Berlin auch versucht, eine Analyse des Krieges zu erarbeiten. Dabei stellt sie fest: „Doch der Konflikt in Israel/Palästina ist kein symmetrischer. Seit Jahrzehnten etabliert sich in der Region ein Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnis, das viele Menschenrechtsorganisationen als Apartheid bezeichnen.“

In den folgenden Passagen geht die IL Berlin eine Reihe Begriffe durch, die sie für zumindest partiell brauchbar hält, um den Konflikt zu beschreiben und analysieren (Apartheid, Besetzung, Vertreibung, Siedlerkolonialismus) usw.

Das Problem ihrer Bestimmungen besteht jedoch darin, dass es keine politisch-inhaltlichen sind, keine Charakterisierungen, die zu bestimmten politischen Schlussfolgerungen führen, sondern ein räsonierendes Für und Wider. So heißt es zum (Siedler-)Kolonialismus:

„Wir finden, es gibt gute Argumente, besonders in Bezug auf die systematische Besiedlung der Westbank oder die rassistische Unterdrückung dort von (Siedler-)Kolonialismus oder mindestens Elementen davon zu sprechen, und auch dafür, die Strukturen dort mit dem Apartheidsbegriff als spezifische Form der Herrschaft zu beschreiben. Wir sind uns aber uneinig darüber, ob wir die Verwendung dieser Begriffe produktiv finden, weil sie oft weniger als Zustandsbeschreibung, sondern als Kampfbegriffe genutzt und verstanden werden. Die Auseinandersetzung um die Begriffe erschwert es oft, in eine Debatte zu kommen, die Möglichkeiten für gemeinsame Kämpfe gegen die schreckliche Situation der Menschen vor Ort eröffnet.“

Auf den Wert oder auch die Grenzen der Begriffe wird im Beitrag inhaltlich nicht weiter eingegangen (Welches sind z. B. die guten Gründe?), vielmehr endet die ganze Betrachtung damit, dass sich die IL uneinig ist, ob es überhaupt Sinn macht, sie zu verwenden, selbst wenn sie zutreffen. Denn es handle sich um „Kampfbegriffe“. Unglücklicherweise zeichnen sich alle wissenschaftlichen Begriffe des Marxismus nicht nur dadurch aus, dass sie Zusammenfassungen, Erkenntnisformen realer Verhältnisse sind, sondern auch „Kampfbegriffe“. Das ist unvermeidlich, wenn der Marxismus eine revolutionäre Theorie  sein will, deren Zweck darin besteht, den Kampf zur Veränderung der Gesellschaft zu erhellen, die Erfahrungen vergangener Kämpfe zu verallgemeinern und die Politik und Programmatik wissenschaftlich zu fundieren. So gipfelt die marxistische Staatstheorie – jedenfalls lt. Marx und Lenin – in der Schlussfolgerung, dass der bürgerliche Staat in der sozialistischen Revolution nicht übernommen, sondern zerschlagen und durch die Diktatur des Proletariats ersetzt werden muss. Diese aus der Analyse der Revolutionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gewonnene begrifflich-theoretische Erkenntnisse bilden zugleich „politische Kampfbegriffe“, weil sie bestimmte klassenpolitische Schlussfolgerungen darstellen. Als „Kampfbegriffe“ werden diese dabei nicht nur vom Klassengegner, dessen Staat zerschlagen werden soll, aufgefasst, sondern notwendigerweise auch von den reformistischen, antirevolutionären Teilen der Arbeiter:innenbewegung und Linken.

Dass sämtliche Begriffe, die versuchen, den Klassencharakter des Zionismus, die Herrschaft in Palästina, die Vertreibung zu fassen, immer auch Kampfbegriffe sind, stellt keine Besonderheit dar, sondern ergibt sich einfach daraus, dass sie wirkliche Klassen- und Unterdrückungsverhältnisse, wirkliche geschichtliche Bewegungen auf den Punkt zu bringen versuchen.

Die analytischen Betrachtungen der IL versuchen hingegen, genau das zu vermeiden, wozu eine begriffliche Bestimmung für revolutionäre Politik wesentlich ist, nämlich zur Einordnung und Charakterisierung eines bestimmten Konflikts. Nachdem die IL Berlin mehrere Begriffe als (partiell) tauglich durchgegangen ist, wissen wir letztlich noch immer nicht, wie sie die Verhältnisse in Palästina/Israel einschätzt. Vielmehr heißt es:

„Trotzdem halten wir Analysen, welche den Staat Israel allein als koloniale Macht interpretieren, für unzureichend.“ Und weiter nach einer historisch verkürzten Darstellung des Zionismus und dem Verweis auf die Nakba: „Die Geschichte dieser Region ist komplex und sie in einfache, schematische Erzählungen einzufügen, führt zu Verzerrungen. Den einen scheint es heute schwer, Israel als ‚Täter’ zu sehen – sie relativieren die Verbrechen der Armee, beschönigen die Besatzung und markieren alles als antisemitisch, was den Staat ansatzweise kritisiert. Den anderen scheint es unmöglich, die Geschichte der Staatsgründung Israels als Folge des europäischen Antisemitismus und der Shoah zu verstehen. Israel als Schutzraum für viele Jüdinnen und Juden und gleichzeitig als ‚Täter’ – dieser Komplexität müssen wir uns als Linke stellen.“

Statt eine konkrete Bestimmung des Charakters Israels durchzuführen, die auch widersprüchliche Elemente der Genesis des Staats inkludieren soll, bleibt die IL bei einem scheinbar „differenzierten“, in Wirklichkeit aber unverbindlichen „Es gibt diese und jene Seiten“ stehen. Die Frage, warum der von ihr zu Recht als nichtsymmetrischer Krieg bezeichnete gegen Gaza und Westbank ein solcher ist, taucht nicht auf.

In der IL-Analyse fehlt der Bezug darauf, dass der israelische Staat ein Unterdrückerstaat ist, der auf der Vertreibung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes basiert. Daher fehlt auch jeder Bezug darauf, dass sich die jüdisch-israelische Nation mit Staatsgründung zu einer herrschenden aufschwung, die palästinensische zu einer unterdrückten geriet. Das wesentliche am Zionismus als Ideologie und Staatsverfassung besteht heute darin, dass er zur Doktrin und Rechtfertigungsideologie genau dieser Unterdrückung wurde.

Natürlich unterscheidet sich dabei die israelische Apartheid durchaus von der südafrikanischen, die auf Überausbeutung schwarzer Lohnarbeit zielte, während die israelische gerade seit der 2. Intifada auf Ersetzung und Marginalisierung palästinensischer Arbeitskraft zielt (insb. was die Bevölkerung Gazas betrifft). Auch der Siedlerkolonialismus hat sich seit 1948 verändert. Der israelische Staat basiert einerseits auf seiner Fortsetzung und Permanenz, andererseits auch auf einer modernen kapitalistischen Wirtschaft und Ausbeutung, die jedoch beide in einem expansiven, zionistischen Staatsprojekt verzahnt sind.

Wir teilen die Forderungen der IL, dass eine revolutionäre Perspektive die eines friedlichen Zusammenlebens der palästinensischen und jüdischen Nation (und aller anderen Nationalitäten) beinhalten muss. Dem steht jedoch als aktuelles Haupthindernis der israelische Staat entgegen. Was die Unterdrückung der Palästinenser:innen betrifft, ist das offenkundig, da er letztlich in seinen Grundfesten erschüttert würde, wenngleich nur bürgerlich-demokratische Rechte für die Palästinenser:innen eingeführt würden, die „radikale Linke“ in anderen Ländern als Selbstverständlichkeit fordern. So gibt es für Palästinenser:innen keine offenen Grenzen nach Israel, denn das würde faktisch ihr Recht auf Rückkehr bedeuten.

Wir ziehen daraus – wie etliche andere in der Solidaritätsbewegung – die Schlussfolgerung, dass nur ein gemeinsamer, binationaler sozialistischer Staat diese demokratischen Rechte (Rückkehr aller Vertriebenen, Zusammenleben beider Nationen, Anerkennung von deren Existenzrecht) friedlich und dauerhaft wird gewährleisten können, weil nur auf Basis des Gemeineigentums eine befriedigende materielle Lösung des Rechts auf Rückkehr und eine Neuverteilung der Ressourcen des Landes möglich sein wird.

In diesem Zusammenhang weisen wir auch die Vorstellung der IL zurück, dass Israel ein Schutzraum für das jüdische Volk gegen den Antisemitismus wäre. Im Gegenteil! Die Bindung der jüdisch-israelischen Arbeiter:innenklasse an den Zionismus kettet sie an einen Unterdrückerstaat und an ihre „eigene“ Bourgeoisie, ganz so wie die Unterstützung des deutschen Imperialismus die deutsche Arbeiter:innenklasse an ihre Bourgeoisie und deren Imperialismus. Um sich selbst zu befreien, muss die jüdische Arbeiter:innenklasse mit dem Zionismus brechen. Daher müssen wir alle antizionistischen, proletarischen und fortschrittlichen Kräfte in Israel stärken. Ein Teil des Bruchs mit dem Zionismus muss dabei notwendigerweise die Solidarität mit den Unterdrückten beinhalten, also dem palästinensischen Volk und dessen Recht auf Selbstbestimmung.

Der 7. Oktober

Das inkludiert auch die Anerkennung seines Widerstandes, selbst wenn wir die Strategie und Politik seiner Führung grundsätzlich ablehnen oder kritisieren mögen. Die Politik der Hamas ist islamistisch und zutiefst reaktionär, die Politik der Fatah nationalistisch und bürgerlich-konservativ. Und wir kritisieren die politische Unterordnung von palästinensischen Linken unter die Hamas bzw. auch unter Bündnisse mit vorgeblich antiimperialistischen Regimen im Nahen Osten (Syrien, Iran). Darin stimmen wir mit der IL überein.

Aber bei aller Forderung nach differenzierter Analyse, bei allen Widersprüchlichkeiten, die den Text durchziehen, stellt für die IL der 7. Oktober ein singuläres Ereignis dar. „Was am 7.10. passiert ist, bewegt sich für uns jedoch weit außerhalb der Grenzen von politisch legitimem Widerstand. Es war ein von Antisemit:innen begangenes Massaker.“

Wir halten das für einseitig und damit falsch. Der Ausbruch aus dem Freiluftgefängnis Gaza war ein legitimer Akt (egal ob man ihn angesichts der zu befürchtenden Reaktion des Staats Israel für richtig hält oder nicht). Wir halten es in einem Krieg ebenso für legitim, militärische Anlagen des Gegners anzugreifen, auf Bomben und Artilleriebeschuss mit Raketen zu antworten. Zugleich haben wir in unseren Stellungnahmen und Texten von Beginn an klargemacht, dass wir die willkürliche Tötung von oder Massaker an israelischen Zivilist:innen ablehnen und verurteilen. Dies könnt ihr gerne nachlesen, z. B. unter „Resolution zum Krieg gegen Gaza“ vom 26. Oktober 2023.

Auch wenn die IL-Stellungnahmen davon schreiben, dass es einen „Kontext“ gibt, der dem 7. Oktober vorangegangen ist, so findet dieser keinen Eingang in Eure Betrachtung.

Doch damit nicht genug. Die IL unterstellt der Solidaritätsbewegung insgesamt ein Schweigen zur Hamas und eine Relativierung des Antisemitismus, obwohl doch viele selbst Gegner:innen der Hamas seien. „Gerade deshalb verstehen wir nicht, warum entsprechende, den 7. Oktober verherrlichende Statements teils nie gelöscht, geschweige denn ihre Veröffentlichung kritisch reflektiert wurde.“

Erstens besteht die Solidaritätsbewegung aus zahlreichen Gruppierungen, die auch unterschiedlich differenzierte Stellungnahmen zum 7. Oktober veröffentlicht haben. Etliche oder vielleicht auch viele davon erkennen die Legitimität eines gewaltsamen Ausbruchs an, die allermeisten verurteilen zugleich Massaker und Angriffe auf die Zivilbevölkerung und erheben öffentlich Kritik daran. Die Erklärung der IL beschäftigt sich interessanterweise erst gar nicht damit, sondern mit nicht näher definierten, den 7. Oktober verherrlichenden Statements.

Zweitens soll offenkundig der Eindruck einer unkritischen Haltung zur Hamas vermittelt werden – und damit auch eine Rechtfertigung dafür, sich selbst an Protesten gegen den Mord an Zehntausenden nicht zu beteiligen.

Alle Teil des „Systems Belagerung“

Im Grunde weiß auch die IL Berlin, dass die meisten Kräfte der Solidaritätsbewegung der Hamas überaus kritisch gegenüberstehen. Sie bringt aber noch ein Argument ins Spiel, nämlich dass diese in Palästina taktische und militärische Absprachen mit der Hamas oder anderen Islamist:innen in Erwägung ziehen würden, was die IL moralisch entrüstet als Tabu linker Politik betrachtet. In Wirklichkeit macht sie es sich hier bloß einfach, weil sie von den Kampfbedingungen palästinensischer Linker wie überhaupt der Bewegung abstrahiert, ja die These auftischt, dass im Grunde die Hamas und ihre Verbündeten (inklusive der palästinensischen Linken) „Teil des Systems Belagerung“ seien.

„Das finden wir falsch, auch weil die Hamas und ihre Verbündeten Teil des Systems Belagerung sind und nicht dessen Gegner. Die Hamas braucht die regelmäßige Eskalation des Konfliktes zum Machterhalt, ähnlich wie die Netanjahu-Regierung. Und selbst wenn sie ein ernsthaftes Interesse an einem Ende der Belagerung hätte, wird es mit ihr keine Befreiung der palästinensischen Bevölkerung geben, sondern nur den Wechsel vom einen repressiven Herrschaftsregime zum anderen.“

Hier finden sich gleich mehrere Verdrehungen. Nicht nur die Hamas, sondern auch deren Verbündete, womit wohl nur die palästinensische Linke gemeint sein kann, werden als Teil des Systems Belagerung denunziert. Hier wird davon abstrahiert, wer es denn überhaupt erst geschaffen hat, wer Gaza seit 2006 abriegelte, bombardierte, dort einmarschiert. Letztlich wird so getan, als seien Besatzungsmacht und Besetzte gleichermaßen schuld, weil sie ja ständig „eskalieren“ würden. Zudem wird davon abstrahiert, dass das System Besatzung auch wesentlich die Handlungsoptionen der Bevölkerung des besetzten, abgeriegelten, einem Freiluftgefängnis ähnlichen Gebietes diktiert, dementsprechend auch die „Eskalation“, also das Zurückschießen zu einer der wenigen Optionen macht, mit denen der Gegner getroffen werden kann. Schließlich ignoriert die IL auch massive Repression gegen andere, zivile Formen des Widerstandes aus Gaza, die selbst blutig niedergeschlagen wurden und somit auch dazu beitrugen, dass der gewaltsame Ausbruch als eine der letzten Optionen erschien.

Die Scheidung zwischen Unterdrückten und Unterdrücker:innen spielt für die IL hier offenkundig keine Rolle. Sie abstrahiert davon, dass, ob wir das wollen oder nicht, die Hamas und ihre Verbündeten einen Teil des palästinensischen Widerstandes verkörpern, die über eine reale Verankerung unter den Massen verfügen, weil sie trotz ihrer sonstigen Fehler oder reaktionären Ausrichtung einen Kampf gegen wirkliche nationale Unterdrückung führen. Dieser Gesichtspunkt, der für das Verständnis der Lage, vor allem aber auch für das Bewusstsein und die Situation des palästinensischen Volkes von grundlegender Bedeutung ist und den jede revolutionäre Politik einbeziehen muss, stellt für die IL ein Buch mit sieben Siegeln dar.

Schlimmer noch: Selbst wenn es doch anders wäre, also der Widerstand ein Interesse an seinem eigenen Sieg hätte, so wäre das erst recht schlecht. Ein Sieg unter Führung der Hamas würde nur die Unterdrücker:innen wechseln, spielte also keine Rolle. Natürlich kann ein solcher unter Führung Hamas (oder auch jeder anderen bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Kraft) zur Schaffung eines neuen Unterdrückerstaates, gewissermaßen unter umgekehrten Vorzeichen führen.

Doch die Tatsache, dass die Hamas heute eine zentrale Kraft ist, bedeutet keineswegs, dass sie das bleiben muss. Ob sie von anderen, fortschrittlichen Kräften abgelöst werden kann, hängt wesentlich davon ab, ob sich diese herausbilden und in der Praxis als führende Kraft des Widerstandes erweisen können. Doch das setzt die Beteiligung am Kampf voraus, ansonsten verdammen sich diese zur Isolierung und überlassen faktisch anderen das politische Terrain.

Grundsätzlich besteht in jedem nationalen Befreiungskampf, in jedem antiimperialistischen oder antikolonialen Kampf, der nicht vom Proletariat geführt und in einer sozialistischen Umwälzung endet, die Möglichkeit, dass die einstigen Unterdrückten zu neuen Unterdrücker:innen werden. Doch diese als Vorwand dafür zu nehmen, dem Kampf selbst den Rücken zu kehren, eine vorgeblich „neutrale“ Position einzunehmen, läuft letztlich auf die Akzeptanz des Bestehenden hinaus, in der utopischen Hoffnung auf eine/n Schlichter:in von außen. Nachdem für die IL die israelische Regierung und die palästinensische Bewegung gleichermaßen reaktionär sind, bleibt nur noch die Hoffnung auf eine/n recht überraschende/n Friedensstifter:in:

„Von der rechten Regierung in Israel kann kein ernstzunehmender Frieden in der Region erwartet werden, genauso wenig wie von der Hamas. Es braucht internationalen Druck und die deutsche Bundesregierung ist in der Position, diesen Druck aufzubauen.“

Diese recht kuriose Formulierung ist letztlich kein Zufall, sondern die logische Konsequenz, wenn sich in Israel/Palästina selbst keine Kräfte finden, die Frieden schaffen können. Dann bleiben nur noch die UNO, die Weltpolizei oder die Bundesregierung.

Nationale Frage und Internationalismus

Eine revolutionäre Strategie hingegen inkludiert auch die Anerkennung eines Widerstandes, selbst wenn wir die Strategie und Politik seiner Führung grundsätzlich ablehnen oder kritisieren mögen. Dass antikoloniale oder antiimperialistische Bewegungen von reaktionären Parteien und Kräften geführt werden, stellt keine Besonderheit Palästinas dar. Im Grunde wurden fast alle diese Kämpfe in den letzten Jahren von kleinbürgerlichen oder bürgerlichen Kräften geführt. Dies rührt nicht nur daher, dass sie politisch heterogen sind, sondern auch aus unterschiedlichen, teilweise gegensätzlichen Klassen bestehen.

Umgekehrt stellt die nationale Unterdrückung, die Scheidung zwischen unterdrückten und unterdrückenden Nationen, ein grundlegendes Merkmal der imperialistischen Epoche dar. Für Revolutionär:innen kann sich die Frage, wie wir zu diesen Kämpfen und Bewegungen stehen, dabei nicht darauf beschränken, nur mit „emanzipatorischen Strömungen“ solidarisch zu sein. Das liegt zum einen daran, dass auch diese einen bestimmten Klassencharakter tragen, also meist linkskleinbürgerlicher Natur sind, keine sozialistische Perspektive verfolgen und wie z. B. im Fall der kurdischen Bewegung in Rojava vor fragwürdigen Bündnisse mit imperialistischen Kräften wie den USA nicht zurückschrecken. Trotzdem haben wir unsere und auch Ihr als IL Eure Solidarität mit dem Widerstandskampf des kurdischen Volkes nicht ad acta gelegt, als sie z. B. vom türkischen Staat angegriffen wurden. Wohl aber sollte eine solche Unterstützung sich nur auf bestimmte gemeinsame Ziele beschränken, nicht auf die Politik der PYD und anderen kleinbürgerlich-nationalistischen kurdischen Strömungen und Parteien.

Dieselbe Herangehensweise vertreten wir in Palästina. Wir machen unsere Solidarität mit dem Befreiungskampf nicht vom Charakter der aktuellen Führung des palästinensischen Volkes abhängig. Warum? Weil der Kampf gegen Unterdrückung und Besatzung auch legitim ist, wenn die lohnabhängigen und bäuerlichen Massen einer falschen Ideologie, Führung und Politik folgen. Dies trifft im Übrigen auf die meisten antikolonialen und antiimperialistischen Bewegungen zu.

Unsere Aufgabe als revolutionäre Internationalist:innen besteht nicht darin, erst solidarisch zu sein, wenn uns die Kombattant:innen ideologisch „fortschrittlich“ genug erscheinen, sondern wenn sie einen gerechtfertigten Kampf führen. Zugleich versuchen wir, im Rahmen dieser Grundhaltung mit jenen Kräften in Verbindung zu gelangen, die wie wir dafür eintreten, dass die Arbeiter:innenklasse, gestützt auf eine revolutionäre Partei, zur führenden Kraft wird und den Kampf gegen Unterdrückung mit dem gegen kapitalistische Ausbeutung verbindet. Dies wird aber nur möglich sein, wenn sich eine solche Kraft selbst aktiv am Widerstand gegen die aktuelle Hauptform der Unterdrückung beteiligt, wenn auch mit eigenen Methoden und eigener Programmatik. Tut sie das nicht, wird sie zu Recht als passive, den realen Unterdrückungserfahrungen bloß kommentierend gegenüberstehende Gruppierung wahrgenommen und nie in der Lage sein, den Einfluss reaktionärer Kräfte zu brechen.

Die IL und ihre Stellungnahme werfen jedoch diese Fragen erst gar nicht auf. Wie revolutionäre Kräfte in Palästina und Israel agieren sollen, erscheint außerhalb der eigenen Überlegungen. Wir halten dies für einen grundlegenden Mangel nicht nur der IL, sondern eines großen Teils der deutschen Linken und eines verkürzten Solidaritätsbegriffs. Internationale Solidarität erscheint so bloß als Unterstützung/Nichtunterstützung dieses oder jenes Kampfes. Mit wem Solidarität geübt wird, hängt letztlich von der ideologischen Nähe ab. So erscheint die kurdische Bewegung der IL und anderen postautonomen Kräften als „nahe“, gewissermaßen artverwandt. Bei anderen, sicher auch komplexen Kriegen und Konflikten wie in der Ukraine oder Palästina, wo keine Akteurin ähnlich der PYD sichtbar ist, bleibt die Solidarität aus.

Für uns hingegen bedeutet Internationalismus wesentlich den Aufbau einer politisch und programmatisch einheitlichen länderübergreifenden Organisation, einer neuen revolutionären Internationale. Daher stellt für uns die Beschäftigung damit, welche Politik in zentralen Klassenkämpfen, Kriegen, Aufständen etc. einzuschlagen wäre, ein wesentliches Moment revolutionärer Politik dar. Ansonsten bleibt „linksradikale“ Politik letztlich nationalborniert, Internationalismus bloß die Summe verschiedener nationaler Politiken.

Wer sich raushält, den holen die Verhältnisse ein!

Die IL selbst konstatiert in ihre Erklärung, dass sie die gesamte Frage letztlich aus einem vornehmlich nationalen Gesichtspunkt betrachtet. „Lange haben wir uns bewusst dagegen entschieden, eine Position oder Praxis zu Israel/Palästina zu entwickeln. Angesichts der teils absurden Konflikte und Spaltungslinien, zu denen das Thema in der deutschen Linken geführt hat, vielleicht eine zumindest nachvollziehbare Entscheidung. Doch in den letzten Jahren kam es nicht nur wiederholt zu Eskalationen des Krieges, diese hatten auch Konsequenzen in der deutschen Gesellschaft, u. a. steigenden Antisemitismus und eine sich zuspitzende Kriminalisierung der palästinensischen Bewegung (Stichwort BDS-Resolutionen).“

Solange der Krieg zu keinen Konsequenzen in der deutschen Gesellschaft führte, war es anscheinend politisch richtig, sich nicht weiter zu Palästina zu positionieren. Schließlich liegt das weit weg und führt zu Spaltungslinien, die man doch in der IL vermeiden wollte. Stattdessen konzentrierte man sich auf Kampagnenarbeit, die man von einem umstrittenen Befreiungskampf nicht beflecken lassen wollte. Internationale Solidaritätsaktionen organisierte die IL aber zu Rojava, dessen fortschrittlicher Charakter im linken und postautonomen Milieu weitgehend unumstritten war.

Heute fällt der IL dieses „Raushalten“ auf die Füße. Doch statt die eigene Ignoranz und Nationalborniertheit kritisch zu hinterfragen, will sie nachträglich noch Absolution erbitten für eine „vielleicht nachvollziehbare Entscheidung“. Die Bedeutung des palästinensischen Kampfes und die Konfliktlinien in der deutschen Linken verdeutlichen nur, wie notwendig eine Analyse und Positionierung war. Die IL und mit ihr allzu viele deutsche „radikale“ Linke betrachteten hingegen den „Nahostkonflikt“ in erster Linie als Störfaktor für ihre imaginäre Einheit. Selbst heute, wo diese Herangehensweise der IL auf die Füße fällt (was noch das geringste Problem dabei ist), redet die Stellungnahme die Tatsache schön, dass sich die Genoss:innen der IL zu keiner gemeinsamen Haltung zur Solidaritätsbewegung entschließen können, als „Wunsch, zu einfach gezeichneten Dichotomien zu entkommen“, schön.

In Wirklichkeit steht sie für Entsolidarisierung, Sektierertum und Ultimatismus gegenüber einer realen Solidaritätsbewegung, die einer staatlichen Repression und medialer Hetze neuen, dramatischen Ausmaßes ausgesetzt ist. Und die IL führt dabei Ausschlusskriterien für eine (kritische) Unterstützung und Zusammenarbeit an, die ihr bei ihren eigenen Kampagnen und breiten, flexiblen Bündnissen fremd sind. So gab es nie Kritik oder auch nur Bedenken an der Zusammenarbeit mit Grünen, SPD, Linkspartei, den rot-grün-roten Senaten und dem Gewerkschaftsapparat bei DWe. Im Gegenteil, die IL stand nicht nur für taktische Zusammenarbeit bei einer bestimmten Aktion, sondern ihre führenden Aktivist:innen verteidigten auch gleich ihre bürgerlichen und reformistischen Partner:innen gegen jede Kritik.

Das Problem liegt dabei nicht in der taktischen Zusammenarbeit mit reformistischen Parteien. Aber es wirft ein bezeichnendes Licht auf Opportunismus und Sektierertum in der IL. Während man kein Problem in der oft weitgehend kritiklosen Zusammenarbeit mit Parteien sieht, die den deutschen Imperialismus maßgeblich mitverwalten, reichen ein paar angeblich ungelöschte Posts als Vorwand, sich einer Bewegung in Solidarität mit Gaza, mit Zehntausenden Toten zu verweigern.

Es wirkt geradezu zynisch, wenn die IL ihre Erklärung mit den Worten beendet: „Dieser Krieg muss enden, ceasefire now!“ Wer diese Ziele will, muss auch die Mittel wollen, sie zu erreichen. Und das geht nur über die Stärkung, Koordinierung, Verbreiterung der Solidaritätsbewegung. Es gibt keine anderen!




Ukraine: Kampf um „Friedensverhandlungen“

Markus Lehner, Neue Internationale 283, Juni 2024

In den letzten Wochen ist in den festgefahrenen Ukrainekrieg wieder etwas Bewegung gekommen – an mehreren „Fronten“. Einerseits geriet die Ukraine in eine Schwächephase, die vom russischen Militär an mehreren Frontabschnitten ausgenutzt wurde. Zugleich verkündete Putin die Möglichkeit eines längerfristigen Waffenstillstandsabkommens, während andererseits die Ukraine und ihre westlichen Verbündeten auf eine „Friedenskonferenz“ in der Schweiz im Juni setzen. Schließlich machen auch die Hauptschuldner:innen der Ukraine Druck, der das kriegsgebeutelte Land an den Rand der Zahlungsunfähigkeit führen könnte.

Robuster als erwartet

Hintergrund dieser Entwicklungen ist sicherlich, dass sich der russische Imperialismus als robuster erwiesen hat, als seine westlichen Widersacher:innen es wohl erwartet haben. Trotz der Wirtschaftssanktionen gelang der Umbau der Ökonomie auf Kriegswirtschaft. Die Neubesetzung des Verteidigungsministers mit einem Ökonomen ist ein deutliches Zeichen der Stärkung des militärisch-industriellen Komplexes in der russischen Führung. Auch das viel größere Bevölkerungsreservoir der russischen Föderation gegenüber der Ukraine schlägt inzwischen voll durch: Der russischen Seite gelingt es auch ohne eine neue Zwangsmobilisierung, durch wirtschaftliche Anreize genügend neue Soldat:innen in die eigenen Reihen zu bringen (angesichts der immer prekärer werdenden Versorgungslage der „Normalbevölkerung“ in Russland), während die Ukraine in ernsten Personalnöten steckt.

Dies wurde besonders Anfang Mai deutlich, als russische Truppen westlich von Donezk bei Otscheretyne an einem mehrere Kilometer breiten Streifen die Front durchbrachen. Grund war wohl, dass eine ukrainische Brigade es leid war, auf die lange versprochene Ablösung zu warten, und abzog, bevor der Ersatz ankam. Dies war einer der Durchbrüche, die jetzt die Gefahr einer Zangenbewegung auf Pokrowsk und damit den Fall der restlichen Teile der Oblast Donezk heraufbeschworen. Die ukrainische Regierung reagierte mit einer umfassenden und stark repressiven Mobilisierungswelle, um schneller ermüdete Fronttruppen austauschen zu können – was allerdings die Gefahr mit sich bringt, dass schlecht ausgebildete Truppen mit komplizierter westlicher Militärtechnologie sofort ins Gefecht geschickt werden. Zur Personalnot kommt, dass die auf Massenproduktion umgestellte Kriegsproduktion in Russland derzeit z. B. bei Artilleriemunition nicht durch Lieferungen aus dem Westen kompensiert werden kann. Auch wenn insbesondere die aus der Tschechischen Republik hier für teilweisen Ausgleich sorgten, ist die westliche Rüstungsproduktion weit von der Quantität der russischen entfernt.

Das wird jetzt auch durch die Freigabe der US-Hilfsgelder nicht wirklich rasch kompensiert, da die Rüstungsproduktion (außerhalb Tschechiens) noch lange nicht in der notwendigen Weise hochgefahren wurde. Die Diskussion um einzelne Technologien wie das Taurus-System (deutsch-schwedischer Marschflugkörper) lenkt dabei teilweise davon ab, dass der Westen für einen von ihm ausgerüsteten „Sieg der Ukraine“ sehr viel mehr Prozente des BIP auf Kriegsproduktion umstellen müsste.

Vorstöße

Kein Wunder, dass Frankreichs Präsident Macron in dieser angespannten Situation unverblümt den unmittelbaren Einsatz von NATO-Truppen in der Ukraine als kleineres Übel zu verkaufen begann. Militaristen wie der CDU-Abgeordnete Kiesewetter bringen eine direkte NATO-Intervention in Form einer Übernahme der Luftraumverteidigung im Westen der Ukraine ins Spiel, also faktisch die Errichtung einer Flugverbotszone. Würden die Vorschläge Macrons und Kiesewetters angenommen, würden sie zu eine direkten Konfrontation von NATO-Truppen mit Russland führen. Das würde nicht nur den Charakter des Kriegs in der Ukraine selbst ändern, den ganzen Krieg weiter eskalieren und zu einer Veränderung der bisherigen westlichen Strategie führen, die bislang auch immer verhindern wollte, dass es zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO kommt.

Fakt ist jedenfalls, dass es noch einige Monate brauchen wird, bis die Ukraine aus ihrer Material- und Personalnot wieder herauskommt und ihre Fronten stabilisieren wird können. Daher nutzt das russische Militär jede Gelegenheit, um weitere Nadelstiche zu setzen. So wurde seit dem 10. Mai eine weitere Front nordöstlich von Charkiw eröffnet, mit Durchbrüchen bei Wowtschansk und Lypzi mit Zielrichtung entlang des Oskilflusses (auch: Oskol). Wie erfolgreich auch immer der Durchbruch war, so hat jedenfalls die Leichtigkeit der Überwindung der angeblichen Befestigungsanlagen dort für Entsetzen gesorgt. Inzwischen sind etliche Vorwürfe, auch der Korruption, rund um die militärisch Verantwortlichen in der Region laut geworden. Weitere größere russische Verbände scheinen auch bei Sudscha nordwestlich von Charkiw aufzumarschieren, und drohen, in die Nachbaroblast Sumy einzumarschieren. Damit ist die ukrainische Militärführung gezwungen, viele ihrer Reservetruppen rund um Charkiw einzusetzen, die damit dringend benötigte Ablösungen an der Front um Donezk unmöglich machen.

„Friedens“diplomatie

Klar, dass Putin diese Situation ausnutzt, um ein „großzügiges“ Friedensangebot in die Welt zu setzen. Laut Veröffentlichungen der Pressestelle des Präsidenten wird der Ukraine angeboten, die Kampfhandlungen beim gegenwärtigen Frontverlauf einzufrieren und Verhandlungen zu beginnen, dies zur Grundlage für einen endgültigen Grenzverlauf zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation zu machen. Nachdem dies, wie zu erwarten war, von der ukrainischen Regierung umgehend abgewiesen wurde, schlug die russische Regierung laut Reuters gleich direkte Verhandlungen mit den USA in diesem Sinne vor.

Die ukrainische Regierung und ihre westlichen Verbündeten setzen stattdessen schon seit längerem auf eine im Juni beginnende Friedenskonferenz am Vierwaldstätter See, zu der die Schweiz laut eigenen Angaben an die 160 Länder eingeladen hat – zu denen die Russische Föderation allerdings nicht gehört. Kalkül der westlichen Diplomatie ist vor allem, die „Gesprächspartner:innen“ Russlands, insbesondere China, Brasilien, Indien und Südafrika zu der Konferenz zu bringen, um so Druck auf Putin aufbauen zu können. Viele westliche Regierungschef:innen fuhren insbesondere nach Peking, um der dortigen Partei- und Staatsführung die Wichtigkeit der Teilnahme zu erklären – und waren dafür wohl auf anderen Gebieten zu Zugeständnissen bereit. Nachdem bei Letzterem dann wohl doch nicht soviel rüberkam (siehe die Entwicklung bei den US-Strafzöllen) kamen in den letzten Tagen eindeutige Absagen von China und Brasilien an den Trip zum Vierwaldstätter See.

Weit entfernt von einer „Lösung“

Dieses diplomatisch-propagandistische Getöse um vorgebliche „Friedensgespräche“ zeigt, wie weit man noch von einer tatsächlichen Lösung entfernt ist. Die Tiefe des Konflikts zwischen den imperialistischen Mächten und der ungebrochene Wille der ukrainischen Bevölkerung, nicht vor der russischen Okkupation einzuknicken, lassen derzeit wohl keinen interimperialistischen Deal zur Befriedung des Konfliktes erwarten. Dies zeigt umso mehr, wie notwendig es ist, dass die Arbeiter:innen und Bauern/Bäuerinnen in der Region selber zu Akteur:innen werden, um dieser menschenmörderischen Materialschlacht ein Ende zu setzen. Schließlich geht es nicht um „Wiederherstellung völkerrechtlich eindeutiger Grenzen“ oder „Wahrung der russischen Einflusssphäre“ bzw. ähnlich abstrakte Prinzipen wie jetzt angeblich für einen „gerechten Frieden“ – es geht letztlich darum, wie und unter welchen Bedingungen die Mehrheit der Menschen in den umkämpften Gebieten tatsächlich leben will.

Einen Schlüssel für einen wirklichen Frieden hat natürlich das russische Proletariat. Die wachsende Unzufriedenheit mit der miesen Versorgungslage in Russland wie auch die stetig steigende Zahl von Opfern des Krieges wird langsam aber sicher zum Problem für das Putin-Regime. Schon vor dem Krieg hatten wichtige Sektoren der russischen Industrie ein Arbeitskräftemangelproblem. Derzeit fehlen laut Bloomberg allein der russischen Öl- und Gasindustrie über 40.000 Arbeitskräfte, da man selbst in dieser bisher am besten zahlenden Industrie inzwischen weitaus weniger verdient als in der Armee. Streiks waren in den letzten Jahren eher eine Seltenheit, könnten aber angesichts dieser Angebots-Nachfrageschere unausweichlich sein. Wichtig ist daher, dass die 30 Millionen gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innen ihre Putin-treuen Führungen durch eine klassenkämpferische Alternative ersetzen. Insbesondere Streiks in der Rüstungsindustrie würden der russischen Militärmaschinerie in der Ukraine rasch Sand ins Getriebe streuen.

In der Ukraine wächst nicht nur die Unzufriedenheit mit wachsendem korrupten Autoritarismus in der politischen und militärischen Führung. Es wird auch deutlich, dass die „Freund:innen“ im Westen besondere Prioritäten in Form ihrer Unterstützung der ukrainischen Regierung verfolgen. So wurde etwa nach einem Bericht des Wallstreet-Journals von Anfang Mai auf einer Konferenz der wichtigsten Gläubiger:innen der Ukraine betont, dass die Geduld von BlackRock, PIMCO etc. mit der Ukraine zu Ende geht, was die Stundung von Zinszahlungen betrifft – man hatte nicht mit einem so langen Krieg gerechnet! Sie verlangen ab nächstem Jahr Zinszahlungen in der Höhe von 500 Millionen US-Dollar jährlich, während die staatlichen Geldgeber:innen (für ihre Steuerzahler:innen) bis 2027 auf Rückzahlungen verzichtet haben. Jenseits von Phantasien um die Beschlagnahme russischen Auslandsvermögens droht ein ukrainischer Staatsbankrott. Wie die ukrainische Wirtschaft dies bewältigen soll, ist klar – wofür hat man denn das Arbeitsrecht de facto abgeschafft und die ukrainische Landwirtschaft zum Dumping-Eldorado des globalen Agrobusiness umgewandelt? In den letzten Jahren und vor allem während des Kriegs haben ukrainische Agrarkonzerne wie die Kernel Holding, vor allem aber westliche Multis wie Bayer/Monsanto, DuPont und Cargill begonnen, die Landwirtschaft und Agrarflächen zu übernehmen – vor allem auf Kosten der Rund 8 Millionen Kleinbäuerinnen und -bauern. Der Ukrainekrieg wird von den Herrschenden des „demokratischen Westens“ vor allem zur eigenen Bereicherung genutzt. Ebenso dient er als Vorwand für Hochrüstung und Militarisierung in den NATO-Ländern, während die Ukraine weiterhin nur mit dem Nötigsten versorgt wird, um nicht unter den russischen Militärschlägen zusammenzubrechen.

Unabhängigkeitskampf in Arbeiter:innenhand!

Es ist an der Zeit, dass die Arbeiter:innenklasse in der Ukraine selbst die Führung des Kampfs um eine wirkliche Unabhängigkeit der Ukraine – sowohl vom russischen wie vom westlichen Imperialismus – übernimmt, also eine wirksame Verteidigung gegen russische Angriffe mit dem Kampf um soziale Rechte, Schuldenstreichung und Enteignung aller imperialistischen Investments verbindet. Auch wenn wir das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung und die Beschaffung der dafür nötigen Mittel anerkennen, so müssen Revolutionär:innen in der Ukraine und im Westen vor den Illusionen warnen, dass die gegenwärtige militärische Unterstützung der NATO-Staaten wirklich der Unabhängigkeit dient. Vielmehr sind diese Lieferungen mit der Bedingung der Sicherung der eigenen Einfluss- und Ausbeutungssphäre verknüpft und letztlich nicht auf wirkliche Selbstbestimmung für die gesamte Ukraine ausgerichtet, sondern sollen dem Westen Beute bringen. Ob diese Rechnung aufgeht oder die ukrainischen Massen diese durchkreuzen, hängt letztlich davon ab, ob es der Arbeiter:innenklasse gelingt, eine eigene revolutionäre Partei aufzubauen, die den Kampf gegen die russische Okkupation mit dem für eine sozialistische Ukraine verknüpft.

Ein solcher wirklicher Unabhängigkeitskampf in Europa kann nie und nimmer bei Fortbestehen der NATO – dieses Bollwerks für westliche Investorensicherheit – gelingen. Die Zerschlagung der NATO zusammen mit der imperialistischen russischen Militärmaschinerie ist vielmehr die Voraussetzung für einen Frieden, der letztlich nur in Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas von Dauer sein kann.

Dies mag heute utopisch erscheinen – es ist aber realistisch im Vergleich zu „Friedensverhandlungen“, die jetzt von offizieller Seite her vorgeführt werden und auf Dauer kein Ende des Gemetzels hervorbringen werden – sondern nur einen Zustand, der die Voraussetzung für einen nächsten Krieg darstellt.




Massenbewegung zwingt Regierung in Jammu und Kaschmir zum Rückzug

Imran Javed, Neue Internationale 283, Juni 2024

Die seit einem Jahr andauernde Bewegung im pakistanisch verwalteten Jammu und Kaschmir, eine Fortsetzung des Jahrzehnte währenden Kampfes gegen die Brutalität, Unterdrückung, Gewalt und Verhaftungen, zwang die herrschende Klasse zum Einlenken.  Am 13. Mai gab die pakistanische Regierung den Hauptforderungen der Protestbewegung nach und kündigte die sofortige Bereitstellung von 23 Milliarden Rupien (82.712.002 US-Dollar) für Asad Jammu und Kaschmir, den von Pakistan kontrollierten Teil Kaschmirs, an.

Die Regierung gewährte einen subventionierten Preis von 1.100 Rupien pro 40 Kilogramm Mehl und einen Zuschuss zu den Strompreisen. Außerdem gab sie auch einer Reihe anderer Forderungen nach, die im Mai 2023 erhoben worden waren, als die Bewegung aufgrund der massiven Preiserhöhungen, die die Arbeiter:innen und Bäuer:innen, aber auch das städtische Kleinbürgertum und die Mittelschicht trafen, begann. Ein Jahr lang dauerte die Massenbewegung an, beginnend mit Sitzstreiks und Boykottaktionen gegen die Stromrechnungen. Monatelang hatten sich sowohl die Regional- als auch die Zentralregierung geweigert, die Forderungen der Bewegung zu erfüllen, aber es war die Entschlossenheit, die Ausbreitung und die Radikalisierung des Kampfes, die sie schließlich zum Einlenken zwangen.

Massenkampf

Diese Radikalisierung war seit Herbst letzten Jahres zu beobachten. Im September 2023 fanden in allen größeren Städten des so genannten Asad Kaschmir Proteste mit Tausenden von Demonstrant:innen statt, und Händlerverbände, Transportunternehmen und Rechtsanwält:innen traten in den Streik. Auch für den 5. Februar 2024 wurde zum Streik aufgerufen, dem die Arbeiter:innen, aber auch die Händler in den Städten folgten.

Monatelang antworteten die Regierungen mit Repression und Gewalt. Letztlich scheiterten jedoch alle diese Taktiken angesichts einer Bewegung von Millionen von Menschen. Monatelang hatte die Regierung versucht, die Bewegung zu zerstören, indem sie den Verhandlungsprozess in die Länge zog. Doch die Empörung und Entschlossenheit der Massen wurde nur noch stärker, trotz der schwachen Strategie der Führung des Joint Awami Action Committee (JAAC), das stark von Teilen der Händler beeinflusst und geführt wurde. Die Führer:innen des Komitees waren zwar oft kleine Händler, Teile des Kleinbürgertums oder kleinere Kapitalist:innen, aber sie haben ihre Verbindungen zu den größeren Händlern nie gelöst.

Doch trotz der Bemühungen der Führung, eine Einigung auf der Grundlage einer unvollständigen Akzeptanz der Forderungen der Bewegung zu erzielen, konnten sie die Bewegung das ganze Jahr über nicht beenden. Sie wurde sogar noch stärker, weil Millionen mobilisiert wurden und der Druck auf die Führung enorm zunahm. Nach Ansicht des bekannten progressiven, nationalistischen Führers Tawqir Gilani ist der Erfolg der Volksbewegung eher dem Kampf und der Leidenschaft des Volkes zu verdanken als irgendeiner Führung oder Partei.

Auch die Führung des Joint Awami Action Committee hatte nicht mit einer derart spektakulären Bewegung gerechnet. Angesichts der öffentlichen Begeisterung für die Entscheidung, einen Langen Marsch zu organisieren, waren die Machthaber des so genannten Asad Kaschmir so erschrocken, dass sie Anfang Mai die pakistanische Regierung um eine Intervention baten. Diese Nachricht erzürnte die Öffentlichkeit, und am 6. Mai kam es in ganz Kaschmir zu Protesten gegen diese Entscheidung.

Die Tage im Mai

Anfang Mai 2024 dehnte sich die Bewegung auf einen weiteren Höhepunkt in ganz Kaschmir aus. Das Joint Awami Action Committee rief für Samstag, den 11. Mai, zu einem „Langen Marsch“ aus allen Teilen des Staates in die Hauptstadt von Jammu und Kaschmir auf. Diese allgemeine Massenmobilisierung legte das Land lahm.

Der Aufruf selbst war auch eine Reaktion auf die massiv verstärkte Repression. In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai führte die Polizei in den drei Bezirken von Mirpur Razzien durch, und die Anführer:innen der Aktivist:innen wurden verhaftet. In Dadyal, Nikyal, Tatta Pani und anderen Städten begannen ein „Schließungsstreik“ und Proteste gegen diese Verhaftungen. Die Polizei beschoss die Demonstrant:innen in Dadyal mit Tränengas, wodurch viele  verletzt und mehr als ein Dutzend Schülerinnen der Government High School aufgrund des Tränengasbeschusses bewusstlos wurden.

Doch die Menschen wehrten sich. Mehrere Polizeibeamt:innen, darunter der stellvertretende Polizeipräsident, wurden ebenfalls verletzt, ein Auto des pakistanischen Geheimdienstes (ISI) wurde in Brand gesetzt. In der Stadt Dadyal kam es den ganzen Tag über zu Zusammenstößen zwischen Demonstrant:innen und der Polizei. Diese Serie von Verhaftungen weitete sich auf ganz Kaschmir aus, und eine große Zahl von Studentenführer:innen, Geschäftsleuten und politischen Mitarbeiter:innen wurde festgenommen.

Als Reaktion darauf setzte die Regierung zusätzliche Polizei und Grenztruppen ein. Die JAAC reagierte auf die Zusammenstöße, indem sie die Schließung ihrer Geschäfte ankündigte und für den 11. Mai zu einem Streik aufrief. Die Menschen wehrten sich mit Stöcken und Schlagstöcken gegen die Polizei und Sicherheitskräfte.

Am 12. Mai wurden 1.300 Rangers, paramilitärische, den US-Rangers nachempfundene Repressionskräfte, gegen die Bewegung eingesetzt. Drei Jugendliche wurden erschossen, Hunderte wurden verletzt. Dies war der letzte Versuch, die Bewegung mit Gewalt zu zerschlagen. Der Widerstand der Massen zwang die Rangers zum Rückzug. Die einjährige Bewegung führte zu Sitzstreiks und setzte den Kampf durch Streiks und öffentliche Kundgebungen fort, bis sie sich über ganz Kaschmir ausbreitete. Seit die Bewegung gegen die Stromrechnungen im Mai 2023 in Poonch begann, hatte sie sich nicht nur auf alle größeren Städte und Gemeinden, sondern auch die Dörfer ausgebreitet.

Die Führer:innen des Joint Awami Action Committee kündigten für Freitag, den 10. Mai, ab 12 Uhr mittags einen kompletten Streik in ganz Kaschmir an und erklärten, dass der Streik auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werde und während dieser Zeit auch Proteste in verschiedenen Städten stattfinden sollten. Die Führer:innen riefen die Bevölkerung auf, sich auf einen entschlossenen Kampf vorzubereiten. Es fanden Sitzungen der studentischen Aktionsausschüsse statt, in denen beschlossen wurde, gemäß dem Beschluss des Joint Awami Action Committee eine führende Rolle bei der Organisation des Schließungsstreiks zu übernehmen. Alle Bezirksanwaltskammern, einschließlich der Anwaltskammer des Obersten Gerichtshofs, kündigten ebenfalls ihre volle Unterstützung an. Der Streik wurde fortgesetzt, bis der lange Marsch Muzaffarabad erreichte und die Forderungen akzeptiert wurden.

Ab Freitag, dem 10. Mai, wurde das normale Leben in allen kleinen und großen Städten in Kaschmir vollständig eingestellt und der Verkehr auf allen Straßen, die Jammu und Kaschmir mit Pakistan verbinden, unterbrochen. Tausende nahmen an Protestkundgebungen in verschiedenen Städten teil, protestierten und riefen Slogans gegen die staatliche Unterdrückung. Am 11. Mai begann der lange Marsch wie geplant. Als dieser lange Marsch Rawalakot erreichte, befanden sich zu diesem Zeitpunkt nach vorsichtigen Schätzungen Hunderttausende Demonstrant:innen darunter. Die Teilnehmer, die sich aus anderen Bezirken anschlossen, veränderten den Charakter des Langen Marsches. Es handelt sich um den größten Volksaufstand in der Geschichte des so genannten Asad Kaschmir.

Die Regierung macht einen Rückzieher

Aus Angst, die Bewegung könnte sich noch weiter ausbreiten und zu einer Doppelherrschaft in der Provinz führen, billigte der Premierminister am Abend des 13. Mai die beiden Hauptforderungen der Bewegung.

Diese Bewegung forderte die steuerfreie Lieferung von Strom zu den Produktionskosten der Mangla-Talsperre, die Lieferung von Mehl zu den Preisen von Gilgit-Baltistan (Sonderterritorium unter Bundesverwaltung und Teil Kaschmirs) und ein Ende der Privilegien der herrschenden Elite. Aufgrund des Ausmaßes und der Militanz dieser Bewegung wurde der Strompreis auf 3 bis 6 Rupien pro Einheit für Haushalts- und 10 bis 15 Rupien pro Einheit für gewerbliche Kund:innen festgesetzt, und es wurde beschlossen, die Mehlpreise um 1.100 Rupien pro 40 kg zu senken. Außerdem wurde beschlossen, die Rechnungen in einfachen Raten einzutreiben, mit Erleichterungen für Rechnungen, die 10 Monate lang boykottiert worden waren, und es wurde eine Mitteilung zur Einsetzung einer Justizkommission herausgegeben, um die Privilegien der herrschenden Elite zu beenden.

Haltung der herrschenden Klasse

Alle regierungsfreundlichen Parteien, einschließlich der PPP, haben diesen Kampf als Ergebnis einer Einmischung von außen bezeichnet. Die herrschende Klasse bezeichnete ihn auch als eine Verschwörung Indiens und versuchte, die Bewegung auf verschiedene Weise zu diskreditieren, um die Menschen von ihr zu entfremden.

Diese Bewegung und die Reaktion der herrschenden Klasse haben die Realität der Souveränität des so genannten Asad Kaschmir schonungslos offengelegt, d. h., dass die pakistanische Regierung in allen Fragen eine entscheidende Rolle spielt, und sie haben die nationale Unterdrückung Kaschmirs deutlich gemacht. Sie machte auch deutlich, dass die Regierung durch einen Massenkampf besiegt und ihre Forderungen durchgesetzt werden können, egal wie viel Druck der IWF ausübt, und dass ab einem bestimmten Stadium die Angst vor einer Revolution alles verändert.

Diese Bewegung machte auch deutlich, dass die Institutionen des Staates die Hüterinnen des Kapitals und der imperialistischen Interessen sind und nicht der brennenden Bedürfnisse des Volkes und das Parlament nicht die Masse des Volkes vertritt, sondern den Interessen des Kapitals Vorrang einräumt. All dies wurde von den Massen selbst bewerkstelligt. Die Arbeiter:innen, Bäuer:innen, Studierenden haben in den Kämpfen des letzten Jahres viel gelernt. Sie haben in vielen Städten und sogar auf dem Lande Aktionsräte gegründet. Vor allem die studentischen Aktionskomitees übernahmen eine führende Rolle in der Organisation des Kampfes, was zu einem ersten Erfolg führte. Dieser Sieg hat den Massen viel Selbstvertrauen verliehen. Die Tradition dieses Kampfes wird sich in ganz Pakistan ausbreiten. Es besteht die Notwendigkeit und die Möglichkeit, die Kaschmir-Lektionen landesweit zu verbreiten, weil die Menschen hier die Inflation und die teure Elektrizität satt haben und immer wieder beginnen, dagegen zu kämpfen.

Der Erfolg dieser Bewegung hat den politischen Status quo gebrochen, eine große Zahl von politischen Aktivist:innen hat sich dem Kampf angeschlossen. Doch trotz dieses Erfolges suchen die Regierung und staatlichen Kräfte nach Möglichkeiten, gegen die Menschen in Kaschmir zurückzuschlagen.

Wir müssen auch anerkennen, dass innerhalb der Bewegung die Führung der Händler des Joint Awami Action Committee (JAAC) eine Herausforderung von unten erfahren hat, durch lokale Aktionskomitees, embryonale Räte. Andererseits wurden diese lokalen, eher linken und aus der Arbeiter:innenklasse stammenden Komitees nie koordiniert und brachen somit nicht die Kontrolle und Führung des JAAC, das das Abkommen mit der Regierung im Namen der Bewegung unterzeichnete.

Während die Klassendifferenzierung innerhalb der Massen im Laufe des Jahres sichtbarer wurde und sich weiterentwickelte und die Arbeiter:innenklasse und Studierenden entscheidend für die lokale und massenhafte Mobilisierung waren, haben sie keine eigene Kraft entwickelt, die die Führung der Händler hätte herausfordern und ersetzen können, d. h. eine Partei der Arbeiter:innenklasse.

Dies wird jedoch eine entscheidende Aufgabe für die nächste Periode darstellen. Nur unter Führung durch die Arbeiter:innenklasse werden die Kämpfe gegen die Preiserhöhungen und die von den Regierungen und dem IWF auferlegten Kürzungen weitergehen können. Es ist ganz klar, dass die kleinbürgerlichen und bürgerlichen Händler nicht so weit gehen werden, da sie selbst an das System des Privateigentums gebunden sind.

Trotz des großartigen Kampfes der Bewegung und der Anwesenheit von fortschrittlichen und nationalistischen Arbeiter:innen und Parteien in ihr war das Fehlen einer revolutionären Partei in der Bewegung deutlich zu spüren. Was getan werden muss, ist, ein revolutionäres Programm für die Zukunft des Kampfes in Jammu und Kaschmir und in Pakistan vorzulegen, das die Hegemonie des Kapitals ablehnt und den Kampf für soziale und demokratische Forderungen mit dem für eine sozialistische Gesellschaft und Revolution verbindet.

Die Aktionskomitees, die in diesem Kampf entstanden sind, zeigen das Potenzial, Kampforgane zu schaffen, die die Massen, die Arbeiter:innen, Bäuer:innen, Student:innen und alle Unterdrückten im Kampf gegen die staatliche Unterdrückung vereinen können. Sie haben die Macht, Aktionen und Selbstverteidigung zu organisieren, die den bestehenden bürgerlichen Staat lähmen können. Diese können, wenn sie auf demokratischer Grundlage entwickelt, verallgemeinert und zentralisiert werden, zu Organen einer Arbeiter:innen- und Bäuern:innenregierung geraten, die sich auf Räte und bewaffnete Organe der Massen stützt. Aber für eine solche Strategie ist eine bewusste politische Kraft, eine revolutionäre Partei erforderlich, eine Partei, die die entschlossensten und politisch fortgeschrittensten Arbeiter:innen und Jugendlichen in Kaschmir und ganz Pakistan vereinen muss.